Wolodimir Selenskij – Fernsehfeldherr des Tages

Arnold Schölzel in der Jungen Welt vom 18. März 2022:

„Der Mann versteht sein TV-Handwerk: Seine Videoansprache im Bundestag am Donnerstag beendete er wie üblich mit dem Ruf »Ruhm der Ukraine!«, worauf die Abgeordneten sich erhoben und stehend Beifall klatschten. Die Parole wurde vor mehr als 80 Jahren von der »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN) populär gemacht. Deren Mitglieder kämpften u. a. im Bataillon »Nachtigall« an der Seite der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und ermordeten Hunderttausende Juden, Polen und Rotarmisten. Seit 2018 ist der Ruf mit dem Zusatz »Ruhm den Helden!« offizieller militärischer Gruß in der ukrainischen Armee. Einer der OUN-Anführer, Stepan Bandera (1909–1959), wurde Anfang 1933 nach dem Vorbild Hitlers und Mussolinis zum »Führer« gewählt. Die heutige Ukraine ehrt ihn mit Statuen (laut Neuer Zürcher Zeitung gegenwärtig 40), jährlichem Aufmarsch zu seinem Geburtstag und mit der Benennung von Straßen und Plätzen. Die Parole aus Selenskijs Mund spiegelt eine in seinem Land populäre deutsch-ukrainische Tradition wider.

Ganz in diesem Sinn hatte der Präsident zuvor von der Bundesrepublik verlangt, endlich den Dritten Weltkrieg zu beginnen – mit einer Flugverbotszone über der Ukraine. Begründung: Wieder werde versucht, in Europa ein ganzes Volk zu vernichten. Durch die russische Invasion sei erneut eine Mauer entstanden. Den durch Erfinder Joseph Goebbels etwas belasteten Ausdruck »Eiserner Vorhang« vermied er, verlangte aber von Kanzler Olaf Scholz persönlich: »Zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die es verdient.«

Selenskij war 2019 mit dem Versprechen, Frieden im Donbass und mit Russland herbeizuführen, zum Präsidenten gewählt worden. Seitdem tat er alles, um den Krieg der Kiewer Regierung gegen die eigenen Landsleute in der Ostukraine weiterzuführen. Der Faschistenschlachtruf gehört dazu“.

„Die Waffen nieder, und zwar alle!“ Lars Hirsekorn auf einer Betriebsversammlung VW Braunschweig

„2016 wollte ich eigentlich nach Istanbul fahren, um über die politische Situation in der Türkei zu diskutieren. Doch kurz vor der Reise kam dann der Putschversuch. In der darauf folgenden Repressionswelle verschwanden alle unsere geplanten Gesprächspartner entweder im Knast oder sind geflohen. Etwas ziellos habe ich mich entschieden, stattdessen nach Odessa zu fahren … Ich schildere meine Erfahrungen, um zu verdeutlichen, das hier keine Waffen helfen“.

So Lars Hirsekorn in seiner Rede während der letzten Betriebsversammlung. Lars Hirsekorn arbeitet im VW Werk Brauschweig. Ich danke Lars Hirsekorn für die Genehmigung, den vollständigen Text seiner Rede hier veröffentlichen zu dürfen:

Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen.

Eigentlich wollte ich noch etwas Wahlwerbung für die IG Metall machen und von meinem Bildungsurlaubsseminar in der letzte Woche berichten. Und zur Situation in der Kostenstelle seit der letzten Betriebsversammlung wollte ich auch noch was sagen, aber, 5 Minuten, da gibt es die Konzentration aufs wesentliche.

Bildungsurlaub

Beim Bildungsurlaub entsteht immer der Streit, ob es nun mehr Bildung oder mehr Urlaub ist. Für mich bedeutet die Kombination von Bildung und Urlaub eigentlich immer Horizonterweiterung. Auch wenn einige wohl der Meinung sind, ich wäre eher engstirnig, so erweitere ich doch sehr gerne meinen Horizont.

2016 wollte ich eigentlich nach Istanbul fahren, um über die politische Situation in der Türkei zu diskutieren. Doch kurz vor der Reise kam dann der Putschversuch. In der darauf folgenden Repressionswelle verschwanden alle unsere geplanten Gesprächspartner entweder im Knast oder sind geflohen.
Etwas ziellos habe ich mich entschieden, stattdessen nach Odessa zu fahren. So ging es im September 2016, mit dem Reiseveranstalter „Ex oriente Lux“ zur Perle am Schwarzen Meer. Da ich mich davor nur am Rande mit der Situation in der Ukraine auseinandergesetzt habe, bin ich also in den Buchladen, habe mir 10 Bücher gekauft und fleißig gelesen.

Ihr könnt euch nicht einmal ansatzweise Vorstellen, wie froh ich heute bin, dass ich es mir auch hier leisten konnte, vor ein paar Jahren meinen Horizont zu erweitern.
Auch wenn ich immer noch etwas ratlos vor euch stehe, so hilft mir diese Reise doch unheimlich, Nachrichten einzuordnen.
„Ex oriente Lux“ ist Spezialist für Ost-Europareisen und steht dabei den sogenannten Farbenrevolutionen eher positiv gegenüber. Entsprechend waren auch die Leute drauf, mit denen wir uns vor Ort getroffen haben.
Auch wenn ich vorher schon in einigen Büchern gelesen habe, welchen großen Einfluss die Ukrainischen Nationalisten bei den Maidan Unruhen hatten, war ich doch von dem Nationalen Größenwahn unserer Gesprächspartner ehrlich überrascht. Schließlich war ja davon auszugehen, das das gemäßigte Leute waren, mit denen wir uns da trafen. Zu einer friedlichen Verhandlungslösung zum Beispiel im Bezug auf Luhansk und Donezk gab es keinerlei Bereitschaft. Im Gegenteil. Lediglich bedingungslose Kapitulation wurden als Alternative zu einer militärischen Lösung gesehen. Dabei wurde dann auch mehrfach Unverständnis darüber geäußert, warum die Ukraine von Deutschland und der EU nicht endlich Waffen bekämen, um die abtrünnigen Gebiete zu erobern. Auf meine Anmerkung, das die faschistischen Bataillone innerhalb der ukrainischen Arme absolut inakzeptabel seien, gab es ihrerseits nur die Antwort, dass seien die Helden der Ukraine und über jegliche Kritik erhaben.

