Für eine bleibende Erinnerung an das Märzmassaker 1919

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Montag 11. März 2024 | 17:00 Uhr.


Zur Erinnerung 105 Jahre später

Am 11. März wurden im Hof der Französischen Straße 32 (Berlin-Mitte) 30 unbewaffnete Matrosen der Volksmarine-Division (VMD) ermordet. Sozusagen der ‚Dank‘ der SPD geführten Regierung Ebert/Scheidemann, dass die seit vier Monaten bestehende Volksmarine-Division als stärkste bewaffnete Formation die Revolution vom 9. November 1918 gesichert hatte. Die Matrosen hatten sich Ende Oktober 1918 geweigert, den bereits vier Wochen zuvor von der Obersten Heeresleitung (OHL) für verloren erklärten Weltkrieg nach über vier Jahren fortzusetzen. Von Norddeutschland aus waren sie in ihre Heimatstädte geströmt, um den staatlich legitimierten Morden ein Ende zu setzen.

Nach Gründung der Weimarer Republik im Februar 1919 war am 3. März ein Generalstreik in Berlin ausgerufen worden, um den ausgebliebenen Forderungen der Revolution wie Sozialisierung der Schlüsselindustrien und Entwaffnung der konterrevolutionären Verbände Nachdruck zu verleihen. Um den Streik, der am 8. März abgebrochen worden war, zu diskreditieren, lancierten die Militärs die Falschmeldung in die Presse: „60 Kriminalbeamte in Lichtenberg von Spartakisten erschossen.“ Der Pogromstimmung war nun Tür und Tor geöffnet.

Am 11. März 1919 waren dreihundert Matrosen zur Zahlstelle der VMD in die Französische Straße 32 gerufen worden, um ihre Löhnung zu empfangen. Oberleutnant Marloh, der, getarnt als Zahlmeister der Volksmarinedivison, die Parabellum-Pistole unter seinen Armstumpf geklemmt (so ein Augenzeuge), mit Soldaten des Freikorps Reinhard die Matrosen festsetzte, wollte alle dreihundert erschießen lassen. Er berief sich dabei auf Reichswehrminister Gustav Noske (SPD), der nach Ausrufung des Generalstreiks den widerrechtlichen Schießbefehl erließ: „Jede Person, die mit Waffen in der Hand angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Mehr als zweitausend Berliner_innen fielen dieser willkürlich ausgelegten Lizenz zum Töten zum Opfer. Erst ein von Angehörigen herbeigerufener Hauptmann namens Gentner konnte Marloh davon abbringen, alle zu erschießen. Insbesondere nahm Gentner seine Matrosen, die die Reichsbank bewacht hatten, in Schutz. Gleichwohl selektierte Marloh nun nach Gutdünken und ließ 32 Angehörige der VMD im Hof des Hauses an die Wand stellen und mit Maschinengewehren niedermähen. Wer sich noch bewegte, bekam den Fangschuss. Zwei Männer überlebten trotzdem und entgingen auch nach dem Massaker nur knapp dem Tod. Gegen die Erschossenen lag nichts vor, außer dass sie der VMD angehört hatten.

Marloh wurde vor einem Kriegsgericht freigesprochen. Die Befehlsgeber Reinhard und Noske – der den Prozess hatte verhindern wollen – wurden nie angeklagt. Marloh und Reinhard entpuppten sich später als Nationalsozialisten, letzterer brachte es sogar zum SS-Obergruppenführer (Generalsrang). Es gab in den vergangenen Jahren etliche Versuche, Abgeordnete des Bezirksamtes Mitte davon zu überzeugen, an dieser Stelle wieder eine Gedenktafel zu installieren, um an eines der schlimmsten Massaker der Revolution in Berlin zu erinnern. Die Chance ist vertan, ihrer demokratischen Verantwortung bis zum 100. Jahrestag der Bluttat gerecht zu werden. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.

Wir fordern, dieser jahr(zehnt)elangen Geschichtsvergessenheit, für die auch Historiker mitverantwortlich sind, endlich Rechnung zu tragen und alles zu tun, damit in der Französischen Straße wieder eine Gedenktafel (wie sie zu DDR-Zeiten bestand), eine Stele oder ein anderes würdiges Zeichen an die ermordeten Matrosen erinnert.

Mit den vorstehenden Text wurde zu einer kleinen Kundgebung 105 Jahre später eingeladen. Hier der Flyer:


Schon zum 100. Jahrestag war an dieses Massaker von der Initiative 1918 unvollendet ernnert worden: Peter Nowak berichtete hier


Ursprünglich waren zwei Gedenktafeln an dem Ort des Massakers angebracht.


Die Junge Welt berichtete am 11. November 2025[1]Ulrich F. Opfermann, Typisch deutsche Kleinstadt, in JW v. 11.11.2025, S. 12-13, dass nach einem Himmler Erlass vom 16. Dezember 1942 in Berleburg am 9. März 1943 auf einer Konferenz die Verschleppung von 134 Sinti, etwa die Hälfte Kinder, aus Berleburg, Kreis Wittgenstein, in das Lager Auschwitz-Birkenau endgültig beschlossen wurde. Die Konferenz wurde von dem ehemaligen Oberleutnant Marloh[2]seine Rolle bei der Erschießung der Matrosen der Volksmarinedivision siehe oben, inzwischen zum Landrat befördert, geleitet. Die VVN brachte kurz nach der Befreiung die Verantwortlichen der Deportation vor Gericht. Der Autor des Beitrags in der Jungen Welt berichtet, dass Ermittlungen gegen 28 aufgenommen, bei 19 die Vorverfahren eingestellt, bei zwei die Anklage fallen gelassen, einer freigesprochen wurde, und sechs im März 1049 wegen Verbrechen gegen die Menschheit zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, bei zwei Veruteilten aber die Freiheitsstrafe auf dem Gnadenweg vollständig und bei den anderen teilweise erlassen wurde. „Der Höchstbestrafte, Landrat Marloh, trat die Freiheitsstrafe wegen Haftunfähigkeit erst gar nicht an.“ Der Autor berichtet auch, dass „eine kleine Volksbewegung … Gnade oder auch Freispruch angesichts eines „ungerechten Urteils“ forderte“. Das war die Schlusstrich-Mentalität, die jeder ernsthaften Beschäftigung mit dem Faschismus und seiner Vorgeschichte aus dem Wege ging.


References

References
1 Ulrich F. Opfermann, Typisch deutsche Kleinstadt, in JW v. 11.11.2025, S. 12-13
2 seine Rolle bei der Erschießung der Matrosen der Volksmarinedivision siehe oben