Inhaltsverzeichnis:
- I. Interne Meldung von Missständen im Betrieb oder Büro
- 1. Whistleblowing als Meldung von gesetzlichen Verstößen?
- 2. Zum Beschwerderecht nach § 17 ArbSchG:
- 3. Zum Beschwerderecht nach § 13 AGG:
- 4. Beschwerde nach den §§ 84, 85 BetrVG:
- 5. Zur internen Meldung nach der EU-Richtlinie:
- 6. Kollektives Whistleblowing:
- II. Die externe Meldung von Missständen im Betrieb oder Büro
- 7. Zuständige Behörden:
- 8. Erst interne, dann externe Meldung?
- 9. Externe Meldung durch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft.
- 10. Keine wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben.
- III. Die Offenlegung (Öffentlichmachung)
- 11. Regel: Erst externe Meldung, dann Offenlegung
- 12. Ausnahmsweise Offenlegung ohne vorherige interne oder externe Meldung
- IV. Wertung der Regeln zur Mitteilung und Offenlegung
- 13. Meldung vor Offenlegung‘ ist kein Schutz von Whistleblowern, sondern ein besonderer Schutz der Unternehmen vor freier Meinungsäußerung:
- 14. Aus der Geschichte lernen
1. Februar 2021 von benhop
Whistelblower Rechte im Detail
I. Interne Meldung von Missständen im Betrieb oder Büro
Bei Whistleblowing denkt man zunächst immer an die Veröffentlichung betriebliche Missstände, also zum Beispiel an die Weitergabe betrieblicher Missständen an die Presse. Aber es ist ganz unstreitig, dass auch die interne Mitteilung eines Missstandes im Betrieb oder Unternehmen Whistleblowing ist.
1. Whistleblowing als Meldung von gesetzlichen Verstößen?
Häufig wird von Whistleblowing nur dann gesprochen, wenn es um Verstöße gegen geltendes Recht geht oder wenn zumindest darum geht, dass gegen Ziel oder Zweck einer Rechtsvorschrift verstoßen wurde. So zum Beispiel eine erst vor kurzem beschlossene EU-Richtlinie 2019/1937. Aber das ist zu eng gefasst. Es sollten auch Kolleginnen und Kollegen geschützt werden, die Missstände mitteilen, die sich nicht auf ein Gesetz beziehen. Im vorliegenden Fall wäre es zum Beispiel nicht angebracht, darüber zu streiten, ob gegen ein Gesetz oder gegen Ziel oder Zweck eines Gesetzes verstoßen wurde. Die Pflege litt auf jeden Fall unter schweren Mängeln. Und diese Pflegemängel beruhten auf Personalmangel. Es sollte nicht darauf ankommen, ob dabei gegen ein Gesetz verstoßen wird oder nicht.
2. Zum Beschwerderecht nach § 17 ArbSchG:
Dieses Whistelblowing in Form einer Überlastungsanzeige stützt sich auf § 17 ArbSchG. In § 17 ArbSchG geht es um ein Vorschlags- und ein Beschwerderecht der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber bei „allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit“. Dabei geht es um die Sicherheit und die Gesundheit aller Beteiligten, also auch der zur Pflege anvertrauten Personen. Weitere Informationen dazu, was bei einer Überlastungsanzeige konkret zu beachten, findet man unter Überlastungsanzeige:
3. Zum Beschwerderecht nach § 13 AGG:
Auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ermöglicht „den Beschäftigten“ in § 13 die Beschwerde bei den zuständigen Stellen des Betriebes, des Unternehmens oder der Dienststelle. Sie können sich beschweren, wenn sie sich vom Arbeitgeber, vom Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen ihrer Rasse, ethnischen Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, sexueller Identität oder ihres Alters benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der bzw. dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen. Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt (§ 13 Absatz 2 AGG), insbesondere das Recht des Betriebsrates nach § 85 Absatz 2 BetrVG eine Einigungsstelle zu bilden.
4. Beschwerde nach den §§ 84, 85 BetrVG:
Ein Beschäftigter kann sich nach § 84 BetrVG betriebsintern bei der „zuständigen Stelle“ über jede individuelle Benachteiligung oder Beeinträchtigung beschweren. Deswegen kann sich ein Beschäftigter nach § 85 BetrVG auch beim Betriebsrat beschweren. Dabei können sich auch mehrere Beschäftigte zur gleichen Zeit über ihre individuelle Beeinträchtigung beschweren, was wie eine Arbeitsniederlegung wirken kann. Entsprechende Vorschriften existieren nicht im PersVG. Diese Möglichkeit der Beschwerde leidet u.a. unter der Einschränkung, dass eine individuelle Beeinträchtigung verlangt wird. Sie erfasst damit eine Vielzahl von Missständen nicht, die ein Whistleblower melden oder offenlegen will.
