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Klimabewegung, Transformation und Gegenmacht

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10. August 2020 von benhop

„Dass Du Dich wehren musst, wenn Du nicht untergehen willst, wirst Du doch einsehen“ B. Brecht

Wenn es um die Umstellung auf eine umweltfreundliche Arbeit und umweltfreundliche Produkte geht, ist da immer die Angst, mit der Umstellung der Produktion den Arbeitsplatz zu verlieren. Denn für die Unternehmen gibt es diese einfache Option: Die Kündigung.

Über das „Ob“, „Wann“ und „Wo“ von Produktion oder Dienstleistung und auch über  Entlassungen entscheiden allein die Unternehmen. Es sind eben nicht die Beschäftigten, sondern die Unternehmer, die in den Betrieben das Sagen haben. Diese überlegene Stellung ist das Fundament der Angst.

Und es ist nicht nur die Angst vor Arbeitslosigkeit, sondern auch die Angst vor dem sozialen Abstieg. Dies gilt selbst dann, wenn dem Beschäftigten ein neuer Arbeitsplatz angeboten wird. In der Autoindustrie sind die Beschäftigten gut organisiert und so konnten die Gewerkschaften gute Löhne durchsetzen. Ein Arbeiter bei VW verdient ca. 3.500 € netto (incl. Schichtzulagen). Die Gefahr ist real, dass er diesen Lohn nach einem Ende bei VW und einem Neuanfang in einem anderen Unternehmen nie mehr erreicht.

Ebenso wie die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, geht die Angst vor einer Klimakatastrophe auf das Konto der Kapitaleigner. Die Produktion von Autos mit Benzin- oder Dieselmotor hätte schon längst eingestellt und eine Ersatzproduktion geschaffen werden müssen. Vorrang hätte der entschiedene Ausbau und die Forderung des Öffentlichen Personen Nahverkehrs haben müssen. Aber die Unternehmer haben alles getan, um eine Umstellung zu torpedieren. Die Süddeutsche Zeitung zitierte am 19. September 2019 die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit Blick auf die notwendig Umstrukturierung der Autoindustrie im Jahr 2010 bemerkt hatte: „Die Welt schläft nicht“. Die Süddeutsche Zeitung dazu: „Acht Jahre später kann man festhalten: Deutschland schläft, immer noch“.

Das gilt auch für die Umstellung auf eine umweltfreundliche Energieversorgung, das gilt für andere Bereiche der Industrie und das gilt für die Landwirtschaft. Die Unternehmen in Industrie und Landwirtschaft zusammen mit der Politik haben vollständig versagt. Aber hinter diesem Versagen stecken Interessen – die Interessen des großen Kapitals, dem mehr an einer guten Jahresbilanz als an einem besseren Schutz der Umwelt gelegen ist. Das ist die treibende Kraft, die das Klima weiter aufheizt und Angst erzeugt.

Immer wieder wird allein auf dem Markt gesetzt, immer wird alles auf das uneinsichtige Verbraucherverhalten geschoben. Doch die Umstellung der Glühlampe auf andere Leuchtmittel zeigt: Es geht auch anders. Zehn Jahre nach dem Verbot der Glühlampe war die Umstellung auf andere Leuchtmittel vollzogen. Produktionsumstellungen auf der Grundlage von Produktionsverboten sind möglich. Der Fall Osram ist aber auch eine Blaupause für das, was auf die Beschäftigten in der Autoindustrie und anderen Industriezweigen zu kommt. Die sozialen Folgen einer Umstellung auf umweltfreundliche Produktion und Produkte werden gnadenlos auf die Beschäftigten abgewälzt[1]SZ v. 16./17.2.2019 S. 25.

