Am 26. September 2021 fand der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin eine Mehrheit von 57,6 Prozent der abgegebenen Stimmen (amtliches Endergebnis vom 22.02.2022).
Der Senat von Berlin hat daraufhin am 29. März 2022 die Expertenkommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ einberufen. Die Kommission hat laut Senatsbeschluss u.a. den Auftrag, die Verfassungskonformität einer möglichen Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände in Berlin, wie in dem Volksentscheid vorgesehen, zu untersuchen.
Die Kommission setzt sich zusammen aus 13 Mitgliedern mit unterschiedlicher fachlicher Expertise.
Die Mitglieder der Expertenkommission sind:
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (Bundesministerin der Justiz a.D.), Vorsitz
Prof. Dr. Thorsten Beckers (Bauhaus-Universität Weimar)
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner (Universität Bonn)
Prof. Dr. Michael Eichberger (Bundesverfassungsrichter a.D.)
Prof. Dr. Isabel Feichtner (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)
Prof. Dr. Susanne Heeg (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Prof. Dr. Anna Katharina Mangold (Europa-Universität Flensburg)
Prof. Dr. Christoph Möllers (Humboldt-Universität zu Berlin)
Aysel Osmanoglu (GLS Bank)
Prof. Dr. Florian Rödl (Freie Universität Berlin)
Prof. Dr. Christian Waldhoff (Humboldt-Universität zu Berlin)
Dr. Tim Wihl (Universität Erfurt)
Gemäß § 4 Abs. 4 ihrer Geschäftsordnung erstellt die Kommission „Zwischenberichte über die bisher geleistete Arbeit“, die öffentlich zugänglich gemacht werden.
Mit dem hiermit vorgelegten Zwischenbericht informiert die Kommission den Berliner Senat und die Öffentlichkeit über den Stand ihrer Diskussionen.
A. Bisheriger Arbeitsprozess
Die Kommission hat sich am 29. April 2022 konstituiert und seitdem in etwa monatlichem Turnus an insgesamt sechs Terminen getagt, jeweils zweitägig: am 9./10. Juni, am 21./22. Juli, am 22./23. August, am 27./28. Oktober, am 24./25. November und am 8./9. Dezember 2022. Tagungsort der ordentlichen Sitzungen waren bisher das Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-
Dahlem und das Hotel Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte. Die Protokolle der Sitzungen sind in anonymisierter Form auf der Webseite der Kommission zugänglich.
Im Rahmen der ersten ordentlichen Sitzung am 9./10. Juni 2022 fand in den Räumlichkeiten der „Stattwerkstatt“ am Alexanderplatz eine öffentliche Anhörung von Experten statt zur Situation am Berliner Mietwohnungsmarkt. Eine Aufzeichnung der Anhörung und die Dateien der Vortragspräsentationen sind über die Webseite der Kommission zugänglich. Am zweiten Tag der Sitzung wurde
die Beratung über die Geschäftsordnung der Kommission abgeschlossen und diese einstimmig verabschiedet. Weiterhin wurde ein Arbeitsprogramm für die rechtliche Diskussion beschlossen. Geschäftsordnung und Arbeitsprogramm sind über die Webseite der Kommission zugänglich.
In der zweiten Sitzung am 21./22. Juli standen einerseits erstmals rechtliche Fragen im Mittelpunkt (unten sub C. I., II. 2., 4.-6.). Zudem erhielt die Kommission aus der eigenen Reihe einen Einblick in die institutionenökonomische Perspektive auf die Differenz von privat- und gemeinwirtschaftlicher Bereitstellung von Infrastrukturen und anderen öffentlichen Gütern. Diese könnte nach Auffassung einiger Kommissionsmitglieder auch rechtliche Implikationen haben für die Voraussetzungen einer Vergesellschaftung und die Bemessung der angemessenen Entschädigung.
In der dritten Sitzung vom 22./23. August wurden die in der vorangegangenen Sitzung diskutierten rechtlichen Fragen noch einmal vertieft erörtert und zudem weitere Punkte (unten sub C. II. 1., 3., 7.) diskutiert.
In der vierten Sitzung vom 27./28. Oktober wurde die Diskussion nach Maßgabe des Arbeitsprogramms fortgesetzt (unten sub C. IV. und VIII.). Weiterhin wurde beraten und Beschluss gefasst über eine interne Anhörung von Experten im Feld des Gesellschaftsrechts am 25. November.
In der fünften Sitzung vom 24./25. November wurden einerseits weitere Punkte aus dem Arbeitsprogramm behandelt (unten sub C. V., VI. und VII.). Zum anderen fand die interne Anhörung gesellschaftsrechtlicher Experten statt. Gegenstand der Anhörung war die Frage der Bestimmung und Aufklärung der Zurechnung von Grundstücken mit Wohnbebauung zu wirtschaftlich-faktisch Verfü-
gungsberechtigten. Der Verlauf der Anhörung ist im Protokoll dokumentiert und nach dessen Genehmigung über die Webseite der Kommission öffentlich zugänglich. Für die Kommission wurde im Zuge der Anhörung deutlich, dass die faktische Ermittlung der maßgeblichen Grundstücksbestände einige Schwierigkeiten aufwirft, die der Berliner Gesetzgeber womöglich mit einem Vorschaltgesetz angehen müsste. In der Substanz sollen die Empfehlungen der Kommission in diesem Zusammen-
hang auf der Sitzung im Januar oder Februar 2023 beraten werden.
