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Die Bedeutung des 9. November 1918 für eine antifaschistische Politik

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In Teil I wird kurz eine Übersicht die Revolution 1918/19 und Gegenrevolution gegeben und in Teil II die Bedeutung der Nichtvollendung dieser Revolution für die antifaschistische Politik in sechs Thesen zusammengefasst (II).

I. Eine kurze Geschichte der unvollendeten Revolution von 1918 

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 war zugleich das Ende der ersten deutschen Republik.

Diese erste Republik war das Ergebnis der Revolution von 1918/19.

Bis dahin war Deutschland vorrepublikanisch geprägt. Die Unternehmer verfügten zwar nach der großen Industrialisierungswelle der vorangegangenen Jahrzehnte über die ökonomische Macht, Berlin war ein aus ganz Europa herausragendes industrielles Zentrum. Aber – anders als die französischen Unternehmer 1789 – hatten es die deutschen Unternehmer 1848 nicht vermocht, auch die politische Macht zu erringen. Die Verfügungsgewalt über die Exekutive und das Militär blieb weitgehend in der Hand des Adels, mit dem Kaiser an der Spitze. Der Kaiser ernannte und entließ den Reichskanzler, er war der oberste Heeresführer und entschied über Krieg und Frieden. Der Reichstag besaß lediglich das Recht, den staatlichen Haushalt zu verabschieden. Die abhängig Beschäftigten hatten weder die politische noch die ökonomische Macht.

1914 erklärte Deutschland Russland den Krieg. Die SPD verkündete: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich“. Und die Gewerkschaften verkündeten den so genannten „Burgfrieden“, d.h. sie verzichteten für die Dauer des Krieges auf jeglichen Streik.

Es dauerte eine Zeit, bis sich Widerstand regte. Er wurde nicht über die Gewerkschaften organisiert, sondern über die revolutionären Obleute, die allerdings alle erfahrene Gewerkschafter waren. Der  Widerstand zeigte sich in Arbeitsniederlegungen, die von immer mehr Beschäftigten befolgt wurden. Er richtete sich zunächst gegen die immer schlechtere Versorgung der Bevölkerung und wurde dann immer politscher, bis er zum Schluss unmissverständlich das Ende des Krieges forderte.

Im Herbst 1918 war es dann so weit. Von Kiel aus sprang der Funke auf andere Städte über, bis er am 9. November auch Berlin erreichte. Der Generalstreik am 9. November besiegelte das Ende des Krieges und des Kaiserreichs.

In den folgenden Monaten ging es darum, Entmilitarisierung und Demokratisierung voranzutreiben und zu festigen. Sebastian Haffner hat das in seinem Buch über die Novemberrevolution sehr prägnant beschrieben, auch die bremsende Rolle der SPD in diesem Prozess.

Militarismus zusammen mit Kaisertreue hatten im ersten Weltkrieg Millionen Tote gekostet. Wenn mit dieser Tradition gebrochen werden sollte, durften alle diejenigen, die bisher dafür gestanden hatten, nicht mehr in Amt und Würden bleiben. Aber sie blieben in der Justiz, in der Verwaltung und im Militär und durften weiter über Menschen entscheiden und die Gesellschaft im Inneren prägen. Hinter der Fassade der Demokratie existierte der undemokratische Geist der Kaiserzeit und Militarismus weiter. „Der Kaiser ging, die Generäle blieben“. Nicht nur die Generäle blieben. Obwohl es große Streiks für die Vergesellschaftung des Kohlebergbaus und der eisenschaffenden Industrie gab, weil sie in besonderen Maße den Krieg vorangetrieben und daran verdient hatten, wurde auch das große Kapital nicht angetastet. Das war die unvollendete Revolution.

Stattdessen wurden die Revolutionäre bekämpft, also diejenigen, die sich für das Ende von Krieg und für die Republik eingesetzt hatten. Im Frühjahr 1919 und 1920 nach dem Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Ludendorff Putsch wurden von Freikorps Tausende umgebracht. Dieser Putsch im Jahr 1920 war zwei Jahre nach der Revolution der erste Versuch, die ganze Republik zu beseitigen. 1920 konnte der Generalstreik dem noch ein Ende setzen. 13 Jahre später, gelang die Verteidigung der Republik nicht mehr. Alle organisierten Widerstandskräfte wurden zerschlagen. Hitler begann die Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges. Es sollte kein Massenwiderstand im Wege stehen wie im ersten Weltkrieg. Denn  diesen Widerstand betrachteten alle Reaktionäre als Grund für ihre  Niederlage im ersten Weltkrieg (Dolchstoßlegende). Hitler nannte immer wieder diejenigen, die die erste Republik und das Kriegsende durchgesetzt hatten, „Novemberverbrecher“.

Das war die Ausgangslage am 9. November 1938, als die  Reichspogromnacht den Boden für die systematische Vernichtung von Millionen Juden bereitete. Alle Kräfte, die sich dem hätten entgegenstellen könne, waren zerstört: Die Arbeiterparteien, die Gewerkschaften und alle anderen demokratische Organisationen und Parteien.    

Thesen zur Bedeutung dieser Revolution für eine antifaschistische Politik 

  1. Eine der zentralen Losungen der VVN-BdA ist: Nie wieder Krieg.  Schon aus diesem Grund muss die Revolution von 1918 für uns eine große Bedeutung haben. Denn diese Revolution von 1918 baute auf den Massenstreiks während des ersten Weltkrieges auf und war zuallererst eine Antikriegsbewegung. Massenstreiks gegen den Krieg in diesem Ausmaß hat es danach nie mehr gegeben.
  2. 1918 bis 1933 umfassten keine lange Zeit: 15 Jahre. Die meisten, die das Ende der ersten deutschen Republik mit der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler erlebten, hatten schon die Geburtsstunde dieser Republik in der Revolution am 9. November 1918 erlebt. 
  3. Aber es geht nicht nur um den engen zeitlichen Zusammenhang, viel wichtiger ist der  innere Zusammenhang zwischen der Nichtvollendung der Revolution 1918/19 und dem Sieg des Hitlerfaschismus 1933. Einer der wichtigsten Gründe für das Erstarken des Hitlerfaschismus war, dass die Anhänger von Militarismus und Monarchie nicht wirklich entmachtet worden waren und nicht ein starkes demokratische Fundament geschaffen wurde, so dass alle Reaktionäre mit der  Formierung des Faschismus alle Errungenschaften von 1918 beseitigen konnten.  
  4. Der Hitlerfaschismus war zunächst nichts anderes als die Zerstörung von allem, was die Revolution 1918 durchgesetzt hatte.
  5. Auch nach 1945 gelang es nicht, die Verantwortlichen für Krieg und Faschismus von den Ämtern in der Justiz, in den Verwaltungen und im Militär fernzuhalten, jedenfalls gilt das uneingeschränkt für Westdeutschland. Gut 10 Jahre später gab es auch wieder eine deutsche Armee – mit faschistischen Generalen an der Spitze. 
  6. In die Zeit der Restauration gehört auch, dass die Erinnerung an die Revolution 1918 fast vollständig ausgelöscht und auch damit das Werk des Faschismus weitergeführt wurde.
  7. Der Faschismus hatte den 9. November zu einem Tag des Gedenkens an diejenigen gemacht, die im Hitler – Ludendorff Putsch 1923 gegen die Republik getötet worden waren und damit die Erinnerung an den 9. November komplett auf den Kopf gestellt. Aus einem Tag der Erinnerung an die Geburtsstunde der Republik wurde ein Tag der Erinnerung an diejenigen, die sie am 9. November 1923 zerstören wollten.
  8. Auch die Reichspogromnacht 1938 fiel auf den 9. November. In einer Erklärung zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution, die von rund 170 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterstützt wurde, heißt es dazu: “Wir glauben nicht, dass die jährliche Erinnerung an die Reichspogromnacht von 1938 am 9. November die Erinnerung an die Revolution von 1918/19 am selben Tag ausschließt. Im Gegenteil: Wer angemessen an die Judenpogrome erinnern will, muss an die Zerstörung der Republik 1933 erinnern, die schon mit der blutigen Niederschlagung der Revolution 1918/19 begann. Die Machtübergabe an Hitler 1933 war die Vollendung der Gegenrevolution, völker- und massenmörderische Menschheitsverbrechen waren die Folge und der Antisemitismus von Beginn an Teil des konterrevolutionären Programms. 1933 waren die Gegenkräfte auch des Antisemitismus niedergeworfen, 1938 die Gewerkschaften und Arbeiterparteien längst verboten, alle demokratischen Rechte längst beseitigt“.
  9. Wer die Erinnerung an den 9. November 1918 vergisst, kann nicht angemessen an den 9. November 1938 erinnern.
  10. Der Schwur von Buchenwald lautet: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. Das waren auch die Ziele der Revolution von 1918: Gegen den Krieg und für die Republik und Demokratie. Die Antifaschisten nach 1945 und die Revolution 1918/19 kämpften für dasselbe Ziel: Den Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit. 
  11. Es gibt dafür zahllose Beispiele. Zwei möchte ich hier nennen:    
  12. Der Artikel 15 Grundgesetz wurde fast wortgleich aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen. Allein aufgrund des enormen Drucks der Revolution 1918/19 wurde dieser Artikel in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen (Art. 156 Satz 1 WRV), der die Vergesellschaftung großen Kapitals ermöglicht. Er wurde in das Grundgesetz aufgenommen, weil es nach dem zweiten Weltkrieg allgemeine Überzeugung war, dass das große Kapital eine Mitverantwortung für den Faschismus hatte. Wie schon nach dem ersten Weltkrieg wurde er auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht angewandt. Nach 100 Jahren ist aber jetzt die Rechtsgrundlage für die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
  13. Ein Denkstein auf dem alten Friedhof in Buer Gelsenkirchen stellt ebenfalls diesen Zusammenhang dar. In der Mitte auf diesem Gedenkstein steht: „Zerstampft des Unrechts Drachensaat / Zerstampft den Hass von Staat zu Staat / Versenkt die Waffen in Gewässern / Dann wird im Friedenssonnenschein / Die ganze Welt uns Heimat sein“ Auf der linken Seite sind die Namen derer genannt, die als Mitglieder der Roten Ruhrarmee gegen den Kapp-Putsch ermordet wurden. Das Denkmal wurde von den Nazis zerstört. Auf Initiative des „Komitees ehemaliger politscher Gefangener und Konzentrationäre“, aus der später die VVN hervorging, wurde es nach dem Krieg neu errichtet. Nun wurden auf der rechten Seite die Namen von ermordeten Mitgliedern von Arbeiterorganisationen und von Angehörigen zwei jüdischer Familien hinzugefügt, die von den Nazis ermordet wurden.
  14. Die VVN-BdA Kreuzberg Friedrichshain hatte in ihrer Rede am 8. Mai darauf hingewiesen, dass sich die Häftlinge in Buchenwald in den letzten Stunden vor der Befreiung durch die amerikanische Armee selbst befreien konnten. Dieser Moment der Selbstbefreiung ist gerade deshalb so bedeutsam, weil insgesamt die Befreiung vom Faschismus keine Selbstbefreiung war. „Befreiung“ hat auf der Demonstration am 8. Mai eine sehr große Rolle gespielt. „Befreiung“ stand auf dem Transpart, das an der Spitze des Zuges getragen wurde. Befreiung wurde als gegenwärtige Aufgabe verstanden. Und das kann nur Selbstbefreiung sein. Wir müssen uns mit allen anderen, die in diese Richtung gehen, dafür einsetzen, dass dieses Land von Rassismus, aber auch von Kriegsgefahr und Unterdrückung befreit wird.
  15. Als Beispiel für Selbstbefreiung ist die Revolution von 1918/19 das große Beispiel in unserer Geschichte. Die Revolution von 1918 war ein Massenkampf von enormem Ausmaß und hatte auch mindesten zum Teil Erfolg. Denn sie besiegelte nicht nur das Kriegsende, sondern schuf auch die erste deutsche Republik für die Dauer von 15 Jahren, während der erste Versuch 1848 soweit gar nicht kam, sondern schon vorher mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. 
  16. In Frankreich ist der 14. Juli, der Tag des Sturms auf die Bastille, der wichtigste Nationalfeiertag; Denn dieser Tag legte 1789er den Grundstein für die erste französische Republik. Sicher wird dieser Tag von der herrschenden Schicht stark vereinnahmt, zum Beispiel zeigt die französische Armee an diesem Tag in jedem Jahr ihre neueste Waffentechnik auf dem Champs Elysee. Aber das ist nur die eine Seite. Dieser Tag des Aufstandes ist tief in der französischen Bevölkerung verankert. Er wird in jedem Dorf gefeiert. Die Gelbwesten riefen bei ihren Protesten: „Macron in die Bastille“.
  17. Bei uns ist der entsprechende Tag der 9. November. Er kann wegen des 9. November nicht gefeiert werden, aber als nationaler Gedenk- und Erinnerungstag an den 9. November 1918 und den 9. November 1938 muss er ein arbeitsfreier werden.

