Nachhaltigkeitsräte bilden!

5. Februar 2021 von Benedikt Hopmann

Es ist an der Zeit, in den Regionen Nachhaltigkeitsräte zu bilden. Dieser sollte aus Gewerkschaftern, Mitgliedern von Umweltverbänden und Wissenschaftlern bestehen.

Begründung:

Es fällt auf, dass gegenwärtig von ganz unterschiedlichen Seiten Räte eingesetzt und gefordert werden. Das gilt insbesondere für die Bundesebene.

So gibt es etwa zur Transformation Beratungsgremien, die mit Experten und wichtigen Interessenorganisationen wie Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und Umweltschutzverbänden besetzt werden. Es gibt zum Beispiel auch einen Nachhaltigkeitsrat, dem 15 Personen angehören und der die Regierung berät. Die Braunkohlekommission war ähnlich besetzt und bereitet Beschlüsse vor, die allerdings nicht ausgereicht haben und auch nur sehr eingeschränkt von der Regierung übernommen wurden. Es ist offensichtlich so, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, allein auf sich gestellt bestimmte große gesellschaftliche Probleme wie Maßnahmen gegen den Klimawandel zu lösen.

Auch wurde über die Einrichtung eines Bürgerrates berichtet. Dabei geht es um folgendes Thema: Deutschlands Rolle in der Welt. Ich möchte die Zielsetzung dieses Bürgerrates so beschreiben: Wie kann unter dem Deckmantel humanitärer Ziele und der Verteidigung der Menschenrechte Deutschlands Rolle als imperialistische Macht in der Welt gestärkt werden? Es geht darum, für dieses Ziel eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen.

Auf der anderen Seite werden erkennbar die Stimmen lauter, die solche Räte unter einer ganz anderen Zielsetzung fordern.

So forderte schon im Juli 2019 die IG Metall zusammen mit den Umweltschutzverbänden BUND und NABU regionale Gremien, in denen die Gewerkschaften zusammen mit den Umweltschutzverbänden vertreten sind und die Vorschläge für eine ökologische und soziale Transformation machen:

„Die anstehende Transformationsaufgabe ist so umfassend und anspruchsvoll, dass ein Akteur allein diese nicht stemmen kann. Wir haben uns daher entschieden, das Bündnis zwischen der wichtigsten Industriegewerkschaft und den größten deutschen Umweltverbänden zu suchen, um den Wandel hierzulande und in Europa zu gestalten. Wer die Transformation erfolgreich gestalten will, muss mehr tun als die Menschen nur mitzunehmen – sie müssen selbst Handelnde in eigener Sache sein. Mit unseren Organisationen, unseren viele regionalen Gruppen und unseren vielen Millionen Mitgliedern erheben wir unsere Stimme für eine ökologische, soziale und demokratische Transformation … Wir treiben den Wandel deshalb aktiv voran – indem wir einen breiten und gesellschaftlichen Dialog forcieren, in regionalen und bundesweiten Transformationsbeiräten und -bündnissen, auf Tagungen und Kongressen, mit lokalen Initiativen, aber auch in den Betrieben“.

Prof. Klaus Dörre schlägt Nachhaltigkeitsräte in den Regionen vor, die eigene Ziele für die ökologische und soziale Nachhaltigkeit festsetzen und einfordern und jährlich überprüfen, ob und in welchem Umfang diese Ziele, aber auch die schon staatlich definierten Ziele eingehalten werden.

Sicher ist die große Schwäche solcher Gremien, dass sie keine unmittelbare Durchsetzungsmacht haben. Daher kommt es darauf an, dass diese Räte nicht nur als Beratungsgremien gesehen, sondern auch als Gremien verstanden werden, über die außerparlamentarische Gegenmacht organisiert wird.

Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde mit dem Bericht der Brundlandt Kommission und dem Weltgipfel in Rio de Janeiro (1992, UNO Konferenz über Umwelt und Entwicklung) eingeführt. Nachhaltigkeit erfordert danach, dass die Bedürfnisse der heutigen Generationen befriedigt werden sollen, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen zu können. In Rio de Janeiro wurde die Agenda 21 beschlossen. Das sind Leitlinien für das 21. Jahrhundert zur nachhaltigen Entwicklung im ökonomischem, sozialen und ökologischen Bereich. Die Nachfolgeagenda (Agenda 2030) trat 2016 in Kraft. In Deutschland bestanden im Jahr 2006 in über 2000 Gemeinden Beschlüsse zur Erarbeitung einer lokalen Agenda 21. Schon oben wurde der Rat für Nachhaltigkeit auf Bundesebene genannt, der 15 Personen hat.

Kann mir gekündigt werden, wenn ich mich weigere, Beschäftigter des neuen Betreibers zu werden, und meinen Arbeitsvertrag mit der S-Bahn GmbH nicht aufgeben will?

Nein, Widerspruch ist möglich – ohne die Gefahr gekündigt zu werden.

Im Einzelnen

Gegen die Übernahme durch einen neuen Betreiber können die Lokführer Widerspruch einlegen. Auch andere, deren Tätigkeit für den S-Bahn-Verkehrsdienst „unmittelbar erforderlich“ ist, können Widerspruch einlegen. Nach dem Widerspruch werden sie nicht von dem neuen Betreiber übernommen und  bleiben Beschäftigte der S-Bahn GmbH. Eine Kündigung müssen sie deswegen nicht befürchten; davor schützt sowohl ein Tarifvertrag der GdL als auch ein Tarifvertrag der EVG. Dieser Kündigungsschutz gilt auch für die Beschäftigte in Werkstätten der S-Bahn GmbH, auch wenn sie das Angebot des Landes Berlin nicht annehmen, Beschäftigte  in einer landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) zu werden.   

Es sollte aber auf keinen Fall alles auf diese eine Karte gesetzt werden. Es ist zu bedenken, dass Widerspruch erst eingelegt werden kann, wenn der Senat einem neuen Betreiber den Zuschlag gegeben und schon entsprechende Verträge mit dem neuen Betreiber unterzeichnet hat. Es ist völlig offen, ob massenhafte Widersprüche dazu führen werden, dass diese Verträge deswegen gekündigt werden. Der Widerstand muss früher beginnen. Sonst besteht die Gefahr, dass Mutlosigkeit um sich greift und die Kolleginnen und Kollegen auch nicht mehr die Kraft haben, zu widersprechen, wenn sie widersprechen können. 

Welche Möglichkeiten habe ich als Beschäftigte, meinen Unmut gegenüber den Plänen der Regierung kundzutun?

Der Betriebsrat kann Betriebsversammlungen einberufen.

Im Einzelnen:

Der Betriebsrat kann Betriebsversammlungen einberufen, auf denen die Beschäftigten ihren Unmut gegenüber den Plänen der Regierung kundtun können. Den Beschäftigten kann auch noch einmal deutlich vor Augen geführt werden, was auf sie zu kommt und welche Alternativen es gibt. 

