Keine NATO-Verharmlosung dulden

image_pdf

12. April 2025

Wir veröffentlichen im Folgenden den vollständigen Wortlaut des Berichts des Bundessprecherrates der Kommunistischen Plattform in der Partei DIE LINKE. Diese Bericht ist lesenswert. Gleich in den ersten beiden Absätzen erklärt der Bundessprecherrat :

„… wir sind nicht naiv. Der Wiedereinzug unserer Partei in den Bundestag löst die im Rahmen der Linken existierenden Widersprüche nicht auf und bringt noch keine nachhaltige Stabilität.

Ein Beispiel: Der auf den Sitzungen des Parteivorstandes am 1. und 9. März 2025 behandelte Entwurf des Leitantrages an den Chemnitzer Parteitag lässt nicht den Verdacht aufkommen, dass sich Deutschland auf einen Krieg vorbereitet. Ein knapper Absatz findet sich zum Thema Frieden. Die PV-Mitglieder Margit Glasow, Ulrike Eifler und Margita Kavali hatten einen Änderungsantrag gestellt, der auf die Präzisierung des notwendigen Kampfes gegen die Militarisierung ausgerichtet war. Am 9. März wurde dieser mit acht zu sechs Stimmen abgelehnt. Zwei Vorstandsmitglieder, die für den Änderungsantrag gestimmt hätten, waren nicht anwesend und drei Mitglieder, die uns in der Regel nicht unterstützten, stimmten zu. Jan van Aken meinte in seiner Gegenrede, friedenspolitische Positionen fänden sich an anderer Stelle des Leitantrages. Die Antwort auf die Frage, an welcher Stelle, blieb er schuldig. Dieser Vorgang ist keine Kleinigkeit. Er zeugt von dem Willen leitender Parteifunktionäre, die Friedensfrage weitgehend zu umgehen und nur abstrakt zu stellen und somit die friedenspolitischen Grundsätze der Linken zu verwässern. Nicht zuletzt deshalb werden wir diesen im Vorstand abgelehnten Änderungsantrag unverändert auf dem Chemnitzer Parteitag zur Abstimmung stellen.“[1]der vollständige Bericht des Bundesprecherrats: https://kpf.die-linke.de/bundeskonferenzen/detail/keine-nato-verharmlosung-dulden

Der Bericht des Bundessprecherrates der KPF fährt danach fort:

Mit Kadavergehorsam kann die KPF nicht dienen

Wenngleich es auf dem außerordentlichen Parteitag am 18. Januar 2025 keine Versuche gab, Forderungen nach Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete – etwa in die Ukraine – in das Bundestagswahlprogramm aufzunehmen, wenngleich entscheidende friedenspolitische Positionen klar formuliert waren, so die Ablehnung der Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder der Wiedereinführung der Wehrpflicht; wenngleich eine klare Charakterisierung der NATO als Relikt des Kalten Krieges fixiert ist, ebenso wie die Forderung nach diplomatischen Lösungen, ob die Ukraine oder den Nahen Osten betreffend, gab es von einzelnen Protagonisten der Linken dennoch NATO-verharmlosende Äußerungen. Die stellen unsere friedenspolitische Zuverlässigkeit infrage. Es sei betont: Es ist nicht gering zu schätzen, dass wir keine unserer friedenspolitischen Grundsätze entsorgt haben und wir dürfen nirgendwo den Eindruck erwecken, als sei dies eine Selbstverständlichkeit, die nicht der Rede wert ist. Die Linke ist nach wie vor Friedenspartei.

Zugleich dürfen wir nichts beschönigen. Auf dem Wahlparteitag und in dessen Vorfeld hatten keinerlei den Wahlprogrammentwurf betreffende Änderungsanträge – so die der KPF – eine Chance, die die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges erwähnten, wie etwa die NATO-Osterweiterung. Selbiges trifft für Änderungsanträge zu, die die Sanktionspolitik ablehnten und die sich damit unmissverständlich gegen das NATO-Narrativ der Einschätzung dieses Krieges richteten. Dieser Sachverhalt ist der Türspalt für all jene, die Die Linke für außenpolitische Grundsätze öffnen wollen, die, zumindest kryptisch, von der Notwendigkeit einer Stärkung der NATO und deren diversen Verbündeten ausgehen. Dass es die gibt, hat das Abstimmungsverhalten der Landesregierungen Bremen und Mecklenburg-Vorpommern auf der Bundesratssitzung am 21. März überdeutlich bewiesen.

Der Parteivorstand hat sich auf seiner Sitzung am 25. März 2025 mit diesem Abstimmungsverhalten befasst. Im hierzu gefassten Beschluss heißt es: »Die linken Regierungsmitglieder in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen haben zwar ihre ablehnende Haltung gegenüber der massiven Aufrüstung zu Protokoll gegeben, die Länder haben aber letztlich ihre Hände für das Finanzpaket im Bundesrat gehoben. Das nun erfolgte Abstimmungsverhalten finden wir falsch, ein solcher Vorgang sollte sich nicht wiederholen.«[2] »Darf sich nicht wiederholen«, hätte es heißen müssen. Der Beschluss des Parteivorstands ist das Ergebnis eines Ersetzungsantrages. Die PV-Mitglieder Margit Glasow, Naisan Raji, Ulrike Eifler, Theo Glauch und Thies Gleiss hatten einen weitaus grundsätzlicheren Dringlichkeitsantrag eingereicht, den wir in den April-Mitteilungen veröffentlicht haben. Margit wird in der Diskussion Näheres hierzu sagen. Hier deshalb nur noch so viel: Es ist unfassbar, von Genossinnen und Genossen der Linken zu erwarten, dass sie nicht offen zu dem skandalösen Stimmverhalten der Minister bzw. Senatoren der Linken aus Mecklenburg-Vorpommern bzw. Bremen Stellung beziehen. Die einen machen, was sie wollen, kennen offenbar keinerlei Loyalität, und die anderen sollen dazu schweigen? Die einen pfeifen auf die Parteidisziplin und die anderen bekommen einen Maulkorb verpasst. Das ist kein Signal der Geschlossenheit. Das ist die Aufforderung zum Kadavergehorsam. Damit konnte die KPF noch nie dienen und dafür ist sie auch in diesem Fall nicht zu haben.

Der US-Imperialismus will auch die Schwächung des EU-Konkurrenten

Wie unser Vorbild Rosa Luxemburg es verlangte, müssen wir sagen, was ist: Der große Krieg wird vorbereitet mit der demagogischen Behauptung, »der Russe« stünde sonst in Kürze am Brandenburger Tor.

Sich dieser ideologischen Kriegsvorbereitung in der Gesellschaft und entsprechenden programmwidrigen Bestrebungen in der Partei in den Weg zu stellen, bedeutet in erster Linie, der Russophobie den Kampf anzusagen. Das ist schwer. Am 24. Februar 2022 sind russische Truppen völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschiert. Das wird von morgens bis abends entkontextualisiert medial behandelt. Entkontextualisiert bedeutet zum einen, den Eindruck zu erwecken, als sei dies der erste erwähnenswerte völkerrechtswidrige Krieg nach 1945. Und zum anderen bedeutet es, so zu tun, als sei der Ukraine-Krieg in einem luftleeren Raum entstanden; grundlos und einzig geschuldet russischen Großmachtambitionen. Der Russischen Föderation wird eine Alleinschuld am Ukraine-Krieg zugewiesen und dem Westen der edle Sinn für Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit. Es ist hierzulande fast unmöglich geworden, über die Missachtung russischer Sicherheitsinteressen zu sprechen, die diesem Schritt der Russischen Föderation vorausging. Es weiß kaum noch jemand, dass vor dem 24. Februar 2022 in der Ostukraine ein verlustreicher Bürgerkrieg im Gange war, ausgelöst durch einen Staatsstreich auf dem Maidan. Es ist sich kaum noch jemand dessen bewusst, dass vom Westen keinerlei Druck auf die Ukraine ausgeübt wurde, das im Abkommen von Minsk II Vereinbarte einzuhalten; es weiß kaum noch jemand, dass es im April 2022 in Istanbul zu einem Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine hätte kommen können, hätte nicht der damalige britische Premierminister Johnson in Abstimmung mit der Biden-Administration die ukrainische Führung aufgefordert, das in Istanbul Ausgehandelte nicht zu unterschreiben, sondern vielmehr mit massiver Unterstützung durch NATO-Waffen weiterzukämpfen. Wenn Trump Anfang 2025 erklärte, die ukrainische Führung habe einen Krieg zugelassen, den es nie hätte geben dürfen, dann vergaß er hinzuzufügen, welche Rolle der US-Imperialismus und die NATO spielten.

