Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit einer Abmahnung durch die FU

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In dem folgenden Gutachten geht es um eine Abmahnung, die der Präsident der FU gegen S. ausgesprochen hat. S. ist an der FU beschäftigt. Wir werden prüfen, ob diese Abmahnung gegen das Grundgesetz verstößt.

Wir werden zunächst die Tatsachen (unter A.) vortragen, die wir heranziehen werden, um danach in der rechtlichen Würdigung (unter B.) zu prüfen, ob die Abmahnung verfassungswidrig ist und deswegen aus der Personalakte entfernt und vernichtet werden muss.

S. ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di und Mitglied des Vorstandes der FUBetriebsgruppe von ver.di. Als Vorstandsmitglied hat er einen Artikel mit zu verantworten, der am 30. Januar 2024 auf der homepage der ver.di-Betriebsgruppe veröffentlicht wurde. In diesem Artikel wird ein Zusammenhang herstellgestellt zwischen Tarifflucht der FU, Verstößen der FU gegen geltende Tarifverträge und Mitbestimmungsrechte einerseits und dem Erstarken der AfD und anderen rechten Kräften andererseits.

Wegen dieses Artikels wurde S. von der FU abgemahnt.

Im Folgenden werden unter Ziff. 1 der Artikel der ver.di Betriebsgruppe der FU und die Abmahnung der FU im Wortlaut wiedergegeben. Unter den Ziff. 2. bis 5. werden die Tatsachen vorgetragen, auf die sich die behaupteten Verstöße gegen Tarifverträge und Mitbestimmungsrechte stützen.

a. Der Artikel der der ver.di Betriebsgruppe der FU im Wortlaut [1]Siehe https://www.verdi-fu.de/wordpress/2024/01/30/gegen-afd-und-die-abschiebe-undkuerzungspolitik-der-ampelregierung-kommt-zum-aktionstag-am-3-februar-13-uhr-bundestagswiese/:

„Von: Betriebsgruppenvorstand 30. Januar 2024

Unter dem Titel “Wir sind die Brandmauer” ruft das Bündnis Hand in Hand für Samstag, den 3. Februar um 13 Uhr, zum Aktionstag gegen Rechts auf. Sie schreiben: “Schließ dich der Brandmauer gegen Rechts an! Jetzt sind wir alle gefragt: Es ist gemeinsame Verantwortung, als Zivilgesellschaft ein solidarisches Miteinander zu verteidigen. Am 3. Februar zeigen wir mit einer großen Aktion um das Bundestagsgebäude: Wir sind die Brandmauer!”

Auch die Gewerkschaften, darunter ver.di und GEW, rufen auf.

Als ver.di-Betriebsgruppe FU halten wir gewerkschaftliche Mobilisierungen gegen Rechts für absolut notwendig und möchten gleichermaßen zur Teilnahme aufrufen. Lasst uns gemeinsam und als Gewerkschafterinnen erkenntlich ein starkes Zeichen setzen. AfD-Mitglieder und andere Rechte haben in unserer Gewerkschaft nichts verloren! Dabei ist für unsere kämpferische Betriebsgruppe klar: Die aktuelle Ampelregierung setzt bereits praktisch die Politik um, die von der AfD gefordert wird. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte im Spiegel: “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.” Gesagt, getan: Mit der Zustimmung der Bundesregierung zu GEAS-Reform der EU und mit der Verabschiedung des sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetzes, neben weiteren Abschiebeabkommen, werden die Rechte von Geflüchteten in neuem Maße eingeschränkt. Innenministerin Nancy Faeser freut sich bereits 2 über eine Steigerung der letztjährigen Abschiebungen um 27 Prozent und möchte diese Zahl sogar noch erhöhen. Die Bundesregierung kürzt bei allen Sozialausgaben und in der öffentlichen Daseinsvorsorge, aber hat Milliarden für die Rüstung übrig.

Rechtes Gedankengut wächst am besten in einem solchen Klima der Prekarität. Das gilt auch für unseren Arbeitgeber: Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, bekämpft aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse und sorgt so für politischen Verdruss. Im Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist. Bis heute sind zudem Beschäftigtengruppen der unteren Lohngruppen und mit hohem Migrantinnenanteil wie z.B.
Reinigungskräfte an der FU ausgegliedert und damit von der betrieblichen Gemeinschaft ausgegrenzt und schlechter gestellt.

Damit bereiten die regierenden Parteien und gewerkschaftsfeindliche Arbeitgeber der AfD und den Rechten das Feld. Das Recht auf Flucht und Asyl darf nicht weiter eingeschränkt werden! Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, Armut und Klimakatastophe – die europäische und deutsche Abschottungspolitik bedeutet Tod und Folter für viele. Deshalb richtet sich unser Protest nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen ihre Wegbereiterinnen in den aktuellen Regierungs- und anderen demokratischen Parteien.“

b. Dieser Artikel war der Grund für eine Abmahnung, die die FU dem Kläger erteilte.

Die Abmahnung hatte folgenden Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr …,

hiermit mahne ich Sie wegen einer Verletzung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten ab.

Folgendes Fehlverhalten liegt der Abmahnung dabei zugrunde: Sie sind Tarifbeschäftίgter der Freien Universität Berlin. Des Weiteren gehören Sie nach unserer Kenntnis zum Betriebsgruppenvorstand der ver.di-Betriebsgruppe FU Berlin. Sie — als Mitglied des Betriebsgruppenvorstandes — haben am 30. Januar 2024 einen Beitrag auf der Homepage der ver.di-Betriebsgruppe FU Berlin unter dem Titel „Gegen AfD und die Abschiebe- und Kürzungspolitik der Ampelregierung: Kommt zum Aktionstag am 3. Februar, 13 Uhr, Bundestagswiese!“ veröffentlicht (aufzurufen unter: https://www.verdifu. de/wordpress/2024/01/30/gegen-afd-und-die-abschiebe-und-kuerzungspolitik-derampelregierung- kommt-zum-aktionstag-am-3-februar-13-uhr-bundestagswiese/). Dort rufen Sie zur Teilnahme an der Demonstration „Wir sind die Brandmauer“ am 3. Februar 2024 auf. Aus Dienstgebersicht bestehen grundsätzlich keine Bedenken auch im Umfeld der FU Berlin, zur Unterstützung des Anliegens und der Demonstration aufzurufen.

So dann äußern Sie sich aber auch wie folgt: … Rechtes Gedankengut wächst am besten in einem solchen Klima der Prekarität. Das gilt auch für unseren Arbeitgeber: Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, bekämpft aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse und sorgt so für politischen Verdruss. lm Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist. Bis heute sind zudem Beschäftigtengruppen der unteren Lohngruppen und mit hohem Migrantinnenanteil wie z. B. Reinigungskräfte an der FU ausgegliedert und damit von der betrieblichen Gemeinschaft ausgegrenzt und schlechter gestellt. Damit bereiten die regierenden Parteien und gewerkschaftsfeindliche Arbeitgeber der AfD und den Rechten das Feld. Das Recht auf Flucht und Asyl darf nicht weiter eingeschränkt werden! Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, Armut und Klimakatastrophe — die europäische und deutsche Abschottungspolitik bedeutet Tod und Folter für viele. Deshalb richtet sich unser Protest nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen ihre Wegbereiter*innen in den aktuellen Regierungs- und anderen demokratischen Parteien.“

Damit beschuldigen Sie öffentlich Ihren Dienstgeber, aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse zu bekämpfen, als „gewerkschaftsfeindlicher“ Arbeitgeber der AfD und der politischen Rechten den Weg zu bereiten, gar den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD als solche zu fördern.