Wie unsere Gesprächspartner, hat auch die Regierung der Ukraine jegliche Deeskalation abgelehnt. Das Minsker Abkommen wurde von Kiew nie umgesetzt und die Politik der letzten Jahre war nur auf Revanche ausgerichtet. Am Freitag haben die USA öffentlich gemacht, das sie allein in 2021 Waffen für über eine Milliarde Dollar an die Ukraine geliefert haben.

Zudem werden faschistische Kriegsverbrecher aus dem 2. Weltkrieg als Nationale Ikonen stilisiert.
Die Ukraine ist ein tief zerrissenes Land und die Bundesregierung sollte sofort darauf drängen, das alle das Land verlassen dürfen, die diesen Krieg nicht mitmachen wollen.

Die Deserteure, das sind die Helden dieses Krieges!

Damit will ich in keiner Art und Weise den Angriff Russlands rechtfertigen. Tatsächlich muss ich gestehen, dass ich der Russischen Regierung mehr Verstand zugetraut habe. So einen Krieg anzufangen, zeugt von absoluten Größenwahn und einer „nach uns die Sinnflut“ Einstellung gegenüber der gesamten Menschheit.

Menschlich eine Tragödie, Politisch eine Katastrophe, ökologischer Wahnsinn.

Ich schildere meine Erfahrungen, um zu verdeutlichen, das hier keine Waffen helfen.

Dieser Krieg muss gestoppt werden und zwar schnell.

Diplomatie ist das Gebot der Stunde!

Dazu bedarf es einer weltweiten Initiative für eine sofortige Befriedung der Politik.

Jede weitere Bewaffnung wird uns nur weiter an den Abgrund führen.

Jede aggressive Wirtschaftspolitikpolitik, wie die der USA, die auf das Plattmachen anderer Staaten abzielt, gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Wenn Kanzler Scholz jetzt 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgeben will, dann geht das völlig in die falsche Richtung. Die jährlichen Militärausgaben der NATO Staaten sind jetzt schon vier mal so hoch, wie die von China und Russland zusammen.

Auch die Nato-Staaten haben seit Jahren das Völkerrecht und die Vereinten Nationen mit Füßen getreten. Sie haben den Irak und Syrien in Schutt und Asche gelegt, Libyen zerstört und mit deutschen Waffen wird der momentan verheerendste Krieg auf dieser Welt, im Jemen geführt.

Diese Kriege sind nicht zu gewinnen.

Die Klimakrise wird uns in den nächsten Jahrzehnten alles abverlangen, da ist das letzte was wir brauchen eine weitere Aufrüstung.                              

Die Waffen nieder, und zwar alle!

Appell an die russische KPF: Kommunisten und Sozialisten gegen den Bruderkrieg

462 Kommunistinnen und Kommunisten, Sozialistinnen und Sozialisten Russlands richteten folgenden Appell an die Kommunistische Partei der russischen Föderation:

Genossinnen und Genossen, Mitglieder der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und Abgeordnete der KPRF, wir wenden uns mit einer großen Bitte an Sie. Wir bitten Sie, öffentlich die sofortige Beendigung des Bruderkriegs zwischen den Völkern Russlands und der Ukraine zu fordern und ein Übergangsprogramm für die Veränderung Russlands und der Welt nach dem Krieg vorzulegen. Und diese Position auch in innerparteilichen Diskussionen zu vertreten.

Wir sind überzeugt, dass Sie und wir kein Recht haben, angesichts der Katastrophe, die sich in der ehemaligen Sowjetunion abspielt, zu schweigen. Eine Katastrophe, wie es sie seit dem Großen Vaterländischen Krieg nicht mehr gegeben hat. Putins militärisches Abenteuer kann nicht mit dem Tod von Kindern und Erwachsenen in Donezk, Luhansk und Odessa oder mit den Verbrechen der ukrainischen Ultrarechten gerechtfertigt werden.

Dieser Krieg ist unverhohlen imperialistisch [1]„Der europäische und der Weltkrieg haben den klar definierten Charakter eines bürgerlichen, imperialistischen, dynastischen Krieges. Der Kampf um die Märkte und die Ausplünderung fremder … Continue reading). Dahinter stehen die Ideologen des imperialen Nationalismus, die von einer Entkommunisierung nach ihrem eigenen Drehbuch träumen. Russische und ukrainische Soldaten, zumeist aus sozial schwachen Verhältnissen, kommen dabei ums Leben, Hunderttausende von Ukrainern sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, und Millionen von Menschen leben in Angst vor Bombardierungen und Beschuss. Der Krieg wird die Arbeiter beider Länder treffen, sie sind es, die für dieses blutige Treiben bezahlen müssen. Die Aufgabe der „Entnazifizierung“ der Ukraine kann nur von den Ukrainern selbst gelöst werden. Die Aggression des Kremls wird im Gegenteil nur dazu führen, dass rechtsextreme und antirussische Stimmungen zunehmen und in den Augen vieler die früheren Verbrechen der ukrainischen Neonazis legitimieren. Heute bezeichnen Hunderttausende, Millionen russischsprachige Ukrainer, die nichts mit dem Neonazismus zu tun haben, Russland als Besatzer und die Ereignisse als ukrainischen Vaterländischen Krieg. Gefallen uns solche Analogien? Alle brüderlichen Beziehungen oder Bündnisse mit den Ukrainern können nach diesem Abenteuer des Putin-Regimes für immer verloren sein.

Russland wird danach ohnehin nicht mehr dasselbe sein. Aber es hängt von Ihnen und von uns ab, von unserem Handeln oder von unserer Untätigkeit, wie diese Veränderungen aussehen werden.

Wenn wir den Krieg unterstützen, werden wir uns und die Partei und die gesamte kommunistische Idee für Jahrzehnte mit Schande bedecken. Aber indem wir den sich abzeichnenden Antikriegskonsens in der Gesellschaft nutzen, um einen radikalen Wandel im Interesse der Mehrheit herbeizuführen, werden wir die Glaubwürdigkeit der Kommunisten gewaltig erhöhen. Dazu ist es notwendig, einer verschworenen Handvoll von Oligarchen und Militaristen die Macht zu entreißen, damit eine solche Tragödie nie wieder möglich wird. Solche Kriege entstehen aufgrund eklatanter Ungleichheiten. Denn ein winziger Prozentsatz von Menschen, die in Luxus und Sicherheit hinter den Mauern ihrer Paläste und Bunker leben, kann willkürlich Entscheidungen treffen, die das Leben von Hunderten von Millionen Menschen zur Hölle und zu einem Albtraum machen. Unter allen Sanktionen werden die Eliten einen Weg finden, ihr Geld und ihren Besitz zu behalten – auf Kosten des Volkes.

