Nan Goldin spricht die Wahrheit – für das offizielle Berlin ein Eklat! – eine Rückschau!

Die berühmte Künstlerin Nan Goldin bot Zeitenwende und deutscher Staatsräson die Stirn. Für die Eliten hierzulande ein Skandal. Für uns ist dieser Skandal ein Skandal. Hier die ganze Geschichte. Der Reihe nach.

Ein internationales Prestigekunstprojekt

Mit der Retrospektive „This Will Not End Well“ in der Neuen Nationalgalerie „wird erstmals ein umfassender Einblick in das Schaffen von Nan Goldin von 1980 bis heute gegeben“. Nach dem Auftakt in Stockholm und Amsterdam wird die Ausstellung nun in Berlin gezeigt und reist im Anschluss nach Mailand und Paris.

Die Künstlerin Nan Goldin

Die Fotografin Nan Goldin gehört aktuell zu den global bedeutendsten Künstler:innen. 2022 wurde sie auf der Power-100 Liste der Zeitschrift Art Review weltweit als Nummer 2 geführt. Ebenfalls im Jahr 2022 hob das deutsche Kunstmagazin Monopolin in seinem Ranking der 100 weltweit einflussreichsten Künstlerinnen und Künstler Nan Goldin auf den ersten Platz. Die Akademie der Künste (Berlin) verlieh ihr 2022 noch den Käthe-Kollwitz-Preis. Im gleichen Jahr erhielt sie den Goldenen Löwen beim 79. Internationalen Filmfest von Venedig für ihre Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed’’ und 2007 den Hasselblad Award, Göteborg, Schweden.

Wer Nan Goldins Werke ausstellen darf profitiert von ihrem Ruhm.

Künstler:innen im Fadenkreuz geopolitischer Konflikte

Mit der doppelten Zeitenwende von Ukrainekrieg, endgültig aber mit dem Nahostkonflikt geraten Künstler:innen wie Nan Goldin, die ihre Kunst als Ausdruck und Sprachrohr ungeschminkter Wahrheiten wie auch unbequemer Parteinahme für die Opfer rassistischer, patriachaler und imperialer Strukturen ansehen, ins Kreuzfeuer geopolitischer Interessen des Westens.

Bislang verlief ihre Ausstellung ohne Zwischenfälle, doch nun in Berlin ist Goldin bereits vor Ausstellungsbeginn in eine aufgeheizte Debatte um Antisemitismus in der Kunstszene geraten. Die US-amerikanische, jüdische Künstlerin gilt als Unterstützerin der BDS-Bewegung und kompromisslose Kritikerin der zionistischen und rechtsextrem durchseuchten Politik Israels, was in Deutschland als „antisemitisch“ diffamiert wird. Goldin ist nicht bereit, den Kotau vor diesen Absurditäten zu machen und besteht auf ihrem Recht, die Eröffnungsrede zu halten.
Aufgrund der internationalen Einbindung und des Renommees der Künstlerin schien es den Berliner Kulturverantwortlichen als nicht opportun, der Künstlerin das Rederecht zur Eröffnung ihrer Ausstellung zu versagen.

Eine Rede, die das Schweigen bricht

Rede von Nan Goldin am 22.11.2024 in der Neuen Nationalgalerie Berlin anlässlich der Eröffnung ihrer Ausstellung „This Will Not End Well“. Video Adam Broomberg.

Nan Goldin begann ihre Rede mit einer vierminütigen Schweigepause, um an die Todesopfer in den palästinensischen Gebieten, im Libanon und auch in Israel zu erinnern, wie sie sagte.

»Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, denen meine Großeltern entkommen sind« Sie zeigt eine empathische Erinnerungskultur, die aus den Verbrechen der Vergangenheit die Ablehnung der Verbrechen der Gegenwart herleitet. Absurd die neuen Verbrechen mit Verweis auf den Holocaust verharmlosen oder sogar rechtfertigen und die neuen Verbrecher damit reinwaschen zu wollen!

Die Fotografin kritisierte unmissverständlich Deutschlands Haltung zum Nahostkonflikt. Deutschland sei die Heimat der größten palästinensischen Diaspora Europas. „Dennoch werden Proteste mit Polizeihunden bekämpft“. Obwohl die deutsche Regierung „die Zungen geknebelt hat“ spricht Nan Goldin die Wahrheit ungeschminkt aus! Im Zentrum staatlicher Kulturhohheit , in den Hallen der Neuen Nationalgalerie !

Die ganze eindrucksvolle Rede könnt ihr hier im Video von Adam Broomberg sehen. Natürlich wurde die Rede festgehalten trotz offiziellem Verbot von Filmkameras.

Im Anschluß an Ihre Rede stürzt Kurator Biesenbach ans Mikrofon, um das Deutsche „Ja aber“ dagegen zu setzen. Laute Unmutsbekundungen aus dem Publikum. Menschenrecht und Solidarität mit den Palästinenser:innen sollen uneingeschränkt gelten. Da darf es kein „Ja aber“ geben.

Nach der Rede – das offizielle Berlin schäumt vor Wut

Das offizielle Berlin und nicht zuletzt die Presse regten sich darüber auf, dass Demonstranten den Kurator Klaus Biesenbach bei seiner „Widerrede“ unterbrachen. Bei einem Bückling vor der deutschen Staatsräson. Bei der Verharmlosung und der Verteidigung der Unterstützung eines Staates, der gerade weltweit des Massen- und mutmaßlichen Völkermords sowie Verstößen gegen das internationale Völker- und Menschenrecht angeklagt ist. Gegen dessen verantwortlichen Ministerpräsidenten ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Die anwesenden Demonstranten riefen: „Verstehen Sie nicht?“

Die führende deutsche Kaste und ihre Presseschreiber erdreisten sich am Folgetag, die lautstarke Empörung aus dem Publikum als „kulturloses“ und nicht „akzeptbables Niederschreien“ und „Gekreische“ abzutun. Die Schreie von Zehntausenden Kindern und Babys, von Frauen, das Stöhnen der Erde, die von Israels Gift heimgesucht wird – all das berührt diese Leute wohl nicht. Aber wenn Demonstranten laut werden, während ein Vertreter der „deutschen Staatsräson“ spricht, das geht absolut nicht. Der Skandal könnte nicht größer sein!

„untergründige“ Kommentare jenseits des Mainstreams

Berlin ist in der Zwickmühle. Man will sich mit den Kunstwerken einer weltberühmten Künstlerin schmücken und ihre Kunst von ihrer „nicht staatstreuen“ Meinung abtrennen. Diese Künstlerin aber läßt sich nicht den Mund verbieten und widerspricht unüberhörbar.

Der Titel der Ausstellung „This Will Not End Well“ könnte auch als die passende Prognose für die aktuelle politische Leit- und Cancelculture des Berliner Senats interpretiert werden. Prägte einst der Spruch „Berlin ist arm, aber sexy“ diese Stadt, die damit zum internationalen Magneten von Kultur, Wissenschaft und Freiheitsrechten heranwuchs, so müsste es heute heißen: „Berlin ist ugly, arm und ärmer“! Nicht Kultur und Wissenschaft, sondern prügelnde „bad cops“ prägen inzwischen das weltweite Bild von Berlin. Vornedran ein Regierender Bürgermeister, der auch schon mal von Mitbürgern als „Netanyahu im Westentaschenformat“ tituliert wird.

Viele aus der Kulturszene drücken ihre Hoffnung aus, daß Nan Goldin durch ihren mutigen Auftritt Zeichen gesetzt und damit der extremen Cancelculture des Berliner Senats Grenzen aufgezeigt hat. Nicht zuletzt auch, weil ein Interesse besteht, irreparable wirtschaftliche Schäden zu vermeiden.

So hart es auch klingt: Gerade angesichts der massiven Kürzungen im Kultursektor durch fu*ing CDU baut diese Aktion Druck auf, den fu*ing Joe Chialo nicht einfach wegrationieren kann.(…) Es ist traurig, dass das hier das Potential hat, mehr Druck auf die Kulturpolitik aufzubauen, als all die Arbeit, all das Engagement kleinerer Kunstorte und Kulturzentren, aber am Ende wollen wir ja alle nur: FREE PALESTINE. [1]Quelle IG Candice Breitz 23.11.24

„Berlin hat seit letztem Jahr massiv seinen Ruf als internationale Kulturmetropole eingebüẞt. Die Neue Nationalgalerie ist ein absolutes Prestige-Projekt in der Stadt, (…) Mit Biesenbach hat sich Berlin einen Starkurator zurückgeholt, der (…) zum Posterboy der SMB geworden ist und internationale Stars (v.a. lebende) in die Stadt geholt hat. Krasses Marketing (…)
Und kulturelles Kapital ist für die Politik nach wie vor, oder auch gerade jetzt, wichtig-auch für die CDU. Eine Ausstellung von NAN GOLDIN, die gerade in den letzten Jahren nochmal so in den Fokus gerückt ist, zu canceln, eine groẞe Sonderausstellung in der NN, die ursprünglich vom Moderna Auseet kuratiert wurde und auch schon im Stedelijk zu sehen war, wäre ein internationaler Skandal „[2]Quelle IG Candice Breitz 23.11.24

Kann sein, daß der mutige Auftritt von Nan Goldin dazu führt, dass die Berliner Kulturlverantwortlichen die „Zwänge der Staatsräson“ in naher Zukunft etwas geschmeidiger umzusetzen versuchen. Aber wir sollten uns keinen Illusionen hingeben. Die Reaktion ist auf dem Vormarsch. Nan Goldins standhafte Haltung ist vor allem eine Ermutigung für eine wachsende wlderständige Kultur von unten. Hier liegt die Zukunft für wirkliche Veränderungen, nicht in den Tempeln der Eliten.

Der Kommentar der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost fasst die Ereignisse um die Rede von Nan Goldin wohl am treffendsten zusammen:

Wenn Deutschland und Berlin nicht so viel Geld und PR-Mühe in die Retrospektive gesteckt hätten, die u.a. zwischen Amsterdam, Mailand und Berlin wandert, hätten sie Nan Goldin längst abgesagt. Doch eine Absage in diesem Fall hätte Deutschland weiteren Schaden zugefügt – in einer Zeit, in der Deutschland Synonym für Provinzialität, Zensur von Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit geworden ist.
So blieb der Leitung der Nationalgalerie keine Wahl, als sich mit dieser Jüdin mit einer selbstständigen Meinung auseinanderzusetzen. Und sie nutzte das ihr gewährte Privileg, um den Opfern eine Stimme zu geben –so wie Yuval Abraham, Nancy Fraser, Masha Gessen, Jonathan Glazer, Judith Butler, Naomi Klein, Noam Chomsky und viele andere jüdische Stimmen, die Deutschland kleinredet und zum Schweigen bringt.

Nan Goldin erinnerte Deutschland daran, dass sie als Jüdin, deren Familie Opfer christlicher Verbrechen war, sich heute mit den Opfern solidarisiert. Und diese Opfer sind nicht die Deutschen mit einem Nazi-Opa, die so „sensibel“ sind und für die man Rücksicht nehmen muss, indem man nicht ausspricht, dass Israel einen Völkermord begeht – weil sie es nicht hören wollen. Die Opfer des Völkermords, den Israel mit Unterstützung Deutschlands begeht, während es die Geschichte der jüdischen Opfer instrumentalisiert, sind die Palästinenser. Nan Goldin beginnt mit ihnen, endet mit ihnen und ruft zu Handlungen auf.

Sie erinnerte Klaus Biesenbach (Direktor der neuen Nationalgalerie) daran, dass seine Trennung zwischen Nan Goldin als Künstlerin und Nan Goldin als Aktivistin nichts anderes als ein Abwehrversuch ist – ein Versuch, die Ausstellung zu retten und ein guter deutscher Beamter zu bleiben. Doch sie lässt ihm das nicht durchgehen. Sie erlaubt keinem weißen deutschen Mann, ihre Biografie oder die für ihn unbequemen Teile ihrer Geschichte und Persönlichkeit nach seinen Vorstellungen zu löschen.

Als jemand, die einer Minderheit angehört und es zu einer Position der Macht geschafft hat, kriecht sie nicht vor dieser Macht wie Joe Chialo. Sie nutzt diese Macht auch nicht, um andere Schwachen zu unterdrücken und sich vor der Herrschaft zu verbeugen. Chialo hat viele Gründe, nicht zu mögen, was sie gesagt hat. Nan Goldin ist all das, was Joe Chialo nicht ist.

Sie bietet der Hegemonie keine unterwürfige Performance: Sie konzentriert sich ausschließlich auf zivile Opfer – Hunderttausende Palästinenser und Libanesen
so wie im Vergleich dazu die Hunderte israelischen Opfer. Sie ignoriert die israelischen Soldaten, die nach internationalem Recht legitime Ziele sind. Sie verdeckt nicht die Realität des Völkermords mit Phrasen wie „Israels Existenzrecht“. Sie fürchtet sich nicht vor Kai Wegner oder einem anderen Politiker, dessen Name in zehn Jahren vergessen sein wird. Er kann morgen oder übermorgen das twittern was er will. Egal.

Sie erinnert Iris Spranger, die Polizisten mit Hunden gegen ihre eigenen Bürger einsetzt, daran, dass das barbarisch ist. Und dass Deutschland nichts gelernt hat. Nan Goldin spricht truth to power – an einem zentralen Ort in Berlin und als Jüdin. Solange das noch möglich ist, und in der Hoffnung, dass viele ihr folgen werden, auf die Straßen gehen und sich nicht fürchten.

Hörst du das, Deutschland?

Mehr Kommentierung braucht es wohl nicht.

Titelbild , Collage Peter Vlatten , Candice Breitz, Never Again (200 Wassermelonen), 2024. Foto: Armin Marewski

Wir danken für das Publikationsrecht für das Video!