Der Betriebsrat kann eine, die In jedem Kalendervierteljahr hat eine Betriebs-versammlung stattzufinden, die der Betriebsrat einberufen muss[1]§ 43 Abs.1 Satz 1 BetrVG. Der Betriebsrat kann diese Betriebsversammlung auch in Form von mehreren Abteilungsversammlungen einberufen[2]„Arbeitnehmer organisatorich oder räumlich abgegrenzter Betriebsteile sind vom Betriebsrat als Abteilungsversammlungen zusammenzufassen, wenn dies für die Erörterung der besonderen belange der … Continue reading und er kann zusätzlich zu den zwingend vorgeschriebenen vierteljährlichen Betriebsversammlungen in jedem Halbjahr eine weitere Betriebsversammlung[3]§ 43 Abs.1 Satz  4 BetrVG.. einberufen. Auf diesen Versammlungen können die Ausschreibung und die drohenden Folgen ausführlich thematisiert werden.

 

References

References
1 § 43 Abs.1 Satz 1 BetrVG
2 „Arbeitnehmer organisatorich oder räumlich abgegrenzter Betriebsteile sind vom Betriebsrat als Abteilungsversammlungen zusammenzufassen, wenn dies für die Erörterung der besonderen belange der Arbeitnehmer erforderlich ist“ (§ 42 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
3 § 43 Abs.1 Satz  4 BetrVG..

Ist eine Vergabe des S-Bahn-Verkehrsbetriebes und der Instandhaltung der S-Bahn-Fahrzeuge ohne Ausschreibung möglich (so genannte Direktvergabe)?

Ja, eine Direktvergabe ohne Ausschreibung ist möglich. Dazu muss die deutsche Bahn AG die Kontrolle über die S-Bahn GmbH an die Länder Berlin und Brandenburg zusammen oder an das Land Berlin alleine abgeben. Wer das nicht will, kommt auf Dauer an einer Ausschreibung mit all den drohenden schädlichen Folgen nicht vorbei.

Im Einzelnen:

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) schließt für den Schienenpersonen-nahverkehr, also auch für den S-Bahn Betrieb, unter bestimmten Voraussetzungen eine  Direktvergabe nicht aus[1] S§ 131 Abs. 2 i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, auf die ausdrücklich verwiesen wird.: Das Land Berlin kann den Verkehrsdienst selbst erbringen (Eigenerbringung, z.B über einen Eigenbetrieb) oder an einen internen Betreiber direkt vergeben (sog. Inhouse-Vergabe, d.h. ohne Ausschreibung). Dieser interne Betreiber kann eine GmbH wie die S-Bahn GmbH sein. Das Land Berlin muss aber über diesen Betreiber eine ähnliche Kontrolle ausüben wie über seine eigenen Dienststellen (Kontrollkriterium)[2]Bei der Erfüllung des Kontrollkriteriums kommt es  auf den tatsächlichen Einfluss auf strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen an, aber auch  auf den Umfang der … Continue reading. Bis hat das Land aber keine Anteile an der S-Bahn GmbH und an einer Kontrolle über die S-Bahn GmbH durch das Land Berlin fehlt es erst recht.   

Ganz sicher wäre die beste Lösung eine Kontrolle der S-Bahn GmbH durch das Land Berlin. Dafür sprechen all die Gründe, die ganz allgemein gegen einen Betreiberwechsel sprechen: Es müssten nicht neue Werkstätten errichtet werden, obwohl die S-Bahn GmbH über solche Werkstätten verfügt. Es stünde ohne weiteres das erfahrene Personal zur Verfügung, das bisher für den Betrieb und die Instandhaltung der S-Bahn sorgt. Es könnte so weit wie möglich die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn fortgeführt werden. Die bisherige Tarifbindung würde weiter gelten. Auf der anderen Seite steht zu viel auf dem Spiel,  wenn die Deutsche Bahn AG sich weigert, dem Land Berlin die Kontrolle über und Anteile an der S-Bahn GmbH einzuräumen. Dann bleibt als Alternative auf Dauer nur die Ausschreibung und das heißt:  Drohende Privatisierung, drohende Zerschlagung der S-Bahn und drohender Verlust der bisherigen Tarifbindung.   

Um Anteile an der S-Bahn GmbH und die Kontrolle über die S-Bahn GmbH zu erlangen, ist das Land Berlin auf die Zustimmung der Deutschen Bahn AG und der Bundespolitiker angewiesen, die im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG sitzen. Das Land Berlin muss sich für den Fall vorbereiten, dass die Deutsche Bahn AG diese Zustimmung verweigert und es damit auf eine Ausschreibung ankommen lässt und auch eine Privatisierung in Kauf nimmt. Dann hat das Land Berlin keine andere Wahl, als einen Eigenbetrieb oder ein landeseignes Unternehmen, etwa in der Rechtsform der AöR, aufzubauen, an das das Land Berlin den Betrieb der S-Bahn  und die Instandhaltung der landeseigenen Fahrzeuge direkt vergibt. Das Land Berlin muss sich frühzeitig darauf vorbereiten. Allerdings nur unter Bindung an alle Tarifverträge, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist. Das muss immer wieder hervorgehoben werden; denn das Land Berlin hat in anderen Fällen gerade auch in dieser Frage vollkommen versagt (siehe die Ausgründungen in den Krankenhäusern und bei der BVG).

Auch gegenüber dem Land Brandenburg hat das Land Berlin in einer verhältnismäßig starken Position. Das Land Berlin hat rein rechtlich die Möglichkeit, den S-Bahn Betrieb auch dann selbst durchzuführen bzw. an einen internen Betreiber zu vergeben, wenn das Land Brandenburg das ablehnt. Es kann ohne Beteiligung des Landes Brandenburg den Verkehr der S-Bahn betreiben. Dass einige S-Bahn-Linien bis in das Brandenburger Land hineinreichen, lässt das Gesetz ausdrücklich zu[3]§ 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Abs. 2 lit b. Siehe auch: Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München … Continue reading.

Über eine Verlängerung der Übergangsverträge , die das Land Berlin schon jetzt mit der S-Bahn GmbH abgeschlossen hat ( https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/oepnv/s_bahn/ )

, kann es Zeit gewinnen, alle Vorbereitungen für einen landeseigenen Betrieb zu treffen.


References

References
1 S§ 131 Abs. 2 i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, auf die ausdrücklich verwiesen wird.
2 Bei der Erfüllung des Kontrollkriteriums kommt es  auf den tatsächlichen Einfluss auf strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen an, aber auch  auf den Umfang der Vertretung in den Aufsichtsgremien, die entsprechenden Bestimmungen in der Satzung und das Vorhandensein von Eigentumsrechten, so dass es am Ende auf eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände hinausläuft  (Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 14)) und  mehr als 80 Prozent der Tätigkeiten müssen vom Land Berlin in Auftrag gegeben werden (sog. Tätigkeitskriterium). Eine Beteiligung privater Unternehmen an diesem Betreiber (sog. Beteiligungskriterium) schließt das Gesetz nicht aus; es enthält nicht einmal eine Begrenzung für die Beteiligung Privater (( Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 14; dort wird auf den Gegensatz von § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 (sog. PersonenverkehrsVO)  zu § 108 Abs 1 GWB hingewiesen, wo in Ziff. 3 eine Begrenzung privater Beteiligungen geregelt ist.
3 § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Abs. 2 lit b. Siehe auch: Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 15; dort wird auf den Gegensatz von § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 (sog. PersonenverkehrsVO)  zu § 108 Abs 1 GWB hingewiesen, wo in Ziff. 3 eine Begrenzung privater Beteiligungen geregelt ist.