5. Zur internen Meldung nach der EU-Richtlinie:
Wir haben oben schon die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das EU Recht melden, erwähnt[1] Sie kann im Internet eingesehen werden unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=serv:OJ.L_. 2019.305.01.0017.01.DEU&toc=OJ:L:2019:305:TOC. Sie muss bis zum 17. … Continue reading. Die Artikel 8 und 9 dieser Richtlinie verpflichten bei mehr als 50 Beschäftigten zur Einrichtung einer internen Stelle zur Meldung von Verstößen gegen EU-Recht und regeln das Verfahren für diese interne Meldungen und die Folgemaßnahmen.
6. Kollektives Whistleblowing:
In der Regel denkt man beim Whistleblowing an einzelne mutige Menschen, die einen betrieblichen Missstand bekannt machen. Aber in dem konkreten Fall der Überlastungsanzeige der Brigitte Heinisch und der sieben weiteren Kolleginnen und Kollegen waren es nicht ein, sondern mehrere Menschen, die die Überlastungsanzeige stellten. Es gibt Fälle, in denen es eher ausgeschlossen ist, dass der Hinweisgeber mit mehreren Menschen zusammen Missstände bekannt macht. Man denke nur an Edward Snowden. Jede weitere Person wäre für ihn ein unkalkulierbares Risiko geworden. Die Gefahr wäre zu groß gewesen, dass weitere Personen, die er in sein Tun „einweiht“, ihn verraten hätten, bevor er die Dokumente und sich selbst in Sicherheit hätte bringen können.Doch das gilt nicht in allen Fällen. Sowohl das Arbeitsschutzgesetz (§ 17) als auch das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (§ 13) sieht ausdrücklich vor, dass „die Beschäftigten“ eine Beschwerde einreichen können. Gemeinsames Handeln kann auch weniger Mutige mutig machen und dem Anliegen mehr Nachdruck verleihen. Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Gesetz sollte darauf geachtet werden, dass Whistleblowing nicht nur als ein Individualrecht ausgestaltet wird, sondern auch als kollektives Recht wahrgenommen werden kann.
II. Die externe Meldung von Missständen im Betrieb oder Büro
Eine externe Meldung im Sinne der Terminologie der EU Richtlinie 2018/0106 zum Schutz von Whistleblowern ist nicht die Öffentlichmachung von betrieblichen Missständen, sondern eine Meldung an die zuständigen Behörden.
7. Zuständige Behörden:
Als zuständige Behörden kommen bei einem Altenpflegeheim der Medizinische Dienst der Krankenkassen und die Heimaufsicht in Betracht. In der Lebensmittelbranche führen die Lebensmittelkontrollen die Aufsicht. Allen diesen Ämtern können die Beschäftigten betriebliche Missstände mitteilen.
8. Erst interne, dann externe Meldung?
Ein Beispiel: § 17 Absatz 2 ArbSchG sieht vor, dass sich die Beschäftigten an die „zuständige Behörde“ erst wenden sollen, wenn „der Arbeitgeber ihrer Beschwerde nicht abhilft“. Die zugrunde liegende Rahmen-Richtlinie 89/9392/EWG enthält diese Einschränkung jedoch nicht. Es gibt auch keine Sanktionen, wenn ein Beschäftigter den Missstand nicht erst betriebsintern meldet, sondern sich sofort an die Gewerbeaufsicht wendet. Ein zweistufiges Verfahren, wie es das Arbeitsschutzgesetz vorsieht, passt nicht zu der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Whistlerblowerschutz, die keine Rangfolge zwischen interner und externer Meldung vorschreibt: Ein Whistleblower kann einen Missstand direkt extern der zuständigen Behörde melden. Allerdings ist das Arbeitsschutzrecht aus dieser Whistleblower EU-Richtlinie 2019/1937 herausgenommen[2]§ 27 Absatz 3 Satz 2 a.E. und Erwähnungsgrund. Es kommt darauf an, dass das Arbeitsschutzrecht so geändert wird, dass Beschäftigte extern ohne vorherige interne Beschwerde der zuständigen Behörde Missstände im Arbeitsschutzrecht melden können.
