Streikrecht, ESC und Grundgesetz

Wir schlagen folgende Garantie des Streikrechts im Grundgesetz vor, die insbesondere die immer noch bestehenden Einschränkungen des deutschen Streikrechts gegenüber anderen europäischen Ländern beendet:

Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, wird das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts anerkannt, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus Tarifverträgen.“ .

Bisher wird die Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz mit den folgenden beiden Sätzen garantiert:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig„.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht 1984 festgestellt, dass Tarifverhandlungen ohne Streikrecht „kollektives Betteln“ wären, und auch das Bundesverfassungsgericht hat dem Recht auf Streik Verfassungsrang eingeräumt, aber eine ausdrückliche Streikgarantie enthält das Grundgesetz nur indirekt: 1968 wurden nach sehr scharfen außerparlamentarischen und parlamentarischen Auseinandersetzungen im Bundestag die Einschränkung zahlreicher Freiheitsrechte im Falle eines Notstands beschlossen. Wegen der zahlreichen Proteste, die auch von den Gewerkschaften mitgetragen wurden, wurden ein Satz hinzugefügt, der anordnet, dass diese Notstands-maßnahmen sich nicht gegen „Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden„, richten dürfen[1]„Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und … Continue reading.

Wir fordern, den oben vorgeschlagenen und rot gekennzeichnete Satz voranzustellen, der das Streikrecht direkt und umfassend garantiert.

Damit würde eine Regelung in das Grundgesetz aufgenommen, die in der Europäischen Sozialcharta (ESC) enthalten ist und der der Bundestag schon vor vielen Jahren zugestimmt hat. Sie ist damit jetzt schon wie ein einfaches Gesetz zu beachten. Durch Aufnahme in das Grundgesetz würde der Rang dieser Regelung erhöht und ihrer andauernden Nichtbeachtung ein Riegel vorgeschoben. Die antifaschistische Ausrichtung des Grundgesetzes würde mit dieser Regelung erheblich verstärkt.

Die Regelung der Europäischen Sozialcharta[2]Artikel 6 Nr. 4 ESC lautet:

Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, …

und anerkennen,

4) das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus Gesamtarbeitsverträgen

Gesamtarbeitsverträge heißen in Deutschland Tarifverträge.

Mit dem von uns geforderten zusätzlichen Satz würde Koaltionsfreiheit und Streikrecht umfassend gesichert. Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz würde dann lauten:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, wird das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts anerkannt, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus Tarifverträgen. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden „.

References

References
1 Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden„, Art 9 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz; die vielen Verweisungen in diesem Satz beziehen sich alle auf Notstandsregelungen
2 Artikel 6 Nr. 4 ESC

Wir über uns, unsere website und Vortragsankündigungen


Benedikt Hopmann

Anwalt, Mitherausgeber der Buchreihe WIDERSTÄNDIG und politischer Aktivist.

Mitglied der IG Metall, der VVN-BdA, VDJ, IALANA und DIE LINKE Neukölln und DIE LINKE (kommunistische Plattform).

Zur Website der Kanzlei hier:

Zu Politik und Gesellschaft die vorliegende Website hier:

Zur Buchreihe WIDERSTÄNDIG hier: oder die Website der Buchreihe hier:

Social Media:

Facebook: Widerständig | Facebook

YouTube: Benedikt Hopmann – YouTube


Ingo Müller

Hobbyfotograf- und Filmer

Techn. Betreuer ,Foto- und Videobearbeitung

Mitglied: Ver.di, Die LINKE Reinickendorf

Webseiten:

www.beallshundewiese.de

http://ingosmediawelt.de/

Social Media:

YouTubehttps://www.youtube.com/user/Ingobella1

FacebookAllgemeinIngo Müller | Facebook

FacebookFotoseite: Ingo Müller | Facebook


Vortragsankündigungen:

Klimastreik ohne Streik? – Für ein umfassendes Streikrecht

Workshop mit RA Benedikt Hopmann und Klimaaktivist Massi

Der Schulstreik 2019 war ein politischer Streik und das ist eine ungehorsame Aktionsform. Nach der herrschenden Meinung soll der politische Streik in Deutschland verboten sein, die Arbeitsniederlegung mit politischen Forderungen ist ein noch ungehorsamerer Akt.

Wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung sich fragt, wie sie ihre Kämpfe zuspitzen kann, sollte auch der politische Streik diskutiert werden.

Um den politischen Streik durchzusetzen, braucht es eine extrem breite Bewegung, die sich in die Lage versetzt, mit der zu erwartenden Repression umzugehen. Denn das politische Streikrecht bekommen wir nicht, wenn wir es einfordern, sondern nur, wenn wir es tun. Das braucht lange Vorbereitung und die Gewerkschaften machen es nicht von allein.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung strebt nach globaler Gerechtigkeit und hat einen starken antirassistischen und antikolonialen Anspruch.

Innerhalb Deutschlands ist ein Ausdruck von Rassismus und Ungerechtigkeit die systematische Prekarisierung von Migrant*innen. Manchmal ist die naheliegende Streikform in prekarisierten Arbeitsverhältnissen der wilde Streik, wenn die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, diese Menschen zu organisieren. Wilde Streiks zu unterstützen und sich gegen prekäre Arbeitsverhältnisse zu organisieren sollte daher eine Selbstverständlichkeit in der Klimagerechtigkeitsbewegung sein. Alleine schon um zu verhindern, dass Klimapolitik den Druck auf prekarisierte Menschen erhöht[1](Dieser Text wurde von Esther formuliert und gibt gut das Anliegen des Themas wieder

Dieser Workshop findet statt: .

25. August 2022: 14:30 Uhr bis 16:30 Uhr: Klimakamp Lützerath
02. November 2022: über Zoom (Daten werden noch bekannt gegeben)
14. Dezember 2022: Düsseldorf (Uhrzeit und genauer Ort werden noch bekannt gegeben)

ANTIKRIEGSTAG/WELTFRIEDENSTAG 1. September 2022

RADDEMO mit KUNDGEBUNGEN: Beginn: 17 Uhr Verteidigungsministerium – Potsdamer Platz – Finanzministerium – Willy-Brandt-Haus – Axel-Springer-Haus – Außenministerium – Neue Wache

Aus diesem Anlass werden an den angegebenen Haltepunkte kurze Reden gehalten.

Benedikt Hopmann wird vor dem Willy Brand-Haus um 17:55 Uhr sprechen.

Wir fordern:
Stoppt die Kriege weltweit!
Verhandlungen und Diplomatie statt Waffenlieferungen und
Sanktionen! Abrüstung statt Kriegseskalation!
Wir wollen:
Gemeinsame Sicherheit für alle, ökologische und soziale Gerechtigkeit.


Am 1. September vor 83 Jahren überfiel das faschistische Deutschland Polen und begann damit den Zweiten Weltkrieg.
An dessen Ende 1945 waren fast alle europäischen Staaten zerstört und 60 Millionen Menschen hatte der Krieg das
Leben gekostet.
Als Erinnerung daran und als Mahnung für heute rufen wir am Antikriegstag-Weltfriedenstag, zur Friedensaktion auf.
Mehr denn je zeigt sich, wie wenig der Frieden, gar eine friedlich-lebenswerte Zukunft durch Abschreckung und
Aufrüstung gesichert werden kann.
Die politische Situation, in der sich Deutschland heute befindet, lässt den Willen zu gewaltfreier Lösung von Konflikten
nicht erkennen. Diplomatie ist zum Fremdwort geworden. Die deutsche Regierung wird ihrer Verantwortung nicht
gerecht …


Gruppen der Friedenskoordination Berlin www.frikoberlin.de


Ehrensymposium für Dr. Rainer Zilkenat

Ihm zu Ehren veranstaltet der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung ein Symposium mit dem Titel

Kein Schlussstrich! Der Aufstieg des deutschen Faschismus und der antifaschistische Widerstand“

am Samstag, d. 12. November 2022 von 14-18 Uhr in der Bibliothek der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Straße der Pariser Kommune 8a, 10243 Berlin, gegenüber des Ostbahnhofs.

Es referieren Dr. Stefan Bollinger,. Prof. i.R. Dr. Peter Brandt, Dr, Holger Czitrich-Stahl, Dr. Stfan Heinz, Benedikt Hopmann, Simona Schubertova.


Mitglieder der IGM gedenken der Ermordeten in Hanau, Foto: Christian von Polentz

Um wen geht es?

Es geht um diejenigen, die auf dieser Erde leben und arbeiten wollen und durch gemeinsames Handeln eine Gegenmacht bilden können … weiterlesen hier


Lerne zeitig klüger sein:

Auf des Glückes großer Waage

steht die Zunge selten ein;

Du musst steigen oder sinken,

Du musst herrschen und gewinnen,

Oder dienen und verlieren,

Amboss oder Hammer sein

leiden oder triumphieren,

Johann Wolfgang von Goethe, Cophtisches Lied


Um was geht es?

Wie Gegenmacht aufgebaut wird, zeigen wir an konkreten gelebten Beispielen

  • in der Buchreihe WIDERSTÄNDIG und
  • in Beiträgen auf dieser website:
    • die Menüleiste oben gibt in Stichpunkten eine Übersicht,
    • auf der Startseite stehen aktuelle Beiträge
    • in der rechten Spalte sind besonders lesenswerte Beiträge zusammengestellt

weiterlesen hier


Zu den Themen dieser website (siehe auch Menüleiste oben):

References

References
1 (Dieser Text wurde von Esther formuliert und gibt gut das Anliegen des Themas wieder

9 November 2021 – Gedenkveranstaltung Unvollendete Revolution 1918

Nach über 100 Jahren bleiben die Kämpfe und Gedanken der Novemberrevolution aktueller denn je. Dennoch sind die Geschehnisse rund um den 9. November 1918 und der Novemberrevolution heute größtenteils aus unserem Gedächtnis verdrängt worden. Der Kampf der revolutionären Arbeiter*innenbewegung, ihre Errungenschaften, ihr Verrat durch die SPD und die Niederschlagung durch rechte Kräfte verbleiben wie eine Randnotiz in der bürgerlichen Geschichtsschreibung. Jene Allianzen aus den Resten der Monarchie, des Militärs, der Freikorps sowie der Großindustrie bildeten später die Basis für den aufkommenden deutschen Faschismus. Die Niederschlagung der Revolution war somit der Auftakt der faschistischen Konterrevolution. Die Gründe gegen den Krieg und Kapital aufzubegehren sowie der Kampf für ein Leben frei von Ausbeutung und Unterdrückung sind die gleichen wie heute. Damals wie auch heute sind wir konfrontiert mit einem ausbeuterischen System, in dem Profit über dem Wohle der Gesellschaft und der Lohnabhängigen steht. Fragen nach Vergesellschaftung, nach Frieden und einem Ende der Ausbeutung sind aktueller denn je. Damit solche historischen Bezüge nicht nur bei einem „Blick zurück“ verbleiben und die berechtigten Anliegen von damals mit den weiterhin bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen von heute und den dazugehörigen aktuellen Kämpfen verknüpft werden, engagieren wir uns für ein aktives Gedenken.

Hier der Trailer zur Dokumentation dieser Veranstaltung.

Die Dokumentation steht euch hier zur Verfügung.

Hier die Rede “Wessen Welt ist die Welt?” von Benedikt Hopmann am 9. November 2021 aus Anlass des Jahrestages der Novemberrevolution 1918

Deutsche Wohnen & Co. enteignen!

Rot-rot-grünes Vergesellschaftungsgesetz steht in den Sternen

November 23, 2021 von Benedikt Hopmann

image_pdf

Zusammenfassung:

Die zukünftige rot-rot-grüne Koalition hat beschlossen, in den ersten 100 Tagen der neuen Landesregierung zum Ergebnis des Volksentscheids eine Kommission einzusetzen.

Der Senat will auf der Grundlage der Ergebnisse der Kommission nicht nur über einen “verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung” entsprechend den Vorgaben des Volksentscheids entscheiden, sondern eine Vergesellschaftung “unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkte” gewichten und bewerten und dann entscheiden. Aber die Berlinerinnen und Berliner schon haben schon entschieden: Sie haben im Volksentscheid mehrheitlich für eine Vergesellschaftung aller privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gestimmt. Was will der Berliner Senat jetzt neu entscheiden? Mit solchen Formulierung macht der Senat jetzt schon deutlich, dass er das Ergebnis des Volksentscheids – entgegen seinen Beteuerungen – nicht respektieren will.

Die Initiative “DW & Co enteignen” will sich an der Expertenkommission beteiligen und nur über das “wie” der Umsetzung des Volksentscheids reden. Es wird darauf ankommen, ob es ihr gelingt, die Beerdigungsstrategie der rot-rot-grünen Koalition zu durchkreuzen.

Nur “gegebenenfalls” will der Senat “Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz” vorlegen, und zwar erst “im Jahr 2023″. Eckpunkte sind kein ausformuliertes Gesetz. Ob und wann der Senat dem Abgeordnetenhaus ein Vergesellschaftungsgesetz zur Lesung und Verabschiedung zuleiten wird, steht in den Sternen.

