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Präsidentin des Bundesarbeitsgericht zum Streikrecht

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27. April 2024: In einem Interview im Neuen Deutschland nimmt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, zum Streikrecht Stellung. Bemerkenswert ist, dass Inken Gallner ausdrücklich darauf hinweist, dass das Bundesarbeitsgericht “in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2002 und 2007 mit Blick auf völker- und menschenrechtliche Garantien zweimal die Frage des Verbots politischer Streiks mit Bezügen zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berührt.” Die Präsidentin des Bundesarbeitsgericht fährt dann fort: “Über die Frage wurde aber nicht tragend entschieden.”[1]Die Frage im ND: “An dieser Trennung zwischen politischen und tarifbezogenen Streiks gibt es allerdings auch Kritik, beispielsweise von Theresa Tschenker”. Die Antwort von Inken Gallner: … Continue reading

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts bezieht sich auf folgenden Satz in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgericht aus dem Jahr 2002: “Dabei mag die generalisierende Aussage, Arbeitskämpfe seien stets nur zur Durchsetzung tarifvertraglich regelbarer Ziele zulässig, im Hinblick auf Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC einer erneuten Überprüfung bedürfen.[2]BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 342/83. Diese Auffassung wiederholte das BAG in einer Entscheidung vom 2007.

Die Präsidentin des BAG gibt, den Hinweis, dass über diese Frage bisher “nicht tragend” entschieden wurde. “Nicht tragend” heißt: Das BAG hat seit 2002 keinen Fall entschieden, in dem es darauf ankam, ob Arbeitskämpfe nur zur Durchsetzung von tariflich regelbaren Zielen zulässig sind. Vor diesem Hintergrund war es eine krasse Fehlentscheidung, dass das Landesarbeitsgericht die Revision beim Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen hat. Ebensowenig ist nachvollziehbar, dass das Bundesarbeitsgericht unsere Beschwerde gegen die Nichtzulassung zurückwies.

Im Rechtsstreit der Gorillas – Beschäftigten geht es zwar nicht unmittelbar um den politischen Streik. Jedoch beruht das angebliche Verbot des verbandsfreien Streiks ebenfalls auf dem Argument, der Arbeitskampf sei ausschließlich zur Durchsetzung von Tarifverträgen zulässig. Der Streik der Gorillas war nicht auf einen Tarifvertrag gerichtet. Die Frage war also: War er trotzdem erlaubt?

Der Rechtsstreit der Gorillas – Beschäftigten liegt inzwischen beim Bundesverfassungsgericht.

References

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1 Die Frage im ND: “An dieser Trennung zwischen politischen und tarifbezogenen Streiks gibt es allerdings auch Kritik, beispielsweise von Theresa Tschenker”. Die Antwort von Inken Gallner: “Ja, die These lautet, dass ein politischer Streik erlaubt ist, wenn er auf ein rechtmäßiges politisches Ziel gerichtet ist, das einen Bezug zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hat. Dabei geht es auch um die Kontroverse zwischen Wolfgang Abendroth und Ernst Forsthoff in den 1950er-Jahren. Man kann das damals für die Arbeitgeberinnenseite verfasste Gutachten von Forsthoff so verstehen, dass Bürgerinnen nur bei Wahlen Einfluss auf politische Entscheidungen haben sollten. Ein politischer Streik wäre dann ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Auch der spätere erste Präsident des BAG Hans Carl Nipperdey hatte sich in einem Gutachten gegen die Rechtmäßigkeit politischer Streiks ausgesprochen. Die Gegenansicht von Abendroth, der das Gutachten für den DGB verfasst hatte, konnte sich in der Rechtsprechung nicht durchsetzen. Allerdings hat das BAG in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2002 und 2007 mit Blick auf völker- und menschenrechtliche Garantien zweimal die Frage des Verbots politischer Streiks mit Bezügen zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berührt. Über die Frage wurde aber nicht tragend entschieden.”, zitiert nach nd v. 27.4.2024
2 BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 342/83