Bei der Ausformulierung der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Whistlerblowerschutz war zunächst sehr streitig, ob ein Missstand betriebsintern mitgeteilt werden muss, bevor er extern der zuständigen Behörde mitgeteilt werden darf. Die Arbeitgeberverbände haben sich immer für dieses zweistufige Verfahren eingesetzt. Die Gewerkschaften haben immer zusammen mit dem Whistleblower Netzwerk den gegenteiligen Standpunkt vertreten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat nie einen Vorrang der betriebsinternen Meldung gefordert[3]Der EGMR Heinisch ./. Deutschland in Rn. 65 allgemein zur Frage der Nutzung anderer Kanäle (bevor ein Whistleblower die Öffentlichkeit informiert): „Wegen der Pflicht zur Loyalität und … Continue reading. Die jetzt beschlossene Richtlinie schreibt kein zweistufiges Verfahren vor, sondern lässt dem Whistleblower die Wahl: Ein Whistleblower kann also einen Missstand direkt extern der zuständigen Behörde melden – unter Umgehung der betriebsinterne Meldestelle.
In jedem Fall verlangt die Richtlinie, dass Vertraulichkeit gewährleistet wird. Es wird darauf ankommen, dass beide Regelungen – freie Wahl interner oder externer Meldung und Vertraulichkeit – bei der Umsetzung in deutsches Recht nicht aufgegeben oder verwässert werden.
9. Externe Meldung durch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft.
Eine wichtige Behörde, die für einen Whistleblower für eine „Externe Meldung“ genutzt werden kann, haben wir bisher noch nicht genannt: Die Staatsanwaltschaft, bei der Anzeige erstattet werden kann, wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht. Hinweis: Eine Strafanzeige sollte nur unter Zuhilfenahme eines Anwalts erfolgen.
10. Keine wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben.
Dabei muss der Anzeigende nicht beweisen, dass die Straftat tatsächlich begangen wurde. Für denjenigen, der eine Straftat anzeigt, dürfen nicht andere höhere Anforderungen gemacht werden als für denjenigen, der außerhalb eines Betriebs eine Straftat anzeigt. Daher kommt es nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[4]BVerfG 2. Juli 2001 Az.: 1 BvR 2049/00 Rn.20 allein darauf an, dass derjenige, der den Verdacht auf eine Straftat seines Arbeitgebers bei der Staatsanwaltschaft anzeigt, nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht.
Hinweis: Das gilt für alle internen oder externen Meldungen eines Whistleblowers: Der Anzeigende darf nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben machen. Dagegen sind die Anforderungen, die die EU-Richtlinie 2019/1937 an interne oder auch externe Meldungen stellt, zu hoch. Sie verlangen, dass Whistleblower „hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen“[5]Artikel 6 Absagz 1 a) der EU-Richtlinie 2019/1937.
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III. Die Offenlegung (Öffentlichmachung)
Offenlegung wird die Weitergabe an Presse , Funk und Fernsehen genannt.
11. Regel: Erst interne oder externe Meldung, dann Offenlegung
Nach der Rechtsprechung des EGfMR ist eine Offenlegung nur das letzte Mittel zur Beseitigung von Missständen:„Wegen der Pflicht zur Loyalität und zur Diskretion sollten Hinweise daher in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorgebracht werden. Nur wenn dies eindeutig unpraktikabel ist, darf als ultima ratio die Öffentlichkeit informiert werden. Für die Beurteilung, ob die Einschränkung der Meinungsfreiheit verhältnismäßig war, muss der Gerichtshof daher berücksichtigen, ob dem Beschwerdeführer andere wirksame Mittel zur Verfügung standen, um etwas gegen den angeprangerten Missstand zu tun“ [6]EGMR Heinisch Rn. 65; siehe Guja, a.a.O., Rdnr. 73.
In der EU-Richtlinie 2019/1937 ist die Regel: Vor der Offenlegung (Öffentlichmachung) ist der betriebliche Missstand in aller Regel zunächst interne und extern oder extern zu melden[7]Artikel 15 EU-Richtlinie 2019/1937 .
12. Ausnahmsweise Offenlegung ohne vorherige externe Meldung
Eine Offenlegung ohne vorherige interne und externe oder externe Meldung ist nach der Whistleblower-Richtlinie der EU 2019/1937 nur zulässig, wenn 1. der Whistleblower hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, so z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schaden, oder 2. im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder 3. aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, beispielsweise weil Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten oder wenn zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt sein könnte[8]Artikel 15 Absatz 1 der EU Richtlinie im Wortlaut: (1) Ein Hinweisgeber, der Informationen offenlegt, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn eine der folgenden Bedingungen … Continue reading.
