Durch die Streiks der pädagogischen Fachkräfte in den Kita-Eigenbetrieben hat die pädagogische Qualität und die Arbeitssituation in den Berliner Kitas in den letzten Monaten große politische Aufmerksamkeit bekommen. Leider wurden weitere Streiks der pädagogischen Fachkräfte durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bis auf Weiteres untersagt.
Von Seiten der Bildungssenatsverwaltung wurde eine umfassende Krise in den Berliner Kitas zum einen bestritten. Zum anderen hat Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch die Einberufung eines Runden Tischs angekündigt, an dem neben ver.di auch weitere Stakeholder der Kita-Landschaft beteiligt werden sollen. Bislang hat ver.di hierzu keine Einladung erhalten. Deshalb wird ver.di Kontakt mit Senatorin Günther-Wünsch aufnehmen, um über die Ausgestaltung des Runden Tisches ins Gespräch zu kommen.
Welche Aktivitäten ver.di nach der Untersagung des Streiks plant und welche Anforderung ver.di an einen Runden Tisch hat, wird im Rahmen der Pressekonferenz vorgestellt. In diesem Zusammenhang werden ausgewählte Daten zur Betreuungssituation in den Berliner Kitas vorgestellt und mit den Aussagen der Bildungssenatsverwaltung in den letzten Monaten kontrastiert.
Aus der Pressemitteilung zur Pressekonferenz
Auf der Presskonferenz sprachen: Andrea Kühnemann, ver.di Landebezirksleiterin Berlin-Brandenburg Dr. Elke Alsago, ver.di Bundesfachgruppenleiterin Erziehung und Bildung Birgit Onischke, Kita-Leitung in einem Kita-Eigenbetrieb und Mitglied der ver.di Tarifkommission Mascha Krüger, Initiative „Einhorn sucht Bildung“
Ab: 00:00 Begrüßung durch Kalle Kunkel, Pressesprecher ver.di Berlin-Brandenburg
AB: 01:58 Andrea Kühnemann, ver.di Landebezirksleiterin Berlin-Brandenburg Ab: 06:27 Dr. Elke Alsago, ver.di Bundesfachgruppenleiterin Erziehung und Bildung Ab: 11:45 Birgit Onischke, Kita-Leitung in einem Kita-Eigenbetrieb und Mitglied der ver.di Tarifkommission Ab: 16:21 Mascha Krüger, Initiative „Einhorn sucht Bildung“
Vorspann: Video – Fehlentscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht hat am 11. Oktober 2024 den Streik für pädagogische Qualität und Entlastung bei den Kita-Eigenbetrieben untersagt. 🚫👶 ver.di sieht darin eine deutliche Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung und kündigt eine intensive Prüfung des Urteils an. 📜🔍 Seit fast zwei Jahren kämpfen die pädagogischen Fachkräfte in den KEBs für bessere Arbeitsbedingungen und pädagogische Qualität. ✊📚 Trotz wiederholter Streiks und einer Zustimmung von 91,7% der Fachkräfte für einen unbefristeten Streik, verweigert der Berliner Senat konstruktive Verhandlungen und suchte stattdessen den Weg zum Gericht. 🏛️❌ „Der Senat muss wissen, dass mit diesem Urteil die Kita-Krise nicht verschwunden ist. Wir werden weiter Druck machen, dass der Senat seiner Verantwortung nachkommt und echte Verbesserungen in den Kitas sorgt,“ erklärt Andrea Kühnemann, ver.di-Landesbezirksleiterin. 🗣️💬 „Dass uns mit diesem Urteil die Möglichkeit genommen wird, konsequent für unser Recht und die Rechte der uns anvertrauten Kinder zu kämpfen, ist eine große Enttäuschung. Jetzt muss der Berlin Senat sagen, was er zu tun gedenkt, um die Situation in den Kitas zu verbessern,“ ergänzt Martina Breitmann, stellv. Kita-Leiterin und Mitglied der ver.di Tarifkommission
Einleitungzur Diskussionsveranstaltung
Am 18. Oktober 2024 wurde in der Regenbogenfabrik ein Diskussionsabend zum Berliner Kita-Streikverbot durchgeführt. Das Landesarbeitsgericht hat am 11.10.2024 in zweiter Instanz das Verbot des Streiks der Erzieher*innen in den landeseigenen Kita-Betrieben bestätigt. Damit ist die Ver.di Kampagne und Tarifauseinandersetzung für einen Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung zunächst beendet. In den letzten Jahren haben sich mehrere tausend Kita-Erzieher*innen organisiert, gekämpft und gestreikt, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Mit diesem skandalösen Urteil wird den Kolleg*innen die Möglichkeit genommen, ihr im Grundgesetz verankertes demokratisches Recht wahrzunehmen. Wir haben diskutiert, in wieweit das deutsche restriktive Streikrecht dafür verantwortlich ist, warum das Verbot ein heftiger Angriff auf uns Beschäftigte ist und was wir dagegen tun können.
Als Gast waren eingeladen:
Alexander Kübler, Kampagne für ein umfassendes Streikrecht, und RA Benedikt Hopmann, Arbeitsrechtler.
ab 00:00 Einleitung Lena von der Initiative Solidarität mit dem Kita-Streik
ab 05:11 Selma, Erzieherin Kita-Eigenbetrieb
ab 10:44 Arne, Erzieher Kita-Eigenbetrieb
ab 15:07 Wolfgang, Erzieher-Eigenbetrieb
ab 33:25 Alexander Kübler, Kampagne für ein umfassendes Streikrecht
ab 50:57 RA Benedikt Hopmann
Vortrag RA Hopmann: Kitastreik, Friedenspflicht und einstweilige Verfügung
Der Kitastreik wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wegen angeblichen Verstosses gegen die Friedenspflicht über eine einstweiligen Verfügung verboten. Ein Grund sich etwas genauer mit der Friedenspflicht und einstweiligen Verfügungen gegen Streiks zu beschäftigen.Dazu der Vortrag von RA Benedikt Hopmann.
Hauptanliegen:Warum der Streik für pädagogische Qualität und Entlastung sinnvoll und notwendig ist
"Seitdem die Streiks für pädagogische Qualität und Entlastung in den Kita-Eigenbetrieben Berlin begonnen haben, sind zahlreiche Argumente gegen den Streik im Umlauf. Hier setzen wir uns mit den häufgisten Einwänden auseinander, erläutern Hintergründe und stellen die Fakten, sowie die Rechtslage dar.
1. Aber das Land Berlin kann doch gar nicht verhandeln, weil es in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ist!
2. Man kann eine Fachkraft-Kind-Relation doch nicht in einem Tarifvertrag, sondern nur per Gesetz regeln!
3. Aber wo sollen denn die Fachkräfte herkommen?
4. Aber hätte das nicht in den Verhandlungen letztes Jahr geklärt werden können?
5. Aber die Regelungen gelten dann doch nur für die Kita-Eigenbetriebe. Das ist doch eine Benachteiligung für die Freien Träger.
6. Aber das geht doch alles nur zu Lasten der Eltern. Das ist der Politik doch egal"
Kitastreik, Friedenspflicht und einstweilige Verfügungen – RA B. Hopmann zur Fehlentscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht Berlin hat den geplanten Kitastreik verboten, weil er angeblich gegen die Friedenspflicht verstoße. Ein schlimmes Fehlurteil. Das gibt Anlass über die Friedenspflicht und einstweilige Verfügungen gründlicher nachzudenken. Das sagt RA Benedikt Hopmann dazu:
Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte (EASR) zu einstweiligen Verfügungen gegen Streiks
In seiner Stellungnahme des Jahres 2022 äußert sich der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte (EASR) kritisch zu der Möglichkeiten der Arbeitgeber, eine einstweilige Verfügung gegen Streiks zu beantragen, gegen die auf Bundesebene, also vor dem Bundesarbeitsgericht, keine Rechtmittel eingelegt werden können:
„In seiner früheren Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XIX-3 (2010)) hat der Ausschuss hervorgehoben, dass es Aufgabe des Vertragsstaates ist, dafür zu sorgen, dass die innerstaatlichen Gerichte vernünftig handeln und dass ihre Eingriffe insbesondere nicht den Kern des Streikrechts angreifen und es damit seiner Wirksamkeit berauben (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005)). In der oben genannten Schlussfolgerung stellte der Ausschuss fest, dass im Falle von einstweiligen Verfügungen, die von einem Gericht auf Antrag eines Arbeitgebers gegen einen Streik erlassen werden, keine Möglichkeit besteht, auf Bundesebene, insbesondere beim Bundesarbeitsgericht, Rechtsmittel einzulegen. Er stellte fest, dass in Ermangelung einer gesetzlichen Garantie des Streikrechts die Gefahr der Rechtsunsicherheit bestehe, da verschiedene Gerichte in verschiedenen Bundesländern in ähnlichen Fällen zu abweichenden Entscheidungen kommen könnten. Der Ausschuss bat daher erneut um weitere Informationen über Mittel und Wege zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit, die das Streikrecht in dieser Hinsicht einschränken könnte, und behielt sich seinen Standpunkt zu diesem Punkt vor.