So, wie die russische Führung sich wohl verschätzt hatte hinsichtlich der innenpolitischen Situation in der Ukraine und in Bezug auf die selbstmörderische Bereitschaft der NATO, die internationale Lage extrem zuzuspitzen, so hat sich der Westen hinsichtlich der komplexen Fähigkeiten Russlands verkalkuliert, trotz massiver NATO-Waffenhilfe letztlich die strategische Offensive wiederzuerlangen. Diesen fundamentalen Fehler des Westens zu korrigieren, ist wohl das Schwankungen unterworfene Ansinnen der Trump-Administration. Nicht, weil die sich dem Frieden und der internationalen Sicherheit verpflichtet fühlen würde, sondern weil sie die Hände freibekommen will für die Auseinandersetzung mit dem auserkorenen Hauptfeind, der Volksrepublik China, und weil die USA demonstrieren wollen, dass sie alle entscheidenden geopolitischen Fragen nach eigenem Ermessen angehen wollen.

Ob das Gaza betrifft oder den Libanon, ob es die US-amerikanischen Angriffe auf den Jemen sind, die Drohungen gegen den Iran oder die Einmischung in Syrien; all diese imperialistischen Gebaren – die Aufzählung ließe sich fortführen – zeugen vom Größenwahn einer fürchterlichen, gefährlichen Macht im Niedergang.

Der US-Imperialismus will auch die Schwächung des EU-Konkurrenten. Und was macht die EU? Statt sich im Windschatten einer eventuellen Normalisierung des US-amerikanisch-russischen Verhältnisses ebenfalls um ein Mehr an Diplomatie zu bemühen, wird der ebenfalls US-amerikanischen Forderung nach wahnsinniger europäischer Hochrüstung Rechnung getragen. US-Außenminister Rubio erklärte am 3. April in Brüssel, Trump habe »klargestellt, dass er die NATO unterstützt«. Allerdings müssten die NATO-Staaten ihre Militärausgaben auf mindestens fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts erhöhen.[3] So erleben wir es stetig: Trump wird verurteilt und zugleich werden seine Forderungen erfüllt. Vom europäischen Atomschirm ist die Rede, und Merz liebäugelt irgendwie sogar mit deutscher Nuklearbewaffnung. Die Pläne zur Hochrüstung der EU sind in einem sogenannten Weißbuch zur Verteidigung fixiert.[4] Die EU müsse sich, so heißt es aus Brüssel, auf die Möglichkeit eines groß angelegten Krieges mit Russland vorbereiten.

Die Partei interessiert sie anscheinend einen Dreck

So können die Spannungen zwischen Russland und der EU nur unerträglich wachsen. »Besuchen Sie Europa, solange es noch steht«, lautete ein Werbespruch US-amerikanischer Reiseunternehmen in den gefährlichen achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ist es das, was Trump und seine Kumpane im Sinn haben? Und sind die EU-Politiker nicht in der Lage, dies zu erkennen? Auf jeden Fall handeln sie gewissenlos. Sie sollten auf Angela Merkel hören, die sich unlängst gegen den Begriff »Putin-Versteher« wandte und für einen Diskurs über russische Interessen warb. Stattdessen ermächtigt der alte deutsche Bundestag – im neugewählten wäre die Zweidrittelmehrheit nicht sicher gewesen – zu fundamentalen Änderungen des Grundgesetzes. So besteht für sogenannte Verteidigungszwecke oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts keine Obergrenze mehr. Der Preis dieses Wahnsinns liegt im sozialen Bereich. Es ist gut, dass unsere Gruppe im Bundestag die Grundgesetzänderungen geschlossen abgelehnt hat. Und zur Abstimmung im Bundesrat haben wir uns in der jungen Welt deutlich geäußert: »Das Abstimmungsverhalten der linken Minister bzw. Senatoren in Mecklenburg-Vorpommern bzw. Bremen – trotz anderslautendem Vorstandsbeschluss – ist eine Schande. Es gibt dafür nur eine Erklärung: Die betreffenden Funktionsträger haben ausschließlich ihre eigene Karriere im Sinn. Die Partei interessiert sie anscheinend einen Dreck. Und dass es um den Frieden geht, haben sie – freundlich formuliert – intellektuell offensichtlich noch nicht erfasst.«[5]

China gefährdet den Weltfrieden nicht …

Sosehr ein Ende des Ukraine-Krieges zu wünschen ist, so illusionsfrei müssen wir in der Beurteilung der damit verbundenen US-amerikanischen Interessen sein. Diese nicht widerspruchsfreie Sicht auf das Verhalten der Trump-Administration im Kontext mit dem Ukrainekrieg ist kein Grund, zu verurteilen, dass das US-Imperium diesen Krieg eher nicht weiterführen will, mit welcher Motivation auch immer. Wir lehnen daher den Inhalt des auf der Parteivorstandssitzung am 1. März 2025 beschlossenen Dringlichkeitsantrages »Ukraine unterstützen – China einbinden – Schuldenbremse abschaffen – UNO statt Trump« weitgehend ab. Es bleibt dabei: Die KPF wird niemals Positionen mittragen, die NATO-verharmlosend sind oder Äquidistanz predigen, nach dem Motto: Die Welt kennt verschiedene Imperialismen und daher verhalten wir uns neutral zu den verschiedenen imperialen Staaten. Für uns sind die USA mit nach wie vor der NATO im Schlepptau die Weltmacht, von der nicht erst seit heute die Hauptgefährdung für den Weltfrieden ausgeht. Doch heute mehr denn je. Die USA hatten im Jahr 2023 (für 2024 liegen noch keine gesicherten Zahlen vor) mit Abstand die höchsten Militärausgaben weltweit: 916 Milliarden US-Dollar; im selben Jahr hatte Russland Militärausgaben in Höhe von 109 Milliarden US-Dollar und China in Höhe von 296 Milliarden US-Dollar.[6] Zwar werden derzeit Kürzungen im US-Kriegsetat erwogen. Allerdings soll es Ausnahmen geben. Von den Kürzungen nicht betroffen sein sollen: die Modernisierung nuklearer Kriegswaffen, die Raketenabwehr, das Indopazifikkommando und das Weltraumkommando.[7] Das zeugt von der Hauptstoßrichtung US-imperialistischer Politik. Das ist die Volksrepublik China. In einer am 29. März 2025 in der Washington Post publizierten Recherche wird aus einem als geheim klassifizierten Papier zitiert, welches vom Verteidigungsminister Pete Hegseth unterzeichnet ist und in dem die Vorbereitung auf einen Krieg mit China ab sofort der einzige Schwerpunkt der US-Streitkräfte sein soll. Dazu würden die US-Truppen in der Asien-Pazifik-Region aufgestockt und mehr U-Boote, Bomber sowie Spezialkräfte dorthin entsandt, heißt es in dem Dokument.[8] Die nächste Runde im Zollkrieg gegen das Land ist brutal eingeleitet, und wenn das chinesische Außenministerium von einer »Mentalität des Kalten Krieges« sowie von »Erpressung« durch »Zolldruck« spricht und die USA auffordert, so bald wie möglich zu Verhandlungen zurückzukehren, andernfalls werde es zu Vergeltungsmaßnahmen kommen, so zeugt das von einer angespannten Situation.[9] Und die chinesischen Vergeltungszölle sind bereits eingeleitet. Hinsichtlich der Absichten des US-Imperialismus brauchen wir keinerlei Illusionen, sondern Realismus. Es ist an der Zeit, dass die EU sich an realistischer denkenden Kräften orientiert. So z.B. an Marcel Fratzscher, Chef des DWI, der im Kontext mit dem Zollwahnsinn des US-Präsidenten forderte, »die EU müsse nun konzentriert – und koordiniert mit China, Mexiko und Kanada – auf den Handelskonflikt antworten«.[10]