Deutschlandfunk 24.11.

References

References
1, 2 Quelle IG Candice Breitz 23.11.24

EU: Ausweg aus dem gefährlichen Vasallen-Status

Im Zangengriff des kapitalistisch-militärisch-medialen US-Imperiums wird die EU volkswirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell verarmt, degradiert, mit Kriegshaushalten überzogen und als Stellvertreter in die tödliche US-Geopolitik einbezogen, auch in einen möglichen 3. Weltkrieg. Das hat eine Vor-Geschichte. Und der Ausweg?

Werner Rügemer

Foto. Ingo Müller, Werner Rügemer 2023

Inhaltsverzeichnis

Das erste Muster: Marshall-Plan mit NATO

Mit dem Marshall-Plan förderten die USA nach 1945 die Re-Industrialisierung in Westeuropa, aber auch neue Industrialisierung durch US-Konzerne. Die Gelder gab es nur, wenn antifaschistische, linke, kommunistische Parteien und nationalbewußte Politiker wie Charles de Gaulle aus den Regierungen vertrieben oder korrumpiert waren. In Griechenland flossen die Gelder erst, als US-Militär die antifaschistische Befreiungsbewegung niedergebombt und die Monarchie wieder eingesetzt hatte. Der Marshall-Plan förderte den Absatz von US-Produkten, die Anbindung der Währungen an den Dollar. Hinzu kam Hollywood-Kultur und neue kapitalfinanzierte Wissenschaft, zu der z.B. die „Kritische Theorie“ gehörte.

Unternehmen und Banken, die NS-Komplizen und Kriegsgewinnler waren, in Deutschland, aber auch im NS-besetzten West-, Nord- und Südeuropa – und auch in den USA selbst – , wurden weder bestraft noch entflochten noch enteignet. Diese Politik war abgesichert durch hard power: Das von den USA geführte Militärbündnis NATO, verstärkt durch US-Militärstützpunkte in den NATO-Mitgliedsstaaten.1

In Westeuropa, insbesondere im „westlichen Schaufenster“, dem provisorischen Separatstaat Bundesrepublik Deutschland, blühte deshalb nicht nur der alte Reichtum der NS-Kollaborateure. Auch für große Teile der abhängig Beschäftigten entstand ein steigender Wohlstand: Er war aber nur ein Zugeständnis auf Zeit.

EU-Osterweiterung: abhängiger Oligarchen-Kapitalismus

Ab 1990 organisierten US-Berater die Umgestaltung der ex-sozialistischen Staaten. In der deutschen Treuhand-Anstalt dominierten McKinsey, Price Waterhouse Coopers, JP Morgan: Die Unternehmen der sozialistischen DDR wurden zu Schleuderpreisen verkauft, nach einigen Jahren verkleinert oder stillgelegt. Mithilfe von EU-Subventionen ersetzten Filialen und Zulieferer westlicher Konzerne die alte Industrie – die Löhne sind auch 30 Jahre später noch niedriger als im „vereinten“ Westdeutschland, junge Menschen wandern aus.

So wurde in den Staaten Osteuropas der Typus des abhängigen Oligarchen-Kapitalismus etabliert: Ausländische Konzerne – Auto-, Energie-, Logistik-, Handels- und Pharmabranche – nutzen die Standorte selektiv für Zulieferfirmen oder Filialen, so etwa der Handelskonzern Amazon. Die Regierungen erlassen Steuern und finanzieren Infrastruktur. Die EU vergibt Subventionen, Gewerkschaften werden geschwächt, Löhne sind niedrig. Die strategischen Entscheidungen fallen im Ausland. Gleichzeitig bilden einheimische Oligarchen privat-staatliche Monopole. Bis zu einem Viertel der arbeitsfähigen Einwohner sind als billige Wanderarbeiter im Ausland unterwegs, saisonal oder dauerhaft, im Bau, in der häuslichen Pflege, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Gastronomie und Prostitution.

Politisch vollzogen wird dies – wie schon bei Marshall-Plan und NATO – durch politisch rechtsgerichtete Regierungen unterschiedlicher Couleur, ob konservativ, liberal oder auch sozialdemokratisch. In Jugoslawien förderten NATO und EU rassistische, rechte bis faschistoide Kräfte und damit die nationalistische Aufspaltung in sechs Kleinstaaten – obwohl dieselben westlichen Propagandisten Nationalismus und Rassismus ansonsten heftig anprangern.2

Priorität NATO: Alle osteuropäischen Staaten wurden zuerst Mitglied der NATO, erst danach durften sie Mitglied der EU werden. Weitere Staaten sind schon Mitglied der NATO, so Nordmazedonien, Montenegro und Albanien. Sie bleiben volkswirtschaftlich verarmt, wichtig als Militärstützpunkte in Richtung Russland.

Nur Russland wehrte sich gegen den US-Zugriff

Zunächst klappte diese Strategie auch gegenüber dem wichtigsten US-Zielstaat, Russland: Der nach 1990 erste, prowestlich-korrupte Präsident Boris Jelzin förderte den Ausverkauf der Unternehmen mithilfe westlicher Investoren und Berater und einheimischer Oligarchen. Die Volkswirtschaft schrumpfte, die Bevölkerung verarmte, Selbstmorde und Alkoholkonsum nahmen zu.

Putin wurde zur Führungsfigur des Widerstands: Der Kapitalismus wurde zwar nicht abgeschafft, wird aber im nationalen Interesse gestaltet. Einige Oligarchen machen mit, einige haben ihren Sitz nach London oder Israel verlegt. Die russische Wirtschaft erholte sich, die NATO blieb draußen: So wurde Russland zum verhetzten Systemfeind – obwohl das NATO-Gründungs-Narrativ „böser Kommunismus“ erstens gefälscht war und zweitens sowieso gegenstandslos ist.

Fazit: Die USA wollen keineswegs die Demokratie und „die freie Marktwirtschaft“ verbreiten, auch nicht „den Kapitalismus“, auch keine volkswirtschaftliche Entwicklung, sondern nur eine selektive Standortpolitik für US- und verbundene westliche Investoren und deren antisoziale private Gewinne. Dies wird abgesichert durch die NATO, zusätzliche US-Militärstützpunkte, US-Berater und -Stiftungen und mithilfe politisch rechter Kräfte.

US-Investoren kaufen europäische Unternehmen

US-Konzerne, Banken und Berater betreiben seit hundert Jahren Filialen in West-Europa, seit 1990 auch in Ost-Europa, so Coca Cola, Ford, General Electric, IBM, Esso, UPS, McDonald’s, JP Morgan, McKinsey. Auch die neuen Digitalkonzerne wie Apple, Microsoft, Google, Amazon, Facebook, Uber, AirBnB und US-Beratungsfirmen wie Accenture und Freshfields betreiben Filialen in EU-Staaten mit führender Stellung in ihren Branchen.

Aber seit der Jahrtausendwende kaufen US-Kapitalakteure bestehende europäische Unternehmen. Private Equity-Investoren wie Blackstone und KKR („Heuschrecken“) sind spezialisiert auf mittelständische Unternehmen. „Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, bilanzierte Stephen Schwarzman, Chef von Blackstone, nach dem Super Return International, dem Treffen von 5.000 Private-Equity-Managern 2024 in Berlin.3

Und die erste US-Kapitalisten-Liga mit BlackRock, Vanguard & Co. ist seit der Finanzkrise ebenfalls auf Einkaufstour. Sie sind nun führende Eigentümer der wichtigsten Unternehmen, Banken, Wohnungskonzerne in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, den Niederlanden usw., auch in der Schweiz. Zum Beispiel sind sie in allen 40 Unternehmen des deutschen DAX vertreten sowie im MDAX.4 Die meisten Gewinne gehen in die USA, während die Lebensverhältnisse verteuert und die Arbeitseinkommen gesenkt werden, in der gesamten EU.5

Dafür werden die Regierungen und die EU beraten von US-Firmen wie McKinsey, Accenture, KPMG, PwC, EY, Freshfields, Standard&Poor’s. Beispiel Deutschland: Zusätzlich waren im Jahre 2022 mindestens 179 Ex-Mitarbeiter dieser Firmen im deutschen Bundeskanzleramt, in Bundesministerien und Bundesbehörden als hochbezahlte Mitarbeiter angestellt.6 Im deutschen Wirtschaftsministerium unter dem grünen Minister Robert Habeck wurde eine BlackRock-Managerin aus London zur Leiterin der Grundsatzabteilung ernannt. PwC wurde in diesem Ministerium als offizielle Prüfbehörde installiert: US-Berater entscheiden über staatliche Subventionen an Unternehmen bei der Energietransformation.7

Deshalb haben die seit dem Ende des 2. Weltkriegs jahrzehntelang regierenden Parteien – ob konservativ, christlich, liberal, sozialdemokratisch – die Mehrheiten der abhängig Beschäftigten verarmt, haben immer weiter an Wählerzustimmung verloren, haben als gemäßigte Rechtskräfte das Erstarken neuartiger Rechtskräfte gefördert: übrigens besonders in Staaten, die noch enger mit den USA verbunden sind: In England und Israel.

Obamas wirtschaftlich-militärische Geopolitk

Die US-Regierung unter Barack Obama ließ sich in der Finanzkrise von BlackRock beraten und förderte dessen globale Expansion. Er förderte das US-Frackinggas und machte es zu einer geopolitischen Waffe. Es ist extrem umweltschädlich, es ist zudem für die Anwohner tödlich: Sie sterben früher. Die USA wurden weltgrößter Exporteur. Obama gab dem Gas dafür einen grünen Anstrich: Er ließ es umbenennen in „natürliches“ Gas, Liquified Natural Gas, LNG. So machen auch grüne Parteien und grüne Investmentfonds bei der militärisch unterstützten Geopolitik mit.8

Mit dem Ukraine-Krieg setzten die USA ihre Ziele durch: 1. die EU vom russischen Gas abtrennen und vom viel teureren LNG abhängig machen, 2. die EU-Staaten zusätzlich auf noch höhere Kriegshaushalte festlegen, gegen Russland und China.

Deutschland I: De-Industrialisierung

So nahm die EU die US-Gesetze von 2022 zur Re-Industrialisierung der USA ohne Kritik hin: Den Inflation Reduction Act (IRA) und den CHIPS and Science Act.

So schließen energieintensive Chemiekonzerne Abteilungen in Deutschland. Bayer verlagert vor allem in die USA. BASF erweitert mit 10 Milliarden Euro den schon bestehenden, großen Standort in China – dort erweitern auch Covestro und Wacker ihre Produktion. Der erfolgreichste deutsche Heizungsbauer, Viessmann, wurde vom US-Konkurrenten Carrier gekauft. Thyssen-Krupp will – trotz zwei Milliarden an staatlichen Subventionen – tausende Beschäftigte bei der Stahltochter entlassen und den tschechischen Investor Kretinsky beteiligen. US-“Heuschrecken“ kaufen Mittelständler, andere Mittelständler machen pleite.9 US-Berater dominieren beim Arrangement von Käufen und Umstrukturierungen.10

Zwei führende deutsche Industriebranchen werden abgeschrumpft: Die Autokonzerne halten sich noch durch Produktion und Verkauf von Luxusautos, in den USA und vor allem in China; die Zulieferer werden in die USA, nach Osteuropa oder China ausgelagert, oder machen dicht, wenn sie beim e-Auto nicht mitkommen. VW will erstmals in Deutschland Werke schließen, Beschäftigte entlassen, den jahrzehntelangen Vertrag mit der Gewerkschaft beenden. Ähnliches gilt für den Maschinen- und Anlagenbau.11

Deutschland II: Re-Industrialisierung

Aber auch die Re-Industrialisierung steht unter US-Regie. Apple, Google, Microsoft, Palantir & Co. übernehmen noch mehr die Digitalisierung von Unternehmen, Finanzen, Handel, Medien, Schulen, Wissenschaft, Gesundheit, Infrastruktur und Behörden. Apple, Amazon und Microsoft errichten neue Datenzentren und Clouds. Google führt bei den transatlantischen Unterseekabeln.12

Der Pharmakonzern Eli Lilly baut eine neue Fabrik in Rheinland-Pfalz. Intel baut im strukturschwachen Ostdeutschland die größte Chipfabrik Europas – die 10 Milliarden Euro an Subventionen kommen aus allen öffentlichen Haushalten, von der EU, von der deutschen Regierung, von der Landesregierung Sachsen-Anhalt und von der Stadt Magdeburg. Intel lässt sich aber gleichzeitig neue Chipfabriken in Polen und Israel subventionieren.

Der größte Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan, baut ebenfalls im de-industrialisierten Ostdeutschland eine hochsubventionierte Chipfabrik – die europäischen Konzerne Bosch, Infineon und NXP dürfen mit 10 %-Anteilen mitmachen. Tesla hat die weitaus größte, subventionierte Fabrik für e-Autos in Deutschland errichtet und will weiter ausbauen, im strukturschwachen Brandenburg.13 Der US-Chiphersteller Wolfspeed baut eine Fabrik im Saarland, wo die Stahlwerke geschlossen wurden. Wie in den DAX-Unternehmen sind BlackRock&Co. auch führende Aktionäre in den genannten US-Konzernen, aber auch bei TSMC.

Zur Re-Industrialisierung unter US-Dominanz gehört auch die Rüstung. So steht der größte Rüstungskonzern in Deutschland, Rheinmetall, der in den letzten Jahren besonders stark expandierte, nach 150 Jahren deutscher Tradition jetzt unter US-Regie: Der größte Aktionär heißt nun BlackRock, danach folgen Bank of America und Goldman Sachs.