In ihrem Bericht stellt die Regierung fest, dass die Tatsache, dass die Arbeitsgerichte in ähnlichen Fällen unterschiedliche Entscheidungen getroffen haben, nicht unbedingt bedeutet, dass die betreffenden Gerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen über dieselbe Rechtsfrage haben; sie ist vielmehr der Ansicht, dass die abweichenden Entscheidungen auf Unterschiede in den zugrunde liegenden Fakten der einzelnen Fälle zurückzuführen sind. Die Regierung stellt ferner fest, dass es den Parteien freisteht, Rechtsfragen durch ein höheres Gericht klären zu lassen, und dass, wenn von den Parteien keine Berufung eingelegt wird, dies nicht bedeuten kann, dass es in Deutschland eine Einschränkung des Streikrechts gibt, die vom Gesetzgeber korrigiert werden muss. Dementsprechend erklärt die Regierung, dass sie nicht beabsichtigt, das gerichtliche Verfahren zur Gewährleistung des Streikrechts zu ändern, da sie der Auffassung ist, dass das derzeitige System es den betroffenen Parteien ermöglicht, die erforderliche rechtliche Klärung rasch herbeizuführen.“[1]https://widerstaendig.de/europaeische-sozialcharta-esc/#ESC2023
Pressekonferenz 24. Oktober 2024: Wie weiter mit pädagogischer Qualität und Entlastung in den Kita-Eigenbetrieben?
Welche Aktivitäten ver.di nach der Untersagung des Streiks plant und welche Anforderung ver.di an einen Runden Tisch hat, wird im Rahmen der Pressekonferenz vorgestellt. In diesem Zusammenhang werden ausgewählte Daten zur Betreuungssituation in den Berliner Kitas vorgestellt und mit den Aussagen der Bildungssenatsverwaltung in den letzten Monaten kontrastiert.
18. Oktober 2024: Diskussion zum Kitastreik: Hände weg vom Streikrecht!
Am 18. Oktober 2024 wurde in der Regenbogenfabrik ein Diskussionsabend zum Berliner Kita-Streikverbot durchgeführt. Das Landesarbeitsgericht hat am 11.10.2024 in zweiter Instanz das Verbot des Streiks der Erzieherinnen in den landeseigenen Kita-Betrieben bestätigt. Damit ist die Ver.di Kampagne und Tarifauseinandersetzung für einen Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung zunächst beendet. In den letzten Jahren haben sich mehrere tausend Kita-Erzieherinnen organisiert, gekämpft und gestreikt, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Mit diesem skandalösen Urteil wird den Kolleg*innen die Möglichkeit genommen, ihr im Grundgesetz verankertes demokratisches Recht wahrzunehmen. Wir haben diskutiert, in wieweit das deutsche restriktive Streikrecht dafür verantwortlich ist, warum das Verbot ein heftiger Angriff auf uns Beschäftigte ist und was wir dagegen tun können.
Landesarbeitsgericht hält Verbot des Kitastreiks aufrecht – aber das muss nicht das ‚Ende vom Lied sein
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat das Verbot des Kitastreiks bestätigt.
Der Begründung des Arbeitsgerichts, dass der Kitastreik schon deswegen verboten sei, weil das Land Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ausgeschlossen werden könne, folgte jedoch das Landesarbeitsgericht nicht.
Das Landesarbeitsgericht stützt das Verbot des Kitastreiks allein auf die Friedenspflicht.
Freitag, den 11. Oktober, 11:00 Uhr: Landesarbeitsgericht entscheidet über Verbot des Kitastreiks
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verhandelt am
Freitag, 11. Oktober 2024, 11:00 Uhr, Saal 334
im Dienstgebäude Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin, über die Berufung der Gewerkschaft ver.di gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 27. September 2024, mit dem der Berliner Kita-Streik untersagt worden war.
Berliner Senat zieht gegen Streik und Entlastung vor Gericht
Nun also bemüht der Berliner Senat das Arbeitsgericht.
Eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Senat über einen Notdienst war gescheitert. Der Senat wollte 70 Prozent der Arbeitskräfte als Notdienst im Streik einsetzen. Darin sahen die Gewerkschaften zu Recht eine Einschränkung des Streikrechts, die sie nicht mittragen wollten.
Information: Diese E-Mail ist kein Newsletter, sondern Teil unserer gewerkschaftlichen Arbeit.
Wortlaut der Info:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
aktuell kocht das Thema Kita-Streik in der Stadt sehr hoch. Dabei wird ver.di auch aus dem Senat heraus stark angegangen. Da wir uns vorstellen können, dass viele von Euch selbst betroffen sind, oder Menschen kennen, die es sind, möchten wir Euch auf diesem Weg über den Stand in dieser Auseinandersetzung informieren und warum sie sich aktuell so zuspitzt.
Die Lage in den Kitas ist – wie in vielen Bereichen – durch eine extreme Arbeiterdichtung geprägt. Die Kolleg*innen müssen sich um zu viele Kindern kümmern. Sie werden deshalb ihren sowie den Ansprüchen der Kinder und Eltern nicht gerecht. Die Krankenquote ist in der Folge exorbitant hoch.
Deshalb haben die Kolleg*innen in den Kita-Eigenbetrieben eine ver.di Tarifkommission gegründet und den Senat zu Verhandlungen zum Thema Entlastung aufgefordert. Sie wollen vor allem verbindliche Regelungen, um wie viele Kinder sich eine pädagogische Fachkraft kümmern muss.
Seit dem 19. April weigert sich der Senat jedoch mit uns dazu in Verhandlungen zu treten. Er schiebt immer wieder Sachzwänge vor. Obwohl im Frühjahr zahlreiche Warnstreiks stattgefunden haben, hat sich an dieser Haltung nichts geändert. Deshalb hat ver.di eine Urabstimmung zum unbefristeten Erzwingungsstreik durchgeführt. Hier haben 91,7% für den Streik gestimmt.
Unter dem Eindruck dieses Ergebnisses, ist der Senat zwar erstmals bereit mit uns zu reden. Er weigert sich jedoch, mit uns Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, zu verbindlichen Entlastungsregelungen zu kommen. Die Senatorin für Bildung, Jungend und Familie schlägt stattdessen ein unverbindliches Brainstorming vor, bei dem am Ende der Senat entscheidet, was er umsetzen will und was nicht.
ver.di zeigt sich im Moment deutlich kompromissbereit. Wir halten einen Tarifvertrag für den besten Weg das zu regeln, sind aber auch für andere Wege offen. Wir haben zugesagt, dass wir den Streik verschieben würden, nur für die Zusage, dass Verhandlungen mit dem Ziel aufgenommen werden zu verbindlichen Maßnahmen zu kommen. Der Senat ist jedoch nicht bereit, diese Zusage schriftlich zu geben. Damit trägt er die alleinige Verantwortung für den aktuellen Streik.
Wir wissen, was dieser Erzwingungsstreik für die Eltern und die Kinder bedeutet. Wir wissen, dass alle an ihrer Belastungsgrenze sind und dass die kommenden Wochen eine große Herausforderung sind. Die Beschäftigten haben seit vielen Monaten deutlich gemacht, dass sie einen anderen Weg gehen wollen, dass sie verhandeln wollen und dass sie diesen Kampf nicht auf den Rücken der Eltern und Kinder austragen wollen. Wir wissen aber auch, wenn alle Aktionen und alles Reden nichts hilft, müssen wir den Druck erhöhen, um die Verweigerungshaltung und die immer neuen Ausreden des Senats endlich zu durchbrechen.
Die streikenden Kolleg*innen brauchen jetzt unser aller Unterstützung! Wir bitten Euch: unterstützt die Kolleg*innen in ihrer Auseinandersetzung. Gebt unsere Informationen gern in Eurem Freundes- und Bekanntenkreis oder unter den Arbeitskolleg*innen weiter.
Mit kollegialen Grüßen,
Andrea Kühnemann Landesbezirksleiterin ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg
Jeremy Arndt Landesbezirksfachbereichsleiter Fachbereich öffentliche und private Dienstleistungen, Verkehr und Sozialversicherung ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg
Das Arbeitsgericht meinte außerdem, der Senat müsse nicht über einen besseren Betreuungsschlüssel verhandeln, weil er “das Risiko eines Ausschlusses aus der Tarifgemeinschaft der Länder bei einem eigenständigen Tarifabschluss nicht eingehen” müsse[2]. Das Gericht kann aber wegen dieses Risikos ver.di nicht verbieten, zum Streik für einen Entlastungs-Tarifvertrag aufzurufen. Das Bundesarbeitsgericht hat mehrfach hervorgehoben, dass für Ziele, die in einem Tarifvertrag regelbar sind, gestreikt werden darf. Ein Tarifvertrag zur Entlastung ist unbestreitbar ein Streikziel, das sich durch Tarifvertrag regeln lässt. Das Arbeitsgericht hat jedoch einen völlig neuen Maßstab entwickelt, indem es ein Streikziel illegalisiert, das das Risiko enthalten soll, dass der bestreikte Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband, hier der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), ausgeschlossen wird. Einen solchen neuen Maßstab in einem vorläufigen Verfahren, in dem nur summarisch geprüft werden kann, aus dem Hut zu zaubern[3], kann nur als skandalös bezeichnet werden.Quelle:
20.09.2024: 82 Prozent der GEW- Mitglieder Berlin = Ihr habt euch für Ja entschieden
82 Prozent der in der GEW BERLIN organisierten Beschäftigten der Kita-Eigenbetriebe haben sich in der Urabstimmung für einen unbefristeten Erzwingungsstreik zur Erreichung eines Tarifvertrags für pädagogische Qualität und Entlastung ausgesprochen. Damit steht fest, dass die Erzieher*innen sich voraussichtlich ab dem 30. September in den unbefristeten Streik begeben werden.
