Ein Gastbeitrag von Debt for Climate
Im März 2023 streikten in Sri Lanka tausende Arbeiterinnen von insgesamt über 40 Gewerkschaften. Ungeachtet des von der Regierung verordneten Streikverbots stand der Betrieb in einigen Krankenhäusern, Banken und Häfen still. Die Arbeiterinnen protestierten mit ihrem Streik unter anderem gegen Steuererhöhungen, niedrige Zinsen und hohe Energiepreise – allesamt Maßnahmen, die die Regierung Sri Lankas umsetzte, um sich angesichts einer andauernden Schuldenkrise erneut für ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu qualifizieren. In einem offenen Brief machten 82 Gewerkschaften den IWF und die srilankische Regierung für das enorme Leid unter der arbeitenden Bevölkerung verantwortlich. Die vom IWF unterstützten Reformen seien unter anderem für steigende Unterernährung, gesundheitliche Probleme, Elektrizitäts- und Wasserknappheit, Wohnungslosigkeit und eine Abwanderung von qualifizierten Arbeiterinnen verantwortlich, heißt es in dem Brief.
Sri Lanka ist dabei kein Einzelfall. Durch die Corona-Pandemie und den Ukrainekrieg hat sich die weltweite Verschuldung zuletzt drastisch verschärft. Im Jahr 2022 lebten 40 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen Zinszahlungen auf Schulden die Ausgaben für Gesundheit oder Bildung überstiegen. Durch den IWF und die Weltbank angeordnete Sparprogramme zwingen Regierungen dabei unter anderem dazu, Lohnsenkungen, Einstellungsstopps und Entlassungen im öffentlichen Sektor durchzusetzen, soziale Sicherungssysteme abzubauen (z.B. Kürzungen der Rente) und regressive Steuern, wie die Verbrauchersteuer, zu erhöhen. Es ist die arbeitende Bevölkerung, die am stärksten von diesen Maßnahmen betroffen ist. Gleichzeitig fehlt den verschuldeten Staaten Geld für Klimaschutz und -anpassung sowie für Investitionen in den Aufbau lokaler Wirtschaftszweige und öffentlicher Daseinsvorsorge. Da ein Großteil der Staatsschulden in US-Dollar und anderen externen Währungen notiert ist, sind viele Staaten außerdem dazu gezwungen, Rohstoffe ins Ausland zu verkaufen, um an externe Währungen zu kommen und damit ihre Schulden abbezahlen zu können.
Die in Südafrika und Argentinien initiierte Graswurzelbewegung Debt for Climate fordert deshalb eine bedingungslose Streichung der Staatsschulden des Globalen Südens. Eine Schuldenstreichung würde es betroffenen Ländern ermöglichen, in einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft zu investieren und den oft zerstörerischen Abbau fossiler Rohstoffe zu reduzieren. Deswegen sind Schuldenstreichungen ein notwendiger Schritt für wirklichen Klimaschutz, der zusätzlich Arbeiterinnen nicht belastet. Protest gegen das internationale System von Verschuldung und die darin zentralen Programme von IWF und Weltbank ist in den Ländern des Globalen Südens schon längst Teil von Arbeitskämpfen, wie nicht zuletzt das Beispiel aus Sri Lanka zeigt. An dieser Stelle ist es uns wichtig, transparent zu machen, wo wir uns als Debt for Climate-Gruppe in Deutschland im Feld sozialer Kämpfe einordnen. Wir sind derzeit nicht aktiv in Arbeitskämpfen organisiert und involviert, sondern wir fokussieren uns in erster Linie auf Umwelt- und antikoloniale Kämpfe. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir deshalb im Folgenden primär eine Außenperspektive einnehmen können und wollen uns nicht anmaßen, die Arbeit der dort organisierten Genossinnen zu beurteilen oder diese zu belehren. Dennoch verstehen auch wir uns als Teil einer Arbeiterinnenklasse, die gegen kapitalistische Ausbeutung kämpft. Dieser Kampf findet an verschiedenen Fronten mit unterschiedlichen Mitteln gegen die diversen und vielfältigen Formen der Auswüchse der kapitalistischen Zerstörung statt. Kämpfe gegen Umweltzerstörung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Patriarchat, (Neo-)kolonialismus u.v.m. sind alle essenzieller Bestandteil des Kampfes einer Arbeiterinnenklasse für die Utopie einer postkapitalistischen und zukunftsfähigen, sozial und ökologisch gerechten Welt. Momentan bleiben diese unterschiedlichen Kampffelder jedoch oft voneinander separiert; wir sprechen nur übereinander und erzeugen damit eine Trennung untereinander. Deshalb wollen wir hier