Kaputte Infrastruktur: Bahn, Brücken, Atomabfälle

Gleichzeitig bleiben elementare industrielle Strukturen Deutschlands auf dem Niveau kolonial verarmter Staaten:

*Das staatliche Bahnunternehmen Deutsche Bahn hat zu wenig und zu alte Schienen; Stellwerke und elektrische Oberleitungen sind ständig reparaturbedürftig – Zugausfälle und stundenlange Verspätungen sind tägliche Erfahrung von Millionen Kunden.

*Etwa 10.000 Brücken, die meist noch aus der Nachkriegszeit stammen, sind marode, aber nur einige Dutzend werden in jahrelangen Verfahren mühsam saniert, vorrangig für Militärtransporte.14

*Die atomaren Abfälle liegen in 16 Zwischenlagern, teilweise in maroden ehemaligen Bergwerken, teilweise ungenehmigt. Das Endlager soll jetzt bis 2074 gefunden werden.15

*Großprojekte wie der Bahnhof Stuttgart, der Flughafen Berlin, das Kölner Opern- und Theaterhaus und Renommier-Hochhäuser ausländischer Investoren ziehen sich jahrzehntelang hin, verteuern sich unkalkulierbar.

*Miet- und Eigentumswohnungen werden kaum mehr gebaut, die bestehenden werden verteuert, die Obdachlosigkeit steigt.

Leuchtturm des Kapitalismus“: Spaltung arm – reich

BlackRock koordiniert den Wiederaufbau der Ukraine: Sie soll, so Vorstandschef Lawrence Fink, digitalisiert und entbürokratisiert zum „Leuchtfeuer für die Kraft des Kapitalismus“ werden.16 Je mehr vorher zugunsten von BlackRock-Aktionären zerstört wird – BlackRock gehört zu den führenden Aktionären der Rüstungs-, Energie-, Digital- und Frackingindustrie der USA -, desto lukrativer ist die Re-Industrialisierung der Ukraine.

Durch die Kriegshaushalte der europäischen NATO-Staaten werden die abhängig Beschäftigten noch mehr verarmt: Die Arbeitsverhältnisse werden noch mehr flexibilisiert, verbilligt, entrechtet – Ältere werden vorzeitig ausgesondert; immer mehr Überstunden werden nicht bezahlt. Junge willige Fachkräfte werden nicht mehr vorrangig aus Osteuropa geholt, sondern aus noch ärmeren Drittstaaten wie Indien, Argentinien und Marokko. Lebensmittel, Energie, Mieten, Mobilität, Krankheitsbehandlungen und Medikamente, Altersheime werden verteuert, die Renten werden abgesenkt und privatisiert, die Lebenserwartung sinkt.17 Dies trifft auch die jahrzehntelang als systemrelevant gehätschelte middle class, in den USA schon seit drei Jahrzehnten, in den reichen EU-Staaten einige Zeit später.

Gleichzeitig kommen die neuen Aufsteiger im Gefolge von BlackRock&Co. zusammen mit ihrer zivilen Privatarmee der Berater, ihrer politischen Mittäter und deren „neuen Werte“ der egoistischen Ich-Inszenierung zu neuem, elitärem Reichtum. BlackRock&Co. anonymisieren ihre superreichen Geldgeber mithilfe von Briefkastenfirmen in einem Dutzend Finanzoasen zwischen den Cayman Islands, Luxemburg und Amsterdam und verarmen damit die westlichen Staaten, die sich immer mehr überschulden, auch durch immer mehr Schattenhaushalte, ohne Aussicht auf reguläre Rückzahlung – die USA an erster Stelle: Gleichzeitig verlangen und erhalten die führenden Kapitalisten beispiellos hohe staatliche Subventionen.

Der Ausweg: Souveränitäten und Kooperationen

Die anhand von Deutschland verdeutlichte Logik wuchert abgeschwächt und unterschiedlich in der ganzen EU. Deshalb warnte die Chefin des größten italienischen Unternehmens, ENI (Erdöl, Energie), Emma Marcegallia, vor dem G-7-Treffen 2024: „Wenn wir so weitermachen, werden wir unseren Wohlfahrtsstaat nicht aufrechterhalten, an den Technologiesprüngen scheitern und unsere Lebensqualität verlieren.“18

Deshalb brechen Widersprüche auf, noch verhalten: Die deutschen Autokonzerne VW, BMW und Daimler lehnen die von der EU geplanten Strafzölle auf China-Importe ab.19 Spanien, Frankreich und Belgien importieren Gas aus Russland. Serbien beschloss mit China 2024 eine Schicksalsgemeinschaft und einen Freihandelsvertrag, China baut die Bahnverbindung zwischen den Hauptstädten Budapest und Belgrad. Spanien, Irland und Norwegen erkennen Palästina als eigenen Staat an. China baut eine Batteriefabrik in Ungarn, die beiden Staaten bauen ihre Kooperationen aus, Regierungschef Viktor Orban verhandelt gegen die Spitze der EU mit der Ukraine, Russland und China über einen Waffenstillstand in der Ukraine.20

US- und EU-Sanktionen werden immer erfindungsreicher umgangen. Indien wurde zum größten Zwischenhändler der sanktionierten russischen Energie. Nach zwei Jahren westlicher Sanktionen überholte Russland Mitte 2024 die USA als Gaslieferant in Europa und blüht wirtschaftlich auf.21

Eigentlich müssen die unregulierten Schattenbanken BlackRock & Co. und ihre neuartigen Monopole reguliert, entflochten, enteignet, in Gemeineigentum überführt werden. Aber dies sind bisher nur vereinzelte Stimmen. Sogar der US-orientierte European Council on Foreign Relations (ECFR) stellte fest, nach einem Jahr Ukraine-Krieg: „Europa als US-Vasall – das ist unklug für beide Seiten“, und, so der ECFR: Nur die VR China wolle und könne „die internationale Ordnung neu gestalten, wirtschaftlich, diplomatisch, militärisch, technologisch“; China sei zudem „das Herzstück vieler kritischer Lieferketten, von denen die USA und ihre Verbündeten abhängen“.22

Wobei „China“ eben nicht nur den Staat China bedeutet, sondern auch die kontinentalen Formate SCO (Asien), CELAC (Lateinamerika), FOCAC (Afrika), 14+1 (Osteuropa) und vor allem BRICS: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika mit inzwischen weiteren Staaten wie VAE, Ägypten, Iran – und alle ohne chinesische Militärstützpunkte – im systemlogischen Unterschied zur militärisch begleiteten, kriegstreibenden Globalisierung nach US-Muster.

Selbst das Forschungsinstitut der deutschen Unternehmer stellt fest: Es war und ist die nationale Souveränität, die Chinas Aufstieg zur erfolgreichsten Volkswirtschaft ermöglicht hat.23 Also: Deutschland, Frankreich, Europa – auf zur Souveränität!

*Raus aus der NATO!

*Raus mit den US-Militärstützpunkten!

*Raus aus den Rüstungs- und Kriegshaushalten!

*Europäische Sicherheit mit Russland!

*Industrielle und Handels-Kooperationen mit den aufbrechenden Staaten, die sich in internationalen Formaten wie BRICS organisieren!

*Ausbau der öffentlichen Infrastruktur!

*BlackRock & Co. und ihre Unternehmen wie Amazon, Apple, Microsoft, Facebook & Co. regulieren, entflechten, enteignen, die sinnvollen Teile in national und sozial gestaltetes Eigentum überführen!24


Aktuelle Buchveröffentlichung zum Thema: Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft.

Verhängnisvolle Freundschaft
Wie die USA Europa eroberten
Erste Stufe: Vom 1. zum 2. Weltkrieg

www.werner-ruegemer.de


1Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft. Wie die USA Europa eroberten, zunächst vom 1. zum 2. Weltkrieg, Köln 2023, Seite 241 ff.

2 Werner Rügemer: Imperium EU. ArbeitsUnrecht, Krise, neuer Widerstand. Köln 2020

3„Europa ist für uns der beste Markt der Welt“, Handelsblatt 7.6.2024

4Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, 4. aktualisierte Auflage, Köln 2024

5Reallöhne in der EU deutlich unter Vorkrisenniveau, Hans Böckler-Stiftung 1.7.2024

6Bundesregierung gibt 580 Millionen Euro für Berater aus, Der Spiegel 11/2022

7PwC: Wie Habecks Haus eine Beratungsfirma glücklich macht, Die Zeit 39/2023

8Werner Rügemer: Tödliches Fracking, telepolis.de 29. März 2022

9Firmeninsolvenzen auf Zehn-Jahres-Hoch, ntv.de 8.8.2024

10Werner Rügemer: Waschstum pervers – Die neuen „Dealmaker“ der deutschen Wirtschaft, nachdenkseiten.de 22.9.2023

11Deutscher Maschinenbau auf Talfahrt, PwC Frankfurt/Main 22. 4.2024

12Amazon investiert 10 Milliarden Euro in Deutschland, FAZ 20.6.2024

13Tesla wants to double size of plant near Berlin, New York Times 22.7.2023

14Brückensanierung wird teurer als gedacht, tagesschau.de 8.5.2024

15Endlager für Atommüll verzögert sich, zdf.de 7.8.2024

16Der Billionenplan für die Ukraine, Wirtschaftswoche 21.6.2023

17DPWV: Paritätischer Armutsbericht 2024. Berlin März 2024

18„So wird Europa irrelevant“, FAZ 12.6.2024

19Ein Schutz, den niemand will. Warum die deutsche Autoindustrie Strafzölle auf China-Importe ablehnt, FAZ 2.7.2024

20Hungary’s Orban meets China’s Xi in mission to end Russia-Ukraine war, Al Jazeera 9 Jul 2024

21Russia overtook US as gas supplier to Europe in May, Financial Times 15.06.2024

22ECFR: The art of vassalisation – How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations, 4 April 2023

23IW: Konkurrenzdruzck aus China für deutsche Firmen, IW-Report 30/2024, Seite 6

24Werner Rügemer: BlackRock & Co. enteignen! 3. Auflage Frankfurt/Main 2023, siehe auch www.blackrocktribunal.de: Materialien nnd Veranstaltungen


„Dieser Beitrag erschien zuerst im „Freidenker Nr. 3-24 und wir bedanken uns bei Werner Rügemer zur Verfügungstellung seines Beitrag für unsere Webseite“

ZÄHMEN UND TRÄNEN

Im folgenden das Berlin Bulletin Nr. 227 11. Oktober 2024 von Victor Grossman. Lesenswert seine Beschreibung der DDR, in der er jahrzehntelang lebte.

Der 7. Oktober war für viele ein Tag der Tränen. Einige wurden für Familienmitglieder vergossen, die während des Angriffs der Hamas vor einem Jahr starben oder gefangen genommen wurden. Andere – und ich fürchte, weitaus mehr – trauerten um die mehr als 40.000 Menschen, die seither in Gaza getötet wurden. Jetzt kommen noch die Toten im Libanon hinzu. Und ebenso bittere Tränen beim Gedanken an die vielen, vielen Kinder, die überlebt haben – als Waisen, mit amputierten Gliedmaßen, mit körperlichen und seelischen Narben, die sie ihr Leben lang belasten werden.

Und doch gab es an diesem Tag auch ein paar weniger schmerzliche Tränen, einfach bei der Erinnerung an ein Ereignis, das lange, lange zurückliegt, völlig schmerzfrei war und für einige damals ein sehr freudiges Ereignis war. Vor 75 Jahren wurde in einem kleinen, sehr zerrütteten, sehr rückständigen Winkel eines Landes die Deutsche Demokratische Republik geboren.

Aber wie viele waren damals skeptisch! Nur vier Jahre zuvor hatten sich hier kleine Gruppen zusammengeschlossen, die aus dem Exil, aus Widerstandsbewegungen oder alliierten Armeen zurückgekehrt waren, Konzentrationslager und Gefängnisse überlebt hatten oder Jahre des ängstlichen Schweigens beendet hatten. Was sie vereinte, war eine brennende Mission; nach zwölf Jahren des Schreckens und der Verwüstung, körperlich und seelisch, waren sie entschlossen, etwas Neues zu schaffen, gereinigt von den Giften des Faschismus, des Rassismus und des menschenfeindlichen Hasses, und auf diesem Fundament einen Staat zu errichten, der Hunger, Armut und die ständige Angst vor Verzweiflung in einer Woche, einem Monat oder einem Jahr überwindet, frei von gieriger Ausbeutung, von der Unterdrückung von Frauen und Kindern, und sich dem Erreichen von Freundschaft und Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn und anderen Völkern und Kulturen auf allen Kontinenten verschreibt.

Das kleine Land, das daraus hervorging – oder der kleine Teil eines Landes – sah sich einer gebrochenen, zerrissenen Bevölkerung gegenüber, die durch die Vergiftung der vergangenen Jahre oder durch einen zynischen Unglauben an weitere Pläne oder Theorien verdorben war. Es sah sich schon vor seiner Geburt heftigen Angriffen mit Worten, später mit Bildern gegenüber, die von Meistern der Verdrehung der Wahrheit und unaufhörlicher, geheimer Aktivitäten und Rekrutierungen geprägt waren. Die Angriffe wurden von denen motiviert und organisiert, die von Ausbeutung, Expansion, Feindseligkeit und Konflikten mit Nachbarn profitiert hatten und die Spaltung mit solch schrecklichem Erfolg einsetzten, Giganten wie Krupp, Siemens, Bayer, BASF, die Deutsche Bank, Rheinmetall und der Landadel, die Junkers, die jeden preußischen und deutschen Krieg unterstützt hatten, die sich zusammenschlossen und gemeinsam mit Hitler ganz Europa ausraubten und so viele Millionen versklavten oder töteten. Sie alle waren aus Ostdeutschland vertrieben worden – wenn sie nicht bereits vor der vorrückenden Roten Armee und dieser kleinen Gruppe antifaschistischer Träumer geflohen waren. Sie beherrschten erneut einen viel größeren Teil Deutschlands, waren aber von ihren Rückkehrplänen besessen.