Durch dieses Verhalten haben Sie Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Sie unterliegen insbesondere als Beschäftigte/r des öffentlichen Dienstes einer besonderen Treue- und Loyalitätspflicht gegenüber Ihrem Arbeitgeber.

Aus ihr folgt auch die Verpflichtung, ehrverletzende Kritik am Arbeitgeber zu unterlassen. In dem Artikel bezeichnen Sie die Freie Universität Berlin als gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgeber, welcher der AfD den Weg bereiten und ihren Aufstieg fördern würde und aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse bekämpft. All dies ist offensichtlich unzutreffend.

Sie verlassen damit jegliche sachliche, von der Meinungsfreiheit gedeckte Kritik an der FU Berlin als Ihren Arbeitgeber.

Wegen dieser Verstöße mahnen wir Sie hiermit ab und fordern Sie hiermit ausdrücklich auf, sich zukünftig vertragsgerecht zu verhalten. Insbesondere fordern wir Sie auf, Ihre Treue- und Loyalitätspflichten bei öffentlichen Äußerungen gegenüber Ihrem Dienstgeber nicht zu verletzen und Kritik sachlich zu äußern, ohne Ihrem Dienstgeber zu unterstellen, Wegbereiter der AfD zu sein.

Sollten Sie erneut gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, müssen Sie mit weiteren arbeitsrechtlichen Maßnahmen bis hin zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung Ihres Dienstverhältnisses rechnen. Diese Abmahnung wird Bestandteil Ihrer Personalakte.

Mit freundlichen Grüßen“

c. Außerdem veröffentlichte die FU eine Gegendarstellung.[2]https://www.fu-berlin.de/informationen-fuer/beschaeftigte/aktuelles/news/240205-gegendarstellung-verdi/index.html.

a. Am 29. Juli 2021 startete die ver.di-Betriebsgruppe der FU mit der Unterstützung von ver.di eine Kampagne wegen nicht gezahlter Zuschläge. Gewerkschaftsmitglieder wurden gebeten: „Solltest Du betroffen sein, informiere uns. Du kannst die korrekte Bezahlung der Zuschläge gegenüber der Personalstelle geltend machen. Gewerkschaftsmitglieder können sich an ver.di +wenden, um entsprechende Unterstützung zu bekommen. Für Beschäftigte, die ver.di beitreten und Mitglieder werden, hilft ver.di sofort bei der Geltendmachung gegenüber der Freien Universität [3]https://mitgliedwerden.verdi.de/beitritt/verdi“.[4]Freie Universität enthält Beschäftigten seit Jahren tarifliche Zuschläge vor – Jetzt Mitglied werden und geltend machen! – ver.di-Betriebsgruppe (verdi-fu.de). Aufgrund dieser Kampagne folgten 312 Geltendmachungen von Beschäftigten.

b. Das Präsidium der FU hat nachweislich am 09.06.2022 durch einen Präsidiumsbeschluss eingeräumt, dass Zulagen nachbezahlt werden müssen. Dennoch erhielten die Beschäftigen die Zuschläge weiterhin nicht nachgezahlt.

c. Laut einem Offenen Brief von Beschäftigten des Fachbereichs Veterinärmedizin an den Präsidenten der FU vom 15.03.2023 waren im März 2023 die Zuschläge noch immer nicht nachbezahlt.[5]Offener Brief von Beschäftigten des Fachbereichs Veterinärmedizin an den Präsidenten der FU – ver.di-Betriebsgruppe (verdi-fu.de).

d. Am 14.08.2023 waren die Zuschläge weiterhin nicht ausgezahlt. Jetzt erwogen die Beschäftigten einen Streik zur Durchsetzung ihres Tarifvertrags.[6]Offener Brief: Tarifvertragsverstöße müssen mit Streik beantwortet werden können! – ver.di-Betriebsgruppe (verdifu.
de).


e. Auf schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tobias Schulze (LINKE) vom 12. März 2024, in welchem Umfang und bei wie vielen Beschäftigten bislang Nachzahlungen durchgeführt worden sind, wurde geantwortet, dass nach Angaben der FU im Zeitraum
01.01.2021 bis 31.03.2024 312 Personen Zeitzuschläge in Höhe von 2.004.903,88 € ausgezahlt worden sind.[7]Antwort des Senats auf die schriftl. Anfrage des Abg. Tobias Schulze

f. Im Zeitraum von 01.01.2021 bis 31.03.2024 haben 312 Arbeitnehmer der Veterinärmedizin der FU Berlin Zeitzuschläge gemäß § 8 TV-L FU geltend gemacht. Ihnen wurden Zuschlagsbeträge in Höhe von 2.004.903,88 € nachgezahlt.[8]Antwort des Senats auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tobias Schulze vom 12. März 2024 zum Thema „Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt – zu Tarifverstößen und … Continue reading

a. Ausgliederung

Die Unterhaltsreinigung wird im Haushalt der FU für das Jahr 2024 mit 7.5000.000 € und für das Jahr 2025 mit 7.750.000 € ausgewiesen.[9]Haushalt der FU Berlin, S. 18 Als Beispiel für Ausgliederung kann die Reinigung in der Nutztierklinik im Sonderdienst dienen. Von zehn Reinigungskräften der U sind zwei übriggeblieben. Die Tätigkeit, die von den übrigen Reinigungskräften ausgeführt wurde, wurde fremdvergeben.[10]Interview in Wahlzeitung des PR FU

b. Stammarbeitskräfte bekommen höheren Lohn als Arbeitskräfte von Fremdfirmen

Die Reinigungskräfte, die als Stammarbeitskräfte der Beklagten arbeiten, werden besser bezahlt als diejenigen, die diese Tätigkeiten für eine Fremdfirme erledigen. Reinigungskräfte der FU arbeiten nach TV-L mit 7,88 Stunden / Tag und 141,25 Euro pro Werktag für den Zeitraum 01.12.2022 – 31.10.2024 bei. Dagegen beträgt der Stundenlohn für Reinigungstätigkeiten, die durch Fremdfirmen erledigt werden, nach den Tarifverträgen der Gebäudereinigung (Lohngruppe 1) ab 1. 1. 2024 brutto13,50 Euro. Die wenigen Reinigungskräfte, die als Stammarbeitskräfte der Beklagten arbeiten, werden nach TV-L Entgeltgruppe 2 vergütet.[11]Interview in Wahlzeitung des PR FU Die Entgeltgruppe 2 nach TV-L ist die zweitunterste von insgesamt 15 Entgeltgruppen, also eine der unteren Lohngruppen.

