Zwischen Hölle und Vernunft

image_pdf

Von Werner Ruhoff

Jedes Jahr am 6. August, der Tag an dem die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde, findet in Berlin eine eindrucksvolle Gedenkfeier an der Weltfriedensglocke im Friedrichshainer Volkspark statt. Organisiert wird sie von der Friedensglockengesellschaft Berlin e.V., unter Mitwirkung von Organisationen aus der Friedensbewegung und vom Berliner Bezirk Friedrichshain Kreuzberg. Die Friedensglocke, gestiftet von der in Tokio ansässigen World Peace Bell Association, symbolisiert die Erinnerung an die Opfer der Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki sowie die Mahnung, dass solch ein Verbrechen nicht wieder geschieht.

Der Historiker Peter Brandt, ältester Sohn von Willy Brandt, wies auf den Zivilisationsbruch durch den Einsatz der Atombomben in Japan hin. Er bezeichnete die Abwürfe der Bomben, die 300 000 Menschen auf fürchterlichste Weise das Leben auslöschten, als ein schweres Kriegsverbrechen. Das militaristische Japan sei bereits besiegt und zur Kapitulation bereit gewesen, allerdings unter Beibehaltung seines Kaisertums, was die Sieger ihm dann später auch zugestanden. Es ging, wie der Redner es beschrieb, vor allem um eine Machtdemonstration in Richtung des sowjetischen Diktators Stalin und um das Ausprobieren am lebenden Objekt, denn man hätte die Bomben auch auf einer unbewohnten Insel zünden können. Die US-Propaganda begründete den grausamen Massenmord mit der Rettung des Lebens amerikanischer Soldaten. Statt aus dieser Katastrophe die Konsequenz zu ziehen, setzten sich jene durch, die die Bombe als Machtinstrument nutzen wollten.

Ein entfernter Nachfahre des Kernphysikers Klaus Fuchs berichtete über die Bedenken seines Großonkels, der an der Entwicklung der Bombe beteiligt war und seine Kenntnisse an die Sowjetunion weitergab. In der DDR habe sich der Physiker für die Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen eingesetzt. Der Historiker Brandt erinnerte an den Bericht der Palme-Kommission (benannt nach dem ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme) an die 2. UNO-Sonderversammlung für Abrüstung 1982, welche u.a. eine atomwaffenfreie Zone in Europa vorschlug und zitierte Egon Bahr, der an eine gemeinsame Sicherheit für alle Staaten appellierte, weil die überkommene Abschreckungsdoktrin, wer als Erster zündet stirbt als Zweiter, am Ende das zu vernichten droht, was es zu verteidigen gelte. Hinzu kommt heute mehr denn je das Risiko eines ungewollten Atomkrieges. Bereits während der Blockkonfrontation der militärischen Supermächte gab es etliche Unfälle und Beinahkatastrophen. Bekannt ist inzwischen die Verhinderung eines Dritten Weltkrieges mit atomaren Waffen durch den sowjetischen Oberstleutnant Stanislaw Petrow, der 1982 auf den falsch gemeldeten Atomwaffenangriff durch einen Satelliten so besonnen reagierte, dass er einen Gegenangriff verhinderte. Heute gibt es weltweit immer noch mehr als 10 000 Atomsprengköpfe, von denen über 3000 einsatzbereit sind. Dazu gehören Sprengköpfe mit der vielfachen Vernichtungswirkung der Bomben, die von den USA auf Japan abgeworfen wurden.

Ein junger Redner der internationalen Ärzteorganisation gegen einen Atomkrieg wies mit Blick auf den aktuellen Beschuss des Atomkraftwerks in der Ukraine auf den Zusammenhang von ziviler und militärischer Nutzung der Kernenergie hin. Außerdem fehlten die finanziellen Mittel für die Umbaumaßnahmen gegen Umweltzerstörung und Klimawandel wegen der enormen Ausgaben für die militärische und atomare Aufrüstung. Eindrucksvoll schilderte eine sechzehnjährige Schülerin aus der Region Fukushima, welche Konsequenzen die Katastrophe mit dem Kernkraftwerk für sie als Kind hatte; mit dem Verbot draußen zu spielen, mit dem Verlust von Freundinnen und mit der Angst vor der radioaktiven Verseuchung des Essens.

Der Historiker Peter Brandt zitierte den heutigen UNO-Generalsekretär Antonio Guterres mit den Worten: die einzige Garantie dafür, dass ein Atomkrieg verhindert wird, ist die endgültige Abschaffung der Atomwaffen. Seit Januar 2021 ist der UNO-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen durch die Ratifizierung von mehr als 60 Staaten völkerrechtlich gültig, und bereits 1996 urteilte der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass die Drohung mit und der Einsatz von Atomwaffen dem Völkerrecht widerspricht. Trotzdem haben die führenden Atomwaffenmächte wieder enorme Summen für eine Modernisierung ihrer atomaren Waffenpotenziale veranschlagt. Auch die Bundesregierung beschloss die Anschaffung neuer taktischer Atomwaffenbomber bei der amerikanischen Rüstungsfirma Lockheed Martin für etliche Milliarden Euro, damit die neuen Atombomben der USA in der Bundeswehrkaserne in Büchel im Rahmen der sogeannten nuklearen Teilhabe den erhöhten Anforderungen entsprechend eingesetzt werden können. Die Manager und Aktionär*innen der Firma Lockheed Martin wird’s freuen. Deren Aktienwerte sind vom Anfang bis zum Ende des Afghanistankrieges laut Angaben von amerikanischen Journalist*innen um mehr als das Dreizehnfache gestiegen.

Die Doomsday Clock (Weltuntergangsuhr) des in Chicago ansässigen Bulletins for Atomic Scientists, die sich mit den Gefahren eines Atomkriegs beschäftigen, übrigens eine Einrichtung, die 1947 von Albert Einstein mit ins Leben gerufen wurde, steht so dicht vor Zwölf wie selbst während des Kalten Krieges und der Kubakrise nicht. Es wird Zeit, auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und auf die Spannungen im Pazifik, dass die anschwellende Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und vor allem auch in das Blick- und Handlungsfeld von Gewerkschaften und sozial-ökologischen Bewegungen kommt. Der Aufschwung einer unüberhörbaren Friedensbewegung wie in den achtziger Jahren lässt auf sich warten, und das laute Schweigen wider besseres Wissen auf den verantwortlichen Ebenen hält an. Ebenfalls zur Mahnung und zum Gedenken gab es in Berlin unter dem Motto Büchel goes Berlin eine viertägige Fastenmahnwache vor den neun Botschaften der Atomwaffenstaaten und vor dem Bundeskanzleramt. Und diese Aktion war Teil einer interntionalen Aktion, die auch in Frankreich und Großbritannien stattfand. Im August 1945 schrieb Albert Camus in der Zeitung Combat, die Menschheit müsse sich zwischen Hölle und Vernunft entscheiden.

Berlin 9. August 2022

Die bemerkenswerte Rede von Peter Brandt kann hier nachgelesen werden

Dieser Beitrag wurde für die „www.gewerkschaftliche-linke-berlin.de“ geschrieben und wir bedanken uns für die Genehmigung der Veröffentlichung auf unserer HP.