Kleine Geschichte der Leiharbeit – Gesamtfassung

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– Inhaltsverzeichnis –

jede der folgenden blauen Zeile kann man zum Weiterlesen anklicken und weiterlesen:

1. Leiharbeit bis 1945

2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

3. Besserer Schutz durch ein Gesetz (AÜG)?

4. Deregulierung und Demontage

5. „equal pay“ und Niedriglohnsektor

6. Leiharbeit gefährdet das Streikrecht


1. Leiharbeit bis 1945

25. August 2020 von benhop

Bis 1967 war Leiharbeit verboten.

Das war nicht immer so.

Bis zum ersten Weltkrieg war die Verleihung von Arbeitskräften und Stellenvermittlung überwiegend das Geschäft von einigen Tausend privaten Vermittlern.

Die Wende kam in der Folge der Novemberrevolution.

Eine öffentliche Stellenvermittlung löste Schritt für Schritt die Arbeitsvermittlung durch privates Gewerbe ab[1]  vgl. Abkommen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vom 15. November 1918: „Die großen Arbeitgeberverbände vereinbaren mit den Gewerkschaften der Arbeitnehmer u.a.: „… 5. … Continue reading.

Da die Verleihung von Arbeitskräften durch privates Gewerbe als Arbeitsvermittlung galt, war sie, ebenso wie die private Arbeitsvermittlung, ab dem 31. Januar 1931 verboten.

Das Verbot der Verleihung von Arbeitskräften als privates Gewerbe wurde während des Faschismus aufgehoben. Arbeitskräfte wurden in großem Umfang zur Zwangsarbeit verliehen. Auch die Arbeitsämter selbst organisierten Zwangsarbeit und die Versorgung von Rüstungsbetrieben und anderen kriegswichtigen Betrieben mit Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit sank, weil die Rüstungsproduktion stieg. Erst Millionen Arbeitslose, dann Millionen in der Rüstungsproduktion, dann Millionen Kriegstote.

Nach dem Krieg wurden die Vorschriften zur Arbeitsvermittlung und zur gewerbsmäßigen Verleihung von Arbeitskräften aus der Weimarer Republik wurden nahezu wortgleich übernommen. Gewerbsmäßige Arbeitskräfteverleihung galt wieder als Arbeitsvermittlung, verstieß damit wieder gegen das Alleinvermittlungsrecht der Arbeitsämter und war also wieder verboten.


2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

1967 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitskräfteverleihung auf[2]BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994.

Wer aber meint, ein erneutes Verbot der Leiharbeit werde wieder am Bundesverfassungsgericht scheitern, kann sich auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berufen. Das Bundesverfassungsgericht traf seine Entscheidung unter Annahmen, die heute nicht mehr gegeben sind[3]Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.. Es  formulierte Voraussetzungen, die nicht mehr erfüllt werden. Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist nicht mehr „sehr begrenzt“[4]BVerfG a.a.O. Die Verträge des Verleihers mit seinen Leiharbeitern werden nicht mehr nur „auf Dauer“ vereinbart[5]BVerfG a.a.O.. Und schließlich werden überwiegend Menschen  beschäftigt, für die das Leiharbeitsverhältnis die einzige Existenzgrundlage ist[6]Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19.

Dem Bundesverfassungsgericht war die Freiheit der Unternehmer, Arbeitskräfteverleihung als Gewerbe zu betreiben, wichtiger als der arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Schutz dieser Arbeitskräfte. Der Befürchtung, dass die Leiharbeitskräfte dieses Schutzes beraubt würden, begegnete das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Gerichte, bei denen ein Leiharbeiter seine Ansprüche einklagen könne.

Dass das nicht reichte, zeigte sehr schnell die Realität. Die elementarsten Unternehmerpflichten wurden von den Verleihern nicht eingehalten: Löhne wurden vorenthalten und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Dabei nahm die Zahl der Verleihfirmen sprunghaft zu.


3. Besserer Schutz durch ein Gesetz (AÜG)?

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Zur wirksameren Unterbindung solcher Verstöße beschloss der Bundestag 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)[7]AÜG vom 7. August 1972 (BGBl. Teil 1 S. 1393.

Dieses Gesetz regelte zulässige Arbeitskräfteverleihung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Danach hat ein Verleiher das Recht, eine Arbeitskraft an ein anderes Unternehmen weiter zu verleihen, und übernimmt gleichzeitig für diese Arbeitskraft die üblichen Pflichten eines Unternehmers (Lohnzahlung, Lohnfortzahlung im Urlaub und bei Krankheit, Kündigung nach den Regeln des Kündigungsschutzgesetzes usw.). Grundlage ist ein Vertrag, den Verleiher und Leiharbeiter miteinander vereinbaren und der „während der Zeit, in der der Arbeitnehmer in dem fremden Betrieb tätig wird, weiter besteht“[8]BVerfG a.a.O..

Die Verleihung der Arbeitskraft wird in einem gesonderten Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher, zum Beispiel Daimler, vereinbart (Arbeitnehmer-Überlassungsvertrag[9]Muster können aus dem Internet heruntergeladen werden ).

Der Verleihung von Arbeitskräften ist ein besonderes wirtschaftliches Risiko eigen; denn nach einer abgeschlossenen Verleihung in einen Einsatzbetrieb können Anschlussaufträge fehlen, also einsatzfreie Zeiten drohen. Das Gesetz wollte   verhindern, dass der Verleiher dieses Risiko auf die Leiharbeitskraft abwälzt. Deswegen ordnete es an, dass der Vertrag des Verleihers mit seinem Arbeiter grundsätzlich nicht befristet ist (besondere Befristungsverbote)[10]§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5 AÜG  i.d.F. v. 7.8.1972.;  insbesondere darf dieser Vertrag nicht auf den Zeitraum des ersten Einsatzes beschränkt sein (Synchronisationsverbot). Dabei verpflichtet das Gesetz den Verleiher zwingend, dem Leiharbeiter den Lohn auch in Arbeitszeiten weiter zu zahlen, in denen er ihn nicht beschäftigen kann[11]so genannter Annahmeverzug, der für jeden Arbeitgeber gilt, § 615 Satz 1 BGB, der nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG bei einem Leiharbeiter nicht durch Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden kann

Das Gesetz wollte zudem verhindern, dass ein  Leiharbeiter auf Dauer in einem Betrieb eingesetzt werden kann. Wenn Daimler eine Arbeitskraft für mehr als 3 Monate brauchte, sollte Daimler eine Stammarbeitskraft einstellen. Das regelte das Gesetz dadurch, dass es eine Höchstverleihdauer anordnet.  Länger als drei Monate durfte kein Leiharbeiter bei Daimler eingesetzt werden.  