c. Hoher Migrantinnenanteil

Dass die Reinigungskräfte einen hohen Migrantinnenanteil haben, ergibt sich aus einem Artikel der Initiative gegen Fremdenfeindlichkeit des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks und des Fachmagazins „rationell reinigen“, wo der Anteil der Beschäftigten in der Gebäudereinigung mit Migrationshintergrund auf rund ein Drittel beziffert wird.[12]Bundesinnungsverband „Vielfalt, Integration und Toleranz statt Fremdenfeindlichkeit“ in: Die Gebäudedienstleister(Anhang 4); link: … Continue reading
RTL sendete am 4. April 2024 einen Beitrag unter dem Titel „Schmutz und Gier –undercover in der Reinigungsbranche“, der von Günter Wallraff moderiert wurde. In dieser Sendung wird von einem Journalisten, der sich undercover als Reinigungskraft bewarb, detailliert beschrieben, unter welchen Bedingungen die Reinigungskräfte für CAPITAL INFRADIENST arbeiten. Der undercover arbeitende Journalist bezeugt: „Viele Kollegen sprechen hier kein Deutsch.“[13]RTL-Bericht des Teams Wallraff vom 4. April 2024 „Schmutz und Gier – undercover in der Reinigungsbranche“ Minute 35:00 bis Minute 57:56, link: … Continue reading

d. RTL-Sendung: Schlechte Arbeit und schlechte Arbeitsbedingungen in Fremdfirmen

CAPITAL INFRADIENST ist eine Reinigungsfirma, die die Beklagte als Fremdfirma zur Reinigung der Gebäude der Beklagten einsetzt. In dem von RTL gezeigten Beispiel muss eine Reinigungskraft in 4 Stunden das leisten, für das nach dem Leistungsverzeichnis der Beklagten 8,71 Stunden vorgesehen sind und auch von der FU bezahlt werden. Wie der Bericht von RTL zeigt, ist es offensichtlich selbst bei größter Anstrengung der Reinigungskraft nicht möglich, die Gebäude mit der doppelten Geschwindigkeit gründlich zu reinigen.[14]Siehe vorhergehende Fn. Nach Angaben eines Kollegen werden bei Urlaub und Krankheit trotz eines 8-Stunden-Vertrages nur 4 Stunden täglich bezahlt.[15]Siehe vorhergehende Fn.

Auf der homepage der ver.di Betriebsgruppe wurde am 29. Januar 2024 ein Schreiben von Betriebshandwerkerinnen und Betriebshandwerkern an die Kanzlerin der FU Berlin veröffentlicht, in dem es heißt: „wir – stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen, welche in der Rufbereitschaft und im Schichtdienst arbeiten – möchten Sie darüber in Kenntnis setzen, dass Rufbereitschafts-zulagen überwiegend seit Juni 2023 und Zulagen der Zentralwarte seit August 2023 nicht bezahlt wurden.
Der Umstand, dass die Zuschläge nicht zeitnah gezahlt werden, besteht schon seit mehreren Jahren. Durch die verspäteten Zahlungen werden die Abrechnungen immer unübersichtlicher (kaum einer kann noch die Richtigkeit nachvollziehen).“[16]https://www.verdi-fu.de/wordpress/2024/01/29/der-umstand-dass-zuschlaege-nicht-zeitnah-gezahlt-werden-bestehtseit-jahren/

Mit Anerkennungs-Beschluss vom 17. Mai 2023 stellte das Verwaltungsgericht fest, dass das Präsidium der FU Berlin das Mitbestimmungsrecht des Personalrats aus § 85 Abs.1 Nr. 1 PersVG Berlin verletzt, indem es Dienstpläne in den folgenden Bereichen in Kraft setzte, ohne dass der Personalrat diesen zugestimmt hat oder seine Zustimmung durch
den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist[17]Anerkennungsbeschluss des VG Berlin v. 17. Mai 2023 Az.:VG 62 K 6/22 PVL:

  • Dienstpläne für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik für
    Klauentiere,
  • Dienstpläne für die Bereiche Poliklinik, Labor, OP und Apotheke der Klinik für kleine
    Haustiere,
  • Anordnung der Rufbereitschaftsdienste im chirurgischen Dienst an der Klinik für kleine
    Haustiere,
  • Dienstpläne für die Tierärztin und Tierärzte sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen
    und Mitarbeiter im Bereich WE20.

Es ist die Frage gutachterlich zu beantworten, ob S. durch die Abmahnung in seinem Grundrecht verletzt ist, sich als Gewerkschafter zu betätigen und in dieser Funktion seine Meinung frei zu äußern (Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 GG).

Das prüfen wir, indem wir prüfen

  •  ob die Handlungen des S. unter den Bereich fallen, der durch die Koalitionsfreiheit geschützt ist (siehe unter I.),
  •  ob die FU in diesen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit eingegriffen hat (siehe unter II.) und
  •  ob dieser Eingriff rechtswidrig war (siehe unter III.).

Es ist die Frage zu beantworten, ob die Meinungsäußerung des ver.di-Betriebsgruppenvorstandes und damit auch des S in dem Artikel auf der homepage der ver.di-Betriebsgruppe unter den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) fällt.

Wir prüfen zunächst, welche Handlungen durch die Koalitionsfreiheit geschützt werden (siehe unter 1.), und dann, ob die Handlungen des S. zu diesen Handlungen gehören, die durch die Koalitionsfreiheit geschützt sind (siehe unter 2.).

1. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG)

a. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG lautet: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“.

b. Die Koalitionsfreiheit umfasst nicht nur die Freiheit, Koalitionen zu bilden, sondern auch die Freiheit, sich koalitionsmäßig zu betätigen. „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG in erster Linie ein Freiheitsrecht auf spezifisch koalitionsgemäße Betätigung, das den Einzelnen die Freiheit gewährleistet, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen. Soweit das Recht der
Koalitionen selbst betroffen ist, die von Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen, entscheiden sie im Rahmen ihrer Interessenwahrnehmung selbst über die einzusetzenden Mittel.“[18]BVerfG 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12 juris Rn. – Rn. 115

c. Auch die koalitionsmäßige Meinungsäußerung[19]z.B. Mitgliederwerbung, BVerfG 26. 05. 1970 – 2 BvR 664/65 juris Rn. – Rn. 25 ist eine koalitionsmäßigen Betätigung.

d. Parteipolitische Meinungsäußerungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine koalitionsmäßigen Betätigungen.[20]BVerfG 28.04.1976 – 1 BvR 71/73

e. Das gilt nicht für allgemein-politische Meinungsäußerungen: Sie sind koalitionsmäßige Betätigungen, jedenfalls soweit diese Meinungsäußerungen auf die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gerichtet sind: Das Bundesverfassungsgericht hat das am Beispiel der Mitgliederwerbung entwickelt: „… auch außerhalb des Bereichs der Tarifautonomie können die Koalitionen ihrer Aufgabe, durch spezifisch koalitionsgemäße Betätigung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, um so wirksamer nachkommen, je mehr Mitglieder sie haben. Entsprechendes gilt für die den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete freie Darstellung der in ihnen organisierten Gruppeninteressen gegenüber dem Staat und den politischen Parteien (BVerfGE 20, 56, 107)“[21]BVerfG 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12 juris Rn. 25-28.