Es ist sehr wichtig, das offen zu legen: Es ist nicht die Umstellung auf eine umweltfreundliche Produktion selbst, sondern die Art und Weise, wie diese Umstellung vollzogen wird, die zu schweren Belastungen bei den Beschäftigten führt. Es ist die Abwälzung der Lasten dieser Umstellung auf die Beschäftigten durch die Unternehmen, die bekämpft werden muss. Das ist eine gewaltige Aufgabe: Je entschiedener der Umweltschutz ist, desto heftiger müssen sich die Beschäftigten gegen die Abwälzung der Lasten auf ihre Schultern wehren. Wird diesem Konflikt ausgewichen, kann die Verantwortung der Unternehmen nicht erkannt werden. Dann wendet sich der Widerstand nicht mehr gegen gegen den asozialen Vollzug durch das Kapital, nicht mehr gegen die Abwälzung der Folgen auf die abhängig Beschäftigten, sondern gegen die notwendigen Umweltschutzmaßnahmen selbst. Die gemeinsame Forderung von IG Metall und Unternehmern für eine Abwrackprämie auch für Verbrennungsmotoren ist ein Warnzeichen. Das darf sich nicht wiederholen.

Transformation und Krise

Die Situation ist seit Herbst 2019 nicht einfacher geworden. Schon im Herbst 2019 kündigte sich eine wirtschaftliche Krise an, die zu einer Erhöhung der Arbeitslosenzahlen, höherem Druck auf die Gewerkschaften und erkämpfte Leistungen führte. Diese Krise verschärfte sich seit dem Frühjahr diesen Jahres durch die COVID-19 Pandemie. Es ist völlig offen, in welchem Umfang Kurzarbeit eine ‚Brücke‘ zur Weiterbeschäftigung und nicht zur Arbeitslosigkeit bilden wird. In der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 wurden 1,4 Millionen auf Kurzarbeit gesetzt. Im April 2020 wurden laut Bundesanstalt für Arbeit dagegen weit 6 Millionen in Kurzarbeit geschickt, im Mai 5,8 Millionen und im Juni immer noch 5.4 Millionen. Im Juli 2020 hatte sich die Zahl der Arbeitslosen – im Vergleich zum selben Monat im Vorjahr – um über 600.000 erhöht; das ist eine Erhöhung der Arbeitslosenrate um 1,3 %. Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit wieder zurückgegangen und auch die Kurzarbeit hat abgenommen und alle feiern das als Erfolg. Doch die Pandemie hat Spuren hinterlassen und das Thema der ökologischen Transformation eine dramatische Zuspitzung erfahren. Arbeitsplätze, die nicht klimaneutral sind, sind keine zukunftssicheren Arbeitsplätze. Verschärfend kommt die Digitalisierung von Arbeitsprozessen hinzu, die bisher nur als menschliche Tätigkeiten denkbar waren. Diese Situation nutzt das Kapital rigeros aus, um seine Profite weiter zu steigern. Eine entschiedene Lösung gegen das Kapital wird immer dringlicher.

Ein Plan muss her: Ein Plan für die ganze Wirtschaft, die Branche, das Unternehmen und jeden Betrieb

Die IG Metall fordert in ihrem Transformationsatlas vom Juni 2019 „betriebliche Zukunftsvereinbarungen, die mittel- und langfristige Investitionsentscheidungen, Standortsicherung, Kündigungsschutz und Personalentwicklung beinhalten“.

Das ist ein Anfang. Aber was folgt daraus?

Es muss ein konkreter Plan her, der nicht von den Unternehmen definiert ist, sondern von den Beschäftigten, ihren Gewerkschaften und der Umweltbewegung. Bisher wird die Umstellung auf ein umweltverträgliches Wirtschaften viel zu sehr den Unternehmen überlassen und von den Unternehmen beeinflusst. Der Plan der Beschäftigten, Gewerkschaften und Umweltbewegung muss konkret sein, er muss also genau festlegen, bis zu welchem Zeitpunkt und in welchen konkreten Schritten die umweltzerstörenden Schadstoffe beseitigt und Klimaneutralität umgesetzt ist. Das Motto muss lauten: Verteidigung von Umweltschutz und sozialen Standards. Volle Klimaneutralität schneller als bisher geplant und von denen finanziert, die es bezahlten können.

