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Mittwoch: 1.12.2021, 20:00 Uhr Radiosendung zum Thema verbandsfreie Streiks

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Mittwoch: 01.12.2021, 20:00 Uhr  

Thema: “Wilde” / verbandsfreie Streiks sind Streiks, zu denen die Gewerkschaft nicht aufgerufen und die sie auch nicht nachträglich übernommen hat. In diesem Vortrag wird analysiert, welche rechtliche Grundlage Streiks in Deutschland haben.  

Vortrag:  Benedikt Hopmann, Rechtsanwalt    

Hörbar: bei LORA München, im Großraum München auf UKW 92,4 MHz, über DAB+ Kanal 11C und für Nicht-Münchner*Innen über Internet: Livestream: https://lora924.de/livestream/live-horen/

Nachhören: kann man die Sendung im Internet Livestream am darauf folgenden Donnerstag um 05:00 Uhr und um 14:00 Uhr und am darauf folgenden Samstag um 11:00 und am Sonntag um 16:00 Uhr.    Am Mittwoch werde ich die Sendung zum Nachhören als Podcast bereitstellen. also: ran ans Radio und viel Spaß beim Reinhören!      

Rot-rot-grünes Vergesellschaftungs-Gesetz steht in den Sternen

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Die rot-rot-grüne Koalition hat beschlossen, in den ersten 100 Tagen der neuen Landesregierung zum Volksentscheid eine Kommission einzusetzen. Dies ist inzwischen geschehen

Der Senat will auf der Grundlage der Ergebnisse der Kommission über einen “verfassungskonformen Weg einer Vergesellschaftung” entsprechend den Vorgaben des Volksentscheids entscheiden, aber auch diese Vergesellschaftung “unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkte” gewichten und bewerten und dann entscheiden. Aber die Berlinerinnen und Berliner schon haben schon entschieden: Sie haben im Volksentscheid mehrheitlich für eine Vergesellschaftung aller privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gestimmt. Was will der Berliner Senat jetzt neu entscheiden? Mit solchen Formulierung macht der Senat jetzt schon deutlich, dass er das Ergebnis des Volksentscheids – entgegen seinen Beteuerungen – nicht respektieren will.

Die Initiative “DW & Co enteignen” will sich an der Expertenkommission beteiligen und nur über das “wie” der Umsetzung des Volksentscheids reden. Es wird darauf ankommen, ob es ihr gelingt, die Beerdigungsstrategie der rot-rot-grünen Koalition zu durchkreuzen.

Nur “gegebenenfalls” will der Senat “Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz” vorlegen, und zwar erst “im Jahr 2023″. Eckpunkte sind kein ausformuliertes Gesetz. Ob und wann der Senat dem Abgeordnetenhaus ein Vergesellschaftungsgesetz zur Lesung und Verabschiedung zuleiten wird, steht in den Sternen.

Wenn der Senat nicht will, muss das Volk das letzte Wort haben.


Langfassung:

Im Volksentscheid stimmte die Mehrheit der Berliner für die Enteignung von privaten Unternehmen, denen mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin gehören. Die zukünftige rot-rot-grüne Koalition hat beschlossen, in den ersten 100 Tagen dazu eine Kommission einzusetzen. In einer Verabredung der zukünftigen Koalition heißt es zum Auftrag dieser Kommission (siehe Koalitionsvertrag S. 24, wo erst ganz am Ende des Kapitels “Stadtentwicklung Bauen, Mieten” mit folgenden Worten zum Volksentscheid Stellung genommen wird):

“Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des »Volksentscheides über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen« und wird verantwortungsvoll damit umgehen.

Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein.

Die Besetzung der Expertenkommission erfolgt unter Beteiligung der Initiative des Volksbegehrens.

Die Kommission erarbeitet innerhalb eines Jahres eine Empfehlung für das weitere Vorgehen an den Senat, der dann eine Entscheidung darüber trifft.

In den ersten 100 Tagen beschließt der Senat über die Einberufung, Beauftragung und Besetzung der Expertenkommission anhand einer Beschlussvorlage.

Dabei setzt die Koalition auf externe fachliche Expertise.

