Rede auf der Gorillas-Demonstration am 16.11.21

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Solidarität mit den gekündigten Kolleginnen und Kollegen von Gorillas für ein besseres Streikrecht für alle.

Zunächst einmal möchte ich mich bedanken für die Einladung, hier zu Euch zu sprechen. Ich bin eingeladen, weil ich als Anwalt drei Kolleginnen und Kollegen von Gorillas vor dem Arbeitsgericht vertrete. Anwalt Bechert vertritt viele weitere Kolleginnen und Kollegen. Sie alle klagen gegen ihre Kündigung. Der Grund der Kündigung ist bei allen derselbe: Ihnen wurde gekündigt, weil sie an einem Streik teilgenommen hatten. Sie wollten bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Zu dem Streik hatte keine Gewerkschaft aufgerufen. Deswegen wurde ihnen gekündigt.

Die Geschäftsführung meint, deswegen sei der Streik illegal.

Es ist noch zu früh, um sagen zu können, welchen Verlauf dieser Rechtsstreit nehmen wird. Wenn sich das Gericht auf die Seite von Gorillas stellt und ebenfalls meint, der Streik sei illegal gewesen, weil keine Gewerkschaft dazu aufgerufen hat, dann kann das der Anfang von einem sehr lang andauernden Rechtsstreit werden.   

Die Geschäftsführung kann sich auf die bisher herrschende Rechtsmeinung in Deutschland stützen. Der Richter der 1. Instanz meinte in einer mündlichen Verhandlung, dieses Recht gelte in Deutschland seit 60 Jahren.

Aber es gilt in Deutschland auch die Europäischen Sozialcharta. Und in der heißt es wörtlich:     

Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsstaaten …. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten anzuerkennen …   “. 

Auf diesen Begriff „Arbeitnehmer“ kommt es an. Es geht also nicht nur um das Recht der Gewerkschaften, sondern viel allgemeiner um das Recht der Arbeitnehmer „auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts“.

Der deutsche Bundestag hat schon vor rund 60 Jahren diese Regelung aus der europäischen Sozialcharta ausdrücklich anerkannt. Sie wurde von Deutschland ratifiziert. Sie ist damit in Deutschland geltendes Recht.

Das Ministerkomitee des Europarats, in dem sich die Außenminister der Mitgliedsstaaten versammeln, überwacht unter anderem die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta in den einzelnen Mitgliedsstaaten und wird dabei von einem Sachverständigenausschuss unterstützt. Seit Jahren erklärt dieser Sachverständigenausschuss, dass in Deutschland das

Verbot aller Streiks, die nicht auf Tarifverträge ausgerichtet sind und nicht von den Gewerkschaften ausgerufen oder übernommen werden

ein Verstoß gegen die Sozialcharta ist.

Man sollte genau hinhören: Der Sachverständigenausschuss rügt nicht nur das Verbot von Streiks, die „nicht von Gewerkschaften ausgerufen oder übernommen werden“, sondern auch das Verbot von Streiks, „die nicht auf Tarifverträge ausgerichtet sind“. Das ist das zweite große Einschränkung des deutschen Streikrechts: Die Beschränkung auf tariflich regelbare Ziele, die ebenfalls immer wieder vom Sachverständigenausschuss bemängelt wird.   

1998 war es mit der Geduld des Ministerkomitees zu Ende und nicht der Sachverständigenausschuss rügte die Einschränkungen des Streikrechts in Deutschland, sondern das Ministerkomitee selbst sprach eine sogenannte „Empfehlung“ aus. Damit wurde die Kritik an dem Streikrecht in Deutschland auf die höchste Stufe gehoben, die dem Ministerkomitee zur Verfügung steht.

Es ist also richtig, dass sich dieser Richter auf eine seit 60 Jahren herrschende Rechtsprechung in Deutschland berufen kann. Aber genauso richtig ist, dass Deutschland damit seit 60 Jahren internationales Völkerrecht bricht. Davon sprach der Richter nicht.

Wir wollen, dass Deutschland endlich das internationale Recht anerkennt.

