Drei Rider ziehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg

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Drei Ridern des ehemaligen Lieferdienstes Gorillas – Duygu, Fernando und Ronnie – wurde 2021 gekündigt, weil sie an einem verbandsfreien Streik in Berlin beteiligt waren.

Ihre Klagen gegen die Kündigung blieben bisher in allen Instanzen erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht nahm ihre Beschwerde nicht an. Es hat noch nie über verbandsfreie Streiks entschieden.

Nun haben die drei Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGfMR) in Straßburg eingereicht, obwohl der EGfMR inzwischen festgestellt hat, dass verbandsfreie Streiks nicht durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt werden. Nicht entschieden hat der EGfMR jedoch bisher, welche Voraussetzungen eine Koalition von abhängig Beschäftigten erfüllen muss, um zum Streik aufrufen zu dürfen.

In Deutschland sind die Hürden dafür sehr hoch, weil das Streikrecht an die Tariffähigkeit gebunden ist. Diese Bindung wollen wir beenden: Auch Koalitionen, die keine Tarifverträge vereinbaren können, sollen das Recht zum Streik haben. 

Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte (EASR), der die Einhaltung des Streikrechts nach der Europäischen Sozialcharta überwacht, kritisierte schon 2014, dass die Beschäftigten in Deutschland nicht „problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Gewerkschaft zum Zwecke eines Streiks gründen können.“[1]„In den Schlussfolgerungen XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) und XIX-3 (2010) stellte der Ausschuss fest, dass die Situation in Deutschland nicht mit Artikel 6 Absatz 4 … Continue reading Das  wollen wir mit dieser Beschwerde ändern: Wenn Beschäftigte einen Streik für notwendig halten, sollen sie zu diesem Zwecke „problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten“ eine Koalition gründen können, die zum Streik aufrufen darf. Dann hat sich der Streit um den verbandsfreien Streik erledigt.

Das Streikrecht ist bis heute von Hans Carl Nipperdey, dem ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, geprägt, der sich im Faschismus in der Akademie für Deutsches Recht an der Umsetzung des NSDAP-Programms in Recht beteiligte und auch das faschistische Arbeitsrecht, das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ (AOG), kommentierte. In der Adenauer Ära beschränkte er das Streikrecht auf die Funktion eines Hilfsinstruments zur Durchsetzung von Tarifverträgen. Diese Prägungen müssen endlich aus dem deutschen Streikrecht entfernt werden. Die deutschen Gerichte müssen sich endlich an das Völkerrecht halten.

Berlin, 5. Dezember 2024

Benedikt Hopmann
Rechtsanwalt


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References

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1 „In den Schlussfolgerungen XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) und XIX-3 (2010) stellte der Ausschuss fest, dass die Situation in Deutschland nicht mit Artikel 6 Absatz 4 vereinbar ist, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen. Diese Schlussfolgerungen berücksichtigen die in der deutschen Rechtsprechung festgelegten Kriterien, die eine Gewerkschaft erfüllen muss, um einen rechtmäßigen Streik ausrufen zu können, und stützen sich auf den vom Ausschuss aufgestellten Grundsatz, dass es mit der Charta vereinbar sein kann, das Streikrecht den Gewerkschaften vorzubehalten, wenn die Arbeitnehmer problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Gewerkschaft zum Zwecke eines Streiks gründen können (vgl. Schlussfolgerungen XV-1 (2001), Schweden)“, siehe: https://widerstaendig.de/europaeische-sozialcharta-esc/#easr2014. 2022 wiederholte der EASR seine Kritik und kommt u.a. „zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 steht, und zwar aus folgenden Gründen: … die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, stellt eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts dar“ siehe https://widerstaendig.de/europaeische-sozialcharta-esc/#ESC2023. Der Gerichtshof EGfMR entscheidet zwar auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention, zieht aber bei seinen Entscheidungen die Feststellungen des EASR heran