Wenn der Senat nicht will, muss das Volk das letzte Wort haben. Weiterlesen hier:


Ergebnis Volksentscheid: 56 Prozent für Enteignung der Wohnungskonzerne

Über eine Millionen Menschen– 56,4 Prozent – stimmten am Sonntag für die Enteignung der großen Wohnungskonzerne. Nur 39,0 Prozent stimmten dagegen Weiterlesen hier:

Foto: Ingo Müller

Für ein Ja im Volksentscheid am 26. September

Zu diesem Thema lud am 7. September 2021 die Kordination “9. November 1918 – Die unvollendete Revolution” im Vorfeld der Wahlen und des Volksentscheids am 26. September in das ver.di-Haus, Köpenicker Straße, ein.

Die Veranstaltung war sehr lebendig, auch wenn wegen der Pandemie nur 30 Personen teilnehmen konnten. VertreterInnen der beiden großen Gewerkschaften ver.di und IGMetall haben begründet, warum sie ihre Mitglieder auffordern, mit Ja zu stimmen. Ein Vertreter der ‚Initiative Deutsche Wohnen enteignen‘ informierte über den Stand der Kampagne, ein historischer Abriss erklärte wie der Artikel 15 (Vergesellschaftung) in das Grundgesetz kam, und es wurde kurz diskutiert. Zur guten Laune trug das wunderbare Musikduo von“Incredible Herrengedeck“ bei.

Bilder, Video und weiterer Text hier:


Mietendemo21

Am 11. September 2021 gingen erstmalig Mieter*inneninitiativen und -vereine, stadtpolitische Gruppen, Gewerkschaften und Verbände aus dem gesamten Bundesgebiet in Berlin auf die Straße, um gemeinsam einen radikalen Kurswechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik von der zukünftigen Bundesregierung einzufordern.

weiterlesen und Bildergalerie hier:


Wessen Welt ist die Welt?

Rede von Benedikt Hopmann am 9. November 2021 aus Anlass des Jahrestages der Novemberrevolution 1918:

Die Gesundheitsversorgung

Silvia Habekost, aktiv in der Gewerkschaft ver.di und der Berliner Krankenhausbewegung, hat beschrieben, wie die Krankenhausbewegung für bessere Bedingungen für Arbeitskräfte und die Patienten in den Krankenhäusern kämpft. Der entscheidende Einschnitt in die Gesundheitsversorgung war gekommen, als den Krankenhäusern ermöglicht wurde, Gewinne zu erwirtschaften, und Fallpauschalen eingeführt wurden. Die Krankenhäuser wurden in den gegenseitigen Wettbewerb getrieben. An den Pflegekräften wurde gespart. Krankenhäuser, die Verluste auswiesen, wurden entweder geschlossen oder privatisiert. So entstanden große private Unternehmen, die mit Krankenhäusern Gewinne machten wie andere Konzerne mit der Produktion von Autos. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo es verboten war, in einem Krankenhaus Gewinne zu erwirtschaften. Die Krankenhäuser waren in öffentlicher Hand oder wurden von kirchlichen Einrichtungen betrieben. Diese großen privaten Krankenhauskonzerne, die den Betrieb von Krankenhäusern zu ihrem Geschäftsmodell machten, gab es nicht. Jetzt aber werden die Krankenhäuser in öffentlicher Hand zu einer auf Gewinn orientierten Wirtschaftsführung gezwungen. Wettbewerb in den Krankenhäusern ist die Devise.

In Berlin regte sich der Widerstand allerdings nicht in den privaten Krankenhäusern, sondern in den öffentlichen, in der größten Universitätsklinik Europas, der Charité, und im größten kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes und deren Töchtern. Die öffentlichen Krankenhäuser werden nicht von dem Wettbewerb verschont, der entfesselt wurde. So wurden auch dort massiv Pflegekräfte eingespart. Andererseits gibt es in den öffentlichen Krankenhäusern besonders gute Möglichkeiten wirksamen Druck aufzubauen. Das hat die Berliner Krankenhausbewegung mit ihrem 100 Tage Ultimatum, ihrem Streik und anderen Aktionen, mit denen sie die Politik direkt in die Verantwortung nahm, eindrucksvoll demonstriert. Die Landesregierung kann unter erheblichen Druck gesetzt werden, weil sie als Eigentümerin der Krankenhäuser unmittelbar für die Zustände dort verantwortlich ist.

Schon allein diese erweiterten Einwirkungsmöglichkeiten der Beschäftigten sind ein wichtiges Argument für Krankenhäuser in öffentlicher Hand.    

Nicht nur das Gesundheitswesen wurde von einer systematischen Privatisierung überzogen, sondern viele andere Bereiche des Lebens auch. Nichts blieb verschont. Alles wurde zu einer Kapitalanlage.

Die Bahn

Auch die Bahn. Die Deutsche Bahn wurde zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt und Bahnchef Mehdorn setze alles daran, den Verkauf der Aktien an Private vorzubereiten. Es reichten damals schon die Vorbereitungen auf die geplante Privatisierung, um allen klarzumachen, wohin die Reise geht. Die Privatisierung selbst kam damals nicht mehr zustande, weil die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise allen Verkaufsplänen einen Strich durch die Rechnung machte. Die Deutsche Bahn und mit ihr die Berliner S-Bahn blieb zu 100 Prozent in staatlicher Hand.

Erinnert sich noch jemand an die S-Bahn Krise im Jahr 2009? Wir standen im Winter frierend an den Bahngleisen und warteten auf den nächsten Zug – oft vergeblich.

Der Grund war ein massives Sparprogramm, zu dem Bahnchef Mehdorn drei Jahre zuvor die Bahn gezwungen hatte. Das war die Vorbereitung, um die Aktien der Deutschen Bahn AG besser an Private verkaufen zu können. Die „Braut“ für den Verkauf „schön machen“ heißt das in diesem merkwürdigen Aktionärsjargon. 2006 beschäftigte die S-Bahn 3.700 Menschen. Zwei Jahre später waren es 900 weniger. Die wichtige Betriebswerkstatt Friedrichsfelde wurde geschlossen. Personalmangel führt zu Wartungsmängeln. Die Folgen im Jahr 2009: Radbruch, Zugentgleisung. Die Aufsichtsbehörde trat auf den Plan und zog zeitweilig 75 Prozent der Viertelzüge aus dem Verkehr.

Also:

Privatisierung ist nicht die Lösung, Privatisierung ist das Problem.

Und welche Lehre zog der Senat daraus? Hat er daraus gelernt?

Vor einem Jahr schrieb der Senat den Betrieb der S-Bahn europaweit aus. Berlin musste das nicht. Sie kann die S-Bahn auch in eigener Regie betreiben, wie sie das im U-Bahn-, Straßenbahn- und Busverkehr mit der landeseigenen BVG auch tut.

Doch aufgrund der Ausschreibung können sich jetzt auch private Unternehmen bewerben. Bekommt eines von ihnen den Zuschlag, dann ist der Betrieb der S-Bahn privatisiert, und zwar über Jahre hinaus.

Wettbewerb auf der Schiene ist auch das Zauberwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird.

Die Folgen kann man zurzeit in Baden-Württemberg und NRW besichtigen: Dort hat der private Bahn-Betreiber Abellio Insolvenz angemeldet. Aber der Bahnbetrieb muss weiterlaufen. Jedes Unternehmen, das jetzt diesen beiden Ländern aus der Not hilft, wird sich das teuer bezahlen lassen. Diese Länder haben sich mit der Privatisierung des Bahnbetriebes erpressbar gemacht.

Daher die eindringliche Warnung:

  • Es gibt Argumente für einen besseren öffentlichen Nahverkehr,
  • es gibt aber kein Argument für seine Privatisierung.

Die Konsequenz für die S-Bahn:

  • Die Ausschreibung der S-Bahn muss sofort abgebrochen werden.

Noch ist es nicht zu spät, wie die unermüdliche Arbeit der Initiative „Eine S-Bahn für alle“ in einem Gutachten nachgewiesen hat, das von ihr in Auftrag gegebenen wurde. Wenn das Land jedoch zu lange wartet, kann der Ausstieg sehr teuer werden. Und das will der Senat dann auch.

Nicht nur die S-Bahn, auch die bundesweite Deutsche Bahn ist gefährdet. Die Parteien, die demnächst die Bundesregierung stellen wollen, scheinen sich jedenfalls das Ziel gesetzt zu haben, die Bahn zu zerschlagen. Das Schienennetz soll unabhängig von der Deutschen Bahn AG verwaltet werden und auf diesem Schienennetz der Betrieb der Regio- und Fernbahnen und des Güterverkehrs der Deutschen Bahn AG mit privaten Bahnbetreibern konkurrieren. ‚Wettbewerb‘ auch hier das Zauberwort. Jetzt nicht ‚Wettberwerb in den Krankenhäusern‘, sondern: ‚Wettbewerb auf der Schiene‘. Dann folgte die Privatisierung.

Anders ist es in der Schweiz. Dort wird der Fernverkehr überwiegend in öffentlicher Haand betrieben, von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) – in enger Kooperation mit vielen kantonalen Bahnunternehmen, mit einem perfekt abgestimmten integralen Taktfahrplan und einem zuverlässigen Verkehr und ohne Trennung von Netz- und Zugbetreibern [1]siehe Dr. Bernhard Knierim „Wie der Wettberwerb die Bahn beschädigt“. Was in der Schweiz möglich ist, sollte auch in Deutschland möglich sein.

Es gab und gibt Gegenwehr. Silvia Habekost hat das am Beispiel der Krankenhausbewegung beschrieben. Gegen die Ausschreibung der S-Bahn mobilisiert das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle!“.

Und ich erinnere an die zwei erfolgreichen Volksentscheide in Berlin gegen den Ausverkauf öffentlichen Eigentums.

Das Wasser

In dem ersten Volksentscheid ging es um die Privatisierung des Wassers.

Die Initiative „Wasserprivatisierung – Nein danke!“ bekam so viel Unterstützung, dass die Stadt die Anteile an den Berliner Wasserbetrieben, die sie an die Konzerne RWE und Veolia verkauft hatte, wieder zurückkaufen musste. Die Rückführunng der Wasserbetriebe in städtisches Eigentum war also ein Rückkauf und keine Enteignung. Trotzdem stand die Auseinadersetzung um das Eigentum im Zentrum der Auseinadersetzung: Wem gehört das Wasser? Wem gehören die Wasserbetriebe?

Große Bedeutung für den Erfolg der Kampagne hatte der Umstand, dass um ein grundlegendes Lebensmittel für alle ging, das Wasser. Johanna Erdmann von der Initiative ‚Wassertisch‘ hat in dem Video, das wir eingespielt haben, dazu wichtige Hinweise gegeben.

Die Initiative Wassertisch war eine Reaktion – ein Akt der Gegenwehr. Nicht der Wassertisch, der Senat hatte mit dem Verkauf von Anteilen an den Berliner Wasserbetrieben zuerst die Frage „Wem soll das Wasser gehören?“ auf die Tagesordnung gesetzt.

Dass der Berliner Senat zum Rückkauf des Wassers gezwungen werden konnte, zeigt: Es ist möglich, zu gewinnen. Das machte vielen Mut. Und es wuchs die Erkenntnis:

  • Wenn etwas in öffentlicher Hand ist, ist nicht immer alles gut.
  • Aber mit Sicherheit wird nach einer Privatisierung alles schlechter.

Die Wohnungen

In dem zweiten erfolgreichen Volksentscheid ging es um die Wohnungen in Berlin:

200.000 Wohnungen privatisierte der Berliner Senat zwischen 1990 und 2005. Allein im Jahr 2004 ging der ganze Bestand der landeseigenen GSW – 65.000 Wohnungen – an das private Unternehmen Cerberus, das diese Wohnungen später unter anderem an die Deutsche Wohnen weiterverkaufte.

Damit hatte der Senat die Möglichkeit aus der Hand gegeben, auf die Mietpreise von 200.000 Wohnungen dämpfend einzuwirken.

Allein von 2012 bis 2021 stiegen die Mieten von über 6 €/qm auf über 10 €/qm[2]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/535119/umfrage/mietpreise-auf-dem-wohnungsmarkt-in-berlin/.

Nicht nur die Mieten stiegen, auch die Empörung stieg.

Daraus entstand die Idee, alle großen privaten Wohnungsunternehmen zu enteignen. So erhofft man sich, die explodierenden Mieten besser in den Griff zu bekommen.

Immer wieder wird behauptet, das Geld wäre besser in mehr Neubau angelegt. Aber:

  • Man kann das eine tun und das andere nicht lassen:
  • Man kann enteignen und neu bauen

Der Berliner Haushalt wird jedenfalls mit keinem einzigen Cent belastet, wenn den enteigneten Unternehmen eine Entschädigung gezahlt wird. Der Senat hat das selbst kurz vor den Wahlen vorgemacht: Er ließ 14.750 Wohnungen von der DW und Vonovia zurückkaufen, aber nicht über die Berliner Landeskasse, sondern über seine Wohnungsgesellschaften. Den Kaufpreis holen sich diese Wohnungsgesellschaften über die Mieten zurück. Das Land Berlin wird mit keinem Cent belastet. Der Berliner Finanzsenator Kollatz beschrieb diesen Deal als einen guten Vertrag, als einen „Vertrag   mit Zukunft“.

