Was wäre, wenn …?

Evelyn Hecht-Galinski hat auf ihrer homepage einen Kommetar geschrieben, in dem sie träumt ….

Was für ein Traum, wenn alle Freunde der Menschenwürde in Deutschland für einen Tag streiken würden! Was wäre dann? Die Hilflosigkeit, mit der man das Massaker in Palästina, die inzwischen kaum noch verheimlichte ethnische Säuberung, den Völkermord und die Zerstörung der Lebensgrundlage von zwei Millionen Menschen ansehen muss, lässt sich fast nur noch mit utopischen Träumen ertragen. Ein solcher Traum wäre es, wenn alle Freunde der Menschenwürde in Deutschland als Zeichen der Solidarität und der Anteilnahme für einen Tag die Arbeit niederlegen würden, um der deutschen Regierung zu verdeutlichen, dass diese uneingeschränkte Unterstützung der zionistischen Verbrechen einfach nicht mehr auszuhalten ist und Widerspruch verlangt.

Sofort muss man sich fragen, wer würde dann dabei mitmachen? Die meisten Deutschen ohne Migrationshintergrund sind durch die Antisemitismuskeule derart betäubt, dass sie sich nicht einmal mehr trauen, sich zur öffentlichen Trauer und Empathie für die palästinensischen Opfer zu bekennen. Es blieben noch die Migranten, allen voran die Muslime im Land.

Uns wird zwar immer wieder eine Zahl von ca. 5 Millionen erzählt (ziemlich unverändert seit Jahren!), aber die Realität dürfte in Richtung von 10 Millionen Muslimen im Land gehen, davon die meisten hier geboren und mit deutscher Staatsbürgerschaft. Die Empathie für die massakrierten Palästinenser, ob Muslime oder Christen, dürfte bei dieser Gruppe von „Mitbürgern“ erheblich größer sein, zumal die Antisemitismuskeule bei ihnen nicht wirkt. Deren Vorfahren haben Juden aufgenommen und geschützt, als diese aus Deutschland geflohen sind.

Was wäre also, wenn einen einzigen Tag lang ein Großteil dieser Mitbürger streiken würde aus Solidarität mit den unterdrückten und besetzten Palästinensern? Die meisten Fabriken könnten schließen. Die Stahlwerke könnten nur mit großen Mühen einen Notbetrieb aufrechterhalten. Die Krankenhäuser könnten nicht einmal einen Notbetrieb anbieten, die Pflegeheime würden zusammenbrechen.  Weder gäbe es hinreichend Taxis an Flughäfen noch gastronomische Angebote. Ein besonders hoher Anteil von Migranten ist unter anderem bei Reinigungskräften zu finden. Die Lebensmittelherstellung müsste einen Tag pausieren und der Hoch- und Tiefbau auch. Fast alle Hotels könnten schließen und vieles andere mehr. Solch ein Schock könnte nicht einmal die Ampel-Bundesregierung übergehen.

Und wie würde ein solches Aufbegehren der Menschenwürde von den Medien begleitet werden? Würden sie erkennen und anerkennen, dass ihr Schweigen zu den Verbrechen Israels und gar deren Gutheißen ein Fehler gewesen ist, sie auf der falschen Seite der Geschichte gestanden haben und sie zur Umkehr bewegen? In einem Traum tun wir gut daran anzunehmen, dass dies möglich ist, dass das Gute das Böse verdrängen kann.

Aber zugegeben, es ist nur eine Utopie, nur ein Traum. Doch manchmal werden Träume wahr.

Wir danke der Autorin für die Genehmigung, diesen Kommentar hier wiederzugeben. Er ist zu finden auf ihrer homepage

Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom “Hochblauen”, dem 1165 m hohen “Hausberg” im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch “Das elfte Gebot: Israel darf alles” heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten “Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik” ausgezeichnet.

Solidarität der Hafenarbeiter Griechenlands mit dem palästinensischen Volk

Die Verbände der Hafenarbeiter, Docker und Aufsichtsbeamten und Vorarbeiter Griechenlands haben folgende Erklärung abgegeben:

FÖDERATION DER HAFENARBEITER GRIECHENLANDS ( OM.Y.L.E )
UNION DER STÄNDIGEN UND PROBATIONÄREN DOCKER OLP (Hafenbehörde von Piräus)
VERBAND DER AUFSICHTSBEAMTEN UND VORARBEITER OLP

Solidarität der Hafenarbeiter Griechenlands mit dem palästinensischen Volk

Nach dem zu verurteilenden blutigen Angriff von Hamas-Kämpfern auf unbewaffnete israelische Zivilisten am 7. Oktober haben die israelischen Verteidigungskräfte eine massive Offensive gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens gestartet. Die Angriffe der israelischen Streitkräfte haben während der gesamten Zeit enorme Ausmaße angenommen. Unter dem Vorwand, die Kämpfer der Hamas zu töten, wird im Grunde eine ethnische Säuberung der Palästinenser durchgeführt, die zerstörte Infrastrukturen (Krankenhäuser, Schulen, Produktionsstätten usw.) und vor allem Tausende von toten Zivilisten, darunter Tausende von toten Kindern, hinterlässt. Das unmenschliche Vorgehen der israelischen Streitkräfte hat einen Sturm der Entrüstung bei den Völkern der Welt ausgelöst.

Angesichts dieser enormen Katastrophe können wir nicht gleichgültig bleiben und schweigen. Der palästinensische Kampf um Selbstbestimmung dauert nun schon mehr als 70 Jahre und hat Hunderttausende von Opfern gefordert. Auf der anderen Seite hat der Staat Israel in Palästina alle völkerrechtswidrigen Methoden angewandt (Siedlungen, ethnische Säuberungen, Eroberung und Inbesitznahme von Gebieten usw.) und versucht, die Palästinenser von der Landkarte zu tilgen.

Vor einigen Tagen empfingen unsere Gewerkschaften Vertreter von BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), einer internationalen palästinensischen Bewegung für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. BDS fordert das selbstverständliche Prinzip für jedes Volk, so auch für die Palästinenser, dass sie die gleichen Rechte haben wie der Rest der Menschheit. Sie zielt auf den Boykott israelischer Produkte, die von Unternehmen hergestellt werden, die die Menschenrechte verletzen, auf den Rückzug von Investitionen in israelische Unternehmen, die die Rechte der Palästinenser verletzen, und auf die Verhängung von Sanktionen gegen Israel durch internationale Organisationen und Regierungen.

Es kann keine gerechte Lösung für Palästina geben, wenn es nicht zuerst Frieden und ein Ende der Unterdrückung durch Israel gibt. Das Völkerrecht und die einschlägigen UN-Resolutionen sehen die Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 und eine friedliche Koexistenz von Palästinensern und Israelis vor. Bis heute praktiziert der Staat Israel eine inakzeptable Diskriminierung der Palästinenser sowohl innerhalb Israels als auch eine organisierte Unterdrückung in den palästinensischen Gebieten, die an Apartheid erinnert.

Unter der israelischen Militärbesatzung sind die Palästinenser gezwungen, als Gefangene in ihrem Land zu leben, das von der illegalen Mauer umgeben ist. Die lange Belagerung des Gazastreifens und die häufigen israelischen Militärangriffe wurden von der internationalen Gemeinschaft als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Angesichts der beklagenswerten Bedingungen, die Israel auferlegt, ist die gerechte Lösung für die Palästinenser eine Einbahnstraße.

Die Mitarbeiter der Hafenbehörde von Piräus erklären ihre volle Unterstützung und Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Die Eskalation der blinden Gewalt und Zerstörung im Gazastreifen mit den jüngsten Luftangriffen auf Schulen, Krankenhäuser und politische Ziele erfüllt uns mit Entsetzen und Abscheu.

In diesem Zusammenhang erklären wir als Beschäftigte des Hafens von Piräus, dass wir uns weder an illegalen Transporten von militärischem Material, die im Hafen von Piräus beginnen oder enden, nach Israel beteiligen noch an solchen arbeiten werden, die mit der Ermordung von Zivilisten und Kindern enden. Wir werden uns in keiner Weise an den Verbrechen beteiligen, die in Gaza stattfinden.

DIE VORSTÄNDE


Dies ist ein Übersetzung der folgenden englischen Fassung:

FEDERATION OF PORT EMPLOYEES OF GREECE ( OM.Y.L.E )

UNION OF PERMANENT & PROBATIONARY DOCKERS OLP (Piraeus Port Authority)

ASSOCIATION OF SUPERVISORS AND FOREMEN OLP

Solidarity with the Palestinian People

Following the condemnable bloody attack by Hamas militants on unarmed Israeli civilians on October 7, a massive offensive has been launched by the Israel Defense Forces on the civilian inhabitants of Gaza. All this time the attacks by the Israeli armed forces have been of enormous proportions where under the pretext of killing the militants of the Hamas, basically an ethnic cleansing of the Palestinians is being carried out which leaves behind destroyed infrastructure (hospitals, schools, production facilities, etc.) and, above all, thousands of dead civilians, including thousands of dead children. The inhumane practice of the Israeli forces has provoked a storm of reaction from peoples around the world.

To this enormous catastrophe we cannot remain indifferent and silent. The Palestinian struggle for self-determination counts more than 70 years and hundreds of thousands of victims. On the other hand on the other hand, the State of Israel has implemented in Palestine all the methods that are contrary to international law (settlements, ethnic cleansing, conquest and encroachment of territory, etc.), trying to eliminate Palestinians off the map.

A few days ago, our unions welcomed representatives of the BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), an international Palestinian movement for freedom, justice and equality. BDS claims the self-evident principle for every people, as it does for the Palestinians, that they have the same rights as the rest of humanity. It aims to boycott Israeli products produced by companies that violate human rights, the withdrawal of investments in from Israeli companies that violate Palestinian rights, and the imposition of sanctions on Israel by international organizations and governments.

There can be no just solution for Palestine if there is not first Peace and an end to Israel’s oppression. The International Law and the relevant UN resolutions provide for the establishment of a Palestinian state within the 1967 borders and peaceful coexistence of Palestinians and Israelis. To date, the State of Israel practices unacceptable discrimination against Palestinians both within Israel and organised oppression in the Palestinian territories that reminds of apartheid.

Under the Israeli military occupation, Palestinians are forced to live in their land as prisoners surrounded by the illegal wall. The long siege of Gaza and the frequent Israeli {military raids} have been condemned by the international community as war crimes and crimes against humanity. Given the deplorable conditions imposed by Israel, the just solution for the Palestinians is a one-way street.

The employees of the Piraeus Port Authority declare their full support of and express our solidarity with the Palestinian people. Η escalation of the blind violence and destruction taking place in Gaza with the recent air strikes on schools, hospitals and political targets, is a source of horror and disgust to us.

In this context, as workers at the port of Piraeus we declare that we will neither participate nor work in illegal transport of military material starting or stopping at the Piraeus Port to Israel that ends up murdering civilians and children. We will not be in any way complicit in the crime that is taking place in Gaza.

THE BOARDS

Solidarität mit dem Kulturzentrum Oyoun!

Am 19. Juli 2024 entschied das Berliner Verfassungsgericht, dass das Oberverwaltungsgericht über die Frage, ob eine bindende Förderungszusage für das Ouyn besteht, neu entscheiden muss.

Alles Weitere ist hier nachzulesen.


Aus den Akten des Kultursenats ergibt sich, dass es sich im Fall Oyoun um eine verbindliche, vierjährige Förderzusage bis Ende 2025 handelt.

Das Hauptverfahren gegen den Berliner Kultursenat läuft weiterhin. Im Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht unsere Beschwerde zurückgewiesen – aufgrund eines vermeintlichen “Formfehlers”. Diese fragwürdige Entscheidung und die Frage, wie es dem deutschen Rechtsstaat geht, darauf fand unsere Rechtsanwältin in der Sache, Myrsini Laaser, die passenden Worte in ihrem Blog Post.


Am 26. März 2024 verschickte Ouyn einen Newsletter, in dem Ouyn unter anderem über einen erfolgreichen Prozess gegen den Tagesspiegel berichtet. Oyun wehrt sich gerichtlich gegen Antisemitismus – Vorwürfe. Es wird nicht die letzte gerichtliche Entscheidung sein.

„Das Gericht hat entschieden, dass der Tagesspiegel drei seiner in einem Artikel vom 20.02.2024 geäußerten Behauptungen nicht mehr äußern darf, darunter u.a. die Behauptung über eine Bevorzugung von Oyoun durch den Senat aufgrund familiärer Beziehungen sowie sämtliche Antisemitismusvorwürfe, da diese haltlos sind. Gleiches gilt für die Aussagen der Grünen Politikerin Susanna Kahlefeld, die all’ unsere Unterlassungserklärungen umgehend unterschrieben hat.“

Weiterlesen


Wir veröffentlichen hiermit eine Erklärung des Kulturzentrums Oyoun zur Streichung der Gelder durch den Berliner Senat. Das Kulturzentrum hatte der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“ Räume für ihr 20-jähriges Jubiläum zur Verfügung gestellt.