Gewinnabführung der S-Bahn GmbH für die Jahre 2001 bis 2008 mit Kommentierung

Zum Thema S-Bahn Ausschreibung:

  • In welchem Umfang sind die Arbeitskräfte bei einer Ausschreibung der S-Bahn geschützt?
  • Die Ausschreibung der S-Bahn als Türöffner zur Privatisierung der S-Bahn
  • Was tun?

In der Pressemitteilung der Ländern Berlin und Brandenburg wird versichert, dass „der Arbeitnehmerschutz maximal gewährleistet werde: Vertraglich festgelegt werden klare Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung, zum Personalübergang, zur Tariftreue, zum Mindestlohn und zur Ausbildungsverpflichtung, die sowohl den im Fahrgeschäft Beschäftigten als auch dem Werkstattpersonal zugutekommen[1]Pressemitteilungen des Senats vom 26.5. und 2.5.2020 . Was bedeutet dieses Versprechen?

Es gibt neben dieser Pressemitteilung noch eine unveröffentlichte Protokollerklärung[2]Protokollerklärung zur Senatsvorlage „Vergabe sowie von Fahrzeuglieferungs- und Instandhaltungsleistungen für die Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn der Berliner S-Bahn“ (S-3279/2020). Es wird darauf ankommen, was sich von dieser Erklärung in der Ausschreibung bzw. den Vergabeunterlagen wieder findet.

Am 17. Juni wurde die Vorinformation für die Ausschreibung der S-Bahn nachgebessert. Da heißt es lapidar:    

„Der Auftragnehmer wird verpflichtet, bei der Ausführung der zu vergebenden Dienstleistungen seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei der Ausführung der Leistung eingesetzt werden, hierfür mindestens nach den geltenden Entgelttarifen eines in Berlin oder Brandenburg geltenden Tarifvertrages zu entlohnen. Nähere Einzelheiten enthalten die Vergabeunterlagen[3] https://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:282656-2020:TEXT:DE:HTML&tabId=1“.

Auf der Basis der bestehenden Rechtsvorschriften sollen die Fragen beantwortet werden:

  1. Welche Arbeitskräfte muss ein neuer Betreiber übernehmen und
  2. welche Arbeitsbedingungen muss ein neuer Betreiber einhalten?
  3. Was heißt Tariftreue?

Die Antwort auf diese drei Fragen möchte ich in 5 Punkten zusammenfassen:

  1. Die Folgen der S-Bahn Ausschreibung für die Arbeitskräfte ist mit einer Ausgliederung vergleichbar.Ausgliederung (Outscourcing) ist die Fremdvergabe betriebsinterne Tätigkeiten, z.B. die Vergabe des Betriebs der werkseigenen Kantine im Daimler Werk in Berlin-Marienfelde an ein  Gastronomie Unternehmen.Ausgliederungen sind in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten wie ein Sturm durch die gesamte Wirtschaft gefegt: Alles wird ausgegliedert: Vom werkseigenen Kantinenbetrieb über die Reinigungskräfte bis zu vielen allen anderen betriebsinternen Tätigkeiten. Auch landeseigene Unternehmen in Berlin gliederten aus: Sie gründeten landeseigene Tochterfirmen ohne Tarifbindung; die Beschäftigten dieser Töchter wurden dann als billige Arbeitskräfte Tätigkeiten bei der Mutter eingesetzt. Die rund 3.000 Beschäftigten der Charité Tochter CFM Facility Management GmbH, die Beschäftigten der über 20 Töchter der Vivantes GmbH und die rund 2.000 Fahrerinnen und Fahrer der Berlin Transport GmbH, einer Tochter der BVG können ein Lied davon singen.
  2. Bei der Ausschreibung der S-Bahn sind wie bei der Ausgliederung einer werkseigenen Kantine die Regeln zum Betriebsübergang zu beachten.

Eine Regel zum Betriebsübergang ist: Der Betreiber muss das gesamte Kantinenpersonal übernehmen.

Anders als bei einer ausgegliederten Kantine ist allerdings bei einem Betreiberwechsel der S-Bahn nicht die Übernahme aller Arbeitskräfte garantiert, die ihren Arbeitsplatz bei der S-Bahn GmbH verlieren. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung verlangt von dem neuen Betreiber nur die Übernahme der Arbeitskräfte, die bei der S-Bahn GmbH „für die Erbringung der übergehenden Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich sind“[4]siehe § 131 Abs. 3 GWB, wo unter Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 die Rechtsfolgen des § 613 a BGB als Sollvorschrift für die Arbeitskräfte enthalten sind, die „für die Erbringung … Continue reading

Die Länder Berlin und Brandenburg müssen in der Ausschreibung verlangen, dass der neue Betreiber nicht nur diese Arbeitskräfte, sondern alle Arbeitskräfte der S-Bahn GmbH übernimmt, die wegen des Betreiberwechsels ihren Arbeitsplatz bei der S-Bahn GmbH verlieren, auch die Arbeitskräfte in der Instandhaltung. Und der Berliner EVG-Chef Michael Bartl mahnte an, dass „bei der bevorstehenden Ausschreibung auch an die Bereiche Fahrgastinformation Marketing, Planung und Disposition gedacht werden müsse“[5]Pressemitteilung der EVG vom 18. Mai 2020.

Es muss damit gerechnet werden, dass diese Mahnung ungehört verhallt und die Länder Berlin und Brandenburg unter Berufung auf das Gesetz einen Teil der Arbeitskräfte im Regen stehen lassen.

Eine weitere Regel zum Betriebsübergang verlangt, dass nach einem Betreiberwechsel die übernommen Arbeitskräfte unter denselben Arbeitsbedingungen weiter arbeiten, die unter dem alten Betreiber galten[6]In § 10 Satz 3 BerlAVG, wird darauf hingewiesen, dass „die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 23.Oktober 2007 über öffentliche … Continue reading. Das sind bei einem Betreiberwechsel der S-Bahn alle  Arbeitsbedingungen, die bei der S-Bahn GmbH galten (Arbeitszeit, Löhne, Urlaub usw); insbesondere alle Arbeitsbedingungen, an die die S-Bahn GmbH durch Tarifverträge gebunden ist.

Diese Regel existiert auch bei Ausgliederungen. Trotzdem kämpfen seit Jahren die Beschäftigten der ausgegliederten Töchter von Vivantes und der Charité zäh und ausdauernd für eine Rückkehr zur Mutter[7]Der Kampf der Kolleginnen und Kollegen im Botanischen Garten um ihre Rückkehr zur Mutter,  der Freien Universität (FU), wird ausführlich beschrieben in dem Buch „Der Aufstand der Töchter“ in … Continue reading. Denn diese Regel zum Betriebsübergang kann  nicht verhindern, dass der neue Betreiber den Betrieb dadurch billiger macht, dass er an den Arbeitskräften spart. Die Lohneinsparungen ergeben sich vor allem aus der sogenannten „natürlichen Fluktuation“. Jede Arbeitskraft, die den ausgegliederten Betrieb verlässt, wird entweder überhaupt nicht ersetzt oder durch eine neue billigere Arbeitskraft ersetzt. Es sind vor allem diese Billigarbeitskräfte, die sich für die Rückkehr zur Mutter einsetzen.