miteinander sprechen. Wenn wir im Folgenden von Arbeitskämpfen und Arbeiterinnen sprechen, verstehen wir das als Einladung, sowohl an uns selbst, als auch an andere antikapitalistische Bewegungen, sich vermehrt als Teil von Arbeitskämpfen zu begreifen und diese Verbindung in unserer alltäglichen Arbeit zu leben und zu pflegen. Als Debt for Climate bringen wir, wie viele andere Genossinnen, die Forderung nach einer bedingungslosen Staatsschuldenstreichung für Länder des Globalen Südens als mögliches Instrument im Kampf gegen das globale Finanz- und Wirtschaftssystem in die Debatte mit ein. Deshalb wollen wir in diesem Beitrag darlegen, wo wir Verbindungen und Anknüpfungspunkte dieser Forderung für Kämpfe von Gewerkschaften und Arbeiterinnen im Globalen Norden sehen. Dabei wollen wir auf drei unterschiedlichen Begründungsebenen argumentieren: der des mittelfristigen Eigeninteresses, der einer rein ideell begründeten Solidarität sowie der einer Perspektive von langfristiger Organisierung.
Eigeninteresse, globale Solidarität und langfristige Organisierung
Grund Eins: Wir Arbeiterinnen in Deutschland haben ein direktes, mittelfristiges Interesse daran, die Forderungen der Kolleginnen und Gewerkschaften im Globalen Süden erfüllt zu sehen. Denn je besser die Arbeitsbedingungen und höher die Löhne im Globalen Süden sind, desto weniger können globale Unterschiede ausgenutzt werden, um Arbeiterinnen international gegeneinander auszuspielen. Das neoliberale Schuldensystem spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Konzernen Zugang zu Arbeitsmärkten im Globalen Süden zu verschaffen und damit Dynamiken wie Lohndumping und Outsourcing zu befeuern.
Hoch verschuldete Staaten sind oft auf Zahlungen des IWFs angewiesen, um ein Minimum ihrer Schulddienste leisten zu können und um anderen Gläubigern gegenüber wieder als kreditwürdig zu gelten. Dabei ist nicht die Möglichkeit einer Kreditaufnahme per se abzulehnen. Die eigentliche Problematik liegt vielmehr darin, dass die finanzielle Notlage der Staaten systematisch ausgenutzt wird. Denn um Gelder von IWF oder Weltbank zu bekommen, müssen die Staaten bestimmte Maßnahmen umsetzen. Im Rahmen dieser Maßnahmen werden nicht nur, wie oben beschrieben, Sparmaßnahmen durchgesetzt, sondern auch Privatisierung und Deregulation vorangetrieben, was die nationale Wirtschaft attraktiver für multinationale Unternehmen machen soll. So werden Staaten z.B. dazu gezwungen, Zölle zu senken, Arbeits- und Umweltvorschriften zu verringern oder Investitionsgesetze zu ändern. Offizielle Begründung dieser Reformen ist, dass die Investitionen von ausländischen Firmen das Wirtschaftswachstum ankurbeln würden und Staaten somit dazu befähigten, aus der „Verschuldung herauszuwachsen“. Konträr zu diesen Versprechungen führen Programme von IWF und Weltbank jedoch zu steigender Ungleichheit und sinkenden Einkommen.
Anstatt Staaten von Verschuldung zu befreien, ermöglichen IWF und Weltbank es multinationalen Firmen, den Weltmarkt nach den billigsten Produktionsbedingungen zu scannen und kreieren so neue Investitionsmöglichkeiten für westliches Kapital. So treten sie ein „global race to the bottom“ los, was nicht nur Arbeiterinnen im Globalen Süden ausbeutbarer macht, sondern auch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften im Globalen Norden schwächt. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Schuldenkrise in den 1980er-Jahren, in welcher Strukturanpassungsmaßnahmen die Öffnung von Märkten im Globalen Süden erzwangen. Zusammen mit veränderten Transportmöglichkeiten, wie der Containerschifffahrt, führte dies im Globalen Norden zu einem massiven Anstieg von Investitionen ins Ausland. Für Arbeitskämpfe im Globalen Norden bedeutete dies, dass Arbeiterinnen in ihren Kämpfen mit der ständigen Drohung der Abwanderung an (durch Deregulation erzeugte) billigere Produktionsstandorte konfrontiert waren und Unternehmerinnen so ihre Machtposition in Auseinandersetzungen stärken konnten. Wenn Lohnabhängige im Globalen Süden durch den Abbau von Sozialsystemen und Arbeits- und Umweltvorschriften ausbeutbarer werden, wirkt sich das also auch negativ auf die Ausbeutbarkeit von uns Arbeiterinnen im Globalen Norden aus.