Besonders wichtig sind die Vorschriften zur staatlichen Aufsicht des Verleihers und die Sanktionen zur  Einhaltung und Durchsetzung der Schutzvorschriften dieses Gesetzes[12]Bei Verletzungen von Vorschriften  dieses Gesetzes drohen überdies  Bußgelder (§ 16 AÜG) und andere Sanktionen (z.B. Strafen wegen Steuerhinterziehung oder Beitragshinterziehung, weil Steuern … Continue reading). Das Verleihen von Arbeitskräften bedarf einer besonderen Erlaubnis[13]§ 1 Abs. 1 S. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972; die Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit (§ 17 AÜG), „um illegale Praktiken zu unterbinden“[14]Minister Arndt in Bundestagsdebatte v. 21.06.1972 BT-Protokolle 6. Wahlperiode 194. Sitzung S. 11379. Wenn der Verleiher  ohne Erlaubnis handelt, wird durch Gesetz aus der Leiharbeitskraft eine Stammarbeitskraft von Daimler[15]  §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972.

Obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verabschiedet worden war, um Leiharbeitskräfte besser zu schützen, konnte es nie auch nur die elementarsten Rechte der Leiharbeitskräfte sicherstellen. Leiharbeiter selbst nehmen diese  Rechte nur selten wahr; die Rolle, die ihre Verleiher dabei spielen, verschweigen sie. Angst leitet das Verhalten der Leiharbeiter, Angst als Kehrseite der Schutzlosigkeit und Unterdrückung[16]Ein Beispiel: „Sowohl im Jahr 1978 als auch im Jahr 1979 wurde beobachtet, dass vor Feiertagen, insbesondere in der Weihnachts-/Neujahrswoche eine ungewöhnlich große Anzahl von Leiharbeitnehmern … Continue reading.  


4. Deregulierung und Demontage

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

In den 80er Jahren wurde ein fundamentaler Umbruch im Arbeits- und Sozialrecht eingeleitet, der bis heute andauert. Seitdem konzentrieren sich alle Bundesregierungen  – unabhängig davon, ob sie schwarz/gelb,  rot/grün oder schwarz/rot zusammen gesetzt sind – darauf, die Dämme einzureißen, die die abhängig Beschäftigten zu ihrem Schutz über Jahrzehnte erkämpft hatten (Deregulierung)[17]vgl. Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394. Die im Jahr 2002/2003 beschlossenen Hartz Gesetze sind der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.


4.1 Die Demontage des AÜG

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Die Deregulierung oder – besser gesagt-  die Demontage des AÜG erfasste Schritt für Schritt alle wesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes:

  1. die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf,
  2. die besonderen Befristungsverbote für Verträge zwischen Leiharbeiter und Verleiher, und
  3. die Sanktionen bei  illegaler Leiharbeit.

Alles begann 1985 mit dem so genannten Beschäftigungs-förderungsgesetz[18]Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG v. 26.04.1985 BGBl. Teil I S. 710) : Die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf, wurde von drei auf sechs Monate erhöht[19] § 3 Abs. 1 Nr. 6 a.F. AÜG.

In den folgenden Jahren wurde diese zulässige Höchstverleihdauer Schritt für Schritt  immer mehr ausgeweitet: Von 6 auf 9 Monate, von 9 auf 12, von 12 auf 24 Monate; 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze wurde sie vollständig gestrichen. Das öffnete der Verdrängung von Stammarbeitskräften durch billigere Leiharbeitskräfte Tür und  Tor.

Die Tore wurden nie wieder geschlossen, nicht durch  die 2011 eingeführte Eingrenzung der Verleihdauer[20]Diese Eingrenzung der Verleihdauer wurde notwendig aufgrund der Leiharbeit-EU-Richtlinie auf eine  „vorübergehende“ Verleihung und auch nicht durch die Neufassung des AÜG aus dem Jahr 2016[21] Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 18/9232) nach zweiter und dritter Lesung am 21.10.2016 am selben Tag beschlossen (BT-Protokolle 18/197 v. … Continue reading. In dieser jüngsten Neufassung  wird für Verleiher die Höchstverleihdauer von Arbeitskräften auf 18 Monate eingeschränkt; doch nach drei Monaten kann eine Leiharbeitskraft wieder nach Daimler zurückkehren. Damit wird die ursprüngliche Höchstverleihdauer aus dem Jahre 1972 von drei Monaten immer noch um das 6fache übertroffen; es wird auch nicht unterbunden, dass nach spätestens 18 Monaten auf demselben Arbeitsplatz eine neue Leiharbeitskraft, und danach wieder die alte Leiharbeitskraft  eingesetzt wird und so durch abwechselnden Einsatz zweier Leiharbeitskräfte eine Stammarbeitskraft auf diesem Arbeitsplatz nie mehr zum Zuge kommt[22]Es ist fraglich, ob die Gerichte nach dieser neuen Regelung zu einer Rechtsfortbildung bereit sind, die die dauerhafte Besetzung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeitskräfte ausschließt (vgl. zur … Continue reading. Dieser Arbeitsplatz wird nicht mehr nur vorübergehend, sondern auf Dauer durch Leiharbeitskräfte besetzt. Eine gesetzliche Regelung, die das ausschließt, ist nicht unmöglich, wie Arbeitsministerin A. Nahles meint[23]A. Nahles BT Protokolle 18. Wahlperiode 190 Sitzung v. 22.09.2016, S. 18764  ; denn eine solche Regelung, einschließlich der entsprechenden Rechtsprechung, existiert bereits für befristete Einstellungen mit sachlichem Grund[24]Eine befristete  Einstellung ist zulässig, „wenn der betriebliche Bedarf an Arbeitsleistung vorübergehend ist“ (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG); vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: … Continue reading. Die Ministerin hätte sich  für eine entsprechende Regelung im AÜG einsetzen können, so dass eine Tätigkeit nicht mehr auf Dauer nur von Leiharbeitskräften erledigt werden kann[25]Eine solche Regelung kann nicht eine Regelung zur Höchstverleihdauer ersetzen, sondern nur ergänzen  . Konsequenter wäre es jedoch, den Einsatz von Leiharbeitskräften ganz zu verbieten. Bei vorübergehendem betrieblichem Bedarf an Arbeitsleistung haben die Unternehmer dann immer noch die Möglichkeit, eben aus diesem Sachgrund befristet einzustellen[26]So auch der Abg. der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst in seiner Rede im Bundestag am 21.10.2016 (zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des AÜG, BT-Protokolle 18/197 Sitzung v. 21.10.2016 … Continue reading.

Die  jüngste Neufassung sieht zudem eine unbegrenzte Erhöhung der Verleihdauer vor, wenn sie durch die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche tarifvertraglich vereinbart wird. Dementsprechend hat die IG Metall mit GesamtMetall die  Möglichkeit eröffnet, im Rahmen von freiwilligen Betriebsvereinbarungen die Höchstverleihdauer auf 48 Monaten und im Einzelfall darüber hinaus zu verlängern; kommt eine Betriebsvereinbarung nicht zustande gilt eine  Höchstverleihdauer von 24 Monaten. Einer gerichtlichen Überprüfung werden solche Betriebsvereinbarungen  ebenso wenig wie die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen im Tarifvertrag und Gesetz standhalten[27]Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. … Continue reading.       

Die besonderen Befristungsverbote im  Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurden zunächst gelockert und dann 2002/2003 – im Zuge der Hartz Gesetze – ganz gestrichen, auch das so genannte Synchronisationsverbot, das eine Begrenzung des Arbeitsvertrages auf die Dauer des ersten Einsatzes untersagte. Seitdem gelten bis heute nur noch die Befristungsregeln, die grundsätzlich für alle Arbeitsverträge gelten[28]Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. … Continue reading. In den ersten beiden Jahren kann der Verleiher demnach  Befristungen mit seiner Leiharbeitskraft vereinbaren, die mit dem Ende der ersten Verleihung auslaufen. Dadurch kann der Verleiher das wirtschaftliche Risiko fehlender Anschlussaufträge und einsatzfreier Zeiten voll auf den Leiharbeiter abwälzen – und damit genau das tun, was 1967 das Bundesverfassungsgericht und 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausgeschlossen hatten.

Die Sanktion wegen illegaler Leiharbeit lief zunehmend ins Leere. Wir erinnern uns: Diese Sanktion besteht darin, dass Leiharbeiter durch Gesetz zu Stammarbeitern von Daimler werden. Sie galt nach dem AÜG von 1972 auch bei der Überschreitung der Höchstverleihdauer, wurde aber 1997 für diesen Fall aufgehoben[29]Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung AFRG v. 24.3.1997 BGBl I S. 594; vgl. BAG v.10.12.2013 9 AZR 51/13. Werkvertragsunternehmen droht diese Sanktion, wenn ihr Einsatz in den Betrieben nur dem Namen nach Werkvertrags-Tätigkeit, in Wirklichkeit aber Leiharbeit ist (verdeckte Leiharbeit); denn dafür fehlt ihnen die Erlaubnis, ohne die Verleiher ihr Geschäft nicht betreiben dürfen. Werkvertragsunternehmen entgingen dieser Sanktion, indem sie einfach auf Vorrat eine Erlaubnis beantragten – als ‚Rettungsschirm‘ für den Fall, dass ihr Werkvertrags-Einsatz als Leiharbeit ‚enttarnt‘ wurde[30]Diese Praktik wurde vom BAG  u.a. deswegen als gesetzeskonform gewertet, weil der Bundestag sie gebilligt hatte ( BAG v. 12.7.2016 AZR 352/15). Die jüngste Neufassung des AÜG des Jahres 2016 unterbindet diese Erlaubniserteilung auf Vorrat und kehrt auch bei Überschreitung der Höchstverleih-dauer wieder zu der Sanktion zurück wie sie bis 1997 nach dem AÜG galt.