Liebe Oyounity,

In den vergangenen Tagen haben sich die Ereignisse überschlagen: Der Berliner Kultursenat hat in seiner letzten Sitzung im Abgeordnetenhaus am 20.11.2023 das Ende der Förderung des Oyoun noch zu diesem Jahresende bekanntgegeben. 32 Mitarbeitende verlieren zum ersten Januar ihre Lebensgrundlage. Erfahren haben wir von dieser Entscheidung nur durch Zufall, via Livestream der Ausschusssitzung. Die darin vom Senat angebrachten Vorwürfe des “versteckten Antisemitismus” weisen wir ausdrücklich zurück. Bereits direkt im Anschluss an die besagte Sitzung haben wir eine ausreichende Begründung des Förderstopps sowie Akteneinsicht nach IFG Berlin gefordert. Bis heute blieben diese Anfragen leider unbeantwortet.

Die Entscheidung des Senats ist für uns schockierend und nicht nachvollziehbar. Die Konsequenzen für uns, für Euch und nicht zuletzt für die allgemeine kulturpolitische Entwicklung in Berlin und darüber hinaus sind gravierend. Die Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland ist akut bedroht.

Berührt und bewegt haben uns in diesen Stunden vor allem die vielen Solidaritätsbekundungen und mittlerweile über 12.000 Unterschriften unter unserem offenen Brief. Wir sind unglaublich dankbar, dass es euch gibt! Der Protest hat sich auch auf die Straße bewegt, wo Menschen am Freitagmorgen vor der Kulturverwaltung unter anderem gegen die Schließung des Oyoun protestiert haben. In den sozialen Medien überschlagen sich die Nachrichten, Stories und Beiträge zu unserem drohenden Aus. Eine Frage, die uns dabei immer wieder erreicht: “Wie können wir helfen?”.

Unser juristisches Gutachten von Myrsini Laaser (Anwältin für Straf- und Migrationsrecht) deutet darauf hin, dass es sich bei unserer 4-jährigen Projektförderung (2022-2025) um eine verbindliche Zusage handelt und die Förderung im Dezember 2023 nicht ausläuft. Wir sind daher zuversichtlich und werden uns gegen die willkürliche Entscheidung der Berliner Kulturpolitik verteidigen. Schön ist, dass sich auch andere prominente Stimmen dazu äußern (siehe u.a. den Tweet von Journalist Mohamed Amjahid).

Auch wenn wir jetzt gezwungen sind, die Räumung des Hauses innerhalb der nächsten fünf Wochen zu planen: Wir werden für den Erhalt des Oyoun kämpfen. Für Euch, für unsere Kolleg*innen und nicht zuletzt für die künstlerische Freiheit im Ganzen. Die vielstimmige Community, die in den vergangenen Jahren in mehr als 2700 künstlerischen wie kulturellen Veranstaltungen, zwischen Ausstellungen, Theater, Performances, Konferenzen, Konzerten und weit darüber hinaus zusammen gekommen ist, muss geschützt werden!

Gemeinsam mit Euch haben wir pluralistische Perspektiven zusammengebracht, Kultur neu gedacht, Demokratie gelebt und eine internationale Oyounity geschaffen.

Wie geht es weiter? Wir haben eine Spenden-Kampagne gestartet, um genügend Mittel zu sammeln und die hohen Kosten für unsere juristische Verteidigung zu decken. 
Bitte teilt und unterstützt sie nach Euren Möglichkeiten! Teilt außerdem weiterhin Euren Unmut mit politischen Vertreter*innen. 

Kommentiert, beobachtet und bleibt kritisch. Gemeinsam sind wir laut!

See you soon!
Euer Oyoun
 

—> Spenden-Kampagne:
https://gofund.me/546955dd

„Wir verzweifeln an Israels Politik“

Wir geben hier einen Beitrag von Nirit Sommerfeld wieder, Mitglied der ‚Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost‘. Nirit Sommerfeld nimmt Stellung zu einem Artikel in der Berliner Zeitung, in dem über die Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen der ‚Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden‘ im Oyun berichtet wurde.

Der „Kosher-Stempel“-Artikel dieser Zeitung zur Veranstaltung der „Jüdischen Stimme“ am 4. November in Berlin hinterlässt mich kopfschüttelnd. Nachdem die Autorin zu 90 Prozent inhaltlich korrekt wiedergibt, was an jenem Abend im Kulturzentrum Oyoun stattgefunden hat, endet der Artikel mit der Vermutung, dass wir „eigensinnigen“ Jüdinnen und Juden wohl genauso massakriert worden wären, hätten wir uns am 7. Oktober zu Besuch in einem der Kibuzzim befunden, in denen Hamas-Terroristen gewütet hatten.

Was will die Autorin den Lesern (oder uns?) sagen? Dass wir so dumm oder zu naiv sind, um zu begreifen, dass unser ganzes Friedensgedöns sowieso nichts bringt, wenn man es mit Terroristen zu tun hat? Sind wir am Ende doch die „falschen“ Juden, wie sie in Deutschland normalerweise gar nicht gehört werden und auch nicht gehört werden sollen? An dieser Stelle ganz großen Dank an die Berliner Zeitung, die immerhin jemanden schickt und einen Artikel über unsere Veranstaltung abdruckt, während bis auf Kollegen der „junge welt“ alle anderen eingeladenen Pressevertreter sich lieber durch Abwesenheit positionieren.

Aber auch für die Kollegin der Berliner Zeitung scheinen wir nicht ins Bild zu passen: Es gab keine Kippas, als seien Juden nur an ihren Zuschreibungen erkennbar, dafür spüre ich eine gewisse Herabwürdigung, wenn von „zarten goldenen Davidsternen“ die Rede ist und von „wallenden dunklen Lockenmähnen“, die sich bei der Schweigeminute senken. Ein leise Unterton scheint mitzuschwingen, etwa wenn die Zahl der in Gaza getöteten Kinder kommentiert wird (in Klammern steht: „das sind die Zahlen der Hamas-Gesundheitsbehörde“) – aber ich lasse mal meine Empfindlichkeiten beiseite, denn es geht um wahrlich Wichtigeres.

Ich will hier nur von mir sprechen, denn – Überraschung! – selbst innerhalb des Vereins „Jüdische Stimme“ gibt es unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Aktivitäten, trotz der gemeinsamen Überzeugung, dass nur Gerechtigkeit auf beiden Seiten zu einem dauerhaften Frieden führen kann. In besagtem Artikel wird als Motiv für unser Engagement unsere „Empörung über die Ungerechtigkeit (…) im Verhältnis zwischen Israel und Palästina“ beschrieben. In Wahrheit ist es etwas viel Größeres, was uns antreibt: Es sind schiere Verzweiflung, tief sitzender Schmerz und existentielle Angst.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahuimago images

Wir verzweifeln an Israels Politik, die seit Jahrzehnten das Ziel verfolgt, die Palästinenser loszuwerden und das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan für sich zu beanspruchen, was derzeit in einer rechtsradikalen Regierung manifest geworden ist, die unverhohlen Äußerungen von sich gibt, die in Deutschland (zurecht!) als Volksverhetzung oder Schlimmeres identifiziert würden.

So will etwa Israels Staatspräsident Herzog nicht zwischen Hamas und Zivilisten unterscheiden und verlangt in einer martialischen Rede, ihnen „das Rückgrat zu brechen“. Verteidigungsminister Yoav Galant spricht, wie viele andere auch in der israelischen Zivilgesellschaft, von „Tieren“ oder „human animals“; die auf sie gerichteten Militäroperationen seien „nicht auf Genauigkeit aus, sondern auf Zerstörung“. Israels Minister für ‚Jerusalemer Angelegenheiten und Heimaterbe‘, Amichai Eliyahu, brachte den Einsatz einer Atombombe ins Spiel und schlägt den „Monstern von Gaza“ die Flucht in die Wüste oder nach Irland vor.

Wir wissen: Worte bereiten Taten vor. Seit Netanyahu der Hamas den Krieg erklärt hat, findet meiner Ansicht nach ein Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung statt. Es ist die Rache für den 7. Oktober, bei dem die Hamas ihrerseits durch nichts zu rechtfertigende Kriegsverbrechen an Zivilisten verübt hat.

Übrigens war das schon vor 15 Jahren, als ich in Israel gelebt habe, völlig normal, so über Palästinenser zu sprechen. Mehrere Bekannte sagten mir damals schon, es gäbe nur eine Lösung für das Palästinenserproblem, und das sei Vernichtung. Diese Araber – in Israel nimmt man ungern das Wort ‚Palästinenser‘ in den Mund, als fürchte man, die alleinige Namensnennung könne schon die Anerkennung ihrer Existenz andeuten – würden nicht leiden, sie machten nur Theater, um das Mitleid der Welt zu erregen. Geschichte sei nun einmal nicht gerecht, man habe als jüdisches Volk 2000 Jahre Diaspora hinter sich und mit der Shoa das schlimmste Menschheitsverbrechen erdulden müssen; jetzt seien eben andere dran.

In solchen Aussagen liegt der Schmerz, den viele in der „Jüdischen Stimme“ kennen. Er rührt von einer Wunde, die sich nicht schließen will. Bei mir ist es die tiefe Enttäuschung, die ich erfahren habe, als ich 2007 in mein Geburtsland zurückzog. Im Laufe von zwei Jahren musste ich festzustellen, dass all meine Überzeugungen bezüglich dieses Landes, an denen ich ebenso wenig wie alle anderen Kinder Israels je gezweifelt hatte, Lügen und Täuschungen waren: Von der Mär vom leeren „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ über die „moralischste Armee der Welt“ und der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ (die immerhin für jüdische Israelis bis vor kurzem noch halbwegs existierte) bis hin zur im israelischen Diskurs komplett geleugneten Nakba, der Ermordung tausender und Vertreibung hunderttausender Palästinenser im Zuge der Staatsgründung, des Raubes ihres Besitzes, ihres Landes, ihres verbrieften Rückkehrrechts. Die Liste ließe sich lang fortsetzen.

Auf alledem baut sich eine existenzielle Angst auf: Angst um die Menschen in Israel, Angst um die Palästinenser, Angst um Juden weltweit, Angst vor einem Flächenbrand, der zu einem Dritten  (und letzten?) Weltkrieg führen könnte. Wo soll das hinführen, wenn wir diesen Pfad der Gewalt nicht verlassen? Wenn wir ein Menschheitsverbrechen – und das hat die Hamas mit ihrem barbarischen Vernichtungszug am 7. Oktober begangen, was nicht nur verdammt, sondern auch bestraft werden muss – mit einem weiteren Menschheitsverbrechen vergelten?

Israelische Soldaten manövrieren gepanzerte Militärfahrzeuge entlang der israelischen Grenze zum Gazastreifen. Ohad Zwigenberg/AP

Die Geschichte hat gezeigt, dass Gewalt immer nur Gegengewalt erzeugt, und dass Ideen und Ideologien nicht weggebombt werden können. Und da soll mir keiner mit dem Beispiel von Nazi-Deutschland kommen! Die Alliierten wussten schon Jahre vor 1945 von der Existenz von KZs, sie hätten das Grauen schon lange zuvor beenden können. Faschistische Nazi-Ideologie wurde nicht durch Bomben auf Dresden ausgelöscht. Sie macht das Leben in Deutschland heute noch für bestimmte Minderheiten gefährlich, siehe NSU, Hanau oder Halle, nur um die Spitze des Eisbergs zu benennen.

Was erwarten wir von den überlebenden Kindern in Gaza, deren Eltern und Urgroßeltern schon Flüchtlinge von 1948 waren? Sollen sie, nachdem sie wochenlang Ruinen, Hunger und Durst, Verschüttete und Verbrannte, Tod und Trauma erlebt haben, nach einem Wiederaufbau ihres Freiluftgefängnisses unsere freundlichen Nachbarn mit eingeschränkten Rechten werden, die unsere israelischen Gärten bestellen und unsere Häuser bauen, so wie die meisten Palästinenser es sich eingerichtet haben in den vergangenen Jahrzehnten? Oder werden sie eines Tages zu jungen Männern werden, die in ihrer Verzweiflung und Wut wieder Waffen in die Hand nehmen, um sich zu rächen an der Rache Israels?

Diese tödliche Spirale wird ausschließlich durch einen Paradigmenwechsel zu unterbrechen sein. Entweder durch radikale Trennung zwischen Israelis und Palästinensern, was ich bis dato immer abgelehnt habe, weil ich durch meine eigene Familiengeschichte weiß, wie gut Juden und Araber neben- und miteinander leben konnten, solange die einen sich nicht über die anderen gestellt und sie entrechtet haben. Oder durch gleiche Rechte für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan in einem wie auch immer gearteten gemeinsamen Staat, einer Konföderation, einem Staatenbündnis oder einer sonstigen Organisationsform, die ohnehin die Menschen vor Ort selbst zu bestimmen haben.