In der sechsten Sitzung vom 8./9. Dezember wurde die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs diskutiert, wozu weitere Beratungen folgen werden. Des Weiteren fand eine öffentliche Anhörung mit Sachverständigen zur Struktur des Berliner Wohnungsmarktes einschließlich der Arten der Immobilienbewirtschaftung sowie den Auswirkungen einer Vergesellschaftung statt. Eine Aufzeichnung der Anhörung ist auf der Webseite der Kommission abrufbar.
B. Weitere Planung
Die nächste Sitzung der Kommission wird am 12./13. Januar 2023 stattfinden. Auch für diese Sitzung hat die Kommission neben der Fortsetzung der rechtlichen Diskussion eine Experten-Anhörungen angesetzt. Sie betrifft Recht, Theorie und Praxis von Methoden der Immobilienbewertung. Auch diese Anhörung wird in einem ersten Teil im Wege des digitalen Zugangs öffentlich stattfinden.
Für den weiteren Verlauf des Jahres hält die Kommission an ihren Plänen fest, namentlich den Sitzungsterminen und dem anvisierten Termin zur Abgabe eines Abschlussberichts binnen Jahresfrist nach der konstituierenden Sitzung. Dies geschieht ungeachtet der nun anstehenden Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Denn die Volksabstimmung war nicht Gegenstand des Anfechtungsverfahrens und für die vom Senat eingesetzte Kommission ist das parlamentarische Prinzip der Diskontinuität nicht maßgeblich.
C. Stand der rechtlichen Diskussion
Der Gang der Diskussion innerhalb der Kommission folgt dem beschlossenen Arbeitsprogramm. Dieses ist in seiner Gestalt einer verfassungsrechtlichen Prüfung ähnlich. Die bisherigen Erträge zu den behandelten Punkten – die Erträge beinhalten Konsense, Dissense und offene Punkte – lassen sich in der inhaltlichen Offenheit, die für einen Zwischenbericht geboten ist, wie folgt zusammenfassen:
I. Gesetzgebungskompetenz
Hinsichtlich der Materie ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG einschlägig. Die Vergesellschaftung von Grund und Boden unterfällt hiernach der konkurrierenden Gesetzgebung. Der Bund hat von seiner Kompetenz bisher keinen Gebrauch gemacht. Damit besitzt das Land Berlin nach Art. 30, 70, 72 Abs. 1 GG die Kompetenz zur Regelung einer Vergesellschaftung von in Berlin belegenen Grundstücken.
Es wurde in diesem Zusammenhang erwogen, ob der Bund mit der Regelung zur Mietpreisbremse (§§ 556d ff BGB) auch eine Landesgesetzgebung sperre, die mittels einer Vergesellschaftung von Grund und Boden jedenfalls auch der Dynamik der Mietpreisentwicklung entgegenwirken will. Innerhalb der Kommission wird eine solche Sperrwirkung nach derzeitigem Diskussionsstand verneint.
Weiterhin kam in der Kommission zur Sprache, dass das Gesetz auch Regelungen enthalten dürfte zum rechtlichen Schicksal schuldrechtlicher Nutzungsrechte und zum Schicksal dinglicher Rechte, die von einer Vergesellschaftung nicht berührt werden sollen. Diese Regelungen sind an sich der Materie des bürgerlichen Rechts zuzuordnen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG). Von seiner konkurrierenden
Gesetzgebungskompetenz für diese Materie hat der Bund im Wesentlichen abschließend Gebrauch gemacht. Die Kommission ist jedoch derzeit der Auffassung, dass dennoch eine Landeskompetenz für diese Regelungen besteht kraft Sachzusammenhangs zur Materie der Vergesellschaftung.
Unter der Überschrift der (intraföderalen) Kompetenz wurde auch die mögliche räumliche Reichweite eines Berliner Gesetzes erörtert. Diese erstreckt sich jedenfalls auf das eigene Territorium des Landes Berlin. Erfasst sind damit alle im Land Berlin belegenen Grundstücke. Demgegenüber würde die räumliche Reichweite eines Berliner Gesetzes verfassungsrechtlich problematisch, wenn
das Gesetz nicht die Vergesellschaftung von Grundstücken, sondern die Vergesellschaftung der Unternehmen selbst zum Gegenstand hätte. Dies setzte zunächst unter Art. 15 S. 1 GG voraus, dass eine Vergesellschaftung des dort genannten Gegenstands „Produktionsmittel“ auch Unternehmen selbst erfassen kann. Diese Frage ist in der rechtswissenschaftlichen Diskussion sehr umstritten.