Nr. 145 Berliner Senat fordert Einschränkung des Streikrechts durch die Hintertür – vorerst keine Notdienstvereinbarung für die Kita-Eigenbetriebe
Wortlaut der Pressemitteilung:
Ein Gespräch über eine Notdienstvereinbarung im Streikfall bei dem Kita-Eigenbetrieben ist am Dienstag, den 24. September 2024 ergebnislos zu Ende gegangen. Der Senat und die Geschäftsleitungen der Kita-Eigenbetriebe forderten in dem Gespräch, dass 70-80% der Betreuung abgesichert werden und alle Einrichtungen geöffnet bleiben sollen. Damit würde das Streikrecht der Beschäftigten in einer unverhältnismäßigen Art und Weise eingeschränkt werden.
„Was der Senat da fordert, ist keine Notdienstvereinbarung, sondern eine Einschränkung des Streikrechts durch die Hintertür. Der Senat sollte sich klar machen, dass das Grundgesetz auch für pädagogische Fachkräfte gilt. Statt zu versuchen, den Streik mit solchen fadenscheinigen Tricks zu verhindern, muss der Senat endlich in Verhandlungen einsteigen,“ erklärt ver.di-Landesbezirksleiterin für Berlin-Brandenburg Andrea Kühnemann.
ver.di steht weiterhin für Gespräche über eine Notdienstvereinbarung zur Verfügung, wenn diese tatsächlich zum Ziel haben, einen Notbetrieb zu definieren.
Nr. 147 -Senat verweigert Verhandlungen zu verbindlichen Maßnahmen für pädagogische Qualität und Entlastung in den Kita-Eigenbetrieben. Er trägt Verantwortung für Erzwingungsstreik ab 30. September.
Wortlaut:
Senat verweigert Verhandlungen zu verbindlichen Maßnahmen für pädagogische Qualität und Entlastung in den Kita-Eigenbetrieben. Er trägt Verantwortung für Erzwingungsstreik ab 30. September.
Am gestrigen Mittwoch, den 25. September 2024, hat der Berliner Senat die letzte Chance verpasst, verbindliche Verhandlungen zu pädagogischer Qualität und Entlastung in den Kita Eigenbetrieben Berlin aufzunehmen. ver.di hatte angeboten, den Streikbeginn zu verschieben, wenn der Senat verbindlich zusagt, konstruktive Verhandlungen aufzunehmen.
Der Senat wollte sich jedoch nicht einmal darauf festlegen, ob es eine Belastung der Beschäftigten in den Kita-Eigenbetrieben gibt.
Da der Senat sich weigert, die Krise in den Kitas anzuerkennen, ruft ver.di für den Erzwingungsstreik ab dem 30. September auf. Die Streikaufrufe werden ab heute Morgen verschickt.
„Von ver.di-Seite liegen die Karten schon lange auf dem Tisch. Mit seiner unkonstruktiven Haltung provoziert der Senat den Streik und trägt damit die Verantwortung für die Belastung der Eltern und Kinder. Es ist unverantwortlich vom Senat, dass er alle Möglichkeiten verstreichen lässt, konstruktive Verhandlungen aufzunehmen“, erklärt die ver.di Landesbezirksleiterin für Berlin-Brandenburg Andrea Kühnemann.
25. Mai 2024: Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen?!
Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen?!
Beschäftigte der Krankenhaus-Tochterunternehmen und der freien Träger protestieren bei Parteitag der Berliner SPD
Der Kitastreik wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wegen angeblichen Verstosses gegen die Friedenspflicht über eine einstweiligen Verfügung verboten. Ein Grund sich etwas genauer mit der Friedenspflicht und einstweiligen Verfügungen gegen Streiks zu beschäftigen.
Es geht um einen Tarifvertrag ‚Pädagogische Qualität und Entlastung‘ für die Berliner landeseigenen Betriebe. Auf die Verhandlungen um diesen Tarifvertrag haben sich die Erzieherinnen und Erzieher lange vorbereitet. Doch sie kamen keinen Schritt weiter. Deshalb beschlossen die Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung mit großer Mehrheit einen Erzwingungsstreik in den landeseigenen Kitabetrieben. Sie wissen, dass sie ihrem Ziel nur so näher kommen können. Man muss das so klar sagen: Sie erkannten, dass sie keine andere Wahl haben.
Allgemein gesprochen: Ohne das Recht auf Streik sind die abhängig Beschäftigten nicht in der Lage, ihre elementarsten Interessen durchzusetzen. Das gilt, wenn es um die Verteidigung der Reallöhne geht, um Arbeitszeitverkürzug oder eben um einen Tarifvertrag, der die pädagogische Arbeit mit den Kindern verbessern und die Erzieherinnen und Erzieher entlasten soll. Tarifverhandlungen ohne Streikrecht sind kollektives Betteln, so das Bundesarbeitsgericht einmal in einer früheren Entscheidung. Die Erzieherinnen und Erzieher hatten erkannt, dass sie mit kollektivem Betteln keinen Schritt weiter gekommen wären.
Und dann wurde dem Streik von der Arbeitsgerichtsbarkeit das Licht ausgeblasen, bevor er überhaupt beginnen konnte. Was ist da geschehen? Wie ist das möglich? Soviel dürfte bekannt sein: Es geht um die Friedenspflicht und eine einstweilige Verfügung. Wir wollen das etwas genauer beleuchten.
Friedenspflicht
Zunächst einmal sei kurz in Erinnerung gerufen, was Friedenspflicht ist: Friedenspflicht ist die Verpflichtung der Gewerkschaften, keinen Streik mit dem Ziel zu führen, Inhalte eines Tarifvertrages während seiner Laufzeit zu ändern. Zur Laufzeit: Sie wird in jedem Tarifvertrag festgelegt; das heißt, dass bis zu einem bestimmten, Tarifvertrag festgelegten Zeitpunkt, dem Ende der Laufzeit, ein Tarifvertrag nicht gekündigt werden darf. Diese Friedenspflicht der Gewerkschaften bezeichnet man auch als relative Friedenspflicht, weil sie sich immer nur auf die Inhalte eines bestimmten Tarifvertrages bezieht. Praktisch geht es immer nur um diese relative Friedenspflicht.
Schon aus der Definition der Friedenspflicht ist erkennbar, dass diese Verpflichtung in aller Regel nur eine Tarifvertragspartei trifft, und zwar die Gewerkschaften.
Nach der herrschenden Meinung soll die relative Friedenspflicht zwingend sein, muss also nicht extra vereinbart werden und soll auch nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden können.
Der einseitige Charakter der relativen Friedenspflicht wird dadurch verwischt, dass die Friedenspflicht als Gegenleistung der Gewerkschaften für die Leistung der Arbeitgeber dargestellt wird, einen Tarifvertrag mit den Gewerkschaften abzuschließen. Aber wir hatten schon gesagt, dass die Friedenspflicht nicht auf einer Leistung der Arbeitgeber beruht, sondern zwingend für jeden Tarifvertrag gilt. Es geht hier also nicht um einen Leistung des Arbeitgebers, sondern um eine Leistung durch Gesetz.
In Frankreich gibt es keine zwingende Friedenspflicht und trotzdem werden Tarifverträge abgeschlossen – ohne Friedenspflicht.
Die Friedenspflicht ist also eine einseitige Einschränkung des Arbeitskampfrechts zu Lasten der Gewerkschaften. Es gibt kein Grundrecht der Unternehmer, das dem Freiheitsrecht der Gewerkschaften auf Streik entgegensteht und diese Einschränkung rechtfertigen könnte.