Die Unternehmen dürfen die Lasten nicht auf ihre Beschäftigten abwälzen.

Dazu ist erstens notwendig, dass der Plan eine Vorausschau enthält, in der der Verlust von Arbeitsplätzen verzeichnet ist, der durch die Einstellung von umweltschädlichen Produktionen entsteht – aufgeschlüsselt nach Branchen, Unternehmen und Betrieben.

Dazu ist zweitens notwendig, dass umweltverträgliche Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Zum Beispiel indem zusätzliche Stellen im Öffentlichen Personen-Nahverkehr oder Gesundheitswesen geschaffen werden. Diejenigen, die ohne Arbeit sind, müssen alle die gleichen Chancen haben. Es müssen also ausreichend zumutbare Arbeitsplätze für alle angeboten werden. Dabei reichen nicht Versprechungen, vielmehr sind verbindliche Verpflichtungen notwendig.

Und dazu ist drittens erforderlich, dass die vorhandene Arbeit auf alle verteilt wird. Wenn weniger Arbeit da ist, darf das nicht in Arbeitslosigkeit für wenige enden, sondern muss in Arbeitszeitverkürzung für alle münden. Und auch hier wieder ist die entscheidende Frage: Wer zahlt? Bezogen auf Arbeitszeitverkürzung ist das die Frage nach dem Lohnausgleich.

Eine Transformation muss die ganze Wirtschaft im Blick haben, nicht nur den einzelnen Betrieb, das einzelne Unternehmen oder eine Branche. Wenn wir zum Beispiel den öffentlichen Personennahverkehr und den Gesundheitssektor ausbauen, aber den Individualverkehr zurückdrängen wollen, dann sind das Umschichtungen, die über die Autobranche hinausgehen.

Rechtlosigkeit der Betriebsräte – Transformation durch Tarifvertrag

Es ist aber nicht möglich, das über Betriebsräte zu erzwingen. Die Zahl der Betriebe und Büros ohne Betriebsrat nimmt stetig zu. Wenn Beschäftigte sich nicht organisieren, wenn Beschäftigte keinen Betriebsrat wählen, verkennen sie die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen. Aber es ist nicht nur das. In den großen Betrieben existieren Betriebsräte. Doch diesen Betriebsräten fehlen alle Rechte, um die Beschäftigten vor Kündigungen zu schützen. Die Betriebsräte müssten nicht nur ein Initiativrecht bekommen, um eine ausreichende Qualifizierung der Beschäftigten für die Tätigkeit an den Ersatzarbeitsplätzen durchsetzen zu können. Sie müssten auch ein Initiativrecht bekommen, um umweltfreundliche Ersatzarbeitsplätze durchsetzen zu können. Sie müssten auch Regelungen über die notwendige Investitionen für umweltfreundliche Ersatzarbeitsplätze durch den Arbeitgeber erzwingen können. Sie brauchten ein als Initiativrecht ausgestaltetes Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten, also in den Angelegenheiten, bei denen über das „Was“, das „Ob“, „Wann“, „Wo“ und den „Umfang“ einer Produktion oder Dienstleistung entschieden wird. Es geht darum, den guten gewerkschaftlichen Anspruch nach einer ökologischen, sozialen und demokratischen Transformation auch durchsetzbar zu machen.

Vor 100 Jahren, im Frühjahr 1919, streikten Hunderttausende Beschäftigte in Berlin für das Recht von Betriebsräten, „entscheidenden Einfluss auf Produktions-, Lohn- und Arbeitsverhältnisse“[2]zitiert nach Axel Weipert „Demokratisierung von unten? Vom erfolreichen Scheitern einer Massenbewegung“ in: Dokumentation des Symposiums Die unvollendete Revolution 1918/19, Verlag … Continue reading zu nehmen. „Das Ziel ihrer Tätigkeit muss die schleunige Sozialisierung des Wirtschafts- und Staatslebens sein“[3]a.a.O.. Die Sozialisierung, das heißt die Überführung in Gemeineigentum, wurde bis heute nicht durchgesetzt, ist aber weiter nach Art. 15 Grundgesetz möglich.

