Die ver.di-Bundesfachkommissionen Hochschule und Forschung haben sich in ihrer Sitzung im Juni 2025 intensiv mit dem zunehmenden Fokus auf militärische und Sicherheitsforschung auseinandergesetzt. Als Ergebnis dieser Diskussion legen sie hiermit dieses Thesenpapier vor, welches den Stand der Debatte abbildet. In allen Punkten besteht weiter Diskussionsbedarf, das gilt sowohl für die Analyse der aktuellen Situation als auch für die Schlussfolgerungen. Die Bundesfachkommissionen werden die Debatte deshalb weiterführen und laden gleichzeitig andere ver.di-Strukturen im Bereich Wissenschaft dazu ein, sich ebenfalls mit diesem Thema zu befassen. Die folgenden Thesen können hierzu – sofern gewünscht – als Debattengrundlage dienen.
Beschluss des 6. ver.di-Bundeskongresses
Den Thesen vorangestellt werden soll der Beschluss des 6. ver.di-Bundeskongresses im September 2023 in Berlin zu diesem Thema (Auszug aus dem Beschluss E 084: Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch): „… So bedrohlich der Krieg Russlands gegen die Ukraine keine 1.000 Kilometer von deutschen Grenzen entfernt ist, es darf daraus nicht der Schluss einer Auf- und Hochrüstung der Bundeswehr und der NATO gezogen werden. Das betrifft zum einen die Entwicklung neuartiger Waffen und Waffensysteme und der Verwendung neuer Technologien, wie „Künstlicher Intelligenz“. Weder dürfen öffentliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf die eine oder andere Weise, etwa durch strukturelle Unterfinanzierung, dazu gedrängt werden, entsprechende Forschung durchzuführen (und Zivilklauseln faktisch auszuhebeln), noch dürfen autonome Waffensysteme entwickelt oder durch die Bundeswehr eingesetzt werden. ver.di fordert die Bundesregierung auf, sich für die weltweite Ächtung autonomer Waffen einzusetzen. ….“

Thesen:
1.
Bestehende Zivilklauseln müssen erhalten bleiben und dürfen weder direkt noch faktisch ausgehebelt werden.
Die in den Bundesländern Bremen und Thüringen in den Hochschulgesetzen verankerten Zivilklauseln und die in ca. 70 Hochschulen (vgl. Überblick auf zivilklausel.de) in langen Auseinandersetzungen erkämpften Selbstverpflichtungen, Lehre und Forschung allein für zivile Zwecke zu betreiben, sind eine wichtige Errungenschaft, um in unterschiedlichen Disziplinen die Voraussetzungen für zivile, kooperative und nachhaltige Lösungsansätze internationaler Konflikte zu schaffen. Sie folgen dem Friedensgebot im Grundgesetz (Art. 1 Abs. 2, Art. 26, Abs. 1 GG).
2.
Die klare Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Universitäten bzw. Hochschulen (ohne Zivilklausel) muss aufrechterhalten werden.
Soweit es militärisch bestimmte Forschungsprojekte geben sollte, sind diese in von den zivilen Arbeiten getrennten Organisationseinheiten durchzuführen. Das gilt auch in denjenigen Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die vom Bundesministerium der Verteidigung grundfinanziert werden.
3.
Militärisch bestimmte Forschungsprojekte sowie zivile Forschungsprojekte, in denen militärische Anforderungen mitberücksichtigt werden sollen, sind den Beschäftigten offenzulegen. Den Betriebs- bzw. Personalräten sind die zugrundeliegenden Forschungsverträge vorzulegen, soweit dies nicht bereits durch ihre Beteiligung in Ethikkommissionen geschehen ist.
Die Bundeswehr ist erklärtermaßen darauf angewiesen, zivile Forschung und Entwicklung zu nutzen. Gerade deshalb ist Transparenz, d.h. rechtzeitige Information der Betriebs- und Personalräte erforderlich, ob und wo in zivilen Forschungs- bzw. Entwicklungs-Projekten militärische Anforderungen mitberücksichtigt werden sollen. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, damit Beschäftigte Vorhaben mit doppeltem Verwendungszweck (dual use) erkennen und ggf. ihre Vorbehalte gegen eine Mitarbeit geltend machen können.