Es sollte hier daran erinnert werden, wie es zu diesen Einschränkungen des Streikrechts in Deutschland kam. Zunächst entzündet sich der Streit um die zulässigen Streikziele. An zwei Tagen im Jahr 1952 streikte die damalige IG Druck und Papier, um gegen das Betriebsverfassungsgesetz zu protestieren, das damals der Bundestag auf den Weg gebracht hatte. Dieses Betriebsverfassungsgesetz sollte die Rechte der Betriebsräte erheblich einschränken, die seit Kriegsende in einzelnen  Bundesländern durchgesetzt werden konnten (Zur Geschichte des Betriebserfassungsgesetzs empfehle ich Euch das Buch „Gegenmacht statt Ohnmacht“ im VSA-Verlag). Ein Hans Carl Nipperdey verfasst nach diesem Zeitungsstreik ein Gutachten, in dem er diesen Streik für illegal erklärte. Nipperdey schuf damit das Fundament, auf dem die ganze folgende Rechtsprechung aufbaute. Ich möchte die Rechtsprechung in der Weimarer Republik nicht beschönigen, aber hier unterschied sich das Recht, das Nipperdey schuf, fundamental von dem der Weimarer Republik. Diese Einschränkung des Streikrechts existierten so in der Rechtsprechung der Weimarer Republik nicht.

Diese fundamentale Wende vom Weimarer Recht zum deutschen Nachkriegsrecht war kein Zufall. Hans Carl Nipperdey war kein unbeschriebenes Blatt. Hans Carl Nipperdey hatte schon während des Faschismus das faschistische Arbeitsrecht kommentiert. Dieses Recht war nicht nur durch und durch rassistisch, sondern hatte auch das Ziel, jede Art von Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit zu unterbinden.

Hans Carl Nipperdey wurde der 1. Präsident des Bundesarbeitsgerichts.

1963 befasst sich das Bundesarbeitsgericht erstmalig mit der Frage, wer zum Streik aufrufen darf. Es erklärte unter Berufung auf Hans Carl Nipperdey einen Streik, zu dem die Gewerkschaften nicht aufgerufen haben, für illegal. Hier ein Auszug aus der Begründung:

„… es ist wichtig, beim Ausbruch eines Streiks zu Kontrollzwecken Stellen einzuschalten, die … die Gewähr dafür bieten, dass nur in wirklich begründeten Fällen gestreikt wird … Als solche Stellen kommen auf der Arbeitnehmerseite bei ihrer gesellschaftlichen Stellung nur die Gewerkschaften infrage. … Das Mittel des Streiks ist eine scharfe Waffe. Das verbietet es, das Streikrecht Personen oder Gruppen anzuvertrauen, bei denen nicht die Gewähr dafür besteht, dass sie nur in vertretbarem Umfang davon Gebrauch machen. Eine solche Gewähr ist bei den einzelnen Arbeitnehmern, den Mitgliedern der Belegschaft als solchen und nichtgewerkschaftlichen Gruppen nicht gegeben“.

Diese Rechtsprechung ist vom Geist des kalten Krieges geprägt. Damals war es auch die allgegenwärtige Furcht vor den Kommunisten, die in den Betrieben über Einfluss verfügten. Die Gewerkschaften sind in diesem Urteil nicht Gegenmacht, sondern werden als Ordnungsfaktor instrumentalisiert.

Wenn wir diese Rechtsprechung beenden wollen, dann geht es genau darum: Mit der Verpflichtung der Gewerkschaften auf eine Rolle als Dompteure der abhängig Beschäftigten muss endlich Schluss sein. Wir sind Gegenmacht.

Wenn es zu einem lang andauernden Rechtsstreit um diese Frage kommen sollte, dann brauchen die Kolleginnen und Kollege, die sich entschlossen haben, das durchzustehen, unsere lang andauernde Solidarität. Denn niemand weiß, ob sie am Ende Erfolg haben werden. Trotzdem begeben sie sich auf diese lange Reise. Sie kämpfen für ein besseres Streikrecht und das wäre ein besseres Streikrecht für alle.

Wir haben die Möglichkeit durch eine lange Kampagne zunächst einmal das Bewusstsein in der Öffentlichkeit dafür zu schaffen, dass es diese Einschränkungen des deutschen Streikrechts gibt und das sie nicht hinnehmbar sind.

Denn hier geht es meines Erachtens um das wichtigste Freiheitsrecht überhaupt. Über den Streik wurde die erste deutsche Republik 1918 erkämpft und zwei Jahre später gegen den Kapp-Putsch verteidigt. Oder ein aktuelles Beispiel: Wir reden vom Klimastreik, aber niemand traut sich für eine Begrenzung auf 1,5 Grad und dafür zu streiken, dass die damit einhergehenden notwendigen Belastungen von den Verursachern der Klimaerhitzung getragen werden, das heißt: Vom Kapital getragen werden. Begründung: Das ist kein tariflich regelbares Ziel, jedenfalls dann nicht, wenn entsprechende Gesetze verlangt werden. Dann ist das ein politischer Streik und der sei in Deutschland nicht erlaubt, so die Begründung.  

Ich möchte das Gesagte zusammenfassen:

Solidarität mit den gekündigten Gorillas-Beschäftigten für ein besseres Streikrecht für alle!

Siehe auch das Recht auf verbandsfreie Streiks