4.2 Das Begründungsmuster

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Das Muster, mit dem der Abbau von sozialen Rechten und Arbeitsrechten begründet wird, lässt sich schon an der  Begründung des Beschäftigungsförderungsgesetzes des Jahres 1985 ablesen. Während die sozial-liberale Bundesregierung 1972 die Verabschiedung des Arbeitnehmerüberlassungs-gesetzes ausschließlich mit der Notwendigkeit begründete, den Schutz der Leiharbeitskräfte zu verbessern[31]Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Drs. VI/2303, S., baute die christlich-liberale Bundesregierung genau diesen Schutz mit der Begründung ab, „zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“[32]Gesetzesentwurf Drs. 10/2102, S. 1.. Die Bundesregierung behauptete, dieses Ziel u.a. durch Erleichterungen bei der Verleihung von Arbeitskräften erreichen zu können. Dadurch würden die Unternehmer, statt Überstunden abzubauen, mehr Leiharbeiter einstellen[33]Bundesrat Drs. 393/84 S.16, 20 f. Neben der Erleichterung der Leiharbeit erlaubte die Bundesregierung in diesem Gesetz vor allem auch erstmalig die befristete Einstellung ohne Begründung; davor … Continue reading.

Das zuständige Bundesministerium gab eine Überprüfung dieses Gesetzes auf seine Beschäftigungswirkung in Auftrag. Diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis: Das Beschäftigungsförderungsgesetz hatte nur „marginale direkte Zusatzeinstellungs-Effekte“[34]empirische Evaluation des BeschFG im Auftrag des BMAS, vom Wissenschaftszentrum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Infratest, München, zwischen 1987 und 1989 durchgeführt; Grundlage … Continue reading

Entscheidend ist eben, dass ein Unternehmen nicht einstellt, wenn  die Aufträge fehlen. Die Beschäftigungslage hängt von der Auftragslage in den Unternehmen ab und nicht von Erleichterungen bei der Einstellung von Leiharbeitern. Die Propagierung der Deregulierung als Beschäftigungs-förderung[35]Mit ihrer Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz machte sich die Regierung „die Kritik der ‚De-regulierungs‘-Befürworter am Kündigungsschutz zu eigen“ (Büchtemann … Continue reading ist ein ausgemachter Unsinn mit allerdings bösen Folgen für die abhängig Beschäftigten, die ihrer Schutzrechte beraubt werden.

Zusätzliche Beschäftigung durch Einstellung von mehr Leiharbeitskräften ist kein erstrebenswertes Ziel.  Die IG Metall propagierte stattdessen, die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen, und  war mit diesem Ziel in ihren bisher letzten großen Kampf gezogen, den Kampf um die 35 Stunden Woche[36]Auch die SPD lehnte das Beschäftigungsförderungsgesetz ab. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schaffe keine Beschäftigung. Sie forderte „die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, … Continue reading).

Dagegen lief die von der Kohlregierung propagierte Politik auf nichts anderes hinaus, als die Arbeitslosigkeit zu nutzen, um die Positionen der Unternehmer zu stärken. Sie nutze die Angst vor Arbeitslosigkeit und machte daraus ein Programm zum Abbau von Schutzrechten in Zeiten, in denen der Druck auf die abhängig Beschäftigten am größten ist und sie diese Rechte am meisten  brauchen.

„ Mehr Arbeit durch weniger Rechte und weniger sozialen Schutz“ – das sollte das Grundmuster für die Begründung aller folgenden Gesetze sein,  die auf den Abbau von sozialen Rechten und Leistungen  gerichtet waren – obwohl sich dieses Muster schon als  Begründung  für das Beschäftigungs-förderungsgesetz als nicht tragfähig erwiesen hatte.

Die Hartz Gesetze standen unter dem Motto: „Sozial ist was Arbeit schafft“. 

Typischerweise gehen diese Angriffe auf die abhängig Beschäftigten einher mit Angriffen auf ihre Gewerkschaften. So auch im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen. Bundeskanzler Schröder drohte in seiner 2010-Agenda-Rede wörtlich: „Die verantwortlichen – Gesetzgeber wie Tarifpartner – müssen in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktlage ihre Gestaltungsspielräume nutzen, um Neueinstellungen zu erleichtern. … Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien entlang dessen, was es bereits gibt – aber in weit größerem Umfang – auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln wissen“[37]Bundestagsprotokolle 15. Wahlperiode 32. Sitzung Freitag, den 14. März 2003, S. 2487. Damit reihte sich der Bundeskanzler in die Linie von CDU/CSU und FDP ein und propagierte die Bekämpfung der  Arbeitslosigkeit durch Bekämpfung tariflicher Mindeststandards – wenn nicht mit den Gewerkschaften (durch ausufernde Öffnungsklausel), dann gegen sie[38]Vgl. Hopmann, Köbrich, Linder „Angriff auf die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit“ Sozialismus 12/2003 S. 48 ff..    

Was die Hartz Gesetze in den Köpfen angerichtet haben, ist  ebenso verheerend wie die Hartz Gesetze selbst. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen erheblich gesunken. Die meisten damaligen Befürworter der Hartz Gesetze[39]Bei den Hartz Gesetzen lag die Regie in den Händen einer  rot/grünen Bundesregierung. Weil aber auch der Bundesrat den Gesetzen zustimmen musste und die Mehrheiten im Bundesrat andere waren als … Continue reading führen das  nicht auf eine bessere Konjunktur, sondern auf diese Gesetze zurück.

Die nächste Krise kommt bestimmt und ebenso sicher werden die Unternehmer versuchen, dann noch mehr Rechte der Beschäftigten abzubauen. Das Begründungmuster ist schon bekannt: Es wird dasselbe sein, wie das der vorangegangenen Jahre.

Es ist eine Politik mit verheerenden Folgen. Das zeigt der enorme Wählerzulauf für die AfD, die die Unzufriedenheit auf  völkische und rassistische Mühlen lenkt. Auch ein Blick zurück in die Geschichte schärft den Blick für die Konsequenzen, die eine Politik des Abbaus von Arbeitsrechten und sozialen Leistungen nach sich zieht: Zum Ende der Weimarer Republik verfolgte die  Regierung Brüning einen rigorosen Sparkurs und senkte Sozialausgaben und Löhnen durch Notverordnungen.  Die folgende Regierung Papen erließ am 5. September 1932 eine Notverordnung, die den Unternehmen erlaubte, bei Neueinstellungen unter die tarifvertraglichen Lohnsätze zu gehen. Den Gewerkschaften wurde durch eine weitere Verordnung vom 3. Oktober 1932 der Kampf dagegen verboten[40]Zu diesen beiden Verordnungen im Einzelnen: M. Kittner Arbeitskampf S. 496 f; auch diese Notverordnung führte zu keiner „Vermehrung von Arbeitsgelegenheiten“, wie es der Name dieser Vorordnung … Continue reading. Alles „zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit“, so der Name der Notverordnung vom 5. September 1932. 1933 folgte der Hitlerfaschismus, die Zerschlagung der  Gewerkschaften und wenige Jahre später Krieg.


5. „equal pay“ und Niedriglohnsektor

Juni 12, 2021 von admin

23. April 2021 von Benedikt Hopmann

Die rot/grüne Bundesregierung verbarg 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze den Abbau von Schutzrechten für Leiharbeitskräfte hinter dem Versprechen, Leiharbeitskräfte Stammarbeitskräften gleichzustellen; sie versprach nicht nur gleichen Lohn für gleiche Arbeit („equal pay“), sondern insgesamt gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit[41]Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232.  

Was der zuständige Minister der SPD Wolfgang Clement tatsächlich mit „equal pay“ meinte, hatte er schon am 29. November 2002 im Bundesrat gesagt: Tarifabschlüsse unterhalb von „equal pay“[42]Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524..

Die Leiharbeit sollte mit Hilfe von Tarifverträgen aus der „Schmuddelecke“ geholt werden[43]Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233, um einen Niedriglohnsektor[44]„… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. … Continue reading) zu schaffen.   

Tatsächlich wurde in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Regelung aufgenommen, die für Leiharbeitskräfte dieselben Arbeitsbedingungen vorschreibt wie die, die für Stammarbeitskräfte gelten. Diese Vorschrift lässt aber eine Ausnahme zu: Abweichende Regelungen durch Tarifvertrag.

Seitdem können durch Tarifvertrag auch schlechtere Arbeitsbedingungen, insbesondere auch schlechtere Löhne vereinbart werden als die, die für die Stammarbeitskräfte gelten[45]§ 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.. Nach der jüngsten Neuregelung sind schlechtere Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag immer noch 9 Monate lang möglich und diese Frist kann sogar noch verlängert werden – wieder durch Tarifvertrag[46]§ 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des … Continue reading. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es überhaupt nur jede vierte  Leiharbeitskraft länger als 9 Monate bei ein und denselben Verleiher aushält[47]vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.. Ein Verleiher kann eine Gleichstellung für zwei Leiharbeiter zum Beispiel dadurch vermeiden, dass er sie  halbjährlich wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt[48]Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f..  Diese beiden Leiharbeitskräfte werden den Stammarbeits-kräften nie gleichgestellt, ersetzen aber in jedem der beiden  Entleihbetrieb eine Stammarbeitskraft.

Der Gesetzgeber hätte darauf verzichten können, für den Leiharbeiter nachteilige tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz zu erlauben. Das hat die Bundesregierung aber im Interesse des Kapitals nicht getan, auch nicht in der Neufassung von 2016.

Das gesetzliche Angebot zum Abschluss von Tarifverträgen ist vergiftet. Tarifverträge dienen dazu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Funktion von Tarifverträgen wird auf den Kopf gestellt, wenn das gesetzliche Angebot zum Abschuss von Tarifverträgen tatsächlich auf ein Angebot zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinausläuft. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der DGB bis heute auf dieses vergiftete Angebot einlässt anstatt durch Verzicht auf Tarifverträge dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz von Stammarbeitern und Leiharbeitern Geltung zu verschaffen[49]Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die … Continue reading.