An zwei Beispielen soll die Problematik der Friedenspflicht deutlich gemacht werden:
Konkret entstehen die meisten Konflikt um die Reichweite der Friedenspflicht. Das lässt sich an dem Streit um den Kitastreik veranschaulichen. Das Landesarbeitsgericht meinte, aus dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) lasse sich eine Friedenspflicht herleiten, die den Gewerkschaften nicht erlaube, für einen gesonderten Tarifvertrag ‚Pädagogische Qualität und Entlastung‘ zu streiken. Dabei zog das Landesarbeitsgericht „Regenerationstage“ heran, deren Aufnahme in den TV-L von ver.di erwartet worden sein soll, die aber nicht in den TV-L aufgenommen wurden. Diese Regenerationstage habe ver.di angeblich jetzt wieder für den geplanten Tarifvertrag ‚Pädagogische Qualität und Entlastung‘ gefordert. Die Regenerationstage seien also ein Streikziel.[1]Aus der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts: „Ausgangspunkt dieser Vereinbarung sei die von ver.di geäußerte Erwartung gewesen, die Regelungen zur Entlastung von Erzieherinnen und … Continue reading Tatsächlich sind aber für den von der Gewerkschaft geplanten Tarifvertrag ‚Pädagogische Qualität und Entlastung‘ Regenerationstage nicht vorgesehen und irgendeine Regelung zu Regenerationstagen ist im TV-L nicht zu finden. Regenerationstage sind also weder ein Streikziel noch wurden sie im Tarifvertrag der Länder (TV-L) vereinbart. Daraus eine Friedenspflicht herzuleiten, ist geradezu absurd und ganz unvereinbar mit der bisherigen Rechtsprechung.
Ein weiteres Problem der Friedenspflicht ergibt sich daraus, dass bei einem plötzlichen und unvorhersehbaren Inflationsschub die Beschäftigten weniger in der Tasche haben, ohne dass sie das, solange die Laufzeit des Lohntarifvertrages noch nicht abgelaufen ist, durch höhere Lohnforderungen ausgleichen können. Das hat dann schon zu verbandsfreien Streiks geführt, obwohl auch solche verbandsfreien Streiks, also Streiks ohne Aufruf der Gewerkschaften, nach der herrschenden Meinung verboten sind.
Forderungen
Daraus ergeben sich folgende Forderungen zur Bekämpfung der negativen Wirkungen der Friedenspflicht:
die relative Friedenspflicht als Grundrechtseinschränkung muss von den Gerichten eng ausgelegt werden,
eine zwingende Friedenspflicht ist nicht mit dem Grundrecht auf Streik vereinbar; die Gewerkschaft kann nur Pflichten treffen, die im Tarifvertrag vereinbart wurden;
vielleicht gelingt es den Gewerkschaften dadurch Fakten zu schaffen, dass sie dort, wo es sich anbietet, die Friedenspflicht in Tarifverträgen ausschließen oder zuminest einschränken[2]Däubler Das Arbeitsrecht 1, 1998, 15. überarbeitete Neuauflage, Hamburg, S. 170, Rn. 263.
Einstweilige Verfügung
Den Betriebseigentümern – also den privaten Unternehmern oder dem Staat wie im vorliegenden Fall dem Land Berlin – kommt in ihrem Bemühen, einen Streik zu unterbinden, die Möglichkeit entgegen, beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen. Wegen der Kürze der Zeit – es handelt sich ja schließlich um ein Eilverfahren – kann das Gericht den Fall nicht gründlich prüfen. Außerdem gehen diese Eilverfahren nur bis zur 2. Instanz, also bis zum Landesarbeitsgericht. Eine Überprüfung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts durch das Bundesarbeitsgericht ist im Eilverfahren nicht möglich.
Deswegen werden durch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwei Verfahren angestoßen: In einem ersten „Durchlauf“, prüfen und entscheiden die Gerichte im Eilverfahren und vorläufig. In einem folgenden zweiten Verfahren, dem sogenannten Hauptsacheverfahren, wird die erste Entscheidung überprüft und neu entschieden. Es handelt sich um ein ganz normales Gerichtsverfahren. Dieser zweite „Durchlauf“ kann durch drei Instanzen gehen, eine Überprüfung durch das Bundesarbeitsgericht ist also möglich.
Nach dem, was wir über die Eilentscheidung des Landesarbeitsgerichts zum Kitastreik gesagt haben, ist es wahrscheinlich, dass diese Eilentscheidung in dem Hauptsacheverfahren spätestens vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben wird und ver.di gewinnt.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite haben die Erzieherinnen und Erzieher in den letzten Tagen erlebt: Die vorläufige Entscheidung im Eilverfahren geht sehr schnell – die endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren kann dagegen sehr lange dauern. Und das heißt konkret: Der Streik wird beendet, bevor er überhaupt beginnen konnte – ein Ende auf eine sehr lange Zeit. Das können zwei Jahre sein. Denn solange die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht endgültig aufgehoben wurde, können die Gewerkschaft nicht erneut zum Streik aufrufen. Das gerichtliche Streikverbot ist mit einem Ordnungsgeld verbunden, das bei jedem Verstoß gegen das Verbot erneut verhängt wird. Die Höhe des Ordnungsgeldes beträgt nicht 250.000 €, sondern in der Regel „bis zu 250.000 €“; es beginnt also in einem niedrigen Bereich und erhöht sich bei jedem weiteren Verstoß.
Fazit und Forderungen
Am Ende kann sich das Verbot des Kitastreiks durch das Landesarbeitsgericht als Fehlurteil herausstellen und es ist sogar wahrscheinlich, dass das Verbot als Fehlurteil vom Bundesarbeitsgericht kassiert wird. Trotzdem wurde der Kitastreik auf Jahre hinaus unmöglich gemacht. Damit wird deutlich, um was es geht: Ohne den Streik können wir nicht die Verhandlungsmacht aufbauen, die es erst erlaubt, auf Augenhöhe Tarifverträge mit der Gegenseite auszuhandeln. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass dieses Recht auf Streik dadurch ausgehebelt wird, dass die Unternehmer bzw. das Land Berlin im Eilverfahren ein Streikverbot auf lange Zeit durchsetzen können. Zwei Jahre Streikverbot beenden in der Regel jeden Tarifkampf endgültig. Wenn nach zwei Jahren im Hauptsacheverfahren entschieden wird, dass das Streikverbot rechtwidrig war, sind „alle Messen gesungen.“ Das gilt übrigens auch, wenn am Ende in der Hauptsache die Rechtswidirgkeit eines verbotenen Streiks bestätigt wird. Es kommt nach so lange Zeit nicht mehr darauf an.
Mit der Zulassung von einstweiligen Verfügungen gegen einen Streik ist also das Streikrecht massiv gefährdet. Es wird uns die einzige wirksame Möglichkeit aus der Hand genommen, Verhandlungsmacht aufzubauen, um unsere elementaren Interessen durchzusetzen. Das Streikrecht ist ein Freiheitsrecht und Grundrecht. Es kann sogar als die Mutter aller demokrtischen Rechte bezeichnet werden, wenn man bedenkt, dass vor über 100 Jahren am 9. November die erste deutschlandweite Republik durch einen Streik aus der Taufe gehoben und 1 1/2 Jahre später gegen den Kapp-Lüttwitz Putsch durch einen Streik verteidigt wurde. Es kommt also darauf an, dass wir uns dieses Recht nicht nehmen lassen und es stärken.
In den USA führten die angeführten Gründe gegen die einstweilig Verfügung dazu, dass die Abschaffung von einstweiligen Verfügungen gegen Streiks zu einer der wichtigsten Forderungen der Gewerkschaftsbewegungen wurde[3]Däubler Das Arbeitsrecht 1, 1998, 15. überarbeitete Neuauflage, Hamburg, S. 383, Rn. 642 mit Verweis auf M. Reimann „Der Rechtsschutz gegen den politischen Streik in den USA, RdA 1985, S. 34 … Continue reading. Es wurde ein weitgehendes Verbot einstweiliger Verfügungen bei „labour disputes“[4]das sind arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten , die sich – im deutschen Sprachgebrauch ausgedrückt – auf die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ … Continue reading durchgesetzt.
Zur Möglichkeit der Unternehmer, gegen eine Streik eine einstweilige Verfügung zu beantragen, die nicht von den Gewerkschaften vor dem Bundesarbeitsgericht angegriffen werden kann, hat sich auch der Ausschuss für soziale Rechte (EASR) in seiner jüngsten Stellungnahme von 2022 kritisch geäußert. Der EASR überwacht die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta (ESC) und insbesonderes die Einhaltung des darin gewährleisteten Streikrechts[5]Art. 6 Nr. 4 ESC.
Lässt man weiter einstweilige Verfügungen gegen Streiks zu, so muss die Möglichkeit, einstweilige Verfügungen gegen Streiks zu erlassen, jedenfalls eingeschränkt werden:
einstweilige Verfügungen dürfen nur bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz eines Arbeitgebers zugelassen werden; bloße finanzielle Nachteile genügen nicht[6]Däubler a.a.O. S. 385, Rn. 645,
eine einstweilige Verfügung sollte nur bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit verhängt werden dürfen[7]Däubler a.a.O. S. 384 Rn. 643,
auch bei einer einstweiligen Verfügung muss das Bundesarbeitsgericht im Eilverfahren die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts überprüfen können.