Und am Ende erwiesen sie sich als stärker und erfolgreich. 1990 konnten sie ihre Ausbeutung mit moderneren Werkzeugen und Waffen, aber demselben alten Ziel, ja der Notwendigkeit der Expansion, wieder aufnehmen. Auch sie feierten letzte Woche ein Jubiläum und begingen den 3. Oktober, das Datum ihres Triumphs im Jahr 1990, ihre glorreiche „Wiedervereinigung“ Deutschlands – die einige Ostdeutsche als Annexion oder Kolonisierung bezeichnen. Es war dieser Sieg, ein Triumph für die einen, der aber selbst nach so vielen Jahren bei denen von uns, die einst von unseren Wunschvorstellungen und Träumen beseelt waren, bittere Tränen hervorrief.
Trotz der vielen Jahre hassen diejenigen, die die DDR hassten, sie auch heute noch. Tatsächlich scheinen sie sie zu fürchten und beschimpfen weiterhin fast täglich ihre Erinnerungen – als würden sie einen alten Pferdekadaver treten, der noch beißen oder mit einem oder zwei Hufen ausschlagen könnte. Sie sind besorgt; vielleicht bewahren selbst diejenigen, die keine Tränen für eine längst vergangene Zeit haben, noch ein paar unerwünschte Erinnerungen an die DDR auf und geben sie sogar weiter.

Oh ja, es wurden Fehler gemacht, manchmal große Fehler, und Schandflecken, deren Verschwinden niemand wirklich bedauern kann. Einige wurden von Menschen gemacht, die durch zwölf Jahre Kampf gegen den Faschismus, mit so viel Leid und so vielen Verlusten, verhärtet und engstirnig geworden waren, selbst als sie alterten, und zwar auf eine Weise, die es schwierig machte, eine Beziehung zu Generationen ohne solche Erfahrungen und ohne solche Sorgen zu finden, dass diejenigen, die ihrer kleinen Republik feindlich gesinnt waren, oft dieselben Männer oder ihre Erben waren, die einst für das deutsche und weltweite Elend verantwortlich waren. Außerdem hatten viele DDR-Führungskräfte diese Jahre in der UdSSR verbracht, mit ihren großen Errungenschaften – vor allem der Hauptlast bei der Niederlage der mächtigen Nazi-Kriegsmaschinerie –, aber auch mit so vielen Elementen der Unterdrückung. Viel zu selten lernten sie, auf eine Weise zu sprechen und zu schreiben, die bei großen Mehrheiten auf uneingeschränkte Zustimmung oder Begeisterung stieß.

Und doch, trotz Fehlern und Makeln, wie viele Wunder wurden vollbracht! So grundlegende Dinge wie: Keine Arbeitslosigkeit, keine Schließung einer Abteilung, Fabrik oder Mine ohne einen gleichwertigen Arbeitsplatz für alle. Gleicher Lohn für Frauen und junge Arbeitnehmer, mit einem halben Jahr bezahlten Mutterschaftsurlaub und einem bezahlten „Haushaltstag“ pro Monat. Kostenlose, unumstrittene Abtreibungen. Für eine begrenzte monatliche Steuer alle Arzt- und Zahnarztbesuche, wobei Krankenhausaufenthalte zu 100 % abgedeckt sind. Hörgeräte, Brillen, alle verschriebenen Untersuchungen und Medikamente, vierwöchige Kuraufenthalte zur Erholung oder Vorbeugung – und das alles ohne einen Pfennig zu verlangen! Dazu drei Wochen bezahlter Urlaub, oft in Gewerkschaftshotels an Seen oder am Meer.

Hinzu kommt eine völlig kostenlose Ausbildung, von der vollständigen Kinderbetreuung bis hin zur Lehre, dem College und dem Studium, mit Stipendien, die Unterbrechungen durch Jobben oder Geldverdienen überflüssig machen und bei denen es keine Studienkredite gibt. Die Miete für eine Wohnung betrug weniger als zehn Prozent des Einkommens, die Fahrtkosten in der Stadt und auf dem Land zwanzig Pfennig, die Preise für Bäckerei, Molkerei, Lebensmittel und Metzgerei waren überall gleich, erschwinglich und über all die Jahre eingefroren. Sogar das Wort „Tafel“ war unbekannt; jeder hatte in jedem Beruf und in jeder Schule Anspruch auf ein gutes Mittagessen für weniger als eine Mark – in Deutschland die Hauptmahlzeit des Tages. Niemand musste hungern. Oder war obdachlos; Zwangsräumungen waren gesetzlich verboten. Der Wohnungsnot wurde mit einem gigantischen Programm begegnet, jedem Stadtbewohner eine angenehme moderne Wohnung zu verschaffen. Etwa zwei Millionen waren gebaut – bis zur Vereinigung. Heute erweist sich dieses Problem aufgrund „bedauerlich hoher Zinsen und steigender Kosten“ als unlösbar – außer bei Super-Luxus-Gentrifizierungsprojekten. Zu DDR-Zeiten hatten sogar Ex-Sträflinge nach Verbüßung ihrer Strafe Anspruch auf einen Arbeitsplatz und eine Wohnung!

Was die Makel, ja sogar Grausamkeiten betrifft, so werden immer wieder die Schnüffelei und Spionage der „Stasi“, die Einschränkung der Berliner Mauer, die Zensur in den Medien und in der Kunst angeprangert. Ihr Anliegen war nicht nur die harte Erfahrung der Vergangenheit der Männer an der Spitze, sondern vor allem, dem extremen Druck aus dem „Westen“ entgegenzuwirken, der von einer Gesellschaft gestützt wurde, die reich an Geld und Einfluss jener alten Kriegsherren war, die wieder – oder immer noch – an der Macht waren, und die von den üppigen Dollarmillionen des Marshall-Plans sowie den reichen Ressourcen an Eisen, guter Steinkohle und anderen Mineralien, die im Osten so fehlten, profitierte. Die DDR bot fast allen Menschen einen angemessenen, sicheren Lebensstandard mit immer mehr Haushaltsgeräten, Autos und Auslandsreisen. Unsere Touristenattraktionen waren das schöne Prag, Budapest, Leningrad, Moskau, unsere „Alpen“ die Hohe Tatra in der Slowakei, unsere „karibischen“ Strände die Sandstrände des Schwarzen Meeres in Bulgarien, Rumänien, Sotschi oder, näher gelegen, die kühle, aber schöne Ostsee, wo fast die Hälfte der Badegäste in fröhlicher, unbefangener, vollständiger DDR-Nacktheit badete.

Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, und auch nicht das totale Utopia. Das Warensortiment in Westdeutschland, das vielleicht nur von dem der USA übertroffen wurde, konnte von seinem kleinen Bruder nicht erreicht werden. Erschwerend kam in den letzten Jahren hinzu: die Milliarden, die für die neu benötigte Elektronik für den Maschinenexport benötigt wurden, mussten von der kleinen DDR ohne Hilfe von Sony, IBM, Silicon Valley oder sogar der angeschlagenen UdSSR aufgebracht werden. Dann die Milliarden, die ausgegeben wurden, um in einem immer moderneren Wettrüsten nicht zu weit zurückzufallen. Und schließlich das riesige Wohnungsbauprogramm, das allesamt bezahlt werden musste, ohne die Mieten, Fahrpreise, Preise für Grundnahrungsmittel zu erhöhen oder mehr für Gesundheit, Bildung und Kultur zu verlangen oder stark subventionierte Kinder- und Jugendclubs, Bücher, Schallplatten, Theater, Oper, Ballett und sogar Musicals zu streichen.

Aber immer mehr Errungenschaften wurden als selbstverständlich angesehen, während die Menschen Abend für Abend neidisch westliche Fernsehsendungen in ihrer eigenen Sprache verfolgten, in denen das luxuriöse Leben, das dort bewusst zur Schau gestellt wurde, durch die Ölbaron-Serie „Dallas“ symbolisiert wurde. War das nicht ein tolles Leben?!

Solche Attraktionen kamen den unermüdlichen Versuchen zugute, die am besten ausgebildeten Ostdeutschen, qualifizierte Maschinisten, Ingenieure, Ärzte, Professoren und sogar Schriftsteller und Schauspieler, abzuwerben, indem man ihnen weniger Einschränkungen, weitaus umfassendere internationale Verbindungen und vor allem weitaus höhere Gehälter, schöne Villen und schnittige Autos versprach. Es war nicht so einfach, zu widerstehen. Für die Jüngeren gab es oft ein Vorwort: „Schließe zuerst deine Ausbildung ab, auf Kosten der DDR. Dann haben wir einen guten Job für dich.“ Die Berliner Mauer war ein harter Versuch, dies zu verhindern, aber sie konnte es nie vollständig verhindern, ohne jegliche Reisen zu verbieten.

Heute wird das Reisen nicht behindert, und dafür sind alle dankbar. Ich erinnere mich an die Jahre, als selbst das Wort „Mauer“ offiziell tabu war und durch den offiziell korrekten Begriff „antifaschistischer Schutzwall“ ersetzt wurde. Wir alle wussten, dass die Mauer nicht errichtet wurde, um uns vor anderen zu schützen, sondern um uns drinnen zu halten, und der peinliche Schönfärberbegriff wurde immer mit einem sarkastischen Grinsen – oder einer Grimasse – ausgesprochen.

Victor Grossmann auf Youtube zur DDR im Jahr 2018:

Aber wenn ich mir das heutige Deutschland ansehe, muss ich nachdenken. In der DDR führte ein beschmiertes Hakenkreuz, sei es auf einer Schultoilette oder auf einem alten jüdischen Grabstein, sofort zu polizeilichen Ermittlungen und, wenn es aufgedeckt wurde, oft zu einer Bestrafung, selbst wenn es sich um einen Kinderstreich handelte. Aber das war eine extreme Seltenheit, bis kurz vor dem Ende, als junge West-Berliner Rassisten freier zu Besuch kamen und ihren Einfluss ausbreiteten.

Hakenkreuze und Ähnliches sind heute ebenfalls verboten, aber ihre Befürworter und Anhänger sind überall. Viele Städte und Dörfer, insbesondere in verärgerten, benachteiligten und rebellischen östlichen Gebieten, sind eine leichte Beute für faschistische Ideen und faschistische Aktionen, mit kaum verhüllten Slogans, die bei lauten Konzerten gesungen, bei Fußballspielen gerufen, bei Körpertraining oder in Schützenvereinen skandiert werden und von Staatsanwälten, Polizisten, Richtern und Bürgermeistern toleriert werden – aus Angst oder Gefälligkeit. Sie haben Unterstützer auf hoher Ebene; jahrelang war der Chef des FBI-Äquivalents ein AfD-Anhänger; nicht wenige Berliner Polizisten sind ihre schützenden Freunde.

Ja, die letzten Tränen an diesem 7. Oktober erinnern vielleicht an die Hoffnungen von vor 75 Jahren. Keiner der Träumer unter den Ruinen im Jahr 1949 hätte sich vorstellen können, dass eines Tages Polizisten wieder alte und junge Nazis abschirmen würden, die Horst-Wessel-Lieder grölen, während sie durch die wiederaufgebauten Straßen Berlins marschieren, manchmal an meinen Fenstern vorbei auf einem Boulevard, der – noch – immer den Namen Karl Marx trägt.

Und nun verrät eine politische Partei, die nicht offen faschistisch, aber rassistisch, nationalistisch und prokapitalistisch ist, mit gelegentlichen Versprechern ihre Art von Nostalgie für die Größe und Macht Deutschlands in alten Zeiten. Wie ein Strudel zieht sie kleinere, offen extremere Gruppen an. Sie hat eine alarmierende Stärke erlangt. In nationalen Umfragen duelliert sich diese Alternative für Deutschland (AfD) mit den Sozialdemokraten um den zweiten Platz. Bei den jüngsten Landtagswahlen verpasste sie in Brandenburg und Sachsen nur knapp den ersten Platz. In Thüringen, wo die LINKE zehn Jahre lang an der Spitze stand, hat die AfD den ersten Platz errungen. Normalerweise hätte sie das Recht, den Ministerpräsidenten zu stellen, aber niemand will mit ihr eine Mehrheit von 50+ bilden.

Unterdessen scheint die deutsche Wirtschaft mit einem Wachstum nahe oder unter Null, hohen Stromkosten für Industrie und Haushalte nach der Abschaltung (und Zerstörung) russischer Gas- oder Ölpipelines und verflüssigtem Fracking-Gas aus dem fernen Amerika, das sowohl die Haushalte als auch die Umwelt an den Küsten gefährdet, zum Stillstand zu kommen. Die führende Industrie, die Automobilproduktion, steckt in einer Krise, gibt China die Schuld, ist aber nicht glücklich über den Konflikt mit seinem wichtigsten Handelspartner. Volkswagen (VW), das Kronjuwel des Landes, droht mit der Schließung großer Werke in Ost- und Westdeutschland, während die Arbeiter, die aufgrund lang vergangener Kämpfe zu den Bestbezahlten gehören, damit drohen, ihre ruhigere Rolle durch altbewährte Militanz zu ersetzen, was zu den allgemein wütenden Aufständen beiträgt, die durch die gestiegenen Mieten und Lebensmittelpreise verursacht werden, die für einige bereits unerschwinglich sind.