In diesem Zusammenhang ist auch die Wirkung von Ethischen Leitlinien zu Forschungsvorhaben im Graubereich ziviler bzw. militärischer Forschung und ihre Praktikabilität in Ethikkommissionen zu untersuchen. Zu diesem Graubereich zählen gerade auch Forschungen zur Cybersicherheit, bei der der Unterschied von Angriff und Verteidigung verschwimmt. Die Ergebnisse sollen mit Gewerkschaften sowie Betriebs- und Personalräten beraten werden.
4.
Gewissensfreiheit: Niemand darf verpflichtet werden, gegen sein bzw. ihr Gewissen an militärischen Forschungsprojekten teilzunehmen oder sie zu akquirieren.
Personen, die sich entschieden haben, ausschließlich zu zivilen Zwecken zu forschen, sollen keine Nachteile fürchten müssen. Insbesondere dürfen Arbeitnehmerinnen, die sich ursprünglich bewusst entschieden haben, in einer Einrichtung mit rein ziviler Ausrichtung zu arbeiten, nicht gegen ihr Gewissen in militärisch dominierten Projekten eingesetzt werden. Diesen Arbeitnehmerinnen, insbesondere denjenigen mit befristeten Verträgen, ist vorrangig die Weiterbeschäftigung in zivilen Bereichen zu ermöglichen. Bei Bedarf sind ihnen geeignete Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, um die geänderte Tätigkeit ausüben zu können.
5.
Keine Einschränkung der öffentlich geförderten zivilen Forschung
In Anbetracht absehbarer Restriktionen in den öffentlichen Haushalten darf es weder eine Kürzung der Grundlagenforschung noch bei zivilen Forschungsprojekten zu Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine nachhaltige Wirtschaft mit der notwendigen sozial-ökologischen Transformation geben.
6.
Die Forschung an tödlichen autonomen Waffensystemen (LAWS) ist zu verbieten.
Wir verweisen auf die Stellungnahme der Gesellschaft für Informatik „Tödliche autonome Waffensysteme (LAWS) müssen völkerrechtlich geächtet werden“ aus 2019, den Arbeitsbericht Nr. 187 des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag aus 2020 (R. Grünwald, C. Kehl: Autonome Waffensysteme) sowie den Beschluss 6. ver.di-Bundeskongress aus 2023 (siehe oben).
7.
Begleitforschung und Diskussionsräume über militärische und zivile Konfliktbewältigung sind notwendig.
Angesichts der globalen Herausforderungen ist eine Verengung auf militärische Sicherheit unzureichend. Wissenschaft und Forschung, die sich dem Allgemeinwohl und der internationalen Kooperation verpflichtet sieht, schafft die Grundlagen für die humanistische Lösung von Klimakrise, Krieg, Flucht, Vertreibung und globaler sozialer Ungleichheit. Es geht um einen „erweiterten, umfassenden Sicherheitsbegriff, der nicht nur auf militärische Sicherheit beschränkt ist, sondern auch soziale Sicherheit, Gesundheit (Stichwort Pandemien), Versorgungssicherheit, eine faire Globalisierung, ökologische Nachhaltigkeit, Klimaresilienz und nicht zuletzt Geschlechtergerechtigkeit umfasst…“ (Beschluss 6. ver.di-Bundeskongresses, siehe oben).
Wir schlagen vor, an Hochschulen und Forschungseinrichtungen öffentliche Diskussionsräume bzw. Foren einzurichten, in denen die Auseinandersetzung um militärische Forschung und nichtmilitärische Krisenbewältigung stattfinden kann. Wir fordern die Intensivierung der zivilen und friedensbildenden Forschung, anstatt zivile Einrichtungen für die militärische Forschung zu öffnen. Nur so können wir mit den großen drängenden globalen Problemen wie dem Klimawandel und der sozialen Gerechtigkeit fertig werden, dazu beitragen, die ständig wachsende Gefahr eines Atomkriegs zu verringern, eine Lebensmöglichkeit für alle auf der Erde zu schaffen und das Überleben der Menschheit als Ganzes zu gewährleisten.