Die gewerkschaftliche Handlungsmacht in den Unternehmen der Leiharbeitsbranche reicht nicht aus, um in Tarifverträgen eine Gleichstellung durchzusetzen. Die Einzelgewerkschaften sind deswegen dazu übergegangen in Verhandlungen über die  Flächentarifverträge der Stammbelegschaften Leiharbeiter-Zuschläge durchzusetzen. Aber auch das hat bisher nicht  annähernd zu einer Gleichstellung von Leiharbeitern und Stammarbeitern geführt. Das mittlere Bruttomonatsentgelt einer Leiharbeitskraft beträgt trotz der vereinbarten Tarifverträge immer noch nur knapp 60 % des mittleren Bruttomonatsentgelts aller Vollzeitbeschäftigten[50]Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916.

Die Hartz Gesetze erleichtern einerseits den Verleihern die Verleihung von Arbeitskräften und erhöhen andererseits den  Druck auf Arbeitslose, Stellenangebote von Verleihern anzunehmen. Die im Zuge der Hartz Gesetze verschärften  Zumutbarkeitsregeln und die Sanktionen, die bei Ablehnung einer angebotenen Stelle zunächst eine Kürzung und im zweiten Wiederholungsfall sogar die vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) vorsehen[51]Zur Zumutbarkeit:  § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II. , treiben  Arbeitslose, spätestens nach 12 Monaten[52]Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit  gelten … Continue reading Arbeitslosigkeit, in die Leiharbeit. Im Juni 2016 waren 2,6 Millionen Menschen arbeitslos, aber nur 664.872 offene Stellen gemeldet, davon waren ein Drittel Stellenangebote von Verleihern[53]Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen.

Bundeskanzler Schröder 2005 in Davos:

„Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung  Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt“ 


6. Leiharbeit gefährdet das Streikrecht

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Das Einzige, was die abhängig Beschäftigten haben, um ihre Interessen gegen die Unternehmer zu verteidigen, ist das  gemeinsame Handeln. Das ist gefährdet, solange den Unternehmen das Recht eingeräumt wird, neben Stammarbeitskräften Leiharbeitskräfte einzusetzen. Insbesondere gefährdet der Einsatz von Leiharbeitskräften eine wirksame Ausübung des Streikrechts[54]Das Streikrecht ist Ausdruck der Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist; das Streikrecht ist ein Grundrecht.

Auch nach den 2016 beschlossenen Änderungen  des AÜG ist es dem Entleiher nicht verboten, Leiharbeiter in einem bestreikten Betrieb einzusetzen. Dem Entleiher ist es nur verboten, einen Leiharbeiter für Tätigkeiten einzusetzen, „die bisher von Arbeitnehmern erledigt wurden, die

1. sich im Arbeitskampf befinden oder

2. ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die sich im Arbeitskampf befinden, übernommen haben“[55]§ 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG n.F...

Für Leiharbeiter, die nicht unter dieses Verbot fallen, bleibt es bei der schon bisher  geltenden Regelung: Sie müssen selbst entscheiden, ob sie ihr Recht auf Leistungsverweigerung wahrnehmen wollen[56]Leiharbeiter, deren Einsatz dem Entleiher nicht verboten ist, sind „nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist“ § 11 … Continue reading und machen in der Regel wegen Angst vor Repressalien von diesem Recht keinen Gebrauch[57]schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.69. Das gefährdet eine wirksame Ausübung des Streikrechts, und zwar umso mehr, je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb schon vor Arbeitskampfbeginn eingesetzt wurden. Je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb arbeiten umso schwerer wird es für die Stammarbeiter, diesen Betrieb im Arbeitskampf zum Stillstand zu bringen.

Wenn Unternehmer  einwenden,  ein vollständiges Einsatzverbot von Leiharbeitern in einem bestreikten Betrieb zerstöre die Kampfparität[58]So der BDA in seiner schriftlichen Stellungnahme v. 12.10.2016 Ausschussdrucksache 18(11)740 S. 36., dann kann man nur erwidern: Die Kampfparität haben die Unternehmer durch die Einstellung von Leiharbeitskräften selbst zerstört.