Wenn man sie denn bejahte, kämen unter dem Aspekt der räumlichen Reichweite zunächst einmal nur Unternehmen mit Sitz in Berlin in Betracht. Unternehmen mit Sitz in einem anderen Bundesland zu vergesellschaften, ist nach Auffassung einer Reihe von Kommissionsmitgliedern ausgeschlossen und wirft nach einhelliger Auffassung aller Mitglieder jedenfalls eine Vielzahl anspruchsvoller und umstrittener Fragen auf. Diesen wird sich die Kommission nicht weiter zuwenden. Denn der Volks-
entscheid war auf die Vergesellschaftung von in Berlin belegenem Grund gerichtet.
II. Art. 15 GG1. Regelungscharakter
Hinsichtlich des grundlegenden Regelungssinns werden in der Kommission im Wesentlichen zwei Auffassungen vertreten.
Nach der einen Auffassung handelt es sich bei Art. 15 GG um eine besondere Eingriffsbefugnis eines Gesetzgebers. Im Falle der Vergesellschaftung von Grund und Boden gehe es um Eingriffe in Grundstücksrechte. Dabei bestehe der Eingriff regelmäßig in der Entziehung der Rechte vergleichbar einer Enteignung im Sinn von Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG (so wie es die Initiatoren des Volksentscheids, die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, auch anvisiert haben). Insoweit, für die sog. expropriative Vergesellschaftung, wird Art. 15 GG von Kommissionsmitgliedern auch als spezialgesetzliche Regelung zu Art. 14 Abs. 3 GG angesehen. Daneben, namentlich bei einer Überführung in eine gemeinwirtschaftliche Form jenseits von Gemeineigentum, kämen als Eingriff auch Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG in Betracht. Die Besonderheit der Ein-
griffsbefugnis nach Art. 15 GG bestehe darin, dass ihre Verfassungsmäßigkeit hier modifizierten und damit anderen Maßgaben unterliege als Enteignungen bzw. Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 GG.
Nach der anderen Auffassung handelt es sich bei Art. 15 GG nicht um eine Eingriffsbefugnis, sondern vielmehr um ein demokratisches Grundrecht, das als „Offenhaltungsnorm“ einen speziellen Ausfluss der Verpflichtung auf eine soziale Staatlichkeit in Art. 20 Abs. 1 GG darstellt. Dabei handele es sich allerdings nicht um ein klassisches demokratisches Freiheitsrecht, und auch nicht um ein soziales Leistungsrecht. Es eröffne durch Vergesellschaftung eine demokratische, vom Gesetzgeber wahrzunehmende Gestaltungsmacht über die Gegenstände der Vergesellschaftung.
2. Gegenstand der Vergesellschaftung
Hinsichtlich des Gegenstands richtete sich die Diskussion auf die Reichweite der Bestimmung „Grund und Boden“. Gegenstand der Vergesellschaftung sind rechtlich die einzelnen Grundstücke.Eine Wohnbebauung ist wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB), der grundsätzlich kein Gegenstand gesonderter dinglicher Rechte sein kann (§ 93 BGB). Daher wird die Wohnbebauung grundsätzlich von der Vergesellschaftung eines Grundstücks erfasst. Weiterhin erfasst die Vergesellschaftung eines Grundstücks grundsätzlich auch sämtliche am Grundstück bestellten beschränkten dinglichen Rechte. Andererseits kann sich eine Vergesellschaftung auch auf beschränkte dingliche Rechte an Grundstücken beschränken.
In der Diskussion wurde erwogen, ob eine Vergesellschaftung von Grundstücken gesperrt sei, deren Eigentümer keine Unternehmen des produzierenden Gewerbes sind. Innerhalb der Kommission wird eine solche Sperre nach derzeitigem Diskussionsstand verneint.
In der Diskussion wurde weiter erörtert, ob sog. grundstücksgleiche Rechte, das sind Erbbaurecht und Wohnungseigentum, von der Befugnis zur Vergesellschaftung ausgenommen seien. Auch dies wird innerhalb der Kommission nach derzeitigem Diskussionsstand verneint.
3. Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft
Ein Vergesellschaftungsgesetz muss die Gegenstände in „Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ überführen. Damit ist einerseits festgelegt, dass sich nach der Vorstellung des Verfassungsgesetzgebers eine gemeinwirtschaftliche Bewirtschaftung auch in anderer Form als durch Gemeineigentum verwirklichen lassen könnte, namentlich durch dingliche Belastung oder tiefgreifende Inhalts- und Schrankenbestimmung. Damit wird andererseits deutlich, dass Gemeineigentum, auf das der Volksentscheid zielt, nicht nur das Eigentum in öffentlicher Hand meint, sondern eine gemeinwirtschaftliche Bewirtschaftung verlangt.
Ein schlichter Transfer der Eigentumstitel zum Staat, um künftig diesem anstelle der privaten Unternehmen zu ermöglichen, aus den Gegenständen wie ein Privater Nutzungen zu ziehen, ist damit ausgeschlossen. Die gemeinwirtschaftliche Bewirtschaftung ist nach einhelliger Auffassung in der Kommission der Gegenbegriff zur einer privatnützigen Bewirtschaftung.