Der Preis für jede Wohnung betrug allerdings bei diesem Rückkauf mehr als das 20-fache von dem, was Cerberus dem Senat im Jahr 2004 für diese Wohnungen gezahlt hatte.

Das Wort Cerberus kommt aus dem Lateinischen und heißt Höllenhund. Der Begriff Privatisierung kommt auch aus dem Lateinischen und ist von privare abgeleitet. Privare heißt berauben.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ verfolgte von Anfang an nicht das Ziel, die privatisierten Wohnungen zurückzukaufen. Ihr Ziel war die Enteignung:

Alle privaten Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin sollen enteignet werden.

Der Unterschied zwischen Rückkauf und Enteignung ist der:

  1. Die privaten Wohnungskonzerne haben bei einer Enteignung nicht mehr die Entscheidungsfreiheit, ihr Eigentum aufzugeben oder nicht. Sie werden dazu verpflichtet.
  2. Der Senat ist nicht zur Zahlung eines Kaufpreises, sondern nur zu einer Entschädigung der enteigneten Unternehmen verpflichtet. Eigentlich ist jeder € Entschädigung ein € zu viel. Aber ohne Entschädigung geht es nicht. Wie hoch diese Entschädigung ist, wird am Ende durch die Gerichte entschieden werden. Spekulationsgewinne müssen zum Beispiel nicht berücksichtigt werden.

Am Tag der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und Bundestag stimmten über 56 Prozent für die Enteignung. Selbst ein erheblicher Teil der Wählerinnen und Wähler von FDP, AFD und CDU stimmten für die Enteignung. 2,5 Millionen Berlinerinnen und Berliner durften sich an dieser Volksabstimmung beteiligen. ¾ dieser 2,5 Millionen beteiligten sich. Über eine Millionen Menschen stimmten für die Enteignung.

Die Forderung im Volksentscheid stützt sich auf Artikel 15 Grundgesetz.

Diese Möglichkeit zur Enteignung großen Kapitals wurde nach dem 2. Weltkrieg in das Grundgesetz aufgenommen, weil bis in die CDU hinein Einigkeit herrschte, dass das große Kapital für Krieg und Faschismus in hohem Maß zumindest mitverantwortlich gewesen war.

Dabei wurde auf eine Regelung aus der Weimarer Reichsverfassung zurückgegriffen[3]§ 156 Satz 1 WRV . Die Möglichkeit zur Vergesellschaftung großen Kapital ist also ein Kind der Novemberrevolution. Der 1. Reichsrätekongress, der im Dezember 1918 im jetzigen Berliner Abgeordnetenhaus tagte, „beauftragte die Regierung, mit der Sozialisierung aller herzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen“. Das wurde in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen, nicht als Auftrag, so wie es der Reichsrätekongress beschlossen hatte, aber als eine zulässige Möglichkeit. Und so steht es auch heute noch im Grundgesetz: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können … in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Dabei ist eine Entschädigung vorgeschrieben, die aber einigen Spielraum lässt, was die Höhe dieser Entschädigung angeht. Wörtlich heißt es: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“.  

Diese Möglichkeit zur Enteignung großen Kapitals auf der Grundlage von Art. 15 Grundgesetz wurde bisher jedoch nie genutzt. Deswegen nennen wir die Novemberrevolution eine unvollendete Revolution.

Aber nach über 100 Jahren Dornröschenschlaf beruft sich die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ auf diesen Artikel 15 Grundgesetz und über eine Millionen Menschen stimmen für die Enteignung.

Und was macht der Senat? Der setzt eine Kommission ein, die ein Jahr lang beraten sollen. Das klingt nach Beerdigung und erinnert an das, was alle Regierungen in den letzten 100 Jahren gemacht haben, wenn sie mit Enteignungsforderungen konfrontiert wurden. Sie weigerten sich, diese Forderungen umzusetzen, auch wenn die Mehrheit dafür gestimmt hatte.

Ob sich das allerdings die Aktivisten der Kampagne „DW & Co enteignen“ gefallen lassen, ist eine ganz andere Frage.

Denn genau da, wo für den neuen rot-rot-grünen Senat die Demokratie aufhört, fängt für uns die Demokratie an, bei der Frage:

Wessen Welt ist die Welt?[4]Solidaritätslied von Brecht /Eisler.


      

References

Betriebsverfassung

Hier werden in loser Reihenfolge Artikel zum Betriebsverfassungsgesetzes veröffentlicht.

Inhalt:


Die Betriebsversammlung

Hier kurz zusammengefasst Informationen zur Betriebsversammlung: weiterlesen


DGB-Entwurf: Mehr Mitbestimmung in den Betrieben

Der DGB hat einen sehr bedeutsamen Entwurf fürverbessertes Betriebsverfassungsgesetz vorglegt. Vor allem sollen die Mitbestimmungsrechte ausgeweitet werden: Weiterlesen


Was ändert das geplante Betriebsrätemodernisierungsgesetz?

Im folgenden der Text einer Rede, die Benedikt Hopmann auf einer Kundgebung vor dem Reichtstag hielt. Zu der Kundgebung hatte die Aktion ./. Arbeitsunrecht aufgerufen – kurz vor dem Beschluss des Bundestages über das Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Das ist ein Gesetz, das einige wenige Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz vorgenommmen hat. Weiterlesen hier


Der lange Kampf für mehr Betriebsräte-Rechte

Auf der Rede vor dem Reichtstag zu dem geplanten Betriebsrätemodernisierungsgesetz nahm Benedikt Hopmann auch zu dem langen Kampf der Betriebsräte und ihrer Gewerkschaften für mehr Rechte der Betriebsräte Stellung. hier lesen


Betriebsrätemodernisierungsgesetz

Die folgende Rede hielt Benedikt Hopmann frei und in kurzer Fassung am 20. Mai 2021 vor dem
Reichstag, einen Tag vor der 2. und 3. Lesung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes. Hier kann
sie ausgearbeitet – mit Ergänzungen und den entsprechenden Quellenangaben versehen – in Langfassung nachgelesen werden. Sie ist auch auf der der Homepage des Arbeitskreises Internationalismus in der IG Metall Berlin nachzulesen.

Das Gesetz, das morgen im Bundestag beschlossen wird, soll das Betriebsverfassungsgesetz moder-
nisieren. Im ersten Entwurf war es noch Betriebsrätestärkungsgesetz genannt worden. Auch wenn es einige Verbesserungen bringt, ist der Schutz der Betriebsräte und der Schutz bei Betriebsratsgrün-
dungen keinesfalls ausreichend und schon gar nicht reichen die Mitbestimmungsrechte des Be-
triebsrates[1]der Regierungsentwurf v. 22.04.2021 – Ds. 19/28899 – in der Fassung der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales – Dr. 19/29819 findet sich unter … Continue reading.


Ich möchte das an vier Beispielen deutlich machen:

  1. Schutz der Betriebsräte vor Behinderung und Störung
  2. Besserer Kündigungsschutz für diejenigen, die BR-Wahlen initiieren
  3. Mitbestimmung bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit
  4. Mitbestimmung bei Maßnahmen der Berufsbildung


1. Beispiel: Schutz der Betriebsräte vor Behinderung und Störung


Wenn es um einen besseren Schutz der Betriebsräte geht, ist es vollkommen richtig den § 119 Betriebsverfassungsgesetz in den Blick zu nehmen. Wer will, dass auf dieser Grundlage eine Behinderung oder Störung der Tätigkeit des Betriebsrates bestraft wird, kann allerdings nicht einfach vor Gericht ziehen und das einklagen. Er ist vielmehr auf die Staatsanwaltschaft angewiesen. Und da liegt einiges im Argen. Das möchte ich an einem Beispiel deutlich machen:


In einem Betrieb gab es scharfe Auseinandersetzungen um den Einsatz von Leiharbeitskräften. Der Betriebsrat verweigerte jede Einstellung von Leiharbeitskräften, so dass sie der Unternehmer gerichtlich durchsetzen musste. Als später der Betriebsrat eine Betriebsversammlung durchführte, versuchte die Geschäftsführung diese Betriebsversammlung durch eine einstweilige Verfügung zu verhindern. Als das nicht gelang, sorgte die Geschäftsführung dafür, dass keine einzige Leiharbeitskraft auf der Betriebsversammlung erschien, obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz den Leiharbeitskräften ausdrücklich das Recht dazu einräumt. Die verschiedenen Verleihfirmen hatten an ihre Leiharbeitskräfte nachweisbar E-Mails geschickt, in denen stand:

Am …. ist eine Sitzung in Eurem Einsatz-Betrieb, Ihr habt alle frei“.

Der Betriebsrat stellt über seinen Anwalt Strafantrag gegen die Geschäftsführung wegen Behinderung bzw. Störung seiner Tätigkeit. Der Staatsanwalt erklärte wenige Wochen später, dass er nicht gewillt ist, auch nur strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten. Das Verhalten der beschuldigten Geschäftsführung sei weder dazu geeignet die Betriebsratsarbeit zu stören noch sie zu behindern. Die Beschwerde gegen diese Einstellung mit einer ausführlichen anwaltlichen Begründung führte
dazu, dass zunächst einmal ein Staatsanwalt diesen Fall bearbeitete, dem die Arbeitswelt und das Arbeitsrecht nicht völlig fremd ist. Dieser nahm strafrechtliche Ermittlungen überhaupt erst einmal auf und entschied nach vielen Schriftsätzen mit Zustimmung des zuständigen Richters, das Verfahren wegen geringer Schuld und fehlendem öffentlichen Interesse einzustellen[2]§ 153 Abs. 1 StPO. Das hieß: Der Tatbestand, der nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz zur Strafbarkeit führt, war in vollem Umfang erfüllt, aber die Justiz wollte die Geschäftsführung ‚nochmal davonkommen lassen‘.

Dieses Beispiel sollte nicht als eine Empfehlung verstanden werden, keine Strafanträge wegen Behinderung oder Störung der Betriebsratsarbeit zu stellen. Im Gegenteil! Es soll nur zeigen, dass in der Strafjustiz das Verständnis für die Notwendigkeit strafrechtlicher Verfolgung bei der Behinderung oder Störung von Betriebsratsarbeit fehlt. Die Einrichtung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und ihre ausreichende Qualifizierung könnte helfen. Auch eine Verschärfung des Strafrahmens wäre hilfreich. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass eine drohende schwerere Strafe Unternehmer mehr abschreckt, die Arbeit von Betriebsräten zu stören oder zu behindern. Der DGB schlägt als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe vor wie dies für Diebstahl nach § 242 StGB gilt.


Ein Strafantrag gegen den eigenen Arbeitgeber zu stellen, verlangt vom Betriebsrat viel Mut. Die Strafverfolgung gegen den Arbeitgeber sollte dadurch erleichtert werden, dass dem Betriebsrat dieser Mut nicht mehr abverlangt wird. Daher die berechtigte Forderung, das Delikt nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz als Offizialdelikt einzustufen, so dass die Staatsanwaltschaft von Amts wegen tätig werden muss[3]siehe schriftliche Stellungnahme des DGB vom 20.Juni 2018; Ausschussdrucksache 19(11)78; siehe auch die Vorschläge des DGB zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung in DGB in: DGB (Hrsg.) Offensive … Continue reading.

Von alldem findet sich allerdings in dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz nichts.


2. Beispiel: Besserer Kündigungsschutz für diejenigen, die BR-Wahlen initiieren

Bisher besteht nur ein Kündigungsschutz für Menschen, die Betriebsratswahlen vorbereiten, vom Zeitpunkt der Einladung zur Wahlversammlung an, und auch nur für die ersten drei Personen, die in dieser Einladung aufgeführt sind. Diese Zahl wurde von drei auf sechs Personen erhöht. Das ist eine Verbesserung.

Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass auch ein besserer Kündigungsschutz schon vor der Einladung zur Wahlversammlung notwendig ist, um die erstmalige Wahl eines Betriebsrates zu erleichtern; denn diese erste Wahl wird häufig besonders heftig von Unternehmern bekämpft. Der noch im Referentenentwurf vorgesehene Kündigungsschutz für diese Fälle wurde jedoch stark verwässert.