  • Der Austausch der von übernommenen Arbeitskräften der S-Bahn GmbH durch billigere Arbeitskräfte wird durch die Tariftreue abgemildert, aber nicht beseitigt.

Tariftreue heißt: Der neue Betreiber muss auch für die Tätigkeiten, die er von der S-Bahn GmbH übernommen hat (Betrieb und Wartung), Arbeitsbedingungen garantieren, die vorher bei der S-Bahn GmbH galten. Dadurch wird es dem neuen Betreiber erschwert, die von der S-Bahn GmbH übernommenen Arbeitskräfte durch billigere Arbeitskräfte auszutauschen.

Tariftreue heißt nicht Tarifbindung. Tarifbindung oder Tarifgebundenheit[8] § 2 Abs. 1 TVG heißt: Das tarifgebundene Unternehmen sind zur Einhaltung bestimmter Arbeitsbedingungen, z.B. Löhne, Arbeitszeit, Urlaub verpflichtet, weil es entweder selbst einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft vereinbart hat oder Mitglied eines Unternehmerverbandes ist, der diesen Tarifvertrag mit den Gewerkschaften abgeschlossen hat[9] § 2 Abs. 1 TVG. Dann haben die Gewerkschaftsmitglieder dises Unternehmens unmittelbar und zwingend[10]§ 4 Abs. 1 TVG einen Anspruch auf diese Leistungen aus Tarifvertrag.

Der neue Betreiber der S-Bahn muss nicht tarifgebunden und damit auch nicht gegenüber der Gewerkschaft verpflichtet sein wie die tarifgebundene S-Bahn GmbH. Stattdessen müssen die neuen Betreiber nur einen Vertrag mit dem Staat unterschreiben, der sie zur Einhaltung von Arbeitsbedingungen aus bestimmten Tarifverträgen zwingt[11]§ 10 BerlAVG lautet:„Öffentliche PersonennahverkehrsdiensteUnbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche Auftraggeber … Continue reading.

Tariftreue ist eine Sonderregelung bei der Ausschreibung von öffentlichen Personennahverkehrsdiensten (ÖPNVdiensten)[12]Die einschlägigen Regeln zur Tariftreue finden sich im Berliner Auftrags – und Vergabegesetz (BerlAVG), GVBl. 2020, 276. Das geänderte BerlAVG trat am 1. Mai 2020 in Kraft. Es gilt für alle … Continue reading. Bei einer Ausgliederung wie z.B. der werkseigenen Kantine bei Daimler in Berlin-Marienfelde geht ebenfalls die Bindung an die bisherigen Tarifverträge verloren, aber der neue Betreiber wird nicht zur Tariftreue verpflichtet.

Tariftreue heißt nach dem Gesetz nicht, dass sich die Fremdfirmen an die  Arbeitsbedingungen aus allen Tarifverträgen halten müssen, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist, sondern nur an Arbeitsbedingungen aus bestimmten Tarifverträgen. Im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) ist ausdrücklich festgelegt, dass die „öffentlichen Auftraggeber in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen die einschlägigen Tarifverträge bestimmen“, an die sich Firmen halten müssen, wenn sie  den Zuschlag bekommen wollen[13]In der Begründung zu den Änderungen des BerlAVG heißt es: „Das Land Berlin wird die Tariftreuespielräume des Europarechts ausnutzen. Das bedeutet, dass nicht nur die Einhaltung … Continue reading). Die Entscheidung, welche Tarifverträge die Tariftreue umfasst, ist „nach billigem Ermessen“ zu treffen[14][14]  siehe in § 10 BerlAVGl: „Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz … Continue reading.

Eine Bestimmung der Tarifverträge, deren Einhaltung in der Ausschreibung vorgegeben wird, fehlt in der Pressemitteilung der Länder Berlin und Brandenburg. Es hätte der folgende einfache  Satz ausgereicht: „Die  Tariftreue nach § 10 Berliner Ausschreibungs- und Vergabe-Gesetz (BerlAVG) umfasst alle Tarifverträge, an die S-Bahn GmbH gebunden ist oder im Laufe  der Dauer des Vertrages über den Auftrag gebunden sein wird“. Dass dieser einfache Satz fehlt, ist kein gutes Zeichen.

4.  Regelungen zur Tariftreue werden in eine Ausschreibung deswegen aufgenommen, weil die Beschäftigten nach einem Betreiberwechsel die Bindung an die bisherigen Tarifverträge verlieren, für die sie viele Jahre gekämpft haben. Den Erhalt dieser Tarifbindung garantiert die Ausschreibung nicht. Tarifverträge sind in Recht gegossene Solidarität, deren Erfolge die von den Ländern Berlin und Brandenburg angeordnete Ausschreibung zerstört. Die Gewerkschaften werden gezwungen, erneut für die Tarifbindung zu kämpfen. Nach 15 Jahren bei einer erneuten Ausschreibung verlieren die Beschäftigten wieder die Tarifbindung. Und alles fängt wieder von vorne an. Das alles ist umso gravierender als damit ein Prozess weiter vorangetrieben wird, der nun schon seit über zwanzig Jahren bundesweit anhält. Seit 1996 ist in Deutschland der Anteil der Beschäftigten mit Flächentarifbindung um über 20 Prozent gesunken, in Westdeutschland von 70 % auf 46 % und in Ostdeutschland von 56 % auf 34 %[15]Susanne Kohaut IAB-Forum v. 13. Mai 2020, https://www.iab-forum.de/tarifbindung-geht-in-westdeutschland-weiter-zurueck/. In Sonntagsreden von Unternehmern und Politik wird gerne über diese Entwicklung hinweggeredet. Tatsächlich aber ist sie das Ergebnis einer Jahre lang bewusst betriebenen Tarifflucht, die die Gewerkschaften zunehmend in Bedrängnis bringt; denn der Abschluss von Tarifverträgen ist das Kerngeschäft der Gewerkschaften. 

5. Die Ausschreibung der S-Bahn öffnet das Tor zur Ungleichbehandlung und Spaltung der Belegschaft. Ein neuer Betreiber der S-Bahn, der nicht tarifgebunden ist, kann Arbeitskräfte für dieselbe Tätigkeit zu ganz unterschiedlichen Arbeitsbedingungen einsetzten, je nachdem, welche Regeln für eine Arbeitskraft gelten: Nur die Regeln der Tariftreue oder die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs, weil die Arbeitskraft von der S-Bahn GmbH übernommen wurde,  oder keine dieser Regeln, weil die Arbeitskraft auf einem ganz anderen Geschäftsfeld eingesetzt wird und auch nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurde.