Damit erstreckt sich die Freiheit der Meinungsäußerung eindeutig auch auf das Verhältnis der Gewerkschaften zu den politischen Parteien und gegenüber dem Staat, also auf politische Meinungsäußerungen, jedenfalls soweit sie die „Wahrung und Förderung der Arbeits – und Wirtschaftsbedingungen“ zum Ziel haben.

f. Der Gewerkschaft muss ein weiter Spielraum bei der Beurteilung zugestanden, ob ihre Aussage eine parteipolitische oder eine allgemein-politische Äußerung zum Zweck der „Wahrung und Förderung der Arbeits – und Wirtschaftsbedingungen“ ist. Denn die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) ist ebenso wie die sich daraus ergebende Betätigungsfreiheit konkreter Ausdruck des in der Menschenwürde (Art. 1 GG) angelegten Selbstbestimmungsprinzips: „Die Gewährleistung der als Menschenwürde ausgeformten Koalitionsfreiheit dient letzten Endes unter einem maßgeblichen Gesichtspunkt der Sicherung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der freien Entfaltung der Person (Art. 2 Abs. 1 GG).“[22]BAG v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77 juris Rn. 32; die Aufhebung dieser Entscheidung durch das BVerfG 17.2.1981 – 2 BvR 384/78 beruht auf anderen Erwägungen und lässt daher die zitierte Aussage des … Continue reading

2. Schutzbereich der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) eröffnet

Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) ist für S. als Mitautor des von der FU beanstandeten Artikels eröffnet. S. handelte als Mitglied des ver.di Betriebsgruppenvorstandes und damit als Mitverantwortlicher dieses Artikels, der vom Vorstand der Betriebsgruppe ver.di gezeichnet wurde. Der Kläger betätigte sich damit als Gewerkschafter.

Der Artikel ist eine politische, aber keine parteipolitische Äußerung. Zwar wird die AfD namentlich benannt, aber ihr Erstarken als Erstarken einer Rechtsentwicklung insgesamt verstanden. So wurde der Artikel unter der Überschrift „FCK AFD“ veröffentlicht, aber schon die Überschrift eingerahmt mit der Losung: „FCK Abschiebe – und Kürzungspolitik der Ampelregierung!“

Dann wird gleich im ersten Satz zu einem Aktionstag „gegen Rechts“ aufgerufen: „Unter dem Titel „Wir sind die Brandmauer“ ruft das Bündnis Hand in Hand für Samstag, den 3. Februar, um 13 Uhr, zum Aktionstag gegen Rechts auf.“ In den ersten beiden Absätzen wird keine Partei erwähnt. Erst im letzten Satz des dritten Absatzes des Textes wird die AfD das erste Mal genannt, und zwar im Zusammenhang damit, dass AfD-Mitglieder als Gewerkschaftsmitglieder nicht geduldet werden sollen, jedoch nicht nur AfD-Mitglieder, sondern auch „andere Rechte“. Und gleich danach wird auch die „aktuelle Ampelregierung“ unter Hinweis auf das Rückführungs-verbesserungsgesetz scharf kritisiert, weil sie „bereits praktisch die Politik umsetzt, die von der AfD gefordert“ wird. Dann wird dargelegt, dass ein Zusammenhang zwischen Kürzung der Sozialausgaben, Erhöhung der Ausgaben für die Rüstung und dem Wachsen von rechtem Gedankengut besteht.

Insgesamt orientiert dieser Artikel also auf den Kampf gegen Rechts und in diesem Zusammenhang gegen die AfD, aber auch gegen die Regierung, gegen deren Rückführungspolitik, gegen die Kürzungen im sozialen Bereich und die Erhöhung der Rüstungsausgaben: „Rechtes Gedankengut wächst am besten in einem solchen Klima der Prekarität.“ Und in diesem Zusammenhang wird auch die Nichteinhaltung von Tarifverträgen durch das FU-Präsidium kritisiert.

Insgesamt geht es in diesem Artikel erkennbar darum, dem gewerkschaftlichen Interesse an sozialer Sicherheit, Abrüstung und Demokratie Ausdruck zu verleihen, zur aktiven gemeinsamen Verteidigung dieser Interessen aufzurufen und dabei niemanden außen vor zu lassen, auch nicht die Geflüchteten. Es geht um die gewerkschaftliche Verteidigung der Arbeitsbedingungen und sozialen Rechte als „Brandmauer gegen Rechts“.

3. Zwischenergebnis

Damit handelt es sich um eine koalitionsmäßige Betätigung des S. Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist für die Meinungsäußerung in diesem Artikel eröffnet.

Die Abmahnung der FU beeinträchtigt das Grundrecht des S. aus Art. 9 Abs. 3 GG. Diese Abmahnung schränkt die Möglichkeit für gewerkschaftliche Meinungsäußerungen ein. Die Abmahnung ist also ein Eingriff in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit des S.

Das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG kann nur durch Kollision mit den Grundrechten anderer beschränkt werden. Ist der Schutzbereich kollidierender Grundrechte eröffnet, müssen die Grundrechte auf dem Wege der praktischen Konkordanz gegeneinander abgewogen werden. Diese Abwägung kann man sich als eine Balkenwaage mit zwei Waagschalen vorstellen, für jede Partei eine Wagschaale. In die Waagschalen werden die Rechte jeder Partei gelegt und gewichtet. Entweder senkt sich die Waagschale der einen oder der anderen Partei. Nur in Ausnahmefällen wird eine solche Abwägung nicht vorgenommen, zum Beispiel wenn eine Meinungsäußerung in einer sog. Schmähkritik besteht. Dann senkt sich ohne weitere Abwägung die Waage zugunsten dessen der geschmäht wurde.

In Betracht kommt im vorliegenden Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht der FU (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG), das mit dem Recht des S., sich als Gewerkschafter zu äußern, abgewogen werden muss.

Wir behandeln zunächst die Gesichtspunkte (Kriterien), die bei der Abwägung herangezogen werden müssen (1.) und wägen gegebenenfalls das Recht der einen Partei gegen das Recht der anderen Partei unter Beachtung der heranzuziehenden Kriterien und deren Gewichtung gegeneinander ab (2.).

1. Abwägungskriterien und ihre Erfüllung

Wir stellen zu nächst abstrakt die Abwägungskriterien vor (1.1), die im vorliegenden Fall zu beachten sind (a. bis e.), und prüfen dann, ob diese Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt und damit heranzuziehen sind (1.2).

1.1. Abwägungskriterien

a. Beleidigung und üble Nachrede (Ehrverletzungen)

Als allgemeine Schranke der Meinungsäußerungsfreiheit gelten die Beleidigung (§ 185 StGB) und üble Nachrede (§ 186 StGB).