Eine außerordentliche Kündigung – weitgehend identisch mit der fristlosen Kündigung – sollte nach dem ersten Referentenentwurf nur möglich sein, wenn der Arbeitgeber vorher die Zustimmung beim Arbeitsgericht beantragt und das Arbeitsgericht der Kündigung zugestimmt hat[4]§ 15 Abs. 3b KSchG neu i.V.m. § 103 Abs. 1 und Abs. 2a BetrVG neu nach Referentenentwurf vom 21.12.2020. Diese Regelung, die eine außerordentliche/fristlose Kündigung, in diesen Fällen weitgehend verhindert hätte, ist entfallen. Dabei greift der Arbeitgeber gerade in Fällen, in denen ein Betriebsrat das erste Mal gewählt wird, besonders gern zur außerordentlichen/fristlosen Kündigung verbunden mit einem Hausverbot, um die Vorbereitung der Betriebsratswahlen schon im Keim zu ersticken. Neu ist jetzt nur noch das Verbot der ordentlichen Kündigung in solchen Fällen, aber auch das gilt nicht, wenn der Arbeitgeber betriebsbedingt kündigt [5]siehe § 15 Abs. 3b KSchG neu.


3. Beispiel: Mitbestimmung bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit


In § 87 BetrVG, in dem Mitbestimmung des Betriebsrates bei Maßnahmen des Arbeitgebers in sozialen Angelegenheiten aufgelistet werden, wurde als Ziffer 14 hinzugefügt: „Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird“. In der Begründung zu dem Gesetz wird genauer bestimmt, was „mobile Arbeit“ ist und an Beispielen dargelegt, welche Regelungen als „Ausgestaltung“ zu gelten haben [6]der Regierungsentwurf v. 22.04.2021 – Ds. 19/28899 – in der Fassung der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales – Dr. 19/29819 findet sich unter … Continue reading.

Diese Erweiterung der Mitbestimmungsrechte durch die neu hinzugefügte Ziffer 14 ist zu begrüßen. Auch wenn vieles auch ohne diese Ziffer 14 aufgrund schon bestehender Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz der Mitbestimmung unterliegt, gab es Rechtsunsicherheiten, die so erheblich verringert wurden[7]siehe schriftliche Stellungnahme des DGB vom 20.Juni 2018; Ausschussdrucksache 19(11)78; siehe auch die Vorschläge des DGB zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung in DGB in: DGB (Hrsg.) Offensive … Continue reading.

Ein großes Problem war bisher, dass im homeoffice häufig nicht die Voraussetzungen für die Geltung des Unfallversicherungsschutzes erfüllt waren. Erst nach einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales wurde diese Lücke durch eine Ergänzung im siebten Sozialgesetzbuch geschlossen[8]Artikel 5 des Betriebsrätemodernisierungsgesetz; Ergänzung siehe Drs. 19/29819.

Für den Arbeitgeber bietet das homeoffice enorme Möglichkeiten Kosten zu sparen. Dies gilt vor allem für Bürotätigkeiten. Die Arbeitgeber haben in den Zeiten der Covid-19 Pandemie ganze Großraumbüros geschlossen. Jedenfalls werden sie darauf drängen, möglichst viele Büroräume aufzugeben, die sie bisher bereithalten mussten. Es wäre ein großer Fehler, über die Probleme hinwegzugehen, die die Arbeit im homeoffice für die Beschäftigten mit sich bringt. Die Arbeit für den Arbeitgeber und die private Zeit, über die die Beschäftigten selbst verfügen, werden miteinander vermischt; zudem werden die sozialen Kontakte eingeschränkt.


4. Beispiel: Mitbestimmung bei Maßnahmen der Berufsbildung


Der Vorsitzende der IG Metall Jörg Hoffmann hatte im Juni 2019 auf der großen Kundgebung der IG Metall vor dem Brandenburger Tor mit Nachdruck Mitbestimmung der Betriebsräte bei der Qualifizierung gefordert: „Die Uhr tickt – für uns alle: In vielen Betrieben fehlt es an einer systematischen Personal – und Qualifikationsplanung. …, Und daher fordern wir die Bundesregierung auf: Bringt endlich das Initiativrecht der Betriebsräte auf Weiterbildung! Stärkt die Betriebsräte durch mehr Mitbestimmung um im Wandel Zukunftsvereinbarungen durchsetzen zu können“[9]Rede Jörg Hoffmann am 29.06.2019 „#FairWandel sozial – ökologisch – demokratisch – nur mit uns!“.

Es gibt eine Mitbestimmung bei der betrieblichen Berufsbildung. Aber die setzt voraus, dass “der Arbeitgeber Maßnahmen geplant oder durchgeführt hat, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen“ (§ 97 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz). Die IG Metall hatte schon im Jahr 2019 einen Transformationsatlas[10] … Continue reading vorgelegt, in dem sie auf der Grundlage von eigenen Erhebungen in den Betrieben nachwies, dass sehr viele Unternehmer sich auf kommenden Veränderungen gar nicht vorbereitet haben. Sie haben nichts Maßnahmen geplant. Und daher greift auch das Recht der Betriebsräte nicht, bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. Es geht also allenfalls um spätere Anpassungsmaßnahmen, die auch zu spät kommen können. Ob unabhängig davon Maßnahmen zur beruflichen Fort- und Weiterbildung und welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind und welche finanziellen Mittel hierfür bereitgestellt werden, unterliegt nicht der Mitbestimmung.

Was haben nun aber SPD und CDU/CSU aus der Forderung der IG Metall gemacht, den Betriebsräten mehr Mitbestimmung bei der Weiterbildung einzuräumen, um Zukunftsvereinbarungen durchsetzen zu können?

In § 96 Absatz 1 heißt es schon seit vielen Jahren: „Der Arbeitgeber hat auf Verlangen des Betriebsrates den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln und mit ihm Fragen der Berufsbildung der Arbeitnehmer des Betriebs zu beraten. Hierzu kann der Betriebsrat Vorschläge machen“[11]§ 96 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG . Jetzt wurde hinzugefügt: „Kommt im Rahmen der Beratung nach Absatz 1 eine Einigung über Maßnahmen der Berufsbildung nicht zustande, können der Arbeitgeber oder der Betriebsrat die Einigungsstelle um Vermittlung anrufen. Die Einigungsstelle hat eine Einigung zu versuchen“[12]§ 96 Abs. 1a BetrVG neu .

Eine Einigungsstelle ist immer paritätisch mit Vertretern des Arbeitgebers auf der einen Seite und Vertretern des Betriebsrates auf der anderen Seite besetzt. Hinzu kommt die Person, die den Vorsitz übernimmt. Entweder können sich beide Seiten auf eine Person einigen oder – wenn das nicht gelingt – setzt auf Antrag einer Seite das Gericht diese Person ein. Die Verhandlungen in der Einigungsstelle können lange und über mehrere Sitzung oder kurz dauern. Am Ende kommt es immer darauf an, ob sich beide Seiten unter Vermittlung der oder vorsitzenden Person einigen können. Gelingt keine Einigung, so kommt es darauf an, auf welche Seite sich der oder die Vorsitzende der Einigungsstelle schlägt. Dann kommt es zu einem sogenannten Spruch, das heißt eine Mehrheitsentscheidung der einen Seite zusammen mit dem oder der Vorsitzenden gegen die andere Seite. Es ist nicht selten, dass eine Mehrheitsentscheidung gegen die Arbeitgeberseite
getroffen wird. Das weiß auch die Arbeitgeberseite und deswegen geht sie auf den Betriebsrat zu, um eine Entscheidung gegen sich zu vermeiden. Selbst wenn die Arbeitgeberseite gewinnt, enthält der Spruch häufig auch wichtige Elemente der Vorschläge der Betriebsratsseite. Und umgekehrt.

Selten setzt sich eine Seite voll durch. So funktioniert eine Einigungsstelle. Das nennt sich Mitbestimmung: Der Arbeitgeber kann nicht mehr alleine entscheiden.

Anders aber im vorliegenden Fall. Denn hier hat die Einigungsstelle nur eine Einigung zu „versuchen“. Das ist das entscheidende Wort: „versuchen“. Wenn der Versuch misslingt und die Arbeitgeberseite nicht zu einer Einigung bereit ist, dann geht die Einigungsstelle aus wie das ‚Hornberger Schießen‘. Dann gibt es keine Einigung. Ob es trotzdem eine Regelung gibt, entscheidet der Arbeitgeber ganz allein und, wenn es eine Regelung gibt, dann entscheidet der
Arbeitgeber auch allein über den Inhalt dieser Regelung.Vorschläge konnte der Betriebsrat auch schon vorher machen. Das stand und steht so ausdrücklich im Gesetz. Jetzt kann er seine Vorschläge in die Einigungsstelle bringen, aber mehr nicht. Mit Mitbestimmung hat das nichts zu tun.


Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte reichen nicht.


Es gibt nicht viele Maßnahmen des Arbeitgebers, bei denen der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat. Das gilt vor allem dann, wenn der Arbeitgeber umfassende Änderungen im Betrieb vornimmt. Als Faustregel kann man sagen: Je mehr es um die Existenzgrundlage der Beschäftigten geht, umso weniger haben die Betriebsräte zu sagen. In einem Paragraphen (§ 106 Absatz 3 BetrVG) sind alle sogenannten wirtschaftlichen Angelegenheiten aufgezählt, bei denen der Betriebsrat nichts zu sagen hat. Wenn zum Beispiel ein wesentlicher Betriebsteil oder sogar ein ganzer Betrieb stillgelegt wird, gibt es kein Mitbestimmungsrecht. Dieselben wirtschaftlichen Angelegenheiten, auch die Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils oder sogar eines ganzen Betriebs, tauchen wenig später unter dem Namen „Betriebsänderungen“ wieder auf (§ 111 BetrVG). Und diese Betriebsänderungen werden nach demselben Verfahren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wie wir es eben für die Berufsbildung beschrieben haben: Es ist das Verfahren ‚Hornberger Schießen‘. Ob ein Betrieb stillgelegt wird, ob er ganz oder nur zum Teil stillgelegt wird, wann und wie die Stilllegung durchgeführt wird – alle diese Fragen gehen in die Einigungsstelle. Wenn dann aber er Arbeitgeber Nein sagt, sind die Verhandlungen beendet. Die Freiheit des Kapitals ist die Unfreiheit der Beschäftigten.

Daran hat sich nichts geändert – trotz allen Getöses, das so gerne um die deutsche Mitbestimmung – gerne auch noch verkauft als der Gipfel der Sozialpartnerschaft – gemacht wird.

Und dabei kann ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte zur Berufsbildung tatsächlich nur ein erster Schritt sein, um die enormen Aufgaben zu meistern, wie sie Jörg Hoffmann auf der Kundgebung im Jahr 2019 eindringlich beschrieben hatte: „Wir stehen mitten in einer gewaltigen Umbruchphase … In allen Betrieben, allen Branchen, allen Regionen … Es ist die Digitalisierung … Sie krempelt unsere Arbeitswelt um und greift tief in unseren Alltag ein. Und es ist der notwendige ökologische Umbau für den Sprung von Wirtschaft und Industrie in ein nichtfossiles Zeitalter. … Der Kapitalismus war immer schon gleichzeitig dynamisch, kreativ und zerstörerisch … Wir wissen: Ohne uns Gewerkschaften, ohne eine demokratische Zivilgesellschaft würde diesesSystem keine Rücksicht nehmen: Weder auf die Menschen noch auf die Natur. … Die Uhr tickt: Allein in den nächsten 15 Jahren werden 1,5 Millionen Jobs durch die Digitalisierung wegfallen.
Uns treibt die Frage um: Wie gelingt es, diese 1,5 Millionen Beschäftigte auf eine grundsätzlich neue Arbeit vorzubereiten? … Grüne Energie und grüne Mobilität darf nicht zu prekärer Arbeit und Niedriglöhnen führen. …“[13]Rede Jörg Hoffmann am 29.06.2019 „#FairWandel sozial – ökologisch – demokratisch – nur mit uns!“..

Ich hatte damals diese Rede von Jörg Hoffmann in der Jungen Welt so kommentiert: „Die Betriebsräte müssten nicht nur ein Initiativrecht bekommen, um eine ausreichende Qualifizierung der Beschäftigten für die Tätigkeit an den Ersatzarbeitsplätzen durchsetzen zu können. Sie müssten auch ein Initiativrecht bekommen, um umweltfreundliche Ersatzarbeitsplätze durchsetzen zu können. Sie müssten auch Regelungen über die notwendigen Investitionen für umweltfreundliche Ersatzarbeitsplätze durch den Arbeitgeber erzwingen können. Sie brauchten ein als Initiativrecht
ausgestaltetes Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten, also in den Angelegenheiten, bei denen über das „Was“, das „Ob“, „Wann“, „Wo“, „Wie“ und den „Umfang“ einer Produktion oder Dienstleistung entschieden wird. Es geht darum, den guten gewerkschaftlichen Anspruch nach einer ökologischen, sozialen und demokratischen
Transformation auch durchsetzbar zu machen“[14]Hopmann JW vom 5. Juli 2019.