Das Betriebsrätegesetz von 1920 enthielt keine Regelungen, mit denen der ein Jahr zuvor  geforderte „entscheidenden Einfluss auf die Produktionsverhältnisse“ erfüllt worden wäre. Anders das Betriebsrätegesetz, dass der Hessische Landtag 1948 mit den Stimmen von SPD, CDU und KPD beschloss[4]Das hessische Betriebsrätgesetz, Vorwort: Arbeitsminister Arndgen, CDU Frankfurt a.M. 1948 3. Auflg.f.. Doch gegen die die auch in einigen anderen Ländern wie z.B. in Württemberg-Baden eingeräumten Mitbestimmungsrechte bei wirtschaftlichen Angelegenheiten intervenierte zunächst die US-Militärregierung; dann drehte 1952 die Adenauer-Regierung mit dem Betriebsverfassungsgesetz alles wieder zurück.

Selbstverständlich ist auch derzeit notwendig, gegenüber der Regierung und den sie tragenden tragenden Parteien Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in wirtschaftlichen Angelegenheiten einzufordern. Aber es ist erstens nicht zu erkennen, dass CDU und SPD bereit wären, darauf einzugehen. Zweitens sind Rechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz und die darauf beruhenden Vereinbarungen immer nur auf einen Betrieb oder ein Unternehmen beschränkt. Drittens müssen im Falle der Nichteinigung mit dem Unternehmen Betriebsräte den Konflikt komplett aus der Hand geben, weil dann in der so genannten Einigungsstelle die Stimme des Vorsitzenden – in der Regel ein Richter oder eine Richterin – den Ausschlag gibt. Und viertens und am Wichtigsten: Die Betriebsräte unterliegen der Friedenspflicht und haben damit nur die Verhandlungsmacht, die ihnen das Betriebsverfassungsgesetz zugesteht. Eine zusätzliche Verhandlungsmacht durch Arbeitsniederlegung wie beim Tarifvertrag können sie nicht aufbauen. 

Auch wenn allgemein gilt, dass seit Jahren die Zahl der tarifgebundenen Arbeitsplätze abnimmt und mittlerweile auf unter 50 % gesunken ist, besteht kein Zweifel, dass in vielen großen Betrieben die Beschäftigten immer noch gut organisiert sind. Das gilt ganz besonders für die Autobranche. Tarifliche Vereinbarungen im Betrieb, vor allem aber auch tariflichen Vereinbarungen in der Fläche sind also möglich.

Alles spricht daher für eine Lösung durch Tarifvertrag. Dann liegt es ausschließlich in der Hand der Beschäftigten, wie viel Verhandlungsmacht aufgebaut wird. Dann entscheidet im Konfliktfall auch kein Vorsitzender einer Einigungsstelle. Die Beschäftigten können sich dann die Rechte selber erkämpfen, die sie brauchen. Alles hängt von ihrer Entschiedenheit ab. Die Beschäftigten können nicht warten. Die Umweltzerstörung geht weiter. Deswegen muss jetzt etwas geschehen. Die Transformation muss jetzt beginnen. Die Beschäftigten müssen jetzt die Umwelt und ihre sozialen Standards verteidigen.

Eine andere Welt ist möglich: Strukturfonds und Investitionslenkung 

Der Erste Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann forderte auf einer Kundgebung am 29. Juni 2019 vor dem Brandenburger Tor: „Zukunftsinvestitionen statt Standortsterben, das ist unsere Forderung! Warum werden nicht staatlich garantierte Strukturfonds geschaffen, die das notwendige Kapital für den Wandel ermöglichen? Wir brauchen mehr staatliches Engagement! “. Die Qualität solcher Fonds muss sich daran messen lassen, wie viel und von wem eingezahlt wird und wer über die Vergabe der Gelder aus dem Fond entscheidet, damit rasch und wirksam die ökologischen Ziele erreicht und ausreichend zumutbare Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden.