Als größte parlamentarische Oppositionspartei in Russland muss die KPRF, die bei den letzten Dumawahlen öffentliche Unterstützung erhielt, aktiv am Antikriegsprotest teilnehmen und ihn mit Forderungen nach einer sozioökonomischen Neugestaltung des Landes verbinden. Die Abgeordneten der Staatsduma der KPRF Smolin, Markhaev, Matveev, der Abgeordnete der Moskauer Stadtduma Stupin, eine Reihe regionaler Komsomol-Organisationen und viele andere haben sich bereits für eine sofortige Beendigung dieses Krieges eingesetzt, die Initiative „KPRF/KOMSOMOL-Mitglieder gegen den Krieg“ [2]„Mitglieder der KPRF und des Komsomol aus verschiedenen Regionen sind gegen die russische Invasion in der Ukraine. Jetzt ist es sehr wichtig, die Anstrengungen zu bündeln und zu zeigen, dass … Continue reading ist entstanden, aber das reicht nicht.

Wir fordern Sie, unsere Genossinnen und Genossen, Partei- und Komsomolmitglieder, KPRF-Abgeordnete auf allen Ebenen auf, Maßnahmen zu ergreifen:

  1. Unterstützen Sie den Aufruf offen und verbreiten Sie die Informationen darüber mit Ihren Mitteln.
  2. Schreiben oder rufen Sie Ihre Abgeordneten der KPRF an und bitten Sie sie persönlich, sich dem Aufruf anzuschließen.
  3. Diskutieren Sie den Appell auf Sitzungen und Versammlungen ihrer Parteiorganisationen, auf Sitzungen der KPRF in den Parlamenten auf allen Ebenen und verabschieden Sie auf der Grundlage dieser Diskussionen Entschließungen.
  4. Fordern Sie auf allen Tribünen, einschließlich der parlamentarischen Tribüne, sowie auf der Straße bei den Wählern, dass der Krieg zwischen den brüderlichen Nationen beendet und gleichzeitig ein sozialer Wandel in unserem Land eingeleitet wird.

Dieser Appell richtet sich an die Mitglieder der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und die Abgeordneten der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation auf allen Ebenen und wurde unterzeichnet von:

1. Michail Lobanow, Kandidat der KPRF für die Staatsduma im Wahlkreis Kunzewski 197

2. Yevgeny Stupin, Abgeordneter der Moskauer Stadtduma, Mitglied der KPRF

3. Sergey Tsukasov, Abgeordneter der Stadt Moskau für das Gebiet Ostankino

4. Sergey Kurgansky, Kandidat der KPRF für die Staatsduma im Bezirk Perovsky 204, Mitglied der KPRF.

„Der Text dieses Aufrufs deckt sich mit meiner persönlichen Haltung zum imperialistischen Charakter des laufenden Krieges. Gleichzeitig unterstütze ich eindeutig die Anerkennung der DVR- und der LPR-Republik, auch wenn sie sieben bis acht Jahre zu spät kommt, aber ich bin überzeugt, dass es möglich und notwendig war, sie auf politischem und diplomatischem Gebiet zu schützen“.

5. Oleg Scheremetew, Abgeordneter der Moskauer Stadtduma der KPRF in den Jahren 2019-2021, Moskau

6. Kirill Medvedev, Dichter und Musiker, Kandidat der KPRF bei den Kommunalwahlen 2017 in Moskau

Es folgen weitere Unterschriften von 456 Mitgliedern der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und des Komsomol, Abgeordneten und Abgeordnetenkandidaten verschiedener Ebenen der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, politischen und gewerkschaftlichen Aktivisten, Bürgern, die für die Kommunistische Partei der Russischen Föderation gestimmt haben.

Die Übersetzung ist von Marc Galwas, 10.03.2022

Anmerkung des Übersetzers: Da es mehrere Komsomol in Russland gibt, sei auf den Umstand verwiesen, dass es sich bei Komsomol-Mitgliedern unter den Unterzeichnern um Mitglieder des ЛКСМ (Leninistische Kommunistische Union der Russischen Jugend) der KPRF handelt. Bei den „PEC-Mitgliedern des PSG für die KPRF“ handelt es sich um Mitglieder mit beratener Stimme einer staatlichen Wahlkommission.

Die Übersetzung ist von Marc Galwas, 10.03.2022

Quelle: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfsv2lOzeABwB6CON7cwn_H-LzkmjVVUfCswwKzKeI3P_-NlA/viewform

Verlinkung durch die Union der Kommunistischen Jugend (KOMSOMOL) der Vereinigten Kommunistischen Partei (Russlands): https://skm-rf.ru/2022/03/04/ubivavshie-sovkov-v-ostankino-zovut-slavyanskih-bratev-pod-trikolor-na-fone-dymyashhihsya-zhilyh-domov-borodyanki/

Die Verlinkung ist vom 04.03.2022

References

References
1 „Der europäische und der Weltkrieg haben den klar definierten Charakter eines bürgerlichen, imperialistischen, dynastischen Krieges. Der Kampf um die Märkte und die Ausplünderung fremder Länder, das Bestreben, die revolutionäre Bewegung des Proletariats und die Demokratie innerhalb der Länder zu unterdrücken, das Bestreben, die Proletarier aller Länder zu täuschen, zu spalten und abzuschlachten, indem man die Lohnsklaven der einen Nation gegen die Lohnsklaven der anderen zugunsten der Bourgeoisie ausspielt – das ist der einzige wirkliche Inhalt und Sinn des Krieges“. W.I. Lenin, „Die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg“ (PSS, Bd. 26, S.1
2 „Mitglieder der KPRF und des Komsomol aus verschiedenen Regionen sind gegen die russische Invasion in der Ukraine. Jetzt ist es sehr wichtig, die Anstrengungen zu bündeln und zu zeigen, dass wir viele sind. Schließen Sie sich uns an!“ Link zum Aufruf und Telegramkanal: https://t.me/kprfstoptwar