Es besteht die Gefahr, dass der jetzt bestehende Betriebsrat in mehrere Betriebsräte aufgespalten wird, die auch nicht über einen GBR oder KBR zusammenarbeiten können. Damit wird die bestehende einheitliche betriebliche Interessenvertretung in der S-Bahn GmbH zerschlagen.

Zu den beiden anfangs gestellten Fragen …

1.  Welche Arbeitskräfte muss ein neuer Betreiber übernehmen und

2.  welche Arbeitsbedingungen muss er einhalten?

…. die Antwort:

Ein neuer Betreiber muss weder alle Arbeitskräfte der S-Bahn GmbH übernehmen noch die Arbeitsbedingungen übernehmen, an die die S-Bahn GmbH durch Tarifverträge gebunden ist. Schon gar nicht muss sich ein neuer  Betreiber an die Tarife binden, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist.

Privatisierung durch Ausschreibung

Ein Nachteil für die Beschäftigten in privaten Unternehmen ist, dass sie weniger Möglichkeiten haben, politischen Druck auf die Eigentümerseite auszuüben. Regierung und Abgeordnete werden gewählt und müssen sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen – auch für die Unternehmen in staatlicher Hand. Wie jeder andere Eigentümer kann auch der Staat als Eigentümer die Weichen im Unternehmen stellen. Sind Unternehmen aber nicht mehr in staatlicher Hand, entfällt diese Möglichkeit der Einflussnahme.

Wir kehren zurück zu dem Beispiel am Beginn unseres Vortrags: Der werkseigenen Kantine im Daimler Werk in Berlin-Marienfelde. Es gibt eine Unterschied zwischen dem Kantinenbetrieb und dem S-Bahn Betrieb: Der werkeigene Kantinenbetrieb wird von der Daimler AG betrieben, während der S-Bahn Betrieb nicht unter der Regie einer landeseigenen Einrichtung betrieben wird. Viel wichtigere Unterschied ist aber ein anderer Unterschied: Während das Daimler Werk und der werkeigene Kantinenbetrieb nie etwas anderes war als ein Privat-Unternehmen, ist der S-Bahnbetrieb in staatlicher Hand. Die S-Bahn GmbH hat zwar die privatrechtliche Rechtsform der GmbH und ist damit formell privatisiert, aber nicht materiell; denn ihre Gesellschafteranteile gehören zu 100 % der Deutschen Bahn AG und die Aktien der Deutschen Bahn AG sind immer noch in staatlichen Händen. Das Kapital konnte also bisher diesen ÖPNVdienst nicht seinen Verwertungsinteressen unterwerfen.

Genau das zu ändern ist die Funktion der Ausschreibungsvorschriften für die ÖPNVdienste. Dabei hatten Ausschreibungen ursprünglich  nur die Aufgabe, eine sparsame Führung öffentlicher Haushalte sicherzustellen bei dem staatlichen Einkauf von Waren und Dienstleistungen, die nicht in öffentlicher Regie hergestellt werden. Dadurch, dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auch die Ausschreibung von ÖPNVdiensten vorschreibt[16]§ 131 GWB und BGH X ZB 4/10 aus dem Jahr 2011; nach EU Recht wäre eine Direktvergabe an einen externen Bewerber (vorliegend die S-Bahn GmbH) möglich; vgl. Felix Thoma, Onlineartikel v. 16.4.2020 … Continue reading, wird die Ausschreibung ein Türöffner zu deren Privatisierung. Denn eine Ausschreibung bietet den ÖPNVdienst allen an, auch privaten Unternehmen. Wenn das die Ausschreibung gewinnt, werden Betrieb und Wartung der S-Bahn-Netzteile aus der Hand der die S-Bahn GmbH in die Hand des Kapitals gegeben. Es ist zwar nicht akzeptabel, dass die S-Bahn GmbH Gewinne erwirtschaftet, es ist aber nicht gleichgültig, ob diese Gewinne in die Hände eines neuen privaten Betreibers fließen oder an die DB AG abgeführt werden, solange die DB AG dem Staat gehört.

Die Ergebnisse nach HGB, die die S-Bahn GmbH vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2019 an die Deutsche Bahn AG abführte[17] Anhang des Berichts des Verkehrsministeriums zur  Sitzung des Verkehrsausschusses am 17.06.2020: 

     Ergebnisse der S-Bahn GmbH

Jahr                 Mio EURO
2000    29
2001      8
2002    17
2003      3
2004    -4
2005      9
2006    34
2007    34
2008    56
2009   -93
2010 -222
2011   -42
2012     -7
2013    43
2014    54
2015    67
2016    71
2017    70
2018    49
2019    41     

                     +217 Mio EURO

Bilanz:

Was dem Kapital gegeben wird, wird den Lohnabhängigen, den Ländern Berlin und Brandenburg und der Deutschen Bahn genommen

Was tun?

Es wird versucht, das GWB zu ändern, so dass wieder eine Direktvergabe des  Betriebs und der Wartung der S-Bahn an die S-Bahn GmbH möglich wird. Ob eine entsprechende Bundesratsinitiative Erfolg verspricht oder sich entsprechende Mehrheit im Bundestag finden lassen, ist allerdings mehr als fraglich.

Realistischer wäre eher ein Vorgehen im Rahmen des GWB: Entweder indem gesichert wird, dass die Ausschreibung die S-Bahn GmbH gewinnt oder indem eine Ausnahmereglung des GWB gezogen wird: Das wäre der Betrieb der S-Bahn über ein staatliches Bahn-Unternehmen, in dem der Einfluss der Länder Berlin und Brandenburg so groß ist, dass die Ländern Berlin und Brandenburg  Betrieb und Wartung der S-Bahn ohne Ausschreibung direkt an dieses Unternehmen vergeben können und die Bindung dieses Unternehmens an alle Tarife gesichert wird, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist. Eine Beteiligung der Deutschen Bahn AG wäre denkbar und wünschenswert. Dass sich aber die DB AG auf einen solchen Deal einlässt, dazu sind nicht nur Verhandlungen, sondern auch ein entsprechender öffentlicher Druck notwendig. Jedenfalls müssten die Länder Berlin und Brandenburg zunächst bereit sein, das Ausschreibungsverfahren abzubrechen. Das ist auch noch möglich, wenn die Ausschreibung schon veröffentlicht ist. Aber auch das wird nicht ohne entsprechenden erheblichen öffentlichen Druck durchzusetzen sein.     