Für die Abschaffung oder Einschränkung von einstweiligen Verfügungen im Falle von Streiks spricht auch, dass das Bundesarbeitgericht entschieden hat, dass eine grundsätzliche Vermutung generell für die Rechtmäßigkeit von gewerkschaftlich organisierten Streiks spricht[8]BAG AP Nr. 47 zu Art. 9 GG (Arbeitskampf). und dass nach dem Bundesverfassungsgericht eine Bewertung durch die Fachgerichte als rechtswidrig grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet und unverhältnismäßig ist. Hintergrund ist, das Art 9 Abs. 3 GG die Wahl der Mittel, die eine Koalition zur Erreichung von Streiks für geeignet hält, grundsätzlich ihr selbst überlassen bleibt.[9]BVerfG v. 10.9.2004 – 1 BvR 1193/03 zu B II b Gründe
Es stellt sich natürlich sofort die Frage, wie diese Forderungen durchgesetzt werden können. Ich glaube, hier gilt das, was für das gesamte Streikrecht gilt. Das Streikrecht muss zunächst vielmehr in den Gewerkschaften diskutiert werden. Solche Entscheidungen, wie die des Landesarbeitsgerichts zum Kitastreik, müssen darüber hinaus in der Öffentlichkeit kritisiert, ja auch skandalisiert werden. Sie dürfen nicht einfach hingenommen werden und, daraus abgeleitet, muss eine Änderung des Rechts, eine Änderung der Rechtsprechung verlangt werden.
Aus der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts: „Ausgangspunkt dieser Vereinbarung sei die von ver.di geäußerte Erwartung gewesen, die Regelungen zur Entlastung von Erzieherinnen und Erziehern in der TV-L aufzunehmen, die ver.di tariflich mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände im Jahr 2022 geregelt hatte (TVöD-VKA). Dazu gehörten u.a. eine monatliche Zulage für Erzieherinnen und Erzieher und jährlich zwei Rehabilitationstage. Im Zuge der Tarifverhandlungen mit der TdL sei über die diesbezüglichen Regelungen aus dem TVöD-VKA verhandelt worden. Ergebnis der Verhandlung sei die Aufnahme der Zulagenregelung in den TV-L gewesen, während sich die Gewerkschaft mit den weiteren Punkten nicht habe durchsetzen können. Da alle Regelungen des TVöD-Pakets Gegenstand der Verhandlungen gewesen seien, sei dieses Paket abschließend geregelt worden. Die aktuellen Streikforderungen seien teilweise in diesem Regelungspaket enthalten, nämlich hinsichtlich der Regenerationstage und hinsichtlich der Vorbereitungszeit. Dadurch werde die Friedenspflicht verletzt“ (https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1493394.php).
Däubler Das Arbeitsrecht 1, 1998, 15. überarbeitete Neuauflage, Hamburg, S. 383, Rn. 642 mit Verweis auf M. Reimann „Der Rechtsschutz gegen den politischen Streik in den USA, RdA 1985, S. 34 ff
das sind arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten , die sich – im deutschen Sprachgebrauch ausgedrückt – auf die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ beziehen
„STOP ARMS EXPORT TO ISRAEL AND UKRAINE! – Keine Waffenlieferungen in die Ukraine und Israel! NO DARK EAGLES – NO NUKES! – Keine Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland und Atomwaffen raus! STOP WARS! – Stoppt das Töten in der Ukraine und im Nahen Osten! Wir bereiten dem US-Präsidenten einen eigenen Empfang und sagen klar: MR. PRESIDENT, YOU ARE NOT WELCOME HERE!!
Ein Interview mit Helma Fries. Seit 1981 ist Helma in der Berliner Compagnie tätig, deren Mitbegründerin sie auch ist. Hier spielte sie in allen Produktionen, ist zusammen mit Elke Schuster künstlerische Leiterin und darüber hinaus verantwortlich für die Stücktexte wie für die Print-Grafik. 2009 erhielt die Berliner Compagnie den nationalen Aachener Friedenspreis.
Helma über sich selber:
Es ist etwas verwirrend,
aber im Grunde ganz einfach: Auf der Bühne und im Film spiele ich Männerrollen (als Gerhard bzw. H.G. Fries); im Alltag jedoch - und laut Amtsgericht Schöneberg ganz offiziell - bin ich
Wie sind wir auf die Idee gekommen, Helma Fries zu einem Gespräch einzuladen.?
Im Zuge der Vorbereitungen der Friedensdemo am 03. Oktober 2024 erhielt die Initiative „1918unvollendete Revolution“ eine E-Mail von Helma Fries, in der sie uns auf Ihr Plakat aus dem Jahre 1981 aufmerksam machte. Zufälligerweise fand ich unter den vielen Teilnehmern der Friedensdemo das Plakat, ohne zu wissen, dass es Helma war.
Auf Ihrer Mail hin, antwortete ich und frug Helma, ob sie für uns etwas über die Plakataktion schreiben würde. Darauf hin war Ihre Antwort, schreiben weniger, jedoch wäre sie für ein Interview bereit. Daraufhin entschieden wir uns zu einem spontanen Theaterbesuch mit anschließendem Interview.
ab 24.30 die Sammlung von Unterschriften von Bischöfen und NATO-Generalen
Foto: Helma Fries, leider gibt es keine besseres Bild vom Plakat
ab 30:57 liest Helma das letzte Zitat von Daniel Ellsberg auf dem Plakat vor:
„Die US-amerikanische Regierung ist zu einem Nuklearkrieg entschlossen. Um sich Rohstoffe und Weltmärkte zu sichern, ist sie – nach den großen Verlusten der USA im Vietnamkrieg – nunmehr bereit, kleine, sog. taktische Atomwaffen ( z.B. die Neutronenbombe) gegen Befreiungsbewegungen und Länder der Dritten Welt einzusetzen, die selber keine Atomwaffen besitzen. Da anzunehmen ist, dass jene Länder mit der UdSSR verbündet sind, soll diese von einem Gegenschlag mit ihren eigenen taktischen Atomwaffen abgeschreckt werden: durch die in Europa aufgestellten Pershing II und Cruise Misseles. Sollte sich die UdSSR davon nicht abschrecken lassen, der USA in einem Land der Dritten Welt atomar zu antworten, würde sie durch die von Westeuropa aus gestarteten Mittelstreckenraketen so hart angeschlagen, dass sie – unterhalb der Selbstmordoption eines Angriffs mit Interkontinentalwaffen auf die USA – nur noch zu einem Gegenschlag auf Westeuropa fähig ist. Der Nuklearkrieg bliebe auf Europa begrenzt; die UdSSR wäre schwer verwundet, Europa eine verseuchte Wüste mit Millionen Toten, die USA aber blieben verschont. Die USA weisen Europa die Funktion eines Puffers zu, der verhindern soll, dass ein begrenzter Atomkrieg in der Dritten Welt zu einem für die USA selbst tödlichen, globalen Nuklearkrieg eskaliert.“
Daniel Ellsberg, vormaliger Präsidentenberater und Atomkriegsexperte des US-Verteidigungsministerium, in einer Rede an der TU Berlin am 29.6.81
Kleine Bildergalerie
Foto: Ingo Müller, Benedikt Hopmann und Helma Fries im Gespräch, 06.10.2024
Das Plakat:
Foto: Ingo Müller
Die Texte der Zitate:
Linke Spalte
„Wir leben in einer Vorkriegs- und nicht in einer Nachkriegszeit“ Eugene Rostow, Leiter der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde der USA, in Playboy 12/82, S. 300
„Die militärischen Planer der USA sind überzeugt, daß es früher oder später zum Krieg zwischen den USA und der UdSSR kommen wird – und dieser Krieg wird ein nuklearer sein. Die Amerikaner gehen davon aus, das der dritte Weltkrieg ebenso wie der Erste und Zweite in Europa ausgefochten wird.“ US-Admiral La Rocque, Frankfurter Rundschau, 29.04.1981
„Das Schlachtfeld des nächsten konventionellen Krieges wird Europa sein und nicht die Vereinigten Staaten“ US-Verteidigungsminister Weinberger, Frankfurter Rundschau, 29.04.1981
„ Es ist einfach eine Tatsache, dass – wie unglücklich und schrecklich das auch für die Welt sein würde – möglicherweise einige Kernwaffen zum Einsatz kommen könnten im Zusammenhang mit einem Krieg, der bis zu jenem Zeitpunkt ausschließlich auf dem europäischen Schauplatz geführt worden wäre.“ US-Verteidigungsminister Weinberger, in einem Fernsehinterview mit der NBC am 27.10.81 nach: Der Plan Euroshima. Aus Reden und Schriften v. R. Reagan, A. Haig, C. Weinberger u.a., Köln 1982, S. 24/25
„Schließlich hat Japan den Atomangriff nicht nur überlebt, sondern hat danach eine Zeit der Blüte erlebt.“ Eugene Rostow, Leiter der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde der USA, nach Robert Scheer: Und brennend stürzen Vögel vom Himmel. Reagan und der „begrenzte“ Atomkrieg, München 1983, S. 157
„Die kommenden Jahre werden für die Sache des Westens entscheidend sein“rief Reagan aus, weil der Kommunismus überwunden werde. Der Präsident will sich nicht mit Anklagen gegen den Kommunismus aufhalten: „Wir werden ihn abschließen als ein trauriges, bizarres Kapitel der Geschichte, dessen letzte Seiten eben geschrieben werden.“ US-Präsident Reagan in einer Rede am 18.05.81 nach Neue Züricher Zeitung vom 21.05.81
„Wie Sie wissen, gehe ich immer wieder auf Eure alten Propheten im Alten Testament und auf die Anzeichen zurück, die Armageddon (die biblische Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse) ankündigen. Ich ertappe mich dabei, dass ich mich Frage, ob wir die Generation sind, die erlebt, wie das auf uns zukommt.“ US-Präsident Reagan nach „Die Welt“ vom 30.10.83
Rechte Spalte
„Die geplante Verlegung des US-Oberkommandos für Europa von Stuttgart-Vaihungen nach Großbritannien begründete NATO Oberbefehlshaber Rogers in einem Hearing des US-Repräsentantenhauses im März 82: „Die Schaffung eines überlebensfähigen Kriegshauptquartiers ist eine dringende Anforderung an das European Command…“ die Tageszeitung vom 17.12.82
Spiegel: „Ist die Stationierung der Pershing II in der Bundesrepublik sowie die Cruise Missiles in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Ländern überhaupt verhandelbar?“ Rostow: „Nein. Dies ist eine Verpflichtung, eine Entscheidung, die von der NATO getroffen wurde…“ Eugene Rostow, Leiter der Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde der USA, „Spiegel“ 30/81
„Der NATO-Plan, 108 Pershing II und 464 landgestützte Cruise Missiles zu stationieren, beabsichtigt nicht, ein Gegengewicht gegen die SS-20 zu schaffen… Die Nato braucht eine gute Anzahl dieser 572 Startrampen, ob nun die Sowjetunion ihre 22-20 bis auf Null abbaut oder nicht.“ Colin S. Gray, Beauftragter Reagans für Abrüstung, in seinem Artikel: „Die Idee der strategischen Überlegenheit“, in Air Force Magazine 3/82, S. 62f.