Erklärung der DKP zum Krieg in der Ukraine

Die DKP veröffentlichte am 5. März 2022 folgende Erklärung:

„Jeder Krieg ist eine Niederlage. Der Krieg in der Ukraine ist vor allem eine Niederlage der Friedenskräfte in den NATO-Ländern. Damit ist dieser Krieg auch unsere Niederlage. Es ist uns nicht gelungen den Druck zu entwickeln, der das nationalistische Regime der Ukraine gezwungen hätte den achtjährigen Krieg gegen den Donbass zu beenden, der bereits mehr als 15.000 Opfern gefordert hat. Es ist uns nicht gelungen die seit 1999 laufende Osterweiterung der NATO zu stoppen. Es ist uns nicht gelungen den Druck auf unsere Regierung zu entwickeln, dass in Europa ein System kollektiver Sicherheit etabliert wird, dass die Sicherheitsinteressen aller Länder berücksichtigt“. Hier weiterlesen

Bundestagssitzung im „Kriegsmodus“

Die Gruppe Arbeiterpolitk berichtet über die Bundestagssitzung, auf der der Bundeskanzler Hochrüstung, Waffenexporte in die Ukraine und Sanktionen gegen Russland verkündete:

„Die Bundesregierung hat, angesichts der militärischen Aggression Russlands in der Ukraine, eine Kehrtwende vollzogen. Statt des Versuchs, durch diplomatische Initiativen die Konfrontation zu entschärfen, damit die deutschen Wirtschaftsinteressen nicht unnötigerweise leiden, ist sie auf den durch Washington forcierten Kriegskurs eingeschwenkt. Die Ukraine wird jetzt durch Waffenlieferungen auch aus der BRD militärisch unterstützt. In die osteuropäischen NATO-Staaten werden verstärkt Verbände der schnellen Eingreiftruppe verlegt. Die deutsche Aufrüstung wird durch ein 100 Milliarden schweres „Sondervermögen Bundeswehr“ vorangetrieben …“.

Hier der gesamte Artikel, den die Gruppe Arbeiterpolitik auf ihrer homepage veröffentlichte.


Appell der Jungen Welt

7. Juli 2021 In großer Sorge um die Pressefreiheit in diesem Land wenden sich Verlag, Redaktion und Genossenschaft der in Berlin erscheinenden Tageszeitung junge Welt an die deutsche und internationale Öffentlichkeit. Als einzige Tageszeitung in der Bundesrepublik steht die junge Welt unter Dauerbeobachtung durch den Inlandsgeheimdienst. Seit dem Jahr 2004 wird sie regelmäßig im Verfassungsschutzbericht des Bundes im Kapitel »Linksextremismus« aufgeführt und dort als »Gruppierung« eingestuft, die angeblich »verfassungsfeindliche Ziele« verfolgt. Nun handelt es sich bei der jungen Welt nicht um eine politische Organisation, sondern um ein journalistisches Produkt. Wir sehen einen handfesten politischen Skandal darin, dass eine staatliche Behörde sich anmaßt, eine unabhängige Zeitung in dieser Weise an den Pranger zu stellen, weil ihr bestimmte Inhalte nicht gefallen.

In einem offenen Brief an alle Bundestagsfraktionen hatten Redaktion, Verlag und Genossenschaft Mitte März 2021 diesen drastischen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit beklagt. Sie wiesen zudem auf »erhebliche Nachteile im Wettbewerb« hin, die der jungen Welt aus der Nennung im VS-Bericht erwachsen. So verweigern die Deutsche Bahn und verschiedene Kommunen und Radiosender unter Verweis auf den Verfassungsschutz-Eintrag das Anmieten von Werbeplätzen, Bibliotheken sperren den Onlinezugang zur Zeitung, und eine Druckerei weigerte sich, eine andere Druckschrift mit einer Anzeige der jungen Welt herzustellen. In Reaktion auf unser Schreiben wandte sich die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke mit einer Kleinen Anfrage (BT-Drucksache 19/28956) an die Bundesregierung, um sich im Detail nach den Gründen für die geheimdienstliche Beobachtung der jungen Welt und deren Nennung im VS-Bericht zu erkundigen.

Die Antwort der von Union und SPD geführten Regierung vom 5. Mai 2021 muss beunruhigen, liefert sie doch Argumente für eine sehr weitgehende Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte, die alle fortschrittlichen Kräfte in diesem Land betreffen. Die Bundesregierung rechtfertigt ihre Eingriffe mit der »verfassungsfeindlichen« weltanschaulichen Orientierung der jungen Welt: »Themenauswahl und Intensität der Berichterstattung zielen auf Darstellung ›linker‹ und linksextremistischer Politikvorstellungen und orientieren sich am Selbstverständnis der jW als marxistische Tageszeitung.« Weiter heißt es, »die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit (widerspreche) der Garantie der Menschenwürde«. In klaren Worten führt die Bundesregierung aus, dass es ihr darum geht, Relevanz und »Wirkmächtigkeit« der jungen Welt einzuschränken. Das Stigma der Nennung in den VS-Berichten diene auch dem Zweck, »verfassungsfeindlichen Bestrebungen (…) den weiteren Nährboden entziehen zu können«. Um die Reichweite der Zeitung einzuschränken, werden ihre ökonomischen Grundlagen also bewusst angegriffen. Die Bundesregierung kriminalisiert eine Weltanschauung in einer Weise, die an Gesinnungsterror und damit an finsterste Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Während sie vermeintliche oder tatsächliche Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte in Staaten wie Russland, China oder Kuba wortreich beklagt, werden hierzulande unverschleiert vordemokratische Standards etabliert.

Wir appellieren an die kritische Öffentlichkeit, sich dieser von obrigkeitsstaatlichem Denken geleiteten Einschränkung demokratischer Grundrechte zu widersetzen. Wir bitten Sie: Studieren Sie gründlich die Antwort der Bundesregierung! Fordern Sie Ihre demokratisch gewählten Bundestagsabgeordneten auf, dazu Stellung zu nehmen! Zeigen Sie sich solidarisch mit der Tageszeitung junge Welt – auch im eigenen Interesse! Verlag, Redaktion und Genossenschaft werden sich nicht einschüchtern lassen und auch weiterhin alles dafür tun, dass eine relevante linke Tageszeitung auf dem Markt verfügbar bleibt.