Wenn die Öffentlichkeit informiert wird, ist besonders sorgfältig ist die Richtigkeit der Angaben zu prüfen, die an die Öffentlichkeit gegeben werden sollen.
Hinweis: Eine Offenlegung (Öffentlichmachung) sollte nur unter Zuhilfenahme eines Anwalts erfolgen.
IV. Wertung der Regeln zur Mitteilung und Offenlegung
13. Meldung vor Offenlegung‘ ist kein Schutz von Whistleblowern, sondern ein besonderer Schutz der Unternehmen vor freier Meinungsäußerung:
Der Vorrang der externen Meldung (an die zuständige Behörde) vor der Offenlegung (Öffentlichmachung) ist ein besonderer Schutz der Unternehmen vor der freien Meinungsäußerung und wird aus einer arbeitsvertraglichen Loyalitätspflicht hergeleitet. Eine Kündigung wegen Verletzung dieser Loyalitätspflicht – das ist ein Recht, das nur die Unternehmen geltend machen können[9]Der spitzfindige hauptsächlich von neunmal schlauen Juristen vorgetragene Einwand, der Beschäftigte könne auch umgekehrt dem Arbeitgeber wegen dessen Illoyalität kündigen (so z.B. Stephan … Continue reading. Auch Vivantes machte dieses Recht geltend und kündigte Brigitte Heinisch. Würde gegenüber dem Arbeitgeber das Recht auf freie Meinungsäußerung in demselben Umfang gelten wie sonst im zivilen Leben, dann müsste sich ein Arbeitgeber mit den außerhalb des Arbeitslebens üblichen Abwehrrechte zufrieden geben (Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung, zivilrechtliche Klage auf Schadenersatz und Unterlassung usw.).
14. Aus der Geschichte lernen!
Whistelblowerinnen und Whistelblower stützen sich auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung.
Der Wortlaut der Weimarer Reichsverfassung (WRV) enthielt einen viel weitergehenden Schutz als heute die überwiegende Rechtsmeinung dem Whistelblowing einräumen will. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde in der Weimarer Reichsverfassung durch folgende Ergänzung zusätzlich geschützt: „An diesem Recht darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht“ (Art. 118 Absatz 1 Satz 2 WRV).
Diese Verfassung war geprägt von der Novemberrevolution 1918, der Geburtsstunde der ersten Republik in Deutschland. Der erste Aufruf der neuen Regierung, dem Rat der Volksbeauftragten, verkündete am 12. November 1918 neben dem 8-Stunden-Tag die bürgerlichen Rechte, so unter Ziff. 4: „Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei“. Die Novemberrevolution war stark von dem Bestreben geprägt, auch in den Betrieben, den Unternehmen und der gesamten Wirtschaft mehr Demokratie durchzusetzen. So wurden die Enteignung (Sozialisierung) von großen Unternehmen und Arbeiter-, Bezirks- und Wirtschaftsräte gefordert. Die Enteignungsforderung schlug sich in Art. 156 Satz 1 WRV (heute: Art 15 GG) nieder und die Forderung nach Räten in Art. 165 WRV. Die Betriebsräte stehen in dieser Tradition, die erste Betriebsverfassung wurde mit dem Betriebsrätegesetz von 1920 beschlossen (heute: Betriebsverfassungsgesetz). Und das Recht auf freie Meinungsäußerung sollte uneingeschränkt auch in den Betrieben und Unternehmen gelten; es wurde deswegen durch den oben zitierten Zusatz (Art. 118 Absatz 1 Satz 2 WRV) besonders geschützt.
Würde dieser Zusatz heute noch gelten und Wortlaut sowie Sinn und Zweck dieser Regelung ernst genommen, so gäbe es kein Sonderrecht der Unternehmen zum Schutz vor unliebsamen Meinungsäußerungen. Ebenso wie Whistleblower wählen können, ob sie einen Missstand zunächst betriebsintern oder sofort und direkt extern einer zuständigen Behörde melden, müssten Whistelblower auch frei wählen können zwischen interner bzw. externer Meldung eines Missstandes und dem sofortigen und unmittelbaren Gang an Presse, Funk oder Fernsehen.