Aber bis dahin wird viel Blut fließen. Mit jedem Tag, an dem das Gemetzel in Gaza und die Tötungen, Vertreibungen und Hauszerstörungen im Westjordanland weitergehen, entfernt sich ein gerechter Frieden um eine Generation, mindestens. Hier kommt meine Verzweiflung über die deutsche Politik ins Spiel – von der EU und den USA ganz zu schweigen. Deutschland begreift nicht, dass sein „Wir stehen bedingungslos an der Seite Israels“ zu einer riesigen Gefahr für Israel und vor allem für Juden in Deutschland werden kann.

Wie nur kann der deutsche Staat wegsehen, wenn israelische Minister sich selbst als Faschisten bezeichnen, und Israels korrupter Ministerpräsident alles tut, um nur ja an der Macht zu bleiben? Seht Ihr nicht, dass er sein eigenes Volk verraten hat? Wo war die israelische Selbstverteidigung am 7. Oktober, auf deren Recht Ihr permanent pocht? Wo war Deutschlands „Staatsräson“, als israelische Zivilisten dringen Schutz vor Terroristen gebraucht hätten? Und wo ist jetzt Eure „unverbrüchliche Freundschaft“ mit einem Staat, der Völkermord und Vertreibung an den Palästinensern vorantreibt und womöglich nicht einmal vor dem Einsatz einer „kleinen“ Atombombe zurückschreckt?

Oder – was fast schlimmer wäre – die gesamte islamische Welt auf den Plan rufen könnte, wenn der Plan von rund 20 radikal-jüdischen Organisationen und deren Anhängern sich durchsetzt, den Felsendom zu sprengen und den Dritten Tempel an seiner Stelle zu erreichten? Die Einrichtungsgegenstände samt der goldenen Menorah, so wie sie in der Bibel beschrieben ist, das Gewand des Hohepriesters, Becher und Löffel für Weihrauch und Vieles mehr liegt schon im „Tempel-Institut“ in der Altstadt Jerusalems bereit und erfreut sich einer steigenden Besucherzahl, vor allem von evangelikalen und andere Christensekten.

Das alles macht mir, macht uns „Jüdischen Stimmen“ Angst. Ich habe Angst um meine Verwandten und Freunde in Israel, um den Niedergang der einst sozialistisch beflügelten, einst demokratisch und geschlechter- und herkunftsgleich gedachten israelischen Gesellschaft, in der heute nur noch Hass und Überlegenheitsanspruch regiert. Deswegen senken wir die Köpfe angesichts des Todes und der Gewalt, die auch wieder auf uns zurückfallen kann – und es ist gut, dass Grauschöpfe, dunkle Locken, Juden und Nichtjuden dabei sind. Der Staat Israel verrät sein eigenes Volk, verrät uns Juden weltweit, indem er am laufenden Band gegen jüdische Werte verstößt und seine Bürger nicht schützte, als sie es am nötigsten hatten. Stattdessen waren Militär und Polizei mit dem Schutz gewalttätiger Siedler in der Westbank beschäftigt.

Ist es da nicht auch für Deutsche ermutigend, dass Juden in Deutschland ihre Stimme erheben? In den USA sind Tausende dem Ruf unserer Schwesterorganisation „Jewish Voice for Peace“ gefolgt, haben den Kongress in Washington besetzt und den zentralen Bahnhof von New York blockiert. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Not in our name“ (Nicht in unserem Namen), verlangen einen sofortigen Waffenstillstand, die Befreiung der Geiseln, Verhandlungen. „We still need to talk“ (Wir müssen immer noch reden) ist dort wie hier die Devise, unter der vorletzte Woche eine von Jüdinnen und Juden in Berlin geführte Demonstration mit mehr als tausend Menschen friedlich stattfand.

Ja, mit Sicherheit wären auch wir am 7. Oktober in einem israelischen Kibbuz ermordet worden. Aber zum Glück ist diese Frage wirklich hypothetisch. Diese Gewaltvorstellung wird mich nicht meine Werte verraten lassen. Für eine gemeinsame, gerechte und friedliche Zukunft werde ich laut und eigensinnig weiterhin meine jüdische Stimme erheben. Denn unsere Trennlinie verläuft nicht zwischen Juden und Arabern, sondern zwischen Humanisten und Fanatikern.

Eliana Ben David vom Verein Jüdische StimmeBenjamin Pritzkuleit

Im Übrigen hat der Berliner Kultursenator verkündet, dass dem Kulturzentrum Oyoun aufgrund der Zusammenarbeit mit „Jüdische Stimme“ sämtliche Fördergelder entzogen werden. Begründung: „Versteckter Antisemitismus“. Ich wünschte, in Deutschland würde mit dieser Entschlossenheit echtem, unverhohlenem Antisemitismus begegnet werden.

Nirit Sommerfeld, in Israel geboren, in Ostafrika und Deutschland aufgewachsen, ist Schauspielerin, Sängerin und Autorin. Von 2007 bis 2009 lebte sie mit ihrer Familie in Tel Aviv und besuchte regelmäßig die besetzte Westbank, seitdem setzt sie sich für die Beendigung der Besatzung und gleiche Rechte für Israelis und Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordan ein.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen der Open-Source-Initiative der Berliner Zeitung eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

„Zur bis zu dieser Stunde nach wie vor unvollendeten Revolution von 1918“

Mit diesen Worten leitete Rolf Becker sein Referat an diesem Abend ein. Seit 2018 erinnert die Initiative „1918 unvollendet“ jährlich an den letztendlich gescheiterten Aufstand. Dabei versucht die Initiative die Folgen für die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse und die noch vor uns liegenden Aufgaben herauszuarbeiten. In diesem Jahr stand die Veranstaltung naturgemäß ganz unter dem Eindruck der erneut vom Imperialismus angezettelten Kriege um die Ukraine und um die Vorherrschaft in Nahost. Zu den Mitorganisatoren gehörten deshalb auch verschiedene friedenspolitische Initiativen, die sich anlässlich des Krieges um die Ukraine zusammengeschlossen haben und seither regelmäßig die Berliner Veranstaltungsreihe „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ in Berlin durchführen.

Wir geben im Folgenden das Referat von Rolf Becker wieder:

Zunächst, was Carl von Ossietzky als Zeitzeuge dazu schrieb – bereits am 31. Mai 1913, ahnend, was drohte:

„Unsere Regierung ist nicht verpflichtet, aus Katastrophen zu lernen. Wenn es nur das Volk täte.“

1. Februar 1919:

Deutschland hat bis zum Jahre 1848 nur eine einzige, alle Volksschichten erfassende Revolution gehabt: den Großen Bauernkrieg. Keinen Bastillen-Sturm kennt die deutsche Geschichte – nur so ist es denkbar, dass man in ratloser Verblüffung die neuen Typen (der Spartakus-Bewegung) bestaunt, die in den letzten Monaten zur Erscheinung gekommen sind. 

Wir erleben eine weltgeschichtliche Wende – matte Hirne, schwache Herzen mögen es verwünschen, Angehörige dieser Epoche sein zu müssen –, aber wer nur ein wenig Gefühl und Augenmaß hat, der wird sich auf den Boden des Tatsächlichen stellen, und das ist, dass eine Welt zusammengebrochen ist und neu errichtet werden muss.

Zusammengebrochen ist nicht nur ein Staat, der sich unbesiegbar wähnt  – zusammengebrochen ist nicht nur eine Wirtschaftsordnung, die von ihnen Nutznießern für bombensicher gehalten wurde, zusammengebrochen ist vor allem der bürgerlich-kapitalistische Geist, der seit hundert Jahren die Köpfe beherrschte und auch große Teile der sozialistischen Arbeiterschaft weit mehr im Banne hatte, als sie es gern wahrhaben möchte.

Was zusammengebrochen ist, war schlecht fundiert, war nicht Wahrheit, sondern Kulisse. Wir hatten eine wunderbar entwickelte Technik, eine aller

irdischen Gebundenheit spottende Wissenschaft. Wissenschaft und Technik aber waren nicht in erster Linie da, zu helfen: sie schufen Werkzeuge der Vernichtung, Werkzeuge grässlichsten Mordes.

Wir haben das kalte Fachwissen verwechselt mit dem großen Wissen vom Leben. –

Juni 1919 – Ossietzky ahnt, was der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und der damit verbundenen Niederschlagung der Revolution folgt:

„Revolution hat bisher Bruch mit der Vergangenheit bedeutet. Die deutsche hat den bedenklichen Vorzug, diese Vorstellung gründlich revidiert zu haben: unsere Revolution ist keine Kopie der französischen. Sie ist deutsch bis auf die schwachen Knochen. Wir haben zwar gleichfalls Berg und Ebene. Aber sie sind bei uns gleich flach.“ –

4. Januar 1927 – Ossietzky bedauert, dass ihn die geschichtlichen Ereignisse bestätigen: 

„Der liberale Demokratismus erschöpft sich in der breiten Lobpreisung des Parlamentsstaates. Er sieht nichts Werdendes, ahnt nichts von einem Problem der Köpfe, geschweige denn von denen des Magens.

Der böse Satz von Anatole France „Das Gesetz verbietet in seiner majestätischen Gleichheit den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen“, kennzeichnet eine Demokratie, die nur in ihren Institutionen und für ihre Institutionen lebt – in der unbedingten Ablehnung der Tatsache, dass selbst diese Republik revolutionären Ursprungs ist, dass es sie ohne den 9. November 1918 niemals gegeben hätte.

Wir fragen: Was haben die großen Parlamentspolitiker, diese Strategen der Opportunität, eigentlich erreicht? Die Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit sind schärfer als jemals. Die Hohenzollern haben ihre Millionen. Die Zensur ist wieder da. Das sind die Resultate. Und wenn auch sonst weiter nichts stabilisiert ist, so doch der Kapitalismus. Auf Klagen von Unten: dafür ist kein Geld da. Kein Geld für die Arbeitslosen, kein Geld für ein großes Wohnbau- und Siedlungs-Programm.

Die Außenseiter aber fragen: zu diesem Effekt eine welthistorische Umwälzung? Deswegen soll einmal die rote Fahne über Deutschland geweht haben, damit ein paar Oberbürgermeister Minister spielen können, was schließlich auch unter Kaiser Wilhelm sporadisch gestattet war? Enthält nicht der revolutionäre Ursprung der Republik auch eine revolutionäre Verpflichtung?“

Soweit Ossietzky 1927. Und heute, 96 Jahre danach? Die Hohenzollern haben hier in Berlin ihr Schloss wieder, um die Millionen zu ihrer Entschädigung wird noch gefeilscht. Und die Zensur ist in Form von Verboten und als Staatsraison auch wieder da, oder als Propaganda, die unsereins besser nicht verletzt, wenn wir Konsequenzen ausweichen wollen wie kürzlich in Kassel, wo eine Hochschulrektorin vorsorglich eine Veranstaltung abbricht, um den von ihr befürchteten Vorwurf des Antisemitismus zu vermeiden. Oder wie vor einigen Tagen hier in Berlin, wo Jeremy Corbyn, vormals Vorsitzender der Labour-Party in England, von der Volksbühne ausgeladen wird, prophylaktisch, um keinen Ärger mit der Berliner oder mit der Bundesregierung zu bekommen, die sich auf den in England gegen ihn erhobenen Vorwurf des Antisemitismus beziehen könnten.

Ossietzky am 6. November 1928:

„Kein Politiker irgend einer Partei verschmäht, von der Verarmung und Verelendung zu sprechen, und zwar nicht von der durch die eignen Kapitalisten bewirkte, sondern von der Verarmung durch die Reparationszahlungen, und niemand spricht mehr von der Inflation, diesem gigantischen Raubzug durch die Ersparnisse der kleinen Leute.

Es gibt kein Bankett, wo nicht irgendein Schmerbauch feierlich versichert, dass wir nunmehr ein armes Volk sind. Von dieser kümmerlichen Phrase leben alle: ‚Sprengung der Grenzen, die uns einengen. Das deutsche Schicksal ist eine Raumfrage.‘

Das deutsche Schicksal ist keine Raumfrage: es kommt nicht darauf an, wie viel Platz ein Volk unter der Sonne einnimmt, sondern wie die Güter darauf verteilt sind. Wenn die herrschende Klasse über die (Kriegs-)Niederlage lamentiert so muss ihr klar gemacht werden, dass die glanzvollen Fassaden ihrer Industriepaläste die Monumente eines viel beweiskräftigeren Sieges sind: des Sieges über das eigne Volk.