„Nehmen wir an, es handelt sich um 100 Ziele … wenn wir alle diese 100 Ziele treffen könnten, würden wir jedes Mitglied des Politbüros erwischen, jedes Mitglied des Zentralkomitees, wir würden alle entscheidend wichtige Bürokraten töten, wir würden also dem sowjetischen Huhn den Kopf abschneiden…“ Colin S. Gray in der Washington Post vom 14.05.82
„Grundlage der Atomkriegsstrategie [der USA] wäre die sogenannte Enthauptung, d. h. Schläge gegen die politische und militärische Führung und gegen die Verbindungslinien der Sowjetunion.“ Leitlinien-Dokument des Pentagon, New York Times 30.05,82, nach Blätter für deutsche und internationale Politik 3/83 „Sage niemand, er habe es nicht wissen können“, S. 413
„Es gibt wichtigere Dinge, als im Frieden zu leben.“ US-Außenminister Haig, vor dem Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen 18.1.81 ( s. Blätter für deutsche und internationale Politik 2/81, S. 183f. Und 10781, S. 116f.)
„Die US-amerikanische Regierung ist zu einem Nuklearkrieg entschlossen. Um sich Rohstoffe und Weltmärkte zu sichern, ist sie – nach den großen Verlusten der USA im Vietnamkrieg – nunmehr bereit, kleine, sog. taktische Atomwaffen ( z.B. die Neutronenbombe) gegen Befreiungsbewegungen und Länder der Dritten Welt einzusetzen, die selber keine Atomwaffen besitzen. Da anzunehmen ist, dass jene Länder mit der UdSSR verbündet sind, soll diese von einem Gegenschlag mit ihren eigenen taktischen Atomwaffen abgeschreckt werden: durch die in Europa aufgestellten Pershing II und Cruise Misseles. Sollte sich die UdSSR davon nicht abschrecken lassen, der USA in einem Land der Dritten Welt atomar zu antworten, würde sie durch die von Westeuropa aus gestarteten Mittelstreckenraketen so hart angeschlagen, dass sie – unterhalb der Selbstmordoption eines Angriffs mit Interkontinentalwaffen auf die USA – nur noch zu einem Gegenschlag auf Westeuropa fähig ist. Der Nuklearkrieg bliebe auf Europa begrenzt; die UdSSR wäre schwer verwundet, Europa eine verseuchte Wüste mit Millionen Toten, die USA aber blieben verschont. Die USA weisen Europa die Funktion eines Puffers zu, der verhindern soll, dass ein begrenzter Atomkrieg in der Dritten Welt zu einem für die USA selbst tödlichen, globalen Nuklearkrieg eskaliert.“ Daniel Ellsberg, vormaliger Präsidentenberater und Atomkriegsexperte des US-Verteidigungsministerium, in einer Rede an der TU Berlin am 29.6.81
Im Zangengriff des kapitalistisch-militärisch-medialen US-Imperiums wird die EU volkswirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell verarmt, degradiert, mit Kriegshaushalten überzogen und als Stellvertreter in die tödliche US-Geopolitik einbezogen, auch in einen möglichen 3. Weltkrieg. Das hat eine Vor-Geschichte. Und der Ausweg?
Mit dem Marshall-Plan förderten die USA nach 1945 die Re-Industrialisierung in Westeuropa, aber auch neue Industrialisierung durch US-Konzerne. Die Gelder gab es nur, wenn antifaschistische, linke, kommunistische Parteien und nationalbewußte Politiker wie Charles de Gaulle aus den Regierungen vertrieben oder korrumpiert waren. In Griechenland flossen die Gelder erst, als US-Militär die antifaschistische Befreiungsbewegung niedergebombt und die Monarchie wieder eingesetzt hatte. Der Marshall-Plan förderte den Absatz von US-Produkten, die Anbindung der Währungen an den Dollar. Hinzu kam Hollywood-Kultur und neue kapitalfinanzierte Wissenschaft, zu der z.B. die „Kritische Theorie“ gehörte.
Unternehmen und Banken, die NS-Komplizen und Kriegsgewinnler waren, in Deutschland, aber auch im NS-besetzten West-, Nord- und Südeuropa – und auch in den USA selbst – , wurden weder bestraft noch entflochten noch enteignet. Diese Politik war abgesichert durch hard power: Das von den USA geführte Militärbündnis NATO, verstärkt durch US-Militärstützpunkte in den NATO-Mitgliedsstaaten.1
In Westeuropa, insbesondere im „westlichen Schaufenster“, dem provisorischen Separatstaat Bundesrepublik Deutschland, blühte deshalb nicht nur der alte Reichtum der NS-Kollaborateure. Auch für große Teile der abhängig Beschäftigten entstand ein steigender Wohlstand: Er war aber nur ein Zugeständnis auf Zeit.
Ab 1990 organisierten US-Berater die Umgestaltung der ex-sozialistischen Staaten. In der deutschen Treuhand-Anstalt dominierten McKinsey, Price Waterhouse Coopers, JP Morgan: Die Unternehmen der sozialistischen DDR wurden zu Schleuderpreisen verkauft, nach einigen Jahren verkleinert oder stillgelegt. Mithilfe von EU-Subventionen ersetzten Filialen und Zulieferer westlicher Konzerne die alte Industrie – die Löhne sind auch 30 Jahre später noch niedriger als im „vereinten“ Westdeutschland, junge Menschen wandern aus.
So wurde in den Staaten Osteuropas der Typus des abhängigen Oligarchen-Kapitalismus etabliert: Ausländische Konzerne – Auto-, Energie-, Logistik-, Handels- und Pharmabranche – nutzen die Standorte selektiv für Zulieferfirmen oder Filialen, so etwa der Handelskonzern Amazon. Die Regierungen erlassen Steuern und finanzieren Infrastruktur. Die EU vergibt Subventionen, Gewerkschaften werden geschwächt, Löhne sind niedrig. Die strategischen Entscheidungen fallen im Ausland. Gleichzeitig bilden einheimische Oligarchen privat-staatliche Monopole. Bis zu einem Viertel der arbeitsfähigen Einwohner sind als billige Wanderarbeiter im Ausland unterwegs, saisonal oder dauerhaft, im Bau, in der häuslichen Pflege, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Gastronomie und Prostitution.
Politisch vollzogen wird dies – wie schon bei Marshall-Plan und NATO – durch politisch rechtsgerichtete Regierungen unterschiedlicher Couleur, ob konservativ, liberal oder auch sozialdemokratisch. In Jugoslawien förderten NATO und EU rassistische, rechte bis faschistoide Kräfte und damit die nationalistische Aufspaltung in sechs Kleinstaaten – obwohl dieselben westlichen Propagandisten Nationalismus und Rassismus ansonsten heftig anprangern.2
Priorität NATO: Alle osteuropäischen Staaten wurden zuerst Mitglied der NATO, erst danach durften sie Mitglied der EU werden. Weitere Staaten sind schon Mitglied der NATO, so Nordmazedonien, Montenegro und Albanien. Sie bleiben volkswirtschaftlich verarmt, wichtig als Militärstützpunkte in Richtung Russland.