References
↑1 | Sie kann im Internet eingesehen werden unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=serv:OJ.L_. 2019.305.01.0017.01.DEU&toc=OJ:L:2019:305:TOC. Sie muss bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden; geschieht das nicht, kann man sich nach Ablauf dieser Frist unmittelbar auf diese EU-Richtlinie berufen. |
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↑2 | § 27 Absatz 3 Satz 2 a.E. und Erwähnungsgrund |
↑3 | Der EGMR Heinisch ./. Deutschland in Rn. 65 allgemein zur Frage der Nutzung anderer Kanäle (bevor ein Whistleblower die Öffentlichkeit informiert): „Wegen der Pflicht zur Loyalität und zur Diskretion sollten Hinweise daher in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen vorgebracht werden“. Zu beachten ist das „oder“, mit dem die möglichen Kanäle aufgezählt werden; die Vorgesetzten als betriebsinterner ‚Kanal‘ und die externe zuständige Behörde werden gleichrangig nebeneinander genannt. Micha Heilmann, NGG in der öffentlichen Anhörung am 4.6.2008 des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Protokoll Nr. 16/81 – neu): Ein Arbeitnehmer „wendet sich an die Lebensmittelbehörden, oder er wendet sich an den Datenschutzbeauftragten oder die Staatsanwaltschaft. Dann fängt die Prüfung erst an. Damit steht ja nicht fest, dass das was der Arbeitnehmer dort aufgrund von konkreten Anhaltspunkten berichtet hat, sozusagen automatisch zutreffend ist. Es geht darum, eine Prüfung zu ermöglichen, zu sagen, hier liebe Behörden, hört mich an und ich möchte, dass das geklärt wird. Ein absoluter Vorrang innerbetrieblicher Klärung wäre das Letzte, was man gebrauchen kann.“ |
↑4 | BVerfG 2. Juli 2001 Az.: 1 BvR 2049/00 Rn.20 |
↑5 | Artikel 6 Absagz 1 a) der EU-Richtlinie 2019/1937 |
↑6 | EGMR Heinisch Rn. 65; siehe Guja, a.a.O., Rdnr. 73 |
↑7 | Artikel 15 EU-Richtlinie 2019/1937 |
↑8 | Artikel 15 Absatz 1 der EU Richtlinie im Wortlaut:
(1) Ein Hinweisgeber, der Informationen offenlegt, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist: a) Er hat zunächst intern und extern oder auf direktem Weg extern gemäß den Kapiteln II und III Meldung erstattet, aber zu seiner Meldung wurden innerhalb des Zeitrahmens ……… keine geeigneten Maßnahmen ergriffen oder b) der Hinweisgeber hat hinreichenden Grund zu der Annahme, dass i) der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann, so z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens; oder ii) im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falls geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, beispielsweise weil Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten oder wenn zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten oder die Behörde an dem Verstoß beteiligt sein könnte. Der spitzfindige hauptsächlich von neunmal schlauen Juristen vorgetragene Einwand, der Beschäftigte könne auch umgekehrt dem Arbeitgeber wegen dessen Illoyalität kündigen (so z.B. Stephan Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1866-3, S. 287 ff), ist von einer ausgeprägten Blindheit geschlagen. Denn die Folge dieser Kündigung trägt ganz allein der Beschäftigte, der sich auf diese Weise gegen die Illoyalität des Arbeitgebers wehren will. Aus Empörung über die Illoyalität des Arbeitgebers schadet sich der Beschäftigte nur selbst, der sich mit der eigenen Entlassung (und nicht der Entlassung des Arbeitgebers) seine eigene Existenzgrundlage entzieht. Die Illoyalität des Arbeitgebers beginnt im Übrigen schon damit, dass er tagtäglich die Dienste als die seinen ausgibt und verkauft, obwohl die Beschäftigten sie erbracht haben. |
↑9 | Der spitzfindige hauptsächlich von neunmal schlauen Juristen vorgetragene Einwand, der Beschäftigte könne auch umgekehrt dem Arbeitgeber wegen dessen Illoyalität kündigen (so z.B. Stephan Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1866-3, S. 287 ff), ist von einer ausgeprägten Blindheit geschlagen. Denn die Folge dieser Kündigung trägt ganz allein der Beschäftigte, der sich auf diese Weise gegen die Illoyalität des Arbeitgebers wehren will. Aus Empörung über die Illoyalität des Arbeitgebers schadet sich der Beschäftigte nur selbst, der sich mit der eigenen Entlassung (und nicht der Entlassung des Arbeitgebers) seine eigene Existenzgrundlage entzieht. Die Illoyalität des Arbeitgebers beginnt im Übrigen schon damit, dass er tagtäglich die Dienste als die seinen ausgibt und verkauft, obwohl die Beschäftigten sie erbracht haben |