23. Juni 2020

Benedikt Hopmann

Rechtsanwalt 

Quellen zur vorliegenden Darstellung und zur Darstellung vom 23.5.2020:


References

References
1 Pressemitteilungen des Senats vom 26.5. und 2.5.2020
2 Protokollerklärung zur Senatsvorlage „Vergabe sowie von Fahrzeuglieferungs- und Instandhaltungsleistungen für die Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn der Berliner S-Bahn“ (S-3279/2020)
3 https://ted.europa.eu/udl?uri=TED:NOTICE:282656-2020:TEXT:DE:HTML&tabId=1
4 siehe § 131 Abs. 3 GWB, wo unter Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 die Rechtsfolgen des § 613 a BGB als Sollvorschrift für die Arbeitskräfte enthalten sind, die „für die Erbringung der übergehenden Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich sind“ (Hervorhebung durch Verfasser). Der Kreis der von den Regeln des Betriebsübergangs (§613a BGB) erfassten Arbeitskräfte wird also noch weiter eingeschränkt als nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vorgesehen. Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007: „Unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern, kann die zuständige Behörde den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Verpflichtet die zuständige Behörde die Betreiber eines öffentlichen Dienstes, bestimmte Sozialstandards einzuhalten, so werden in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen die betreffenden Arbeitnehmer aufgeführt und transparente Angaben zu ihren vertraglichen Rechten und zu den Bedingungen gemacht, unter denen sie als in einem Verhältnis zu den betreffenden Diensten stehend gelten“.; die Richtlinie 2001/23/EG ist vergleichbar mit § 613 a BGB
5 Pressemitteilung der EVG vom 18. Mai 2020
6 In § 10 Satz 3 BerlAVG, wird darauf hingewiesen, dass „die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 23.Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße …zu beachten“ sind. Nach Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 können die  Rechtsfolgen des 613 a BGB bei Betreiberwechsel angeordnet werden. Auf die Voraussetzung eines Betriebsübergangs oder Betriebsteilübergangs kommt es nicht an. Nach § 131 Abs. 3 GWB, wo auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 verwiesen wird, sollen die Rechtsfolgen des § 613 a BGB für die übernommenen Arbeitskräfte gelten. Eine Mussvorschrift gibt es also nirgendwo. Schon aus diesem Grund ist es notwendig, in der Ausschreibung bzw. in den Vergabeunterlagen für alle übernommenen Arbeitskräfte auch die Übernahme aller bisherigen Arbeitsbedingungen vorzuschreiben.
7 Der Kampf der Kolleginnen und Kollegen im Botanischen Garten um ihre Rückkehr zur Mutter,  der Freien Universität (FU), wird ausführlich beschrieben in dem Buch „Der Aufstand der Töchter“ in der Reihe WIDERSTÄNDIG. Zum Buch der Beschäftigten der CPPZ über ihren Kampf zurück zur Mutter Charité wird demnächst ebenfalls ein kleines Buch in der Reihe WIDERSTÄNDIG erscheinen.
8 § 2 Abs. 1 TVG
9 § 2 Abs. 1 TVG
10 § 4 Abs. 1 TVG
11 § 10 BerlAVG lautet:
„Öffentliche Personennahverkehrsdienste
Unbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche Auftraggeber gemäß § 2 Aufträge über öffentliche Personennahverkehrsdienste, wenn sich die Auftragnehmer bei der Angebotsabgabe verpflichten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen und vereinbaren eine dementsprechende Lohngleitklausel für den Fall einer Änderung der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit. Außerdem sind insbesondere die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (Abl. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1) zu beachten“.
12 Die einschlägigen Regeln zur Tariftreue finden sich im Berliner Auftrags – und Vergabegesetz (BerlAVG), GVBl. 2020, 276. Das geänderte BerlAVG trat am 1. Mai 2020 in Kraft. Es gilt für alle Vergabeverfahren, die ab dem 1. Mai 2020 begonnen werden. Am 2. April 2020 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus dieses Gesetz in der Fassung der Vorlage zur Beschlussfassung  – Drucksache 18/2538 – angenommen Die Regelungen zur Tariftreue finden sich also nicht im GWB, sondern in den Ländergesetzen, die dafür auch die Zuständigkeit haben, da diese „Regelungen unter das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Absatz 1 Nr. 11 GG fallen und nach Art. 70 GG i.V.m. Art. 72 Absatz 2 GG der Bund im Rahmen dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz den hier vorliegenden Regelungsgegenstand nicht abschließend gesetzlich geregelt hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.07.2006 – 1 BvL 4/00)“ – so wörtlich die Begründung zu § 9 BerlAVG. Das Kapital entzieht sich in den letzten 20 Jahren nicht nur immer mehr der Tarifbindung, sondern hat selbstverständlich auch kein Interesse an Auflagen zur Tariftreue, die in einem über viele Jahre andauernden Konflikt gegen das Kapital durchgesetzt wurden.
13 In der Begründung zu den Änderungen des BerlAVG heißt es: „Das Land Berlin wird die Tariftreuespielräume des Europarechts ausnutzen. Das bedeutet, dass nicht nur die Einhaltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge bei der Ausführung öffentlicher Aufträge verlangt wird. Vielmehr werden nach Ablauf der Umsetzungssperre für die Maßnahmen der Arbeitnehmerentsenderichtlinie vom 28. Juni 2018 Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die auch die in Berlin geltenden allgemein wirksamen Tarifverträge für ihre mit der Auftragsausführung betrauten Beschäftigten einhalten, sofern die dafür erforderlichen technischen und organisatorischen Vorkehrungen getroffen sind. Hierzu werden Ausführungsbestimmungen über das Verfahren zur Feststellung sowie über die Bekanntgabe der jeweils anwendbaren Tarifverträge erlassen, die als allgemein wirksam anzusehen sind. Damit wird gewährleistet, dass die Bieter in unmissverständlicher Weise nachvollziehen können, welche Entlohnung vertraglich vereinbart wird“ (aus der Begründung in: Drucksache 18/2538
14 [14]  siehe in § 10 BerlAVGl: „Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen und vereinbaren eine dementsprechende Lohngleitklausel für den Fall einer Änderung der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit“
15 Susanne Kohaut IAB-Forum v. 13. Mai 2020, https://www.iab-forum.de/tarifbindung-geht-in-westdeutschland-weiter-zurueck/
16 § 131 GWB und BGH X ZB 4/10 aus dem Jahr 2011; nach EU Recht wäre eine Direktvergabe an einen externen Bewerber (vorliegend die S-Bahn GmbH) möglich; vgl. Felix Thoma, Onlineartikel v. 16.4.2020 zur S-Bahn-Zukunft: https://www.zukunft-mobilitaet.net/171299/analyse/zukunft-s-bahn-berlin-ausschreibung-alternativkonzepte-landeseigentum
17 Anhang des Berichts des Verkehrsministeriums zur  Sitzung des Verkehrsausschusses am 17.06.2020

12. Darf ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aufgrund der Pläne in den Streik treten?

Ein Streik gegen die Ausschreibung und die damit drohenden Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen wäre wohl ein politischer Streik. Wird er nur für eine kurze Zeit durchgeführt, wäre das ein politischer Demonstrationsstreik. Wenn es um den politischen Demonstrationsstreik geht, dann haben die Befürworter des Verbots von politischen Streiks ganz schlechte Karten[1]Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17; Berg/Kocher/Schumann – Berg Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 6. Auflg. Frankf. a.M. 2018 Teil 3 Rn. 188 ff.; handelt es sich um einen Streik, der die … Continue reading). Das gilt vor allem dann, wenn es sich um einen Streik handelt, der die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum Ziel hat[2] Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 183 ff.. Aber auch diese Voraussetzung wäre erfüllt, wenn sich ein Streik der S-Bahner gegen die drohende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Ausschreibung richten würde.