In einem ersten Schritt soll die Kommission die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung, wie im Volksentscheid vorgesehen, untersuchen. Dabei sollen auch mögliche rechtssichere Wege einer Vergesellschaftung benannt und rechtlich bewertet werden.

In einem zweiten Schritt werden für diese Wege wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte berücksichtigt und entsprechende Empfehlungen an den Senat erarbeitet.

Der Senat wird die möglichen verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkten gewichten und bewerten.

Auf Basis der Empfehlungen der Expertenkommission legen die zuständigen Senatsverwaltungen im Jahr 2023 gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vor.

Danach wird der Senat eine abschließende Entscheidung darüber treffen“.

So berichtete der rbb am 23. November und die Partei DIE LINKE zitierte mit diesem Wortlaut die rot-rot-grüne Verabredung zum Volksentscheid in einer Mail vom 23. November 2021 an ihre Mitglieder. Maria Kanitz teilt in derselben Mail im Namen der Landesvorsitzenden Katina Schubert mit: “Nach über 15 Stunden haben wir in Sachen Volksentscheid jetzt eine Einigung erzielt, die auf Folgendes abzielt: die Expert*innenkommission prüft nicht das ob, sondern das wie …

Diese Wertung entspricht nicht dem, was vereinbart wurde.

Denn der Satz “Auf Basis der Empfehlungen der Expertenkommission legen die zuständigen Senatsverwaltungen im Jahr 2023 gegebenenfalls Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vor” lässt alle Türen offen: Nur “gegebenenfalls” macht der Senat eine Vorlage. Nur “gegebenenfalls” legt er “Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz” vor, und zwar “gegebenenfalls” erst “im Jahr 2023″. Ob und wann nicht nur “Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz” vorgelegt werden, sondern ein Vergesellschaftungsgesetz, das vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden kann, steht in den Sternen.

In einem ersten Schritt soll die Expertenkommission “die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung, wie im Volksentscheid vorgesehen, untersuchen”.

Was spricht dagegen, die Verfassungsmäßigkeit eines geplanten Vorhabens zu prüfen? Schließlich hat sich der Senat mit dem Berliner Mietendeckel schon einmal eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht eingehandelt.

Es existieren jedoch schon eine Reihe von Gutachen und die weit überwiegende Zahl der Sachverständigen bestätigte die Verfassungskonformität, also die Vereinbarkeit des Volksentscheids mit den Bestimmungen des Grundgesetzes. Auch das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bekräftigte die Verfassungskonformität. Ein Gutachten mit mehr Kompetenz ist kaum vorstellbar.

Doch – wie bei jedem Rechtsstreit – gibt es auch in der Frage der Verfassungskonformität Juristen, die eine andere Meinung vertreten. Am Ende werden die Gerichte entscheiden. Genauer: Der Senat muss die Gerichte entscheiden lassen. Der Senat würde den Volksentscheid nicht mehr respektieren, wenn er über die Expert*innenkommission versuchen würde einer gerichtlichen Entscheidung aus dem Wege zu gehen. Notwendig ist eine politische Entscheidung, das heißt: Ein Beschluss des Abgeordnetenhauses über ein Gesetz zur Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne. In jedem Fall werden die Gegner einer Vegesellschaftung dafür sorgen, dass dieses Gesetz von den Gerichten auf seine Rechtsmäßigkeit, insbesondere auch auf die Verfassungskonformität überprüft wird. Am Ende entscheiden also immer die Gerichte – wenn man sie entscheiden lässt.

Allenfalls könnte eine Expert*innenkommssion beauftragt werden, einen möglichst gerichtsfesten Entwurf zur Vergesellschaftung zu erarbeiten. Die Verabredung der Koalition enhält jedoch einen erweiterten Auftrag. Die Expert*innenkommission soll in einem zweiten Schritt “wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte berücksichtigen und entsprechende Empfehlungen erarbeiten”. Dann wird “der Senat die möglichen verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkten gewichten und bewerten” und auf dieser Grundlage abschließend entscheiden. Das enthält jede Menge Sprengstoff und eröffnet reichlich Möglichkeiten, den Volksentscheid auszuhebeln. Bewusst wird darüber hinweg gegangen, dass die Berlinnerinnen und Berliner schon entschieden haben. Sie haben für eine Vergesellschaftung aller privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gestimmt. Wenn der Senat noch einmal entscheiden will, obwohl die Berlinerinnen und Berliner schon entschieden haben, macht er allein damit schon deutlich, dass er – entgegen seinen Beteuerungen – den Volksentscheid nicht respektiert. Sonst würde er ihn nicht noch einmal prüfen lassen und neu entscheiden wollen.

