(Referat Ewald Leppin von der Ag-Berufsverbote)
Zeitenwende Demokratieabbau
Seit Anfang der 1980er-Jahre gab es kaum noch Berufsverbote, die Ländererlasse wurden nicht mehr angewendet. Die flächendeckende Regelanfrage beim Verfassungsschutz wurde ab 1979 eingestellt
Wir waren überrascht, als der EuGH 1995 im Fall der Lehrerin Dorothea Vogt feststellte, dass das Land Nds Rechtsbruch (Meinungs- und Vereinigungsfreiheit) begangen hatte. Das Land Niedersachsen musste Dorothea wieder einstellen und ihr eine fünfstellige Entschädigungssumme zahlen. Leider hatte dieses Urteil keinerlei Präzedenzwirkung für die vielen anderen ungelösten Berufsverbotsverfahren.
Michael Csaszkocy bekam 2003 wegen antifaschistischer Tätigkeiten in BA-Wü Berufsverbot. Er musste nach einem gewonnenen Prozess wieder eingestellt werden und bekam eine höhere Abfindung.
In den 2010er Jahren kamen bei uns große Hoffnungen auf, dass es zu einer Rehabilitierung der ehemals Betroffenen kommen könnte. Erst in Bremen (2012), dann in Niedersachsen (2016) und in Hamburg (2018 [und nachgezogen auch in Berlin (2021) ] gab es Parlamentsbeschlüsse, die ein Bedauern des Vergangen ausdrückten und eine Bereitschaft signalisierten, kritisch die Vergangenheit aufzuarbeiten. Im Landtagsbeschluss Niedersachsen hieß es z.B., „dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaats sein dürfen“ Aber das Wort „Entschuldigung“ tauchte in keinem dieser Beschlüsse auf, aus „gutem“ Grund: denn das hätte die Möglichkeit der Einforderung von materieller Entschädigung eröffnet.
Aber parallel dazu setzte in den die 2010er Jahren mit Gründung der AfD eine entschiedene Rechtsentwicklung ein, die bis heute anhält. Ein Symptom für diese gefährliche Entwicklung war der Zulauf zu den allwöchentlichen Demonstrationen der volksverhetzenden, rassistischen Pegida. Gleichzeitig wurde unter der Verfassungsschutz-Präsidentschaft des rechtsoffenen ultrakonservativen H.-G. Maaßen (CDU) die Kompetenzen für den VS und die Mittelzuwendung erhöht. Der zuständige Inne- und Heimatminister und Orban-Freund Horst Seehofer (CSU) konnte 2016 unbehelligt davon reden, dass die Migration die „Mutter der Probleme“ der Nation sei. Maaßen hat wesentliche Anteile daran, dass die Verwicklung des VS in die NSU-Morde nicht aufgeklärt werden konnten. Er musste 2018 gehen, als er die Hetzjagd gegen Migrant:innen durch einen faschistischen Mob in Chemnitz zu verharmlosen versuchte.
In Bayern gab es bereits seit den 1990er-Jahren einen Fragebogen zur Überprüfung der Verfassungstreue. Der erste Testfall der neueren Generation von Berufsverboten war 2016 die Verweigerung einer Stelle an der Uni München wegen DKP-Mitgliedschaft von Kerem Schamberger. Mit breiter Unterstützung, auch aus der Uni München heraus, konnte der Testübergriff nach kurzer Zeit abgewehrt werden.
Bundesinnenminister Horst Seehofer ließ Anfang 2019 prüfen, ob die Mitgliedschaft in „extremistischen“ Parteien mit einer Beamtentätigkeit vereinbar sei. Die Hausjuristen stellten fest : ja, ist vereinbar.
In der Pandemie schien es gute Gründe zu geben, demokratische Rechte drastisch einzuschränken. Wir müssen heute selbstkritisch prüfen, ob nicht dadurch der Rechtsstaat nachhaltig beschädigt worden ist.
Im Ampel- Koalitionsvertrag von 2021 wurden Sicherheitsüberprüfungen von Bewerberinnen und Bewerbern gefordert, um zu verhindern, dass sich „Rechtsextremismus, Islamismus, Verschwörungsideologien und Linksextremismus“ im Öffentlichen Dienst verbreiten konnten, verbunden mit einem weiteren Ausbau des VS.
2024 ging es dann mit hohem Tempo weiter:
- Eine Bundesdisziplinarrechts-Verschärfung (2024), die Entlassungen mittels bloßer „Disziplinarverfügung“ ohne gerichtliches Verfahren ermöglicht, mit der Beweislast bei dem Beschuldigten.(März 2024
- Brandenburg hat per Gesetz einen „Verfassungstreuecheck“ eingeführt, der eine Regelanfrage beim VS vorsieht. Wie in alten Zeiten trifft der VS wieder die Vorentscheidung über die Verfassungstreue von Bewerber:innen Die Betroffenen müssen nachweisen, dass sie keine Verfasssungsfeinde sind (Beweislast-Umkehr).
- Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein haben zum Jahresbeginn kundgetan , dass sie das Disziplinarrecht verschärfen wollen, um „radikale“ und vermeintlich „verfassungsfeindliche“ Beamt:innen schneller aus dem Dienst entfernen zu können. Auch in diesen Fällen ist demokratische Wachsamkeit angezeigt, denn staatliche Überwachung und die Möglichkeit von Behördenwillkür nimmt zu, Datenschutz nimmt abund übereinstimmend geht es wiederum um Beweislastumkehr.
So ist es sicherlich kein Zufall, dass es in jüngster Vergangenheit zu neuen Berufsverboten gekommen ist.
Ich will jetzt den Berichten der eingeladenen, von politischer Disziplinierung Betroffenen (Inés, Luca und Benni), nicht vorgreifen. Aber vorweg lässt sich konstatieren (zumal unter Einbeziehung wenn frau/man den jüngsten Fall Lisa Poettinger (Bayern) mit einbezieht:
Es wird wieder Gesinnung überprüft, um demokratisches Engagement zu bestrafen:
Es werden wieder Denk- und Sprechverbote erteilt; allein die Verwendung von Begriffen wie Faschismus, Kapitalismus, Profitmaximierung oder sich Gedanken über die Aktualität von politischen Streiks zu machen, soll bereits den Verdacht belegen können, dass ein/e Bewerber:in Verfassungsfeind:in sei. Das ist ein Skandal!
Wer Kritik an der Verfassungswirklichkeit äußert, wird zum Verfassungsfeind erklärt.
Wer gegen Klimakrise und Sozialabbau , gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit kämpft und sich für betriebliche und gewerkschaftlich Interessenvertretung einsetzt, soll kriminalisiert werden.
Nein, ein Zufall ist es nicht, dass wir es seit einigen Jahren wieder mit neuen Berufsverbotsfällen zu tun haben. Eine Zeitenwende im Abbau demokratischer Rechte ist längst im Gange.
Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren!
Mit der GEW und den anderen DGB-Gewerkschaften: Gegen Berufsverbote die Demokratie stärken!