… und auch Russland hat nicht vor, irgendwelche NATO-Länder zu überfallen

Nimmt man die Rede des chinesischen Außenministers auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025, die wir in den März-Mitteilungen dokumentiert haben, so ist sie ein einziges Plädoyer für friedliche Koexistenz auf der Basis der UN-Charta. Zugleich hat Wang Yi in aller Deutlichkeit gesagt, dass die Volksrepublik China entschlossen auf wie auch immer geartete Angriffe reagieren wird. Und dass im Westen die Ein-China-Politik zunehmend und provokatorisch in Frage gestellt wird, ändert nichts an der entsprechenden Beschlusslage der UN aus dem Jahr 1971. China gefährdet den Weltfrieden nicht. Und auch Russland hat sicher nicht vor, irgendwelche NATO-Länder zu überfallen. Man erzählt uns mehr oder weniger in jeder Talk-Show oder ungezählten anderen Debatten im Netz oder im Fernsehen natürlich das Gegenteil und erweckt den Eindruck, wenn der Ukraine-Krieg für Russland halbwegs vorteilhaft endete, könnten russische Truppen schon bald in Richtung Berlin marschieren. So äußerte Annalena Baerbock in der Wahlkampf-»Schlussrunde« von ARD und ZDF, wenn Russland in der Ukraine nichts entgegengesetzt würde, »dann kommt Polen und dann kommt Ostdeutschland, zum Beispiel Brandenburg«.[11] Bei Frau Baerbock wundert das nicht weiter. Aber wenn Jan van Aken meint, die Bedrohung durch Russland sei real, dann ist das in Anbetracht seiner häufig vorgetragenen Argumentation zu den weltweiten Rüstungsausgaben nicht nachvollziehbar.

Zum Glück gibt es Menschen wie den emeritierten Professor der Universität der Bundeswehr Hamburg August Pradetto, der sagt: »… die Beschwörung einer russischen Bedrohung im Sinne eines Angriffskrieges gegen den Westen ist ein Popanz«. Sowie: »Die Begründung einer umfassenden, auf Dauer angelegten NATO-Aufrüstung mit der Gefahr eines russischen Angriffskrieges gegen Europa ist manipulative Desinformation«.[12] Diese manipulative Desinformation, der ideologische Kern der laufenden Kriegsvorbereitungen, ist Treiber der Rüstungsindustrie. Ein entsprechender Fakt soll für viele stehen: Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat Rheinmetall seinen Gewinn verzehnfacht.[13]

Deutschland muss kriegstüchtig werden, damit »der Russe« nicht kommt, und kriegstüchtig heißt, bis an die Zähne bewaffnet zu sein – den Preis entrichtet der Steuerzahler. Wer, wie sehr viele Menschen im Osten, die Sowjetunion erlebt hat, hat eine Vorstellung davon, wie tief verwurzelt das Kriegstrauma dort war und mit Sicherheit sich bis heute in den Generationen fortsetzt. Das gilt sicher nicht für die Nachfolger der Bandera-Faschisten oder die Nachkommen der SS-Divisionen aus dem Baltikum. Wenige Wochen vor dem 8. Mai müssen wir uns an die unvorstellbaren Opfer erinnern, die die Sowjetunion im Kampf zur Zerschlagung des Faschismus erbrachte; sie trug die Hauptlast in diesem Ringen. Dass dies gerade hierzulande vergessen scheint, ja dass sogar das Schleifen sowjetischer Kriegsdenkmäler gefordert wird, zeugt nicht zuletzt von gefährlich anwachsendem Geschichtsrevisionismus. Den braucht man zur ideologischen Begründung der Kriegsvorbereitungen. Wer dem deutschen Militarismus traut, ist komplett geschichtsvergessen. Schon Georg Herwegh schrieb 1871 im Gedicht »Epilog zum Kriege« zur Situation im damaligen Deutschland: »Du bist im ruhmgekrönten Morden / Das erste Land geworden: / Germania, mir graut vor Dir!« Uns graut tagtäglich vor der Kriegsertüchtigung und – gerade wenige Wochen vor dem 80. Jahrestag der Befreiung – vor dem Fehlen jeglicher Empathie für das unendliche Leid, welches den sowjetischen Menschen widerfuhr und das hier durch wenige Zahlen angedeutet werden soll.

In Deutschland wäre Demut und noch einmal Demut angebracht

Mit dem Überfall des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begann der ungeheuerlichste Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte bis dahin kannte. Um für die »arische Herrenrasse« Lebensraum im Osten zu erobern und den »jüdischen Bolschewismus« zu vernichten, sollten große Teile der sowjetischen Bevölkerung vertrieben, versklavt und getötet werden. Demgemäß wurden Straftaten von Wehrmachtsangehörigen gegen Zivilisten nicht strafrechtlich verfolgt. Von ca. 5,5 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen wurden über drei Millionen umgebracht.

Die Wehrmacht sollte durch die rücksichtslose Requirierung von Nahrungsmitteln und kriegswichtigem Material aus den zu erobernden Gebieten versorgt werden. Dabei kalkulierte man ein, dass zig Millionen Menschen verhungern werden. Historiker schätzen, dass zwischen 4,2 und 7 Millionen Hungertote unter den insgesamt 26 bis 27 Millionen sowjetischen Kriegstoten zu beklagen sind. Allein im Ergebnis der Leningrader Blockade verhungerten 1,1 Millionen Zivilisten.

Auch die rein materiellen Schäden sind kaum zu erfassen. Beim Rückzug der Wehrmacht wurde die »Taktik der verbrannten Erde« angewandt. Vor allem die Ukraine wurde so gründlich verwüstet und ausgeplündert, wie das seit 1941 nicht geschehen war. Dörfer und Städte wurden abgebrannt, Brücken gesprengt, Eisenbahnlinien aufgerissen, Brunnen vergiftet und Industrieanlagen zerstört. Allein in Belarus wurden 209 Städte und 9.200 Dörfer zerstört. In 628 der zerstörten Dörfer wurden alle Einwohner massakriert. Die außerordentliche Kommission, die mit der Berechnung der materiellen Schäden befasst war, die der UdSSR durch Kriegshandlungen und Aufwendungen für den Krieg entstanden waren, schätzte die Schadenssumme auf 2.569 Milliarden Rubel. Hier in Deutschland wäre Demut und noch einmal Demut angebracht. Stattdessen erleben wir primitivsten Russenhass, der nicht einmal davor haltmacht, zu den Gedenkfeiern am 8. Mai Vertreter Russlands und Belarus nicht einzuladen.[14]

Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands in der Ukraine setzt Jewtuschenko mit seinem Lied »Meinst Du, die Russen wollen Krieg?« nicht ins Unrecht. Er macht es nur sehr viel schwerer, zu verdeutlichen, dass es der Russischen Föderation zuvörderst darum geht, die Souveränität des Landes zu wahren, die schon 1997 durch Zbigniew Brzeziński in seiner strategischen Schrift »Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft.« als unter bestimmten Bedingungen überwindbar dargestellt wird. Die Ukraine nimmt bei Brzeziński diesbezüglich eine Schlüsselstellung ein. Jeder, der heute ohne Quellenangabe die Kerngedanken wiedergäbe, die in diesem Buch zur Ukraine formuliert sind, könnte sich den Vorwurf eines sogenannten Putin-Verstehers einhandeln. Denn Brzeziński redet Klartext.

Wir werden in der bevorstehenden programmatischen Debatte, die am heutigen 12. April sehr kryptisch Gegenstand der Parteivorstandssitzung ist, den Zusammenhang zwischen der konzentrierten Erzeugung von Feindbildern, drohender Weltkriegsgefahr, der Militarisierung der gesamten Gesellschaft, dem nicht zuletzt durch die Hochrüstung verursachten massiven Sozialabbau und den diese reaktionären Entwicklungen begleitenden, schnell wachsenden repressiven, nationalistischen und faschistoiden Tendenzen überzeugend erklären müssen, wenn wir verhindern wollen, dass sich die NATO-Verharmloser in unserer Partei programmatisch durchsetzen. Und das wollen sie mit aller Kraft. Da sind wir illusionsfrei. Und ihr Einstieg in die Revision der friedenspolitischen Grundsätze wird die an das Prinzip ewiger Wahrheiten anknüpfende Feststellung sein, die Welt habe sich seit 2011, dem Jahr der Beschlussfassung über das Erfurter Programm, verändert. Hat sie tatsächlich. Und daher sind unsere geltenden friedenspolitischen Grundsätze aktueller und wichtiger denn je.

