Peter Brandt


Ansprache beim Gedenken an den Atombombenabwurf (06.08.1945) über Hiroshima am 6. August 2022 vor der Friedensglocke im
Volkspark Berlin-Friedrichshain
.


Meine Damen und Herren, liebe Friedensfreunde und Friedensengagierte!

Es ist eine gute Sitte, überall auf der Welt zum Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima dieses schrecklichen Ereignisses zu
gedenken, das zweifellos einen Zivilisationsbruch und ein schweres Kriegsverbrechen darstellt. Letzteres trifft selbst unter der Voraussetzung zu, dass sich mit dem nazistischen Deutschland, dem faschistischen Italien und dem militaristischen Japan im Zweiten Weltkrieg gegnerische Mächte der modernen Barbarei zur Unterjochung, teilweise Ausrottung großer Teile der Menschheit zusammengefunden hatten. Weder das Kriegsvölkerrecht noch das elementare humane Empfinden erlaubt eine systematische Kriegführung gegen eine Zivilbevölkerung, allemal mit der Konsequenz der Vernichtung in großem Maßstab.

Das gilt im gegebenen Fall umso mehr, als die Aktion militärisch nicht begründet werden konnte, denn Japan war faktisch geschlagen und zur Kapitulation bereit. Strittig war nur noch, ob der Gott-Kaiser, der Tenno, weiterhin – sei es nur repräsentativ – an der Staatsspitze verbleiben dürfte. Just dieses wurde den Japanern aber später zugestanden.

Während einige hohe US-Militärs vom Einsatz der Bombe abgeraten hatten, löste die Nachricht von ihrem erfolgreichen Abwurf bei den an ihrer Entwicklung in Los Alamos beteiligten Wissenschaftlern große Freude aus. Unter dem Jubel der versammelten Wissenschaftler sagte der Leiter des sog. Manhattan-Projekts, Robert Oppenheimer, er sei stolz auf das, was erreicht worden sei. Zu bedauern sei lediglich, dass die Arbeit nicht rechtzeitig genug hätte beendet werden können, um sie gegen Deutschland einzusetzen.

Der Physiker Sam Cohen berichtet: „Hier brach ein wahrer Sturm der Begeisterung aus.“ Welcher Abgrund an Verblendung, Hass und Menschenverachtung.Die letzte der Kriegskonferenzen der Großen Drei, also des US-Präsidenten Harry Truman in der Nachfolge des verstorbenen Roosevelt, des britischen Premierministers Winston Churchill, nach dessen Abwahl abgelöst durch den Labour-Mann Clement Attlee, und des sowjetischen Parteichefs und Diktators Josef Stalin, in Potsdam, beginnend am 17. Juli 1945, war mit Vereinbarungen über Polen und Deutschland schon beendet, als Hiroshima zerstört wurde. In der perversen Logik der
Entscheider war es offenbar nötig, drei Tage später eine weitere Atombombe über Nagasaki abzuwerfen; denn es galt zu zeigen, dass die USA nicht nur ein einziges Exemplar besaßen. Zusammengenommen starben binnen eines Jahres weit über 200.000 Japaner aufgrund der beiden Einsätze.

In Potsdam hatte Truman Stalin beiläufig und recht allgemein von einer neuen Waffe erzählt, die kürzlich getestet worden sei, wobei Stalin, der über einen Spion bereits informiert war, desinteressiert tat. Dabei war der Einsatz der beiden Atombomben nicht zuletzt eine an die Adresse der Sowjetunion gerichtete Demonstration. Der von den USA bis dahin dringend gewünschte Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan war für die amerikanische Führung nun eher zu einer Belastung geworden. Zur vollen demonstrativen Wirkung des zweifachen Atombombenabwurfs gehörte im Übrigen auch der Einsatz am lebenden Objekt, statt – wie von manchen Experten empfohlen – auf einer unbewohnten Insel.