Anstatt Staaten von Verschuldung zu befreien, ermöglichen IWF und Weltbank es multinationalen Firmen, den Weltmarkt nach den billigsten Produktionsbedingungen zu scannen und kreieren so neue Investitionsmöglichkeiten für westliches Kapital. So treten sie ein „global race to the bottom“ los, was nicht nur Arbeiterinnen im Globalen Süden ausbeutbarer macht, sondern auch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften im Globalen Norden schwächt. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Schuldenkrise in den 1980er-Jahren, in welcher Strukturanpassungsmaßnahmen die Öffnung von Märkten im Globalen Süden erzwangen. Zusammen mit veränderten Transportmöglichkeiten, wie der Containerschifffahrt, führte dies im Globalen Norden zu einem massiven Anstieg von Investitionen ins Ausland.vi Für Arbeitskämpfe im Globalen Norden bedeutete dies, dass Arbeiterinnen in ihren Kämpfen mit der ständigen Drohung der Abwanderung an (durch Deregulation erzeugte) billigere Produktionsstandorte konfrontiert waren und Unternehmerinnen so ihre Machtposition in Auseinandersetzungen stärken konnten. Wenn Lohnabhängige im Globalen Süden durch den Abbau von Sozialsystemen und Arbeits- und Umweltvorschriften ausbeutbarer werden, wirkt sich das also auch negativ auf die Ausbeutbarkeit von uns Arbeiterinnen im Globalen Norden aus.
Grund Zwei: Es ist aus rein ideeller Sicht geboten, solidarisch mit unseren Kolleginnen im Globalen Süden zu sein. Arbeiterinnen sind gemeinsam Leidtragende des neoliberalen Systems. Auch wenn diese Erfahrungen jeweils lokal unterschiedlich sind, einen sie Arbeiterinnen weltweit zu einer Klasse. Für diese muss klar sein, dass globale Unterstützung in lokalen Kämpfen über den potenziellen Eigennutzen hinaus gehen muss. Globaler Solidarität liegt ein Verständnis dafür zu Grunde, dass lokale Kämpfe miteinander verflochten sind, indem sie sich gegen dasselbe System von Ausbeutung und Unterdrückung wenden. Diese Art von Solidarität zeigten beispielsweise Arbeiter:innen in Großbritannien als Reaktion auf den Coup von Pinochet in Chile. Als Reaktion auf die faschistische Machtübernahme blockierten sie den britischen Handel mit Chile. Längerfristiger organisiert ist die Solidarität zwischen brasilianischen und US-amerikanischen Gewerkschaften, die beispielsweise die transnationale Firma Vale S.A. an den gemeinsamen Verhandlungstisch zwang. Auch in Südafrika wurde der Kampf gegen die Apartheid nach langem Zögern von den weiß dominierten Gewerkschaften maßgeblich unterstützt.
Grund Drei: Die Solidarität mit unseren Genossinnen im Globalen Süden ist zentral für eine Perspektive von langfristiger Organisierung, die zum Ziel hat, die bisherigen Ausbeutungsverhältnisse zu überwinden. Sie ist Voraussetzung für die Vision eines demokratisch bestimmten Wirtschaftssystems, das an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und planetare Grenzen berücksichtigt. Arbeiterinnen im Globalen Süden machen einen Großteil der Weltbevölkerung aus. Um die bestehenden und höchst ungerechten und zerstörerischen Verhältnisse unseres globalen Wirtschafts- und Finanzsystems zu überwinden, sind die Forderungen dieser Menschen entscheidend. Wenn Ausbeutung nicht lediglich räumlich verlagert werden soll, müssen wir global solidarisch füreinander einstehen und Ausbeutung an jedem Ort bekämpfen. Die Organisation am Arbeitsplatz muss über die gewerkschaftlichen Zusammenschlüsse einzelner Berufsgruppen hinausgehen. Wir sollten eine Organisation der Arbeiterinnen entlang der gesamten Wertschöpfungskette anstreben. Dabei ist es wichtig, dass stabile Bündnisse auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und einer Partnerschaft auf Augenhöhe beruhen – ein solcher Aufbau ist zwar aufwendig und ressourcenintensiv, es gibt aber bereits zahlreiche Ansätze und positive Beispiele, die zeigen, dass dies lohnenswert und möglich ist. In einer Welt voller transnationaler Unternehmen müssen auch wir Arbeiterinnen uns global vernetzen und gegenseitig unterstützen. Nur so können wir dem neoliberalen Machtmechanismus von „Teilen und Herrschen“ entgegentreten.