Beleidigung oder üble Nachrede setzen die Kundgabe einer deutlichen Missachtung voraus: „… auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik (macht) eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll.“[23]BAG 29.8.2013 – 2 AZR 419/12 juris Rz.: 36 mit Verweis auf BVerfG 10. 10. 1995 – 1 BvR 1476/9, aaO.

Ein Vergleich des Verhaltens eines Arbeitgebers mit dem von Naziverbrechen ist eine Ehrverletzung[24]BAG 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, 1. Orientierungssatz mit Verweis auf BAG v. 9.8.1990 – 2 AZR 623/89. In dem Fall, den das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2005 zu entscheiden hatte, kam das Bundesarbeitsgericht jedoch zu dem Ergebnis, dass ein solcher Vergleich nicht vorgenommen wurde.[25]BAG 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, juris Rz.: 30

b. Rechtfertigung von Ehrverletzungen durch Bezug auf wahre Tatsachen

Beleidigende Äußerungen oder üble Nachrede können gerechtfertigt sein, wenn sie sich auf erweislich wahre Tatsachen beziehen: „Im Falle der Meinungsäußerung ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht.[26]BVerfG 25. 10. 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 18. Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.“[27]BAG 29.8.2013 – 2 AZR 419/12 juris Rz.: 35.

c. Rechtfertigung von Ehrverletzungen in Wahrnehmung berechtigter Interessen

Beleidigungen oder üble Nachrede können gerechtfertigt sein, wenn sie „in Wahrnehmung berechtigter Interessen“ erfolgen (§ 193 StGB).

d. Schmähkritik oder Formalbeleidigung

Immer unzulässig ist eine sogenannte Schmähkritik, die lediglich eine Person „niedermachen“ will, oder eine Formalbeleidigung, bei der z.B. der Arbeitgeber mit einem wenig angesehenen Tier (Schwein, Ratte, Wanze) verglichen wird: „Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist“[28]BAG 29.8.2013 – 2 ZR 419/12 juris Rz.: 36 mit Verweis auf BVerfG 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05 – Rn. 23 11.

Schmähkritik und Formalbeleidigung können nicht gerechtfertigt werden.

e. Loyalitätspflichten

S. ist Betriebshandwerker und Elektriker. Schon deswegen bestehen keine Loyalitätspflichten. Vertragliche Vereinbarungen, die die gewerkschaftliche Meinungsäußerung einschränken, würden gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG verstoßen und damit nichtig sein.

1.2 Welche Kriterien sind vorliegend erfüllt?

Zu den Kriterien a. und d.: Keine Ehrverletzung, keine Missachtung, keine Schmähkritik, keine Formalbeleidigung

Erkennbar handelt es sich nicht um eine Ehrverletzung (Beleidigung oder üble Nachrede). Es geht nicht um die Missachtung oder Diffamierung des FU-Präsidiums oder gar der FU und erst recht nicht um eine Schmähkritik oder Formalbeleidigung.

Das zeigen deutlich die ersten Absätze des von der FU beanstandeten Artikels: „Unter dem Titel „Wir sind die Brandmauer“ ruft das Bündnis Hand in Hand für Samstag, den … zum Aktionstag gegen Recht auf. Sie schreiben: “Schließ dich der Brandmauer gegen rechts an! Jetzt sind wir alle gefragt: Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, als Zivilgesellschaft ein solidarisches Miteinander zu verteidigen. Am 3. Februar zeigen wir mit einer großen Aktion um das Bundestagesgebäude: Wir sind die Brandmauer!“
Auch die Gewerkschaften, darunter ver.di und die GEW, rufen auf. Als ver.di Betriebsgruppe FU halten wir gewerkschaftliche Mobilisierungen gegen rechts für absolut notwendig und möchten gleichermaßen zur Teilnahme aufrufen. Lasst uns
gemeinsam und als Gewerkschafterinnen erkenntlich ein starkes Zeichen setzen. AfD-Mitglieder und andere rechte haben in unserer Gewerkschaft nichts verloren! Dabei ist für unsere kämpferische Betriebsgruppe klar: Die aktuelle Ampelregierung setzt bereits praktisch die Politik um, die von der AfD gefordert wird. Bundeskanzler Scholz sagt im Spiegel: „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben.“ Gesagt, getan: Mir der Zustimmung der Bundesregierung zur GEAS-Reform der EU und mit der Verabschiedung des sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetzes, neben weiteren Abschiebeabkommen, werden die Rechte von Geflüchteten in neuem Maßstab eingeschränkt. Innenministerin Nancy Faser freut sich bereits über eine Steigerung der letztjährigen Abschiebungen um 27 Prozent und möchte diese Zahl sogar noch erhöhen. Die Bundesregierung kürzt bei allen Sozialausgaben und in der öffentlichen Daseinsvorsorge, aber hat Milliarden für die Regierung übrig. Rechts Gedankengut wächst am besten in einem solchen Klima der Pekarität.“

Erst dann folgt der Text, den die FU auch in ihrer Abmahnung zitiert. Dem Betriebsgruppenvorstand und damit auch S. geht es also darum, aus einer Einschätzung der gegenwärtigen Politik zu einer politischen Orientierung zu kommen, die für die gewerkschaftlich organisierten, aber auch alle anderen Beschäftigten gelten kann.

Erst dann wird eine Konkretisierung für die FU vorgenommen. Diese Konkretisierung ist vollkommen legitim, ja sogar notwendig, weil die FU Berlin für die ver.di Betriebsgruppe das Feld ihrer gewerkschaftlichen Betätigung ist. Die abhängig Beschäftigten der FU sind es, die die ver.di Betriebsgruppe ansprechen muss und von denen sie ein Teil ist. Daher folgt als nächster Absatz: „Das gilt auch für unseren Arbeitgeber: Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, bekämpft aktive Mitbestimmung und demokratische Prozesse und sorgt so für politischen Verdruss.“ In dem folgenden Satz heißt es dann nicht: „Die FU fördert damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD.“ Vielmehr formuliert der Artikel: „Im Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD.“(Hervorhebung durch Gutachter) Damit wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass im Vordergrund eine Auseinandersetzung in der Sache steht, und es nicht um eine Missachtung oder Diffamierung geht, die das Präsidium der FU jenseits einer prononcierten Kritik in erster Linie herabsetzen soll.

Wenn der Vorstand der ver.di Betriebsgruppe schreibt „Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, bekämpft aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse und sorgt für politischen Verdruss“ und dann fortfährt: „Im Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist“, so macht er auf einen äußerst wichtigen und, wie wir noch darlegen werden, wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Verschlechterung der Löhne und Rechtsruck sowie Aufstieg der AfD aufmerksam, an dem die FU solange beteiligt ist, wie sie an dem immer weitere Verbreitung findenden Trend mitwirkt, Tarifverträge nicht zu beachten, aus ihnen durch Ausgliederung zu fliehen oder sich erst gar nicht an Tarifverträge zu binden. Auch wenn das – nachvollziehbar – dem Präsidium der FU nicht gefällt, ist das so. Es liegt auf der Hand, dass diese Nichteinhaltung von Tarifverträgen und die Nichtbeachtung der Mitbestimmung für „politischen Verdruss sorgt“. Wenn die Nichteinhaltung von Tarifverträgen als aktive Bekämpfung der Mitbestimmung beschrieben wird und die FU mit gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgebern in einen Topf geworfen wird, dann geschieht das aus gutem Grund: Es wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Nichteinhaltung von Tarifverträgen eben kein Kavaliersdelikt ist. Das gilt auch, weil die Nichteinhaltung von Tarifverträgen durch die FU kein einmaliger Fall ist. Dabei bezieht sich die Nichtbeachtung der Mitbestimmung nicht nur auf die Tarifverträge, die die Gewerkschaften mitbestimmt haben, sondern auch auf die betriebliche Mitbestimmung, die mehrfach verletzt wurde. Diese gehäufte Verletzung von gewerkschaftlichen und betrieblichen Mitbestimmungsrechten rechtfertigt die Formulierung, dass das FU-Präsidium „aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse bekämpft“.