Deutsche Revolution – ein kurzes pathetisches Emporrecken, und dann ein Niedersinken in die Alltäglichkeit. Massengräber in Berlin. Massengräber in München, an der Saale, am Rhein, an der Ruhr. Ein tiefes Vergessen liegt über diesen Gräbern, ein trauriges Umsonst. Ein verlorener Krieg kann schnell verwunden werden. Eine verspielte Revolution, das wissen wir, ist die Niederlage eines Jahrhunderts.“

Wir wissen heute, im bereits zweiten Jahrhundert nach der Revolution vom November 1918, dass die Folgen der Niederlage nach wie vor andauern, und dass sie weiterhin andauern werden solange diese Revolution eine „unvollendete Revolution“ bleibt.

Ossietzky am 29. Januar 1929:

„Es ist sehr merkwürdig, dass die Sozialdemokraten, die doch vom marxistischen Dogmatismus herkommen, heute die einzigen vom Glauben an den Parlamentarismus ganz Durchdrungenen sind. Jeden Demokraten muss eine Gänsehaut überlaufen, wenn er im parteiamtlichen „Sozialdemokratischen Pressedienst“ vom 21. Januar folgendes liest: ‚Die Demokratie innerhalb des Proletariats, echte demokratische Organisationsformen der Arbeiterschaft gibt es eben nur in der sogenannten bürgerlichen Demokratie‘.  

Heiliger Lassalle, bitte für deine Erben – das Endziel ist erreicht, wir haben die freieste Verfassung, die beste aller Republiken. Also Maul halten, denn das ist die letzte sozialistische Verkehrsordnung. Wer weitergeht, wird erschossen!“ –

Und am 24. November 1931:

„Wer gegen wen? Die Notverord­nungen, die Militarisierung des Innenministeriums, alles das sind Maßnahmen, die den Zustand von morgen oder übermorgen vor­wegnehmen. Hitler regiert nicht, aber er herrscht. Das Millionenheer, das sich dem Faschismus in die Arme wirft, fragt nicht, weil nichts schlimmer werden kann als es bereits ist. Darin liegt das Glück des Nationalsozialismus, das Ge­heimnis seiner Siege.

Hat der Faschismus einmal gesiegt, so werden die Sozialdemokraten ebenso wenig zu melden haben wie die Kommunisten. Auch hier lautet die Frage: wer gegen wen? Proletarier gegen Proletarier. Arbeitende ge­gen Arbeitende.

Wie viele Minuten oder Se­kunden vor zwölf es schon ist, lässt sich nicht sagen. Periculum in mora  – Gefahr im Verzuge.“

Ab 3. Mai 1932 wendet sich Ossietzky mehrmals an die Führungen der beiden großen Arbeiterparteien SPD und KPD und fordert sie zum gemeinsamen Widerstand gegen die faschistische Bewegung auf:

„Es geht nicht mehr um Programme und Doktrine, nicht mehr um ‚Endziele‘ und ‚Etappen‘, sondern um den Fundus der Arbeiterschaft, ihre Presse und Gewerkschaftshäuser, und schließlich um ihr lebendes Fleisch und Blut, das hoffen und vertrauen und kämpfen will. In diesen Tagen steht das Schicksal aller deutschen Sozialisten und Kommunisten zur Entscheidung.“  

Am 1. Juli 1932 – Ossietzkys Rede beim Prozess „Soldaten sind Mörder“
(Nach Notizen von Johannes Bückler, erschienen in „Die Weltbühne“, 5. Juli 1932)

Wegen der Veröffentlichung des Tucholsky-Textes „Soldaten sind Mörder“ in der Weltbühne vom 4. August 1931 wurde nicht Tucholsky angeklagt, der sich aus politischen Gründen bereits seit 1929 in Schweden aufhielt, sondern Carl von Ossietzky als verantwortlicher Redakteur. Aus seiner Verteidigungsrede:

„Wir Anhänger des Friedens haben die Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Krieg nichts Heroisches bedeutet, sondern nur Schrecken und Verzweiflung über die Mensch­heit bringt.

Wir wissen, dass die machtpolitische Situa­tion für uns nicht günstig ist, grade deshalb müssen wir eine lapidare Sprache führen. Aber diese Sprache geht von Laotse über die Bibel und Kant durch die ganze Literatur. Alle haben den Krieg als Mord und das Soldatenhandwerk als Mörder­handwerk gekennzeichnet.

Seit zweitausend Jahren streitet man sich um diese Dinge herum. Das ist der ewige Zwiespalt zwischen der Staatsmoral und dem Indivi­duum. Man kann das auf die Formel bringen: dem kleinen Mörder schlägt man den Kopf ab, dem großen setzt man einen Lorbeer­kranz auf.

Wir greifen aber hier nicht nur an, sondern wir verteidigen das Recht auf Leben.“

Am 1. Januar 1933 veröffentlicht Ossietzky, der die Machtübernahme der Faschisten in Deutschland inzwischen für unabwendbar hält, in der „Weltbühne“, was sich wie eine an uns gerichtete testamentarische Verfügung liest:

„Neue politische und soziale Systeme werden kommen, aber die Folgen Hitlers werden aufstehen, und spätere Generationen noch werden zu jenem Kampf antreten müssen, zu dem die deutsche Republik zu feige war.“ –

Damit sind wir bei unserer Fragestellung: wie die unvollendete Revolution vollenden? Eine Frage, die angesichts dessen, was weltpolitisch seit der Herrschaft der Faschisten im 3. Reich und im 2. Weltkrieg gelaufen ist und was gegenwärtig mit kaum absehbaren Konsequenzen läuft, viele – auch unter uns – kaum noch zu denken wagen.

Zu den Konsequenzen aus Faschismus und 2. Weltkrieg: Esther Bejarano, aus ihrer Ansprache vom 27. Januar 2020: 

„Plötzlich gab es keine Nazis mehr, damals, 1945 – alle waren verschwunden. Uns aber hat Auschwitz nicht verlassen. Die Gesichter der Todgeweihten, die in die Gaskammern getrieben wurden, die Gerüche blieben, die Bilder, immer den Tod vor Augen, die Albträume in den Nächten.

Wir haben das große Schweigen nach 1945 erlebt, erlebten, wie Nazi-Verbrecher davonkommen konnten – als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer. Wir lernten schnell: die Nazis waren gar nicht weg.

Die Menschen trauerten um Verlorenes: um geliebte Menschen, um geliebte Orte. Wer aber dachte über die Ursachen dieser Verluste nach, fragte, warum Häuser, Städte, ganze Landstriche verwüstet und zerstört waren, überall in Europa? Wen machten sie verantwortlich für Hunger, Not und Tod?

Dann brach die Eiszeit herein, der Kalte Krieg, der Antikommunismus. Es war ein langer Weg vom kollektiven Beschweigen bis zum Eichmann-Prozess in Jerusalem über die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt am Main zu den Studentenprotesten in den 1968ern hin zur Fernsehserie “Holocaust” ab 1979. Nur zögerlich entwickelte sich die Wahrnehmung des NS-Unrechts.

Aber auch die Rechten, Alt- und Neonazis und Auschwitzleugner formierten sich. Sonntagsreden, die Betroffenheit zeigen, reichen da nicht.

Betroffenheit muss zum Handeln führen für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus, ohne Ausländerhass! Nicht nur an Gedenktagen! Dass Auschwitz nie wieder sei – dass dieses Land sich ändern muss.“

Zum Ukraine-Krieg, zur Unterdrückung der Palästinasolidarität, zur „deutschen Staatsräson“ – Themen, die den Rahmen unserer heutigen Veranstaltung überschreiten, zur Fortführung unserer notwendigen Gespräche aus Pablo Nerudas Gedicht „Ich erkläre einige Dinge“:

„…aus jedem toten Haus wird glühendes Metall,

aus jedem toten Kind wird ein Gewehr mit Augen,

aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren.“  

Duygu Kaya zu Streik und Streikrecht

Duygu Kaya war an einem verbandsfreien Streik beim Lieferdienst Gorillas beteiligt und wurde deswegen gekündigt. Am 9. November hielt sie eine Rede zu diesem Thema auf einer Veranstaltung, die in jedem Jahr zum Jahrestag der Novemberrevolution von der Koordination „9. November 1918 – die unvollendete Revolution“ durchgeführt wird. Die Rede kann man sich hier ansehen und anhören. Hier die Rede in vollem Wortlaut:

Mein Name ist Duygu Kaya aus Istanbul. Ich bin 35 Jahre alt. Ich bin Lehrerin, aber ich arbeite in prekären Arbeitsverhältnissen, da meine Diplome nicht anerkannt werden. Als Quereinsteigerin werde ich hoffentlich bald wieder als Lehrerin arbeiten.

Im Sommer 2021, während ich einen Deutschkurs besuchte, lief das ALG 1 aus, und ich musste einen Sommerjob finden, um weiter zur Sprachschule gehen zu können. Da habe ich bei Lieferdienstunternehmen Gorillas angefangen. Ich habe den „illegalen“ Oktoberstreik mitorganisiert und wurde dafür gekündigt.

Wir müssen verstehen, dass Unternehmen wie Gorillas nur auf Wachstum aus sind. Die Ausbeutung ist ein natürliches Ergebnis ihrer Nachlässigkeit gegenüber ihren ArbeiterInnen: Denn wir sind nie in ihrem Blickfeld. Denn dem Kleinkapital geht es nicht um nachhaltigen Profit oder Selbsterhaltung oder gar um Arbeitsrechte. Es konzentriert sich einfach darauf, sich fortzubewegen, zu expandieren, einen Bedarf in der Gesellschaft zu schaffen, und wenn dies erledigt ist, weiterzuziehen und ein neues Projekt zu schaffen. Bei dieser Geschwindigkeit werden Arbeitsrechte und alles, was mit Menschlichkeit und Würde zu tun hat, völlig außer Acht gelassen. Es ist ein durstiges Monster, das ohne Unterbrechung um sein Überleben kämpft. Die schönste Form des wilden Kapitalismus.

Daher mögen die folgenden Probleme an diesen Arbeitsplätzen für einige von Ihnen unrealistisch und sogar anachronistisch klingen, als ob sie aus einem anderen Jahrhundert stammen würden.

Die Gründe für die verbandsfreien Streiks bei Gorillas waren jedoch alle dieselben:

  • Nicht pünktliche und vollständige Bezahlung
  • Willkürliche und unrechtmäßige Kündigungen am letzten Tag der Probezeit
  • Instabile Zeitplanung, die unser Bildungs- und Privatleben außer Acht lässt
  • Ständiges Zerschlagen von politischer Organisierung, Unionbusting
  • Rücksichtslose Verletzung unserer Würde

All dies sind keine Themen, die in Tarifverhandlungen diskutiert werden. Tarifverträge sind ein Luxus für diejenigen, deren Arbeit nicht über dem Existenzminimum liegt.

Die Dringlichkeit unserer Bedürfnisse ließ ein Medium entstehen, das auf die Dringlichkeit selbst reagieren würde. Dieses Mittel waren die so genannten „wilden Streiks“. Nach 5 Tagen illegalen Streiks wurden wir alle entlassen, entweder durch Anrufe oder durch Kündigungsschreiben. Denn was wir taten, war wegen einer Rechtsprechung illegal. Als MigrantInnen und ArbeiterInnen wurden wir weiter kriminalisiert. Dies bedeutete, dass unser Streikrecht durch das Gesetz selbst illegal gemacht wurde.

Während wir diese Methode des selbstorganisierten Widerstands praktizierten, waren wir auch mit einer langen Geschichte der Repression konfrontiert. In den 1970er Jahren gab es Hunderte von wilden Streiks. Einige von ihnen endeten sogar brutal: man denke an Ford im Jahr `73. Was war der Grund für die Polizei, den Betriebsrat und die IG Metall, das gewaltsame Vorgehen zu rechtfertigen? Dass diese Streiks illegal waren. Aber hatten sie Recht?

Wir müssen noch weiter zurückgehen, ins Jahr 53, 20 Jahre vor Ford.
Da war er. Der Ursprung der Illegalität.

Ein NAZI-Richter namens Hans Carl Nipperdey gab sein Urteil ab und erklärte politische und verbandsfreie Streiks für illegal. Der so genannte Zeitungsstreik gegen die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, ein bedeutender politischer Streik nach dem Zweiten Weltkrieg, führte dazu, dass die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), also die Bosse des gesamten Kapitals, vor Gericht auf Entschädigung klagten. Der BDA veröffentlichte ein Gutachten von Nipperdey und von da an waren alle Streiks verboten, die nicht von den Gewerkschaften ausgerufen wurden und die nicht tarifvertragliche Ziele hatten. Dazu gehörten politische Streiks, Generalstreiks und Streiks, die von den ArbeiterInnen selbst ausgerufen und organisiert wurden.