Die AfD hat von der wachsenden Unzufriedenheit stark profitiert. Und die Linken, die den Kampf gegen die Profiteure hätten anführen sollen? Leider sind sie gespalten! Die LINKE, die nach der Vereinigung der Ost- und Westparteien gegründet wurde, erreichte 2009 nach der Rezession mit 11,9 % der Stimmen und 76 Sitzen im Bundestag ihren Höhepunkt und wurde damit zur stärksten Oppositionspartei. Doch vom Erfolg verwöhnt – mit bis zu 30 % in ostdeutschen Hochburgen, die Koalitionen auf Landesebene ermöglichten – hofften einige Parteiführer, sich auch auf Bundesebene mit Sozialdemokraten und Grünen zusammenschließen zu können. Um dies zu erreichen, reduzierten sie jegliche alarmierende Militanz und bewegten sich in Richtung akzeptabler keynesianischer Positionen, die das kapitalistische System lockern und verbessern sollten, ohne wirklich darauf abzuzielen, es abzuschaffen, außer, wer weiß, in einer unbestimmten Zukunft.

Am deutlichsten wurde dieser Wandel in der Außenpolitik. Die Parteiführung der LINKEN rückte von ihrer früheren scharfen Opposition gegen die NATO und deren Tsunami-Expansion ab, die auf eine vollständige Einkreisung Russlands abzielte, sie verwässerte die Ablehnung aller Waffenlieferungen in Konfliktgebiete und schwankte in ihrer Haltung zu den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen. Doch eine Minderheit in der Partei mit ihrer dynamischen, bei vielen beliebten Vorsitzenden Sahra Wagenknecht widersetzte sich den Kompromissen und forderte Verhandlungen für Frieden in der Ukraine, keine weitere Unterstützung für Netanjahu, eine Räumung der amerikanischen Raketenbasen auf deutschem Boden und eine Abkehr von der Abhängigkeit von den USA zugunsten der Verfolgung des Friedens in der Ukraine mit der Wiederaufnahme des Handels und normaler Beziehungen zu Russland.

Da die LINKE von zu vielen als „nur ein weiterer Teil des Establishments“ angesehen wurde und entsprechend abstimmte, spitzte sich der innerparteiliche Streit im Februar 2023 zu, als ihre Führung eine von Wagenknecht angeführte Friedenskundgebung boykottierte. Trotz des Boykotts war die Kundgebung mit bis zu 50.000 Teilnehmern ein großer Erfolg. Der wütende Protest gegen den Boykott führte dazu, dass viele die Partei verließen, und im Januar 2024 gründete Sahra mit einer Gruppe von Anhängern eine neue Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Bei den Wahlen zur Europäischen Union erhielt das neue BSW, das kaum organisiert war, 6,2 % und beschämte damit die LINKE, die auf tragische 2,7 % abstürzte und bei drei kürzlich abgehaltenen Landtagswahlen in Ostdeutschland weiter einbrach. Sie verlor ihren Ministerpräsidentenposten in Thüringen verlor, in Sachsen nur knapp durchkam und in Brandenburg eine totale Katastrophe erlebte, von einem Höchststand von 28 % im Jahr 2008 auf 3 % abstürzte – und das ohne einen einzigen Abgeordneten.

Es gibt zwei Hauptgründe für die Erfolge – nur für die AfD und die neue Wagenknecht BSW, die die meisten Wähler nicht, wie einige gehofft und erwartet hatten, der angeschwollenen AfD abspenstig gemacht hat, sondern vielmehr der zusammenbrechenden Mutterpartei LINKE.

Zweifellos zum Teil, weil die BSW, wie die AfD, gegen die Einwanderung nach Deutschland war. Die AfD, offen rassistisch, um „die deutsche Kultur zu schützen“. Die BSW, so Sahra, um die Rechte der Arbeitnehmer in Deutschland zu schützen; „Wirtschaftsmigranten“ sollten in ihren Heimatländern bleiben und ihre Probleme dort lösen. Diese Position, die sicherlich ernsthafte Probleme widerspiegelt, kam einigen zu nahe an die AfD-Tiraden heran – erfreut sich aber in vielen Kreisen der Arbeiterklasse, insbesondere in Ostdeutschland, trauriger Beliebtheit.

Aber die beiden haben noch eine weitere überraschende Gemeinsamkeit. Diese liegt weder in der fanatischen Unterstützung der AfD für den („anti-muslimischen“) Netanjahu noch in ihrer Unterstützung für die deutsche Wiederbewaffnung, den Wehrdienst und das „heroische Deutschland, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft!“ Aber sie stimmt mit der BSW in der Ablehnung von Waffenlieferungen, der Ausmusterung von US-Waffen in Deutschland und einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine überein.

Vielleicht spiegelt dies die Betonung der AfD auf ein starkes Deutschland wider, das die Bindungen und die Abhängigkeit von den USA ersetzt. Aus welchem Grund auch immer, ähnelt ihr Ruf nach Frieden dem des BSW und den Gefühlen von 70 % der Ostdeutschen und vielleicht 40 % der Westdeutschen. Dies könnte ihre Erfolge und die Verluste aller anderen Parteien, die einen „Krieg bis zum Tod“ befürworten, erklären.

Dieser Aufruf erzürnt die Krupp-Rheinmetall-Clique, die jetzt mit Kriegen Milliarden verdient. Aber es gab auch hoffnungsvolle Überraschungen: Die Minsterpräsidenten der drei östlichen Bundesländer, die den Wind vor Ort spürten, widersetzten sich ihren nationalen Parteien, der christlichen CDU und der SPD, indem sie es wagten, davor zu warnen, dass die Ausweitung des Ukraine-Krieges mit Waffen größerer Reichweite, von denen einige aus Deutschland stammen, zu einer Katastrophe führen kann und überdacht werden muss. Bisher eine fast strafbare Ketzerei! Aber sie sind es, die sich Gedanken darüber machen müssen, trotz Tabus Koalitionen zu bilden, mit oder ohne AfD, BSW oder sogar Resten der LINKEN. Alle drei drängen auf den Abzug der US-Waffen!

Am 3. Oktober, dem „Tag der deutschen Einheit“, gab es in Berlin erneut eine große Friedenskundgebung mit 40.000 Teilnehmern (laut Veranstalter, laut Polizei 10.000). Zu den Rednern gehörten erfreulicherweise nicht nur Sahra, sondern auch eine führende Vertreterin der LINKEN und, was heutzutage mutig ist, ein ehemaliger, bekannter Sozialdemokrat und sogar ein Rentner der bayerischen Christdemokraten – keiner von ihnen in Rivalität, sondern in gemeinsamer Sorge!

Weitere Überraschungen: Nach dem miserablen Wahlergebnis der lautesten Kriegspartei, der Grünen, treten nun beide Parteivorsitzenden zurück. Ebenso der junge Generalsekretär der Sozialdemokraten (aus gesundheitlichen Gründen, wie er betont). Der christliche Kandidat für die Kanzlerwahl nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr, Friedrich Merz, ehemals Blackrocks Millionärschef in Deutschland, wurde gewählt. Er will mehr Waffen …

Tatsächlich wird trotz aller Zweifel und politischen Wirren lauter denn je die Kriegstrommel gerührt. Es wird eine zentrale Frage auf dem Kongress der LINKEN vom 18. bis 20. Oktober sein. Wer wird die derzeitigen Ko-Vorsitzenden ersetzen, die ebenfalls zurücktreten? Können die konsequent linken Kräfte in der Partei diejenigen verdrängen oder schwächen, die Kompromisse predigen und gleichzeitig laut oder leise die NATO und Netanjahu unterstützen?

Wird eine Rezession alle Konflikte auf die Spitze treiben? Es gibt viele Fragezeichen in einer Zeit, in der weniger Tränen, nostalgisch oder nicht, gefragt sind, als vielmehr Maßnahmen gegen Rassisten und Faschisten, gegen IDF-Bomber, gierige Milliardäre und Klimazerstörer. Vor allem in einem Kampf um die Abwendung eines Krieges, der plötzlich und endgültig alle Fragen und Meinungsverschiedenheiten lösen könnte – mit totaler Vernichtung.

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Grundrecht auf Streik – ein Leserbrief

Der Tagesspiegel zeichnet sich dadurch aus, dass er das Grundrecht auf Streik nicht zur Kenntnis nehmen will. Dewegen im folgenden Leserbrief extra für den Tagesspiegel ein kleiner Elementarkurs im Verfassungsrecht.

Hallo Checkpoint,

was schreiben sie da für einen unterirdischen Blödsinn? Ein Streik bei den städtischen Kitas in Berlin soll erst von einem Landesarbeitsgericht „genehmigt“ werden?
Ja geht’s noch? Hat überhaupt einer von Ihnen in der Redaktion ein vollständiges Grundgesetz vorrätig? Und könnte er/sie darin auch einmal nachlesen, was dort über die ‚Vereinigungsfreiheit‘ vulgo Streik geschrieben steht?
Es scheint nötig.
Selbst die rechtlich danach fragwürdige Tendenz, dass hier als absolute Ausnahme ein Untergericht es wagt, das Grundgesetz auszuhebeln und einen von der arbeitenden Basis fast einstimmig beschlossen Streik per Urteil „zu verbieten“ ist ein starkes Stück!
Auch hier zeigt der Tagesspiegel im Sinne eines stockkonservativen Staatsverständnisses auf, wie man Sprache so verbiegen kann, dass sich nicht erst der richtige Eindruck verfestigt, ein Gericht verbietet einen Streik. Nein, die Sprachverderber vom Tagesspiegel schaffen es, hier ein juristisch reaktionäres Bild zu verbreiten, als habe neuerdings ein Arbeitsgericht die Aufgabe, einen Streik überhaupt erst einmal zu genehmigen.
Der TSP rückt immer mehr ab in eine gefestigte, autoritäre Haltung und Stimmungsmache gegen alle fortschrittlichen Bestrebungen in Stadt und Land. Das werden wir politisch bekämpfen.

Ärgerliche Grüße

Rüdiger Deißler
Fraktion DIE LINKE. Charlottenburg-Wilmersdorf
Sprecher für Bauen und Wohnen, Arbeit, Soziales und Gesundheit

44 Jahre „Friko“

Autorin: Jutta Kausch-Henken, 05.08.2024

Foto: Ingo Müller, Jutta während der Veranstaltung: Hiroshima und Nagasaki Gedenktag am 6.August 2024

Inhaltsverzeichnis


45 Jahre NATO-„Nach“rüstung, Impuls für eine starke Friedensbewegung

Vor 45 Jahren forcierte ein sozialdemokratischer Kanzler die Diskussion, US-amerikanische Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper in Deutschland aufzustellen.

Heute ist es wieder ein sozialdemokratischer Kanzler, der einer Stationierung von weitreichenden US-Waffen in Deutschland – einschließlich von Hyperschallraketen –

zustimmt. Beide Male ging es gegen den Osten. 1979 war es die Sowjetunion, „das Reich des Bösen“, heute ist es Russland, ebenfalls das „Reich des Bösen“.

Wie sich das doch alles gleicht!

Wie alles begann

Schon sehr schnell kam es 1980 gegen den „NATO-Doppelbeschluss“ zu ersten Protesten von Menschen, die sehr schnell das Ausmaß der Gefahr erkannten, die von der geplanten Stationierung der US-Raketen und Marschflugkörper ausging.

Im Laufe von drei Jahren entwickelte sich eine Friedensbewegung in Deutschland West, die tatsächlich nicht mehr zu überhören und übersehen war. Bis 1983 wuchs sie stetig.

In Westberlin ging die Initialzündung einer Bündelung der Kräfte vom Antifaschisten und Spanienkämpfer Fritz Teppich aus. Er gründete mit vier Gleichgesinnten aus der Initiative „Gewerkschafter gegen rechts“ eine AG Frieden und rief in Wilmersdorf eine bezirkliche Friedensinitiative ins Leben. In Erinnerung an die Befreiung von Faschismus und dem Ende des 2. Weltkrieges organisierte diese bereits rund um den 8. Mai 1980 eine Friedenswoche, an der sich Mitglieder aus Kirchengruppen, Parteien und Organisationen sowie Künstlerinnen und Künstler beteiligten. Die „Christliche Friedenskonferenz“ rief zu einem Manifest am 10. Mai in die „Neue Welt“ mit einem Programm der „Künstler für den Frieden“, die sich ebenfalls als Initiative zusammen geschlossen hatte. Im Sommer organisierte die „Berliner Initiative für Frieden, internationalen Ausgleich und Sicherheit“ einen offenen Brief für die Ausweitung der Entspannungspolitik statt Konfliktverschärfung und lud zu Veranstaltungen ein. Am 1. September 1980 rief der DGB (!) Bundesvorstand zum Antikriegstag auf. Der Boden war bereitet.

Die Friedenskoordination (FRIKO)

Fritz Teppich warb dafür, in jedem Westberliner Bezirk eine Initiative zu gründen, sowie alle, die sich gegen die NATO – „Nach“rüstung engagierten, miteinander ins Gespräch zu bringen. Dafür schlug er eine regelmäßig stattfindende Aktivbörse vor, eine „Koordination für Friedensaktionen“. Sie bot die Möglichkeit, sich gegenseitig zu informieren, Kräfte zu bündeln und sich gegenseitig zu unterstützen sowie auch gemeinsame Aktionen zu entwickeln. Es gab keine Mitgliedschaft, keine Abstimmungen, es herrschte das Konsensprinzip. Nur so war die Zusammenarbeit von unterschiedlichsten Gruppen, auch mit divergierenden Meinungen in bestimmten Punkten, möglich.

Man traf sich 1x im Monat im „Teppich-Kreis“, wie die „Friedenskoordination“ damals noch salopp genannt wurde, und schon im September 1980 waren weit über 30 Gruppen anwesend. Im Verlauf der Zeit wuchs die Teilnehmerzahl teilweise auf über 150-200, sodass von jeder Gruppe nur 1-2 Personen teilnehmen konnten, um eine Koordination überhaupt noch gewährleisten zu können.