Als politische Konsequenz dieses Verdrusses ist eben nicht zwingend, dass sich mehr Beschäftigte für den Aufbau von mehr Durchsetzungsmacht gewerkschaftlich organisieren. Die andere Konsequenz ist umgekehrt ein Gefühl der Ohnmacht, das sich verbreitet, und ein sinkendes Interesse an Tarifverträgen und Gewerkschaften, so dass am Ende eine Schwächung der Gewerkschaften steht.

Zu Kriterium b.:

Die Tatsachen, auf die sich das Werturteil bezieht, sind richtig Die beanstandeten Äußerungen sind schon deswegen gerechtfertigt, weil sie sich auf Tatsachen beziehen, die wahr sind (aa.). Auch ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen schlechten Löhnen und guten Wahlergebnissen der AfD besteht (bb.).

aa. Wahre Tatsachen

Die Tatsache, dass das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, wird weder in der Gegendarstellung der FU, die ver.di auf der homepage der Betriebsgrupe veröffentlichte, noch in der Abmahnung bestritten. Sie sind wahr. Es ist wahr, dass im Zeitraum von 01.01.2021 bis 31.03.2024 dreihundertzwölf Arbeitnehmer der Veterinärmedizin der FU Berlin Zeitzuschläge gemäß § 8 TV-L FU geltend gemacht haben und ihnen Zuschlagsbeträge in Höhe von 2.004.903,88 € nachgezahlt werden mussten. Es ist wahr, dass Reinigungskräfte an der FU Berlin ausgegliedert sind, damit für sie der Tarifvertrag der Länder (TV-L FU) nicht gilt und sie so finanziell schlechter gestellt sind als wenn sie als Stammarbeitskräfte der FU nach TV-L FU bezahlt würden. Es ist wahr, dass es sich Beschäftigtengruppen der unteren Lohngruppen und mit hohem Migrantinnenanteil handelt. Es ist wahr, dass Beschäftigte der FU, die in Rufbereitschaft und Schichtdienst arbeiten, Rufbereitschaftszulagen überwiegend seit Juni 2023 und Zulagen der Zentralwarte seit August 2023 nicht bezahlt wurden.

Aus diesen wahren und unstreitigen Tatsachen leitet der Vorstand der Betriebsgruppe und damit S. die aktive Bekämpfung der Mitbestimmung und demokratischen Prozesse und damit die Verantwortlichkeit für politischen Verdruss her.

  •  Dass die Vereinbarung von Tarifverträgen das Kerngeschäft der Gewerkschaften ist,
  •  dass die Gewerkschaft darüber die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder und der abhängig Beschäftigten insgesamt mitbestimmt und
  •  dass diese Mitbestimmung über die Arbeitsbedingungen ein elementarer demokratischer Prozess ist,

ist offensichtlich zutreffend.

bb. Der kausale Zusammenhang zwischen schlechten Löhnen und guten Wahlergebnisse von AfD

Die ver.di Betriebsgruppe setzte zusammen mit den Beschäftigten Zuschlagsbeträge in Höhe von 2.004.903,88 € durch, die ihnen nach Tarifvertrag zustanden, die aber die FU erst im Zuge einer langanhaltenden Kampagne zahlte. Und ebenso gilt, dass die Löhne von Reinigungskräften nach dem Tarif der FU höher sind als die Löhne, die ihnen bezahlt werden, wenn sie ausgegliedert sind und
für eine Fremdfirma arbeiten müssen. Es ist offensichtlich, dass die Nichteinhaltung von Tarifverträgen ebenso wie die Ausgliederung und damit die Flucht aus Tarifverträgen die Löhne absenkt, also zu schlechteren Löhnen führt.

Kausaler Zusammenhang wissenschaftlich erwiesen.

Gleichzeit ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verschlechterung der Löhne und besseren Wahlergebnissen für die AfD und Rechtsextremen besteht. In einer Pressemitteilung des ifo-Instituts wird eine wissenschaftliche Untersuchung vorgestellt, die diesen Zusammenhang zwischen Armutsgefährdung und Stimmenzuwachs der AfD zum Thema hat:

„Mehr Armutsgefährdung in einer Region führt zu mehr Stimmen für Rechtsextreme. Zu diesem Ergebnis kommen Berechnungen des ifo Instituts. Wenn der Anteil von Haushalten unter der Armutsgrenze um einen Prozentpunkt steigt, steigt der Stimmenanteil von rechtsextremen Parteien um 0,5 Prozentpunkte bei Bundestagswahlen. „Das ist statistisch und politisch bedeutsam“, sagt ifo-Forscher
Florian Dorn. Denn zwischen 1998 und 2017 ist der Anteil der ärmeren Haushalte um 1,9 Prozentpunkte gestiegen. Die Armutsgrenze ist hierbei definiert als 60% des mittleren Einkommens. … Mehr Stimmen für rechtsextreme Parteien verzeichnen alle Einkommensgruppen. Am stärksten ist der Zuwachs in den unteren 40%. „Die AfD kann in strukturschwachen Regionen Deutschlands stärker hinzugewinnen. Die Einkommensstruktur ihrer Wähler unterscheidet sich jedoch nicht sehr von denen anderer etablierter Parteien“, sagt ifo-Forscher David Gstrein. … Für diese Berechnungen ausgewertet haben die Autoren Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), des Mikrozensus sowie der Bundestagswahlergebnisse auf regionaler Ebene. Alle nationalistischen oder rechtsextremen Parteien wurden in die Analyse einbezogen, die zwischen 1998 und 2017 zur Bundestagswahl antraten.“[29]https://www.ifo.de/pressemitteilung/2024-03-13/mehr-armutsgefaehrdung-fuehrtzu-mehr-stimmen-fuer-rechtsextreme

Ein Zusammenhang zwischen Zunahme der Armutsgefährdung und Zunahme der Rechtsextremen wird auch in einer Studie von Gabirel et al. (2023) bestätigt: „In einer kürzlich veröffentlichten Studie finden Gabirel et al. (2023) zum Beispiel, dass eine Reduktion der öffentlichen Ausgaben um ein Prozent[2] zu einem Anstieg der Stimmanteile extremer Parteien um drei Prozentpunkte führt. Dabei spielen sowohl ein Rückgang der Wahlbeteiligung nicht-extremer Wähler:innen als auch ein Anstieg der absoluten Stimmen für extreme Parteien eine Rolle.“[30]Max Krahé, Leo Mühlenweg „Unnötige Schwerlastprobe“, Artikel vom 24. Januar 2024 in: Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen; link: … Continue reading