Bekanntlich putschte sich auch Hitler nicht an die Macht

Die jeweiligen politischen Kräfte in den USA haben stets im Interesse der ökonomisch Herrschenden – mal mit sozialerem Anstrich, mal asozialer – agiert. Doch das, was jetzt passiert, hat offensichtlich eine neue Qualität. Bernie Sanders beschrieb das Trump-Regime in einer Rede vor dem Washingtoner Senat so: »Eine Regierung von Milliardären, durch Milliardäre und für Milliardäre«. Er sprach von einer Oligarchie, in der »die drei Reichsten in Amerika über mehr Wohlstand verfügen als 170 Millionen Menschen in der unteren Hälfte … Immer mehr Macht ruht in immer weniger Händen«. Bernie Sanders illustriert das: »Herr Musk ist 402 Milliarden Dollar wert, Herr Zuckerberg 252 Milliarden und Herr Bezos 249 Milliarden.« Diesen Oligarchen überlässt Trump den Schlüssel zur staatlichen Bürokratie.[15]

Mit anderen Worten: Der alte Machtapparat der bürgerlich-liberalen Kräfte, der die notwendigen Rahmenbedingungen für Profitmaximierung gewährleistete, wird – um die Niedergangstendenzen der Weltmacht USA zu stoppen – ersetzt, indem die Regierungsgewalt in Washington einem »nationalen CEO« übertragen werden soll. Dessen Kompetenzen sollten nach denjenigen des Chefs eines Startups modelliert sein. Das sei, »was man einen Diktator nennt«. Dafür plädiert Curtis Yarvin in seinen Schriften. Und der Tech-Milliardär Peter Thiel, einer der am weitesten rechts stehenden IT-Kapitalisten in den USA, charakterisiert diese Veränderungen ideologisch so: »Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie vereinbar sind«.[16] Freiheit, das ist für solche wie Thiel die unbeschränkte Möglichkeit, Profit zu machen.

Doch es reicht den die USA Beherrschenden, die die ganze Welt untertan machen wollen, nicht aus, weitgehend diktatorische Verhältnisse im eigenen Land auszubauen. Sie erteilen den Verbündeten Ratschläge, wie der US-Vizepräsident Vance auf der Sicherheitskonferenz in München, faschistoiden Kräften in Europa, speziell hierzulande, vorbehaltlos zu begegnen und der Zerstörung jeglicher Kultur im Netz keinerlei Schranken aufzuerlegen. An dieser Stelle sei an einen Brief Sigmund Freuds an Albert Einstein vom September 1932 erinnert. Freud schreibt: »Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.« Das, liebe Genossinnen und Genossen, gilt auch in der Umkehrung. Zurück zu Vance. Im Einzelnen sagte er – womit er zunächst recht hat – die größte Gefahr für Europa ginge nicht von Russland oder China aus. Dem folgt: Vielmehr gebe es eine »Bedrohung von innen« in Form von Angriffen auf die Meinungsfreiheit und einer Missachtung des Wählerwillens. Sich gegen die »Schrecken« der Massenmigration zu äußern, sei keine Einmischung in Wahlen, verteidigte Vance den Einsatz von Elon Musk für die AfD. In einer Demokratie dürfe es keinen Platz für Brandmauern geben.[17]

Nach dieser »Logik« ist demokratisch, was den extrem rechten Kräften nirgendwo den Weg zur Diktatur versperrt. Bekanntlich putschte sich auch Hitler nicht an die Macht. Sie wurde ihm vom bürgerlichen Lager freiwillig übergeben. Offensichtlich sind derzeit die mächtigsten Kräfte des Imperiums zu dem Schluss gekommen, dass die bürgerliche Demokratie ihre Schuldigkeit getan hat und nur diktatorische Verhältnisse in Zukunft Kapitalinteressen optimal bedienen können.

»Das ist ja die Stärke dieser Partei, dass sie die Vernunft ablehnt …«

Die Häme im Kontext mit der Wahlniederlage des BSW überlassen wir anderen. Aber mit einer Äußerung Sahras möchten wir uns aus inhaltlichen Gründen auseinandersetzen. Während der letzten Bundestagsdebatte vor den Wahlen am 23. Februar 2025 warnte sie vor der Kriegsgefahr. Die Debatte über eine Zusammenarbeit von AfD und CDU in Deutschland habe die steigende Kriegsgefahr verschleiert. Fast unbemerkt habe der NATO-Generalsekretär davon gesprochen, dass man sich auf einen Krieg vorbereiten müsse. Mit Bezug auf eine Äußerung des SPD-Fraktionschefs Rolf Mützenich sagte Sahra weiter, das sei das wirkliche »Tor zur Hölle«, das gerade aufgestoßen werde. Ein neuer Hitler drohe in Deutschland hingegen nicht.

Hat sie mit diesen Feststellungen Unrecht? Hat sie nicht. Dennoch sind ihre Aussagen sehr widersprüchlich. Die Debatte über eine Zusammenarbeit von AfD und CDU war eine abgeleitete. Abgeleitet von einem rassistischen »Fünf-Punkte-Plan« von CDU und CSU, der am 29. Januar im Bundestag durch Stimmen von AfD und FDP sowie die Enthaltung des BSW eine Mehrheit erhielt. Der nicht minder rassistische Gesetzentwurf von CDU/CSU, der am 31. Januar im Bundestag abgelehnt wurde, hatte sogar die Stimmen von AfD und BSW erhalten. Beide Papiere hatten nur einen Zweck: Die Ethnisierung aller sozialen Probleme hierzulande – ausgehend von aufgeheizter Stimmung im Kontext mit den Anschlägen in Magdeburg und Augsburg. Auch die Kriminalstatistik wurde jüngst wieder für Rassismus instrumentalisiert. Bis auf Die Linke beteiligten und beteiligen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien an dieser Hetze gegen Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber; der Chef des BAMF forderte vor kurzem gar die Abschaffung des Asylrechts. An der Spitze dieser Hetzkampagnen steht die AfD. Doch wie gesagt: Allein ist sie nicht. Merz, das zeigten die Sitzungen des Bundestages Ende Januar in aller Deutlichkeit, ging es mit den erwähnten Papieren darum, SPD und Grüne vorzuführen. Hätten sie mit der CDU gestimmt, so wäre die Zustimmung der AfD ebenso wenig ein Problem gewesen, wie beispielsweise deren Zustimmung zum 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr. Und es steht außer Frage: Die klassischen bürgerlichen Parteien – SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP – hätten einen Weg finden können, Differenzen hinsichtlich der erwähnten Papiere zu überwinden. Ihre Übereinstimmungen in der Migrationspolitik sind doch erwiesenermaßen um ein Vielfaches größer als ihre Differenzen. SPD und Grüne hatten aber eine andere Interessenlage. Sie wollten, dass die CDU mit den Stimmen der AfD obsiegt, um damit ihren eigenen pseudo-antifaschistischen Charakter hervorzuheben. Dass die Empörung aufseiten von SPD und Grünen sich ausschließlich auf den Schulterschluss mit der AfD bezog, nicht aber auf den menschen- und völkerrechtswidrigen Charakter der CDU-Vorlagen, zeugt von abgrundtiefer Verlogenheit, die im Ergebnis der vor drei Tagen beendeten Koalitionsverhandlungen erneut offen zutage trat. Friedrich Merz verwies im Kontext mit dem Koalitionsvertrag darauf, »dass er nun mit der SPD Dinge beschlossen habe, die ›weit über das hinaus‹ gingen, was seine Fraktion … mit den Stimmen der AfD versucht hatte, durch das Parlament zu bringen«.[18] Es geht um Abschieben im großen Stil, und die das ohne AfD können, sind die Guten.

Über diese Demagogie hat Sahra kein Wort verloren. Das BSW beteiligt sich vielmehr am Stimmenfang auf Kosten der Migranten. Hinzu kommt: Hätte Sahra den völlig berechtigten Verweis auf die Kriegsgefahr mit der Aussage verbunden, dass nicht die Migration unser Hauptproblem ist, sondern die ungeheuerlichen Kosten für die Kriegsvorbereitungen, so wäre das die notwendige Stoßrichtung und nicht das Gerede über illegale Migration. Bleibt, den Wert ihrer Aussage zu hinterfragen, Deutschland drohe kein neuer Hitler. Das ist sicher eine stimmige Momentaufnahme. Und zugleich zeugt die Aussage von der Unterschätzung faschistischer Gefahr. Sie lässt die mögliche Eigendynamik historischer Entwicklungen unberücksichtigt. Lion Feuchtwanger hat genau diese meisterhaft beschrieben.

