Im Folgenden eine vollständige Dokumentation des Ostermarsches in Berlin in diesem Jahr. Es sind ganz außergewöhnliche Reden, die gehalten wurden. Am Anfang ein kurzer Bericht über den Ostermarsch, in dem diese Reden angekündigt werden. Jetzt sind sie zu hören oder auch zu lesen. Wir können sie nur von ganzem Herzen empfehlen.
Inhaltsverzeichnis
- Berliner Ostermarsch 2024: “Kriegstüchtig” – nein. Wir sind “friedenssüchtig”
- Rednerinnen und Redner:
- Kleine Bildergalerie
- Redebeiträge: Video und Text
- Redebeiträge in Textform
- ad hoc Ansprache von Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin, ex. Pres. International League for Human Rights – FIDH/AEDH Germany
Berliner Ostermarsch 2024: “Kriegstüchtig” – nein. Wir sind “friedenssüchtig”
„Mit den Worten „Wir sind mehr als im letzten Jahr, aber immer noch nicht genug!“ kommentierte Jutta Kausch-Henken von der Berliner Friko die Resonanz auf den Aufruf des Bündnisses zum diesjährigen Ostermarsch, der diesmal in der Karl-Marx-Alle begann und endete. 5 000 Teilnehmer:innen wurden gezählt. Die bei geradezu frühlingshaftem Wetter durchgeführte Antikriegsaktion stand unter der Losung „Kriegstüchtig – nie wieder“. Sie war getragen vom Selbstbewusstsein, die unverzichtbare Stimme zu sein, die auf die großen Gefahren und auf das Leid hinweist, die insbesondere der Krieg in der Ukraine und der im Nahem Osten nicht nur für die direkt betroffenen Menschen sondern für eine zukunftsfähige Entwicklung der Menschheit überhaupt bedeuten. Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnnis, wie in der deutschen Politik und in den meinungsbildenden Medien Aufrüstung und Krieg als alternativlose Antworten auf Konflikte zwischen Staaten rehabilitiert werden – in einem Land, in dem lange die Einsicht gepflegt wurde, dass von deutschen Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Nicht zu Unrecht wies Christoph Krämer als Vertreter der Internationalen Ärzt:innen für die Verhütung eines Atomkriegs (IPPNW) in seiner Kundgebungsrede darauf hin, dass der mit großer Mehrheit gefasste Beschluss des Bundestages, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen, die tief in das russische Territorium reichen, wie eine Kriegserklärung an Russland klingen. Großen Beifall erhielt auch ein Redner der Gruppe Eye4Palestine, der u.a. daran erinnerte, dass die Vertreibung der Palästinenser auch eine Folge der deutschen NS-Politik gewesen ist und die aktuellen Waffenlieferungen Deutschlands an Israel, das damit einen Genozid durchführt, eher diese Tradition fortsetzt als dass daraus die richtigen Konsequenzen gezogen würden.
Auch wenn es in den Parlamenten eine große Mehrheit gibt, die eine Eskalation des Krieges zwischen Russland und der NATO befürwortet, trifft dies keineswegs für die Bevölkerung zu, die sich nach jüngsten Umfragen in großer Mehrheit für Deeskalation und für diplomatische Initiativen ausspricht. Da kann man es nur als irreführend und als absolut selbstbeschädigend bezeichnen, wenn der Berliner Tagesspiegel im Vorfeld des Ostermarsches kommentierte: „Niemand braucht diesen Ostermarsch!“ Eher könnte man zu dem Schluss kommen, dass alle, die sich an diesem Kriege nicht bereichern können, mutige zivilgesellschaftliche Initiativen benötigen, um eine Zeitenwende zu erkämpfen, die ihren Namen verdient und nicht die Zukunft von Generationen verspielt. Die Opfer des Krieges gehen inzwischen in die Hundertausende. Die Ukraine selbst wird zunehmend verwüstet. Soll dieser Wahnsinn nun über Monate, oder gar Jahre fortgesetzt werden, nur damit die sicher geglaubten Renditeerwartungen der Markt beherrschenden und auch die Politik dominierenden Kapitalgruppen durch das drohende Ausbleiben des erhofften “Siegfriedens” nicht verhagelt werden?
In der Tat stehen wir hier immer noch am Anfang. Die Größe der Herausforderungen und unsere Fähigkeit, diese zu bestehen, stehen in einem schmerzhaften Missverhältnis zueinander. Das zeigte sich auch am Altersdurchschnitt der Teilnehmer:innen, die in ihrer großen Mehrheit noch als Kinder mit Kriegsfolgen zu tun hatten oder deren Spuren im Leben der Eltern miterleben konnten. Bei den großen Demonstrationen gegen die geplante Stationierung von US-Atomraketen der 1980er-Jahre trug die junge Generation noch diese Aktionen. Die heutige scheint eher handlungsunfähig. Offensichtlich führt die emotionale Wucht, mit der vor allem medial hier zu Lande Kriegsnarrative gepflegt werden, dazu, dass sich die junge Generation nur sehr sehr zögerlich den real existierenden Gefahren stellt, die ja insbesondere sie treffen.
Im folgenden erste mediale Eindrücke der Aktion vom Samstag. In den kommenden Tagen werden wir diese noch erweitern und es wird auch möglich sein, hier die auf der Kundgebung gehaltenen Reden nachzulesen.“
Recht herzlichen Dank an Jochen Gester für den Text. Erstveröffentlichung des Text in: gewerkschaftliche-linke.de.