Der lange Kampf für mehr Betriebsräte-Rechte


Die Geschichte des Kampfes um mehr Recht für Betriebsräte ist eine lange Geschichte Wir sind hier zu einer kleinen Kundgebung mit rund 50 Menschen versammelt und der Aktion ./. Arbeitsunrecht ist zu danken, dass sie diese Kundgebung organisiert hat. Vor über 100 Jahren standen hier am 13. Januar 1920 mehr als hunderttausend Menschen. Es ging um die Lesung des Betriebsrätegesetzes im Reichstag. Um die Mittagszeit stellten die Beschäftigten in praktisch allen großen Betrieben die Arbeit ein, auch Beschäftigte aus kleinen und mittelgroßen Betrieben waren dabei. Aus allen Himmelsrichtungen waren hierher geströmt. Auch Kolleginnen und Kollegen von Siemens, Daimler – Marienfeld und Otis waren dabei – Betriebe, die heute noch existieren. Alle waren empört, weil nichts von dem geblieben war, was sie gefordert hatten. „Hoch die Räteorganisation“ und „Her mit dem vollen Mitbestimmungsrecht“ stand auf den Schildern, die sie mit sich trugen. An der Spitze wurden rote Fahnen vorangetragen. Auch Kinder und Jugendliche waren dabei.

Und dann geschah Furchtbares. Die paramilitärische Sicherheitspolizei schoss in die Menge. 42 Tote und über 100 Verletzte war die Bilanz. Der Historiker Axel Weipert, der dieses Verbrechen gründlich untersucht hat, sagt: „Damit handelt es sich um die blutigste Demonstration der Deutschen Geschichte. Dennoch erinnert nirgendwo eine Gedenktafel an dieses Ereignis“[15]Axel Weipert in: Isaf Gün, Benedikt Hopmann, Reinhold Niemerg (Hrsg.) „Gegenmacht statt Ohnmacht – 100 Jahre Betriebsverfassung. Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und … Continue reading. Die Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfeld erinnert zwar zusammen mit den Opfern der Kämpfe im März 1919 und zusammen mit vielen, die später von den Faschisten umgebracht wurden, auch an die Toten dieser Kundgebung vom 13. Januar 1920, aber eine Gedenktafel hier am Tatort selbst, die an dieses Ereignis erinnert, fehlt.

Wir stünden heute nicht hier, wenn es nicht die Revolution von 1918 /19 gegeben hätte. Ohne die Revolution von 1918 /19 und die Rätebewegung gäbe es heute keine Betriebsräte. Wir stünden nicht hier mit unseren Forderungen, Betriebsräte zu gründen, sie zu schützen und sie stark zu machen.

Wir reihen uns also ein in eine lange Geschichte des Kampfes um unsere Rechte. Und diese Geschichte wird weitergehen. Die Betriebsräte sehen in ihrem Alltag, dass sie oft nicht so handeln können wie sie handeln möchten, weil ihnen die Rechte fehlen. Und daher wird es weiter Menschen geben, die für ihre Befreiung kämpfen.

References

References
1 der Regierungsentwurf v. 22.04.2021 – Ds. 19/28899 – in der Fassung der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales – Dr. 19/29819 findet sich unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw20-de-betriebsraetemodernisie-rungsgesetz-840280; eine sehr gute und umfassende Bewertung hat der Sachverständige RA Nils Kummert in der Anhörung des Ausschusses Arbeit und Soziales – Ausschussdrucksache 19(11)1119 – abgegeben: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw20-de-betriebsraetemodernisierungsgesetz-840280
2 § 153 Abs. 1 StPO
3, 7 siehe schriftliche Stellungnahme des DGB vom 20.Juni 2018; Ausschussdrucksache 19(11)78; siehe auch die Vorschläge des DGB zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung in DGB in: DGB (Hrsg.) Offensive Mitbestimmung – Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung Juli 2016 s. 6 f). Dann muss die Staatsanwaltschaft von sich aus, also von Amts wegen, ein Delikt nach § 119 BetrVG verfolgen und nicht erst, wenn ein Strafantrag gestellt wird. Auch die Einrichtung eines Betriebsräte-Registers ist begrüßenswert (siehe: https://arbeitsunrecht.de/betriebsraete-staerken/
4 § 15 Abs. 3b KSchG neu i.V.m. § 103 Abs. 1 und Abs. 2a BetrVG neu nach Referentenentwurf vom 21.12.2020
5 siehe § 15 Abs. 3b KSchG neu
6 der Regierungsentwurf v. 22.04.2021 – Ds. 19/28899 – in der Fassung der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales – Dr. 19/29819 findet sich unter https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw20-de-betriebsraetemodernisierungsgesetz-840280 S. 23
8 Artikel 5 des Betriebsrätemodernisierungsgesetz; Ergänzung siehe Drs. 19/29819
9 Rede Jörg Hoffmann am 29.06.2019 „#FairWandel sozial – ökologisch – demokratisch – nur mit uns!“
10 https://www.igmetall.de/download/20190605_20190605_Transformationsatlas_Pressekonferenz_f2c85b-cec886a59301dbebab85f136f36061cced.pdf.https://www.igmetall.de/download/20190605_20190605_Transformations-
atlas_Pressekonferenz_f2c85bcec886a59301dbebab85f136f36061cced.pdf.
11 § 96 Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG
12 § 96 Abs. 1a BetrVG neu
13 Rede Jörg Hoffmann am 29.06.2019 „#FairWandel sozial – ökologisch – demokratisch – nur mit uns!“.
14 Hopmann JW vom 5. Juli 2019
15 Axel Weipert in: Isaf Gün, Benedikt Hopmann, Reinhold Niemerg (Hrsg.) „Gegenmacht statt Ohnmacht – 100 Jahre Betriebsverfassung. Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und Demokratisierung“, Hamburg 2020, S. 62 f.

Wer war Hans Carl Nipperdey?

Wer war Hans Carl Nipperdey?

Eine empfehlenswerte Sendung des Deutschlandfunks gibt Einblick nicht nur in diese Person, sondern auch, in welchem Ausmaß das faschistische Arbeitsrecht bis heute das deutsche Arbeitsrecht prägt. Die Sendung über Hans Carl Nipperdey hier lesen und hören. Eine überarbeitete Fassung dieser Sendung unter dem Titel „Den Unternehmern treu ergeben – das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey“ vom 24. April 2023 hier hören.

Es war der kalte Krieg und die Restauration unter Adenauer, die Hans Carl Nipperdey in eine Position brachte, in der er das deutsche Streikrecht prägen konnte, zunächst im Streit um die rechtliche Bewertung des Zeitungsstreiks als Gutachter für den Spitzenverband der Deutschen Arbeitgeber BDA[1]Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände BDA veröffentlichte ein Rechtsgutachten von Hans Carl Nipperdey vom 2. Januar 1953 unter dem Titel: „Die Ersatzansprüche für Schäden, … Continue reading, dann als 1. Präsident des Bundesarbeitsgerichts. Die Illegalisierung des politischen und verbandsfreien Streiks geht auf Hans Carl Nipperdey zurück.

Schon während der Weimarer Republik hatte er einen “wirtschaftsfriedlichen” Kurs vertreten.

Während des Faschismus beteiligte er sich an der Ausarbeitung und Kommentierung faschistischen Rechts.

Inhaltsverzeichnis:

  1. Drei Zitate von Hans Carl Nipperdey zum Streikrecht
  2. Die ungehemmte Herrschaft des Kapitals als „Betriebsgemeinschaft“ und „Volksgemeinschaft“: Hans Carl Nipperdey und das faschistische Arbeitsrecht
  3. Sozialpartnerschaft oder Klassenkampf? Hans Carl Nipperdey und das Arbeitsrecht in der Restauration
  4. Faschistische Prägungen im Arbeitsrecht

Siehe zu diesem Thema auch: Nipperdey, Faschismus und Arbeitsrecht

Die folgenden drei Zitate belegen Nipperdeys durchgehend ablehnende Haltung, die er zu Arbeitsniederlegungen hat. Das Zitat aus der Zeit des Faschismus ist besonders ausführlich, weil es zeigt, in welchem Ausmaß Nipperdey die faschistische Ideologie vertrat.

1. Zitat: Nipperdey im Jahr 1930 in einem Lehrbuch des Arbeitsrechts:

Bezogen auf Streiks erklärt Nipperdey: „Der Staat hat ein dringendes Interesse daran, diese Kämpfe wegen ihrer schädlichen volkswirtschaftlichen Folgen einzuschränken und das Wirtschaftsleben zu befrieden.“[2] Hueck/ Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts 2. Band, Mannheim 1930.

2. Zitat: Nipperdey im Jahr 1943 in J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch:

„Im Verfolg der revolutionären Entwicklung, die mit der Beseitigung der freien Gewerkschaften am 2.5.1933 begann, wurden 11 der bisher wichtigsten Gesetze des kollektiven Arbeitsrechts aufgehoben. Koalitionsrecht, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Schlichtung und Arbeitskämpfe gehören der Vergangenheit an. … Das Kollektivrecht, das aufbaute auf Koalitionen, deren Existenz durch den Gedanken des Klassenkampfes bedingt war, die in dem Partner den grundsätzlichen Gegenspieler sahen, deren Interessen notwendig im Widerspruch zu den eigenen stehen müssen, trat immer stärker in Gegensatz zu den Bedürfnissen der Volksgemeinschaft. … Die Vereinbarung der Arbeitsbedingungen … entbehrte der Elastizität, nahm nicht hinreichend Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Wirtschaftlichkeit des einzelnen Betriebes. … An der Spitze des ersten Abschnitts des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit steht der grundlegende Satz, dass der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Arbeiter und Angestellten als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung des Betriebes und zu gemeinsamem Nutzen von Volk und Staat arbeiten (§ 1). … .“[3]Staudinger-Nipperdey Kommentar zum BGB, II. Band, Recht der Schuldverhältnisse, 3. Teil, §§ 611 – 740, München -Berlin und Leipzig, 1943, 10. Auflg., Vorbemerkung 283, 284, 286 zu § 611 Weiterlesen Nipperdey 1943

3. Zitat: Das Bundesarbeitsgericht unter Vorsitz von Nipperdey im Jahr 1955:

„Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind im Allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen …“.[4]BAG 28.1.1955 – GS 1/54, juris, Rn. 35. Zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts unter dem Vorsitz Nipperdeys siehe S. 261ff.

Hans Carl Nipperdey beteiligte sich während des Faschismus in der Akademie für Deutsches Recht daran, die Ideologie des Faschismus in Gesetze zu gießen[5]Das war nach der Satzung dieser Akademie ihr Auftrag. Er war beteiligt an der Erarbeitung eines Volksgesetzbuches, das das Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ersetzen sollte. Andere bekannte Mitglieder der Akademie für Deutsches Recht waren Roland Freisler, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Martin Heidegger, Heinrich Himmler[6]ein instruktiver Vortrag von Prof. Dr. Eva Schumann zur Bedeutung der Akademie für Deutsches Recht und die Auswirkungen der Arbeit dieser Akademie auf das Jugendstrafrecht bis heute: … Continue reading.

Er kommentierte außerdem zusammen mit Alfred Hueck und Rolf Dietz das faschistische Arbeitsrecht AOG[7]Dr. Alfred Hueck, Dr. Hans Carl Nipperdey, Dr. Rolf Dietz „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“, München und Berlin 1934; dies war nicht der einzige Kommentar zum AOG; so existierte … Continue reading. Die drei Kommentatoren des faschistischen AOG konnten nach dem 2. Weltkrieg nach kurzer Unterbrechung ihre Tätigkeit als Professoren, die sie schon während des Faschismus ausgeübt hatten, wieder aufnehmen: Nipperdey in Köln, Hueck in München und Dietz zunächst in Münster, dann in München. Hans Carl Nipperdey wurde nach dem Krieg der 1. Präsident des Bundesarbeitsgericht.

Dieser Kommentar erschien 1934. Da war es schon ein Jahr her, dass die Gewerkschaften zerschlagen und die Gewerkschaftshäuser besetzt worden waren. Das AOG hob das Betriebsrätegesetz – Vorläufer des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes – und die Tarifvertragsverordnung – Vorläuferin des heutigen Tarifvertragsgesetzes – auf[8]§ 65 AOG.

Die Tarifvertragsverordnung wurde durch die so genannte Tarifordnung ersetzt, und damit der „Betriebsordnung“ die höchste Priorität gegeben.

„Die Tarifordnung soll die Ausnahme bilden und nichts an dem Prinzip ändern, dass die Regelung der Arbeitsverhältnisse in erster Linie im Betrieb … erfolgen soll“[9]§ Vorbem. zum dritten Abschnitt „Betriebsordnung und Tarifordnung“ Anm. 3. Nach der Tarifordnung wurden Tarife von einem so genannten „Treuhänder der Arbeit“ festgesetzt, wenn „… die Festsetzung von Mindestbedingungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse zwingend geboten“ sei[10]§ 32 AOG. Der Treuhänder sollte also Mindestbedingungen nur festsetzen, wenn dies „zwingend geboten“ sei; sonst nicht. Das Schwergewicht der arbeitsrechtlichen Rechtssetzung wurde also bewußt in den Betrieb verlegt[11]„Das Gesetz gibt den Führer des Betriebes das Recht, in der Betriebsordnung die gesamten Arbeitsbedingungen einseitig zu regeln. … Das Schwergewicht der arbeitsrechtlichen Rechtssetzung … Continue reading. „In die Betriebsordnung können neben den gesetzlich vorgeschriebenen Bestimmungen auch Bestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgelts und über sonstige Arbeitsbedingungen aufgenommen werden“[12]§ 27 Absatz 3 AOG.