Kausaler Zusammenhang durch die Geschichte bestätigt

Dieser Zusammenhang zwischen Zunahme der Armutsgefährdung und Zunahme der Rechtsextremen wird auch durch die Geschichte bestätigt: „In der wissenschaftlichen Diskussion sehen die meisten Autoren Brünings Austeritäts – und Deflationspolitik als schweren Fehler, der maßgeblich zum Kollaps der Weimarer Republik und zum Aufstieg Hitlers beigetragen habe. ”[31]Lukas Haffert, Die Schwarze Null. Über die Schattenseiten ausgeglichener Haushalte, Suhrkamp 2016, S. 35

„Brünings Austeritätspolitik hat wohl auch der NSDAP zusätzlich viele Wähler in die Arme getrieben. … Von der Wahl im September 1930 bis zur Wahl im Juli 1932, also nur zwei Monate nach dem Rücktritt Brünings, verdoppelte sich ihr Stimmanteil von 18 auf 37 Prozent.”[32]90 Jahre Brüning-Rücktritt: Austeritätspolitik schadete der Wirtschaft schon in den 1930er Jahren, Pressemitteilung des DIW Berlin, 16.6.2022 (Link: … Continue reading

Tarifflucht stoppen heißt Demokratie verteidigen

Aus diesem Zusammenhang zwischen Verschlechterung der Löhne und verbesserten Wahlergebnissen der AfD und Rechtsextremen ergibt sich die große Bedeutung, einem Trend entgegenzuwirken, der Tarifverträge nicht beachtet, aus ihnen flieht oder erst gar keine Tarifbindung eingeht. Das IAB: „In der Gesamtwirtschaft sank der Anteil der Beschäftigten in branchentarifgebundenen Betrieben von 1996 bis 2022 in Westdeutschland um 26 Prozentpunkte, in Ostdeutschland – ausgehend von einem deutlich niedrigeren Niveau – um 23 Prozentpunkte … Mittlerweile arbeiten 41 Prozent aller Beschäftigten in Betrieben, die weder tarifgebunden sind, noch über eine gesetzlich verankerte betriebliche Mitbestimmung verfügen.“[33]Christian Hohendanner, Susanne Kohaut „Tarifbindung und Mitbestimmung: Keine Trendumkehr in Westdeutschland, Stabilisierung in Ostdeutschland“, Artikel vom 20. Juli 2023 in: IAB-Forum; link: … Continue reading In diesem Artikel weist das Institut für Arbeitsmarkt – und Berufsforschung (IAB) darauf hin, dass „diese Entwicklung weitestgehend auf den Rückgang der Branchentarifbindung in der Privatwirtschaft zurückzuführen (ist).“ Umso wichtiger ist, dass die Branchentarifbindung im öffentlichen Sektor weiterhin stabil bleibt. Dabei beginnt alles mit der peinlich genauen Einhaltung von bestehenden Tarifverträgen.

Die Einhaltung von Tarifverträgen ist ebenso wie die Bindung an Tarifverträge die Brandmauer zur Verteidigung der Reallöhne und, wie die genannten wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, auch eine Brandmauer zur Verteidigung der Demokratie.

Zu Kriterium c.: Die Äußerungen erfolgten in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB)

Die beanstandeten Äußerungen auf der Homepage der ver.di Betriebsgruppe sind zudem gerechtfertigt, weil sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgten (§ 193 StGB).

„Berechtigt“ ist insbesondere das Interesse der Gewerkschaften, die Arbeits – und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder und der abhängig Beschäftigten insgesamt zu fördern. Man wird einem Gewerkschafter wie dem Kläger nicht verdenken können, dass er die Nichteinhaltung von mit der Beklagten vereinbarten Tarifverträge als aktive Bekämpfung von Mitbestimmung und demokratischen
Prozessen und damit letztlich auch als eine Kampfansage an die Gewerkschaften versteht. Was ist ein Tarifvertrag, was ist die mit seiner Vereinbarung verbundene gewerkschaftliche Mitbestimmung wert, wenn dieser Tarifvertrag von der Gegenseite nicht eingehalten wird?
Auch die Einhaltung von Mitbestimmungsrechten wie die Einhaltung der Mitbestimmung des PR bei Dienstplänen ist im Interesse der Gewerkschaften. Beginn und Ende der Arbeitszeit und Pausen sind Teil der Arbeitsbedingungen, an deren Regelung mit Zustimmung des PR die Gewerkschaften ein berechtigtes Interesse haben müssen, auch wenn sie nicht unmittelbar zuständig sind.

2. Gewichtung und Abwägung

Zwischen der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) des S. und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der FU (Art. 2 Abs. 1 i.V..m. Art. 1 GG) muss eine Abwägung stattfinden[34]BAG 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, NZA 2006, 650, 652 Tz. 27. Die einzelnen Abwägungskriterien, die herangezogen werden, müssen dabei gewichtet werden. Es ist schwerlich aufrechtzuerhalten, dass die Gewerkschaft trotz ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG hervorgehobenen Rechtsstellung weniger Möglichkeiten zur Bekundung ihrer Auffassungen als ein außerhalb des gewerkschaftlichen Bereichs handelnder einzelner Arbeitnehmer haben soll, der sich auf Art. 5 Abs. 1 GG stützt: Sinn des Art. 9 Abs. 3 GG ist unbestrittenermaßen nicht die Einengung, sondern die Verstärkung der dem isoliert handelnden Individuum zustehenden Rechte[35]W. Däubler „Gewerkschaftsrechte im Betrieb“, Baden-Baden, 2017, 12. Auflage Rn. 337. Daher ist auch bei gewerkschaftlichen Meinungsäußerungen die Lüth-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[36]BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 zu beachten: Die der gewerkschaftlichen Meinungsäußerungs-freiheit Schranken setzende Regelungen und gegenläufigen verfassungsrechtlich geschützten Positionen müssen ihrerseits aus der Erkenntnis der Werte setzenden Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ausgelegt und so in ihrer dieses Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden.

Wenn der abgemahnte Artikel „im Ergebnis“ dazu kommt, dass „auch die FU den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD fördert“, so ist dies keine Ehrverletzung und schon gar nicht eine Schmähkritik oder Formalbeleidigung. Diese Äußerung ist keine Missachtung, sondern eine Auseinandersetzung in der Sache und beruht auf wahren Tatsachen. Die Beklagte missachtet Tarifverträge und vergibt Reinigungsarbeiten an Fremdfirmen. Dass die Erledigung von Reinigungsarbeiten durch Fremdfirmen weit verbreitet ist, kann nicht die Flucht aus den sonst bei der Beklagten geltenden Tarifverträgen und die verheerenden Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche rechtfertigen. Die Beklagte beteiligt sich an einem Trend, der zur Absenkung von Löhnen führt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen die Folgen: Rechtsentwicklungen und gute Wahlergebnisse der AfD. Der Vorstand der ver.di Betriebsgruppe hat als Vertreter der Gewerkschaft ver.di in der FU ein berechtigtes Interesse an den Aussagen, die von der Beklagten beanstandet und abgemahnt wurden.