Seit dem August 1945 lebt die Menschheit im Schatten der Atombombe, deren diverse Kategorien teils immer gewaltigere, teils immer
(vermeintlich) gebrauchsfähigere Typen hervorgebracht haben. Seit die Sowjetunion im Verlauf der 1950er Jahre mit der nachholenden Entwicklung der Wasserstoffbombe und der Raketentechnik gleichgezogen hatte, verhinderte das Gleichgewicht des Schreckens – wer als Erster zündet, stirbt als Zweiter – die Eskalation einer der zahlreichen regionalen Konflikte und Krisen im Ost-West-Verhältnis zum ganz großen Krieg. Auch im gegenwärtigen Krieg in der und um die Ukraine scheint sich zu bestätigen, dass die Atomkriegsgefahr beiden Seiten (wenn wir dieUSA und die NATO als Beteiligte zweiter Ordnung benennen) ein Mindestmaß an Zurückhaltung auferlegt. Diese Bemerkung mag für Ihre Ohren makaber klingen angesichts der Schrecken auch dieses, „konventionell“ genannten Krieges. Es ist denn auch allenfalls die halbe Wahrheit: Wir sind am Anfang der 1960er Jahre und erneut in den frühen 1980er Jahren mehrfach dicht an der absoluten Katastrophe vorbeigeschrammt und können von großem Glück sagen, dass wir hier stehen und für den Weltfrieden eintreten dürfen.

Von Anfang an äußerte sich massenhafter Protest gegen die Atomrüstung und die Stationierung von Atomwaffen in nicht atomar bewaffneten Staaten, so 1957 bis 1959 in der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1958 formierte sich, ausgehend von Großbritannien, im westlichen Europa eine politisch unabhängige Friedensbewegung, die vor allem in den 80er Jahren zur Veränderung des Denkens beitrug und deren Anliegen, gewissermaßen realpolitisch modifiziert durch die Erfahrungen der Entspannungspolitik der 60er und 70er Jahre, von manchen Vertretern der etablierten Politik aufgegriffen wurde. Unter dem Vorsitz des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme machte eine international hochkarätige UNO-Kommission 1982 in ihrem Report klar, dass äußere Sicherheit der Staaten im Atomzeitalter nicht gegeneinander, sondern nur als Gemeinsame Sicherheit hergestellt werden könne. Wie Egon Bahr, einer der Beteiligten, damals formulierte: „Die Androhung der Vernichtung dessen, was eigentlich zu verteidigen ist, ist keine überzeugende
Perspektive. Also muss die Abschreckungsdoktrin aufgegeben und durch etwas anderes ersetzt werden.“

Inzwischen befinden sich weltweit fast 13.000 Atomwaffen im Arsenal. Offiziell haben wir es mit fünf Atommächten zu tun; faktisch sind es neun. Der UNO-Generalsekretär António Guterres sagte kürzlich: „Die Bedrohung durch einen Atomkrieg ist heute so real wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges…“ Und weiter unten im Text: „Die einzige Garantie dafür, dass Atomwaffen niemals eingesetzt werden, ist ihre Beseitigung.“

Auch wenn der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine den Glauben an die nukleare Abschreckung bei vielen kurz Denkenden erkennbar wiederbelebt, gilt es umso mehr, die Bewegung zur Unterstützung des endlich zustande gekommenen Atomwaffenverbotsvertrags – gegen die Stimmen der Atommächte und ihrer Verbündeten in der UNO- Generalversammlung – zu befördern. Seit Januar 2021 ist der Vertrag für 60 Vertragsstaaten, die bereits ratifiziert haben, und weitere zwanzig, die unterzeichnet haben, gültiges Völkerrecht. Ein erster Schritt seitens der großen Atommächte darauf zu könnte die Selbstverpflichtung sein, nicht,
das heißt: unter keinen Umständen als Erste Nuklearwaffen einzusetzen.