Rednerinnen und Redner:
• Michael von der Schulenburg, ehem. UN-Diplomat
• Lühr Henken, Sprecher Bundesausschuss Friedensratschlag
Gizem (DIDF)
• Josephine Thyrêt, Beschäftigte bei Vivantes, Betriebsrätin
• Christoph Krämer, IPPNW
Vertreter und Vertreterinnen von:
o Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
o Eye4palestine
o SDAJ
Musik:
• Gizem (DIDF)
• Peter Wittig (SiDat Projekttheater)
Moderation:
• Jutta Kausch
Kleine Bildergalerie
Redebeiträge: Video und Text
Michael von der Schulenburg
Lühr Henken
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Christoph Krämer
Redebeiträge in Textform
Eye4palestine
„Einen schönen guten Tag an alle und Slam, im Namen der Gruppe @Eye4palestine möchte Ich eine Rede halten.
Ich bin‘s Leid, vor jeder Rede zur Solidarität mit Palästina mich vorher von Judenhass und Antisemitismus distanzieren oder Organisationen, die in der EU und in Nordamerika als Terrororganisationen eingestuft werden, verurteilen zu müssen, bevor ich das Anliegen meines Volkes zur Sprache bringen kann. Es ist wichtig zu betonen, dass Solidarität mit den Palästinensern nicht zwangsläufig mit Judenhass oder Antisemitismus verbunden ist. Es gibt viele Menschen, die sich für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzen, ohne antisemitische Ansichten zu vertreten.„
Anna, SDAJ
„…es ist wieder Ostern und wir sind, wie jedes Jahr, auf der Straße, um gemeinsam für den Frieden einzustehen. Der Kampf für den Frieden hat eine lange Tradition, und war dieser noch vor einigen Jahren eine Forderung, hinter der sich breite Linke Bewegungen vereinen konnten, so erfordert es heute deutlich mehr Mut, mehr Kraft und Zusammenhalt, mehr Solidarität, sich Konsequent gegen die Kriegstreiberei und ideologische Vorbereitung auf den Krieg zu stellen.“
Gizem (DIDF)
„… Ich bin Gizem von der DIDF, der Föderation der demokratischen Arbeitervereine. Als wir uns vor zwei Jahren auf dem Ostermarsch versammelt haben, um gegen den damals noch jungen und brutalen Krieg in der Ukraine und gegen die Beteiligung der Bundesregierung an diesem Krieg zu protestieren, war die internationale Lage schon an einem Abgrund. Die Gefahr eines großen Krieges, eines Weltkrieges, ist schlagartig angestiegen. Heute, zwei Jahre später, würden wir uns wünschen, einen Schritt weiter zu sein, nicht mehr dort stehen zu müssen, an einem solchen Abgrund.„
Jutta Kausch-Henken, Schauspielerin, Moderation
„… Der Ostermarsch, vor 64 Jahren zum ersten Mal in der Bundesrepublik Deutschlands
durchgeführt, hat seit den 80er Jahren in Berlin einen festen Platz in der Arbeit der
Friedensbewegung. Unbeirrt treffen sich Friedensbewegte – seit 1990 West-und Ost gemeinsam am Ostersamstag. Seid herzlich willkommen! Bevor wir mit unserer Kundgebung beginnen, verlese ich die polizeilichen Auflagen, ohne die es ja heute nicht mehr geht.“
ad hoc Ansprache von Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin, ex. Pres. International League for Human Rights – FIDH/AEDH Germany
Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin, ex. Pres. International League for Human Rights – FIDH/AEDH Germany,
ehm. Präs. Internationale Liga für Menschenrechte(ILMR)
„… Das von Jutta Kausch soeben zur Anmoderation rezitierte „Höre Israel“ von Erich
Fried und gab mir so den Titel für meine ad hoc-Ansprache.
„Höre Israel“ („!ישראל שמע“)
Es ist ein Bibelzitat und zugleich ein zentrales, wenn nicht das zentrale Gebet der
jüdischen Tradition, das täglich zweimal, morgens und abends, gebetet wird. Be-
kannt auch als „Shma!“ („Höre!“) wurde es – so erzählen Überlebende des Holo-
caust in Auschwitz – von jüdischen Männern leise oder laut bei der schweren Ar-
beit und auf dem Weg zur Gaskammer gebetet.
Erich Fried schrieb das danach benannte Gedicht 1967 aus Verzweiflung über den
(„Blitz-„) Krieg, den Israel am 5. Juni gegen drei der vier arabischen Nachbarstaa-
ten begann und am 10. Juni nach Eroberung ihrer Grenzterritorien beendete. Dazu
gehörten die Westbank mit Ostjerusalem auf transjordanischer, der Gaza-Streifen
und die Sinai Halbinsel auf ägyptischer sowie die Golanhöhen auf syrischer Seite.
Mit Ausnahme der 1979 an Ägypten zurückgegangene Sinai Halbinsel sind alle an-
deren Territorien seitdem und also seit mehr als 56 Jahren illegal okkupiert und
unter israelischem Militärkommando gestellt, wenn nicht sogar annektiert sind.
„Höre Israel!“ ein zentrales Gebet des Judentums. Vergeblich.
Die zionistischen Führer hören nicht. –„
Dank an Klaus Murawski für die Übersendung des Redebeitrages.