Die Kommission ist inzwischen vom Senat eingesetzt worden. Den Vorsitz dieser Kommission führt Herta Däubler-Gmelin. Die Initiative “DW & Co enteignen” hat sich entschieden, sich an der Kommission zu beteiligen, und will nicht über das “ob”, sondern über das “wie” der Vergesellschaftung sprechen. Es wird darauf ankommen, ob es ihr gelingt, die Beerdigungsstrategie der rot-rot-grünen Koalition zu durchkreuzen. Das Volk muss das letzte Wort haben.

Rot-rot-grün will S-Bahn Ausschreibung nicht abbrechen

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Zum zukünfigen Betrieb der S-Bahn wurde in der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung festgelegt:

Die S-Bahn ist ein Garant der Berliner Mobilität. Die Koalition schließt das laufende Ausschreibungsverfahren mit dem Ziel eines sicheren Betriebs, neuer S-Bahnen sowie umfassender Beschäftigtenrechte ab. Der Parlamentsvorbehalt gilt weiterhin. Die Koalition verfolgt unabhängig von der Ausschreibung das Ziel einer Kommunalisierung der S-Bahn. Sie tritt in zügige Verhandlungen mit dem Bund und der Deutschen Bahn zum Kauf der S-Bahn ein und entwickelt bis Herbst 2022 einen Fahrplan zum Aufbau eines eigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU). Auf Bundesebene tritt die Koalition für eine
Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) hinsichtlich der Vergabe in besonderen Netzen ein

Solange die Ausschreibung der S-Bahn nicht beendet wird, sind alle Versprechungen, Beschäftigtenrechte abzusichern und die S-Bahn zu kommunalisieren, nicht glaubhaft. Denn solange die Ausschreibung weiter läuft, besteht die Möglichkeit, dass ein privater S-Bahn Betreiber die Ausschreibung gewinnt. Selbst wenn die Deutsche Bahn, die bisher über ihre Tochter – die S-Bahn GmbH – die S-Bahn betriebt, den Zuschlag bekommen sollte, ist mit einer Teilprivatisierung zu rechnen. Denn die Bewerbung der Deutschen Bahn zusammen mit Siemens, ergibt nur Sinn, wenn dem privaten Unternehmen Siemens ein Teil der jetzt ausgeschriebene Aufgaben übertragen wird.

Schon in einer Mitteilung des rbb vom 20. November 2021 konnten wir erfahren, dass die “künftige rot-grün-rote Koalition in Berlin beim Bund dafür werben will, dem Land die S-Bahn zu verkaufen”. Allerdings bedeutete dies schon damals nicht, “die derzeit laufenden Ausschreibungsverfahren abzubrechen”. Und so steht es jetzt auch in der Koalitionsvereinbarung: Das laufende Ausschreibungsverfahren wird abgeschlossen. Dann heißt es: Der Parlamentsvorbehalt gilt weiterhin. Das Abgeordnetenhaus soll also die Letztentscheidung treffen. Warum erst nach Abschuss des laufenden Ausschreibungsverfahrens?

Das ist vor allem aus deswegen unverständlich, weil die Koalition gleichzeitig in “zügige Verhandlungen mit dem Bund und der Deutschen Bahn zum Kauf der S-Bahn” eintreten will.

Aber was ist, wenn sich Berlin mit dem Bund und der deutschen Bahn nicht einigen können, weil der Bund nicht verkaufen will?

Auch der rbb räumte schon am 22. November ein: Ein Verkauf werde “in Fachkreisen als wenig wahrscheinlich angesehen, da die Bahn bislang einen Verkauf ihres Tochterunternehmens immer abgelehnt hatte”. Gerade für den Fall, dass es zu keiner Einigung Berlin mit dem Bund und der Deutschen Bahn kommt, setzt Berlin erkennbar auf eine Vergabe des S-Bahn Betriebes über die laufende Ausschreibung.