Heute sind wir wegen der Novemberrevolution hier.
Wir nennen sie nicht umsonst unvollendet. Sie hat immer noch so viel Relevanz, mit ihren zeitlosen Forderungen nach

  • Demokratie auch in den Betrieben
  • dem Ende von Ausbeutung, Militarismus und Krieg

Was hat sich bis heute geändert?

Kann man von Demokratie in den Betrieben sprechen, wo selbst die uns zugestandenen Rechte, wie die Einrichtung eines Betriebsrats, den kreativen und ungesetzlichen neoliberalen Zerschlagungstaktiken unterworfen sind?

Wie viele andere Dinge an diesen Arbeitsplätzen ist auch die Demokratie auf einem Niveau, auf dem es um ihr Überleben geht. Ende der traditionellen Sklaverei, es lebe die moderne Sklaverei, die unter dem Deckmantel von 6-monatigen working holiday visas, flexiblen Arbeitszeiten, Home-Office-Paradiesen, dunklen Läden, der Verlust des Arbeitsraumes und der völligen Isolierung der ohnehin schon atomisierten Arbeiterklasse daher kommt….

Können wir von einer Welt sprechen, in der die Gesellschaften entmilitarisiert sind und in der wir Brot und Rosen statt Kugeln teilen? Es ist noch nicht lange her, erst einen Monat: Der 7. Oktober markiert ein sehr wichtiges Datum in der modernen Geschichte, das zeigt, dass der Zivilmord kein absoluter Begriff ist, sondern relativiert und gerechtfertigt werden kann. Die westliche Linke hat es versäumt, eine gemeinsame internationalistische Haltung aufzubauen:

  • gegen die Brutalität des Hamas-Angriffs
  • und als Antwort auf den Versuch der israelischen Regierung, den jahrzehntelangen Terror gegen die palästinensische Zivilbevölkerung als Völkermord fortzusetzen.

Ich kann nicht aufhören, mich zu fragen: Wenn die Menschen in Deutschland in einem Generalstreik gegen dieses Grauen auf die Straße gegangen wären, würden wir dann jetzt über einen Waffenstillstand und Friedensgespräche sprechen, statt über ein kollektives Scheitern?

Nun, selbst in meiner eigenen politischen Gruppe, der Kampagne Streikrecht, gibt es Leute, die meinen, das sei für uns irrelevant. Anscheinend kann man in der heutigen postmodernen Welt alles relativieren: Wir können gegen den Krieg in einem Land streiken, aber nicht gegen den Versuch eines Völkermords in einem anderen. Die Novemberrevolution zu erinnern ist nicht notwendig, um einen anonymen Feind zu besiegen, sondern um die Linke selbst zu erschüttern und wieder zur Vernunft zu bringen.

Ich lasse die angebliche Komplexität der Palästina-Frage beiseite: Die deutsche Linke flüchtet sich gerne in das Wort „komplex“, wenn sie einfach nicht den Mut hat, die israelische Regierung und den Zivilmord zu verurteilen. Von der Komplexität abgesehen, würden die Menschen in Deutschland immer noch auf die Straße gehen, wenn politische Streiks nicht verboten wären? Ich bezweifle es. Leider hat sich in dieser Gesellschaft eine Kultur des Gehorsams tief eingegraben.

Mein lieber Anwalt Benedikt Hopmann und ich haben oft an Veranstaltungen teilgenommen, bei denen wir das Publikum fragten: „Warum können wir nicht wie in Frankreich streiken?“  Und die meisten Antworten, die wir von unserem „linken“ Publikum erhielten, waren, dass es in Frankreich eine andere Kultur gibt.

An dieser Stelle wird das Bild düster.

Das Eingeständnis in dieser Antwort war vielschichtig:

Unsere linken Teilnehmende wussten nicht, dass es verboten war, weil sie nie versucht haben, einen politischen Streik zu führen. Mit „sie“ meine ich uns alle, die Masse.

Sie sagten, es sei eine andere Kultur, weil sie insgeheim glaubten, dass der Staat in dieser Gesellschaft zu einer DNA geworden sei und die Arbeit eine Pflicht und nicht ihre Macht sei.


Also, Freunde und Freundinnen,

die Novemberrevolution ist definitiv unvollendet.

Wir sind als Gesellschaft in einer schlechteren Situation als vor 100 Jahren, was das politische Bewusstsein angeht.

Es gibt keinen Berlinstreik von 1916 mehr.

Es gibt keinen Januarstreik von 1918 mehr.

Es gibt keinen Generalstreik von 1920 mehr.

Denn der Geist und das Gewissen dieser ArbeiterInnen sind längst vergangen.

Es gibt auch keinen Grund, die Gorillastreiks zu romantisieren.

Es war eine Gruppe von migrantischen ArbeiterInnen, zu denen auch ich gehörte, deren prekäre Lebenssituation das von den NAZIs geerbte Streikrecht entstaubte, weil es keine anderen Mittel gab, um die Forderungen durchzusetzen.

Es gibt auch keinen Grund, den DGB scharf zu kritisieren. In seiner jetzigen Struktur ist er nicht mehr als ein Vermittler. Deshalb wäre es naiv zu erwarten, dass er seine vorteilhafte Position aufgibt und an unserer Seite steht, während wir verbandsfrei streiken. Warum sollte DGB seine Macht als Monopol aufgeben?

Lange Rede, kurzer Sinn:
Wir brauchen eine innere Revolution, bevor wir große Worte über die Veränderung der Welt machen.

Ich habe erwähnt, dass Benedikt Hopmann mein Anwalt ist.

Wir sind vor Gericht gegen Gorillas. Unser Argument ist, dass kein Arbeiter oder Arbeiterin wegen eines Streiks entlassen werden kann. Kein Streik kann illegal sein. Wir haben bereits die ersten beiden Instanzen verloren und jetzt kämpfen gegen ein Verbot an Revision. Unser Weg ist lang und bisweilen schmerzhaft.

Der Gerichtsfall ist unglaublich wichtig, denn wir haben die Chance, verbandsfreie Streiks zu legalisieren. Und vielleicht sogar politische Streiks. Aber was wird sich ändern, selbst wenn wir es wieder legalisiert bekommen? Was bedeutet ein umfassendes Streikrecht für eine Gesellschaft, die bereits den Widerstandsgeist verloren hat, Arbeit als Druckmittel gegen Ausbeutung, Militarismus, Krieg und Staatsterror einzusetzen?

Ich überlasse es jedem von uns, diese Frage zu beantworten.

Danke fürs Zuhören.

Die Stationierung von Atomwaffen in Nicht-Atomwaffenländern

Vorbemerkung: Aus Anlass des 78. Jahrestages des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima durch die USA im Folgenden ein Artikel über die Stationierung von Atomwaffen in Nicht-Atomwaffenländern. Zu diesen Ländern gehört auch Deutschland. Der Artikel, der kürzlich im Bulletin of the Atomic Scientist veröffentlicht wurde, enthält einen Rückblick  auf die kontroversen Diskussionen der NPT-Vertragsstaaten (NPT = Non Proliferation Treaty = NVV = Nicht-Verbreitungs- Vertrag von Kernwaffen) , sowie auch einen Ausblick auf die bei der RevCon (RevCon = Konferenz zur Überprüfung des NVV) zu erwartenden weiteren Verhandlungen über eine weltweite Beendigung der Nuklearen Teilhabe. Es handelt sich um eine deepl-Übersetzung. (Benedikt Hopmann)

28. Juli 2023| Moritz Kütt[1]Moritz Kütt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und Gastwissenschaftler am Program on Science and Global Security … Continue reading, Pavel Podvig[2]Der am Moskauer Institut für Physik und Technologie ausgebildete Physiker arbeitet über das russische Atomwaffenarsenal, die amerikanisch-russischen Beziehungen und die Nichtverbreitung von … Continue reading, Zia Mian[3]Zia Mian ist Physiker und Co-Direktor des Programms für Wissenschaft und globale Sicherheit an der Princeton University. Er ist Fellow der American Physical Society und wurde 2019 mit dem … Continue reading

Die Länder des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) werden Ende Juli und Anfang August in Wien zusammenkommen, um einen weiteren mehrjährigen Zyklus zur Bewertung der Fortschritte bei der Erfüllung der Ziele und Verpflichtungen dieses fünf Jahrzehnte alten Abkommens einzuleiten. Ein besonders umstrittener Teil der kommenden globalen Nukleardebatte wird die Handvoll NVV-Länder betreffen, die keine eigenen Atomwaffen besitzen, sondern sich stattdessen dafür entschieden haben, Atomwaffen der Vereinigten Staaten oder Russlands aufzunehmen. Für die meisten NPT-Länder sind solche Vereinbarungen über die Beherbergung von Kernwaffen ein inakzeptables Überbleibsel aus dem Kalten Krieg, das beendet werden sollte.

Die neue Dringlichkeit von Maßnahmen in der Frage der Gastländer für Kernwaffen folgt auf das erste neue Abkommen über die Übertragung von Kernwaffen an ein Gastland seit vielen Jahrzehnten. Im Juni 2023 kündigte Präsident Wladimir Putin an, dass Russland eine Reihe seiner Atomwaffen an seinen Verbündeten und Nachbarn Belarus verlegt habe und weitere Atomwaffen auf dem Weg seien, und dass „wir diese Arbeit bis zum Ende des Sommers, bis zum Ende dieses Jahres, abschließen werden“. Der Präsident von Weißrussland hat seinerseits anderen Staaten vorgeschlagen: „Schließen Sie sich dem Unionsstaat Belarus und Russland
an. Das ist alles: Es wird Atomwaffen für alle geben.“

Wenn der Waffentransfer nach Weißrussland abgeschlossen ist, wird es der sechste Staat sein, der Atomwaffen aufnimmt. Die anderen fünf Aufnahmestaaten sind Belgien, die Niederlande, Deutschland, Italien und die Türkei, in denen US-Atomwaffen stationiert sind – eine Praxis, die von den USA und ihren NATO-Verbündeten euphemistisch als „nukleare Teilhabe“ bezeichnet wird. Ein weiteres NATO-Mitglied äußert zunehmend den Wunsch, sich dieser Gruppe anzuschließen. Nach Putins Ankündigung zu Weißrussland wiederholte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki die Forderung, ein Aufnahmestaat für US-Atomwaffen zu werden. Polens Präsident Andrzej Duda hatte diese Option im vergangenen Jahr ins Spiel gebracht, doch der polnische Botschafter in den Vereinigten Staaten hatte die Idee bereits 2020 ins Spiel gebracht.

Die heutigen Aufnahmeregelungen sind sehr viel begrenzter und auch sehr viel sichtbarer als in der Vergangenheit. Die Ursprünge und Praktiken der Aufnahme von Atomwaffen aus der Zeit des Kalten Krieges sind immer noch weitgehend geheim, da sie ohne öffentliche Debatte und Zustimmung in den Ländern, die Atomwaffen zur Verfügung stellen, oder in den Ländern, die sie aufnehmen, eingeführt wurden, selbst wenn vermeintlich demokratische Länder beteiligt waren. Es ist jedoch bekannt, dass die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion in vielen Ländern eine große Anzahl von Atomwaffen im Ausland stationiert haben, während das Vereinigte Königreich eine viel geringere Anzahl von Waffen in einigen Ländern stationiert hat.

Es gibt eine teilweise freigegebene Geschichte der Stationierung von US-Atomwaffen im Ausland von 1951 bis 1977. Die Praxis der Stationierung von Kernwaffen in verbündeten Ländern (oder Gebieten) begann 1951 mit der Stationierung von Waffenkomponenten auf Guam, gefolgt von der Entsendung von Waffen nach Marokko und in das Vereinigte Königreich im Jahr 1954. Im Laufe der Zeit stationierten die USA ihre Kernwaffen in 16 Ländern, hauptsächlich in Europa und Asien (ohne Guam und Puerto Rico). Einige US-Kernwaffen wurden auch in Kanada stationiert. Ende der 1960er Jahre befanden sich etwa 7.000 US-Atomwaffen in Europa, darunter Bomben, Raketensprengköpfe, Artilleriegranaten und Atomminen. Die Zahl der US-Atomwaffen in Europa erreichte 1971 mit etwa 7.300 ihren Höhepunkt, bevor sie in den späteren 1970er Jahren zu sinken begann.

1959 stationierte die Sowjetunion kurzzeitig Waffen in Ostdeutschland. Die bekannteste (wenn auch kurzlebige) Stationierung von Atomwaffen erfolgte 1962 in Kuba. Später, Mitte der 60er Jahre, begannen längere Einsätze, bei denen sowjetische Atomwaffen in die Tschechische Republik, nach Ungarn, in die Mongolei, nach Polen und erneut nach Ostdeutschland gingen. Moskau stationierte auch Atomwaffen in den Sowjetrepubliken, einschließlich strategischer Atomwaffen in Kasachstan, Belarus und der Ukraine.