Für die Beklagte mag es nicht angenehm sein, dass die Veröffentlichung auf der Homepage der ver.di Betriebsgruppe eine weite Verbreitung erlaubt. Doch das muss die Beklagte hinnehmen. Das gilt ganz besonders, wenn die die herausragende Bedeutung auch der gewerkschaftlichen Meinungsfreiheit für die Demokratie berücksichtigt wird. Das Grundrecht des Klägers aus Art. 9 Abs. 3 GG wurde mit der Abmahnung, die im Wiederholungsfall eine Kündigung androht, verletzt. Der Kläger und die anderen Mitglieder des Vorstandes der ver.di-Betriebsgruppe setzen sich für eine Brandmauer zum Schutz von Tarifverträgen, Mitbestimmung und Demokratie auch an der FU ein. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Beklagte diese Bemühungen mit Maßnahmen der Einschüchterung beantwortet, die zu einem Klima der Angst führen.

Ergebnis: Die Abmahnung der FU verletzt die Koalitionsfreiheit des S.

Benedikt Hopmann, Rechtsanwalt

Reinhold Niemerg, Rechtsanwalt



References

References
1 Siehe https://www.verdi-fu.de/wordpress/2024/01/30/gegen-afd-und-die-abschiebe-undkuerzungspolitik-der-ampelregierung-kommt-zum-aktionstag-am-3-februar-13-uhr-bundestagswiese/
2 https://www.fu-berlin.de/informationen-fuer/beschaeftigte/aktuelles/news/240205-gegendarstellung-verdi/index.html.
3 https://mitgliedwerden.verdi.de/beitritt/verdi
4 Freie Universität enthält Beschäftigten seit Jahren tarifliche Zuschläge vor – Jetzt Mitglied werden und geltend machen! – ver.di-Betriebsgruppe (verdi-fu.de).
5 Offener Brief von Beschäftigten des Fachbereichs Veterinärmedizin an den Präsidenten der FU – ver.di-Betriebsgruppe (verdi-fu.de).
6 Offener Brief: Tarifvertragsverstöße müssen mit Streik beantwortet werden können! – ver.di-Betriebsgruppe (verdifu.
de).
7 Antwort des Senats auf die schriftl. Anfrage des Abg. Tobias Schulze
8 Antwort des Senats auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tobias Schulze vom 12. März 2024 zum Thema „Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt – zu Tarifverstößen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten an der Veterinärmedizin der FU Berlin, Drucksache 19 / 18 557.
9 Haushalt der FU Berlin, S. 18
10, 11 Interview in Wahlzeitung des PR FU
12 Bundesinnungsverband „Vielfalt, Integration und Toleranz statt Fremdenfeindlichkeit“ in: Die Gebäudedienstleister
(Anhang 4); link: https://www.die-gebaeudedienstleister.de/service/pressekommunikation/
imagekampagnen/integrationskampagne#:~:text=Rund
13 RTL-Bericht des Teams Wallraff vom 4. April 2024 „Schmutz und Gier – undercover in der Reinigungsbranche“ Minute 35:00 bis Minute 57:56, link: https://plus.rtl.de/video-tv/shows/team-wallraff-reporter-undercover-242031/2024-4-993984/episode-1-schmutz-und-gier-undercover-in-der-reinigungsbranche-973676
14, 15 Siehe vorhergehende Fn.
16 https://www.verdi-fu.de/wordpress/2024/01/29/der-umstand-dass-zuschlaege-nicht-zeitnah-gezahlt-werden-bestehtseit-jahren/
17 Anerkennungsbeschluss des VG Berlin v. 17. Mai 2023 Az.:VG 62 K 6/22 PVL
18 BVerfG 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12 juris Rn. – Rn. 115
19 z.B. Mitgliederwerbung, BVerfG 26. 05. 1970 – 2 BvR 664/65 juris Rn. – Rn. 25
20 BVerfG 28.04.1976 – 1 BvR 71/73
21 BVerfG 12. 06. 2018 – 2 BvR 1738/12 juris Rn. 25-28
22 BAG v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77 juris Rn. 32; die Aufhebung dieser Entscheidung durch das BVerfG 17.2.1981 – 2 BvR 384/78 beruht auf anderen Erwägungen und lässt daher die zitierte Aussage des BAG
unberührt.
23 BAG 29.8.2013 – 2 AZR 419/12 juris Rz.: 36 mit Verweis auf BVerfG 10. 10. 1995 – 1 BvR 1476/9, aaO.
24 BAG 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, 1. Orientierungssatz mit Verweis auf BAG v. 9.8.1990 – 2 AZR 623/89
25 BAG 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, juris Rz.: 30
26 BVerfG 25. 10. 2012 – 1 BvR 901/11 – Rn. 18.
27 BAG 29.8.2013 – 2 AZR 419/12 juris Rz.: 35.
28 BAG 29.8.2013 – 2 ZR 419/12 juris Rz.: 36 mit Verweis auf BVerfG 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05 – Rn. 23 11
29 https://www.ifo.de/pressemitteilung/2024-03-13/mehr-armutsgefaehrdung-fuehrtzu-mehr-stimmen-fuer-rechtsextreme
30 Max Krahé, Leo Mühlenweg „Unnötige Schwerlastprobe“, Artikel vom 24. Januar 2024 in: Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen; link: https://www.dezernatzukunft.org/unnoetige-schwerlastprobe/; der link zu der Untersuchung von Gabirel et al. (2023): https://direct.mit.edu/rest/articleabstract/doi/10.1162/rest_a_01373/117705/The-Political-Costs-of-Austerity?redirectedFrom=fulltext
31 Lukas Haffert, Die Schwarze Null. Über die Schattenseiten ausgeglichener Haushalte, Suhrkamp 2016, S. 35
32 90 Jahre Brüning-Rücktritt: Austeritätspolitik schadete der Wirtschaft schon in den 1930er Jahren, Pressemitteilung des DIW Berlin, 16.6.2022 (Link: https://www.diw.de/de/diw_01.c.842792.de/90_jahre_brueningruecktritt__austeritaetspolitik _schadete_der_wirtschaft_schon_in_den_1930er_jahren.html
33 Christian Hohendanner, Susanne Kohaut „Tarifbindung und Mitbestimmung: Keine Trendumkehr in Westdeutschland, Stabilisierung in Ostdeutschland“, Artikel vom 20. Juli 2023 in: IAB-Forum; link: https://www.iab-forum.de/tarifbindung-und-mitbestimmungkeine-trendumkehr-in-sicht/
34 BAG 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, NZA 2006, 650, 652 Tz. 27
35 W. Däubler „Gewerkschaftsrechte im Betrieb“, Baden-Baden, 2017, 12. Auflage Rn. 337
36 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198