Berlin, 7. Mai 2021

Die komplette Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke (BT-Drucksache 19/28956) lässt sich hier einsehen: https://www.jungewelt.de/downloads/antwort_br_anfrage_linke.pdf

Wer hat Angst vor wem?

Diejenigen, die sich nicht scheuen, gegen Faschismus, Rassismus, Krieg und Ausbeutung einzutreten? Die dafür mit Verfolgung und Repression rechnen müssen? Oder diejenigen, die Verfassung und die herrschenden Verhältnisse »schützen«?

Für alle, die es wissen wollen: Die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) gratis kennenlernen. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch .Jetzt probelesen!

Rezension in “Mitteilungen …” Nr. 58, 09/2020

19. November 2020 

Isaf Gün/Benedikt Hopmann/Reinhold Niemerg (Hrsg.): Gegenmacht statt Ohnmacht. 100 Jahre Betriebsverfassungsgesetz. Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und Demokratisierung, Verlag VSA 2020, 160 Seiten, ISBN 978-3-96488-036-9, 14,80 Euro.

Noch während der Auslieferung zum Jahreswechsel 2019/20 waren die Exemplare der 1. Auflage durch ungewöhnliche Nachfrage aus IG Metall-Gremien vergriffen; es musste sofort unverändert nachgedruckt werden. Das Vorwort von Verena zu Dohna-Jaeger, Leiterin des Ressorts Betriebsverfassung und Mitbestimmungspolitik beim Vorstand der IG Metall, bringt es gradlinig auf den Punkt: “Wie vor hundert Jahren geht es um den Interessengegensatz von Arbeit und Kapital.” (Und der wird im Buch ausführlich erklärt, gerät er doch selbst in Gewerkschaftskreisen aus “Sozialpartnerschaft” zuweilen in Vergessenheit.)

Kapitelmäßig wird der rote Faden verfolgt, wie Beschäftigte sich organisieren: Von den Anfängen der Arbeiterbewegung bis zum Ersten Weltkrieg, im Krieg und für die Novemberrevolution und danach, im Faschismus mit Anpassung bis zum Widerstand, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, bei Wiederaufbau und Restauration, in der liberalen Reformzeit und im Neoliberalismus – bis zur Gegenwart.

Den Schwerpunkt mit elf von insgesamt 25 Beiträgen bildet die revolutionäre Zeit gegen den Krieg, mit besonderer Rolle der Revolutionären Obleute im Deutschen Metallarbeiter-Verband (Ralf Hoffrogge), um die Novemberrevolution als Geburtsstunde der ersten deutschen Republik und die Chancen für eine soziale Demokratie (Holger Czitrich-Stahl), mit Stinnes-Legien-Abkommen (Frank Deppe), Zielen und Ergebnissen der Rätebewegung (Axel Weipert und Dietmar Lange). Die Geschichte der Betriebsverfassung steht im Mittelpunkt: Das Betriebsrätegesetz von 1920 und die Demonstration dagegen, sowie der erfolgreiche Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch (Axel Weipert), der Sozialabbau in der Weltwirtschaftskrise 1920 bis 1932/33 (Reiner Zilkenat). Dem folgen die “Trümmer der Arbeiterbewegung”: Arbeitsrecht und Betriebsverfassung 1933 bis 1945 (Rüdiger Hachtmann), aber auch “geheime Netzwerke” als Basis für einen Neuanfang: Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen im Widerstand, 1933-45 (Michael Schneider).

Auf “Ein neuer Anfang?” (Ulrich Schneider) folgten ein Alliiertes Betriebsrätegesetz und Betriebsrätegesetze der Länder (Reinhold Niemerg). Benedikt Hopmann, einer der Initiatoren auch dieses Buches in der VSA-Reihe “Widerständig”, gibt eine Einschätzung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952, dem sich Franz Josef Düwell mit “Mehr Demokratie wagen!” über das Betriebsverfassungsgesetz 1972 und die Unternehmensmitbestimmung 1976 anschließt, gefolgt von Rudolf Buschmann mit der Betriebsverfassungsreform 2001 und ihrer Bewertung im Zeichen des Neoliberalismus.

Als “Ausblick” untersucht Andreas Fisahn, wieweit Sozialisierung und Wirtschaftsdemokratie durch Grundgesetz und EU-Recht möglich sind. Dirk Linder und Benedikt Hopmann stellen heraus, dass für den Aufbau von Gegenmacht alle gewerkschaftlichen Mittel genutzt werden müssen einschließlich zeitweiser kollektiver Arbeitsverweigerung, um eine ökologische und soziale Transformation zu erringen.

Während Henner Wolter die Praxis der “Umstrukturierung von Betrieben und Unternehmen” als “‘Klassenkampf über das Handelsregister’ (von oben)” darstellt, fassen abschließend Isaf Gün und Benedikt Hopmann das Wesentliche zusammen: Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, als “Nächstliegendes zuerst”, tarifvertragliche Regelungen für die Beschäftigten zum Schutz vor der Willkür des Marktes sowie gewerkschaftliche Gegenwehr zu organisieren (im Gegensatz zu geringem Widerstand in der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932/33), denn “Das Vergangene kehrt zurück”. – “Our Future in our hands”, und zwar “Innerhalb und außerhalb der Betriebe”. Es gilt noch immer Friedrich Schiller in seinem “Wilhelm Tell”: “Verbunden werden auch die Schwachen mächtig”.

Außer Isaf Gün, Juristin, Gewerkschaftssekretärin beim IGM-Vorstand, sind immerhin zwei weitere Frauen Autorinnen: Claudia von Gélieu, Politologin, über “Arbeiterinnen und Sozialistinnen gegen den Krieg” und “Männer in die Räte – Frauen an den Herd”, sowie Mechthild Garweg, Fachanwältin für Arbeitsrecht, mit einem eher seltenen Bericht über die kurze Zeitspanne vom Kriegsende bis bald einsetzendem “Kalten Krieg”, über gewerkschaftliche Erfolge und Niederlagen bei “Währungsreform und ‘Freier Marktwirtschaft’”, über den Widerstand durch Generalstreik 1948, den Kampf um die Unternehmensmitbestimmung 1951und gegen das Betriebsverfassungsgesetz von 1952. Zu wünschen wäre, wenn gerade wegen der beachtenswerten Hervorhebung kämpferischer Frauen dieser kleine Band auch in Arbeitsbereichen mit hohem Frauenanteil (bei Ver.di und NGG) verbreitete Lektüre würde.