Neuer Träger des gemeinwirtschaftlich zu bewirtschaftenden Eigentums kann jede Organisationsform sein, deren gemeinnütziges Agieren rechtlich gesichert ist. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts, wie sie von der Initiative des Volksentscheids vorgeschlagen wurde, ist jedenfalls ein geeigneter Träger.
Sofern es im Zuge der Vergesellschaftung der Einfachheit halber formal bei den zivilrechtlichen Eigentümerbefugnissen bleibt, also wesentlich beliebiger Gebrauch und freie Veräußerung, muss nach derzeitigem Stand der Diskussion in der Kommission der gemeinwirtschaftliche Auftrag im Rahmen des Vergesellschaftungsgesetzes selbst dauerhaft gesichert sein. Die Anforderungen müssen insoweit denen entsprechen, die für die Sicherung des öffentlichen Zwecks einer Enteignung unter Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG greifen. Schließlich wurde in der Diskussion erwogen, ob die Verpflichtung auf eine gemeinwirtschaftliche Bewirtschaftung vorgebe, den Kreis der künftigen Mieterinnen und Mieter nach sozialen Kriterien einzugrenzen, etwa nach dem Vorbild der Belegung des geförderten sozialen Wohnungsbaus. Die Diskussion blieb an dieser Stelle vorläufig. Nach einer in der Kommission vertretenen gegenläufigen Auffassung läge einer solchen Anforderung eine Verengung der Zwecke gemeinwirtschaftlicher Bewirtschaftung wohnbebauten Grundes zugrunde.
4. Vergesellschaftungsreife
Die Vergesellschaftungsreife ist nach derzeitigem Diskussionsstand in der Kommission entgegen einer jedenfalls in der früheren Literatur vertretenen Auffassung keine ungeschriebene Voraussetzung einer Vergesellschaftung.
Allerdings besteht in der Kommission nach derzeitigem Stand der Diskussion überwiegend die Auffassung, dass der Aspekt einer Vergesellschaftungsreife einen Ort in der verfassungsrechtlichen Prüfung haben sollte. Dies könnten eine unter Art. 15 GG gebotene Prüfung der Verhältnismäßigkeit, die Prüfung der Anforderung der Gemeinwirtschaftlichkeit oder die Prüfung der Anforderungen un-
ter Art. 3 Abs. 1 GG sein. Entsprechend ist nach derzeitigem Diskussionsstand in der Kommission auch noch offen, welche Bedeutung der Aspekt der Vergesellschaftungsreife im jeweiligen Prüfungszusammenhang genau entfalten würde.
5. Erfordernis (weiterer) Gemeinwohlzwecke
Art. 15 S. 1 GG spricht von einer Überführung der Vergesellschaftungsgegenstände in Formen der Gemeinwirtschaft „zum Zwecke der Vergesellschaftung“. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die Vergesellschaftung als solche bereits den Gemeinwohlzweck bildet, von dem Grundrechtseingriffe regelmäßig getragen werden müssen oder jedenfalls in der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit an dessen Stelle treten soll, oder ob darüber hinaus weitere Gemeinwohlzwecke (z.B. Schaffung von bezahlbarem Wohnraum) verfolgt werden müssen.
Hinsichtlich dieser Frage sind die Auffassungen in der Kommission derzeit geteilt. Dabei besteht Einigkeit, dass die vom Volksentscheid anvisierte Vergesellschaftung ein ganzes Bündel von weiteren Gemeinwohlzwecken verfolgt, auf die dann gerade auch in ihrer Gesamtheit abzustellen wäre.
Hingegen hat die in der Literatur vertretene Auffassung, es komme nur ein einziges weiteres Gemeinwohlziel in Betracht, das eigentlich wettbewerbsrechtlich charakterisiert sei, nämlich die Auflösung einer Marktstruktur mit einem (hinsichtlich seines Marktanteils) dominanten Anbieter, in der Kommission nach bisherigem Stand der Diskussion keine Zustimmung gefunden.
Bedeutung hat die Frage nach dem Erfordernis (weiterer) Gemeinwohlziele vor allem für ein etwaig zu beachtendes Gebot der Verhältnismäßigkeit des Gesetzes (dazu unten sub 6.): Wenn die Vergesellschaftung selbst als Gemeinwohlzweck zählte, dann bezöge sich die Prüfung von Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit womöglich nur hierauf, und nicht auf die weiteren mit der Ver-
gesellschaftung verfolgten Gemeinwohlzwecke.
Im Rahmen der Frage nach den (weiteren) Zwecken einer Vergesellschaftung von wohnbebautem Grund erörterte die Kommission auch Staatsaufgaben, die sich aus der Verbürgung sozialer Grundrechte ergeben. Quellen entsprechender Verpflichtungen finden sich insbesondere zum Recht auf Wohnen in Art. 28 Abs. 1 der Verfassung von Berlin und in Art. 11 Abs. 1 des Internationalen Paktes
über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte, wobei die Wahrung letzterer Verpflichtung der Bundesrepublik insgesamt aufgegeben ist, damit aber eben auch und zugleich dem Land Berlin.