„Da das AOG den Betrieb und die lebendige Betriebsgemeinschaft unter dem Führer des Betriebes in den Mittelpunkt stellt, so ist es folgerichtig, dass nicht – wie im bisherigen Recht – die überbetriebliche Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarif im Vordergrund steht und den Regelfall bilden soll“[13]§ Vorbem. zum dritten Abschnitt „Betriebsordnung und Tarifordnung“ Anm. 2. Diese Verdrängung überbetrieblicher Regelungen („Tarif“) durch betriebliche Regelungen war in dem in der Weimarer Republik geltenden Betriebsrätegesetz ausgeschlossen[14]siehe schon das Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918, das den Tarifvertrag anerkannte (Nr. 6.: „Die Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter und Arbeiterinnen sind … durch … Continue reading und ist auch in dem heute geltenden Betriebsverfassungsgesetz ausgeschlossen[15]siehe Tarifsperre in § 77 Absatz 3 Satz 1 BetrVG („Arbeitsentgelte und sonstige Tarifbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht … Continue reading.

Man würde diese Verlagerung der Regelungen der Mindestarbeitsbedingungen in die einzelnen Betriebe im heutigen Sprachgebrauch als ein radikal neoliberales Konzept beschreiben.

Dass später die gesetzlich vorgesehene Ausnahme zur Regel geworden und die Mindestarbeitsbedingungen durch den Treuhänder der festgelegt sein mögen, steht auf einem anderen Blatt und ändert nichts an der neoliberalen Ausrichtung des faschistischen Arbeitsrechtes (AOG).

Für die Tarifordnung, die nach der Zerschlagung der Gewerkschaften die Weimarer Tarifvertragsverordnung ersetzte, galt: „Während der Tarifvertrag autonome Rechtssetzung der Tarifverbände war, handelt es sich bei der Tarifordnung um staatliches Recht …“[16]§ 32 AOG Anm. 48. Für die Betriebsordnung war „von entscheidender Bedeutung die Beseitigung des bisherigen Vereinbarungsprinzips (Betriebsvereinbarung), an dessen Stelle (wie vor dem Betriebsrätegesetz) das einseitige Anordnungsrecht des Führers (Führerprinzip) getreten ist“[17]Vorbem. zum dritten Abschnitt „Betriebsordnung und Tarifordnung“ Anm. 2.

„Das einseitige Anordnungsrecht des Führers (Führerprinzip)“ ist das weder durch Gewerkschaften noch durch Betriebsräte eingeschränkte Direktionsrecht des Kapitalherren. Die Betriebsordnung, in der das Direktionsrecht des Kapitalherren weder durch Rechte von Betriebsräten noch durch Tarifverträge mit Gewerkschaften eingeschränkt wird, ist also nichts anderes als Kapitalismus pur.

Der Arbeitskräftemangel aufgrund der massiven Aufrüstung führte ab 1938 dazu, dass die Treuhänder der Arbeit nicht nur Mindestarbeitsbedingungen, sondern auch Höchstarbeitsbedingungen festsetzten[18]siehe Rüdiger Hachtmann „Auf den Trümmern der Arbeiterbewegung: Arbeitsrecht und Betriebsverfassung 1933 bis 1945“ in: Gün/Hopmann/Niermerg „Gegenmacht statt Ohmacht“, 2020 … Continue reading.

Mit den Begriffen „Betriebsgemeinschaft“ und „Volksgemeinschaft“ wurde der Gegensatz von Kapital und Arbeit im faschistischen Arbeitsrecht systematisch geleugnet. So schreibt Alfred Hueck in dem genannten Kommentar zum AOG: „Die Zusammenfassung von Unternehmer (Führer) und Beschäftigten in einer Betriebsgemeinschaft, einem Herrschaftsverbandes mit eigener Aufgabe und eigenem Ziel bedeutet vor allem Absage an den Gedanken des Klassenkampfes. Unternehmer und Gefolgschaftsangehöriger sollen sich als Mitarbeiter betrachten, die in gemeinsamer Arbeit an der Errichtung eines gemeinsamen Ziels schaffen. Die Förderung des Betriebszwecks ist nicht allein das Bestreben des Unternehmens, sondern soll in gleichem Maße das aller Gefolgschaftsangehöriger sein, deren Lebensaufgabe die Förderung ihres Betriebes ist“[19] § 1 AOG 1934 Beck-Verlag Anm. 35.

Die „Lebensaufgabe“ der Beschäftigten bestand damit in der Förderung „ihres“ Betriebes, der nicht ihr Betrieb war und in dem der Unternehmer alles und die Beschäftigten nichts zu sagen hatten.

Das also ist Arbeitsrecht im Faschismus. Es ist nichts anderes als die ungehemmte Herrschaft des Kapitals.

Die Traditionen der Betriebsgemeinschaft wurden zum Teil auch schon vorher 1933 gepflegt und nach dem 2. Weltkrieg vehement weiter verteidigt[20]siehe Benedikt Hopmann in: Gün/Hopmann/Niermerg „Gegenmacht statt Ohmacht“, 2020 Hamburg, Seiten 44 und 111. Besonders prominent und einflussreich steht für diese Traditionen Hans Carl Nipperdey. Wie lebendig diese Traditionen bis heute sind, kann sich jede und jeder selbst auf einfache Weise verdeutlichen: Wer benutzt den Begriff „Klassenkampf“? Er ist bis heute weitgehend geächtet und mit ihm diejenigen, die diesen Begriff benutzen.[21]Der Verfassungsschutz stuft die Tageszeitung ‚junge Welt‘ als „extremistisch“ ein, weil sie die Gesellschaft „nach dem Merkmal der produktionsorientierten … Continue reading. Diese tatsächlich bestehende Aufteilung der Gesellschaft nach Klassen kann aber nicht dadurch aufgehoben werden, dass sie geleugnet wird. Es gibt nun einmal die Klasse der Lohnabhängigen, die ihre eigene Organisation, die Gewerkschaft, haben und so ganz sichtbar als Klasse handeln und handeln müssen, um die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen. Und es gibt auch die Klasse der Unternehmer und Unternehmerinnen, also die Klasse des Kapitals, die sich in Unternehmerverbänden zusammengeschlossen haben. Es lässt sich auch kaum leugnen, dass die Interessen der Lohnabhängigen den Interessen des Kapitals entgegengesetzt sind. Jeder Tarifkampf ist ein Klassenkampf. Ein Euro mehr Lohn ist ein Euro weniger Gewinn. Gerade dadurch, dass sich die abhängig Beschäftigten in Gewerkschaften organisieren und für ihre eigenen Interessen kämpfen, überwinden sie ihre Angst und werden sich ihrer Menschenwürde bewusst[22]siehe Reinhold Niemerg/Maria Cerull/Susanne Mohrig/Silvia Dulisch/Ruth Potschka-Zwickl (Hrsg.) „Das Ende der Angst“ Hamburg 2021. Ziel des Klassenkampfes ist Menschenwürde. Das geht jedoch in die Köpfe dieser Herren ebenso wenig hinein wie es offensichtlich vergeblich ist, ihnen die Internationale vorzusingen, die mit der Forderung endet „Erkämpft das Menschenrecht!“. 

Nach dem 2. Weltkrieg wurden Gewerkschaften und die kollektiven Rechte der abhängig Beschäftigten wieder zugelassen, zum Teil in gestärkter Form. Gebrochen ist die Herrschaft des Kapitals jedoch bis heute nicht. Man muss sich nur die Rechte anschauen, die ein Betriebsrat nach dem geltenden Betriebsverfassungsgesetz hat: Je mehr es um die Existenzgrundlagen der Beschäftigten geht, desto weniger Rechte haben sie. Jede andere Beschreibung der Realitäten in den Betrieben und in der Wirtschaft gehört in das Reich der Märchen und Schönfärberei.

Auch werden die Gewerkschaften immer wieder mit Angriffen auf ihre Organisation, ihre Arbeit und ihre Tarifverträge konfrontiert. Erinnert sei an die Versuche von CDU/CSU und FDP, im Jahre 2003 die Betriebsräte über die gesetzliche Absicherung von sogenannten ‚Bündnissen für Arbeit‘ gegen die Gewerkschaften in Stellung zu bringen. Auch die seit Jahren zu beobachtende Abnahme der Tarifbindung gehört in diesen Zusammenhang; denn wo die Unternehmen an keine Tarife gebunden sind, bestimmen die Unternehmen allein die Arbeitsbedingungen. Und dann sind wir wieder bei der Regelung der Mindestarbeitsbedingungen in den Betrieben. Dann sind wir wieder bei der Regelung der Arbeitsbedingungen allein durch die Unternehmen statt durch Tarifvereinbarung mit den Gewerkschaften. Die Pläne der neuen Bundesregierung zur Stärkung der Tarifbindung sind zu zaghaft, um den Trend der abnehmenden Tarifbindung auch nur stoppen zu können.

Nachdem der Autor dieses Beitrags die oben empfohlene Sendung in Deutschlandfunk zu Hans-Carl Nipperdey gehört hat, ist ihm noch einmal bewußt geworden, dass alle seine Prozesse, die ein großes öffentliches Interesse erregt haben, eine Auseinandersetzung nicht nur mit den weitreichenden Rechten des Kapitals waren, sondern zugleich auch mit den faschistischen Prägungen des deutschen Arbeitsrechts:

  • Der Fall ‚Emmely“: Es ging u.a. um das Vertrauen, das durch die angebliche Unterschlagung von Bonds im Wert von 1,30 € zerstört wurde. Dieser Begriff des Vertrauen war vom faschistischen Arbeitsrecht geprägt und zeichnete sich durch seine Unbestimmtheit aus. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass es ausschließlich darum geht, ob in Zukunft nicht mehr mit mit vergleichbaren arbeitsvertraglichen Verstößen gerechnet werden kann[23]siehe Hopmann/Emme/Niemerg „“Emmely und die Folgen“ 2012 Hamburg.
  • Das Whistleblowing der Altenpflegerin Brigitte Heinisch: Es ging um sogenannte „Treue- und Fürsorgepflichten“. Auch der Begriff der ‚Treupflichten‘ war so unbestimmt gehalten, dass auf den abhängig Beschäftigten neben seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nahezu unbegrenzt weitere Pflichten übertragen werden konnten. Diese ‚Treupflichten‘ bestehen heute unter dem Begriff Nebenpflichten weiter. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht von einer ‚Loyalitätspflicht‘ eines abhängig Beschäftigten aus. Doch die Rechtsprechung der deutschen Gerichte ging dem Europäischen Gerichtshof zu weit. Brigitte Heinisch durfte ihre Strafanzeige gegen Vivantes stellen[24]siehe Heinisch/Hopmann „Altenpflegerin schlägt Alarm“ 2012 Hamburg.
  • Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Streikrecht im Fall Mercedes Bremen und im laufenden Fall der Kündigungen von Gorrilas-Beschäftigten wegen ihrer Teilnahme an einem Streik: Nach der herrschenden Meinung ist der verbandsfreie und politische Streik immer noch verboten. Das Recht der Weimarer Republik zum Streikrecht war äußerst restriktiv, aber es bestand weder ein Verbot des verbandsfreien Streiks noch ein Verbot des politischen Streiks. Diese Rechtsprechung der Nachkriegszeit durch vom Faschismus geprägte Juristen ist unvereinbar mit Artikel 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta[25]siehe Kupfer „Streik und Menschenwürde“ 2012 Hamburg. Zum faschistischen Einfluss auf das gegenwärtige Streikrecht hier weiterlesen lesen.
  • Die sogenannte ‚vertrauensvolle Zusammmenarbeit‘ der Betriebsräte mit dem Arbeitgeber nach dem Betriebsverfassungsgesetz[26]§ 2 Abs. 1 BetrVG: In zahllosen Seminaren für Betriebsräte ist das immer wieder Thema. In kleineren Betrieben schert sich das Unternehmen häufig nicht um den Betriebsrat, so dass solche Betriebsräte sich manchmal darauf berufen. Doch in großen Betrieben pochen die Unternehmen mit Verweis auf die „vertrauensvolle Zusammmenarbeit“ darauf, dass die Betriebsräte nicht gegen das Handeln des Unternehmens mobil machen. Der Begriff der ‚vertrauensvollen Zusammenarbeit‘ steht in der Tradition der „Betriebsgemeinschaft“ des faschistischen AOG. Zur Geschichte der Leitsätze in den Betriebsverfassungen seit 1920 und zum faschistischen Einfluss auf den Leitsatz des gegenwärtigen Betriebsverfassungsgesetzes hier weiterlesen lesen.