Unter “Brot und Rosen” wird an die immer noch aktuellen Forderungen für die Frauen, immerhin auch in Deutschland die Hälfte der Menschen, erinnert. Claudia von Gélieu würdigt mit einer Kurzbiografie Cläre Casper (USPD/KPD, 1894-1976), einzige Frau im Kampfausschuss des Munitionsarbeiterstreiks Januar 1918. Toni Sender (USPD, 1888-1964) wird als Gewerkschaftsaktivistin porträtiert. Lena Fuhrmann, 22-jährige Betriebsrätin bei Salzgitter-Flachstahl, gibt abschließend ein aktuelles Statement für Kapitalismuskritik und Gegenmacht.

Unter den insgesamt 20 Autor/innen sind Historiker, Arbeitsrechtler, Gewerkschafter und Betriebsräte, die kurz und knapp die Geschichte der Arbeiterbewegung und ihre Kämpfe chronologisch, substanzreich und gut verständlich vermitteln. Auf wichtige historische Quellen-Texte wie Richard Müllers “Geschichte der Novemberrevolution” und die “Stenografischen Berichte über den Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Dezember 1918” wird hingewiesen. Ausführungen von Karl Marx über “Gewerksgenossenschaften”, Auszüge einer Rede von Oskar Cohn (USPD) in der Nationalversammlung 1919 über die “Sozialisierung”, und aus einer Grundsatzrede von Robert Dißmann auf der Generalversammlung des DMV 1919 über die Schuldigen an den Weltkriegs-Verbrechen, sowie eine Kurzbiografie des legendären Metallers Willi Bleicher (“Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken!”) u. a. zeitgenössische Zitate bereichern die Kapitel.

Dieses Buch sollte in die Hände aller Beschäftigten, die für ihre Rechte und soziale Gerechtigkeit eintreten wollen. Ein kleines Pflicht-Lesebuch für Gewerkschaftsmitglieder, Vertrauensleute, Betriebs- und Personalräte, um aus der Geschichte zu lernen und zu handeln: Es geht ums Mitmachen, selbst aktiv zu werden für ein besseres Leben – für sich selbst und für alle. Auch den erst seit 30 Jahren unter neue Gesetze fallenden Arbeitenden mit DDR-Biografie vermittelt der Band eine gute Sicht über die bald 70-jährige Betriebsverfassung der BRD. Leider steht im gesamten Buch zum Thema bisher kein Wort, das die Lebenswirklichkeit der Menschen in den 40 Jahren DDR und den 30 Jahren danach berücksichtigt. Immerhin gehören sie mit ihren Lebens- und Arbeitserfahrungen dazu, wenn es nach 100 Jahren um eine Vollendung der Novemberrevolution von 1918/19 geht. In der nächsten Auflage sollte dem Rechnung getragen werden. “Gegenmacht statt Ohnmacht” setzt die verdienstvolle Reihe “Widerständig” im Verlag VSA fort.

Rainer Knirsch

In: Mitteilungen, Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung e. V.,  Nr. 58, September 2020.

Rezension in ver.di PUBLIK 01/20

30. November 2020 

Alle Rechte hart erkämpft


Betriebsrätegesetz – VSA-Band analysiert 100 Jahre „Gegenmacht statt Ohnmacht”
Von Henrik Müller


Der Betriebsrat hat die Aufgabe, „darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden”. So lautet ein Kernsatz des Betriebsverfassungsgesetzes (Paragraf 80 BetrVG). Dass diese Rechte von den abhängig Beschäftigten und ihren Gewerkschaften allesamt mühsam errungen und hart erkämpft werden mussten und müssen: Auf diesen Aspekt konzentrieren sich die Autorinnen eines jüngst im Hamburger VSA-Verlag erschienenen Buchs mit dem Titel „Gegenmacht statt Ohnmacht”. Im Mittelpunkt steht dabei die Geschichte eben dieses Betriebsverfassungsgesetzes, das jetzt 100 Jahre alt ist. Es wurde – als „Betriebsrätegesetz” – am 18. Januar 1920 beschlossen und trat am 4. Februar 1920 in Kraft. Was heutzutage kaum jemand noch weiß, was aber, wie viele andere Hintergründe, aus dem vorliegenden Band zu erfahren ist: wie hoch der Blutzoll war, den unsere Kolleginnen dafür zu entrichten hatten. Fünf Tage vor der Entscheidung der Deutschen Nationalversammlung hatten sich während der Beratungen im Plenarsaal draußen vor dem Reichstagsgebäude in Berlin mehr als 100.000 Menschen zu einer gewaltigen Demonstration gegen das geplante Betriebsrätegesetz versammelt, die einem Aufruf der linken Oppositionsparteien USPD und KPD, der Berliner Gewerkschaftskommission und der revolutionären Betriebsrätezentrale gefolgt waren.


Hoher Blutzoll


Im Verlauf der Kundgebung, so schreibt der Historiker Axel Weipert, sei es „zu einzelnen Handgreiflichkeiten im Gedränge zwischen den Demonstranten und der paramilitärischen Sicherheitspolizei” gekommen: „Rund zehn Minuten später eröffnete die Truppe mit Maschinengewehren und Karabinern das Feuer, warf sogar Handgranaten in die Menge. Sofort brach Panik aus, die Massen füchteten in den benachbarten Tiergarten. 42 Tote und weit über 100 Verletzte blieben auf dem Platz.” Noch am gleichen Tag verhängte Reichspräsident Friedrich Ebert, SPD, den Ausnahmezustand.


„Der 13. Januar 1920 ist in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück über die politischen Verhältnisse Deutschlands in jener Zeit”, resümiert Weipert. Denn was mit dem Betriebsrätegesetz an echtem Fortschritt für die abhängig Beschäftigten erreicht war, entsprach nur noch in Bruchstücken dem, was sich Millionen von Aktivistinnen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs unter einer umfassenden Demokratisierung des Staates und der Wirtschaft vorgestellt hatten. Von einem „entscheidenden Einfluss auf Produktions-, Lohn- und Arbeitsverhältnisse”, wie er Ziel der vorangegangenen Massenstreiks gewesen war, habe keine Rede mehr sein können, stellt der Autor fest. Dabei ist es im Grunde bis auf den heutigen Tag geblieben, wenn auch im Laufe der Jahre und Jahrzehnte erhebliche Fortschritte im Detail haben durchgesetzt und verteidigt werden können, ohne dass den abhängig Beschäftigten allerdings jemals etwas geschenkt worden wäre.