Nur Russland wehrte sich gegen den US-Zugriff
Zunächst klappte diese Strategie auch gegenüber dem wichtigsten US-Zielstaat, Russland: Der nach 1990 erste, prowestlich-korrupte Präsident Boris Jelzin förderte den Ausverkauf der Unternehmen mithilfe westlicher Investoren und Berater und einheimischer Oligarchen. Die Volkswirtschaft schrumpfte, die Bevölkerung verarmte, Selbstmorde und Alkoholkonsum nahmen zu.
Putin wurde zur Führungsfigur des Widerstands: Der Kapitalismus wurde zwar nicht abgeschafft, wird aber im nationalen Interesse gestaltet. Einige Oligarchen machen mit, einige haben ihren Sitz nach London oder Israel verlegt. Die russische Wirtschaft erholte sich, die NATO blieb draußen: So wurde Russland zum verhetzten Systemfeind – obwohl das NATO-Gründungs-Narrativ „böser Kommunismus“ erstens gefälscht war und zweitens sowieso gegenstandslos ist.
Fazit: Die USA wollen keineswegs die Demokratie und „die freie Marktwirtschaft“ verbreiten, auch nicht „den Kapitalismus“, auch keine volkswirtschaftliche Entwicklung, sondern nur eine selektive Standortpolitik für US- und verbundene westliche Investoren und deren antisoziale private Gewinne. Dies wird abgesichert durch die NATO, zusätzliche US-Militärstützpunkte, US-Berater und -Stiftungen und mithilfe politisch rechter Kräfte.
US-Investoren kaufen europäische Unternehmen
US-Konzerne, Banken und Berater betreiben seit hundert Jahren Filialen in West-Europa, seit 1990 auch in Ost-Europa, so Coca Cola, Ford, General Electric, IBM, Esso, UPS, McDonald’s, JP Morgan, McKinsey. Auch die neuen Digitalkonzerne wie Apple, Microsoft, Google, Amazon, Facebook, Uber, AirBnB und US-Beratungsfirmen wie Accenture und Freshfields betreiben Filialen in EU-Staaten mit führender Stellung in ihren Branchen.
Aber seit der Jahrtausendwende kaufen US-Kapitalakteure bestehende europäische Unternehmen. Private Equity-Investoren wie Blackstone und KKR („Heuschrecken“) sind spezialisiert auf mittelständische Unternehmen. „Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, bilanzierte Stephen Schwarzman, Chef von Blackstone, nach dem Super Return International, dem Treffen von 5.000 Private-Equity-Managern 2024 in Berlin.3
Und die erste US-Kapitalisten-Liga mit BlackRock, Vanguard & Co. ist seit der Finanzkrise ebenfalls auf Einkaufstour. Sie sind nun führende Eigentümer der wichtigsten Unternehmen, Banken, Wohnungskonzerne in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, den Niederlanden usw., auch in der Schweiz. Zum Beispiel sind sie in allen 40 Unternehmen des deutschen DAX vertreten sowie im MDAX.4Die meisten Gewinne gehen in die USA, während die Lebensverhältnisse verteuert und die Arbeitseinkommen gesenkt werden, in der gesamten EU.5
Dafür werden die Regierungen und die EU beraten von US-Firmen wie McKinsey, Accenture, KPMG, PwC, EY, Freshfields, Standard&Poor’s. Beispiel Deutschland: Zusätzlich waren im Jahre 2022 mindestens 179 Ex-Mitarbeiter dieser Firmen im deutschen Bundeskanzleramt, in Bundesministerien und Bundesbehörden als hochbezahlte Mitarbeiter angestellt.6 Im deutschen Wirtschaftsministerium unter dem grünen Minister Robert Habeck wurde eine BlackRock-Managerin aus London zur Leiterin der Grundsatzabteilung ernannt. PwC wurde in diesem Ministerium als offizielle Prüfbehörde installiert: US-Berater entscheiden über staatliche Subventionen an Unternehmen bei der Energietransformation.7
Deshalb haben die seit dem Ende des 2. Weltkriegs jahrzehntelang regierenden Parteien – ob konservativ, christlich, liberal, sozialdemokratisch – die Mehrheiten der abhängig Beschäftigten verarmt, haben immer weiter an Wählerzustimmung verloren, haben als gemäßigte Rechtskräfte das Erstarken neuartiger Rechtskräfte gefördert: übrigens besonders in Staaten, die noch enger mit den USA verbunden sind: In England und Israel.
Obamas wirtschaftlich-militärische Geopolitk
Die US-Regierung unter Barack Obama ließ sich in der Finanzkrise von BlackRock beraten und förderte dessen globale Expansion. Er förderte das US-Frackinggas und machte es zu einer geopolitischen Waffe. Es ist extrem umweltschädlich, es ist zudem für die Anwohner tödlich: Sie sterben früher. Die USA wurden weltgrößter Exporteur. Obama gab dem Gas dafür einen grünen Anstrich: Er ließ es umbenennen in „natürliches“ Gas, Liquified Natural Gas, LNG. So machen auch grüne Parteien und grüne Investmentfonds bei der militärisch unterstützten Geopolitik mit.8
Mit dem Ukraine-Krieg setzten die USA ihre Ziele durch: 1. die EU vom russischen Gas abtrennen und vom viel teureren LNG abhängig machen, 2. die EU-Staaten zusätzlich auf noch höhere Kriegshaushalte festlegen, gegen Russland und China.
Deutschland I: De-Industrialisierung
So nahm die EU die US-Gesetze von 2022 zur Re-Industrialisierung der USA ohne Kritik hin: Den Inflation Reduction Act (IRA) und den CHIPS and Science Act.
So schließen energieintensive Chemiekonzerne Abteilungen in Deutschland. Bayer verlagert vor allem in die USA. BASF erweitert mit 10 Milliarden Euro den schon bestehenden, großen Standort in China – dort erweitern auch Covestro und Wacker ihre Produktion. Der erfolgreichste deutsche Heizungsbauer, Viessmann, wurde vom US-Konkurrenten Carrier gekauft. Thyssen-Krupp will – trotz zwei Milliarden an staatlichen Subventionen – tausende Beschäftigte bei der Stahltochter entlassen und den tschechischen Investor Kretinsky beteiligen. US-“Heuschrecken“ kaufen Mittelständler, andere Mittelständler machen pleite.9 US-Berater dominieren beim Arrangement von Käufen und Umstrukturierungen.10
Zwei führende deutsche Industriebranchen werden abgeschrumpft: Die Autokonzerne halten sich noch durch Produktion und Verkauf von Luxusautos, in den USA und vor allem in China; die Zulieferer werden in die USA, nach Osteuropa oder China ausgelagert, oder machen dicht, wenn sie beim e-Auto nicht mitkommen. VW will erstmals in Deutschland Werke schließen, Beschäftigte entlassen, den jahrzehntelangen Vertrag mit der Gewerkschaft beenden. Ähnliches gilt für den Maschinen- und Anlagenbau.11
Deutschland II: Re-Industrialisierung
Aber auch die Re-Industrialisierung steht unter US-Regie. Apple, Google, Microsoft, Palantir & Co. übernehmen noch mehr die Digitalisierung von Unternehmen, Finanzen, Handel, Medien, Schulen, Wissenschaft, Gesundheit, Infrastruktur und Behörden. Apple, Amazon und Microsoft errichten neue Datenzentren und Clouds. Google führt bei den transatlantischen Unterseekabeln.12
Der Pharmakonzern Eli Lilly baut eine neue Fabrik in Rheinland-Pfalz. Intel baut im strukturschwachen Ostdeutschland die größte Chipfabrik Europas – die 10 Milliarden Euro an Subventionen kommen aus allen öffentlichen Haushalten, von der EU, von der deutschen Regierung, von der Landesregierung Sachsen-Anhalt und von der Stadt Magdeburg. Intel lässt sich aber gleichzeitig neue Chipfabriken in Polen und Israel subventionieren.
Der größte Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan, baut ebenfalls im de-industrialisierten Ostdeutschland eine hochsubventionierte Chipfabrik – die europäischen Konzerne Bosch, Infineon und NXP dürfen mit 10 %-Anteilen mitmachen. Tesla hat die weitaus größte, subventionierte Fabrik für e-Autos in Deutschland errichtet und will weiter ausbauen, im strukturschwachen Brandenburg.13 Der US-Chiphersteller Wolfspeed baut eine Fabrik im Saarland, wo die Stahlwerke geschlossen wurden. Wie in den DAX-Unternehmen sind BlackRock&Co. auch führende Aktionäre in den genannten US-Konzernen, aber auch bei TSMC.