Diee Rede wurde übernommen von der website https://gewerkschaftliche-linke-berlin.de/

Amnesty International: Zivile Einrichtungen als Schutzschilde für ukrainisches Militär

Die folgende Pressemitteilung wurde am 4. August 2022 um 17:02 Uhr mit einer deutschen Übersetzung aktualisiert und auf der website von Amnesty International veröffentlicht:

Ukrainische Truppen haben nach Untersuchungen von Amnesty International Zivilist:innen gefährdet, indem sie Stützpunkte in Wohngebieten errichtet und von dort aus Angriffe durchgeführt haben. Zum Teil bezogen sie in Schulen und Krankenhäusern Position. Bei darauf folgenden russischen Angriffen auf bewohnte Gebiete wurden Zivilist:innen getötet und zivile Infrastruktur zerstört.

Bei der Abwehr des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs hat das ukrainische Militär wiederholt aus Wohngebieten heraus operiert und damit Zivilpersonen in Gefahr gebracht. Das ist ein Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht. Dass die ukrainischen Streitkräfte sich in einer Verteidigungsposition befinden, entbindet sie nicht von ihrer Pflicht, sich an völkerrechtliche Regelungen zu halten.

Gleichzeitig rechtfertigen die ukrainischen Verstöße in keiner Weise die vielen wahllosen Schläge des russischen Militärs mit zivilen Opfern, die wir in den vergangenen Monaten dokumentiert haben. Wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet werden, sind Kriegsverbrechen.

Amnesty International hat in den vergangenen Monaten in zahlreichen Fällen Kriegsverbrechen durch russische Truppen in der Ukraine dokumentiert, etwa nordwestlich von Kiewin der Region Charkiw oder bei der Bombardierung des Theaters in Mariupol.

Hier nachfolgend die Übersetzung der englischen Pressemitteilung:

Ukrainische Kampftaktik bringt Zivilbevölkerung in Gefahr

  • Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser dienen als Militärstützpunkte
  • Angriffe aus dicht besiedelten zivilen Gegenden provozieren Vergeltungsschläge
  • Diese Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht rechtfertigen allerdings nicht die wahllosen Angriffe Russlands mit zahllosen zivilen Opfern

Ukrainische Truppen gefährden Zivilpersonen, indem sie im Kampf gegen die russische Invasion in besiedelten Wohngebieten, unter anderem in Schulen und Krankenhäusern, Stützpunkte einrichten und von dort Waffensysteme einsetzen. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International auf der Grundlage umfassender Recherchen.

Solche Taktiken verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht und gefährden das Leben von Zivilpersonen, da dadurch zivile Objekte als militärische Ziele ins Fadenkreuz geraten. Bei darauffolgenden russischen Angriffen auf diese Wohngebiete wurden Zivilpersonen getötet und zivile Infrastruktur zerstört.

„Wir sehen hier ein Muster, mit dem die ukrainischen Truppen bei ihren Einsätzen aus Wohngebieten heraus die Zivilbevölkerung in Gefahr bringen und das Kriegsrecht verletzen“, so Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. „Dass sich die Ukraine in einer Verteidigungsposition befindet, entbindet das ukrainische Militär nicht von der Pflicht, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten.“

Nicht alle russischen Angriffen, die Amnesty International dokumentiert hat, folgten jedoch dem oben geschilderten Ablauf. An einigen Orten, an denen Russland nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation Kriegsverbrechen begangen hat, fanden sich keine Hinweise auf eine Präsenz ukrainischer Truppen in den rechtswidrig durch Russland attackierten zivilen Gegenden – so zum Beispiel in einigen Gegenden in Charkiw.

Zwischen April und Juli verbrachten Expert:innen von Amnesty International einige Wochen damit, russische Angriffe in den Regionen Charkiw und Mykolajiw und im Donbass zu untersuchen. Sie untersuchten Orte, an denen Angriffe stattgefunden hatten, sprachen mit Überlebenden, Zeug*innen und Angehörigen der Opfer, und führten Fernerkundungen und Waffenanalysen durch.

