>

Für unser Recht: 1. Mai

image_pdf

Inhaltsverzeichnis:


Impressionen 1. Mai 2022

Foto: Ingo Müller

“Nach den beiden Corona-Jahren konnten die diesjährigen 1.Mai-Demonstrationen an Strahlkraft und Beteiligung wieder an das Niveau vor der Pandemie anschließen. Nach Polizeiangaben folgten dem Aufruf des DGB am Vormittag 7.500 Menschen und auf der „revolutionären 1.Mai-Demonstration” am Abend zählte die gleiche Behörde 14.000. Die Fahrraddemo „My Gruni“, die sich ebenfalls als Tradition etabliert hat und die zahlreihen dort beheimateten Vermögenden über ihre Pflichten aufklärt und ihnen die Probleme der Bevölkerungsmehrheit nahebringt, schaffte es auf die Hälfte der Zahl der Teilnehmer:innen der gewerkschaftlichen Demo. Auf der Abschlusskundgebung des DGB hatte vor allem die regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einen schweren Stand …”

Fotogalerie zum 1. Mai 2022 hier ansehen


Impressionen zum 1. Mai 2020 auf der Kundgebung der IG Metall

Rede von Benedikt Hopmann:

am 1. Mai 2020 auf einer Kundgebung des Arbeitskreises Internationalismus der IG Metall am Denkmal der ermordeten Juden Europas:

Zu den Voraussetzungen für den Mord an Millionen Juden Europas

Wir stehen hier am Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Für uns als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ist wichtig, daran zu erinnern, dass diejenigen, die die diesen systematischen Mord an Millionen Juden betrieben, dieselben waren, die sehr bald, nachdem ihnen die Regierung übertragen wurde, die Gewerkschaften zerschlugen.

Ja ich glaube, man kann das noch mehr zuspitzen und sagen: Dieser millionenfache Mord war nur möglich, weil die Nazis vorher die Arbeiterparteien verboten und die Gewerkschaften zerschlagen hatten. Vor dem Reichstagsgebäude steht ein Denkmal zur Erinnerung an 96 von den Nazis ermordete Reichstagsabgeordnete. Von den 96 ermordeten Reichstagsabgeordneten, an die dort erinnert wird, waren 43 Mitglieder der KPD und 41 Mitglieder der SPD.

Die Hitler-Faschisten nannten nicht zufällig die Revolutionäre von 1918/19 „Novemberverbrecher“. Das Ziel dieser „Novemberverbrecher“ war gewesen: Schluss mit dem Krieg! Schluss mit der feudalen Herrschaft in Politik und Wirtschaft! Nicht nur der Kaiser, auch die Schlotbarone und Krautjunker sollten gehen und mit ihnen all die Militaristen, die Deutschland in den 1. Weltkrieg geführt hatten.

All das, wofür die Novemberrevolution stand, war den Hitler-Faschisten zu tiefst zu wider. Sie wollten für die Zukunft unter allen Umständen eine Opposition verhindern, wie sie sich während des ersten Weltkrieges gebildet, über die revolutionären Obleute immer größere Massenstreiks organisiert und schließlich zur Revolution 1918/19 geführt hatte.

Weil aber nur der Kaiser ging, nicht aber all die anderen Militaristen, weil auch die Antidemokraten in den Verwaltungen, Gerichten, Schulen und Kirchen blieben, weil das große Kapital der Schwerindustrie mit seinen äußerst reaktionären Vertretern nicht enteignet wurde und weil die Privateigentümer in ihren Betrieben weiter ein unbeschränktes Feudalregiment führen konnten, weil es also der Novemberrevolution nicht gelang, die gegenrevolutionären Kräfte zu zerschlagen, konnten die Faschisten diese Kräfte um sich sammeln und eine Massenpartei darauf aufbauen.

So hatte es verheerende Folgen, dass die Revolution von 1918/19 unvollendet blieb. Zwar gelang den abhängig Beschäftigten noch 1920, die erste deutsche Republik durch einen Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch zu verteidigen, doch wenige Jahre später hatten sie dazu nicht mehr die Kraft. Sie waren nicht mehr in der Lage, vereint zu handeln und den Aufstieg des Faschismus zu verhindern.

Schon 1920 trugen die Putschisten Hakenkreuze am Helm und viele von ihnen waren von einem scharfen Antisemitismus geprägt. Darauf bauten die Hitlerfaschisten auf. Nachdem sie 1933 die gewerkschaftliche und politische Gegenmacht zerstört hatten, begannen sie Schritt für Schritt mit der Aufrüstung. Das alles endete in Völkermord und einem neuen Weltkrieg mit über 50 Millionen Toten. Der Antisemitismus steigerte sich zu einem systematischen Mord an Millionen Juden, an den dieses Denkmal erinnert.

Am 9. November eines jeden Jahres wird die Erinnerung an die Novemberrevolution von 1918 weitgehend verdrängt durch das Gedenken an die Judenpogrome vom 9.November 1938, die als wichtiger Schritt zu dem folgenden millionenfachen Morden verstanden werden. Wenn wir wollen, dass dies nie wieder geschieht, dann müssen wir aber an die Novemberrevolution von 1918 erinnern und an die Gründe, die 15 Jahre später zum Sieg des Faschismus, 20 Jahre später zu den Judenpogromen und zu den folgenden Menschheitsverbrechen führten. Nur so können wir vermeiden, dass sich die Geschichte wiederholt.