Das heißt: Der zukünftige rot-grün-rote Senat nimmt eine Privatisierung des S-Bahn Betriebes weiter in Kauf. Und das heißt: Der Senat nimmt in Kauf höhere Preise, weniger Arbeitsplätzen, schlechteren Service, schlechtere Löhne. Also das ganze bekannte Programm, das eine Privatisierung so mit sich bringt. Wir kennen das. Die Privatisierung des Wassers sollte eigentlich als Lehrstück reichen. Auch die schlimmen Folgen der Privatisierung von 200.000 Wohnungen sollten dem Senat eine Lehre sein. Was treibt einen rot-rot-gründen Senat dazu, trotzdem noch einmal in die Privatisierungs-Falle zu tappen? Und das in einer Zeit, wo der Ruf immer lauter wird, nicht den privaten Individualverkehr, sondern den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Nur so haben wir alle Hebel in der Hand, um die notwendigen Umweltziele zu erreichen.

Der Senat verspricht in der Koalitionsvereinbarung, “bis Herbst 2022 einen Fahrplan zum Aufbau eines eigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU)” zu entwickeln. Aber dieser Plan, von dem ebenfalls der rbb schon berichtet hatte, ist nicht mit dem Abbruch der gegenwärtigen Ausschreibung verbunden. Wozu dann diese Gründung eines landeseigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens?

Bisher ist immer wieder angegeben worden, sich “gegebenenfalls an künftigen Vergaben zu beteiligen”. Künftige Vergaben wären in 15 oder 30 Jahren. Warum erst dann und nicht jetzt? Warum wird trotz Gründung der EVU die Ausschreibung weiter geführt? Wenn der rot-rot-grüne Senat ein landeseignes Eisenbahnunternehmen gründet, ist es ohne weiteres möglich, den S-Bahn Betrieb an dieses landeseigene Unternehmen ohne Ausschreibung zu vergeben.

Sicher: Wenn der Bund bereit ist, die S-Bahn an das Land Berlin zu verkaufen, wäre das die beste Lösung. Aber es wäre ganz falsch, wenn sich das Land Berlin von dieser Bereitschaft des Bundes zum Verkauf abhängig machen würde. Am Ende kommt es auf die Bereitschaft des Landes Berlin an. Ich meine die Bereitschaft, in jedem Fall eine Privatisierung zu verhindern und das heißt die S-Bahn in jedem Fall unter eigener Regie weiter zu betreiben – ob mit oder ohne Zustimmung des Bundes, oder anders gesagt: Ob mit Zustimmung des Bundes über eine an Berlin verkaufte S-Bahn GmbH oder ohne Zustimmung des Bundes über die von Berlin neu gegründete EVU. Das ist die Nagelprobe, ob Berlin die Privatisierung der S-Bahn will oder nicht will.

Rede auf der Gorillas-Demonstration am 16.11.21

Foto: Ingo Müller
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Solidarität mit den gekündigten Kolleginnen und Kollegen von Gorillas für ein besseres Streikrecht für alle.

Zunächst einmal möchte ich mich bedanken für die Einladung, hier zu Euch zu sprechen. Ich bin eingeladen, weil ich als Anwalt drei Kolleginnen und Kollegen von Gorillas vor dem Arbeitsgericht vertrete. Anwalt Bechert vertritt viele weitere Kolleginnen und Kollegen. Sie alle klagen gegen ihre Kündigung. Der Grund der Kündigung ist bei allen derselbe: Ihnen wurde gekündigt, weil sie an einem Streik teilgenommen hatten. Sie wollten bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Zu dem Streik hatte keine Gewerkschaft aufgerufen. Deswegen wurde ihnen gekündigt.

Die Geschäftsführung meint, deswegen sei der Streik illegal.