Vor mehr als 90 Jahren, im Jahr 1933, erschien sein Roman »Die Geschwister Oppermann«, dessen Handlung im November 1932 beginnt und etwa Mitte 1933 endet. Das Werk wurde also faktisch zeitgleich zu den realen historischen Ereignissen verfasst. Es ist erschreckend aktuell. Ein Auszug soll das belegen. Geschildert wird eine im November 1932 stattfindende Feier anlässlich des 50. Geburtstages von Dr. Gustav Oppermann. Teilnehmende sind Intellektuelle, Künstler und Kaufleute – vorwiegend Juden. Dieses Treffen bezeugt eine gewaltige Unterschätzung der faschistischen Gefahr durch die meisten dort Anwesenden.

Lassen wir Feuchtwanger selbst zu Wort kommen

»Da standen und saßen sie zusammen, seine Gäste, ihrer zwanzig, in Gruppen, doch so, dass keine Gruppe sich ganz von der andern sonderte, angenehm schwatzend. Man sprach über Politik, das ließ sich jetzt leider niemals vermeiden. Am ungeniertesten gab sich, wie immer, Jacques Lavendel. Breit und faul im bequemsten Sessel lehnend, die listigen, gutmütigen Augen halb geschlossen, hörte er mit spöttischer Nachsicht zu, wie Karl Theodor Hintze die völkische Bewegung in Bausch und Bogen verurteilte. Nach Prokurist Hintze waren ihre Anhänger allesamt Dummköpfe oder Schwindler. Herrn Jacques Lavendels breites Gesicht lächelte aufreizende Duldsamkeit. ›Sie werden den Leuten nicht gerecht, lieber Herr Hintze‹, sagte er mit seiner freundlichen, heiseren Stimme, den Kopf wiegend. ›Das ist ja die Stärke dieser Partei, dass sie die Vernunft ablehnt und an den Instinkt appelliert. Es gehört Intelligenz dazu und Willensstärke, das so konsequent durchzuführen wie diese Burschen. Die Herren verstehen sich auf ihre Kundschaft wie jeder gute Geschäftsmann. Ihre Ware ist schlecht, aber gängig. Und ihre Propaganda, first-class, sage ich Ihnen. Unterschätzen Sie den Führer nicht, Herr Hintze. Das Möbelhaus Oppermann könnte froh sein um so einen Propagandachef.‹

Herr Jacques Lavendel sprach nicht laut, dennoch, ohne viel Gewese, erzwang sich seine heisere Stimme Gehör. Aber man war nicht willens, ihm zuzustimmen. Hier, in den kultivierten Räumen Gustav Oppermanns, war man nicht geneigt, einer so blödsinnigen Sache wie der völkischen Bewegung im Ernst Chancen zuzugestehen. Die Bücher Gustav Oppermanns standen an den Wänden, Bibliothek und Arbeitszimmer gingen schön ineinander, das Bildnis Immanuel Oppermanns schaute schlau, gutmütig, ungeheuer real auf die Versammlung. Man stand auf festem Grund, ausgerüstet mit dem Wissen der Zeit, gesättigt mit dem Geschmack von Jahrhunderten, ein stattliches Bankkonto hinter sich. Man lächelte darüber, dass jetzt das gezähmte Haustier, der Kleinbürger, androhte, zu seiner wölfischen Natur zurückzukehren.

Der quicke Prokurist Siegfried Brieger riss Witze über den Führer und seine Bewegung. Der Führer war kein Deutscher, er war Österreicher, seine Bewegung war die Rache Österreichs für die Niederlage, die es im Jahre 1866 durch die Deutschen erlitten hatte. War es nicht ein unmögliches Unternehmen, den Antisemitismus in Gesetze einzufangen? Wie wollte man feststellen, wer Jude war, wer nicht? ›Mich können sie natürlich herauskennen‹, sagte behaglich Herr Brieger, auf seine große Nase weisend. ›Aber hat sich nicht die Mehrzahl der deutschen Juden so assimiliert, dass es wirklich nur von ihnen abhängt, ob sie sich für Juden erklären oder nicht?‹«

Der Prokurist erzählte eine zum Thema passende Anekdote.

»Herr Jacques Lavendel hatte seine Freude an dieser Anekdote. Der Dichter Friedrich Wilhelm Gutwetter verstand sie zunächst nicht, ließ sie sich wiederholen, lächelte erheitert über sein ganzes, stilles Gesicht. ›Im Übrigen hat der Herr‹, er wies auf Herrn Lavendel, ›auf schlichte Art ausgedrückt, was in den Menschen dieses Breitengrads zum Ausbruch drängt. Die Herrschaft der nüchternen Vernunft sackt zusammen. Die läppische Tünche der Logik wird abgekratzt. Eine Epoche dumpft heran, in der das große, partiell überentwickelte Tier Mensch zu sich selber zurückfindet. Das ist der Sinn der völkischen Bewegung. Sind Sie nicht alle glücklich, sie mitzuerleben?‹ Ruhig drehte er den Kopf mit den strahlenden Kinderaugen im Kreise, die mächtige Krawatte bedeckte den Westenausschnitt, er wirkte in seiner altertümlichen Kleidung wie ein abgeklärter Geistlicher.

Man lächelte über den Dichter. Er dachte in Jahrtausenden. Sie hier mussten auf kürzere Sicht denken, auf Jahre, auf Monate, und da stellte sich die völkische Bewegung lediglich als plumpe Agitation dar, geschürt von Militaristen und Feudalisten, spekulierend auf trübe Kleinbürgerinstinkte. So sah sie der zynische Professor Mühlheim, der frivol und gescheit darüber scherzte, so, bei aller Vorsicht, die sie als kluge Geschäftsleute trafen, sahen sie die Oppermanns, so sahen sie die Damen Caroline Theiss und Ellen Rosendorff. Bis plötzlich einer der Gäste die angenehme Stimmung des Abends zerriss und, was Jacques Lavendel mit behaglicher Vorsicht, was Friedrich Wilhelm Gutwetter in poetischer Abstraktion ausgedrückt hatte, ärgerlicherweise in die nüchterne Sprache des Alltags übersetzte. Es war das Mädchen Ruth Oppermann, die Siebzehnjährige, die, den ganzen Abend über schweigsam, jetzt plötzlich ausbrach: ›Ihr habt alle so ausgezeichnete Theorien, ihr erklärt alles so gescheit, ihr wisst alles. Die andern wissen gar nichts, sie kümmern sich einen Dreck darum, ob ihre Theorien dumm sind und voll Widerspruch. Aber sie wissen eines: sie wissen genau, was sie wollen. Sie handeln. Sie tun etwas. Ich sage dir, Onkel Jacques, und dir, Onkel Martin, sie werden es schaffen, und ihr seid die Gelackmeierten.‹«

Soweit aus Lion Feuchtwangers Roman.