Überall in Westberlin gab es große und kleine Veranstaltungen, durch die FRIKO waren alle Gruppen gut vernetzt und unterstützten sich gegenseitig. Ostermärsche erhielten Zulauf, um den 8. Mai 1982, 1983 bis 1984 kam es zu Höhepunkten einer konzertierten Aktion aller Kräfte: Massenkundgebungen und große Konzerte mit internationaler Besetzung in der Waldbühne und in den Messehallen machten Hoffnung auf ein Leben in Frieden.

Dann fand nach der Wahl Kohls 1983 die Stationierung doch statt, die SPD hatte kurz zuvor die Kurve noch gekriegt und sich auf die Seite der Friedensbewegten geschlagen.

Ende der allgemeinen Euphorie

Die Friedensbewegung begann langsam zu bröckeln. Viele kehrten ihr den Rücken aus Entmutigung, weil sie die Stationierung doch nicht verhindern konnten. Andere zogen sich nach der Wahl Gorbatschows 1985 und dem darauf folgenden INF-Vertrag 1987zurück, weil sie dachten, jetzt geht’s bergauf mit dem Frieden. Gorbatschow und die Amis vertragen sich ja und alles wird gut!

Auch in Westberlin stellten die bezirklichen Friedensinitiativen nach und nach ihre Arbeit ein. Die „Künstler für den Frieden“, die ich mitbegründet hatte, die „Sportler für den Frieden“ und die „Pädagogen für den Frieden“ zogen sich zurück. Auch die gewerkschaftlichen und kirchlichen Gruppen verschwanden. Die Friedenskoordination aber blieb als Struktur lebendig.

Nach der Auflösung der DDR und ihrer Eingliederung in die BRD 1990 gab es tatsächlich eine kurze Zeit der Entspannung. Die „Wiedervereinigung“ verlief scheinbar reibungslos, weil im „Zwei-Plus-Vier-Vertrag“ beide damaligen deutschen Regierungen „ihre Erklärungen (bekräftigen), dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“ und in der folgenden Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) die teilnehmenden Staaten in der „Charta von Paris“ festhielten, dass „das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas … zu Ende gegangen (ist).“ Man glaubte, alle in Europa reichen sich nun die Hände und errichten einen Frieden von Wladiwostok bis Lissabon.

Wie wir heute wissen, war das ein großer Trugschluss! Denn nur wenige Jahre später folgten neue Verteidigungspolitische Richtlinien, die die Beteiligung von Bundeswehr an Auslandseinsätzen erlaubte, die NATO-Osterweiterung und eine massive Aufrüstung.

Die Mühen der Ebene

Die Friedensbewegung wuchs dennoch nicht wieder an. Zum einen, weil viele, vor allem aus dem „Grünen“-Bereich, schon im „anderen Lager“ angekommen waren. Zum anderen begann nach der Auflösung des Sozialistischen Blocks eine Zeit der Individualisierung und Entsolidarisierung. Der Wegfall einer sozialistischen Vision im Westen traf auf Desillusion und Verlust der eigenen Identität im Osten und paralysierte das Lager derjenigen, die bis dahin an die Möglichkeit einer Veränderung durch eigene Kraft geglaubt hatten.

Die Westberliner mussten sich ebenso wie die ehemaligen Bürger der DDR von jetzt auf gleich an ein Zusammenleben gewöhnen, mehr noch als im Rest der Republik. Das soziale Leben veränderte sich und es brauchte eine Zeit, um politisch miteinander in Kontakt zu kommen.

Die FRIKO bot in dieser schwierigen Zeit einen Anlaufpunkt für Friedensbewegte aus Ost und West. Die monatlichen Plena tagten weiter. Nun nicht mehr nur mit mitgliederstarken Gruppen, sondern vermehrt mit Einzelpersönlichkeiten. Es stießen Menschen und Gruppen aus dem Ostteil der Stadt hinzu. So entstand kurzzeitig sogar die Friedensinitiative „Friedrichsberg/Kreuzhain“.

Monatlich kamen über all die Jahre bis heute immer noch mindestens 25 – 30 Personen, wenn die FRIKO einlud, um über friedenspolitische Themen zu sprechen, sich über geplante Aktionen zu verständigen und gemeinsame zu planen. Und immer, wenn es die politische Situation erforderte, initiierten und organisierten die Aktiven der FRIKO Demonstrationen, Aktionen, Kundgebungen.

Sie verstanden sich als diejenigen, die die Glut über die Zeit aufbewahren und schützen, damit das Feuer des Widerstands nicht ausgeht und wieder entfacht werden kann.

Stationen der FRIKO-Arbeit

Einige der Aktionen, die die FRIKO im Laufe ihrer Geschichte durchgeführt hat, möchte ich beschreiben, damit sie nicht in Vergessenheit geraten und weil sie zeigen, wie ambitioniert und unerschütterlich und überaus kreativ gearbeitet wurde, trotz alledem.

So führte die FRIKO 1984/85 die Kampagne „Unsere Stadt gegen Atomwaffen“ durch, bei der sie sich neben einer Unterschriftensammlung massiv in den Wahlkampf einmischte mit Parteienbefragungen zum Thema Atomwaffen.

Sie initiierte die Gründung des Deutsch-Japanischen Friedensforums, das seitdem jedes Jahr zum 8. Mai in Berlin und zum 6. und 9. August in Japan Begegnungen der Bürgerbewegungen durchführt.

Sie entwickelte die Idee und stiftete 1986 – im UNO-Jahr des Friedens – den ersten Friedensfilmpreis im Rahmen der Berlinale, der nun jährlich vergeben wird.

1987 war sie bei der Demo gegen den Besuch von Ronald Reagan aktiv, die im Kessel endete.

Sie organisierte den erstmals von Ost- und Westgruppen gemeinsam getragenen wochenlangen Protest gegen den Golfkrieg Anfang 1991 mit.

Mitte der 90er Jahre führte sie vor der Abstimmung über den sinnlosen Bau des Eurofighters in Berlin an 50 Plätzen der Stadt eine „Volksbefragung“ durch. Ein selbstgebauter Eurofighter aus Pappmaché besuchte dabei mehrere dieser Plätze und wurde publikumswirksam in Hühnerställe umgebaut.

1998 gestaltete sie in der überfüllten Marienkirche am Neptunbrunnen eine musikalisch-szenische Lesung zum 100. Geburtstag von Paul Robeson mit namhaften Künstlerinnen und Künstlern aus Ost und West.

Während des Angriffskrieges gegen Jugoslawien 1999 hielt sie täglich an der Gedächtniskirche eine Mahnwache ab.

2001 begann die Berliner Kampagne „Kriege verhindern – Angriffskräfte auflösen“.

Die FRIKO war maßgeblich bei der Organisierung und Durchführung des Internationalen Tribunals in Berlin gegen die Kriegsverbrechen der NATO tätig und reagierte unmittelbar auf den Angriff der USA und der Koalition der Willigen in Afghanistan mit Aktionen dagegen.

2002 initiierte sie ein breites Bündnis gegen den Bush-Besuch, das sich den Namen „Achse des Friedens“ gab.

2003 war sie bei Vorbereitung und Durchführung der bundesweiten Großemonstration am 15. Februar mit 500.000 Teilnehmern gegen den geplanten Einmarsch im Irak maßgeblich beteiligt.

15. September 2007 organisierte sie für den Trägerkreis die bundesweite Demo „Frieden für Afghanistan – Bundeswehr raus ‚… dann gibt es nur eins: Sag NEIN!‘“, ebenso wie ein Jahr später für denselben Kreis die Berliner Nachfolgedemo „Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan“. Afghanistan blieb bis zum Abzug der westlichen Truppen ständiges Thema der FRIKO.

Seit 2013 trug die FRIKO zum Wachsen einer bundesweiten Kampagne gegen Kampfdrohnen bei.

Am 10. Oktober 2016 lastete die Organisation einer bundesweiten Demo gegen die zunehmenden Kriegsherde überall auf der Welt und die Beteiligung Deutschlands daran erneut überwiegend auf den Schultern der FRIKO: „Die Waffen nieder – Kooperation statt NATO-Konfrontation – Abrüstung statt Sozialabbau“.

2018 und 2020 startete die FRIKO Kampagnen gegen die zunehmende Hetze gegen Russland: 2018 mit einer Anzeige in mehreren Tageszeitungen und einer Kundgebung am 22.6., dem 77. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, und im März 2020 mit einem offenen Brief an die russländische Bevölkerung, der innerhalb kürzester Zeit von weit über 2000 Menschen unterzeichnet wurde und in Russland der Presse übergeben wurde.

Sozusagen als Routineaufgabe organisiert die FRIKO alljährlich den Berliner Ostermarsch und erinnert am 8. Mai mit einer Aktion am sowjetischen Ehrenmal auf der Straße des 17. Juni daran, wer die Hauptlast des 2. Weltkrieges getragen und Deutschland vom Faschismus befreit hat.

Sie gewährleistet, dass der 1. September als Antikriegs/Weltfriedenstag nicht vergessen wird, falls die Gewerkschaften ihrer historischen Aufgabe nicht gerecht werden aus Staatsräson oder aus braver Gefolgschaft der wenig friedensbewegten SPD.

Eine Aktionsform die sich großer Beliebtheit erfreut, sei noch erwähnt: unregelmäßig ruft die FRIKO zur satirischen Jubelparade A.M.O.K (=Antimilitaristisches Oberjubel K.O.M.I.T.E.E.), gegen die immer dreister zunehmende Militarisierung der Gesellschaft. Die letzte fand 2019 statt unter dem Slogan: „Codename: Roter Mohn“, auf der die Weiterführung des NATO-Einsatzes in Afghanistan bejubelt wird.

Seit dem Ukrainekrieg und dem Krieg in Gaza gestaltet sich die Weltlage aber immer dramatischer, so dass eine satirische Überhöhung der Realität kaum noch möglich ist.

Ausblick

Statt Diplomatie herrscht nun Kriegslogik, statt Dialogbereitschaft sprechen nun nur noch die Waffen.

Abrüstung und Entspannung war gestern, heute wird Kriegstüchtigkeit von der Bevölkerung gefordert.

Und jetzt sollen wieder US-Mittelstreckenraketen, Marschflugkörper und zusätzlich Hyperschallraketen in Deutschland stationiert werden. Nicht einmal ein vorangegangener Diskussionsprozess dazu hat stattgefunden oder gar eine Beratung und Abstimmung im Bundestag. Der Kreis schließt sich. Es ist höchste Zeit für Widerstand im großen Stil.

Die FRIKO blickt auf eine 44 jährige produktive Zeit zurück, in der sie viel bewegt hat. Nun ist es an der Zeit, dass die lang gehegte Glut wieder ein Feuer entfacht. Wenn nicht jetzt, wann dann ? Die Hoffnung stirbt zuletzt.


Lieben Dank an Jutta Kausch-Henken für diesen Beitrag. Berlin 05.08.2024

Frieden! Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen!

Jutta Kausch-Henken und Christa Weber singen Lieder und sprechen Texte für den Frieden u.a. von Brecht/Eisler, Reinhard Mey, Karl Kraus, Pablo Neruda, Heinrich Heine, Georg Weerth, Walter Mossmann, Degenhard und Hannes Wader. Hier ein kleiner Ausschnitt:


Intervention für Demokratie: Edith-Jacobson-Damm statt Hindenburg … und die Polizei schreitet dagegen ein.

Am 4. Juli 2024 gegen 11 Uhr haben wir in der Bundeshauptstadt Berlin eine 3000 Meter lange Straße symbolisch in Edith-Jacobson-Damm umbenannt.

Ein Straßenschild und ein Hinweisschild mit der Aufschrift Hindenburgdamm wurden mit einer ablösbaren Folie überklebt bzw. kommentiert. Die Folie zeigt den Namen von Edith Jacobson, einer jüdischen Ärztin und Psychoanalytikern, die wegen aktiven Widerstandes von den Nazis eingekerkert wurde und nach zweijähriger Haft schwer krank in die USA flüchten konnte.

Unsere Aktion verstehen wir als deutliches und anregendes statement, dass in Zeiten akuter Demokratiebedrohung ehrendes Andenken an Demokratie-Feinde und -Zerstörer absolut unerträglich ist.

Paul von Hindenburg befahl im Ersten Weltkrieg Kriegsverbrechen (verbrannte Erde), verbreitete die Demokratie zersetzende  „Dolchstoßlegende“, half Hitler in den Sattel, unterzeichnete das Ermächtigungsgesetz, das den Nazis die totale Willkürherrschaft ermöglichte.

Verschiedene Anläufe, den Hindenburgdamm umzubenennen, waren bisher erfolglos, anders als in Frankfurt, München, Stuttgart, Bonn, Kiel und anderswo.

Unsere friedliche und gewaltfreie Intervention verstehen wir als notwendiges Zeichen an die Öffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen.

Leider folgte in kurzem zeitlichem Abstand ein Polizeieinsatz (fast schon ein Großeinsatz, drei Polizeiwagen, neun Beamte) um Personalien aufzunehmen wegen „Verdacht auf eine Straftat“.  Die Folien wurden von der Polizei umgehend entfernt.

Unsere Aktion für die Umbenennung des Hindenburgdamms geben wir nicht auf. Hier kann die Petition unterschrieben werden:
https://www.change.org/p/benennen-wir-den-hindenburgdamm-in-berlin-in-edith-jacobson-damm-um?source_location=search

Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass die 3 km lange Hauptstadtstraße nach der der jüdischen Anti-Faschistin und später weltberühmt gewordenen Ärztin und Psychoanalytikern Dr. Edith Jacobson benannt wird.