Es ist noch zu früh, um sagen zu können, welchen Verlauf dieser Rechtsstreit nehmen wird. Wenn sich das Gericht auf die Seite von Gorillas stellt und ebenfalls meint, der Streik sei illegal gewesen, weil keine Gewerkschaft dazu aufgerufen hat, dann kann das der Anfang von einem sehr lang andauernden Rechtsstreit werden.   

Die Geschäftsführung kann sich auf die bisher herrschende Rechtsmeinung in Deutschland stützen. Der Richter der 1. Instanz meinte in einer mündlichen Verhandlung, dieses Recht gelte in Deutschland seit 60 Jahren.

Aber es gilt in Deutschland auch die Europäischen Sozialcharta. Und in der heißt es wörtlich:     

Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsstaaten …. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten anzuerkennen …   “. 

Auf diesen Begriff „Arbeitnehmer“ kommt es an. Es geht also nicht nur um das Recht der Gewerkschaften, sondern viel allgemeiner um das Recht der Arbeitnehmer „auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts“.

Der deutsche Bundestag hat schon vor rund 60 Jahren diese Regelung aus der europäischen Sozialcharta ausdrücklich anerkannt. Sie wurde von Deutschland ratifiziert. Sie ist damit in Deutschland geltendes Recht.

Das Ministerkomitee des Europarats, in dem sich die Außenminister der Mitgliedsstaaten versammeln, überwacht unter anderem die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta in den einzelnen Mitgliedsstaaten und wird dabei von einem Sachverständigenausschuss unterstützt. Seit Jahren erklärt dieser Sachverständigenausschuss, dass in Deutschland das

Verbot aller Streiks, die nicht auf Tarifverträge ausgerichtet sind und nicht von den Gewerkschaften ausgerufen oder übernommen werden

ein Verstoß gegen die Sozialcharta ist.

Man sollte genau hinhören: Der Sachverständigenausschuss rügt nicht nur das Verbot von Streiks, die „nicht von Gewerkschaften ausgerufen oder übernommen werden“, sondern auch das Verbot von Streiks, „die nicht auf Tarifverträge ausgerichtet sind“. Das ist das zweite große Einschränkung des deutschen Streikrechts: Die Beschränkung auf tariflich regelbare Ziele, die ebenfalls immer wieder vom Sachverständigenausschuss bemängelt wird.   

1998 war es mit der Geduld des Ministerkomitees zu Ende und nicht der Sachverständigenausschuss rügte die Einschränkungen des Streikrechts in Deutschland, sondern das Ministerkomitee selbst sprach eine sogenannte „Empfehlung“ aus. Damit wurde die Kritik an dem Streikrecht in Deutschland auf die höchste Stufe gehoben, die dem Ministerkomitee zur Verfügung steht.

Es ist also richtig, dass sich dieser Richter auf eine seit 60 Jahren herrschende Rechtsprechung in Deutschland berufen kann. Aber genauso richtig ist, dass Deutschland damit seit 60 Jahren internationales Völkerrecht bricht. Davon sprach der Richter nicht.

Wir wollen, dass Deutschland endlich das internationale Recht anerkennt.

Es sollte hier daran erinnert werden, wie es zu diesen Einschränkungen des Streikrechts in Deutschland kam. Zunächst entzündet sich der Streit um die zulässigen Streikziele. An zwei Tagen im Jahr 1952 streikte die damalige IG Druck und Papier, um gegen das Betriebsverfassungsgesetz zu protestieren, das damals der Bundestag auf den Weg gebracht hatte. Dieses Betriebsverfassungsgesetz sollte die Rechte der Betriebsräte erheblich einschränken, die seit Kriegsende in einzelnen  Bundesländern durchgesetzt werden konnten (Zur Geschichte des Betriebserfassungsgesetzs empfehle ich Euch das Buch „Gegenmacht statt Ohnmacht“ im VSA-Verlag). Ein Hans Carl Nipperdey verfasst nach diesem Zeitungsstreik ein Gutachten, in dem er diesen Streik für illegal erklärte. Nipperdey schuf damit das Fundament, auf dem die ganze folgende Rechtsprechung aufbaute. Ich möchte die Rechtsprechung in der Weimarer Republik nicht beschönigen, aber hier unterschied sich das Recht, das Nipperdey schuf, fundamental von dem der Weimarer Republik. Diese Einschränkung des Streikrechts existierten so in der Rechtsprechung der Weimarer Republik nicht.