References

References
1 Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände BDA veröffentlichte ein Rechtsgutachten von Hans Carl Nipperdey vom 2. Januar 1953 unter dem Titel: „Die Ersatzansprüche für Schäden, die druch den von den Gewerkschaften gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz geführten Zeitungsstreik vom 27. bis 29. Mai 1952 entstanden sind„; Gutachter auf Seiten der Gewerkschaften waren Schnorr von Carolsfeld und Wolfgang Abendroth, der während des Faschismus mit den griechischen Partisanen gegen den Fachismus gekämpft hatte; mit Ausnahme des Berliner Landesarbeitsgerichts entschieden alle Landesarbeitsgericht im Sinne des Gutachtens von Hans Carl Nipperdey – eine Weichenstellung, die bis heute das deutsche Streikrecht prägt
2 Hueck/ Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts 2. Band, Mannheim 1930
3 Staudinger-Nipperdey Kommentar zum BGB, II. Band, Recht der Schuldverhältnisse, 3. Teil, §§ 611 – 740, München -Berlin und Leipzig, 1943, 10. Auflg., Vorbemerkung 283, 284, 286 zu § 611
4 BAG 28.1.1955 – GS 1/54, juris, Rn. 35. Zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts unter dem Vorsitz Nipperdeys siehe S. 261ff.
5 Das war nach der Satzung dieser Akademie ihr Auftrag
6 ein instruktiver Vortrag von Prof. Dr. Eva Schumann zur Bedeutung der Akademie für Deutsches Recht und die Auswirkungen der Arbeit dieser Akademie auf das Jugendstrafrecht bis heute: https://www.youtube.com/watch?v=07pzqoc_FFQ
7 Dr. Alfred Hueck, Dr. Hans Carl Nipperdey, Dr. Rolf Dietz „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“, München und Berlin 1934; dies war nicht der einzige Kommentar zum AOG; so existierte auch noch ein Kommentar zum AOG von Mansfeld-Pohl-Steinman-Krause, Berlin 1934
8 § 65 AOG
9 § Vorbem. zum dritten Abschnitt „Betriebsordnung und Tarifordnung“ Anm. 3
10 § 32 AOG
11 „Das Gesetz gibt den Führer des Betriebes das Recht, in der Betriebsordnung die gesamten Arbeitsbedingungen einseitig zu regeln. … Das Schwergewicht der arbeitsrechtlichen Rechtssetzung ist bewußt in den Betrieb verlegt …“(§ 32 AOG Anm. 1). Für die Kommentierung des Abschnitts „Betriebsordnung und Tarifordnung“, § 26 -34 AOG, war Nipperdey verantwortlich
12 § 27 Absatz 3 AOG
13 § Vorbem. zum dritten Abschnitt „Betriebsordnung und Tarifordnung“ Anm. 2
14 siehe schon das Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918, das den Tarifvertrag anerkannte (Nr. 6.: „Die Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter und Arbeiterinnen sind … durch Kollektivvereinbarungen mit den Berufsvereinigungen der Arbeitnehmer festzusetzen“) und die Errichtung von Arbeiterausschüssen anerkannte (Nr. 7.: Für jeden Betrieb mit einer Arbeiterschaft von mindestens 50 Beschäftigten ist ein Arbeiterausschuss einzusetzen, der … darüber zu wachen hat, dass die Verhältnisse des Betriebes nach Maßgabe der Kollektivvereinbarungen geregelt werden“).
15 siehe Tarifsperre in § 77 Absatz 3 Satz 1 BetrVG („Arbeitsentgelte und sonstige Tarifbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein“) und in § 87 Absatz 1 BetrVG Eingangssatz („Der Betriebsrat hat, soweit … eine tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen …“); zudem geht es in den „folgenden Angelegenheiten“ nicht um das Volumen von Arbeitszeit, Urlaub, Löhnen/Gehältern usw., sondern nur um deren Verteilung
16 § 32 AOG Anm. 48
17 Vorbem. zum dritten Abschnitt „Betriebsordnung und Tarifordnung“ Anm. 2
18 siehe Rüdiger Hachtmann „Auf den Trümmern der Arbeiterbewegung: Arbeitsrecht und Betriebsverfassung 1933 bis 1945“ in: Gün/Hopmann/Niermerg „Gegenmacht statt Ohmacht“, 2020 Hamburg
19 § 1 AOG 1934 Beck-Verlag Anm. 35
20 siehe Benedikt Hopmann in: Gün/Hopmann/Niermerg „Gegenmacht statt Ohmacht“, 2020 Hamburg, Seiten 44 und 111
21 Der Verfassungsschutz stuft die Tageszeitung ‚junge Welt‘ als „extremistisch“ ein, weil sie die Gesellschaft „nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit“ aufteile. Das soll nach Auffassung derer, die der Jungen Welt „Extremismus“ vorwerfen, der Menschenwürde widersprechen: „Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum „bloßen Objekt“ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln. Demgegenüber stellt die unbedingte Unterordnung einer Person unter ein Kollektiv, eine Ideologie oder eine Religion eine Missachtung des Wertes dar, der jedem Individuum um seiner selbst willen zukommt. Die Menschenwürde ist egalitär, d. h. sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht“ (aus der Antwort von Prof. Krings „namens der Bundesregierung“ auf eine kleine Anfrage der BT-Fraktion DIE LINKE, BT-Drucksache 19/28956). Aber nicht die begriffliche, sondern allenfalls die tatsächlich bestehende Aufteilung der Gesellschaft nach Klassen widerspricht der Menschenwürde.
22 siehe Reinhold Niemerg/Maria Cerull/Susanne Mohrig/Silvia Dulisch/Ruth Potschka-Zwickl (Hrsg.) „Das Ende der Angst“ Hamburg 2021
23 siehe Hopmann/Emme/Niemerg „“Emmely und die Folgen“ 2012 Hamburg
24 siehe Heinisch/Hopmann „Altenpflegerin schlägt Alarm“ 2012 Hamburg
25 siehe Kupfer „Streik und Menschenwürde“ 2012 Hamburg
26 § 2 Abs. 1 BetrVG

Folgen der Ausschreibung für die Arbeitskräfte

Wie inzwischen bekannt sein dürfte, hat das Land Berlin zusammen mit dem Land Brandenburg die Ausschreibung von Betrieb und Wartung der S-Bahn Netzteile Nord-Süd und Stadtbahn beschlossen. Ich komme einer Bitte der LINKEN Neukölln nach, aus juristischer Sicht die Folgen für die Arbeitskräfte darzulegen. Mein Vortrag nimmt die möglichen Ergebnisse einer Ausschreibung vorweg. Wenn ich die Folgen für die Arbeitskräfte beschreibe, habe ich nicht nur die Arbeitskräfte der S-Bahn GmbH im Blick, sondern alle Arbeitskräfte in den Unternehmen, an die Betrieb und Wartung der S-Bahn aufgrund der Ausschreibung vergeben werden können.

In einer Pressemitteilung der Ländern Berlin und Brandenburg wird versichert, dass „der Arbeitnehmerschutz maximal gewährleistet werde: Vertraglich festgelegt werden klare Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung, zum Personalübergang, zur Tariftreue, zum Mindestlohn und zur Ausbildungsverpflichtung, die sowohl den im Fahrgeschäft Beschäftigten als auch dem Werkstattpersonal zugutekommen[1]https://www.berlin.de/sen/uvk/presse/pressemitteilungen 020/pressemitteilung.927940.php.. Was bedeutet dieses Versprechen klarer Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung und Tariftreue?

1. Ausgliederung und Ausschreibung

Von Ausgliederung oder Outscourcing oder Fremdvergabe wird gesprochen, wenn betriebsinterne Tätigkeiten an andere Unternehmen vergeben werden. Im vorliegenden Falle würde dies im strengen Sinne allerdings nur gelten, wenn die S-Bahn GmbH selber ihre betriebsinternen Tätigkeiten an ein anderes Unternehmen vergeben würde. Tatsächlich vergibt aber nicht die S-Bahn GmbH, sondern ein öffentlicher Auftraggeber der Länder Berlin und Brandenburg die Wartung und den Betrieb der S-Bahn-Netzteile Nord-Süd und Stadtbahn, und zwar über eine Ausschreibung. Rechtstechnisch wird eine Ausgliederung so abgewickelt, dass Werkverträge oder Dienstleistungsverträge über die ausgegliederten Tätigkeiten vereinbart werden, während die Ausschreibung durch einen öffentlichen Auftraggeber in einen öffentlichen Dienstleistungsvertrag mit dem alten Betreiber (S-Bahn GmbH) oder einem neuen Betreiber mündet.

Trotzdem ist die Vergabe an einen neuen Betreiber mit einer Ausgliederung vergleichbar. Dies gilt jedenfalls für bestimmte Folgen, die auf die Arbeitskräfte nach einem Betreiberwechsel zukommen können (Verlust der bisherigen Tarifbindung, Privatisierung).

2. Privatisierung durch Ausschreibung

Eine Ausschreibung öffnet die Türen zur Privatisierung. Wenn Betrieb und Wartung der S-Bahn-Netzteile nach der Ausschreibung in die Hand eines privaten Unternehmens gegeben wird, dann ist das eine Privatisierung. Denn vorher waren dies betriebsinterne Tätigkeiten der S-Bahn. Die wird zwar als GmbH geführt und ist damit formell privatisiert, aber immer noch in öffentlicher Hand und damit nicht materiell privatisiert ist; denn ihre Gesellschafteranteile gehören immer noch zu 100 % der Deutschen Bahn AG und die Aktien der Deutschen Bahn AG sind immer noch in staatlichen Händen. Es ist zwar inakzeptabel, dass die S-Bahn aufgrund ihrer Rechtsform als GmbH Gewinne erwirtschaften kann und auch erwirtschaftet, es ist aber nicht gleichgültig, ob Gewinne in die Hände eines neuen privaten Betreibers fließen oder an die Deutsche Bahn AG abgeführt werden, solange die Deutsche Bahn AG dem Staat gehört.

Der entscheidende Nachteil für die Beschäftigten in privaten Unternehmen ist, dass sie weniger Möglichkeiten haben, politischen Druck auf die Eigentümerseite auszuüben. Regierung und Abgeordnete werden gewählt und müssen sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen – auch für die Unternehmen in staatlicher Hand. Wie jeder andere Eigentümer kann auch der Staat als Eigentümer die Weichen im Unternehmen stellen. Sind Unternehmen aber nicht mehr in staatlicher Hand, entfällt diese Möglichkeit der Einflussnahme.

3. Verlust der Tarifbindung durch Ausschreibung

Eine Ausschreibung öffnet das Tor zum Verlust der Tarifbindung. Die S-Bahn GmbH ist an bestimmte Tarifverträge gebunden. Die Arbeitsbedingungen in diesen Tarifverträgen wurden von den Kolleginnen und Kollegen über viele Jahre hinweg erkämpft. Für die Tätigkeiten, die an einen neuen Betreiber vergeben werden, verlieren diese Tarifverträge auf einen Schlag ihre Gültigkeit.

Nur wenn nach einer Ausschreibung der neue Betreiber an dieselben Tarifverträge gebunden wäre wie die S-Bahn GmbH oder die S-Bahn GmbH die Ausschreibung gewinnen würde, wäre ein Verlust der Tarifbindung ausgeschlossen.

Das Modell der Tarifflucht durch Ausgliederung fegt seit Jahren durch die gesamte private Wirtschaft mit verheerenden Folgen für Arbeitsbedingungen und Löhne von Hunderttausenden. Nach und nach setzte sich dieses Modell auch im öffentlichen Dienst durch. Besonders massiv wurde es in Berlin vorangetrieben, wo landeseigene Unternehmen Tochterfirmen ausschließlich um Zweck der Ausgliederung gründeten, um dann über diese Töchter billige Arbeitskräfte einstellen zu können, ohne Bindung an die Tarifverträge, die bei der Mutter einzuhalten waren. Seit Jahren kämpfen die Beschäftigten dieser Töchter zäh und ausdauernd um eine Rückkehr zur Mutter2: Die rund 3.000 Beschäftigten der Charité Tochter CFM Facility Management GmbH, die Beschäftigten der über 20 Töchter der Vivantes GmbH und die rund 2.000 Fahrerinnen und Fahrer der Berlin Transport GmbH, einer Tochter der BVG. Angesichts der negativen Erfahrungen mit diesen Ausgliederungen setzt das Land Berlin mit der Ausschreibung von S-Bahn-Netzteilen ein verheerendes Zeichen – trotz „Regelungen zur Tariftreue“.

4. Schwächung der Gewerkschaften

Wenn die Tarifbindung verloren geht, fragen sich die gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen: „Wofür haben wir all die Jahre gekämpft, wenn uns das jetzt auf eine Schlag genommen wird?“ Anstatt die Landesregierungen zu bekämpfen, die ihnen die Suppe aufgetischt haben, die sie jetzt auslöffeln sollen, besteht die Gefahr, dass sich gewerkschaftlich organisierte Kolleginnen und Kollegen von ihrer Gewerkschaft abwenden. Und das obwohl nicht die Gewerkschaften, sondern die Landesregierungen für die Ausschreibung verantwortlich sind.