Bei diesen Untersuchungen fanden die Amnesty-Mitarbeiter*innen in 19 Städten und Dörfern dieser Regionen Belege dafür, dass ukrainische Truppen aus dicht besiedelten Wohngebieten heraus Angriffe durchführten und Stützpunkte in zivilen Gebäuden einrichteten. Das „Crisis Evidence Lab“ von Amnesty International hat einige dieser Geschehnisse zusätzlich durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen bestätigt.

Die meisten der als Stützpunkte genutzten Wohngebiete befanden sich mehrere Kilometer hinter der Front. Es wären tragfähige Alternativen verfügbar gewesen, die keine Gefahr für die Zivilbevölkerung bedeutet hätten – wie zum Beispiel nahegelegene Militärstützpunkte oder Waldstücke oder andere weiter entfernte Gebäude. In den von Amnesty International dokumentierten Fällen liegen keine Hinweise darauf vor, dass das ukrainische Militär die Zivilpersonen in den Wohngegenden aufgefordert oder dabei unterstützt hätte, Gebäude in der Nähe der Stützpunkte zu räumen. Dies bedeutet, dass nicht alle möglichen Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung getroffen wurden.

Angriffe aus besiedelten zivilen Gegenden

Überlebende und Zeug:innen russischer Angriffe im Donbass und um Charkiw und Mykolajiw berichteten Amnesty-Vertreter*innen, dass das ukrainische Militär zum Zeitpunkt der Angriffe in der Nähe ihrer Häuser aktiv war, was diese Gegenden zur Zielscheibe russischer Vergeltungsschläge machte. Die Expert:innen von Amnesty International konnten dieses

Hier nachfolgend die Übersetzung der englischen Pressemitteilung:

Ukrainische Kampftaktik bringt Zivilbevölkerung in Gefahr

  • Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser dienen als Militärstützpunkte
  • Angriffe aus dicht besiedelten zivilen Gegenden provozieren Vergeltungsschläge
  • Diese Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht rechtfertigen allerdings nicht die wahllosen Angriffe Russlands mit zahllosen zivilen Opfern

Ukrainische Truppen gefährden Zivilpersonen, indem sie im Kampf gegen die russische Invasion in besiedelten Wohngebieten, unter anderem in Schulen und Krankenhäusern, Stützpunkte einrichten und von dort Waffensysteme einsetzen. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International auf der Grundlage umfassender Recherchen.

Solche Taktiken verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht und gefährden das Leben von Zivilpersonen, da dadurch zivile Objekte als militärische Ziele ins Fadenkreuz geraten. Bei darauffolgenden russischen Angriffen auf diese Wohngebiete wurden Zivilpersonen getötet und zivile Infrastruktur zerstört.

„Wir sehen hier ein Muster, mit dem die ukrainischen Truppen bei ihren Einsätzen aus Wohngebieten heraus die Zivilbevölkerung in Gefahr bringen und das Kriegsrecht verletzen“, so Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. „Dass sich die Ukraine in einer Verteidigungsposition befindet, entbindet das ukrainische Militär nicht von der Pflicht, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten.“

Nicht alle russischen Angriffen, die Amnesty International dokumentiert hat, folgten jedoch dem oben geschilderten Ablauf. An einigen Orten, an denen Russland nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation Kriegsverbrechen begangen hat, fanden sich keine Hinweise auf eine Präsenz ukrainischer Truppen in den rechtswidrig durch Russland attackierten zivilen Gegenden – so zum Beispiel in einigen Gegenden in Charkiw.

Zwischen April und Juli verbrachten Expert*innen von Amnesty International einige Wochen damit, russische Angriffe in den Regionen Charkiw und Mykolajiw und im Donbass zu untersuchen. Sie untersuchten Orte, an denen Angriffe stattgefunden hatten, sprachen mit Überlebenden, Zeug*innen und Angehörigen der Opfer, und führten Fernerkundungen und Waffenanalysen durch.

Bei diesen Untersuchungen fanden die Amnesty-Mitarbeiter*innen in 19 Städten und Dörfern dieser Regionen Belege dafür, dass ukrainische Truppen aus dicht besiedelten Wohngebieten heraus Angriffe durchführten und Stützpunkte in zivilen Gebäuden einrichteten. Das „Crisis Evidence Lab“ von Amnesty International hat einige dieser Geschehnisse zusätzlich durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen bestätigt.