»Der große Diktator« steht vor einem Globus und brüllt: »Strraf …«

Sie schafften es. Ein Vierteljahr später war Hitler Reichskanzler. Dann brannte der Reichstag und es begann blutigster Terror. Die Romangestalt Gustav Oppermann wurde keine 51 Jahre alt; er überlebte das KZ nur kurze Zeit. Das gezähmte Haustier, der Kleinbürger, war zu seiner wölfischen Natur zurückgekehrt. Zu belächeln blieb da nichts mehr. Mit jedem einzelnen des zwölf Jahre andauernden deutsch-faschistischen Mordregimes entwickelte sich dessen Bestialität ins Unfassbare. Der Schweizer Autor Walter Laqueur schrieb in seiner Dokumentation »Was niemand wissen wollte: Die Unterdrückung der Nachrichten über Hitlers ›Endlösung‹«, eine, wenn nicht die Ursache für die Unterdrückung der sich häufenden Nachrichten über den Holocaust sei die Unvorstellbarkeit dessen, was geschah. Laqueur schrieb: »Die Bösartigkeit des Nazismus überstieg ihr Vorstellungsvermögen.« Niemand von uns kann sich im Heute ähnliche Verhältnisse vorstellen, auch weil sie gegenwärtig nicht denkbar sind. Daraus abzuleiten, Ähnliches könne sich nicht wiederholen, hieße, das Wesen faschistischen Agierens nicht zu begreifen. Genau darauf zielen die AfD und andere rechtsextreme Parteien, nicht nur in Deutschland. Die AfD und andere rechte Kräfte werden von sehr vielen Menschen – das trifft auch auf so manche Genossinnen und Genossen zu – als bürgerliche Partei betrachtet. Das ist die AfD ja auch. Das ist letztlich jede den Kapitalismus ausgestaltende Partei; auch wenn die Ausgestaltung durch extreme Gleichschaltung und Terror erfolgt. Und sollten sie rankommen, dann werden sie ihre Rolle natürlich spielen. Dazu sind sie da. Die Nazis von heute arbeiten am Image, bürgerlich zu sein, daran, als normale Partei wahrgenommen zu werden – und nicht wenige Menschen finden sie durchaus unappetitlich, aber halten sie nicht für potenziell verbrecherisch. Diese Naivität ist eine große Chance für die Rechte. Linke sollten nichts tun, was denen auch nur einen Anstrich von Normalität verleiht. Wir sollten sie als das entlarven, was sie sind: Die Kampfreserve des Kapitals für Zeiten, in denen die Mechanismen des bürgerlichen Liberalismus Profitinteressen nicht mehr zur Genüge bedienen können. Völkisches, Rassismus und Repression in ungewohntem Maße sollen es dann richten, untrennbar verbunden mit der Förderung niederster Instinkte. Ist es nicht die Stärke des Trump-Regimes und anderer faschistoider Kräfte, dass sie die Vernunft zerstören und an niederste Instinkte appellieren? Und trifft auf diese gewissenlosen Gestalten nicht zu, dass sie über die Intelligenz und Willensstärke verfügen, das so konsequent durchzuführen? Wie heißt es bei Feuchtwanger: »Die Herren verstehen sich auf ihre Kundschaft wie jeder gute Geschäftsmann. Ihre Ware ist schlecht, aber gängig. Und ihre Propaganda, first-class …«

Ja, das trifft vollumfänglich auf das in den USA mittlerweile mehr oder weniger direkt regierende Großkapital mit Musk, Bezos und Zuckerberg zu. Trump selbst ist einer der ihren so, wie mehr oder weniger alle Regierungsmitglieder des Landes, das über den furchterregendsten Militärapparat verfügt, den es je in der Geschichte der Menschheit gab. Und sie drohen militärisch offen, denken wir nur an den Panamakanal, an Grönland oder auch an Kanada. Denken wir an die Sanktionen. Zollerhöhungen und ebenso deren überraschende 90-tägige Aussetzung erschüttern den Welthandel. »Liberation Day« nannte Trump seinen weltweiten Zollwahnsinn. In Kolonialherrenmanier erklärt er, die USA wollten von der Ukraine »alles, was wir kriegen können«. Oder denken wir an den Umgang mit Kolumbien, als dessen Präsident Petro sich zunächst weigerte, Abgeschobene aus den USA aufzunehmen. All das und vieles mehr erinnert an eine Szene aus dem Chaplin-Film »Der große Diktator«. Letzterer steht vor einem Globus, zeigt mit dem Finger auf alle möglichen Gegenden und brüllt: »Strraf, Strraf, Strraf …«.

Obwohl gerade die jüngsten internationalen Entwicklungen davon zeugen, dass die Hauptursachen für die Gefährdung der Zivilisation von den sich als Wertewesten verstehenden imperialistischen Kräften – nicht zuletzt der NATO – ausgehen, werden bestimmte Kräfte – auch in unserer Partei – nicht müde, Russland und China die Hauptverantwortung für die Gefährdung des Weltfriedens anzulasten. Doch die Zahl all jener in der Welt nimmt zu, die sich an den Realitäten orientieren. Stellvertretend sei der brasilianische Theologe Frei Betto zitiert, der Ende Januar auf einer internationalen Konferenz in Havanna »die ›Plage, die der Aufstieg von Figuren wie Milei oder Trump als eine Phase der Hyperkonzentration des Reichtums weltweit‹ beschreibt. Der Kapitalismus installiere ›Clowns in den Regierungen, die das Publikum unterhalten …‹ Solche Leute wollten den Verwaltungsapparat vernichten und lenkten die Wut der Menschen vom Kapitalismus gegen Migranten, Muslime und die ›üblichen Sündenböcke‹. China und Russland würden als wichtigste Gegner präsentiert und der Multilateralismus als eine gefährliche Ideologie. Die USA, so Betto, haben die größten Attentate auf die Humanität verübt.«[19]

Man kann sicher darüber streiten, ob die von Betto vorgenommene Charakteristik Trumps als installierter Clown zutreffend ist. Es verharmlost. Doch alles andere, was Betto schreibt, trifft den Nagel auf den Kopf, vor allem die Feststellung, dass die Wut der Menschen vom Kapitalismus gegen Migranten, Muslime und die »üblichen Sündenböcke« gelenkt würde. In diesem Zusammenhang hat selbst der anscheinend größte Schwachsinn eine Funktion und der Kampf um die Freiheit von Hasskommentaren im Netz ist eine Voraussetzung dafür, dass anscheinend Schwachsinniges systemstabilisierend wirkt. Am 29. Januar 2025 kollidierte unweit des Washingtoner Flughafens kurz vor der Landung eine Passagiermaschine mit 64 Menschen an Bord mit einem Militärhelikopter, der sich auf einem Übungsflug befand. Überlebende gab es nicht. Die Fachleute suchten noch nach einer Erklärung – die Fahrtenschreiber waren noch nicht geborgen – da äußerte Trump einen Tag später ohne jeden Beleg: »Die FAA [die Flugsicherung] konzentriert sich bei ihren Diversitätsprogrammen vor allem auf die Einstellung von Menschen mit schwerer geistiger und psychischer Behinderung. Das ist erstaunlich.«[20] Und es bleibt nicht beim faschistoiden Gerede. Die US-Regierung mischt sich neuerdings offen in die Inklusionspolitik französischer Unternehmen ein. Trump bezeichnet Millionen von Migranten als »aus Irrenhäusern entlassene Vergewaltiger und mörderische Gangmitglieder«, die er der Gerechtigkeit zuführen will.[21]

Man könnte darüber lachen, so wie Kamala Harris sich darüber amüsierte, als Trump im Fernsehduell mit ihr mitteilte, Migranten würden Haustiere essen, Hunde und Katzen. Als der reichste Mann der Welt Elon Musk bei der Inauguration des amerikanischen Präsidenten grinsend den Hitlergruß mehr als nur andeutete, überspielte die veröffentlichte Meinung auch hierzulande diese Ungeheuerlichkeit. Der Hitlergruß passt zu seiner Äußerung »Die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie, die Ausnutzung der Empathie.«[22]

Weidel weiß, dass Hitler glühender Antikommunist war

Untrennbar verbunden mit dieser Massenmanipulation, über die Goebbels vor Neid erblassen würde, ist die Offenheit, mit der zukünftige Kriege vorbereitet werden. So forderte im Februar beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe der US-Kriegsminister Pete Hegseth, die NATO aus einer »diplomatischen« zu einer »tödlicheren Kraft« zu machen. Europa müsse den Großteil der Lasten für die Verteidigung seiner Nachbarschaft tragen, erklärte Hegseth mit Blick auf die Ukraine. Es gäbe derzeit keine Pläne für einen Abzug von US-Truppen aus Europa. Die USA müssten aber ihre Militärpräsenz außerhalb ihrer Grenzen generell auf den Prüfstand stellen, um sich stärker auf die ›Aktivitäten Chinas im Indopazifik konzentrieren‹ zu können.[23] Das ist es, worum es dem US-Imperialismus geht. Allerdings nicht erst, seit es die Trump-Administration gab bzw. gibt. Diese Anti-China-Politik wurde 2010 vom Friedensnobelpreisträger Barack Obama eingeleitet. Die entscheidende Verpflichtung der Kommunistinnen und Kommunisten in der Linken besteht darin, so ungeheuer schwierig es ist, über diese geopolitischen Entwicklungen aufzuklären und darum zu kämpfen, dass diejenigen in der Partei nicht durchkommen, die diese neuen Entwicklungen als Vorwand nutzen wollen, die friedenspolitischen Grundsätze der Linken zu entsorgen. Warum sie so verbissen darum kämpfen, entzieht sich unserer politischen Fantasie. Entscheidend ist, dass sie chancenlos bleiben.