Die Mehrheit der Juristen hält zwar tapfer an der Rechtswidrigkeit auch von politischen Demonstrationsstreiks fest, aber sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Das Bundesarbeitsgericht hat im Jahr 2007 ausdrücklich offen gelassen, ob „reine Demonstrationsstreiks, mit denen ohne Bezug auf einen um einen Tarifvertrag geführten Arbeitskampf lediglich Protest oder Sympathie  – etwa für oder gegen Entscheidungen des Gesetzgebers – zum Ausdruck gebracht werden soll“ zulässig sind[3] BAG v. 19.06.2007 1 AZR 396/06 juris Rn. 13. Dem Gericht lag seitdem kein Fall vor, an dem es neu hätte entscheiden können. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage noch nie beschäftigt.

Es ist ganz unverständlich, dass dem Bundesarbeitsgericht immer noch kein Fall vorliegt, der ihm die Gelegenheit gibt, seine Rechtsprechung zu ändern. Streikrecht ist Richterrecht. Nur wenn die Gerichte über einen politischen Demonstrationsstreik zu entscheiden haben, können sie ihre Rechtsprechung überprüfen. Notwendig ist ein politscher Demonstrationsstreik, den man – im Vorgriff auf die zu erwartende Änderung der Rechtsprechung und auch als Ausdruck der Ablehnung der bisherigen Rechtsprechung – als vollständig legales Verhalten betrachten kann, wie es die Gewerkschaften schon 1986 getan haben.

Dagegen wird von gewerkschaftlicher Seite immer das Haftungsrisiko ins Feld geführt; denn eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht, dass das Bundesarbeitsgericht den politischen Demonstrationsstreik erlauben werde. Doch das Haftungsrisiko ist kalkulierbar: Wenn die S-Bahn für 15 Minuten stillsteht und das vorher angekündigt wird, so dass die Menschen sich darauf einstellen können oder wenn auf einer S-Bahn Strecke für eine kürzere Zeit der S-Bahn Verkehr eingestellt wird, was für ein Schaden soll dann entstehen? Das Haftungsrisiko ist abschätzbar. Zum Beispiel wäre ein solcher Streik im Zusammenhang mit dem nächsten Klimastreik von Fridays-for-Future möglich. 

Aber an diesem Tag wäre auch eine Arbeitsniederlegung ohne Aufruf der Gewerkschaften denkbar. 2007 kam es ohne Aufruf der Gewerkschaften zu Streiks gegen die Rente mit 67. Obwohl sie  nicht offiziell dazu aufgerufen hatten, waren den Gewerkschaften diese Streiks dermaßen willkommen, dass viele glaubten, die Gewerkschaften selbst hätten dazu aufgerufen, was sie aber nicht hatten. Bei diesen Demonstrationsstreiks gegen die Änderung des Renteneintrittsalters war es offiziell nicht die Gewerkschaft, sondern es waren die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die die Dinge in der Hand  hatten. Der Begriff spontaner Streik trifft also die Sache nicht, der Begriff „wilder“ ist unzulässig abwertend. Besser sollte man von verbandsfreien Streiks sprechen. Da die Gewerkschaften offiziell nicht Träger des Streiks waren, konnten sie auch nicht für eventuelle Schäden in Haftung genommen werden.

Es stellt sich die einfache Frage: Wie lange wollen wir uns noch von einem Nazi-Juristen Hans Carl Nipperdey vorschreiben lassen, für welche Ziele wir streiken dürfen?

Zusätzlich zu dem Streikziel, das sich gegen die Ausschreibung und die damit verbundenen Verschlechterungen richtet, könnte noch ein Sozialtarifvertrag für den Fall gefordert werden, dass nicht die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommt. Um der Friedenspflicht zu entgehen, müssten in diesem Sozialtarifvertrag Forderungen aufgestellt werden, die bisher noch nicht in Tarifverträgen der GdL und der EVG enthalten sind. Der Streik für einen Sozialtarifvertrag ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig. Hintergrund für diesen Vorschlag, die Forderung für den Abbruch der Ausschreibung mit der Forderung nach einem Sozialtarifvertrag zu kombinieren, ist die  Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Danach ist ein Streik auch dann rechtmäßig, wenn eine Forderung zulässig, andere Forderungen aber unzulässig sind[4] EGMR 27.11.2014, Nr. 36701/09 – Hrvatski Lijecnicki Sindikat (HLS) ./. Kroatien; Klaus Lörcher AuR 4/2015 S. 126, 129; siehe auch Däubler-Lörcher 4. Auflg. § 10 Rn. 85. Das Bundesarbeitsgericht urteilt  genau umgekehrt. Das Bundesarbeitsgericht kann sich aber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht entziehen[5] Das angegriffene innerstaatliche Urteil muss auf der Verletzung der Konvention beruhen; dann  innerstaatlich ein Restitutionsverfahren möglich, § 580 Nr. 8 ZPO.

Weitere Einzelheiten zum Streikrecht:


References

References
1 Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17; Berg/Kocher/Schumann – Berg Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 6. Auflg. Frankf. a.M. 2018 Teil 3 Rn. 188 ff.; handelt es sich um einen Streik, der die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingen zum Ziel hat, wird dieser Streik durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, auch wenn es ein politischer Streik ist; geht es nicht um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, schützen Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs.1 GG (vgl. Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 157 f
2 Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 183 ff.
3 BAG v. 19.06.2007 1 AZR 396/06 juris Rn. 13
4 EGMR 27.11.2014, Nr. 36701/09 – Hrvatski Lijecnicki Sindikat (HLS) ./. Kroatien; Klaus Lörcher AuR 4/2015 S. 126, 129; siehe auch Däubler-Lörcher 4. Auflg. § 10 Rn. 85
5 Das angegriffene innerstaatliche Urteil muss auf der Verletzung der Konvention beruhen; dann  innerstaatlich ein Restitutionsverfahren möglich, § 580 Nr. 8 ZPO

2. Privatisierung durch Ausschreibung

5. Juni 2020 von benhop

Eine Ausschreibung öffnet die Türen zur Privatisierung. Wenn Betrieb und Wartung der S-Bahn-Netzteile nach der Ausschreibung in die Hand eines privaten Unternehmens gegeben wird, dann ist das eine Privatisierung. Denn vorher waren dies betriebsinterne Tätigkeiten der S-Bahn. Die wird zwar als GmbH geführt und ist damit formell privatisiert, aber immer noch in öffentlicher Hand und damit nicht materiell privatisiert ist; denn ihre Gesellschafteranteile gehören immer noch zu 100 % der Deutschen Bahn AG und die Aktien der Deutschen Bahn AG sind immer noch in staatlichen Händen. Es ist zwar inakzeptabel, dass die S-Bahn aufgrund ihrer Rechtsform als GmbH Gewinne erwirtschaften kann und auch erwirtschaftet, es ist aber nicht gleichgültig, ob Gewinne in die Hände eines neuen privaten Betreibers fließen oder an die Deutsche Bahn AG abgeführt werden, solange die Deutsche Bahn AG dem Staat gehört.