Mit dem Ende des Kalten Krieges begannen die Vereinigten Staaten und Russland, ihre Waffen nach Hause zu bringen. Die Sowjetunion hatte bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1991 alle Waffen aus Osteuropa abgezogen. Der Abzug aller nicht-strategischen Waffen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken erfolgte im Mai 1992, und alle strategischen Waffen wurden im November 1996 zurückgegeben.

Die meisten US-Atomwaffeneinsätze in Asien endeten Mitte der 70er Jahre, obwohl in Südkorea noch bis 1991 Atomwaffen stationiert waren. Die Stationierungen in Europa wurden erheblich reduziert (unter 500 im Jahr 1994) und in Griechenland (2001) und im Vereinigten Königreich (2009) beendet. Die Vereinigten Staaten haben diesen Prozess jedoch nicht abgeschlossen; etwa 100 US-Waffen sind weiterhin im Ausland stationiert, und zwar auf Stützpunkten in Belgien, den Niederlanden, Deutschland, Italien und der Türkei. Anstatt die Waffen aus diesen Ländern abzuziehen, schicken die USA modernisierte Atomwaffen, um sie zu ersetzen.

Das Vereinigte Königreich war das einzige andere Land, das sowohl Waffen beherbergt (die den USA gehören) als auch seine eigenen Waffen in anderen Ländern stationiert. Die Auslandseinsätze begannen in den 1960er Jahren und beschränkten sich auf Zypern, Singapur und Westdeutschland; diese Praxis wurde 1998 beendet.

Es liegen keine Informationen über Auslandseinsätze und Vereinbarungen über die Aufnahme von Kernwaffen durch andere Kernwaffenstaaten vor. Es gab Befürchtungen, dass Pakistan einige seiner Kernwaffen in Saudi-Arabien stationieren könnte, wobei frühere US-Beamte ein „NATO-ähnliches Modell“ als eine Option für eine solche Vereinbarung vorschlugen.

Bei den derzeitigen Vereinbarungen über die Aufnahme von US-Atomwaffen sollen die Atomwaffen in Friedenszeiten unter der Kontrolle von US-Militärpersonal stehen. Speziell ausgebildete Luftwaffeneinheiten des Gastlandes tragen diese US-Waffen und setzen sie in Kriegszeiten gemäß den Atomkriegsplänen der USA und ihrer Verbündeten ein. Eine ähnliche Vereinbarung besteht jetzt zwischen Russland und Weißrussland, wobei weißrussische Piloten darin geschult werden, ihre Flugzeuge mit russischen Atomwaffen zu fliegen; mindestens 10 Flugzeuge könnten jetzt atomwaffenfähig sein. Es ist auch möglich, dass Weißrussland seine von Russland gelieferten Iskander-M-Raketen mit mittlerer Reichweite und doppeltem Verwendungszweck für den Einsatz von Nuklearsprengköpfen nutzen könnte.

Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die russische Aufnahmevereinbarung mit Belarus die erste derartige Vereinbarung seit Inkrafttreten des NVV im Jahr 1970. Die anderen Aufnahmevereinbarungen, die noch in Kraft sind, beruhen auf Vereinbarungen, die vor dem Vertrag geschlossen wurden. Der NVV verbietet sowohl den Erwerb von Kernwaffen durch Nichtwaffenstaaten als auch die Weitergabe von Kernwaffen an solche Länder durch die fünf Kernwaffenstaaten, die Vertragsparteien sind (Russland, China, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich). In den Artikeln 1 und 2 des NVV heißt es: „Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder andere nukleare Sprengkörper oder die Kontrolle über solche Waffen oder Sprengkörper weder direkt noch indirekt an irgendeinen Empfänger weiterzugeben […]“ und „Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, von keinem Weitergebenden Kernwaffen oder andere nukleare Sprengkörper oder die Kontrolle über solche Waffen oder Sprengkörper direkt oder indirekt zu erhalten […]“.

Während der Verhandlungen über den Vertrag vereinbarten amerikanische und sowjetische Beamte unter vier Augen, dass die bestehenden Vereinbarungen über die Aufnahme von Kernwaffen auch im Rahmen des NVV fortgesetzt werden könnten. Die USA teilten ihren NATO-Verbündeten mit, dass sich der NVV ihrer Ansicht nach „nicht mit Vereinbarungen über die Stationierung von Kernwaffen auf verbündetem Territorium befasst, da diese keine Weitergabe von Kernwaffen oder die Kontrolle über sie beinhalten, es sei denn, es wird beschlossen, in den Krieg zu ziehen; zu diesem Zeitpunkt würde der Vertrag nicht mehr gelten“.

Die meisten NPT-Mitgliedsstaaten haben eine andere Auslegung der nuklearen Teilhabe und bringen seit fast drei Jahrzehnten ihre Bedenken vor. Ein Schlüsselmoment war 1995 während der Konferenz zur Überprüfung und Verlängerung des NVV die Diskussion im Hauptausschuss I, der für die Bewertung der Fortschritte bei den Vertragsartikeln 1 und 2 sowie bei Artikel 6, der die Verpflichtung zur frühzeitigen Beendigung der nuklearen Bewaffnung und zur Abrüstung zum Gegenstand hat, zuständig war. Mexiko und andere Nichtwaffenstaaten stellten die fortgesetzte Praxis der nuklearen Teilhabe der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Frage. Belgien und Deutschland entgegneten, dass diese Praxis noch nie in Frage gestellt worden sei.

Der jüngste Zusammenstoß fand auf der Konferenz zur Überprüfung des NVV im August 2022 statt. Im Namen der 120 Länder der Bewegung der Blockfreien Staaten sagte Indonesien: „Nach Ansicht der Gruppe stellt die gemeinsame Nutzung von Kernwaffen durch die Vertragsstaaten eine eindeutige Verletzung der Nichtverbreitungsverpflichtungen dar, die von den Kernwaffenstaaten (NWS) gemäß Artikel I und von den Nichtkernwaffenstaaten (NNWS) gemäß Artikel II eingegangen wurden.“ Indonesien fuhr fort: „Die Gruppe fordert diese Vertragsstaaten daher nachdrücklich auf, die gemeinsame Nutzung von Kernwaffen mit anderen Staaten unter allen Umständen und in jeder Form von Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich im Rahmen von Militärbündnissen, zu beenden.“

Russland erklärte: „US-Atomwaffen befinden sich immer noch auf dem Territorium von nicht-nuklearen Verbündeten … Wir haben wiederholt den Abzug der US-Atomwaffen auf nationales Territorium, die Beseitigung der Infrastruktur für ihre Stationierung in Europa und die Beendigung der ‚gemeinsamen Nuklear-Missionen‘ der NATO gefordert.“ Seitdem hat Russland natürlich Atomwaffen in Weißrussland stationiert und argumentiert, dass diese Stationierung anders sei, da „anders als im Falle der NATO die russisch-weißrussische nukleare militärische Zusammenarbeit im Rahmen des Unionsstaates stattfindet, der ein einziges Territorium und eine gemeinsame Militärdoktrin hat.“

China ist der einzige NVV-Kernwaffenstaat, der die nukleare Teilhabe konsequent ablehnt. In seiner Erklärung zur Überprüfungskonferenz des NVV 2022 erklärte der Vertreter Chinas, dass „Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Kernwaffen den Bestimmungen des NVV zuwiderlaufen“. China betonte, dass die Vereinigten Staaten „alle ihre Atomwaffen aus Europa abziehen und von der Stationierung von Atomwaffen in anderen Regionen absehen sollten“, und hob hervor, dass „jeder Versuch, das Modell der nuklearen Teilhabe der NATO in der asiatisch-pazifischen Region zu kopieren, die regionale strategische Stabilität untergraben würde und von den Ländern in der Region entschieden abgelehnt werden würde, und dass sie, wenn nötig, mit harten Gegenmaßnahmen rechnen müssten.“ China ist besonders besorgt über die in den letzten Jahren sowohl in Südkorea als auch in Japan geäußerten Forderungen, eine Rückkehr zu einer Art von US-Atomwaffen-Hosting-Vereinbarung zu erwägen.

Auf der bevorstehenden Tagung des NVV-Vorbereitungsausschusses könnten die Staaten beschließen, die Aufnahme von Kernwaffen als separaten Tagesordnungspunkt in die Bewertung des Vertragsstatus aufzunehmen. Es könnte Teil der Diskussion über Artikel 6, die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung, sein. Diese Verpflichtung gilt, wie Artikel 6 klarstellt, für „jede Vertragspartei“, nicht nur für Atomwaffenstaaten. Er fordert „wirksame Maßnahmen zur frühzeitigen Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung…“. Die Verhinderung eines nuklearen Wettrüstens und die Beendigung dieser Praxis würde sicherlich als eine solche Maßnahme gelten.

Der bedeutendste Versuch, den Grundsätzen und Praktiken der nuklearen Unterbringung entgegenzutreten, ist der UN-Vertrag über das Verbot von Kernwaffen, der 2021 in Kraft trat und derzeit von fast 100 Staaten unterzeichnet wurde (die alle auch Mitglieder des NVV sind). Der TPNW verbietet die Stationierung ausländischer Atomwaffen auf dem Boden seiner Vertragsstaaten unter allen Umständen.Er bietet Staaten, die keine nuklearen Gastgeber sein wollen, die Möglichkeit, diese Verpflichtung zu bekräftigen und rechtsverbindlich zu machen, indem sie einfach dem Vertrag beitreten.Der TPNW bietet auch den Staaten, die derzeit Atomwaffen beherbergen, einen Weg zur Mitgliedschaft – wenn sie den Vertrag unterzeichnen, müssen sie sich verpflichten, „diese Waffen
so schnell wie möglich“ und nicht später als 90 Tage zu entfernen. Sobald die Waffen in ihr Heimatland zurückgeschickt worden sind, muss das Land eine entsprechende Erklärung an den UN-Generalsekretär abgeben.

Für Staaten, die noch nicht bereit sind, der TPNW beizutreten, sind mehrere Optionen möglich. Die Staaten könnten einzeln beschließen, auf die Aufnahme und gemeinsame Nutzung von Kernwaffen zu verzichten. Für die europäischen NATO-Staaten bieten sich beispielsweise Island und Litauen an, die zwar NATO-Mitglieder sind, sich aber weigern, unter allen Umständen Kernwaffen aufzunehmen.Eine weniger eindeutige Option bieten Dänemark, Norwegen und Spanien, die den Einsatz von Kernwaffen in Friedenszeiten nicht zulassen.

Die Staaten könnten auch atomwaffenfreie Zonen bilden: Mehr als 110 Länder haben bereits Abkommen über atomwaffenfreie Zonen mit ihren Nachbarn geschlossen.Die Idee einer europäischen kernwaffenfreien Zone besteht schon lange. Sie geht auf einen Vorschlag des polnischen Außenministers Adam Rapacki aus dem Jahr 1957 zurück, der eine entnuklearisierte Region in Mitteleuropa vorsah, die Ost- und Westdeutschland, Polen und die Tschechoslowakei umfasste.Mitte der neunziger Jahre schlugen Belarus und die Ukraine gemeinsam eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa vor. Eine atomwaffenfreie Zone, die ganz Europa umfasst und auch Weißrussland und die Ukraine einschließt, könnte die Stationierung russischer Atomwaffen in Weißrussland zurückdrängen, die fünf verbleibenden US-Atomwaffenvereinbarungen beenden und als Rahmen für eine neue europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur dienen, wenn der Krieg in der Ukraine beendet ist.

Natürlich gibt es Dinge, die die Kernwaffenstaaten tun könnten. Die fünf NVV-Kernwaffenstaaten könnten sich auf eine Verpflichtung zum Verzicht auf Auslandseinsätze als wirksame Maßnahme zur nuklearen Abrüstung im Rahmen ihrer NVV-Verpflichtungen nach Artikel 6 einigen. Dies würde voraussetzen, dass die Kernwaffen in den europäischen NATO-Ländern und in Belarus entfernt werden, und würde künftige Aufnahmevereinbarungen dieser Länder verhindern. Mögliche Aufnahmevereinbarungen der vier Kernwaffenstaaten, die nicht dem NVV angehören (Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea), wären damit jedoch nicht abgedeckt. Um einen globalen Grundsatz festzulegen, könnten die UN-Generalversammlung und der UN-Sicherheitsrat beschließen, dass die Aufnahme von Kernwaffen fortan als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit behandelt wird.