Die meisten der als Stützpunkte genutzten Wohngebiete befanden sich mehrere Kilometer hinter der Front. Es wären tragfähige Alternativen verfügbar gewesen, die keine Gefahr für die Zivilbevölkerung bedeutet hätten – wie zum Beispiel nahegelegene Militärstützpunkte oder Waldstücke oder andere weiter entfernte Gebäude. In den von Amnesty International dokumentierten Fällen liegen keine Hinweise darauf vor, dass das ukrainische Militär die Zivilpersonen in den Wohngegenden aufgefordert oder dabei unterstützt hätte, Gebäude in der Nähe der Stützpunkte zu räumen. Dies bedeutet, dass nicht alle möglichen Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung getroffen wurden.

Angriffe aus besiedelten zivilen Gegenden

Überlebende und Zeug*innen russischer Angriffe im Donbass und um Charkiw und Mykolajiw berichteten Amnesty-Vertreter*innen, dass das ukrainische Militär zum Zeitpunkt der Angriffe in der Nähe ihrer Häuser aktiv war, was diese Gegenden zur Zielscheibe russischer Vergeltungsschläge machte. Die Expert*innen von Amnesty International konnten dieses Muster an zahlreichen Orten beobachten.

Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet alle Konfliktparteien, militärische Ziele – soweit praktisch möglich – nicht innerhalb oder in der Nähe dicht bevölkerter Gebiete anzulegen. Es gibt zudem weitere Verpflichtungen zum Schutz von Zivilpersonen vor den Folgen möglicher Angriffe, zum Beispiel durch Evakuieren der Umgebung oder wirksame Warnung vor Attacken, die sich auf die Zivilbevölkerung auswirken könnten.

Amnesty International sprach mit der Mutter eines 50-jährigen Mannes, der am 10. Juni 2022 in einem Dorf südlich von Mykolajiw bei einem Raketenangriff getötet wurde: „Das Militär hatte sich in einem Nachbarhaus eingerichtet und mein Sohn brachte den Soldat*innen oft Mahlzeiten. Ich habe ihn mehrmals angefleht, sich von dort fernzuhalten, weil ich Angst um ihn hatte. Am Nachmittag des Angriffs hielt sich mein Sohn im Hof auf und ich war im Haus. Er war sofort tot. Sein Körper wurde in Stücke gerissen. Unser Haus wurde teilweise zerstört.“ Ermittler*innen von Amnesty International fanden in dem Nachbarhaus militärische Ausrüstung und Uniformen.

Mykola wohnt in einem Stadtteil von Lysychansk (Donbass) in einem Hochhaus, das mehrfach von russischen Angriffen getroffen wurde. Mindestens ein älterer Mann wurde dabei getötet. Mykola sagte Amnesty International: „Ich verstehe nicht, warum unser Militär von den Städten und nicht den Feldern aus feuert.“ Ein 50-jähriger Mann, der ebenfalls in dem Hochhaus wohnt, sagte: „In der Nachbarschaft kommt es definitiv zu militärischen Aktivitäten. Wenn in die andere Richtung geschossen wird, hören wir danach Schüsse in unsere Richtung.“ Amnesty-Vertreter*innen sahen, wie Soldat*innen ein Wohnhaus nutzten, das etwa 20 Meter von dem Eingang zu einem unterirdischen Bunker entfernt lag, der von den Bewohner*innen genutzt wurde und in dessen Nähe der ältere Mann getötet wurde.

Am 6. Mai 2022 nahmen russische Truppen in einer Stadt im Donbass eine Wohngegend, aus der ukrainische Streitkräfte Artillerie abfeuerten, mit Streumunition ins Visier. Streumunition kann – wie der Name schon sagt – aufgrund der Streuung unterschiedslos sowohl Zivilpersonen als auch Soldat*innen treffen und ist daher weithin verboten. Granatsplitter beschädigten das Haus, in dem die 70-jährige Anna mit ihrem Sohn und ihrer 95-jährigen Mutter lebt.