Zur Re-Industrialisierung unter US-Dominanz gehört auch die Rüstung. So steht der größte Rüstungskonzern in Deutschland, Rheinmetall, der in den letzten Jahren besonders stark expandierte, nach 150 Jahren deutscher Tradition jetzt unter US-Regie: Der größte Aktionär heißt nun BlackRock, danach folgen Bank of America und Goldman Sachs.
Gleichzeitig bleiben elementare industrielle Strukturen Deutschlands auf dem Niveau kolonial verarmter Staaten:
*Das staatliche Bahnunternehmen Deutsche Bahn hat zu wenig und zu alte Schienen; Stellwerke und elektrische Oberleitungen sind ständig reparaturbedürftig – Zugausfälle und stundenlange Verspätungen sind tägliche Erfahrung von Millionen Kunden.
*Etwa 10.000 Brücken, die meist noch aus der Nachkriegszeit stammen, sind marode, aber nur einige Dutzend werden in jahrelangen Verfahren mühsam saniert, vorrangig für Militärtransporte.14
*Die atomaren Abfälle liegen in 16 Zwischenlagern, teilweise in maroden ehemaligen Bergwerken, teilweise ungenehmigt. Das Endlager soll jetzt bis 2074 gefunden werden.15
*Großprojekte wie der Bahnhof Stuttgart, der Flughafen Berlin, das Kölner Opern- und Theaterhaus und Renommier-Hochhäuser ausländischer Investoren ziehen sich jahrzehntelang hin, verteuern sich unkalkulierbar.
*Miet- und Eigentumswohnungen werden kaum mehr gebaut, die bestehenden werden verteuert, die Obdachlosigkeit steigt.
„Leuchtturm des Kapitalismus“: Spaltung arm – reich
BlackRock koordiniert den Wiederaufbau der Ukraine: Sie soll, so Vorstandschef Lawrence Fink, digitalisiert und entbürokratisiert zum „Leuchtfeuer für die Kraft des Kapitalismus“ werden.16 Je mehr vorher zugunsten von BlackRock-Aktionären zerstört wird – BlackRock gehört zu den führenden Aktionären der Rüstungs-, Energie-, Digital- und Frackingindustrie der USA -, desto lukrativer ist die Re-Industrialisierung der Ukraine.
Durch die Kriegshaushalte der europäischen NATO-Staaten werden die abhängig Beschäftigten noch mehr verarmt: Die Arbeitsverhältnisse werden noch mehr flexibilisiert, verbilligt, entrechtet – Ältere werden vorzeitig ausgesondert; immer mehr Überstunden werden nicht bezahlt. Junge willige Fachkräfte werden nicht mehr vorrangig aus Osteuropa geholt, sondern aus noch ärmeren Drittstaaten wie Indien, Argentinien und Marokko. Lebensmittel, Energie, Mieten, Mobilität, Krankheitsbehandlungen und Medikamente, Altersheime werden verteuert, die Renten werden abgesenkt und privatisiert, die Lebenserwartung sinkt.17 Dies trifft auch die jahrzehntelang als systemrelevant gehätschelte middle class, in den USA schon seit drei Jahrzehnten, in den reichen EU-Staaten einige Zeit später.
Gleichzeitig kommen die neuen Aufsteiger im Gefolge von BlackRock&Co. zusammen mit ihrer zivilen Privatarmee der Berater, ihrer politischen Mittäter und deren „neuen Werte“ der egoistischen Ich-Inszenierung zu neuem, elitärem Reichtum. BlackRock&Co. anonymisieren ihre superreichen Geldgeber mithilfe von Briefkastenfirmen in einem Dutzend Finanzoasen zwischen den Cayman Islands, Luxemburg und Amsterdam und verarmen damit die westlichen Staaten, die sich immer mehr überschulden, auch durch immer mehr Schattenhaushalte, ohne Aussicht auf reguläre Rückzahlung – die USA an erster Stelle: Gleichzeitig verlangen und erhalten die führenden Kapitalisten beispiellos hohe staatliche Subventionen.
Der Ausweg: Souveränitäten und Kooperationen
Die anhand von Deutschland verdeutlichte Logik wuchert abgeschwächt und unterschiedlich in der ganzen EU. Deshalb warnte die Chefin des größten italienischen Unternehmens, ENI (Erdöl, Energie), Emma Marcegallia, vor dem G-7-Treffen 2024: „Wenn wir so weitermachen, werden wir unseren Wohlfahrtsstaat nicht aufrechterhalten, an den Technologiesprüngen scheitern und unsere Lebensqualität verlieren.“18
Deshalb brechen Widersprüche auf, noch verhalten: Die deutschen Autokonzerne VW, BMW und Daimler lehnen die von der EU geplanten Strafzölle auf China-Importe ab.19 Spanien, Frankreich und Belgien importieren Gas aus Russland. Serbien beschloss mit China 2024 eine Schicksalsgemeinschaft und einen Freihandelsvertrag, China baut die Bahnverbindung zwischen den Hauptstädten Budapest und Belgrad. Spanien, Irland und Norwegen erkennen Palästina als eigenen Staat an. China baut eine Batteriefabrik in Ungarn, die beiden Staaten bauen ihre Kooperationen aus, Regierungschef Viktor Orban verhandelt gegen die Spitze der EU mit der Ukraine, Russland und China über einen Waffenstillstand in der Ukraine.20
US- und EU-Sanktionen werden immer erfindungsreicher umgangen. Indien wurde zum größten Zwischenhändler der sanktionierten russischen Energie. Nach zwei Jahren westlicher Sanktionen überholte Russland Mitte 2024 die USA als Gaslieferant in Europa und blüht wirtschaftlich auf.21
Eigentlich müssen die unregulierten Schattenbanken BlackRock & Co. und ihre neuartigen Monopole reguliert, entflochten, enteignet, in Gemeineigentum überführt werden. Aber dies sind bisher nur vereinzelte Stimmen. Sogar der US-orientierte European Council on Foreign Relations (ECFR) stellte fest, nach einem Jahr Ukraine-Krieg: „Europa als US-Vasall – das ist unklug für beide Seiten“, und, so der ECFR: Nur die VR China wolle und könne „die internationale Ordnung neu gestalten, wirtschaftlich, diplomatisch, militärisch, technologisch“; China sei zudem „das Herzstück vieler kritischer Lieferketten, von denen die USA und ihre Verbündeten abhängen“.22
Wobei „China“ eben nicht nur den Staat China bedeutet, sondern auch die kontinentalen Formate SCO (Asien), CELAC (Lateinamerika), FOCAC (Afrika), 14+1 (Osteuropa) und vor allem BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika mit inzwischen weiteren Staaten wie VAE, Ägypten, Iran – und alle ohne chinesische Militärstützpunkte – im systemlogischen Unterschied zur militärisch begleiteten, kriegstreibenden Globalisierung nach US-Muster.
Selbst das Forschungsinstitut der deutschen Unternehmer stellt fest: Es war und ist die nationale Souveränität, die Chinas Aufstieg zur erfolgreichsten Volkswirtschaft ermöglicht hat.23 Also: Deutschland, Frankreich, Europa – auf zur Souveränität!
*Raus aus der NATO!
*Raus mit den US-Militärstützpunkten!
*Raus aus den Rüstungs- und Kriegshaushalten!
*Europäische Sicherheit mit Russland!
*Industrielle und Handels-Kooperationen mit den aufbrechenden Staaten, die sich in internationalen Formaten wie BRICS organisieren!
*Ausbau der öffentlichen Infrastruktur!
*BlackRock & Co. und ihre Unternehmen wie Amazon, Apple, Microsoft, Facebook & Co. regulieren, entflechten, enteignen, die sinnvollen Teile in national und sozial gestaltetes Eigentum überführen!24
Aktuelle Buchveröffentlichung zum Thema: Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft.
Verhängnisvolle Freundschaft Wie die USA Europa eroberten Erste Stufe: Vom 1. zum 2. Weltkrieg
„Dieser Beitrag erschien zuerst im „Freidenker Nr. 3-24 und wir bedanken uns bei Werner Rügemer zur Verfügungstellung seines Beitrag für unsere Webseite“
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat ihre tiefe Besorgnis über die „unverhältnismäßig harte Behandlung“ von Julian Assange zum Ausdruck gebracht und erklärt, das diese einen „gefährlichen Abschreckungseffekt“ ausübe, der den Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie Whistleblowern auf der ganzen Welt untergrabe.
Bei der Verabschiedung einer Entschließung, die auf einem Bericht von Thórhildur Sunna Ævarsdóttir (Island, SOC) beruht, erklärte die Versammlung, die Behandlung Assanges rechtfertige seine Einstufung als „politischer Häftling“ gemäß der 2012 vereinbarten Definition. Sie verwies dabei auf die schweren Anschuldigungen, die von den Vereinigten Staaten von Amerika gegen ihn erhoben wurden und die ihn – in Verbindung mit seiner Verurteilung nach dem US-Spionagegesetz – dem Risiko einer lebenslangen Haftstrafe aussetzen, „wegen etwas, das im Wesentlichen aus der Sammlung und Veröffentlichung von Informationen bestand“.