Der „Sprung von Wirtschaft und Industrie in ein nichtfossiles Zeitalter“, wie ihn Jörg Hofmann  fordert, wird allerdings nicht durch die Optimierung des Verbrennungsmotors erreicht, wie ebenfalls von Jörg Hofmann gefordert, sondern nur durch die Abschaffung des Verbrennungsmotors – auch deswegen, weil das nur begrenzt vorhandene Öl zu kostbar ist, um es zur Fortbewegung in einem Motor zu verbrennen.

Strukturfonds, wie sie der Erste Vorsitzender der IG Metall vorschlägt, können durch eine steuerliche Abgabe finanziert werden und auch über einen Tarifvertrag, der alle Unternehmen zu einer derartigen Abgabe verpflichtet.

Die US-Amerikanerin Alexandra Ocasio-Cortez, eine Abgeordnete der Demokraten, die sich als demokratische Sozialistin bezeichnet, hat den “Green New Deal” ausgerufen: 100 % der amerikanischen Energie sollen binnen 10 Jahren aus erneuerbaren Quellen stammen und eine Null-Emissionen – Bilanz garantieren. Ihr Modell sieht einen Steuersatz von 70 % für Einkommen von über 10 Millionen Dollar vor. Mit den zusätzlichen Einnahmen von 700 Milliarden Dollar aus dieser erhöhten Besteuerung der sehr Reichen sollen ihre klimapolitischen Vorschläge finanziert werden.  

Es kommt darauf an, konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung der Klimaneutralität auf den Weg zu bringen, zum Beispiel konkrete Maßnahmen zur massiven Förderung des Öffentlichen Personennahverkehrs in Stand und Land.

Eine Machtfrage

Wenn wir uns also entscheiden, diesen Prozess der Umstellung voranzutreiben, ohne dass die Beschäftigten Angst vor Arbeitslosigkeit haben müssen, dann ist das eine klare Kampfansage an das Kapital. Wir haben es schon gesagt: Die einfachste Lösung für das Kapital ist, überflüssige Beschäftigte zu entlassen. So wurde es am Ende immer gemacht. Auch die gegenwärtigen Ankündigungen der Unternehmensspitzen haben nichts anderes im Sinn. Das Kapital hat Umstrukturierungen bisher immer genutzt, um seine Position zu stärken. Für andere Lösungen bedarf es eines enormen Drucks von unten, weil es um nichts weniger geht als die Machtverhältnisse in den Betrieben und in der Wirtschaft insgesamt umzukehren.

Soll die Forderung nach einer ökologischen, sozialen und demokratischen Transformation nicht reines Wunschdenken bleiben, muss also vor allem diese Frage in den Mittelpunkt gerückt werden: Wie kann es gelingen, Gegenmacht aufzubauen? Die Frage der Transformation ist eine Machtfrage. Sucht man nach den Kräften gegen diese Krisen kann man sie nicht bei denen finden, die das ökologische Desaster verursacht haben. Eine Zusammenarbeit mit dem Kapital macht uns nicht stark gegen das Kapital.           