Nach dem Stand der Diskussion in der Kommission verleihen diese Rechte und korrespondierenden staatlichen Verpflichtungen dem mit einer Vergesellschaftung verfolgten (weiteren) Gemeinwohlzweck der Gewährleistung bezahlbaren Wohnraums in Berlin Gewicht. Die Diskussion über die präzisen Implikationen wurde noch nicht abgeschlossen.
6. Gebot der Verhältnismäßigkeit
Kein Grundrecht enthält ausdrücklich die Vorgabe, bei einem Eingriff in den Schutzbereich die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in ständiger Rechtsprechung das Gebot der Verhältnismäßigkeit als Schranke staatlicher Grundrechtseingriffe etabliert. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Vorgabe auch für den besonderen Fall einer Vergesellschaftung
greift.
In der Diskussion der Kommission werden derzeit noch unterschiedliche Positionen erwogen. Nach einer Auffassung findet das Gebot der Verhältnismäßigkeit keine Anwendung, weil es sich bei der Vergesellschaftung nicht um einen Eingriff in Grundrechte handele, sondern um die Verwirklichung demokratischer Rechte (s.o. sub 1). Nach einer zweiten Auffassung ist das Gebot der Verhältnismä-
ßigkeit zu achten, die Prüfung beziehe sich jedoch nur auf die Vergesellschaftung als Zweck für sich genommen, und nicht auf weitere Zwecke, die mit der Vergesellschaftung noch verfolgt würden.
Nach einer dritten Auffassung bezieht sich die gebotene Prüfung der Verhältnismäßigkeit (auch oder allein) auf diese weiteren Zwecke, allerdings sei die Prüfung zu modifizieren. Diese Modifikation könnte nach einer in der Kommission vertretenen Auffassung namentlich darin bestehen, von einer Prüfung der Eignung und/oder der Erforderlichkeit abzusehen, dafür aber an einer Prüfung der Angemessenheit festzuhalten. Nach anderer Auffassung könnte die Modifikation auch umgekehrt darin bestehen, Eignung und Erforderlichkeit zu verlangen, aber die Prüfung der Angemessenheit auszusparen.
Nach einer möglichen weiteren Auffassung würden keine Abweichungen zu anderen Grundrechtseingriffen bestehen. Es würde eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den allgemeinen Maßgaben und mit Blick auf die weiteren Zwecke stattfinden, die mit der Vergesellschaftung verfolgt würden.
Diese Position findet in der Kommission derzeit keine Unterstützung.
7. Höhe der Entschädigung
Eine Vergesellschaftung verlangt gemäß Art. 15 S. 1 GG eine Entschädigung der Betroffenen. Für die Höhe der Entschädigung ist die Norm zur Bemessung der Entschädigung für Enteignungen nach Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG entsprechend anzuwenden. Hier stellt sich die Frage, woran die Höhe der angemessenen Entschädigung zu orientieren ist. In Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG findet sich keine zwingende Vorgabe, aber Ausgangspunkt der Bestimmung einer Entschädigungshöhe ist dort üblicherweise der Verkehrswert des Gegenstands.
Für die Höhe der Entschädigung unter Art. 15 GG wird in der Kommission einerseits vertreten, dass aufgrund der Besonderheit einer Überführung in Gemeinwirtschaft der Verkehrswert grundsätzlich nicht den Ausgangspunkt bilden könne. Die sich anschließende Frage nach einem alternativen Ausgangspunkt oder sonst alternativen Ansatz zur Bestimmung der Entschädigungshöhe ist nach dem
derzeitigen Diskussionsstand in der Kommission noch recht offen. Es besteht allerdings derzeit Einigkeit, dass eine jedenfalls in der früheren Literatur für möglich gehaltene lediglich symbolische Entschädigung nicht hinreicht. Darüber hinaus wurde erwogen, dass die Entschädigungshöhe umgekehrt die Verwirklichung der Gemeinwirtschaft nicht verunmöglichen dürfe. Nach einer weiteren
in der Kommission vertretenen Auffassung sei die Entschädigung abhängig von der vorgesehenen Funktion der Vergesellschaftung zu bestimmen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Andererseits wird vertreten, dass der Verkehrswert auch unter Art. 15 GG durchaus den Ausgangspunkt, wenn auch nicht notwendig den Endpunkt der Überlegungen bilden müsse. Insoweit, also mit Blick auf die Bestimmung des Ausgangspunktes, blieben auch die übrigen Maßgaben des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG maßgeblich. Zu diesen gehört grundsätzlich, dass Abschläge vom Verkehrswert rechtmäßig sein können. Ein Beispiel liefert der Fall, in dem der Wert des Gegenstands nicht oder nur eingeschränkt auf eigener Leistung des Betroffenen beruht, sondern zumindest teilweise aus Spekulationsgewinnen resultiert. An diesem Punkt wurde allerdings auch die Schwierigkeit zur Sprache gebracht, gerade im Falle der Immobilienwirtschaft das Maß einer Eigenleistung der Unterneh-
men zu beziffern. Im Übrigen sind die Begründung und das Ausmaß rechtmäßiger Abschläge nach derzeitigem Diskussionsstand in der Kommission offen.
III. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG
Eine Vergesellschaftung, die großen Wohnungsunternehmen ihre Bestände nimmt oder jedenfalls dezimiert, kann nach derzeitigem Diskussionsstand in der Kommission zugleich eine Regelung der Berufsausübung dieser Wohnungsunternehmen darstellen. Auf die entsprechende Grundrechtsgarantie können sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auch inkorporierte Unternehmen berufen. Eine Regelung
der Berufsausübung muss an sich von einem legitimen Ziel getragen sein und die Verhältnismäßigkeit wahren.
Indessen wird nach einer Auffassung in der Kommission Art. 12 Abs. 1 GG durch Art. 15 GG verdrängt. Eine nach Art. 15 GG rechtmäßige Vergesellschaftung sei also nicht mehr anhand von Art. 12 Abs. 1 GG zu prüfen.
Nach einer anderen Auffassung wird Art. 12 Abs. 1 GG nicht verdrängt. Auch im Rahmen der Prüfung unter Art. 12 Abs. 1 GG sei aber die Vergesellschaftung als solche als eigenständiger Zweck anzuerkennen. Auf diesen Zweck müsse sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Berufsausübungsregelung beziehen.
Nach einer dritten Auffassung bleibt die Prüfung von Art. 12 Abs. 1 GG durch Art. 15 GG unberührt. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Berufsausübungsregelung sei daher auf die weiteren Gemeinwohlzwecke zu beziehen, die mit der Vergesellschaftung verfolgt werden.
Einhellig wird aber nach derzeitigem Stand angenommen, dass die betroffenen Unternehmen durch Art. 12 Abs. 1 GG jedenfalls nicht intensiver geschützt werden als durch Art. 14, 15 GG, so dass die Berufsfreiheit neben den Regelungen über die Vergesellschaftung im Ergebnis keine eigenständige Bedeutung entfalten dürfte.
In der Diskussion der Kommission wurde ferner erwogen, ob das Gesetz auch eine Regelung der Berufsausübung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen darstelle.
Nach derzeitigem Stand der Diskussion wird diese Frage in der Kommission überwiegend vereint mit Verweis auf die fehlende objektiv berufsregelnde Tendenz.
Eine besondere Konstellation besteht schließlich im Hinblick auf die Objektgesellschaften, deren Zweck spezifisch in der Bewirtschaftung eines bestimmten Grundstücks mit Wohnbebauung besteht und deren Eigentum durch eine Vergesellschaftung betroffen wäre. Die Kommission wird diese besondere Konstellation zu einem späteren Zeitpunkt erörtern.
IV. Art. 3 Abs. 1 GG
Da das Vorhaben des Volksentscheids nicht auf sämtliche Grundstücke mit Wohnungsbebauung zielt, sondern nur auf Grundstücke von Unternehmen, die über einen großen Bestand an Wohnungen verfügen (nach dem Vorschlag der Initiative > 3.000), vollzieht das Gesetz eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte. Daher müssen die Kriterien, mit denen die betroffenen Be-
stände identifiziert werden, den Maßgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG entsprechen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Maßgabe Art. 3 Abs. 1 GG für den Fall einer Vergesellschaftung von Grund und Boden genau enthält. Grundsätzlich gilt heute unter Art. 3 Abs. 1 GG, dass der Maßstab in Ansehung der Art der Ungleichbehandlung zu bestimmen ist. Die Möglichkeiten reichen gleitend von einer vollständigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf der einen Seite zu einer bloßen Willkürprüfung auf der anderen. Die Diskussion um den Maßstab im Falle eines Vergesellschaftungsgesetzes ist in der Kommission noch offen.
Einige Kommissionsmitglieder tendieren dahin, einen strengen Maßstab anzulegen. Für die einen unter diesen liegt der Grund darin, dass die Ungleichbehandlung am Ende wahrscheinlich (aufgrund einer Anknüpfung an einen in der Vergangenheit liegenden Stichtag) an einem Kriterium ansetze, das die Unternehmen in Ansehung des Gesetzes nicht beeinflussen können. Für die anderen
liegt der Grund darin, dass die Ungleichbehandlung mit einem gravierenden Freiheitseingriff verbunden sei, eben dem Entzug des Eigentums.
Andere Kommissionsmitglieder tendieren zu einem weniger strengen Maßstab. Ein strenger Maßstab sei tatsächlich nur dort anzulegen, wo eine Beeinträchtigung der freien Entfaltung der Persönlichkeit vorliege, die zudem gerade in der Ungleichbehandlung bestehen müsse.
V. Landesverfassung
Hinsichtlich der Verfassung von Berlin ist zu klären, ob dem Landesgesetzgeber aufgrund des Fehlens einer gesonderten Sozialisierungsermächtigung verwehrt ist, die Ermächtigung nach Art. 15 GG zu nutzen. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang einerseits die Regelung in Art. 142 GG, die den landesverfassungsrechtlichen und damit auch landesverfassungsgerichtlichen Grundrechtsschutz fortbestehen lässt, insoweit der Grundrechtsschutz in der Landesverfassung mit der Grundrechtsgewährleistung des Grundgesetzes nach den Maßgaben von Art. 1 bis 18 GG übereinstimmt.