130 Jahre lang: Wir kämpfen für unser Recht

Wir sind uns bewusst, dass die Ansteckungsgefahr durch den Corona-Virus zu Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zwingt, um Gesundheit und Leben von allen zu schützen. Aber nicht nur der Corona-Virus tötet, auch die Abschottung der EU-Grenzen tötet, die Zerstörung der Umwelt tötet, Rüstung und Krieg töten. Dazu darf nicht geschwiegen werden und deswegen wollen wir auch auf Versammlungen nicht vollständig verzichten. Versammlungsfreiheit und das Recht auf Leben und Gesundheit sind miteinander vereinbar, wenn die Hygieneregeln beachtet werden. Das ist der Grund, warum die Eindämmungs-Verordnung Versammlungen auch nicht vollständig verbietet. Und das ist auch der Grund, warum wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am 1. Mai nicht vollständig auf Kundgebungen verzichten wollen.

Nachdem der DGB alle Kundgebungen unter freiem Himmel abgesagt hatte, ehrt es den Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall, dass er diese Kundgebung und die drei vorangegangenen kleinen Kundgebungen am heutigen Tag durchführt. Und es ist ein gutes Zeichen, dass diese Kundgebungen von Birgit Dietze unterstützt werden.

Es wäre sehr schade gewesen, wenn Gewerkschaften ausgerechnet am diesem 1.Mai keine Kundgebung unter freiem Himmel durchgeführt hätten. Denn es ist in diesem Jahr 130 Jahre her, dass das erste Mal weltweit Kundgebungen durchgeführt wurden. Im Jahr 1889 hatte der Gründungskongress der II. Internationale in Paris beschlossen, in allen Ländern am selben Tag Kundgebungen zur Durchsetzung des Achtstundentags durchzuführen. Ein Jahr später, am 1.Mai 1890 war es dann soweit: Es begann eine weltweite Tradition, die bis heute anhält. Das Arbeitsschutzprogramm, das auf dem Kongress in Paris entwickelt wurde, beruhte auf der grundsätzlichen Feststellung, dass „die Emanzipation der Arbeit und der Menschheit nur ausgehen kann von dem als Klasse und international organisierten Proletariat, welches sich die politische Macht erringt, um die Expropriation des Kapitalismus und die gesellschaftliche Besitzergreifung der Produktionsmittel ins Werk zu setzten“[1]Protokoll des internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris, mit einem Vorwort von Wilhelm Liebknecht, Nürnberg 1889, S. 121). Berliner Vertreter auf diesem Kongress waren der Metallarbeiter Karl Becker, der in dem Unternehmen Max Hasse & Comp. arbeitete, der Tischler Theodor Glocke, der Former Alwin Körsten, der Zimmerer Julius Seitz, der Schneider Leo Pfeiffer, der Mauerer Julius Wernau und der Hausdiener Wilhelm Werner ; mit der Vertretung der Berliner Arbeiterinnen war Clara Zetkin beauftragt worden[2]Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung a.a.O. S. 311. Seit dem Spätherbst 1889 hatten sich nahezu alle Berliner Arbeiter-, Volks- und Gewerkschaftsversammlungen für eine Arbeitsniederlegung am 1. Mai 1990 ausgesprochen. Obwohl der preußische Innenminister aufgrund des noch geltenden Sozialistengesetzes Versammlungen verbot und Agitatoren und Streikenden strafrechtliche Verfolgung androhte, streikten in Berlin am 1. Mai 1890 ca. 20.000 abhängig Beschäftigte und unternahmen Massenausflüge in die Berliner Umgebung[3]a.a.O. S. S. 323. 28 Jahre später – am 12. November 1918 – verkündete der Rat der Volksbeauftragten, der am 10. November im Zirkus Busch von der Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte aus der Taufe gehoben worden war: „… spätestens am 1. Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten“. Außerdem verkündete der Rat der Volksbeauftragten mit Gesetzeskraft: „Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung“ und: „Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei“[4]BArch R 43 I / 1972, Bl. 22.

Hygienedemos, die mit dem Grundgesetz unter dem Arm notwendige Hygieneregeln und damit Leben und Gesundheit missachten und sich auch sonst nicht nach rechts abgrenzen, haben nichts mit der Verteidigung von Grundrechten zu tun. Diese Grundrechte wurden nicht vom Bürgertum, sondern von den abhängig Beschäftigten erkämpft. Das ist die Tradition, auf die sich die hier versammelten Gewerkschafterinnen berufen. Wir kämpfen für Freiheit, Leben und Frieden und wissen dabei, dass die Unternehmer unter der Verteidigung dieser Rechte etwas anderes verstehen als wir.


References

References
1 Protokoll des internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris, mit einem Vorwort von Wilhelm Liebknecht, Nürnberg 1889, S. 121
2 Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung a.a.O. S. 311
3 a.a.O. S. S. 323
4 BArch R 43 I / 1972, Bl. 22