Darf man in Anbetracht der »Regierung von Milliardären, durch Milliardäre und für Milliardäre« heute wieder über die als »Dimitroff-Formel« bezeichnete Faschismusdefinition reden? Wir müssen es tun. Dimitroff sagte auf dem VII. Weltkongress der Komintern vor 90 Jahren: »Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Wir haben im Aprilheft der Mitteilungen sehr bewusst einen Artikel von Prof. Manfred Weißbecker aus dem Jahr 2010 dokumentiert, der sich auf überzeugende Weise mit dem Wesen dieser »Dimitroff-Formel« auseinandersetzt. So schreibt er: »1935 konnte zwar schon festgestellt werden, dass der Faschismus zum Krieg führen wird, noch nicht aber die Maßlosigkeit seiner Expansionsziele und der barbarischen Kriegsführung, erst recht nicht der systematisch betriebene Völkermord an den europäischen Juden, an Sinti und Roma, an Slawen und anderen Völkern. Diese späteren Erfahrungen und Erkenntnisse einfach in frühere Definitionen pressen zu wollen, hat dem historisch-materialistischen Geschichtsdenken schweren Schaden zugefügt. Die stetige bloße Wiederholung des einen Satzes ließ völlig außer Betracht, dass sich der Faschismus nach 1935 weiter entfaltet hat …. In seinem totalen Krieg gegen alle Andersdenkenden und Andersartigen hat sich der Faschismus gleichsam selbst weiter ›faschisiert‹.« Soweit Manfred Weißbecker. Man kann es Dimitroff mit Sicherheit nicht zum Vorwurf machen, dass er all das 1935 noch nicht voraussehen konnte. Doch der Kern seiner Formel ist nicht zu bestreiten. Und noch etwas. An anderer Stelle verweist Weißbecker auf »zahlreiche Versuche, den Nationalsozialismus vom Faschismus zu trennen, seine deutsche Variante gleichsam zu ›entfaschisieren‹, aber auch zu ›entkapitalisieren‹ oder gar zu ›sozialisieren‹, d.h. generell nicht mehr nach den Wurzeln des Faschismus in der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu fragen bzw. ihn sogar als eine Spielart antikapitalistischer Strömungen darzustellen.« Soweit Manfred Weißbecker vor 15 Jahren. Wie recht er doch hat. Nehmen wir nur Frau Weidel, als sie im Gespräch mit Elon Musk formulierte, Hitler sei Kommunist gewesen. In Diskussionen wurden wir hin und wieder gefragt, ob Weidel das wirklich so sähe. Die Frau ist Bankerin, hochintelligent und ganz sicher nicht naiv. Natürlich weiß sie, dass Hitler glühender Antikommunist war. Aber sie kann davon ausgehen, dass das Kulturniveau nicht weniger Menschen inzwischen, nicht zuletzt dank der Rechten und der asozialen Medien, derartig gesunken ist, dass sie solchen Irrsinn glauben.

In dieser Frage hat die AfD die Deutungshoheit erlangt

Friedenskampf und Antifaschismus müssen eine zunehmend antikapitalistische Stoßrichtung erhalten und gleichzeitig offen sein für breite Bündnisse. In diesem Kontext einige Bemerkungen zu den sogenannten Brandmauern. Gegenwärtig »schützen« sich die tonangebenden bürgerlich-liberalen Kräfte vor dem Zündeln der AfD und anderer faschistoider Kräfte, indem sie selber Feuer legen. Sie reden den Menschen ein, wenn die Bürgerlichen sich an die Spitze der migrationsfeindlichen Politik stellen – also objektiv völkisch agieren – dann würde der AfD der Boden entzogen, auf dem sie steht. Die Praxis beweist das Gegenteil: Diese verlogene Politik stärkt die Rechten. Ist es deshalb falsch, gegen rechts auf die Straße zu gehen? Auf keinen Fall. Wir, die Linken, tun zu wenig, um den Klassencharakter von Rassismus zu entlarven und den Menschen, die keine Nazis wollen, den Zusammenhang zwischen sozialen Verwerfungen und Ängsten, zwischen Kriegsvorbereitungen, wachsender Repression nach innen und chauvinistischer Ideologie nahezubringen. Dass das extrem schwer ist, muss uns als Kommunistinnen und Kommunisten bewusst sein. Was uns auf keinen Fall weiter bringt, ist, denen, die gegen Nazis demonstrieren, vorzuwerfen, sie ließen sich instrumentalisieren. Manche sollten da auf Konstantin Wecker hören, dem die vielen Millionen im Land Mut machen, »die Barrikaden gegen die rassistische Hetze gebaut haben«.[24] Zugleich ist das Moment der Instrumentalisierung nicht zu leugnen. Aber es ist nur eine Seite der Medaille. Wir haben uns dazu auf den beiden letzten Bundeskonferenzen im April und November 2024 ausführlich geäußert und wollen es heute nicht wiederholen. Es sei bekräftigt: Wir werden mit allen gemeinsam gehen, die Nazis nicht mögen, aber wir werden nicht darüber schweigen, dass die sogenannten Parteien der Mitte durch ihre Befürwortung der Kriegspolitik und deren Folgen – also soziale Verwerfungen und die weitere Umweltzerstörung – billigend in Kauf nehmen, der extremen Rechten den Boden bereitet zu haben und weiter zu bereiten. Wir werden auch nicht darüber schweigen, dass diese Parteien der sogenannten Mitte verlogen behaupten, sie würden den Wirkungskreis der AfD verkleinern, indem sie letztlich deren migrationspolitische Forderungen zu ihren eigenen machen. Welches ist in der Gegenwart die ideologische Hauptwaffe der Völkischen? Es ist die Behauptung, mehr oder weniger alle Probleme im Land könnten gelöst werden, wenn Schluss gemacht würde mit der sogenannten illegalen Migration. In dieser Frage hat die AfD die Deutungshoheit erlangt. Ausnahmslos alle bürgerlichen Parteien im Land folgen ihr in diesem Punkt. Sie verkaufen diese ideologische Gefolgschaft, deren Kern in der Ethnisierung der sozialen Probleme besteht, zynisch als Kampf gegen den Faschismus. Indem sie, so ihre Argumentation, auf massenhafte Stimmungen der Menschen im Lande – die sie selber erzeugten und täglich weiter erzeugen – reagierten, entzögen sie der AfD den Boden. Sie geben vor, die AfD zu bekämpfen, indem sie deren Inhalte übernehmen. Sie tun so, als sei es antifaschistisch, faschistoiden Forderungen nachzugeben, in der wahlweise blödsinnigen oder verlogenen Hoffnung, Faschisten dadurch zu schwächen. Und noch etwas: Die beängstigenden Wahlerfolge der AfD im Osten sind primär der sozialen Situation im Osten geschuldet. Jedes Vertrauen in die sogenannten etablierten Parteien ist dort – zu Recht – verloren gegangen. Der Antifaschismus der Linken hat nicht die notwendige Wirkung, weil er moralisiert, statt die ökonomischen Gründe aufzuzeigen, die es der Nazidemagogie so leicht machen. Die AfD-Erfolge der DDR in die Schuhe zu schieben, wird von Jahr zu Jahr lächerlicher. Die DDR existierte 40 Jahre. Der Anschluss der DDR an die BRD ist 35 Jahre her. Das sagt vielleicht nicht alles, aber das meiste.

Das Weltbild eines Drittklässlers

Wir müssen die Zusammenhänge zwischen sozialen Problemen und Rassismus aufzeigen. Thomas Wasilewski ist VdK-Musterkläger in Sachen Bürgergeld und Armut. Er schreibt: »Es stört niemanden, wenn mich jemand in der Öffentlichkeit oder im Internet ›Schmarotzer‹, ›Zecke‹ oder ›Parasit‹ nennt. Rassismus wird begünstigt, Leute sagen ganz offen, dass Geflüchtete ›herumsitzen und vom Bürgergeld leben würden, den Deutschen die Plätze wegnehmen‹, dass ›die Bimbos im Bus sitzen würden und dass die Deutschen sich da nicht mehr hinsetzen könnten‹. Ich lebe mit meiner nicht weißen Frau und mit drei meiner leiblichen Kinder, die auch nicht weiß sind, hier. Leute aus der sogenannten Mittelschicht, die mich wegen meiner Öffentlichkeitsarbeit kennen, geben mir ungefragt Einkaufstipps im Supermarkt. Sie sagen, ich solle den Jogurt doch weglegen, wenn ich am Ende des Monats noch etwas auf dem Teller haben möchte. Das Zusammenleben von Bürgergeldbeziehern mit Menschen, die arbeiten, ist fast nicht mehr möglich. Solidarität mit Erwerbslosen gibt es nicht mehr«. Soweit Thomas Wasilewski.[25]