References

References
1   vgl. Abkommen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vom 15. November 1918: „Die großen Arbeitgeberverbände vereinbaren mit den Gewerkschaften der Arbeitnehmer u.a.: „… 5. Gemeinsame Regelung und paritätische Verwaltung des Arbeitsnachweises“ (M. Schneider Kleine Geschichte der Gewerkschaften S. 426); „Arbeitsnachweis“ ist ein anderer Namen für  Arbeitsvermittlung; in diesem Abkommen wurde auch das kollektive Arbeitsrecht vereinbart, so wie es in den Grundzügen bis heute gilt. Dieses Abkommen war ein Dokument der Unterwerfung der Gewerkschaften unter die Herrschaft des Kapitals; denn von Sozialisierung des großen Kapitals war nicht mehr die Rede; das war aber das Ziel derjenigen, die die Novemberrevolution vorbereitet hatten, zum Beispiel der revolutionären Obleute; die Unternehmer  unterschrieben dieses Abkommen, um die Sozialisierung ihrer Betrieb zu
2 BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994
3 Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.
4 BVerfG a.a.O
5 BVerfG a.a.O.
6 Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19
7 AÜG vom 7. August 1972 (BGBl. Teil 1 S. 1393
8 BVerfG a.a.O.
9 Muster können aus dem Internet heruntergeladen werden
10 § 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5 AÜG  i.d.F. v. 7.8.1972.
11 so genannter Annahmeverzug, der für jeden Arbeitgeber gilt, § 615 Satz 1 BGB, der nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG bei einem Leiharbeiter nicht durch Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden kann
12 Bei Verletzungen von Vorschriften  dieses Gesetzes drohen überdies  Bußgelder (§ 16 AÜG) und andere Sanktionen (z.B. Strafen wegen Steuerhinterziehung oder Beitragshinterziehung, weil Steuern oder Beiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt werden
13 § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972; die Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit (§ 17 AÜG
14 Minister Arndt in Bundestagsdebatte v. 21.06.1972 BT-Protokolle 6. Wahlperiode 194. Sitzung S. 11379
15   §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972
16 Ein Beispiel: „Sowohl im Jahr 1978 als auch im Jahr 1979 wurde beobachtet, dass vor Feiertagen, insbesondere in der Weihnachts-/Neujahrswoche eine ungewöhnlich große Anzahl von Leiharbeitnehmern ihre Arbeitsverhältnisse mit Verleihern kündigte, nach Ablauf der Feiertageszeit von den Verleihern jedoch wieder eingestellt wurde. In einigen Fällen ist die Bundesanstalt für Arbeit diesem Verhalten der Leiharbeitnehmer, das wegen des Verlustes der Ansprüche auf Lohnfortzahlung für die Feiertage wirtschaftlich nicht verständlich ist, nachgegangen, um festzustellen, ob von den Verleihunternehmen Druck auf die Leiharbeitnehmer ausgeübt wurde. Ein derartiger Druck konnte jedoch nicht festgestellt werden. Soweit sich die Leiharbeitnehmer überhaupt äußerten, erklärten sie, von sich aus die Kündigung ausgesprochen zu haben. Es drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass diese Kündigungen nicht ohne Zutun der Verleiher erfolgten.“ (Vierter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 12.09.1979 Drs. 8/4479, S. 14.)
17 vgl. Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394
18 Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG v. 26.04.1985 BGBl. Teil I S. 710) 
19  § 3 Abs. 1 Nr. 6 a.F. AÜG
20 Diese Eingrenzung der Verleihdauer wurde notwendig aufgrund der Leiharbeit-EU-Richtlinie
21  Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 18/9232) nach zweiter und dritter Lesung am 21.10.2016 am selben Tag beschlossen (BT-Protokolle 18/197 v. 21.10.2016 S. 19657 ff.), und zwar nach Maßgabe der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 19.10.2016 (Drs. 18/10064); der Ausschuss hatte in seiner Empfehlung die in § 9  AÜG  neu aufgenommene  Festhaltenserklärung wieder entschärft (vgl. dazu Wortprotokoll Nr. 18/88, 18. Wahlperiode, 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016; vgl. Prof. Sell auf S. 12, Prof. Düwell auf S. 16, Prof. Brors auf S. 17 dieses Protokolls; ein Verzicht auf diese  Festhaltenserklärung wäre allerdings besser gewesen). Der Bundesrat ließ in seinen Sitzungen v. 4.11.2016 und v. 25.11.2016, jeweils  Drucksache 627/16, das Gesetz in dieser geänderten Form ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses durchgehen.
22 Es ist fraglich, ob die Gerichte nach dieser neuen Regelung zu einer Rechtsfortbildung bereit sind, die die dauerhafte Besetzung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeitskräfte ausschließt (vgl. zur bisherigen Auseinandersetzung Ulber/Ulber AÜG 2. Auflg.2014 § 1 Rn. 130c ff. mit Hinweisen auf die LAG-Rechtprechung). 
23 A. Nahles BT Protokolle 18. Wahlperiode 190 Sitzung v. 22.09.2016, S. 18764  
24 Eine befristete  Einstellung ist zulässig, „wenn der betriebliche Bedarf an Arbeitsleistung vorübergehend ist“ (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG); vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.64. Der Verweis auf die Befristung mit Sachgrund, § 14 Abs.1 TzBfG ist nicht unvereinbar mit der Forderung nach einem Verbot der begründungslosen Befristung, die sich nach § 14 Abs. 2 TzBfG richtet.  
25 Eine solche Regelung kann nicht eine Regelung zur Höchstverleihdauer ersetzen, sondern nur ergänzen  
26 So auch der Abg. der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst in seiner Rede im Bundestag am 21.10.2016 (zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des AÜG, BT-Protokolle 18/197 Sitzung v. 21.10.2016 S. 19659 ff).
27, 28 Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. Auflg. § 1 Rn. 283 und 286 
29 Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung AFRG v. 24.3.1997 BGBl I S. 594; vgl. BAG v.10.12.2013 9 AZR 51/13
30 Diese Praktik wurde vom BAG  u.a. deswegen als gesetzeskonform gewertet, weil der Bundestag sie gebilligt hatte ( BAG v. 12.7.2016 AZR 352/15
31 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Drs. VI/2303, S.
32 Gesetzesentwurf Drs. 10/2102, S. 1.
33 Bundesrat Drs. 393/84 S.16, 20 f. Neben der Erleichterung der Leiharbeit erlaubte die Bundesregierung in diesem Gesetz vor allem auch erstmalig die befristete Einstellung ohne Begründung; davor waren befristete Einstellungen nur erlaubt, wenn der Unternehmer dafür einen Sachgrund nachweisen konnte, z.B. weil eine Vertretung wegen Urlaub oder Krankheit notwendig  ist oder weil ein vorübergehender betrieblicher Bedarf an Arbeitsleistung besteht. Die Bundesregierung glaubte auch hier einen Schub zusätzlicher Beschäftigung durch Erleichterungen bei befristeten Einstellungen auslösen zu können. Bis heute wird von der begründungslosen Befristung umfassend Gebrauch gemacht. Im Jahr 2013 wurden nach offiziellen Angaben 1,3 Millionen Arbeitsverträge mit begründungsloser Befristung abgeschlossen, das sind knapp 45 % aller Einstellungen.
34 empirische Evaluation des BeschFG im Auftrag des BMAS, vom Wissenschaftszentrum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Infratest, München, zwischen 1987 und 1989 durchgeführt; Grundlage der Evaluation war eine Repräsentativumfrage von 2392 Betrieben; der Autor dieser Evaluation, Christoph F. Büchtemann, fasste die Befunde zusammen  in  „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394, 406. Siehe auch die Stellungnahme der IG Metall Abteilung Sozialpolitik mit den Ergebnissen einer Auswertung ihrer bundesweiten Frageaktion im Jahr 1986 in 5.261 Betrieben über die Auswirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes
35 Mit ihrer Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz machte sich die Regierung „die Kritik der ‚De-regulierungs‘-Befürworter am Kündigungsschutz zu eigen“ (Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 395). Nach Büchtemann haben sich seit 1981/82 in den meisten westeuropäischen Staaten die „vorherrschenden Diagnose- und Therapiemuster in der beschäftigungspolitischen Diskussion“  gewandelt … Neben inflexiblen Reallöhnen und starren Arbeitszeitregelungen richtete sich das Augenmerk auf das in den meisten westeuropäischen Ländern während der 60er Jahre entstandene und in den 70er Jahre weiter ausgebaute System der rechtlichen und kollektivvertraglichen Kündigungsschutzes …“ (Büchtemann a.a.O. S. 394).
36 Auch die SPD lehnte das Beschäftigungsförderungsgesetz ab. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schaffe keine Beschäftigung. Sie forderte „die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, fortschrittliches Arbeitszeitgesetz“ (so die Abgeordnete Weiler für die SPD Fraktion im Bundestag am 15.11.1989, BT- Protokolle 11. Wahlperiode 175.Sitzung, 15.11.1989 S. 13259 ff..
37 Bundestagsprotokolle 15. Wahlperiode 32. Sitzung Freitag, den 14. März 2003, S. 2487
38 Vgl. Hopmann, Köbrich, Linder „Angriff auf die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit“ Sozialismus 12/2003 S. 48 ff.
39 Bei den Hartz Gesetzen lag die Regie in den Händen einer  rot/grünen Bundesregierung. Weil aber auch der Bundesrat den Gesetzen zustimmen musste und die Mehrheiten im Bundesrat andere waren als die im Bundestag, nahmen am Ende an den Verhandlungen zwischen Bundestag und Bundesrat alle Parteien teil – mit Ausnahme der Partei DIE LINKE.
40 Zu diesen beiden Verordnungen im Einzelnen: M. Kittner Arbeitskampf S. 496 f; auch diese Notverordnung führte zu keiner „Vermehrung von Arbeitsgelegenheiten“, wie es der Name dieser Vorordnung versprach (siehe dazu im Einzelnen Kittner a.a.O.) 
41 Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232
42 Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524.
43 Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233
44 „… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. Sitzung 29.11.2002 S. 522
45 § 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.
46 § 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016, S. 9
47 vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.
48 Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f.
49 Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die Regel der gesetzlichen Gleichstellung und nicht die Ausnahme der Schlechterstellung durch Tarifvertrag eingreift. Doch wurden inzwischen die Tarifverträge, die die christliche Gewerkschaft (CGZP) mit den Leiharbeitsfirmen abschloss,  wegen Tarifunfähigkeit dieser Gewerkschaft für unwirksam erklärt (BAG BAG NZA 11, 289); auch Verweisungen auf diese Tarifverträge in Einzelarbeitsverträgen sind unwirksam
50 Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916
51 Zur Zumutbarkeit:  § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II. 
52 Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit  gelten die Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen des  SGB II
53 Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen
54 Das Streikrecht ist Ausdruck der Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist; das Streikrecht ist ein Grundrecht
55 § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG n.F..
56 Leiharbeiter, deren Einsatz dem Entleiher nicht verboten ist, sind „nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist“ § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG n.F.. Der DGB (schriftliche Stellungnahme des DGB in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 13. Oktober 2016 18. Wahlperiode Ausschussdrucksache 18(11)761, S. 18) erinnert an den ursprünglichen Referentenentwurf der Arbeitsministerin Nahles, der in § 11 Abs. 5 die einfache Regelung enthielt: „Der Entleiher darf Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, soweit sein Betrieb unmittelbar betroffen ist“. Diese Regelung wie auch mehrere andere Regelungen des Referentenentwurfs wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gekippt; die massive Einflussnahme der Unternehmer, Verleiher und Entleiher, ist unübersehbar. Der DGB hebt hervor, dass die gegenüber dem Referentenentwurf abgeänderte Regelung “in einer komplexen Arbeitsorganisation überhaupt nicht praktikabel ist (Beispiel: Im Falle von Arbeitsniederlegungen bei Amazon lässt sich gar nicht feststellen, welche Arbeiten von den Streikenden ohne Streik erledigt worden wären und welche nicht). Außerdem wird  ein Verstoß in vielen Fällen nur sehr schwer nachzuweisen und nur mit Unterstützung der Arbeitnehmer/innen möglich sein, die dann ggf. auch vor Gericht gegen ihren Arbeitgeber aussagen müssten (Beispiel: Bei der Deutschen Post AG wurde bekannt, dass im einstweilgien rechtsschutzverfahren benannte Zeug/innen unter Druck gesetzt wurden)“. Der DGB bemängelt auch, dass die neue Regelung nicht für die Konzernleihe gilt und die Sanktionen zu schwach sind.
57 schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.69
58 So der BDA in seiner schriftlichen Stellungnahme v. 12.10.2016 Ausschussdrucksache 18(11)740 S. 36.

Dr. Gawlik kämpft für die Rechte von Whistleblowern

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Inhaltsverzeichnis:

  1. Whistleblower-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16.2.2021 für Menschenrechte (EGMR Nr. 23922/19 Gawlik ./. Liechtenstein)
  2. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  3. Ein verheerendes Fehlurteil
  4. Zu den Urteilsgründen des EGMR im Einzelnen
  5. Weitere Hinweise:

Whistleblower-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16.2.2021 für Menschenrechte (EGMR Nr. 23922/19 Gawlik ./. Liechtenstein)

Der deutsche Arzt Dr. Gawlik klagte, weil ihm im Jahr 2014 sein Arbeitgeber, das Landesspital Liechtensteins, gekündigt hatte. Dr. Gawlik hatte den Chefarzt des Landesspitals bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Euthanasie angezeigt. Deswegen wurde ihm fristlos gekündigt. Die Gerichte Liechtensteins billigten die Kündigung.

Auch wenn er sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht durchsetzen konnte, warf Dr. Gawlik wichtige Fragen auf, die gelöst werden müssen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bedarf in folgenden Fragen einer dringenden Korrektur:

  • Was kann von einem Beschäftigten verlangt werden, der gegen seinen Chef Strafanzeige wegen des Verdachts der Tötung stellt?
  • Darf einem Menschen gekündigt werden, weil er bei der Staatsanwaltschaft den Verdacht einer schweren Straftat seines Chefs anzeigt, dazu auch wahre Tatsachen hinterlegt, aber nicht weiter ermittelt?
  • Verdienen Unternehmer oder Arbeitgeber einen größeren Schutz vor Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft als alle anderen Personen?
  • Was ist wichtiger: Das Ansehen einer Klinik oder die Sorge um das Leben der Patientinnen und Patienten?

Dr. Gawlik hat dazu beigetragen, dass sich der Europäische Gerichtshof diesen Fragen auf Dauer nicht wird entziehen können.

Ein sehr gutes Portrait von Dr. Gawlik kann gelesen werden in: Katharina Kutsche, Süddeutsche Zeitung vom 1. Juli 2021 „Der Arzt, der seinen Chef verdächtigt“: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/whistleblower-kriminalitaet-sterbehilfe-1.5337099?reduced=true

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nahmen Whistleblower Dr. Gawlik und sein Anwalt Benedikt Hopmann noch am selben Tag Stellung:

Die schriftliche Stellungnahme von Dr. Gawlik hier lesen:

Die schriftliche Stellungnahme seines Anwalts B. Hopmann:

Ein verheerendes Fehlurteil

Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) prüft, ob Sanktionen gegen einen Whistleblower das Menschenrecht auf freie Meinung verletzen, wägt er die Interessen der streitenden Parteien gegeneinander ab. Dabei hat der EGMR hat eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt, die bei dieser Abwägung maßgebend sind. Diese Abwägung kann nur zugunsten von Dr. Gawlik ausgehen. Das Urteil des EGMR ist ein verheerendes Fehlurteil. 

Übrigens: Die Bundesregierung blieb während des ganzen Verfahrens stumm, obwohl sie vom EGMR zur Stellungnahme aufgefordert wurde, weil Dr. Gawlik deutscher Staatsbürger ist.