Diese fundamentale Wende vom Weimarer Recht zum deutschen Nachkriegsrecht war kein Zufall. Hans Carl Nipperdey war kein unbeschriebenes Blatt. Hans Carl Nipperdey hatte schon während des Faschismus das faschistische Arbeitsrecht kommentiert. Dieses Recht war nicht nur durch und durch rassistisch, sondern hatte auch das Ziel, jede Art von Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit zu unterbinden.

Hans Carl Nipperdey wurde der 1. Präsident des Bundesarbeitsgerichts.

1963 befasst sich das Bundesarbeitsgericht erstmalig mit der Frage, wer zum Streik aufrufen darf. Es erklärte unter Berufung auf Hans Carl Nipperdey einen Streik, zu dem die Gewerkschaften nicht aufgerufen haben, für illegal. Hier ein Auszug aus der Begründung:

„… es ist wichtig, beim Ausbruch eines Streiks zu Kontrollzwecken Stellen einzuschalten, die … die Gewähr dafür bieten, dass nur in wirklich begründeten Fällen gestreikt wird … Als solche Stellen kommen auf der Arbeitnehmerseite bei ihrer gesellschaftlichen Stellung nur die Gewerkschaften infrage. … Das Mittel des Streiks ist eine scharfe Waffe. Das verbietet es, das Streikrecht Personen oder Gruppen anzuvertrauen, bei denen nicht die Gewähr dafür besteht, dass sie nur in vertretbarem Umfang davon Gebrauch machen. Eine solche Gewähr ist bei den einzelnen Arbeitnehmern, den Mitgliedern der Belegschaft als solchen und nichtgewerkschaftlichen Gruppen nicht gegeben“.

Diese Rechtsprechung ist vom Geist des kalten Krieges geprägt. Damals war es auch die allgegenwärtige Furcht vor den Kommunisten, die in den Betrieben über Einfluss verfügten. Die Gewerkschaften sind in diesem Urteil nicht Gegenmacht, sondern werden als Ordnungsfaktor instrumentalisiert.

Wenn wir diese Rechtsprechung beenden wollen, dann geht es genau darum: Mit der Verpflichtung der Gewerkschaften auf eine Rolle als Dompteure der abhängig Beschäftigten muss endlich Schluss sein. Wir sind Gegenmacht.

Wenn es zu einem lang andauernden Rechtsstreit um diese Frage kommen sollte, dann brauchen die Kolleginnen und Kollege, die sich entschlossen haben, das durchzustehen, unsere lang andauernde Solidarität. Denn niemand weiß, ob sie am Ende Erfolg haben werden. Trotzdem begeben sie sich auf diese lange Reise. Sie kämpfen für ein besseres Streikrecht und das wäre ein besseres Streikrecht für alle.

Wir haben die Möglichkeit durch eine lange Kampagne zunächst einmal das Bewusstsein in der Öffentlichkeit dafür zu schaffen, dass es diese Einschränkungen des deutschen Streikrechts gibt und das sie nicht hinnehmbar sind.

Denn hier geht es meines Erachtens um das wichtigste Freiheitsrecht überhaupt. Über den Streik wurde die erste deutsche Republik 1918 erkämpft und zwei Jahre später gegen den Kapp-Putsch verteidigt. Oder ein aktuelles Beispiel: Wir reden vom Klimastreik, aber niemand traut sich für eine Begrenzung auf 1,5 Grad und dafür zu streiken, dass die damit einhergehenden notwendigen Belastungen von den Verursachern der Klimaerhitzung getragen werden, das heißt: Vom Kapital getragen werden. Begründung: Das ist kein tariflich regelbares Ziel, jedenfalls dann nicht, wenn entsprechende Gesetze verlangt werden. Dann ist das ein politischer Streik und der sei in Deutschland nicht erlaubt, so die Begründung.  

Ich möchte das Gesagte zusammenfassen:

Solidarität mit den gekündigten Gorillas-Beschäftigten für ein besseres Streikrecht für alle!

Siehe auch das Recht auf verbandsfreie Streiks