Nachbemerkung (Benedikt Hopmann): Wir haben diesen Artikel hier veröffentlicht, weil er viele wertvolle Informationen enthält. Unerwähnt bleibt leider, dass für die Auslegung des NPT (NVV) verbindlich für alle die Wiener Vertragskonvention (WVK) gilt. Demnach ist die in dem Artikel erwähnte Tatsache unerheblich, dass die A-Waffen in Europa bereits vor dem Inkrafttreten des NPT stationiert worden sind. Auch der Hinweis auf „Vereinbarungen“ der USA und der SU unter vier Augen ist irreführend. Sie schränken die Verbindlichkeit des NPT ebenso wenig ein wie der sog. „Kriegsvorbehalt“. Die Absicht der A-Waffenstaaten ist es, Verwirrung über die völkerrechtlichen Regelungen zu produzieren, um den Eindruck der Rechtmäßigkeit der Stationierung zu erwecken.

References

References
1 Moritz Kütt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und Gastwissenschaftler am Program on Science and Global Security an der Princeton University.
2 Der am Moskauer Institut für Physik und Technologie ausgebildete Physiker arbeitet über das russische Atomwaffenarsenal, die amerikanisch-russischen Beziehungen und die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Im Jahr 1995 leitete er das Russian Strategic Nuclear Forces Research Project und gab das gleichnamige Buch heraus, das einen Überblick über die sowjetischen und russischen strategischen Streitkräfte und die technischen Fähigkeiten der strategischen Waffensysteme Russlands gibt. In seinem Blog „Russische strategische Nuklearstreitkräfte“ werden diese Informationen in Echtzeit aktualisiert.
3 Zia Mian ist Physiker und Co-Direktor des Programms für Wissenschaft und globale Sicherheit an der Princeton University. Er ist Fellow der American Physical Society und wurde 2019 mit dem Leo-Szilard-Preis „für die Förderung des Weltfriedens und der nuklearen Abrüstung“ und 2014 mit dem Linus-Pauling-Vermächtnispreis für „seine Leistungen als Wissenschaftler und als Friedensaktivist, der zu den weltweiten Bemühungen um nukleare Abrüstung beigetragen hat“ ausgezeichnet. Mian ist Ko-Vorsitzender der wissenschaftlichen Beratergruppe des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen und Mitbegründer der Physicists Coalition for Nuclear Threat Reduction. Er gehört dem Vorstand der Union of Concerned Scientists an und ist Mitglied des Beratungsgremiums des UN-Generalsekretärs für Abrüstungsfragen.

14.07.2023: Ukraine – welchen Staat unterstützt Deutschland da eigentlich?

Foto: Werner Rügemer

Veranstaltung von „Frieden gewinnen, nicht den Krieg!“ am 14. Juli 2023 in der Mediengalerie – Referent: Werner Rügemer.

Conny Renkl berichtet:

Um 18 Uhr war der Raum mit über 100 Personen übervoll. Einige KollegInnen nahmen es sogar in Kauf zu stehen. In der Begrüßung zu dieser fünften Veranstaltung in unserer Vortrags- und Diskussionsreihe stellte Kameradin Brigitte Renkl (VVN-VdA Neukölln) den Referenten vor:

Dr. Werner Rügemer ist in Bayern aufgewachsen. Hat in München, Tübingen, Berlin und Paris studiert. Er hat in Bremen über den Philosophen Arnold Gehlen promoviert (nicht zu verwechseln mit dem Faschisten, Militaristen und BND-Gründer Reinhard Gehlen – hier ergänzte Werner Rügemer dass Reinhard Gehlen der Bruder von Arnold Gehlen gewesen sei).
Werner ist freier Autor und publiziert u.a. in Ossietzky, jungeWelt und NachDenkSeiten. Er hat sich gründlich mit neuen Entwicklungen im Kapitalismus auseinandergesetzt wie den Riesenkonzernen der sog. digitalen Plattformökonomie, also Amazon, Microsoft, Apple, Meta-Facebook, Google-Alfabet u.a. Dazu die Konzerne der Finanzmärkte, die Hedgefonds oder die Private Equity Monster US-amerikanischer Provenienz wie z.B. Black Rock. Zu Black Rock, in dessen deutscher Repräsentanz bekanntlich CDU-Merz eine führende Rolle spielt, organisierte er ein Tribunal in Berlin zusammen mit Peter Grottian. Bekannt wurde besonders sein Buch: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Im Blick hat Rügemer dabei stets nicht nur die Kapitalisten, sondern den zweiten Part im Kapitalverhältnis: Die lohnabhängigen Werktätigen und ihre Rechte. „Arbeitsunrecht“ und die „Fertigmacher“ heißen seine Bücher. Für sein mutiges Engagement wurde Werner auch mit Prozessen überzogen so vom Bankhaus Sal. Oppenheim (früher Pferdmenges, heute Deutsche Bank), von Du Mont und dem Institut zur Zukunft der Arbeit (gegründet von der Deutschen Post).

In einem neuen Prozess geht es am 10.8. in Köln um Zensur durch die Berliner Zeitung zugunsten solcher Ukraine-Aufrüster und Kriegsverlängerer wie Pistorius oder Strack-Zimmermann!

Wenn Werner Rügemer gelegentlich kritisiert wird, dass er zu sehr auf die USA als Bedrohung der Menschheit fixiert sei, so muss deutlich gesagt werden: Werner weiß sehr wohl zu unterscheiden zwischen dem US-Imperialismus, dem selbsternannten Weltgendarmen und dem Volk der USA, den amerikanischen Werktätigen, den Vielen, die wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft benachteiligt werden. Und in seinem Buch „Imperium EU“ erteilt er dem Großmachtgehabe der EU und seiner deutschen Hegemonialmacht eine deutliche Absage. Neu ist jetzt bei PapyRossa erschienen: „Verhängnisvolle Freundschaft – wie die USA Europa eroberten – Vom 1. zum 2. Weltkrieg“.

Zum Thema führte der Referent aus, dass die Ukraine kein selbständiger Staat sei, sondern Aufmarschgebiet für den „Westen“. Die Ukraine sei der höchstverschuldete Staat der Welt und erhält vom sonst so knauserigen IWF weiterhin Kredite zu unvergleichlich günstigen Bedingung. Die USA haben den Land-Lease Act wiederbelebt, der 1940 – im 2. Weltkrieg also – Großbritannien die Möglichkeit „nicht-monetärer Rückzahlung von Krediten“ eröffnete. Die Rückzahlung erfolgte dann nach dem Krieg durch „großzügige Überlassung von Stützpunkten im britischen Kolonialreich“. Die Ukraine sei auch der korrupteste Staat der Welt, seine Souveränität steht eigentlich nur noch auf dem Papier.

Die Ukraine ist der Schlüsselstaat zur Eroberung Eurasiens. In dieser Weise hat der bekannte US-Stratege Brzeziński die ehemalige Sowjetrepublik in seinem Buch von 1997 „Die einzige Weltmacht“ charakterisiert. Das Vorwort der deutschen Übersetzung hat immerhin der ehemalige deutsche Außenminister Genscher verfasst. Dort wird von einem kompakten Gebilde geträumt, das sich zur Abwehr Chinas von Lissabon bis Wladiwostok erstrecken müsse.

Bereits unter Präsident (von 1994 bis 2005) Kutschma wurde die Ulkraine „neoliberal zugerichtet“. Als Beispiele nannte Werner Rügemer u.a. Philip Morris. Die haben die ukrainische Zigarettenindustrie zu einem Spottpreis gekauft, mussten nur Niedrigstlöhne und praktisch keine Steuern zahlen. Die Ukraine wurde so zur Zentrale für den Zigarettenschmuggel in ganz Europa. Der Schaden, der der EU dadurch entstanden ist, wurde auf vier Milliarden Euro beziffert. Die EU-Kommission hat zwar geklagt. Es wurde ein Vergleich geschlossen, aber die Ukraine nie dazu angehalten, die geforderten Zahlungen zu leisten. Auch hier sei Black Rock als Aktionär von Philip Morris mit von der Partie.

Als weiteres Beispiel wurde ausgeführt, wie das Agrobusiness der Ukraine, die ja einer der größten Getreideexporteure der Welt ist, aussieht. Während etwa 7 Millionen Bauern ihre Existenz auf 2-3 ha Land fristen, ist das wirkliche Geschäft in festen Händen, nämlich in der Hand solcher Konzerne wie Cargill (größter Getreidehändler der Welt) John Deere (Landmaschinen), Glencore (mit Sitz in der Schweiz als Grundbesitzer und Verarbeiter) und nicht zuletzt Bayer/Monsanto (Düngemittel, Pestizide). Sie operieren mit ukrainischen Oligarchen, die ihren Sitz z.B. in Luxemburg oder Zypern haben.

In der Ukraine sitzen viele Zulieferer für deutsche und andere europäische Konzerne in der Auto-, Textil- und Pharmabranche. Der Mindestlohn betrug 2014 Euro 0,34, heute liegt er bei 1,21 Euro. 5 Millionen Wanderarbeiter verdingen sich in Rumänien, Polen u.a., wo der Mindestlohn bei 3 bis 4 Euro/h liegt.

Polnische Agenturen vermitteln ukrainische Frauen in der BRD für 24 Stunden Pflegejobs, bei denen aber nur 8 Stunden bezahlt werden (siehe der bekanntgewordene Fall vor dem Bundesarbeitsgericht).

Die von Selenskij 2022 durchgedrückte Arbeitsrechtsreform lassen jetzt sog. Null-Stunden-Verträge zu, bei denen nur bezahlt wird, wenn der Kapitalist tatsächlich die Arbeitsleistung abruft. Gegen Kündigungen kann nicht mehr geklagt werden. Gewerkschaften, die aus der Zeit der Sowjetunion noch über Häuser verfügen, können enteignet werden.

Besonders Frauen sind von der Verarmung betroffen. In der Ukraine herrscht ein besonders großes Auseinanderklaffen der Löhne für Frauen und für Männer. Besonders ausgebreitet hat sich die Leihmutterschaft, die in der Ukraine etwa 60.000 Euro kostet, während in den USA z.B. etwa 250.000 Dollars bezahlt werden. Das zum Thema „feministische Außenpolitik“.
Ausgerechnet Black Rock wurde zum offiziellen Koordinator des Wiederaufbaus der Ukraine ernannt. – Da weiß man doch wenigstens, dass nichts in falsche Hände kommt.

Nach dem Referat entwickelte sich eine angeregte Diskussion insbesondere auch um die Frage, ob die Ukraine ein faschistischer Staat sei. Werner Rügemer gab viele Hinweise zur Wiederbelebung der faschistischen Traditionen, meinte aber, dass die Debatte darum in die falsche Richtung weise; es genüge schon, was dieses arme Land unter der neoliberalen Knute zu erdulden hatte und hat. Es hatte bereits vor dem Krieg die ärmste und am meisten kranke Bevölkerung Europas.

Als Fazit hielt Kamerad Benedikt Hopmann fest, dass wir uns nicht nur in der militärischen Auseinandersetzung, sondern in einem sozialen Krieg befinden, den wir mit der wahnsinnigen Rüstungsoffensive und den damit überall drohenden Kürzungen im sozialen Bereich, bei Bildung und Gesundheit, mit den massiven Reallohnsenkungen zu verlieren drohen, wenn nicht die Gewerkschaften und die Friedensbewegung wieder zusammenfinden und den Kampf gegen Krieg und Kapitalismus führen. Dabei geht es auch, wie ein Teilnehmer erklärte, um die Durchsetzung der sozialen Menschenrechte, wie sie völkerrechtlich verbindlich im sog. UNO-Sozialpakt (1966) festgelegt wurden. Diese Seite des Völkerrechts bemühen unsere SpitzenpolitikerInnen lieber nicht.

Der vollständige Vortrag mit vielen weiteren aufschlussreichen Einzelheiten kann hier nachgelesen werden.

Mitglieder der „Anti-Nato-Aktion“ aus Athen berichten

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Es geht darum, den Frieden zu gewinnen, nicht den Krieg!“ informierten uns eine Vertreterin und ein Vertreter der „Anti-Nato-Aktion“ aus Athen über ihre Einschätzungen, Ziele und die Situation in Griechenland. Wir hatten beide im Herbst letzten Jahres kennengelernt anlässlich der ersten öffentlichen Vorstellung ihres Bündnisses. Unser Besuch in Athen fand statt in Zusammenhang mit der 2012 gegründeten gewerkschaftlichen Solidaritätsgruppe „Gegen Spardiktate und Nationalismus“.