Dabei steht fest, dass ein Grundrecht auf Landesebene den Schutzbereich einer Freiheitssphäre weiter fassen kann als das inhaltlich entsprechende Grundrecht des Grundgesetzes. Im Zusammenhang mit einer Sozialisierungsgesetzgebung durch das Land Berlin ist indessen entscheidend, inwieweit eine Grundrechtsbestimmung auf Landesebene höhere Eingriffsschwellen festlegen kann
als das Grundgesetz oder sogar bestimmte Eingriffe verwehren kann, die das Grundgesetz ausdrücklich zulässt.
Nach einer in der Kommission vertretenen Auffassung ist beides möglich. Daher sei die Sozialisierung gerade dem Berliner Gesetzgeber verschlossen, weil die Verfassung von Berlin den entsprechenden Eingriff nicht vorsehe und damit ausschließe. Nach der in der Kommission vertretenen Gegenposition ist das vollständige Gegenteil richtig: Sofern das Landesgrundrecht höhere Eingriffs-
schwellen vorsehe oder Eingriffe ausschließe, stimme der landesverfassungsrechtliche Grundrechtsschutz nicht mehr mit dem des Grundgesetzes überein und bliebe daher nicht nach Art. 142 GG in Kraft. Nach einer vermittelnden dritten Position seien höhere Eingriffsschwellen und der Ausschluss bestimmter Eingriffe auf Landesebene möglich, aber nur soweit dies das Grundgesetz ge-
statte. Davon sei nur im Falle einer unqualifizierten Eingriffsermächtigung auszugehen, nicht aber wenn der Grundrechtsteil des Grundgesetzes, wie im Fall von Art. 18, Art. 13 oder eben Art. 15 GG, spezifische Eingriffe ausdrücklich selbst regele. Der Austausch der Argumente wurde noch nicht abgeschlossen und wird in der Sitzung im Januar fortgesetzt.
Von alledem unabhängig hat die Kommission noch die Frage zu diskutieren, ob sich das Vorhaben des Volksentscheids nicht ohnehin im Rahmen der einschlägigen Bestimmung der Landesverfassung, Art. 23 Abs. 2 VvB, halte, was einige Kommissionsmitglieder für richtig halten. In diesem Fall würde die Reichweite des landesverfassungsrechtlichen Grundrechtsschutzes unter Art. 142 GG un-
erheblich. Diese Diskussion soll ebenfalls in der Sitzung im Januar aufgegriffen werden.
VI. Unionsrecht
Ausgangspunkt der unionsrechtlichen Prüfung ist Art. 345 AEUV, dem zufolge das Unionsrecht die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten unberührt lässt. Nach der Rechtsprechung des EuGHs bedeutet dies indessen nicht, dass die Mitgliedstaaten von unionsrechtlichen Maßgaben freigestellt sind, wenn sie nur ihre Eigentumsordnung regeln. Vielmehr gilt, dass die Mitgliedstaaten zwar frei darin sind, ihre Eigentumsordnung zu gestalten und umzugestalten. Dabei haben sie aber ohne wesentliche Abstriche die Vorgaben des Unionsrechts einzuhalten, insbesondere die Vorgaben der Binnenmarktverfassung samt Marktfreiheiten. Ob indessen eine Modifikation dahingehend besteht, dass eine Umgestaltung der Eigentumsordnung für sich genommen ein Allgemeininteresse darstellt, welches Beschränkungen der Marktfreiheiten rechtfertigen kann, ist in der Rechtsprechung des EuGHs offen.
Ein Gesetz zur Sozialisierung von Grund und Boden würde mutmaßlich in der einen oder anderen Konstellation Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit beinhalten. Die daraufhin gebotene Rechtfertigung verlangt ein Allgemeinwohlinteresse, zu dessen Erreichung die Beeinträchtigung geeignet und erforderlich ist. Im Unterschied zum verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit unterliegt die Beschränkung nach der Rechtsprechung des EuGHs normalerweise keiner abwägenden Angemessenheitsprüfung.
Hinsichtlich des Allgemeininteresses sind die Maßstäbe des EuGHs bisher an sich großzügig. Die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach jedenfalls als zulässiges Allgemeininteresse vom EuGH anerkannt werden. Ob der EuGH unabhängig davon auch die Sozialisierung für sich genommen als Allgemeininteresse anerkennt (wie es von einigen Mitgliedern in der Kommission zu Art. 15 GG vertreten wird), vielleicht gerade unter Verweis auf Art. 345 AEUV, lässt sich auf Basis der bisherigen Rechtsprechung des EuGHs nicht ohne weiteres prognostizieren.
Unionsrechtliche Beachtung finden dürfte nach der Einschätzung von Kommissionsmitgliedern jedenfalls das besondere demokratische Verfahren eines Volksentscheids.