Und noch etwas: Das nd berichtet am 4. März 2025: »Ein Busfahrer lässt Migranten-kinder an der Haltestelle stehen und nimmt sie nicht mit. In Schulen werden Kinder aus Flüchtlingsfamilien auch mal gemobbt, körperliche Auseinandersetzungen bleiben nicht aus. In Meißen sagt ein Drittklässler zu einem Mitschüler: ›Bei uns ist jetzt die AfD stärkste Kraft, da könnt ihr eure Koffer packen.‹«[26]

Das ist die brandgefährliche Stimmung, die letztlich durch das unverantwortliche Gerede über illegale Migration – unter der jeder etwas anderes versteht – und die nicht arbeitsbereiten Bürgergeldempfänger erzeugt wird. Und machen wir uns nichts vor: Das ist faschistoid. Das müssen wir entlarven, auch jenen gegenüber, die die soziale Seite faschistischer Entwicklungen nicht sehen und beim Moralisieren stehen bleiben. Dabei dürfen wir uns nicht elitär gegenüber den Hunderttausenden verhalten, die gegen Nazis auf die Straße gehen, ohne marxistischen Hintergrund. Zugleich bleiben wir bei Brecht, der schrieb: »Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden. Kein Kapitalismus ohne Faschismus, kein Faschismus, der nicht allerdreckigste Erscheinungsform des Kapitalismus wäre.«[27]

Die KPF solidarisch verstärken

In einem Monat findet in Chemnitz der Bundesparteitag der Linken statt. Die von uns initiierten Änderungsanträge zum Leitantrag sind darauf gerichtet, die Debatte über die Situation, in der wir uns international und hierzulande befinden, zu befördern und um Zustimmung für unsere, im heutigen Sprecherratsbericht fixierten Positionen zu werben. Und: Wir müssen offensiver damit umgehen, dass uns allen eingeredet werden soll, dass Meinungsfreiheit vor allem bedeutet, reaktionäre Positionen ohne Einschränkungen bekunden zu dürfen. Meinungsfreiheit bedeutet für uns, frei nach Rosa Luxemburg, sagen zu können, was ist.

Wir erleben gerade im Zusammenhang mit palästinasolidarischen Veranstaltungen, dass der Umgang mit einer nicht dem Zeitgeist entsprechenden Sicht auf die Lage in Nahost stetig repressiver wird. Insgesamt entwickelt sich die Einschränkung der Meinungsfreiheit immer rapider. Ein Fall soll stellvertretend für viele benannt werden. Das bayrische Kultusministerium hat der Klimaaktivistin Lisa Poettinger die Zulassung zum Referendariat verweigert. So habe die 28-jährige als Sprecherin einer Klimaprotestgruppe die IAA als »Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima« bezeichnet. Laut dem Kultusministerium sei »Profitmaximierung« eine »den Begrifflichkeiten der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung«. Diese Ideologie sei nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar.[28] Es ist unfassbar: In diesem System geht es von früh bis abends mehr oder weniger um nichts anderes als um Profitmaximierung; selbst in Bereichen wie dem Gesundheitswesen oder der Altenpflege, von der Rüstungsindustrie ganz zu schweigen. Aber die Begriffsverwendung verstößt gegen die freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt unseres Wirkens in den nächsten Wochen ist die Vorbereitung des 80. Jahrestages der Befreiung und des Sieges über den Hitlerfaschismus am 8. und 9. Mai 2025. Wir haben uns im Sprecherratsbericht an verschiedenen Stellen hierzu geäußert und möchten hier nur eines wiederholen: Der Kampf gegen die Russophobie ist unsere politische und moralische Pflicht. Er ist nur dann überzeugend zu führen, wenn wir unumwunden aussprechen, dass wir es für verlogene Propaganda halten, dass Russland aggressive Absichten gegen Deutschland hegt.

In diesem Sinne beteiligen wir uns aktiv an den in der kommenden Woche bevorstehenden Ostermärschen und werden – wie jedes Jahr – im Spätsommer mit der Vorbereitung der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 11. Januar 2026 beginnen. Es bleibt das durchgängige Prinzip unseres Wirkens, die inhaltlich-theoretische Arbeit mit dem praktischen politischen Kampf zu verbinden, wo immer wir als Kommunistinnen und Kommunisten agieren. Und wir bitten Kommunistinnen und Kommunisten in der Linken, die unserem Zusammenschluss bisher nicht angehören, darüber nachzudenken, ob sie die KPF nicht solidarisch verstärken wollen.


[1] Siehe: https://kpf.die-linke.de/erklaerungen/detail/in-dieser-frage-keine-kompromisse/

[2] »Gegen Schuldenbremse und Aufrüstung«, Beschluss des Parteivorstandes vom 25. März 2025

[3] Vgl.: AFP/nd: »Außenminister Rubio: USA bleiben in NATO«, nd, 04.04.2025

[4] Vgl.: dpa/nd: »EU soll schnell hochrüsten«, nd, 20.03.2025

[5] Max Grigutsch: »Brodeln in der Linkspartei«, junge Welt, 25.03.2025

[6] SIPRI Military Expenditure Database, https://www.sipri.org/databases/milex

[7] Oliver Rast: »Kürzungen im US-Kriegsetat erwogen«,junge Welt, 21.02.2025

[8] Vgl. Jörg Kronauer: »Aufmarsch in der Asien-Pazifik-Region«, junge Welt, 31.03.2025

[9] Vgl. jW-Bericht »Nächste Runde im Zollkrieg«, junge Welt, 01.03.2025

[10] Vgl.: syk/Agenturen: »Chinas Regierung schlägt zurück«, nd, 05.04.2025

[11] Arnold Schölzel: »Trumps Vernunft und Baerbocks Wahn«, junge Welt, 22.02.2025

[12] Wolfgang Schwarz: »Atomare Verteidigungsunion Europa?«, Das Blättchen, 29.01.2024

[13] Yaro Allisat: »Fünf vor zwölf«, junge Welt, 18.03.2025

[14] Vgl.: Nicolas Butylin: »Geheime Handreichung: Baerbock will keine Russen bei Kriegs-Gedenken«, Berliner Zeitung, 04.04.2025

[15] Vgl. Max Böhnel: »Trumps Oligarchie«, nd, 14.02.2025

[16] Vgl. Jörg Kronauer: »Auf Abstand«, junge Welt, 15.02.2025

[17] Vgl. Nick Brauns: »Ende der Einmütigkeit«, junge Welt, 17.02.2025

[18] Vgl. Jana Frielinghaus: »Koalitionsvertrag: Finanzierungsvorbehalt für Soziales«, nd, 09.04.2025

[19] Vgl. Carmela Negrete: »Botschafter des Friedens«, junge Welt, 13.02.2025

[20] Vgl.: »Remarks on the Collision of a United States Army Helicopter and an American Airlines Aircraft Near Ronald Reagan Washington National Airport and an Exchange With Reporters«, 30.01.2025, https://www.govinfo.gov/content/pkg/DCPD-202500201/pdf/DCPD-202500201.pdf

[21] Vgl. Max Böhnel: »Selbstlob, Lügen und Attacken«, nd, 05.03.2025

[22] Vgl. Zachary B. Wolf: »Elon Musk wants to save Western civilization from empathy«, CNN, 05.03.2025

[23] Vgl. Reinhard Lauterbach: »US-Regierung will noch ›tödlichere‹ NATO«, junge Welt, 13.02.2025

[24] Vgl.: dpa/jW: »Weckers Worte«, junge Welt, 04.02.2025

[25] Vgl. Annuschka Eckhardt: »Solidarität mit Erwerbslosen gibt es nicht mehr«, junge Welt, 15.10.2024

[26] Jörg Schurig: »Migrationsberatung in Sachsen: Bedrohungslage nimmt zu«, nd, 04.03.2025

[27] Bertolt Brecht: »Schriften zur Politik und Gesellschaft«, Band II, Seite 19, Aufbau-Verlag, 1968

[28] Matthias Monroy: »Lisa Poettinger darf das Referendariat nicht machen«, nd, 29.01.2025

(Link öffnet ein neues Fenster) (Link öffnet ein neues Fenster)

References

References
1 der vollständige Bericht des Bundesprecherrats: https://kpf.die-linke.de/bundeskonferenzen/detail/keine-nato-verharmlosung-dulden