Wolfram P. Kastner,                Claus-Peter Lieckfeld,                         Dr. Gisela Notz,                    Gregor Kastner

Fotos: W. Kastner

Hafenarbeiter verhindern das Entladen von Kriegsmaterial für Israel

Folgende Mitteilung wurde in Press Projekt am 16. Juli 2024 veröffentlicht:



Das Schiff MSC ALTAIR sollte im Hafen von Piräus einlaufen, um Kriegsmaterial zu entladen. Hafenarbeiter von COSCO, vertreten durch die Gewerkschaft ENEDEP (Piraeus Port Containers Workers Union), konnten dies jedoch erfolgreich verhindern.
Als die ENEDEP erfuhr, dass das Schiff in Piräus anlegen würde, kündigte sie an, das Entladen von für den Gazastreifen bestimmtem Kriegsmaterial nicht zuzulassen. Sie riefen für Samstagmittag zu einer Mobilisierung auf, um diese Entscheidung durchzusetzen.

„Diese Entwicklung ist einer der wichtigsten Siege in unserem zehnjährigen syndikalistischen Kampf“, erklärte die Gewerkschaft ENEDEP und hob die Bedeutung ihrer Aktion hervor. Sie rief auch die italienischen Hafenarbeiter auf, ihrem Beispiel zu folgen, und erklärte: „Die Hafenarbeiter der Welt stehen vereint in Solidarität mit Palästina, bis es frei ist.“

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) unterstützte diese Aktion, indem sie heute Morgen einen breiten Streik und eine Intervention am Pier I der Hafenbehörde von Piräus (PPA) durchführte. Die Mitglieder der KKE unterstützten die Haltung der Hafenarbeiter gegen das Entladen des für Israel bestimmten Kriegsmaterials

Die Parteimitglieder verteilten eine Mitteilung der Branchenorganisation von Piräus, in der es hieß: „Dieses Schiff hat, nachdem es nicht im Hafen von Barcelona anlegen konnte, den Pier I der PPA angesteuert. Die entschlossene Haltung der Hafenarbeiter hat jedoch die Pläne der US-NATO und der griechischen Regierung durchkreuzt, die uns immer mehr in die Pläne der US-NATO verwickelt, sei es durch die Unterstützung der Tötungsmaschinerie der NATO oder durch die Entsendung von militärischem Material und Personal in Konfliktgebiete“.

Zu den anwesenden Persönlichkeiten gehörten Nikos Ambatielos, Mitglied des Zentralkomitees und Abgeordneter für A‘ Piräus, Petros Markomihalis, Mitglied des Zentralkomitees und Sekretär des Transportbüros der Genossenschaft Attika, George Kalamaras, Mitglied des Regionalkomitees Attika der KKE und stellvertretender Generalsekretär des Arbeitszentrums Piräus, und Sotiris Poulikogiannis, Vorsitzender des Metallgewerkschaftsbundes von Attika und der Schiffbauindustrie Griechenlands.

„The Press Project“, 16. Juli 2024

Kämpfe verbinden – Warum wir uns als Arbeiterinnen im Globalen Norden für eine Staatsschuldenstreichung im Globalen Süden einsetzen sollten

Ein Gastbeitrag von Debt for Climate

Im März 2023 streikten in Sri Lanka tausende Arbeiterinnen von insgesamt über 40 Gewerkschaften. Ungeachtet des von der Regierung verordneten Streikverbots stand der Betrieb in einigen Krankenhäusern, Banken und Häfen still. Die Arbeiterinnen protestierten mit ihrem Streik unter anderem gegen Steuererhöhungen, niedrige Zinsen und hohe Energiepreise – allesamt Maßnahmen, die die Regierung Sri Lankas umsetzte, um sich angesichts einer andauernden Schuldenkrise erneut für ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu qualifizieren. In einem offenen Brief machten 82 Gewerkschaften den IWF und die srilankische Regierung für das enorme Leid unter der arbeitenden Bevölkerung verantwortlich. Die vom IWF unterstützten Reformen seien unter anderem für steigende Unterernährung, gesundheitliche Probleme, Elektrizitäts- und Wasserknappheit, Wohnungslosigkeit und eine Abwanderung von qualifizierten Arbeiterinnen verantwortlich, heißt es in dem Brief.

Sri Lanka ist dabei kein Einzelfall. Durch die Corona-Pandemie und den Ukrainekrieg hat sich die weltweite Verschuldung zuletzt drastisch verschärft. Im Jahr 2022 lebten 40 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen Zinszahlungen auf Schulden die Ausgaben für Gesundheit oder Bildung überstiegen. Durch den IWF und die Weltbank angeordnete Sparprogramme zwingen Regierungen dabei unter anderem dazu, Lohnsenkungen, Einstellungsstopps und Entlassungen im öffentlichen Sektor durchzusetzen, soziale Sicherungssysteme abzubauen (z.B. Kürzungen der Rente) und regressive Steuern, wie die Verbrauchersteuer, zu erhöhen. Es ist die arbeitende Bevölkerung, die am stärksten von diesen Maßnahmen betroffen ist. Gleichzeitig fehlt den verschuldeten Staaten Geld für Klimaschutz und -anpassung sowie für Investitionen in den Aufbau lokaler Wirtschaftszweige und öffentlicher Daseinsvorsorge. Da ein Großteil der Staatsschulden in US-Dollar und anderen externen Währungen notiert ist[1]Engel, Charles & Park, JungJae (2022). Debauchery and Original Sin: The Currency Composition of Sovereign Debt, in: Journal of the European Economic Association, 20(3), 1095–1144, … Continue reading, sind viele Staaten außerdem dazu gezwungen, Rohstoffe ins Ausland zu verkaufen, um an externe Währungen zu kommen und damit ihre Schulden abbezahlen zu können.

Die in Südafrika und Argentinien initiierte Graswurzelbewegung Debt for Climate fordert deshalb eine bedingungslose Streichung der Staatsschulden des Globalen Südens[2]Die Begriffe „Globaler Süden“ und „Globaler Norden“ sind nicht geographisch zu verstehen, sondern immer als Begriffe, die aufzeigen, welche Stellung die Staaten in der … Continue reading. Eine Schuldenstreichung würde es betroffenen Ländern ermöglichen, in einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft zu investieren und den oft zerstörerischen Abbau fossiler Rohstoffe zu reduzieren. Deswegen sind Schuldenstreichungen ein notwendiger Schritt für wirklichen Klimaschutz, der zusätzlich Arbeiterinnen nicht belastet. Protest gegen das internationale System von Verschuldung und die darin zentralen Programme von IWF und Weltbank ist in den Ländern des Globalen Südens schon längst Teil von Arbeitskämpfen, wie nicht zuletzt das Beispiel aus Sri Lanka zeigt. An dieser Stelle ist es uns wichtig, transparent zu machen, wo wir uns als Debt for Climate-Gruppe in Deutschland im Feld sozialer Kämpfe einordnen. Wir sind derzeit nicht aktiv in Arbeitskämpfen organisiert und involviert, sondern wir fokussieren uns in erster Linie auf Umwelt- und antikoloniale Kämpfe. Wir sind uns darüber bewusst, dass wir deshalb im Folgenden primär eine Außenperspektive einnehmen können und wollen uns nicht anmaßen, die Arbeit der dort organisierten Genossinnen zu beurteilen oder diese zu belehren. Dennoch verstehen auch wir uns als Teil einer Arbeiterinnenklasse, die gegen kapitalistische Ausbeutung kämpft. Dieser Kampf findet an verschiedenen Fronten mit unterschiedlichen Mitteln gegen die diversen und vielfältigen Formen der Auswüchse der kapitalistischen Zerstörung statt. Kämpfe gegen Umweltzerstörung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Patriarchat, (Neo-)kolonialismus u.v.m. sind alle essenzieller Bestandteil des Kampfes einer Arbeiterinnenklasse für die Utopie einer postkapitalistischen und zukunftsfähigen, sozial und ökologisch gerechten Welt. Momentan bleiben diese unterschiedlichen Kampffelder jedoch oft voneinander separiert; wir sprechen nur übereinander und erzeugen damit eine Trennung untereinander. Deshalb wollen wir hier miteinander sprechen. Wenn wir im Folgenden von Arbeitskämpfen und Arbeiterinnen sprechen, verstehen wir das als Einladung, sowohl an uns selbst, als auch an andere antikapitalistische Bewegungen, sich vermehrt als Teil von Arbeitskämpfen zu begreifen und diese Verbindung in unserer alltäglichen Arbeit zu leben und zu pflegen. Als Debt for Climate bringen wir, wie viele andere Genossinnen, die Forderung nach einer bedingungslosen Staatsschuldenstreichung für Länder des Globalen Südens als mögliches Instrument im Kampf gegen das globale Finanz- und Wirtschaftssystem in die Debatte mit ein. Deshalb wollen wir in diesem Beitrag darlegen, wo wir Verbindungen und Anknüpfungspunkte dieser Forderung für Kämpfe von Gewerkschaften und Arbeiterinnen im Globalen Norden sehen. Dabei wollen wir auf drei unterschiedlichen Begründungsebenen argumentieren: der des mittelfristigen Eigeninteresses, der einer rein ideell begründeten Solidarität sowie der einer Perspektive von langfristiger Organisierung.

Grund Eins: Wir Arbeiterinnen in Deutschland haben ein direktes, mittelfristiges Interesse daran, die Forderungen der Kolleginnen und Gewerkschaften im Globalen Süden erfüllt zu sehen. Denn je besser die Arbeitsbedingungen und höher die Löhne im Globalen Süden sind, desto weniger können globale Unterschiede ausgenutzt werden, um Arbeiterinnen international gegeneinander auszuspielen. Das neoliberale Schuldensystem spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, Konzernen Zugang zu Arbeitsmärkten im Globalen Süden zu verschaffen und damit Dynamiken wie Lohndumping und Outsourcing zu befeuern.

Hoch verschuldete Staaten[3]Die Verschuldung von Staaten ist dabei oft direkt oder indirekt auf Folgen kolonialer Herrschaft und Ausbeutung und deren neokoloniale Fortführung zurückzuführen. So waren z.B. nach Jahrzehnten … Continue reading sind oft auf Zahlungen des IWFs angewiesen, um ein Minimum ihrer Schulddienste leisten zu können und um anderen Gläubigern gegenüber wieder als kreditwürdig zu gelten. Dabei ist nicht die Möglichkeit einer Kreditaufnahme per se abzulehnen. Die eigentliche Problematik liegt vielmehr darin, dass die finanzielle Notlage der Staaten systematisch ausgenutzt wird. Denn um Gelder von IWF oder Weltbank zu bekommen, müssen die Staaten bestimmte Maßnahmen umsetzen. Im Rahmen dieser Maßnahmen werden nicht nur, wie oben beschrieben, Sparmaßnahmen durchgesetzt, sondern auch Privatisierung und Deregulation vorangetrieben, was die nationale Wirtschaft attraktiver für multinationale Unternehmen machen soll. So werden Staaten z.B. dazu gezwungen, Zölle zu senken, Arbeits- und Umweltvorschriften zu verringern oder Investitionsgesetze zu ändern.[4]Siehe z.B. den Bericht „Flawed Conditions“ von Eurodad für eine genauere Betrachtung der Maßnahmen, die von der Weltbank durchgesetzt werden. Offizielle Begründung dieser Reformen ist, dass die Investitionen von ausländischen Firmen das Wirtschaftswachstum ankurbeln würden und Staaten somit dazu befähigten, aus der „Verschuldung herauszuwachsen“. Konträr zu diesen Versprechungen führen Programme von IWF und Weltbank jedoch zu steigender Ungleichheit und sinkenden Einkommen.[5]Hickel, Jason (2017). The Divide: A Brief Guide to Global Inequality and its Solutions. Random House, S. 158ff.

Anstatt Staaten von Verschuldung zu befreien, ermöglichen IWF und Weltbank es multinationalen Firmen, den Weltmarkt nach den billigsten Produktionsbedingungen zu scannen und kreieren so neue Investitionsmöglichkeiten für westliches Kapital. So treten sie ein „global race to the bottom“ los, was nicht nur Arbeiterinnen im Globalen Süden ausbeutbarer macht, sondern auch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften im Globalen Norden schwächt. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Schuldenkrise in den 1980er-Jahren, in welcher Strukturanpassungsmaßnahmen die Öffnung von Märkten im Globalen Süden erzwangen. Zusammen mit veränderten Transportmöglichkeiten, wie der Containerschifffahrt, führte dies im Globalen Norden zu einem massiven Anstieg von Investitionen ins Ausland.[6]Hickel, Jason (2017). The Divide: A Brief Guide to Global Inequality and its Solutions. Random House,S. 170 Für Arbeitskämpfe im Globalen Norden bedeutete dies, dass Arbeiterinnen in ihren Kämpfen mit der ständigen Drohung der Abwanderung an (durch Deregulation erzeugte) billigere Produktionsstandorte konfrontiert waren und Unternehmerinnen so ihre Machtposition in Auseinandersetzungen stärken konnten. Wenn Lohnabhängige im Globalen Süden durch den Abbau von Sozialsystemen und Arbeits- und Umweltvorschriften ausbeutbarer werden, wirkt sich das also auch negativ auf die Ausbeutbarkeit von uns Arbeiterinnen im Globalen Norden aus.