Die Rechtfertigungsprüfung im Übrigen wird voraussichtlich keine höheren Anforderungen stellen als das Grundgesetz. Allerdings hat die Prüfung der Erforderlichkeit seitens des EuGHs in einzelnen Fällen durchaus eine erstaunliche Strenge angenommen, etwa in den Fällen der Begrenzung vom gewerkschaftlichen Streikrecht mit Verweis auf die Niederlassungsfreiheit. Der Diskussionsprozess innerhalb der Kommission ist an dieser Stelle noch nicht abgeschlossen.
Schließlich ist zu beachten, dass mitgliedstaatliche Beschränkungen der Marktfreiheiten an den Grundrechten aus der Charta der Grundrechte der EU sowie mitgliedstaatlichen Grundrechten zu messen sind. Diese Grundrechte zieht der EuGH sowohl als Rechtfertigung der Beschränkung von Marktfreiheiten heran als auch als Schranke derartiger Beschränkungen. Einschlägig sind insoweit einerseits Art. 17 EU-GRC, der sich am Eigentumsschutz nach dem Zusatzprotoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention orientiert (dazu sub VII.), andererseits Art. 34 Abs. 3 EU-GRC, demzufolge die Union das soziale Recht auf Wohnung achtet.
VII. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Zu beachten ist der Eigentumsschutz nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls. Die Regelung erlaubt einen Entzug des Eigentums im öffentlichen Interesse. Bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses genießen die Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum (margin of appreciation). Das gilt auch für die Einschätzungen von Eignung und Erforderlichkeit bei der auch
hier gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dieser Spielraum erfährt nach den Maßgaben des EGMR in einer jüngeren Entscheidung in einer ungarischen Sache dann eine Einschränkung, wenn das Verfahren der Entziehung elementaren rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügt. Eine Entschädigung in angemessener Höhe ist Teil der Verhältnismäßigkeit, also anders als nach dem GG
keine von der Verhältnismäßigkeit abgesonderte Rechtmäßigkeitsbedingung.
Vor dem geschilderten Hintergrund ist die Kommission nach derzeitigem Diskussionsstand der Auffassung, dass Art. 1 Abs. 1 ZP EMRK keine Hürden errichtet, die über den Eigentumsschutz nach dem GG hinausgehen.
VIII. Völkervertragliche Investitionsschutzabkommen
Völkerrechtliche Investitionsschutzabkommen verpflichten die beteiligten Staaten, geschützte ausländische Investoren im Falle von direkten oder indirekten Enteignungen zu entschädigen. Geschützt sind nur ausländische Investoren, deren Heimatstaat ein Investitionsschutzabkommen mit Deutschland abgeschlossen hat. Ein solches Abkommen besteht etwa nicht mit Luxemburg, wo nach
dem Kenntnisstand der Kommission einzelne der von einer Vergesellschaftung womöglich betroffenen Unternehmen ihren Sitz haben.
Aufgrund von transnationalen gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen ist es aber nicht auszuschließen, dass es ausländische Investoren gibt, die eine Klageberechtigung aus einem Investitionsschutzabkommen herleiten können.
Bei der Vergesellschaftung von wohnbebauten Grundstücken handelt es sich um eine direkte Enteignung, wenn der ausländische Investor selbst der rechtliche Eigentümer eines solchen Grundstücks wäre. Das kann man nach derzeitigem Kenntnisstand der Kommission für die Grundstücke ausschließen, die durch den Volksentscheid für eine Vergesellschaftung in Berlin anvisiert sind.
In Betracht kommt danach allenfalls eine indirekte Enteignung und zwar mit Blick auf ausländische Beteiligungen an den betroffenen Wohnungsunternehmen. Die Annahme einer indirekten Enteignung setzt aber nach derzeitigem Diskussionsstand in der Kommission eine weitgehende Entwertung der betroffenen Investitionen voraus. Damit ist indessen nicht zu rechnen. Angesichts der Verein-
nahmung einer angemessenen Entschädigung und der Möglichkeit der Fortsetzung der Unternehmenstätigkeiten in- und außerhalb Berlins würden Investitionen in die betroffenen Unternehmen allenfalls ein beschränktes Maß an Wert verlieren.
Sollten in Einzelfällen doch indirekte Enteignungen klageberechtigter ausländischer Investoren vorliegen, dann würde dies an den Maßstäben der verfassungsrechtlichen Beurteilung nichts ändern. Eine Entschädigung nach internationalem Investitionsschutzrecht kann höher ausfallen als die nach Maßgabe von Art. 15 GG zu leistende Entschädigung. Die Differenz wäre vom Bund zu zahlen, der
aber beim Land Berlin Regress nehmen könnte.
Ein Verstoß gegen den weiteren investitionsschutzrechtlichen Grundsatz fairer und gerechter Behandlung oder gegen das Diskriminierungsverbot wären nach derzeitigem Diskussionsstand in der Kommission mit dem Sozialisierungsvorhaben nicht verbunden.
Berlin, den 14. Dezember 2022