Zu den Urteilsgründen des EGMR im Einzelnen hier weiterlesen:

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Weitere Hinweise:

Anmerkungen zur Entscheidung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Frau Prof. Dr. Coneric veröffentlicht in: https://www.hugo-sinzheimer-institut.de/faust-detail.htm?sync_id=9238 Die Anmerkungen sind eine Kurzfassung des Schriftsatzes, den von Frau Prof. Dr. Colneric und RA Benedikt Hopmann beim EGMR eingereicht haben.

Eine weitere Besprechung der Entscheidung des EGMR unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/egmr-whistleblower-klinik-anzeige-bverfg-kuendigung-bmjv-entwurf-richtlinie/

Bericht am 14. Februar von Dietmar Hipp in SPIEGEL online: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/aus-sorge-um-patienten-zeigte-er-seinen-chef-an-und-wurde-gefeuert-a-dfa69854-5104-451b-81f5-15ef1cf3ba03

Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen für deutsche Gerichte: https://widerstaendig.de/uncategorized/wie-binden-urteile-des-egmr-deutsche-gerichte/

Zum Maßstab, nach dem der EGMR prüft, ob Whistleblowing rechtmäßig ist: https://widerstaendig.de/2021/02/08/wie-pruefte-der-egmr-whistleblower-faelle/

Zum Streit um eine Rangfolge von interner und externer Missstände-Meldung bei der Abfassung der Whistleblower-Richtlinie der EU: Prof. Dr. Ninon Colneric Zum zukünftigen Verhältnis von interner und externer Meldung: https.//www.wistelblower-net.de/online-magazin/2019/11/02/zum-zukuenftigen-verhaeltnis-von-interner-und externer-meldung-prof-dr-ninon-colneric

Dieser Streit ist auch nicht nicht ausgestanden in der gegenwärtigen Phase der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht. Siehe dazu die Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes BDA: https://www.whistleblower-net.de/online-magazin/2021/02/04/bda-fordert-verfassungswidrige-und-unionsrechtswidrige-umsetzung-der-eu-whistleblowing-richtlinie

Zum Verfahren beim Landgericht Oldenburg: https://landgericht-oldenburg.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/anklage-gegen-verantwortliche-aus-dem-klinikum-delmenhorst-aktueller-sachstand-193695.html

2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

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23. April 2021 von Benedikt Hopmann

1967 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitskräfteverleihung auf[1]BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994.

Wer aber meint, ein erneutes Verbot der Leiharbeit werde wieder am Bundesverfassungsgericht scheitern, kann sich auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berufen. Das Bundesverfassungsgericht traf seine Entscheidung unter Annahmen, die heute nicht mehr gegeben sind[2]Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.. Es  formulierte Voraussetzungen, die nicht mehr erfüllt werden. Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist nicht mehr „sehr begrenzt“[3]BVerfG a.a.O. Die Verträge des Verleihers mit seinen Leiharbeitern werden nicht mehr nur „auf Dauer“ vereinbart[4]  BVerfG a.a.O.. Und schließlich werden überwiegend Menschen  beschäftigt, für die das Leiharbeitsverhältnis die einzige Existenzgrundlage ist[5]Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19.

Dem Bundesverfassungsgericht war die Freiheit der Unternehmer, Arbeitskräfteverleihung als Gewerbe zu betreiben, wichtiger als der arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Schutz dieser Arbeitskräfte. Der Befürchtung, dass die Leiharbeitskräfte dieses Schutzes beraubt würden, begegnete das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Gerichte, bei denen ein Leiharbeiter seine Ansprüche einklagen könne.

Dass das nicht reichte, zeigte sehr schnell die Realität. Die elementarsten Unternehmerpflichten wurden von den Verleihern nicht eingehalten: Löhne wurden vorenthalten und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Dabei nahm die Zahl der Verleihfirmen sprunghaft zu.


References

References
1 BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994
2 Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.
3 BVerfG a.a.O
4   BVerfG a.a.O.
5 Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19

Romana Knezevic

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Ist Whistleblower.

Sie arbeitet als Krankenpflegerin in der Asklepios-Klinik St. Georg in Hamburg, ist dort Mitglied des Betriebsrates und seit Jahren in der Bewegung für ein besseres Gesundheitswesen aktiv. Sie hatte im Fernsehen den Personalmangel in der Intensivstation der Asklepios-Klinik St. Georg kritisiert. Daraufhin forderte die Klinik die Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung von Ramona Knezevic. Der Betriebsrat lehnte ab. Die Klinik zog vor das Arbeitsgericht, um sich dort die Zustimmung ersetzen zu lassen, die der Betriebsrat verweigerte. Ramona Knezevic kämpfte zusammen mit dem Betriebsrat gegen ihre Kündigung und erfuhr große Zustimmung. Das war etwas ganz Besonderes, weil es häufig der Geschäftsleitung gelingt, die Kolleginnen und Kollegen gegen Whistleblower aufzubringen, so dass sie von ihren Kolleginnen und Kollegen gemieden werden. Das entschiedene Handeln von Ramona Knezevic zusammen mit der Unterstützung durch ihre Kolleginnen und Kollegen führten zu einer Solidaritätsbewegung über die Pflegekräfte hinaus: Hört auf die Beschäftigten! Diese Kraft war so wirksam, dass die Asklepios-Klinik St. Georg den Antrag beim Arbeitsgericht zurückzog.

Hanau 4. März 2020: Arbeitsniederlegung gegen Rechts

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Obwohl es nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere politische Streiks gab, waren nach Meinung der Gerichte Politische Streiks illegal. Das gilt jedenfalls nach überwiegender Auffassung ab 1952. Entscheidend ist aber, dass sich die abhängig Beschäftigten über diese Verbote immer wieder hinwegsetzen. Wir erinnern daran, dass sich die Gewerkschaften nie ihr Recht auf Meinungsfreiheit in Betrieben und Verwaltungen vollständig haben nehmen lassen[1]so in den Proteststreiks in der Zeit vom 25. bis 27.5.1972 wegen des Misstrauensvotums der CDU/CSU Bundestagsfraktion gegen Bundeskanzler Willy Brandt, an denen ca. 1000.000 Arbeitnehmerinnen und … Continue reading.

Auf diese Seite soll ein aktuelles Beispiel beschrieben werden: Die Arbeitsniederlegungen im März 2020, nachdem am 19. Februar 2020 in Hanau 10 Menschen von einem Rechtsradikalen ermordet worden waren. Das war eine politische Arbeitsniederlegung.

Es begann mit zwei Petitionen, die von der Koordination “November 1918 – Die unvollendete Revolution” in Gang gesetzt wurden. Diese Koordination hatte sich im Jahr 2018 aus Anlass des 100. Jahrestages der Revolution 1918/19 gebildet. Sie hatte eine gemeinsame Erklärung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern veröffentlicht und im November 2018 eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor veranstaltet. Für den März 2020 rief sie zu einer Kundgebung auf, auf der an den 100. Jahrestages des Generalstreiks gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch erinnert werden sollte[2] https://1918unvollendet.org/wp-content/uploads/2020/08/A_KappPutsch_1918unvollendet_Veranstaltungen.pdf. In diesem Generalstreik war erfolgreich die erste deutsche Republik verteidigt worden, die am 9. November 1918 erkämpft worden war. Noch vor dieser Kundgebung im März 2020 hörten wir von dem Mord an 10 Menschen in Hanau durch einen Rechtsradikalen. Die Koordination schlug in einer ersten Petition und einer weiteren Petition den Gewerkschaften vor, alle Beschäftigten zu einer 10 minütigen Arbeitsniederlegung aufzurufen: Am Tag der Trauerfeier für die Ermordeten, Mittwoch dem 4. März 2020, um 10 Minuten vor 12:00 Uhr – als ein Zeichen gegen rechte Gewalt und diejenigen, die dieser Gewalt den Boden bereiten. Diese beiden Petitionen wurde von insgesamt 150 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterstützt, der DGB davon auf direktem Wege in Kenntnis gesetzt und in einem Interview mit der Jungen Welt wurden Fragen zu der Petition beantwortet. Auch die “Föderation demokratischer Arbeitervereine” (DIDF) begrüßte und unterstützte die Aufrufe zu betrieblichen Gedenkminuten: *Solidarität statt Spaltung – Kein weiteres Opfer mehr!*.

Obwohl die Zahl der Unterzeichnenden nicht sehr hoch war, zeigten diese Petitionen doch eine erhebliche Wirkung. Von immer mehr gewerkschaftlichen Gliederungen und von einigen Gewerkschaften insgesamt wurde zu Gedenkminuten am Tag der Trauerfeier aufgerufen [3]siehe auch labournet: … Continue reading. Als ein Beispiel sei der Aufruf der Berliner Verwaltungsstelle genannt, der die Arbeitsniederlegung nicht von der Zustimmung der Arbeitgeber abhängig macht.

In vielen Unternehmen legten die Beschäftigten am 4. März 2020 die Arbeit nieder, in großen Betrieben der Autoindustrie, bei Daimler in Sindelfingen, Bremen, Berlin usw., bei VW in Kassel, bei Opel in Rüsselsheim, im Stahlwerk ArcelorMittal in Bremen, aber auch in kleineren Betrieben wie der AWO Refugium Freudstraße in Berlin Mitte und im Botanischen Garten an der Freien Universität in Berlin.

Häufig riefen Betriebsräte gemeinsam mit den Betriebsleitern zu den Gedenkminuten auf. Es ist jedoch sehr wichtig, dass deutlich wird, dass die Initiative von den Interessenvertretungen der Beschäftigten ausging. Sie haben das durch gesetzt. Die Kundgebungen aus diesem Anlass müssen das widerspiegeln und von den Reden der Interessenvertretungen der Beschäftigten geprägt sein, vor allem von ihren Gewerkschaften. Zum Teil waren die Aufrufe der Gewerkschaften oder ihrer Gliederungen so kurzfristig, dass sie kaum noch befolgt werden konnten. Das sollte in Zukunft besser gemacht werden. Denn es ist leider zu befürchten, dass wieder von Rechten gemordet wird. In den Gewerkschaften sollten Beschlüsse gefasst werden, dass in Zukunft rasch reagiert und umfassend mobilisiert wird. Die Antwort auf dieses Morden muss aus den Betrieben und Büros kommen.