DDR-Zeit fehlt

Die Juristin Isaf Gün, Gewerkschaftssekretärin beim Vorstand der Industriegewerkschaft Metall in Frankfurt/Main, und die Berliner Rechtsanwälte Benedikt Hopmann und Reinhold Niemerg als Herausgeberinnen versammeln in dem Band „Gegenmacht statt Ohnmacht” etliche kompetente Autorinnen mit durchaus unterschiedlichen Sichtweisen. Ihre Analysen und Einschätzungen reichen von der bürgerlichen Revolution 1848/49 über das „Hilfsdienstgesetz” 1916, die Novemberrevolution 1918, das Betriebsrätegesetz 1920 und die – rechtlose – Zeit des Nazi-Terrors bis hin zum westdeutschen Betriebsverfassungsgesetz 1952, seiner Reform 1972 und seinen bescheidenen gesamtdeutschen Veränderungen 2001. Das waren und sind die gesetzlichen Grundlagen, auf denen die Arbeitnehmerinnen in der Privatwirtschaft und ihre Gewerkschaften Gegenmacht aufbauen konnten und sich nicht in Ohnmacht ergeben mussten und müssen.

Eine Lücke tut sich in dem VSA-Band allerdings auf: Wie auch immer man Funktion und Wirksamkeit der betrieblichen Interessenvertretungen in der DDR bewerten mag, in der vorliegenden Aufsatzsammlung fehlt ein Überblick über die Arbeit der Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) von 1949 bis 1990.

Isaf Gün, Benedikt Hopmann, Reinhold Niemerg (Hrsg.), Gegenmacht statt Ohnmacht – 100 Jahre Betriebsverfassungsgesetz: Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und Demokratisierung, VSA-Verlag, Hamburg, 160 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3964880369

aus: „ver.di PUBLIK“ – Die Mitgliederzeitung – Ausgabe 01/2020 vom 15. Februar 2020

2020: Zukunft ohne Auto?

28.12.2020: Herzstück der Industrie im Krisengriff. Zehntausende Jobs in Gefahr. Statt Mobilitätswende Prämien für Elektrofahrzeuge. Die Krise ist geprägt von konjunkturellen Einbrüchen, globaler Konkurrenz und neuem Protektionismus. Schwer wiegt vor allem die Debatte um Klimaveränderungen. Den folgenden Beitrag schrieb Stefan Krull für die Junge Welt. Wir danken dem Autor, den Beitrag hier veröffentlichen zu dürfen.

Die Automobilindustrie gilt als Herzstück der deutschen Wirtschaft. Und sie verschläft die Zukunft: falsche Produktpolitik, zu große und zu teure Autos treffen auf sinkende kaufkräftige Nachfrage und wachsende Konkurrenz. Die Digitalisierung vieler Herstellungsprozesse, der Antriebswechsel zum Elektromotor, hohe Investitionen und eine unsichere Zukunft markierten bereits 2019 die prekäre Lage der Branche. Doch mit der Coronapandemie und deren Auswirkungen entwickelt sich das zur größten Krise dieses Industriezweiges. Beschäftigte müssen um ihre Jobs fürchten. 600.000 Menschen in Kurzarbeit und mehr als eine halbe Million zusätzlicher Erwerbsloser sind Alarmzeichen.

Sichtbar wird das ebenso in den sinkenden Absatz- und Verkaufszahlen des Verbandes der Autoindustrie (VDA) und des Kraftfahrtbundesamtes (KBA). Kapitaleigner und Management haben zur »Aufholjagd« geblasen: Personalabbau, Betriebsschließungen, Übernahmen, Standortverlagerung und befristete Kooperationen. Die Branche und deren gutbezahlte Lobbyisten machen sich zudem lächerlich: »Deutschland ist Europameister bei Elektromobilität«, jubelte VDA-Chefin Hildegard Müller Mitte November in Berlin. Bei einem drastisch sinkenden Markt reichen offenbar ein paar mehr Zulassungen von E-Autos, um Freudensprünge zu machen. »Der sprunghafte Anstieg zeigt, dass die neuen Modelle begeistern«, so Müller, vormalige Staatsministerin im Kanzleramt. Begeistern dürften eher die satten Kaufprämien.

Jobabbau und Gipfelgedöns

Die Krise ist geprägt von konjunkturellen Einbrüchen, globaler Konkurrenz und neuem Protektionismus. Schwer wiegt vor allem die Debatte um Klimaveränderungen. Die Branche versucht wie im Rausch mit Elektroautos das alte Geschäftsmodell fortzuführen. Alle großen Mitspieler haben mit Personalabbau begonnen. Zehntausende Beschäftigte sind Opfer der Kostensenkung. Zudem drohen die Unternehmen mit Verlagerung der Produktion (Daimler), mit Vertragsbruch (Opel) oder mit Werksschließungen (Daimler, Bosch, Continental) und fordern eine Arbeitszeitverlängerung.

Der absehbaren sozialökonomischen Katastrophe setzt die Regierung kein gesellschaftliches Projekt der Mobilitätswende entgegen. Lieber lädt sie zu »Autogipfeln«. Mitte November rief Kanzlerin Angela Merkel zum vierten Treffen dieser Art in diesem Jahr. Virtuell trafen sich Minister, Regierungschefs der »Autoländer«, Cheflobbyistin Müller sowie die Vorstands- und Betriebsratschefs von BMW, Continental, Daimler, Ford, Mahle, Opel, Schaeffler, VW und ZF Friedrichshafen. Ebenfalls dabei der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, und der Vorsitzende der »Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität«, Henning Kagermann. Vorgebliches Ziel war es laut Mitteilung des Bundeskanzleramtes, »nachhaltige Strategien« zu diskutieren, »die der erfolgreichen Bewältigung der tiefgreifenden strukturellen Herausforderungen für den Automobilstandort Deutschland durch Digitalisierung, Klimawandel, Globalisierung und weitere Faktoren dienen«.