Anna berichtete: „Granatsplitter flogen durch die Türen. Ich war im Haus. Die ukrainischen Geschütze waren in der Nähe meines Feldes (…) Die Streitkräfte waren hinter dem Feld, hinter dem Haus (…) Seit Ausbruch des Krieges habe ich sie immer mal wieder gesehen (…) Meine Mutter ist (…) gelähmt, daher konnte ich nicht fliehen.“

Anfang Juli wurde ein Landarbeiter verletzt, als die russischen Streitkräfte ein Lagerhaus in der Gegend um Mykolajiw angriffen. Wenige Stunden nach dem Angriff beobachteten Mitarbeiter*innen von Amnesty International ukrainische Militärangehörige und -fahrzeuge in dem Getreidelager. Zeug*innen bestätigten, dass das Lagerhaus, das gegenüber einem bewohnten Bauernhof lag, von der Armee als Stützpunkt genutzt worden war.

Während Amnesty-Vertreter*innen entstandene Schäden an Wohnhäusern und angrenzenden öffentlichen Gebäuden in Charkiw und in Dörfern im Donbass und östlich von Mykolajiw untersuchten, hörten sie Schüsse aus ukrainischen Militärstellungen in der Nähe.

In Bachmut berichteten mehrere Anwohner*innen, dass das ukrainische Militär ein Gebäude als Stützpunkt genutzt hatte. Es lag keine 20 Meter von einem zivilen Hochhaus entfernt. Am 18. Mai 2022 schlug eine russische Rakete in die Fassade des Gebäudes ein, zerstörte fünf Wohnungen teilweise und beschädigte benachbarte Gebäude. Kateryna, eine überlebende Bewohnerin, sagte: „Ich verstand nicht, was vor sich ging. [Da waren] zerbrochene Fenster und eine Menge Staub in meiner Wohnung (…) Ich bin hier geblieben, weil meine Mutter nicht weg gehen wollte. Sie hat gesundheitliche Probleme.“

Drei Anwohner*innen berichteten, dass die ukrainischen Streitkräfte vor dem Angriff ein Gebäude gegenüber dem bombardierten Wohnhaus genutzt hatten, und dass zwei Militärfahrzeuge vor einem anderen Haus geparkt waren, das beim Einschlag der Rakete ebenfalls beschädigt wurde. Amnesty International fand innerhalb und außerhalb des Gebäudes Anzeichen für eine Militärpräsenz, zum Beispiel in Form von Sandsäcken und schwarzen Plastikplanen zum Verdunkeln der Fenster sowie neue, in den USA hergestellte Erste-Hilfe-Ausrüstung.

„Wir können nicht bestimmen, was das Militär tut, aber den Preis dafür zahlen wir“, sagte ein Anwohner, dessen Haus bei dem Einschlag beschädigt wurde.

Militärstützpunkte in Krankenhäusern

Mitarbeiter*innen von Amnesty International konnten an fünf Orten beobachten, wie ukrainische Streitkräfte Krankenhäuser faktisch als Militärstützpunkte nutzten. In zwei Städten wurden Krankenhäuser von Dutzenden Soldat*innen dazu genutzt, sich auszuruhen bzw. sich dort aufzuhalten und Mahlzeiten zu sich zu nehmen. In einer anderen Stadt feuerte das Militär aus der Nähe des Krankenhauses Geschosse ab.

Am 28. April wurden in einem Vorort von Charkiw bei einem russischen Luftangriff zwei Mitarbeiter*innen eines medizinischen Labors verletzt, nachdem die ukrainischen Streitkräfte auf dem Gelände einen Stützpunkt eingerichtet hatten.

Die Nutzung von Krankenhäusern für militärische Zwecke ist ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.