Für ein globales Bündnis zwischen
organisierten Arbeiterinnen und Klimagerechtigkeitsbewegung.
Insgesamt wird also deutlich: Internationale Solidarität ist wichtig und sollte mehr als eine bloße Floskel sein. Ein erster konkreter Schritt könnte sein, die Forderung nach einer Schuldenstreichung für den Globalen Süden zu unterstützen und so auch Bündnisse über Arbeitskämpfe hinaus mit indigenen, feministischen und Klimagerechtigkeitsbewegungen zu knüpfen. Gleichzeitig braucht es unsere Organisierung am Arbeitsplatz, um weltweit Kämpfe für Klimagerechtigkeit gewinnen zu können. Durch Instrumente wie z.B. Streiks kommt uns als Arbeiterinnen eine viel größere Macht zum Erwirken von Veränderung zu, als wir durch reine Demonstrationen oder zivilen Ungehorsam je erreichen könnten. Zum anderen ist das Wissen von Arbeiterinnen in CO2-intensiven Wirtschaftszweigen unabdingbar, um eine ökologisch gerechte Transformation der Wirtschaft zu vollbringen.
Und: auch für die Forderung nach Schuldenstreichungen ist die Organisation am Arbeitsplatz unerlässlich – sowohl um Druck auf Entscheidungsträger*innen in Europa und Nordamerika auszuüben als auch um solidarisch an der Seite der Staaten des Globalen Südens im Falle einer organisierten Zahlungsverweigerung zu stehen. Die Vision von Debt for Climate ist eine von den Unterdrückten geführte, demokratische Transformation, die auf grundlegend gerechteren internationalen Wirtschaftsbeziehungen fußt. Als Inspiration dient uns dafür auch die 1974 von den G77 verabschiedete New International Economic Order. 50 Jahre nach ihrer Entstehung sind die darin entwickelten Forderungen und Visionen immer noch aktuell. Wir wollen dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, über die Maßnahme der Schuldenstreichung hinaus Forderungen für ein gerechtes Weltwirtschaftssystem zu stellen. Auch dafür braucht es gewerkschaftlichen Druck und gemeinsame Strategien und Überlegungen im Globalen Norden.
Lasst uns vereint dafür kämpfen, dass durch Schuldenstreichung die Potenziale von Kämpfen im Globalen Süden entfesselt werden und sich weltweit für eine gerechte Weltwirtschafts-ordnung organisiert wird! Wir sind hochmotiviert, uns mit euch zu vernetzen, auszutauschen und unsere Kämpfe zusammenzuschließen. Kontaktiert uns unter deutschland@debtforclimate.org, wenn ihr interessiert seid, gemeinsam mit uns zu arbeiten.
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Im März 2023 streikten in Sri Lanka tausende Arbeiterinnen von insgesamt über 40 Gewerkschaften. Ungeachtet des von der Regierung verordneten Streikverbots stand der Betrieb in einigen Krankenhäusern, Banken und Häfen still. Die Arbeiterinnen protestierten mit ihrem Streik unter anderem gegen Steuererhöhungen, niedrige Zinsen und hohe Energiepreise – allesamt Maßnahmen, die die Regierung Sri Lankas umsetzte, um sich angesichts einer andauernden Schuldenkrise erneut für ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu qualifizieren. In einem offenen Brief machten 82 Gewerkschaften den IWF und die srilankische Regierung für das enorme Leid unter der arbeitenden Bevölkerung verantwortlich. Die vom IWF unterstützten Reformen seien unter anderem für steigende Unterernährung, gesundheitliche Probleme, Elektrizitäts- und Wasserknappheit, Wohnungslosigkeit und eine Abwanderung von qualifizierten Arbeiterinnen verantwortlich, heißt es in dem Brief.