Die große Kundgebung der IG Metall am 29. Juni 2019 vor dem Brandenburger Tor war eindrucksvoll, aber wo sind die Konsequenzen? Aus allen sieben Bezirken der IG Metall – Baden-Württemberg, Bayern, Küste, Mitte, Niedersachsen, Berlin-Brandenburg-Sachsen und Nordrhein-Westfalen – waren die Kolleginnen und Kollegen zum Teil schon einen Tag vorher angereist. Über 50.000 Menschen beteiligten sich an der Kundgebung. Überall die Farbe Rot – vom Brandenburger Tor bis weit in Richtung großer Stern. Viele junge Menschen. Viele zeigten sich als Vertrauensleute: Die Vertrauensleute Saarstahl, die Vertrauensleute Siemens Gasturbinenwerk, die Vertrauensleute Faun Bremen usw. Ihre Losungen: „Sauberes Klima schafft Arbeitsplätze in der Heizungsindustrie, in der ökologischen Stromversorgung, im Fachhandwerk“, “Ohne Plan? Ohne Uns!“, „Die Uhr tickt“, „Fight for your Rights!“, „Die Republik braucht Streik!“. 

Einen Monat zuvor im Mai 2019 hatte die Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Aufruf der jungen Klimabewegung an die Welt unter der Überschrift „Streik!“ veröffentlicht. Die Erwachsenen antworteten auf derselben Seite unter der Überschrift „Zeitenwende“ mit folgendem Aufruf: „Am Freitag, den 20. September werden wir auf Bitte der jungen Menschen, die rund um die Welt Schulstreiks organisieren, unsere Arbeitsplätze und Wohnungen verlassen, um einen Tag lang Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern, die große existenzielle Bedrohung der gesamten Menschheit. … Wir hoffen, dass sich uns viele Menschen anschließen … Überall auf dem Planeten sind Formen eines Green New Deal vorgeschlagen worden, Gesetze, die rasch fossile Energiequellen durch Energie aus Sonne und Wind ersetzen würden und dabei für gute Jobs sorgen …“. Unterschrieben hatten diesen Aufruf Frauen und Männern aus der Wissenschaft, aus der Kunst und der Umweltbewegung. Dieser Aufruf war nicht nur ein Aufruf, die eigenen Interessen zu verteidigen, sondern auch den Gedanken der generationsübergreifenden Solidarität zu stärken. Der Aufruf führte am 20. September 2019 zu einer eindrucksvollen Demonstration von über eine Millionen Menschen für den Klimaschutz, aber nicht zu einem Streik. Ein Streik ist eine Arbeitsniederlegung.

Wie kann es weitergehen?

Eine ökologische Wende muss radikal sein, weil die Zeit abläuft. Eine ökologische Wende, kann aber nur radikal sein, wenn sie von den Beschäftigten und der Umweltbewegung zusammen durchgesetzt wird. Das sind oft genug die Eltern und ihre Kinder. Für diesen engen Schulterschluss ist es notwendig, dass sich die Gewerkschaften radikalisieren. Das scheint utopisch zu sein, aber ich sehe keinen anderen Weg. Die Zusammenarbeit, die ver.di und Fridays-for-future beschlossen haben, sind ein hoffnungsvolles Zeichen. Aber diese Zusammenarbeit muss umfassender werden. Die Beschäftigten müssen sich von den Vorgaben der Unternehmen befreien, die in der Wirtschaft das Sagen haben und daher die Beschäftigten für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen. Und die Umweltbewegung muss sich intensiv mit der Frage beschäftigen: “Wer soll die Transformation bezahlen?” und gegen die Unternehmen mobilisieren, die die Umwelt, aber nicht ihre Beschäftigten schützen wollen. Dann werden die widerständigen Schülerinnen und Schüler von heute die widerständigen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter von morgen sein, die ihre fehlende Staatstreue und ihren Ungehorsam, den sie in der Schule zeigen, in die Betriebe und Verwaltungen tragen.


References

References
1 SZ v. 16./17.2.2019 S. 25
2 zitiert nach Axel Weipert „Demokratisierung von unten? Vom erfolreichen Scheitern einer Massenbewegung“ in: Dokumentation des Symposiums Die unvollendete Revolution 1918/19, Verlag 1918unvollendet, Juni 2019
3 a.a.O.
4 Das hessische Betriebsrätgesetz, Vorwort: Arbeitsminister Arndgen, CDU Frankfurt a.M. 1948 3. Auflg.f.