Ergebnis: Die IG Metall zeigte sich zufrieden. Wichtige Anliegen wie die Förderung regionaler Transformationsdialoge und regionaler »Qualifizierungscluster«, Investitionen »in nachhaltige Prozesse« (1,8 Milliarden Euro), Bildung eines »Zukunftsfonds Automobilindustrie« (eine Milliarde Euro), »Abwrackprämie« für Lkw (eine Milliarde Euro) sowie die »Innovationsprämie« für Elektro- und Hybridfahrzeuge seien aufgegriffen worden. Die Hersteller bekommen mehr Subventionen, eine Verlängerung der staatlichen Verkaufsprämien und den Ausbau der Ladeinfrastruktur – aber keine auf das Klima bezogenen Auflagen hinsichtlich Verbrauch, Gewicht, Motorstärke, Emission, Größe und Geschwindigkeit – vor allem aber werden keine sozial- und arbeitsrechtlichen Standards wie Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung festgeschrieben. Und die Subventionen sind eher Peanuts: Allein VW, BMW und Daimler haben in den zurückliegenden Jahren 200 Milliarden Euro Gewinnrücklagen gebildet.

Es gibt keine »Win-win-Situation« zwischen Industrie und Gewerkschaft. Die Ziele der Industrie, die Produktivität zu steigern und die Kosten zu senken, stehen der Gewerkschaftsforderung nach Arbeitsplatzsicherung direkt entgegen. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit wird weiter verschleiert. Statt dessen nennt die Bundesregierung ihr Verhalten eine »marktwirtschaftliche Flankierung« des Strukturwandels. Doch bereits jetzt können betriebsbedingte Entlassungen kaum verhindert werden – eine Entwicklung, die sich seit 2018 angekündigt hat.

Falsche Prioritäten

Für die Beteiligten am Gipfel lag der Schwerpunkt wieder bei Elektroautos. Und das, obwohl sie kaum einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten, auch nicht zur Beschäftigungssicherung. Sie taugen für »die letzte Meile«, als Taxi oder Kommunalfahrzeuge, nicht aber als Ersatz für Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Dennoch werden sie mit bis zu 9.000 Euro gefördert, 6.000 Euro kommen vom Staat. Diese Subventionierung wurde bis 2025 verlängert. Wenn das Tempo der Zulassungen für E-Autos nur etwas steigt und das Ziel von zwei Millionen erreicht wird, kostet dieses Geschenk an die Konzerne die Steuerzahler rund zehn Milliarden Euro.

Fakt ist, Autos werden noch gebraucht. Vor allem in ländlichen Regionen. Vielleicht in geringerer Anzahl, zweckmäßiger konstruiert, smart unterwegs und kaum noch als privates Eigentum. Dennoch: Aktuell benötigen viele Menschen den Pkw, um den täglichen Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu Arzt- und Behördenbesuchen zu bewältigen. Lange Arbeitswege für Schichtarbeiter im Gesundheitswesen oder in der Autofabrik sind mit Bus und Bahn nicht zu bewältigen. Und für zunehmend mehr Menschen ist ein Pkw unerschwinglich geworden. Wertverlust, Versicherung, Steuern, Treibstoff summieren sich.

Das alles sind nicht nur Probleme hierzulande, sondern es geht um eine globale Entwicklung. 2020 wird es einen Rückgang der weltweiten Produktion um gut zehn Millionen Pkw geben. Den Herstellungskapazitäten von 75 Millionen Pkw steht ein Absatz von etwa 55 Millionen gegenüber. In Deutschland ist mit Rückgängen von circa 25 Prozent zu rechnen. Ein Zulassungsplus von 37 Prozent gab es bei Tesla. Doch bei dem geringen Absatz von 13.000 Fahrzeugen in der BRD ist das weder überraschend noch durchschlagend. Im sinkenden Markt gab es – abgesehen von SUV – Zuwächse nur bei Elektroautos, allerdings weit unter Plan. Geschönt wird diese Statistik mit Hybridfahrzeugen, die dazugezählt werden. Tesla fährt zum Jahresende die Produktion runter, die Bauarbeiten an der Fabrik in Grünheide ruhten, und Konzernboss Elon Musk schickte die Beschäftigten in unbezahlten Urlaub (Business Insider Deutschland vom 15.12.). Bei VW in Wolfsburg stehen die Bänder fast vier Wochen still. Absehbar ist: Wenn Kurzarbeitergeld und staatlich genehmigte Insolvenzverschleppung auslaufen, wird das Ausmaß der Krise nicht nur die Betroffenen überraschen.

Die Vier-Tage-Woche

Und wie weiter? Auch 2025 werden E-Autos preislich nicht konkurrenzfähig sein mit Verbrennern. Interessant sind die Verschiebungen im Absatzbereich: Die Anzahl privater Zulassungen nahm um 22,8 Prozent zu, ihr Anteil beträgt jetzt 39,4 Prozent. Gewerbliche Zulassungen gingen um 14,7 Prozent zurück und liegen nun bei 60 Prozent des Gesamtabsatzes. Hauptabnehmer von E-Autos sind Behörden und öffentliche Unternehmen, städtische Betriebe, die die Gelegenheit nutzen, ihre Fuhrparks mit den staatlichen Prämien zu erneuern, und so den wesentlichen Beitrag zum Absatz von Elektroautos leisten. Die Eigenzulassungen der Autohersteller und ihrer Händler schlagen mit fast 20 Prozent zu Buche.

Die IG Metall hat den Kampf um jeden Arbeitsplatz angekündigt und führt diesen schon bei Daimler, Opel, Continental, Bosch und ZF. Diese Auseinandersetzungen werden sich im kommenden Jahr zuspitzen. ­Voraussetzung für Erfolg wäre es, Alternativen zur Produktion von Autos durchzusetzen – zum Beispiel die Wagenparks der ÖPNV-Betriebe bedarfsgerecht zu erhöhen. Wichtig wäre zudem eine Konzentration auf die Arbeitszeitverkürzung, auf die Viertagewoche und auf gemeinsame Kämpfe der Belegschaften aller betroffenen Betriebe und der Klimabewegung.

Wir geben diesen Artikel wieder mit freundlicher Genehmigung des Autors. Stephan Krull war unter anderem von 1990 bis 2005 freigestellter Betriebsrat bei VW, Mitglied des Vorstandes der IG Metall Geschäftsstelle Wolfsburg und der Tarifkommission der IG Metall bei Volkswagen; empfehlenswert sein Blog: stephankrull.info