Das wichtigste ist aber die Erfahrung: Es geht. Es waren ganz sicher Zehntausende, die an diesem Tag aus Protest gegen die Morde in Hanau und ihre Wegbereiter die Arbeit niederlegten.

Weitere Infos:

References

References
1 so in den Proteststreiks in der Zeit vom 25. bis 27.5.1972 wegen des Misstrauensvotums der CDU/CSU Bundestagsfraktion gegen Bundeskanzler Willy Brandt, an denen ca. 1000.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teilnahmen; so in den „fünf Mahnminuten für den Frieden“, zu denen DGB und IG Metall am 5.10.1983 wegen der Stationierung von US Raketen aufriefen; so in den Jahren 2000 und 2007, als es zu Arbeitsniederlegungen aus Protest gegen die Rente mit 67 kam, ein Protest , zu dem die IG Metall nicht offiziell aufrief, der aber in den Betrieben von den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern organisiert wurde
2  https://1918unvollendet.org/wp-content/uploads/2020/08/A_KappPutsch_1918unvollendet_Veranstaltungen.pdf
3 siehe auch labournet: https://www.labournet.de/interventionen/antifa/antifa-ini/petition-erklaerung-zu-den-morden-in-hanau-und-aufruf-an-die-gewerkschaften-zu-einer-zehn-minuetigen-arbeitsniederlegung/#aufrufe

E-Mail an die Gewerkschaften zur Arbeitsniederlegung am Tag der Trauerfeier in Hanau, am 4.März um 11.50 Uhr.

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir haben eine Petition an Euch gerichtet:

https://www.petitionen.com/erklaerung_zu_den_morden_in_hanau#form  Diese Petition kann eingesehen werden mit Namen und Kommentar der Unterstützerinnen und Unterstützer.

https://weact.campact.de/petitions/10-minuten-arbeitsniederlegung-gegen-rechte-gewalt-und-deren-wegbereiter?  Hier ist die Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer jederzeit einsehbar.

Der Wortlaut dieser beiden Petitionen

“Wir schlagen vor, dass die Gewerkschaften zu einer 10-minütigen Arbeitsniederlegung aufrufen, am Mittwoch, dem 04. März, um 10 Minuten vor 12.00 Uhr – am Tag der zentralen Trauerfeier der Stadt Hanau. Warum ist das wichtig?

94 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 sind offiziell anerkannt. Nach Langzeitrecherchen von Tagesspiegel und Zeit online sind es mindestens doppelt so viele. In den vergangenen Monaten wurde der Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet, wurde in Halle versucht, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in eine Synagoge einzudringen, in der sich über 50 Menschen aufhielten, es wurden dabei zwei Menschen ermordet. Jetzt in Hanau wurden 10 Menschen ermordet. Es ist Zeit, dass die Gewerkschaften ein deutliches Zeichen gegen rechte Gewalt setzen, auch gegen diejenigen, die den Boden für diese Gewalttaten bereiten. Es geht um uns alle. Es geht um unsere Zukunft. Schon einmal wurde alles zerstört, was von den Gewerkschaften erkämpft wurde”.

Die bisherige Wirkung dieser Petitionen

Diese Petitionen blieben nicht ohne Wirkung:

  • die IG Metall Hanau Fulda schlägt Arbeitsniederlegungen jetzt am Mittwoch, den 4. März 2020 um 11:50 Uhr vor;
  • der Gesamtbetriebsrat und der Vorstand der Daimler AG vereinbarten Gedenkminuten jetzt am Mittwoch zur Mittagzeit an allen deutschen Standorten.
  • ver.di Hessen schlägt ebenso wie die IG Metall Hanau-Fulda Arbeitsniederlegungen am Mittwoch vor.

Zum Wortlaut dieser Erklärungen und weiteren Information:

https://1918unvollendet.org/
Auch labournet infomiert sehr genau und aktualisiert laufend: www.labournet.de

An die Vorstände und Bezirksleitung der Gewerkschaften

Wir rufen den DGB-Vorstand, die Vorstände der Einzelgewerkschaften, insbesondere die Vorstände der IG Metall und von ver.di und ihre Bezirksleitungen: Handelt so, wie es die Petitionen vorschlagen. Ruft am Tag der Trauerfeier der Stadt Hanau, am kommenden Mittoch, dem 4. März um 11:50 Uhr die Beschäftigten zur Arbeitsniederlegung auf. Setzt ein Zeichen gegen rechte Gewalt und diejenigen, die ihr den Boden bereiten.

Es kommt darauf an, unsere gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten einzusetzen, bevor es zu spät ist. Wir dürfen nicht noch einmal den Fehler wiederholen, den wir vor 1933 gemacht haben.   RA Benedikt Hopmann Verfasser der beiden Petitionen

Politischer Streik im Botanischen Garten Berlin?

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20. Juli 2021 von benhop

Am 20. September 2019 nahmen über zwanzig Beschäftigte an der Kundgebung der Fridays for future teil. Im September 2020 wiederholten über zehn Beschäftigten diese Teilnahme an einer Kundgebung der Fridays für Future.

1. Kein Streik

Es war kein Streik. Zwar wurde nicht wenigen Beschäftigten die Zeit der Arbeit, die für sie eingeplant war und die sie wegen ihrer Teilnahme an der Kundgebung niederlegten, von ihrem Arbeitszeit-Konto abgezogen. Aber das ist nicht entscheidend.

Wenn der Arbeitgeber die Lage der Arbeiszeit insgesamt, also auch die Kernarbeitszeit zur Disposition stellt und die Beschäftigten am Tag des Klima“streiks“ jederzeit „frei nehmen“, ausstempeln und damit aufhören können, zu arbeiten, begeben sie sich in die Freizeit. Das geht zwar zu Lasten des Arbeitszeitkontos. Aber wenn man nicht arbeiten muss, kann man nicht die Arbeit niederlegen.

2. In der Öffentlichkeit wie ein Streik gesehen

Der Arbeitgeber hätte allerdings wohl kaum die Kernarbeitszeit an diesem Tag aufgehoben, wenn es nicht Beschäftigte gegegeben hätte, die am Klima“streik“ teilnehmen wollten. Auch der Umstand, dass die Leitung erst zwei Tage vorher einer solchen Arbeitsniederlegung zustimmte und die Kernarbeitszeit aufhob, zeigt, dass die Aufhebung der Kernarbeitszeit an diesem Tag kein „Selbstläufer“ war.

Eine solche Aktion wird auch in der Öffentlichkeit wie ein Streik gesehen, was seinen besonderen Nutzen ausmacht.

Der Arbeitsrechtler Däubler hat auf eine interessante historische Parallele hingewiesen: „Zu Beginn des Kapp-Putsches erklärte die Reichsregierung, die öffentlichen Bediensteten einschließlich der Beamten sollten (oder dürften) mit der Arbeit aufhören – auch das war der Sache nach „Dienstbefreiung“. Dennoch ist vom „Generalstreik“ wegen des Kapp-Putsches die Rede.

Es war also ein sehr wichtiges Zeichen, das die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der Freien Universität Berlin setzen.

3. Und was ist, wenn die Kernarbeitszeit nicht aufgehoben wird?

Ohne Aufhebung der Kernarbeitszeit wäre es ein Streik gewesen [1]vgl. auch BAG vom 30.8.1994 Az.: 1 ABR 10/94.

Es wäre auch ein politischer Streik gewesen. Denn die Forderungen der fridays for future, die die Beschäftigten des Botanischen Gartens unterstützten ohne eigene Forderungen aufzustellen, waren in erster Linie an die Regierungen gerichtet, ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten.

Es wäre auch ein verbandsfreier Streik – abwertend manchmal „wilder“ Streik genannt – gewesen, weil die Gewerkschaften nicht dazu aufgerufen hatten, es sei denn, die Gewerkschaften hätten im Nachhinein die Trägerschaft übernommen.

Allerdings müssten die Gewerkschaften dazu noch weiter umdenken.

Dabei ist wichtig, dass ein erster Schritt zum Umdenken bereits getan wurde. Inzwischen wurden in fast allen Gewerkschaften Beschlüsse auf den Gewerkschaftstagen gefasst, in denen die Zulassung auch von politschen Streiks gefordert wird. Nur wird zu wenig darüber gesprochen, wie die Gewerkschaften ihre Forderung umsetzen wollen.

Der wichtigste Einwand ist das Risiko für die Gewerkschaften, mit Schadenersatzforderungen der bestreikten Arbeitgeber überzogen zu werden. Aber dieses Risiko ist eingrenzbar. Die Gewerkschaften haben es in der Hand, wie viele Beschäftigte sie zum politschen Streik aufrufen.

Viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind sich möglicherweise auch nicht darüber im Klaren, dass der politsche Streik nicht über ein entsprechendes Gesetz durchgesetzt wird. Der Gesetzgeber ist die falsche Adresse. Und das aus zwei Gründen: Der erste Grund ist der, dass bis jetzt as gesamte Streikrecht auf der Grundlage der Koalitionsfreiheit (Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz) als Rechtsprechung entwickelt wurde. Der zweite Grund ist, dass eine Regelung des Streikrechts durch einfaches Gesetz „nach hinten losgehen“ kann; die Gefahr ist zu groß, dass das Streikrecht noch weiter eingeschränkt werden würde.

Um das Streikrecht zu ändern, gibt es keinen anderen Weg als das Recht durch die Rechtsprechung weiter zu entwickeln. Das heißt: Es muss gegen das geltende Recht verstoßen werden, damit die Gerichte das geltende Recht überprüfen können.

Kolleginnen und Kollegen des Botanischen Gartens waren zum politischen Streik entschlossen. Durch die Aufhebung der Kernarbeitszeit kam es jedoch nicht dazu.

References

References
1 vgl. auch BAG vom 30.8.1994 Az.: 1 ABR 10/94