Anstatt Staaten von Verschuldung zu befreien, ermöglichen IWF und Weltbank es multinationalen Firmen, den Weltmarkt nach den billigsten Produktionsbedingungen zu scannen und kreieren so neue Investitionsmöglichkeiten für westliches Kapital. So treten sie ein „global race to the bottom“ los, was nicht nur Arbeiterinnen im Globalen Süden ausbeutbarer macht, sondern auch die Verhandlungsposition der Gewerkschaften im Globalen Norden schwächt. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Schuldenkrise in den 1980er-Jahren, in welcher Strukturanpassungsmaßnahmen die Öffnung von Märkten im Globalen Süden erzwangen. Zusammen mit veränderten Transportmöglichkeiten, wie der Containerschifffahrt, führte dies im Globalen Norden zu einem massiven Anstieg von Investitionen ins Ausland.vi Für Arbeitskämpfe im Globalen Norden bedeutete dies, dass Arbeiterinnen in ihren Kämpfen mit der ständigen Drohung der Abwanderung an (durch Deregulation erzeugte) billigere Produktionsstandorte konfrontiert waren und Unternehmerinnen so ihre Machtposition in Auseinandersetzungen stärken konnten. Wenn Lohnabhängige im Globalen Süden durch den Abbau von Sozialsystemen und Arbeits- und Umweltvorschriften ausbeutbarer werden, wirkt sich das also auch negativ auf die Ausbeutbarkeit von uns Arbeiterinnen im Globalen Norden aus.

Grund Zwei: Es ist aus rein ideeller Sicht geboten, solidarisch mit unseren Kolleginnen im Globalen Süden zu sein. Arbeiterinnen sind gemeinsam Leidtragende des neoliberalen Systems. Auch wenn diese Erfahrungen jeweils lokal unterschiedlich sind, einen sie Arbeiterinnen weltweit zu einer Klasse. Für diese muss klar sein, dass globale Unterstützung in lokalen Kämpfen über den potenziellen Eigennutzen hinaus gehen muss. Globaler Solidarität liegt ein Verständnis dafür zu Grunde, dass lokale Kämpfe miteinander verflochten sind, indem sie sich gegen dasselbe System von Ausbeutung und Unterdrückung wenden. Diese Art von Solidarität zeigten beispielsweise Arbeiter:innen in Großbritannien als Reaktion auf den Coup von Pinochet in Chile. Als Reaktion auf die faschistische Machtübernahme blockierten sie den britischen Handel mit Chile. Längerfristiger organisiert ist die Solidarität zwischen brasilianischen und US-amerikanischen Gewerkschaften, die beispielsweise die transnationale Firma Vale S.A. an den gemeinsamen Verhandlungstisch zwang. Auch in Südafrika wurde der Kampf gegen die Apartheid nach langem Zögern von den weiß dominierten Gewerkschaften maßgeblich unterstützt.

Grund Drei: Die Solidarität mit unseren Genossinnen im Globalen Süden ist zentral für eine Perspektive von langfristiger Organisierung, die zum Ziel hat, die bisherigen Ausbeutungsverhältnisse zu überwinden. Sie ist Voraussetzung für die Vision eines demokratisch bestimmten Wirtschaftssystems, das an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist und planetare Grenzen berücksichtigt. Arbeiterinnen im Globalen Süden machen einen Großteil der Weltbevölkerung aus. Um die bestehenden und höchst ungerechten und zerstörerischen Verhältnisse unseres globalen Wirtschafts- und Finanzsystems zu überwinden, sind die Forderungen dieser Menschen entscheidend. Wenn Ausbeutung nicht lediglich räumlich verlagert werden soll, müssen wir global solidarisch füreinander einstehen und Ausbeutung an jedem Ort bekämpfen. Die Organisation am Arbeitsplatz muss über die gewerkschaftlichen Zusammenschlüsse einzelner Berufsgruppen hinausgehen. Wir sollten eine Organisation der Arbeiterinnen entlang der gesamten Wertschöpfungskette anstreben. Dabei ist es wichtig, dass stabile Bündnisse auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und einer Partnerschaft auf Augenhöhe beruhen – ein solcher Aufbau ist zwar aufwendig und ressourcenintensiv[7]Fichter, Michael (2015). Organizing in and along value chains: What does it mean for trade unions? INTERNATIONAL POLICY ANALYSIS, Friedrich-Ebert Stiftung., es gibt aber bereits zahlreiche Ansätze und positive Beispiele, die zeigen, dass dies lohnenswert und möglich ist.[8]So z.B. der “Arbeitskreis Solidarität mit Brasilianischen Gewerkschaften” des DGB Mannheim, in welchem sich Beschäftigte von Daimler und BASF in Deutschland und Brasilien seit 1984 miteinander … Continue reading In einer Welt voller transnationaler Unternehmen müssen auch wir Arbeiterinnen uns global vernetzen und gegenseitig unterstützen. Nur so können wir dem neoliberalen Machtmechanismus von „Teilen und Herrschen“ entgegentreten.

Insgesamt wird also deutlich: Internationale Solidarität ist wichtig und sollte mehr als eine bloße Floskel sein. Ein erster konkreter Schritt könnte sein, die Forderung nach einer Schuldenstreichung für den Globalen Süden zu unterstützen und so auch Bündnisse über Arbeitskämpfe hinaus mit indigenen, feministischen und Klimagerechtigkeitsbewegungen zu knüpfen. Gleichzeitig braucht es unsere Organisierung am Arbeitsplatz, um weltweit Kämpfe für Klimagerechtigkeit gewinnen zu können. Durch Instrumente wie z.B. Streiks kommt uns als Arbeiterinnen eine viel größere Macht zum Erwirken von Veränderung zu, als wir durch reine Demonstrationen oder zivilen Ungehorsam je erreichen könnten. Zum anderen ist das Wissen von Arbeiterinnen in CO2-intensiven Wirtschaftszweigen unabdingbar, um eine ökologisch gerechte Transformation der Wirtschaft zu vollbringen.

Und: auch für die Forderung nach Schuldenstreichungen ist die Organisation am Arbeitsplatz unerlässlich – sowohl um Druck auf Entscheidungsträger*innen in Europa und Nordamerika auszuüben als auch um solidarisch an der Seite der Staaten des Globalen Südens im Falle einer organisierten Zahlungsverweigerung zu stehen. Die Vision von Debt for Climate ist eine von den Unterdrückten geführte, demokratische Transformation, die auf grundlegend gerechteren internationalen Wirtschaftsbeziehungen fußt. Als Inspiration dient uns dafür auch die 1974 von den G77[9]Die Gruppe der G77 gründete sich 1964 auf der ersten UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) in Genf und bildet den größten Zusammenschluss von Ländern des Globalen … Continue reading verabschiedete New International Economic Order. 50 Jahre nach ihrer Entstehung sind die darin entwickelten Forderungen und Visionen immer noch aktuell. Wir wollen dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, über die Maßnahme der Schuldenstreichung hinaus Forderungen für ein gerechtes Weltwirtschaftssystem zu stellen. Auch dafür braucht es gewerkschaftlichen Druck und gemeinsame Strategien und Überlegungen im Globalen Norden.

Lasst uns vereint dafür kämpfen, dass durch Schuldenstreichung die Potenziale von Kämpfen im Globalen Süden entfesselt werden und sich weltweit für eine gerechte Weltwirtschafts-ordnung organisiert wird! Wir sind hochmotiviert, uns mit euch zu vernetzen, auszutauschen und unsere Kämpfe zusammenzuschließen. Kontaktiert uns unter deutschland@debtforclimate.org, wenn ihr interessiert seid, gemeinsam mit uns zu arbeiten.

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Im März 2023 streikten in Sri Lanka tausende Arbeiterinnen von insgesamt über 40 Gewerkschaften. Ungeachtet des von der Regierung verordneten Streikverbots stand der Betrieb in einigen Krankenhäusern, Banken und Häfen still. Die Arbeiterinnen protestierten mit ihrem Streik unter anderem gegen Steuererhöhungen, niedrige Zinsen und hohe Energiepreise – allesamt Maßnahmen, die die Regierung Sri Lankas umsetzte, um sich angesichts einer andauernden Schuldenkrise erneut für ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu qualifizieren. In einem offenen Brief machten 82 Gewerkschaften den IWF und die srilankische Regierung für das enorme Leid unter der arbeitenden Bevölkerung verantwortlich. Die vom IWF unterstützten Reformen seien unter anderem für steigende Unterernährung, gesundheitliche Probleme, Elektrizitäts- und Wasserknappheit, Wohnungslosigkeit und eine Abwanderung von qualifizierten Arbeiterinnen verantwortlich, heißt es in dem Brief.

References

References
1 Engel, Charles & Park, JungJae (2022). Debauchery and Original Sin: The Currency Composition of Sovereign Debt, in: Journal of the European Economic Association, 20(3), 1095–1144, https://doi.org/10.1093/jeea/jvac009. In den letzten zwei Jahrzehnten beteiligt sich auch China zunehmend an Kreditvergaben und stellt mittlerweile einen bedeutsamen Kreditgeber, insbesondere für afrikanische Staaten mit hohen Rohstoffaufkommen, dar. Aus diesem Grund besteht für viele Länder auch eine Schuldlast, die in der chinesischen Währung Renminbi beglichen werden muss, häufig sogar mit noch höheren Zinssätzen als bei multilateralen Krediten. Dennoch hat das chinesische Kreditvolumen noch lange nicht die Höhe dessen in US-Dollar erreicht und fällt seit 2016 sogar tendenziell wieder ab. (Meister, Lorenz; Menkhoff, Lukas & Westen, Annika (2023). Chinesische Kredite nach Afrika unterscheiden sich von westlichen Entwicklungskrediten, in: DIW Wochenbericht, Nr. 26/2023, 354-360, https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-26-1).
2 Die Begriffe „Globaler Süden“ und „Globaler Norden“ sind nicht geographisch zu verstehen, sondern immer als Begriffe, die aufzeigen, welche Stellung die Staaten in der globalen Machtstruktur einnehmen. Wir sind uns der Kritik an den Begriffen bewusst und wollen an dieser Stelle klarstellen, dass nicht vereinheitlichend von „dem Globalen Süden“ gesprochen werden kann. Während die Menschen im Globalen Süden Erfahrungen von Ausbeutung aber auch Widerstand gegen hegemoniale Mächte teilen, muss auch immer mitgedacht werden, dass es eine Vielzahl von verschiedenen „Globaler Süden“-Realitäten gibt.
3 Die Verschuldung von Staaten ist dabei oft direkt oder indirekt auf Folgen kolonialer Herrschaft und Ausbeutung und deren neokoloniale Fortführung zurückzuführen. So waren z.B. nach Jahrzehnten von Ausbeutung unter Kolonialherrschaft oft finanzielle Mittel nötig, um ein Minimum an lokalen Infrastrukturen aufzubauen. Weiterhin wurden Schulden oft von autoritären, nicht-demokratisch legitimierten Regimen aufgenommen, welche sich im
Zuge erstarkender nationaler Befreiungsbewegungen durch die Zusammenarbeit mit ehemaligen Kolonialmächten an die Macht putschten.
4 Siehe z.B. den Bericht „Flawed Conditions“ von Eurodad für eine genauere Betrachtung der Maßnahmen, die von der Weltbank durchgesetzt werden.
5 Hickel, Jason (2017). The Divide: A Brief Guide to Global Inequality and its Solutions. Random House, S. 158ff.
6 Hickel, Jason (2017). The Divide: A Brief Guide to Global Inequality and its Solutions. Random House,S. 170
7 Fichter, Michael (2015). Organizing in and along value chains: What does it mean for trade unions? INTERNATIONAL POLICY ANALYSIS, Friedrich-Ebert Stiftung.
8 So z.B. der “Arbeitskreis Solidarität mit Brasilianischen Gewerkschaften” des DGB Mannheim, in welchem sich Beschäftigte von Daimler und BASF in Deutschland und Brasilien seit 1984 miteinander vernetzen und zusammenarbeiten.
9 Die Gruppe der G77 gründete sich 1964 auf der ersten UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) in Genf und bildet den größten Zusammenschluss von Ländern des Globalen Südens innerhalb der UN. Bis heute ist ihre Mitgliederanzahl von 77 auf 134 Länder angestiegen. Die G77 hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb des Systems der Vereinten Nationen gemeinsam für die wirtschaftlichen Interessen von Ländern des Globalen Südens einzustehen und deren Perspektiven kollektiv zu vertreten und in Verhandlungen Gewicht zu geben. (http://www.g77.org).

Kämpfe verbinden – Warum wir uns als Arbeiterinnen im Globalen Norden für eine Staatsschuldenstreichung im Globalen Süden einsetzen sollten

Mitglieder von ‚Debt for Climate‘ sind mit einem Bus vom Oranienplatz / Berlin bis nach Italien gefahren, um gegen die Politik der an dem G 7 Gipfel beteiligten Staaten zu protestieren. Sie waren maßgeblich an diesen Protesten beteiligt. Im Folgenden stellen sie ausführlich dar, um was es ihnen geht. Wir bedanken uns für ihren Beitrag.

Ein Gastbeitrag von Debt for Climate

Im März 2023 streikten in Sri Lanka tausende Arbeiterinnen von insgesamt über 40 Gewerkschaften. Ungeachtet des von der Regierung verordneten Streikverbots stand der Betrieb in einigen Krankenhäusern, Banken und Häfen still. Die Arbeiterinnen protestierten mit ihrem Streik unter anderem gegen Steuererhöhungen, niedrige Zinsen und hohe Energiepreise – allesamt Maßnahmen, die die Regierung Sri Lankas umsetzte, um sich angesichts einer andauernden Schuldenkrise erneut für ein Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu qualifizieren. In einem offenen Brief machten 82 Gewerkschaften den IWF und die srilankische Regierung für das enorme Leid unter der arbeitenden Bevölkerung verantwortlich. Die vom IWF unterstützten Reformen seien unter anderem für steigende Unterernährung, gesundheitliche Probleme, Elektrizitäts- und Wasserknappheit, Wohnungslosigkeit und eine Abwanderung von qualifizierten Arbeiterinnen verantwortlich, heißt es in dem Brief.

Sri Lanka ist dabei kein Einzelfall. …

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