Die Gewerkschaften werden gezwungen, bei der Fremdfirma die Bindung an die Tarife erneut durchzusetzen, die sie bei der S-Bahn GmbH schon durchgesetzt hatten. Und nach 15 Jahren, wenn erneut ausgeschrieben wird, kann alles wieder von vorne beginnen. Ausschreibungen sind daher immer auch ein Affront gegen die Gewerkschaften.

5. Tariftreue statt Tarifbindung

Bei der Unterscheidung zwischen Tarifbindung und Tariftreue kommt es darauf an, genau zu sein: Selbst wenn der neue Betreiber dieselben Arbeitsbedingungen erfüllt wie die S-Bahn GmbH, ist damit dieser Betreiber noch nicht an die Tarife gebunden, die für die S-Bahn GmbH gelten.

Denn Tarifbindung heißt: Das tarifgebundene Unternehmen

• erfüllt bestimmte Arbeitsbedingungen, z.B. bestimmte Löhne, [2]Der Kampf der Kolleginnen und Kollegen im Botanischen Garten um ihre Rückkehr zur Mutter, der Freien Universität (FU), wird ausführlich beschrieben in dem Buch „Der Aufstand der Töchter“ in … Continue reading.

• es ist zur Erfüllung dieser Arbeitsbedingungen verpflichtet, und

• diese Verpflichtung ergibt sich unmittelbar aus einem Tarifvertrag, den das Unternehmen entweder selbst mit der Gewerkschaft vereinbart hat oder an den es als Mitglied eines Unternehmerverband gebunden ist, der diesen Tarifvertrag mit den Gewerkschaften abgeschlossen hat.

Tariftreue heißt dagegen: Der neue Betreiber muss nicht tarifgebunden und damit auch nicht gegenüber der Gewerkschaft verpflichtet sein wie die S-Bahn GmbH. Stattdessen müssen die neuen Betreiber nur einen Vertrag mit dem Staat unterschreiben, der sie zur Einhaltung von Arbeitsbedingungen aus bestimmten Tarifverträgen zwingt. Diese bestimmten Tarifverträge wirken in diesen Unternehmen also nicht unmittelbar und zwingend wie die Tarifverträge in der S-Bahn GmbH.

6. Für welche Tarifverträge und für welche Arbeitskräfte gilt Tariftreue?

Tariftreue[3]Das Kapital entzieht sich in den letzten 20 Jahren nicht nur immer mehr der Tarifbindung, sondern hat selbstverständlich auch kein Interesse an Auflagen zur Tariftreue, die in einem über viele … Continue reading heißt also nicht Tarifbindung. Tariftreue heißt nicht einmal, dass sich die Fremdfirmen an die Arbeitsbedingungen aus allen Tarifverträgen halten müssen, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist, sondern nur an Arbeitsbedingungen aus bestimmten Tarifverträgen. Im BerAVG ist ausdrücklich festgelegt, dass die „öffentlichen Auftraggeber in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen die einschlägigen Tarifverträge bestimmen“, an die sich Firmen halten müssen, wenn sie den Zuschlag bekommen wollen [4]§ 10 BerlAVG lautet: „Öffentliche Personennahverkehrsdienste. Unbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche … Continue reading. Auch aus dem Begründungstext zum geänderten Berliner Ausschreibungs- und Vergabe Gesetz (BerlAVG) mit seinen Regelungen zur Tariftreue ergibt sich, dass den Fremdfirmen nicht die Einhaltung der Arbeitsbedingungen aus allen Tarifverträge vorgegeben werden muss, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist[5]In der Begründung zu den Änderungen des BerlAVG heißt es: „Das Land Berlin wird die Tariftreuespielräume des Europarechts ausnutzen. Das bedeutet, dass nicht nur die Einhaltung … Continue reading.

Eine Bestimmung der Tarifverträge, deren Einhaltung in der Ausschreibung vorgegeben wird, fehlt in der Pressemitteilung der Länder Berlin und Brandenburg. Es hätte der folgende einfache Satz ausgereicht: „Die Tariftreue nach § 10 Berliner Ausschreibungs-und Vergabe-Gesetz (BerlAVG) umfasst alle Tarifverträge, an die S-Bahn GmbH gebunden ist oder im Laufe der Dauer des Vertrages über den Auftrag gebunden sein wird“.

Dass dieser einfache Satz fehlt, ist kein gutes Zeichen.

Mit dem Halbsatz „ … oder im Laufe der Dauer des Vertrages über den Auftrag gebunden sein wird“ würden auch alle zukünftigen Änderungen von Tarifverträgen und zukünftige Tarifverträge über neue Arbeitsbedingungen erfasst, die die S-Bahn GmbH während der Laufzeit des Auftrags mit den Gewerkschaften vereinbart[6]siehe in § 10 BerlAVG die Lohngleitklausel: „Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen … Continue reading.

Bleibt die Frage, für welche Arbeitskräfte die Regelungen der Tariftreue gelten. Nach § 10 BerlAVG vergibt der Staat „Aufträge über öffentliche Personennahverkehrsdienste“, wenn sich die Fremdfirmen „bei der Angebotsabgabe verpflichten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer … bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen“.

Und aus der Begründung zu § 10 BerlAVG geht hervor, dass die Tariftreue beschränkt werden soll auf „Arbeitskräfte, die die den Auftrag prägenden, mit der eigentlichen Verkehrserbringung verknüpften Tätigkeiten wahrnehmen“ oder auf die „mit der die im Kernbereich der Verkehrserbringung tätigen“ Arbeitskräfte, wie es an anderer Stelle der Begründung zu § 10 BerlAVG heißt.

7. Übernahme aller Arbeitskräfte zu den bisher geltenden Bedingungen

Statt „klarer Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung“, wie von den Ländern Berlin und Brandenburg zugesagt, muss der öffentliche Auftraggeber in einer Ausschreibung verlangen, dass der neue Betreiber die Arbeitskräfte der S-Bahn GmbH zu den bisher geltenden Arbeitsbedingungen übernimmt. Zu den bisher geltenden Arbeitsbedingungen gehören auch die in den Tarifverträgen vereinbarten Arbeitsbedingungen; sie werden Teil des Arbeitsvertrages mit dem neuen Betreiber. Das sind die Rechtsfolgen des sogenannten Betriebsübergangs[7]§ 613 a BGB.

Diese Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs gelten auch bei der Ausschreibung öffentlicher Personenverkehrsdienste, und zwar für die Arbeitskräfte, die bei der S-Bahn GmbH „zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden“[8]In § 10 Satz 3 BerlAVG, wird darauf hingewiesen, dass „die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 23.Oktober 2007 über öffentliche … Continue reading. Ob die Ausschreibung der S-Hierzu werden Ausführungsbestimmungen über das Verfahren zur Feststellung sowie über die Bekanntgabe der jeweils anwendbaren Tarifverträge erlassen, die als allgemein wirksam anzusehen sind. Damit wird gewährleistet, dass die Bieter in unmissverständlicher Weise nachvollziehen können, welche Entlohnung vertraglich vereinbart wird“ (aus der Begründung in: Drucksache 18/2538 ).

8. Spaltung und Ungleichbehandlung

Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass eines der wichtigsten Motive des Kampfes um die Rückkehr der Töchter zu den Müttern darin besteht, die Ungleichbehandlung und Spaltung zu überwinden, die durch Ausgliederungen hervorgerufen werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass der Senat Ungleichbehandlung und darauf beruhende Spaltung nicht vollständig ausschließt.

Denn wenn auch die Regelungen zur Tariftreue Ungleichbehandlungen bei dem neuen Betreiber abmildern können so bleiben doch die fehlende Bindung an die Tarife der S-Bahn GmbH der Boden, auf dem Ungleichbehandlung weiter gedeiht.

So ist nicht ausgeschlossen, dass ein neuer Betreiber Arbeitskräfte für dieselbe Tätigkeit zu ganz unterschiedlichen Arbeitsbedingungen einsetzt, je nachdem, welche Regeln für eine Arbeitskraft gelten: Nur die Regeln der Tariftreue oder die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs, weil die Arbeitskraft von der S-Bahn GmbH übernommen wurde, oder keine dieser Regeln, weil die Arbeitskraft auf einem ganz anderen Geschäftsfeld eingesetzt wird und auch nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurde.

9. Zerschlagung einer einheitlichen betrieblichen Interessenvertretung

Es besteht die Gefahr dass der jetzt bestehende Betriebsrat in zahlreiche Betriebsräte aufgespalten wird, die auch nicht über einen GBR oder KBR zusammenarbeiten können.

Berlin, 25. Mai 2020

Benedikt Hopmann

Rechtsanwalt

References

References
1 https://www.berlin.de/sen/uvk/presse/pressemitteilungen 020/pressemitteilung.927940.php.
2 Der Kampf der Kolleginnen und Kollegen im Botanischen Garten um ihre Rückkehr zur Mutter, der Freien Universität (FU), wird ausführlich beschrieben in dem Buch „Der Aufstand der Töchter“ in der Reihe WIDERSTÄNDIG. Zum Buch der Beschäftigten der CPPZ über ihren Kampf zurück zur Mutter Charité wird demnächst ebenfalls ein kleines Buch in der Reihe WIDERSTÄNDIG erscheinen
3 Das Kapital entzieht sich in den letzten 20 Jahren nicht nur immer mehr der Tarifbindung, sondern hat selbstverständlich auch kein Interesse an Auflagen zur Tariftreue, die in einem über viele Jahre andauernden Konflikt gegen das Kapital durchgesetzt wurden. Die einschlägigen Regeln zur Tariftreue finden sich im Berliner Auftrags – und Vergabegesetz (BerlAVG), GVBl. 2020, 276. Das geänderte BerlAVG trat am 1. Mai 2020 in Kraft. Es gilt für alle Vergabeverfahren, die ab dem 1. Mai 2020 begonnen werden. Am 2. April 2020 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus dieses Gesetz in der Fassung der Vorlage zur Beschlussfassung – Drucksache 18/2538 – angenommen Die Regelungen zur Tariftreue finden sich also nicht im GWB, sondern in den Ländergesetzen, die dafür auch die Zuständigkeit haben, da diese „Regelungen unter das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Absatz 1 Nr. 11 GG fallen und nach Art. 70 GG i.V.m. Art. 72 Absatz 2 GG der Bund im Rahmen dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz den hier vorliegenden Regelungsgegenstand nicht abschließend gesetzlich geregelt hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.07.2006 – 1 BvL 4/00)“ – so wörtlich die Begründung zu § 9 BerlAVG
4 § 10 BerlAVG lautet: „Öffentliche Personennahverkehrsdienste. Unbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche Auftraggeber gemäß § 2 Aufträge über öffentliche Personennahverkehrsdienste, wenn sich die Auftragnehmer bei der Angebotsabgabe verpflichten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen und vereinbaren eine dementsprechende Lohngleitklausel für den Fall einer Änderung der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit. Außerdem sind insbesondere die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (Abl. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1) zu beachten“
5 In der Begründung zu den Änderungen des BerlAVG heißt es: „Das Land Berlin wird die Tariftreuespielräume des Europarechts ausnutzen. Das bedeutet, dass nicht nur die Einhaltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge bei der Ausführung öffentlicher Aufträge verlangt wird. Vielmehr werden nach Ablauf der Umsetzungssperre für die Maßnahmen der Arbeitnehmerentsenderichtlinie vom 28. Juni 2018 Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die auch die in Berlin geltenden allgemein wirksamen Tarifverträge für ihre mit der Auftragsausführung betrauten Beschäftigten einhalten, sofern die dafür erforderlichen technischen und organisatorischen Vorkehrungen getroffen sind
6 siehe in § 10 BerlAVG die Lohngleitklausel: „Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen und vereinbaren eine dementsprechende Lohngleitklausel für den Fall einer Änderung der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit“
7 § 613 a BGB
8 In § 10 Satz 3 BerlAVG, wird darauf hingewiesen, dass „die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 23.Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße …zu beachten“ sind. In Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung (EG) Nr. 1370/2007) werden die Rechtsfolgen des 613 a BGB bei Betreiberwechsel angeordnet: „Unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern, kann die zuständige Behörde den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Verpflichtet die zuständige Behörde die Betreiber eines öffentlichen Dienstes, bestimmte Sozialstandards einzuhalten, so werden in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen die betreffenden Arbeitnehmer aufgeführt und transparente Angaben zu ihren vertraglichen Rechten und zu den Bedingungen gemacht, unter denen sie als in einem Verhältnis zu den betreffenden Diensten stehend gelten“; die Richtlinie 2001/23/EG ist vergleichbar mit § 613 a BGB; vgl. im Übrigen auch § 131 Abs. 3 GWB, wo unter Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 die Rechtsfolgen des § 613 a BGB nur als Sollvorschrift enthalten sind. Nicht umsonst mahnte daher „der Berliner EVG-Chef Michael Bartl an, dass bei der bevorstehenden Ausschreibung auch an die Bereiche Fahrgastinformation Marketing, Planung und Disposition gedacht werden müsse“ (Pressemitteilung der EVG vom 18. Mai 2020