Das Budapester Memorandum

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Am 24. Februar 2022 begann die Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Der Krieg in der Ukraine hatte schon 2014 begonnen – niemand hatte die über 10.000 Toten in diesem Krieg beachtet.

Die Regierung der Ukraine beruft sich immer wieder auf das Budapester Memorandum und wirft Russland einen Bruch seiner Verpflichtungen aus Nr. 2 dieses Memorandums vor, da Russland Kiew zu Staatsgebiet Russlands erklärte. Umgekehrt wirft Russland der Ukraine vor, Nr. 3 des Budapester Memorandums gebrochen zu haben: Unter Punkt 3 des Memorandums heißt es: „Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen ihre Verpflichtung gegenüber der Ukraine, im Einklang mit den Grundsätzen der KSZE-Schlußakte von wirtschaftlichem Zwang abzusehen, der darauf abzielt, die Ausübung der ihrer Souveränität innewohnenden Rechte durch die Ukraine ihren eigenen Interessen unterzuordnen und sich dadurch Vorteile jeder Art zu verschaffen.“ Der Druck der EU und der USA auf die Ukraine, die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland zugunsten der EU einzuschränken, die Maidan Unruhen, die massiv das Assoziationsabkommen der Ukraine mit der EU varantrieben und massiv von den USA unterstützt wurden, sowie die Anerkennung der neuen Staatsführung danach können wohl nicht anders als Verstoß gegen diese Verpflichtung der USA und Großbritanniens aus Nr. 3 des Memorandums verstanden werden. Die Vorgeschichte des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland bzw. zwischen der NATO und Russland, die sonst immer bei Seite geschoben wird, rückt jedenfalls hier in den Mittelpunkt.

Die Ukraine drohte wiederholt mit einer eigenen atomaren Bewaffnung. Die Ukraine würde sich damit aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen verabschieden. Eine atomare Bewaffnung der Ukraine wäre nur mit Zustimmung der USA möglich und eine verheerende Eskalation des Krieges in der Ukraine.


Inhaltsverzeichnis:

Erklärung Selenskijs auf der Münchener Sicherheitskonferenz

Wortlaut des Budapester Memorandums

Kommentierung aus dem Glossar des IPPNW


Am 19. Februar 2022 sagte Selenskij auf der Münchener Sicherheitskonferenz: „Ich initiiere Konsultationen im Rahmen des Budapester Memorandums. Der Außenminister wurde beauftragt, sie einzuberufen. Wenn sie nicht wieder stattfinden oder zu keinen konkreten Entscheidungen zur Gewährleistung der Sicherheit unseres Staates führen, wird die Ukraine mit Recht glauben, dass das Budapester Memorandum nicht funktioniert und alle Beschlüsse des Pakets von 1994 in Frage gestellt wurden“. In diesem Budapester Memorandum verpflichteten sich am 5. Dezember 1994 Russland, die USA und England in drei separaten Erklärungen gegenüber Kasachstan, Belarus und der Ukraine, die nach der Auflösung der Sowjetunion alle im Besitz von Nuklearwaffen waren, die Souveränität und die Grenzen dieser Länder als Gegenleistung zu einem Nuklearverzicht zu achten. Wenn die Ukraine glaubt, dass „alle Beschlüsse des Pakets von 1994 in Frage gestellt wurden“, betrachtet sie sich nicht mehr an dieses Memorandum gebunden.


Das Budapester Memorandum sind drei gemeinsame Erklärungen der Russischen Föderation, Großbritanniens und der USA , eine gemeisame Erklärung gegenüber der Ukraine, eine gemeinsame Erklärung gegenüber Kasachstan und eine gemeisame Erklärung gegenüber Belorussland[1]https://web.archive.org/web/20170421194559/http://www.exportlawblog.com/docs/security_assurances.pdf, dort unter K-5, K-6 und K-7. Auf dem Boden dieser drei Länder waren während des Bestehens der UdSSR Atomwaffen der UdSSR stationiert worden. Der Teil des Budapester Memorandums, der die Erklärung gegenüber der Ukraine umfasst, hat folgenden Wortlaut, wobei der englische Original-Wortlaut im Folgenden ins Deutsche übersetzt wurde:

„Die Ukraine, die Russische Föderation, das Vereingte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinibten Staaten von Amerika,

in Würdigung des Beitritts der Ukraine zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen als Nicht-Kernwaffenstaat,

in Anbetracht der Verpflichtung der Ukraine, innerhalb eines bestimmten Zeitraums alle Kernwaffen aus ihrem Hoheitsgebiet zu entfernen,

in Anbetracht der Veränderungen in der weltweiten Sicherheitslage, einschließlich des Endes des Kalten Krieges, die die Voraussetzungen für eine tiefgreifende Verringerung der Atomstreitkräfte geschaffen haben,

bestätigen Folgendes:

  1. Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen ihre Verpflichtung gegenüber der Ukraine, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der KSZE-Schlußakte die Unabhängigkeit und Souveränität sowie die bestehenden Grenzen der Ukraine zu achten.
  2. Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen ihre Verpflichtung, sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit der Ukraine zu enthalten, und daß keine ihrer Waffen jemals gegen die Ukraine eingesetzt wird, es sei denn zur Selbstverteidigung oder auf andere Weise im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen.
  3. Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen ihre Verpflichtung gegenüber der Ukraine, im Einklang mit den Grundsätzen der KSZE-Schlußakte von wirtschaftlichem Zwang abzusehen, der darauf abzielt, die Ausübung der ihrer Souveränität innewohnenden Rechte durch die Ukraine ihren eigenen Interessen unterzuordnen und sich dadurch Vorteile jeder Art zu verschaffen.
  4. Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen ihre Zusage, sich um ein sofortiges Tätigwerden des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu bemühen, um der Ukraine als Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ist, Hilfe zu leisten, falls die Ukraine Opfer einer Angriffshandlung oder Gegenstand einer Angriffsdrohung werden sollte, bei der Kernwaffen eingesetzt werden.
  5. Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen im Falle der Ukraine ihre Verpflichtung, keine Kernwaffen gegen einen Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ist, einzusetzen, außer im Falle eines Angriffs auf sie selbst, ihre Hoheitsgebiete oder abhängigen Gebiete, ihre Streitkräfte oder ihre Verbündeten durch einen solchen Staat, der mit einem Kernwaffenstaat assoziiert oder verbündet ist.
  6. Die Ukraine, die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika werden sich konsultieren, falls eine Situation eintritt, die eine Frage bezüglich dieser Verpflichtungen aufwirft.

Dieses Memorandum tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft.

Unterzeichnet in vier Exemplaren mit gleicher Gültigkeit in ukrainischer, englischer und russischer Sprache.

FÜR UKRAINE:

(Unterschrift Leonid Kutschma)

FÜR DIE RUSSISCHE FÖDERATION:

(Unterschrift Boris Jelzin)

FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH VON GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND:

(Unterschrift John Major)

FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA:

(Unterschrift Bill Clinton)

Budapest, 5. Dezember 1994″.


In dem Online Glossar des IPPNW wird das Budapester Memorandum so kommentiert:

Mit dem Ende des Kalten Krieges „erbte“ das Land 176 strategische und mehr als 2.500 taktische Atomwaffen und damit das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. Alle Kontrollsysteme waren jedoch in Russland und die ukrainischen Militärs hatten keine Startcodes für die Atomwaffen, die mit PAL-Sperren ausgestattet waren. Somit hatte Kiew keine direkte Verfügungsgewalt über diese Atomwaffen.

Nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 wurde oft die Frage gestellt, ob die Ukraine die Atomwaffen hätte behalten sollen. Der ehem. Präsident Krawtschuk sagte dazu in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass sich diese Frage nicht wirklich gestellt hätte, weil der Preis zu hoch gewesen wäre. Eine Eigenproduktion von nuklearen Sprengköpfen für die in der Ukraine produzierten Trägersysteme wäre zu teuer gewesen und „die Staatskasse war leer“, so Krawtschuk. Allerdings erklärte die Ukraine damals ihre Absicht, operationelle Kontrolle über die strategischen Atomwaffen zu erzielen, die auf ihrem Territorium geblieben waren. Russland machte daraufhin deutlich, dass dies als Kriegshandlung interpretiert werden könnte.

Das Memorandum war eine Vereinbarung ohne Sanktionsmechanismus und blieb daher schließlich wirkungslos. Russland behauptete im April 2014, dass die Krim freiwillig aus der Ukraine ausgetreten und daher das Budapester Memorandum nicht betroffen sei.

Die USA sahen sich auch nicht in der Pflicht, nach der Krim-Annexion die Ukraine zu verteidigen, weil laut dem ehem. US-Botschafter in Kiew Jeffrey Payett, das Memorandum „keine Sicherheitsgarantien“ enthalte, sondern nur eine Verpflichtung, die Souveränität und Grenzen der Ukraine zu respektieren. Allerdings steht im Artikel 4 eine klare Verpflichtung „Hilfe zu leisten, falls die Ukraine Opfer eines Aggressionsaktes oder Angriffsdrohung wird, wo Atomwaffen verwendet werden“. Ob hier Atomwaffen im Spiel waren, ist Interpretationssache.

Darüber hinaus ist der Rechtscharakter des Memorandums umstritten, da es bestimmte Formulierungen nicht enthält, die es für die USA zu einem rechtsverbindlichen Vertrag machen würden. Daher blieb die Vereinbarung für die USA auf der Ebene einer politischen Willenserklärung.

Die USA und Großbritannien werfen Russland eine Nichteinhaltung des Memorandums durch die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine vor. Russland sieht die Einmischung der EU und der USA wegen der Unruhen in Kiew und die Sanktionen gegen die damalige Staatsführung sowie die Anerkennung der neuen Staatsführung nach einer Machtübernahme ebenfalls als Bruch der Vereinbarung an.“[2]Atomwaffen A-Z unter dem Stichwort Budapester Memorandum: https://www.atomwaffena-z.info/glossar/begriff/budapester-memorandum.

Die Ukraine drohte wiederholt mit einer eigenen atomaren Bewaffnung. Die Ukraine würde sich damit aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen verabschieden. Eine atomare Bewaffnung der Ukraine wäre nur mit Zustimmung der USA möglich und eine verheerende Eskalation des Krieges in der Ukraine.