Der entscheidende Nachteil für die Beschäftigten in privaten Unternehmen ist, dass sie  weniger  Möglichkeiten haben, politischen Druck auf die Eigentümerseite auszuüben. Regierung und Abgeordnete werden gewählt und müssen sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen – auch für die Unternehmen in staatlicher Hand. Wie jeder andere Eigentümer kann auch der Staat als Eigentümer die Weichen im Unternehmen stellen. Sind Unternehmen aber nicht mehr in staatlicher Hand,  entfällt diese Möglichkeit der Einflussnahme.

8. Wer soll denn, außer der S-Bahn Berlin GmbH, dieses Netz betreiben können?

8. September 2020 von benhop

Es wird  viel dafür angetan, andere Bewerber als die S-Bahn GmbH zum Zuge kommen zu lassen:

  1. Die Ausschreibung ist nicht so ausgestaltet, dass sich jeder Bewerber um den gesamten Auftrag, den jetzt die S-Bahn GmbH ausführt, also Instandhaltung und Verkehrsbetrieb der Nord-Süd Bahn und Stadtbahn, bewerben muss. Vielmehr ist die Ausschreibung in vier Lose aufgeteilt: Das Teilnetz Stadtbahn und das Teilnetz Nord-Süd Bahn, ist in zwei Fachlose unterteilt: Instandhaltung der Fahrzeuge (Fachlos A) und Verkehrsbetrieb mit den Fahrzeugen (Fachlos B). Bewerber können sich um die gesamte Instandhaltung auf beiden Teilnetzen (A/A), um den gesamten Verkehrsbetrieb auf beiden Teilnetzen (B/B) oder auf Instandhaltung und Verkehrsbetrieb (A/B) nur auf der Nord-Süd Bahn oder nur auf der Stadtbahn, aber auch auf alle vier Lose zusammen bewerben. Das Ergebnis kann sein, das für jedes der vier Lose ein anderes privates Unternehmen den Zuschlage bekommt. Hinzu kommen die S-Bahn GmbH, die schon vor einigen Jahren den Zuschlag für den Rest des S-Bahn-Netzes bekam, und die DB Netz AG, die für die Eisenbahninfrastruktur zuständig ist. Um andere Bewerber als die S-Bahn GmbH zum Zuge kommen zu lassen, wird die Zerschlagung der S-Bahn in Kauf genommen. Die absehbaren Folgeprobleme der Abstimmung und Koordination zwischen den möglichen zahlreichen Beteiligten werden in einem Artikel von Felix Thoma (dort unter 3.4 ) detailliert beschrieben  
  2. In Zukunft sollen Betreiber nicht mehr mit eigenen Fahrzeugen den S-Bahn Verkehr betreiben – wie jetzt noch die S-Bahn GmbH. Vielmehr soll der Verkehr auf den beiden Teilstrecken mit neuen Fahrzeugen aus einem Fahrzeugpool des Landes betrieben werden. Die Fahrzeuge für den Verkehrsbetrieb sind also nicht Fahrzeuge des neuen Betreibers, sondern Fahrzeuge des Landes Berlin.
  3. Neuen Betreibern wird die Möglichkeit geboten, eigene Werkstätten neu zu errichten, obwohl bereits Werkstätten der S-Bahn GmbH bestehen. Zur Unterstützung der Errichtung neuer Werkstätten bieten die Länder Berlin und Brandenburg die Nutzung mind. einer Grundstücksfläche an.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die S-Bahn in Zukunft mit landeseigenen Fahrzeugen betrieben und diese landeseigenen Fahrzeuge auf landeseigen Grundstücken und sogar mit Arbeitskräften einer landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft  in standgehalten werden,  der S-Bahn Betrieb selbst und die Instandhaltung jedoch nicht in staatlicher Regie durchgeführt werden soll, und dies, obwohl seit Jahrzehnten Betrieb und Instandhaltung in staatlicher Hand liegen und die S-Bahn GmbH schon den Zuschlag bekommen hat, den S-Bahn Ring, ein Drittel des S-Bahn-Netzes, auch in Zukunft zu betreiben und dafür die Fahrzeuge instand zu halten.

S-Bahn Ausschreibung und die Folgen für die Arbeitskräfte

25. Mai 2020. Wie inzwischen bekannt sein dürfte, hat das Land Berlin zusammen mit dem Land Brandenburg die Ausschreibung von Betrieb und Wartung der S-Bahn Netzteile Nord-Süd und Stadtbahn beschlossen. In der Pressemitteilung der Ländern Berlin und Brandenburg wird versichert, dass „der Arbeitnehmerschutz maximal gewährleistet werde: Vertraglich festgelegt werden klare Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung, zum Personalübergang, zur Tariftreue, zum Mindestlohn und zur Ausbildungsverpflichtung, die sowohl den im Fahrgeschäft Beschäftigten als auch dem Werkstattpersonal zugutekommen[1]https://www.berlin.de/sen/uvk/presse/pressemitteilungen 020/pressemitteilung.927940.php.. Was bedeutet dieses Versprechen klarer Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung und Tariftreue?

Die beste Lösung für die Arbeitskräfte wäre keine Ausschreibung. Dann hätten sich alle Nachteile, die mit der Ausschreibung auf die Arbeitskräfte zukommen, erledigt. Wenn die S-Bahn GmbH die Ausschreibung nicht gewinnt, ist jetzt schon absehbar, dass sich durch die Ausschreibung die Arbeitsbedingungen verschlechtern werden. Ja, es ist bisher nicht einmal klar, ob bei einem Betreiberwechsel die Übernahme aller Arbeitskräfte durch den neuen Betreiber gesichert werden kann. Allein das müsste für einen rot/rot/grünem Senat Grund genug sein, S-Bahn-Netzteile nicht auszuschreiben.

Durch die Ausschreibung verlieren die Beschäftigten der S-Bahn Tarifverträge, für die sie viele Jahre gekämpft haben. Dies gilt nur dann nicht, wenn die S-Bahn GmbH die Ausschreibung gewinnt oder die neuen Betreiber an dieselben Tarifverträge gebunden sind wie die S-Bahn.

In welchem Umfang Leistungen aus Tarifverträgen durch Regelungen zur Tariftreue gesichert werden, ist der gemeinsamen Pressemitteilung der Länder Berlin und Brandenburg nicht zu entnehmen. Und dass, obwohl davon sehr stark abhängt, wie sich die Ausschreibung auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auswirken wird.

In jedem Fall hat eine Sicherung tariflicher Leistungen durch staatliche Verträge nicht dieselbe Gewährleistungsqualität wie eine Sicherung durch unmittelbar und zwingend wirkende TarifverträgeUngleichbehandlungen und Spaltung werden nicht ausgeschlossen.

Durch die Ausschreibung wird die einheitliche betriebliche Interessenvertretung gefährdet.

Ausschreibung und Privatisierung, die mit der Ausschreibung möglich wird, schwächen die Gewerkschaften  und schwächen die Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten insgesamt auf ihren Arbeitgeber. Das kann nicht das Ziel rot-rot-grüner Politik sein.

Den gesamten Beitrag „Folgen der Ausschreibung für die Arbeitskräfte“ hier lesen.

Berlin, 25. Mai 2020

Benedikt Hopmann

Rechtsanwalt