Im Folgenden geben wir die Übersetzung ihres Vortrages vom 3. Juni 2023 wieder:

Was wir sind und wie wir den Krieg einschätzen

Die Anti-NATO-Aktionsgruppe wurde nach dem Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine von Menschen gegründet, die aus verschiedenen politischen Zusammenhängen der Linken und des anarchistisch-autonomen Spektrums stammen oder diesen angehören und sich von dem vorherrschenden Narrativ über den Krieg in der Ukraine erdrückt fühlten. Wir untersuchten die Ereignisse und versuchten, Informationen aus vom Westen nicht kontrollierten Quellen zu erhalten. Wir sind der Meinung, dass für die auf dem Territorium der Ukraine unvermindert weiterbestehende Tragödie, für den Tod von Hunderttausenden von Ukrainern, Russen und Russinnen, für die Flüchtlinge, für die Zerstörung der sozialen Infrastruktur, für die enorme Umweltzerstörung, für das Risiko eines dritten Weltkriegs und eines nuklearen Holocausts – die Verantwortung bei der NATO liegt. Die USA können nicht tolerieren, dass ihnen nicht die ganze Welt gehört. Welchen Existenzgrund hat heutzutage die NATO, wenn der Vorwand, die Existenz des Warschauer Paktes, schon vor vielen Jahrzehnten entfallen ist? Wie würden sich die USA verhalten, wenn Russland Raketen in Mexiko aufstellen würde?

Die Tragödie in der Ukraine begann nicht mit der speziellen Militäroperation Russlands im vorigen Jahr. Sie begann mit dem von den USA und der EU initiierten Putsch auf dem Maidan im Jahr 2014. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wurde von den US-Diensten ausgenutzt, um die rechtmäßige Regierung zu stürzen, weil letzte es wagte, die räuberischen Vereinbarungen mit der EU in Frage zu stellen. Es folgte ein blutiger Bürgerkrieg, in dem rechtsextreme/neonazistische Gruppen organisiert und bewaffnet wurden und nicht nur mörderische paramilitärische Aktivitäten entwickelten, sondern auch Posten im Staatsapparat und in der Armee besetzten. Das Massaker am 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus in Odessa war der Höhepunkt der Gewalt. Entführungen, Morde, Bombenanschläge, das Eindringen der Panzer des Kiewer Regimes in die Städte des Donbass und rassistische Angriffe auf russischsprachige Menschen (abwertend „moskal“ genannt) waren in der Ukraine Realität. Aber die Verbreitung dieser Tatsachen scheiterte am „eisernen Vorhang“ von Desinformationen, Halbwahrheiten und Lügen, der von den westlichen Medien errichtet wurde. Die Minsker Vereinbarungen von 2015 wurden nicht eingehalten. Frau Merkel erklärte sogar unverblümt, dass dies nur ein Trick war, um Zeit zu gewinnen, damit die Kriegsmaschinerie der Ukraine gegen Russland ausgebaut werden kann.

Seitdem führen die Menschen im Donbass mit der industriellen Arbeiterklasse im Zentrum des Widerstands und durch selbstorganisierte Milizen, einen harten Kampf um ihr Leben, ihre Würde und ihre Freiheit. Im Jahr 2017 wurden im Donbass 40 Verstaatlichungen/Sozialisierungen angekündigt. Es ist nachvollziehbar, was dies in einem Europa bedeutet, in dem die herrschenden Kräfte den Neoliberalismus und die Privatisierung als Religion betrachten. Wir verstehen, warum der Westen diese Alternative um jeden Preis vernichten will.

Unserer Ansicht nach ist der Krieg in der Ukraine kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern ein Krieg, den die NATO auf dem Territorium der Ukraine bis zum letzten Ukrainer führt, um ihre Hegemonie in der Region aufrechtzuerhalten, um das unkontrollierbare Russland mit NATO-Truppen einzukesseln. Und um in einem zweiten Schritt den großen wirtschaftlichen Rivalen der USA, um China zu unterwerfen.

Die aktuelle Situation in Griechenland

Die griechische Regierungdes MinisterpräsidentenMitsotakis, dessen Partei, die Nea Demokria (ND), gestärkt aus den Wahlen vom 21. Mai hervorging und voraussichtlich die Wahlen am 25. Juni gewinnen wird, ist eine der untertänigsten Regierungen in der EU und in der NATO. Sie ist führend bei der Lieferung von militärischer Ausrüstung an die Ukraine. Das Territorium Griechenlands ist mit US-Stützpunkten gegen Russland gespickt. „Wir befinden uns im Krieg mit Russland“, sagen Vertreter der Regierungspartei und setze n unser Land als der Gefahr aus, zum Kriegsziel zu werden.

Im Hafen von Alexandroupolis werden Schiffe mit Kriegsmaterial entladen und von dort aus an die Front gebracht. Militärische Ausrüstung wird aus den Lagern des Landes entfernt und in die Ukraine geschickt, wie z. B. gepanzerte BMP1-Fahrzeuge, und jetzt ist die Rede davon, S-300-Raketen und sogar Leopard-Panzer zu schicken. Die militärische Infrastruktur der USA wird in Souda auf Kreta, in Thessalien, in Andravida usw. ausgebaut und verstärkt. Abgesehen von dem, was an die Öffentlichkeit gelangt, wissen wir nicht genau, was Griechenland in die Ukraine schickt, da dies Gegenstand von Geheimgesprächen zwischen beispielsweise Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Mitsotakis ist, und die Antwort auf Fragen der Opposition lautete bisher, dass dies aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ nicht bekannt gegeben werden darf. Wir wissen jedoch, dass unser Land ungeheure Summen für militärische Ausrüstung im Dienste der NATO ausgibt, während gleichzeitig Krankenhäuser und Schulen geschlossen werden.

Die griechische Regierung ist auch Vorreiterin bei der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Sie hat die historischen Kooperationsbeziehungen, die wir mit Russland hatten, abgebrochen, mit erheblichen Folgen zum Beispiel für die Agrarwirtschaft und den Tourismus. Gleichzeitig wird in den Mainstream-Medien eine antirussische Welle im McCarthy Stil losgetreten. Jeder, der es wagt, eine andere Meinung zu äußern, wird als Putin-freundlich abgestempelt. Gegen die Gesetzgebung verstoßend hat die Regierung willkürlich die Webseiten von RT geschlossen und den Zugang zu unkontrollierten Quellen gesperrt. Ein Konzert des Friedens und der Solidarität mit dem ukrainischen Volk wurde von den Medien als „pro-Putin“ verunglimpft, weil es nicht von antirussischen Slogans begleitet wurde. Sogar eine Aufführung des Balletts Schwanensee wurde abgesagt!

Wie steht das griechische Volk zu all dem. Die Ergebnisse einer Umfrage sind interessant: Eine Mehrheit von zwei Dritteln ist der Meinung, dass die Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine Griechenland gefährde. Konkret antworten 63 % mit „ja“ und „wahrscheinlich ja“ auf die Frage, ob „die Entscheidung, Kriegsmaterial in die Ukraine zu schicken, eine Gefahr für Griechenland darstellen könnte”. Gleichzeitig sind jedoch 32 % der Meinung, dass sowohl humanitäre Hilfe als auch Kriegsmaterial geschickt werden sollte, während nur 1 % sagt, dass „nur Kriegsmaterial“ geschickt werden sollte. Die Mehrheit der Befragten, nämlich 61 %, spricht sich dafür aus, nur humanitäre Hilfe für die Ukraine zu leisten. Interessant sind die Antworten auf die Frage: „Wer ist für die derzeitige Situation in der Ukraine verantwortlich“. Fast jeder Zweite, nämlich 47 %, ist der Meinung, dass alle gemeinsam verantwortlich sind, d.h. Russland, die Ukraine, die EU und die USA, während 29 % der Meinung sind, dass die Verantwortung hauptsächlich bei Russland liegt und 17 %, dass sie hauptsächlich bei den USA liegt.

Bei der Stellung zum Krieg in der Ukraine in linken und anarchistisch-autonomen Zusammenhängen sowie in Strukturen der Bewegungen ist die pro-NATO-Haltung marginal und die Haltung der „gleichen Abstände“ (gegenüber der NATO und zu Russland) die vorherrschende Strömung.Als Ergebnis der Diskussionen kleinerer Kollektive (zu denen unsere Gruppe gehört), die vertreten, dass die NATO besiegt werden muss, entstand die „Antiimperialistische Koordinierung für die Niederlage der NATO“.

Was sind unsere Ziele als Anti-NATO-Aktion?

1. Über die Tatsachen in der Ukraine und die Haltung anderen Teilen der Welt zu informieren

2. Die Teilnahme an Aktionen, die das Anti-NATO- und antiimperialistische Bewusstsein im griechischen Volk stärken

3. Die Beteiligung an einer breiten Front für den Frieden mit dem Hauptziel, die Beteiligung Griechenlands an der Lieferung von Kriegsmaterial und die Verhängung von Sanktionen zu beenden.

Als Anti-NATO-Aktion setzen wir uns dafür ein, dass die NATO den Krieg nicht gewinnt, denn deren Niederlage ist ein Gewinn für den Frieden und die gesamte Menschheit (für alle Völker). Der NATO sollte nicht gelingen das durchzusetzen, was sie im Irak, in Libyen und in Jugoslawien erreicht hat, die Zerschlagung von Ländern, die sich den Befehlen des Westens widersetzen. Wenn sie in der Ukraine erfolgreich ist und Russland unterwerfen kann, werden der Iran, Kuba, Venezuela und Nordkorea folgen. Dagegen wird die Niederlage der NATO den Weg für eine multipolare, vielgestaltige Welt ebnen. Der Westen, in dem 25% der Weltbevölkerung leben, könnte nicht mehr dem Rest der Menschheit seinen Willen aufzwingen. Die Völker werden in der Lage sein, selbst zu entscheiden.

Kurzer Rückblick auf unsere historischen Erfahrungen

Griechenland ist ein Land, das stark vom westlichen Imperialismus, den USA und der NATO abhängig ist. Unser Volk hat für diese Beziehung mit Blut bezahlt. Nach dem Sieg über den Faschismus im Zweiten Weltkrieg richtete Großbritannien seine Waffen gegen die griechischen WiderstandskämpferInnenund trieb das Land in den Bürgerkrieg. Im Jahr 1947 übergab Großbritannien den blutigen Staffelstab an die Vereinigten Staaten, die seither ein wichtiger Faktor in der politischen Entwicklung des Landes sind. Im Jahr 1952 trat Griechenland der NATO bei. Die USA förderten und unterstütztem von 1967 bis 1974 die Diktatur der Obristen.

Im Aufstand am Polytechnikum in At hen hat 1973 hat ein Panzer die Stützen des Haupttores der Universität eingerissen, um den Aufstand blutig niederzuschlagen. Das Tor war mit den Worten „Raus mit den USA“, „Raus mit der NATO“ beschrieben worden. Seither begehen wir jährlich den Jahrestag des Aufstandes am Polytechnikum mit einem Marsch zur amerikanischen Botschaft. 1974 sah sich sogar der rechtsgerichtete Ministerpräsident Karamanlis gezwungen, den militärischen Teil der NATO unter dem Eindruck der Ereignisse auf Zypern zu verlassen. Damals organisierte die griechische Junta einen Putsch, um Griechenland mit Zypern zu vereinen. Die Türkei reagierte darauf mit der Invasion und Besetzung Nordzyperns. Im Jahr 1980 kehrte das Land in den militärischen Teil der NATO zurück.

Nach dem Sturz der Junta und über zwei Jahrzehnte lang hatten Antiamerikanismus und Antiimperialismus in breiten Schichten des griechischen Volkes Wurzeln geschlagen. Die Parolen „Raus mit den Militärbasen des Todes“, „Mörder der Völker Amerikaner“ (Anm. der Übersetzerin: Mit „Amerikaner“ ist die Politik der USA gemeint.) waren Losungen auf riesigen Demonstrationen. Doch allmählich wurde dieses Bewusstsein schwächer. Die antiamerikanischen und antiimperialistischen Töne wurde von der PASOK (der griechischen Sozialdemokratie, die jahrzehntelang regierte) schnell aufgegeben. Das Argument, das die Regierungen anführten, um das Land in dem blutigen Bündnis zu halten, war, dass wir bei einem Austritt niemanden hätten, der uns im Falle eines Angriffs der Türkei beschützen könnte. Der Rückgang der Anti-NATO-Aktionen des Volkes ließ allen bisherigen Regierungen reichlich Spielraum, sich tief in das NATO-Abenteuer zu verstricken. In vielen Teilen des Landes wurden NATO-Militärstützpunkte errichtet, die die Völker bedrohen, die sich der amerikanischen Hegemonie widersetzen. Zudem machen sie sowohl unser Land als auch unser Volk zu einem Kriegsziel. Leider hat sich auch die Regierung unter Premierminister Tsipras (2015–2019), der mit linken Parolen antrat, den Forderungen der NATO gebeugt und die Stützpunkte erweitert und verstärkt.

Nachbemerkung: Nach dem Vortrag und wnschließender Diskussion kamen wir überein, die politischen Kontakte aufrecht zu erhalten und uns über den aktuellen Stand der Antikriegsbewegung in unseren Ländern zu informieren. Sollte sich der Anlass oder die Möglichkeit einer koordinierten Aktion in Athen, Berlin und anderen Städten ergeben, wollen wir dies gemeinsam in Angriff nehmen.