Militärstützpunkte in Schulen

Auch Schulen werden in verschiedenen Städten und Dörfern im Donbass und in der Gegend um Mykolajiw von ukrainischen Streitkräften regelmäßig als Stützpunkte genutzt. Die Schulen sind seit Beginn des Konflikts zwar vorübergehend geschlossen, doch in den meisten Fällen befinden sich die Schulgebäude in der Nähe von bewohnten zivilen Vierteln.

In 22 der 29 von Amnesty-Vertreter*innen besuchten Schulen wurden die Räumlichkeiten entweder gerade von Streitkräften genutzt oder es fanden sich Belege für aktuelle oder frühere militärische Aktivitäten wie etwa Militärkleidung, verbrauchte Munition, Essensrationen und Militärfahrzeuge.

Das russische Militär griff zahlreiche der von den ukrainischen Streitkräften genutzten Schulen an. In mindestens drei Städten zogen ukrainische Soldat*innen nach russischem Beschuss in andere Schulen in der Nähe um, sodass die umliegenden Stadtteile der Gefahr ähnlicher Angriffe ausgesetzt waren.

In einer Stadt östlich von Odessa beobachtete Amnesty International ein Schema, nach dem ukrainische Streitkräfte zivile Gebiete als Unterkünfte und Bereitstellungsräume nutzten. So wurden beispielsweise Panzerfahrzeuge unter Bäumen in Wohngebieten abgestellt und zwei Schulen in dicht besiedelten Wohngegenden militärisch genutzt. Zwischen April und Ende Juni schlugen in der Nähe dieser Schulen mehrmals russische Geschosse ein, die mehrere Zivilpersonen verletzten oder töteten. Darunter auch ein Kind und eine ältere Frau, die am 28. Juni ums Leben kamen, als ihr Haus von einer Rakete getroffen wurde.

In Bachmut nutzten die ukrainischen Streitkräfte ein Universitätsgebäude als Stützpunkt, das am 21. Mai 2022 bei einem russischen Angriff getroffen wurde. Berichten zufolge wurden dabei sieben Soldat*innen getötet. Die Universität grenzt an ein Mehrparteienhaus, das bei dem Angriff beschädigt wurde, sowie an weitere zivile Wohnhäuser in etwa 50 Metern Entfernung. Amnesty International fand ein zerstörtes Militärfahrzeug im Innenhof des bombardierten Universitätsgebäudes.

Das humanitäre Völkerrecht verbietet es Konfliktparteien nicht ausdrücklich, sich in Schulen einzuquartieren, die nicht in Betrieb sind. Streitkräfte sind jedoch verpflichtet, Schulen, die sich in der Nähe von zivilen Häusern bzw. Wohngebäuden befinden, nach Möglichkeit nicht zu nutzen, es sei denn, es besteht eine zwingende militärische Notwendigkeit. Wenn dies der Fall ist, haben sie die Zivilbevölkerung zu warnen und den Menschen gegebenenfalls bei der Evakuierung zu helfen. Dies scheint in den von Amnesty International untersuchten Fällen nicht geschehen zu sein.

In bewaffneten Konflikten wird das Recht von Kindern auf Bildung ernsthaft beeinträchtigt. Die militärische Nutzung von Schulen kann zu Schäden an den Schulen führen, die das Recht auf Bildung auch nach Beendigung des Krieges weiter beeinträchtigen. Die Ukraine gehört zu den 114 Ländern, die die Erklärung zum Schutz von Schulen in bewaffneten Konflikten unterzeichnet haben. Diese Erklärung erlaubt den Konfliktparteien die Nutzung verlassener oder evakuierter Schulen nur dann, wenn es keine umsetzbare Alternative gibt.

Wahllose Angriffe der russischen Streitkräfte 

Viele der russischen Angriffe, die Amnesty International in den vergangenen Monaten dokumentiert hat, wurden mit unterschiedslos wirkenden Waffen, einschließlich international geächteter Streumunition, oder anderen explosiven Waffen mit großflächiger Wirkung durchgeführt. Bei manchen Angriffen wurden Fernlenkwaffen mit unterschiedlicher Zielgenauigkeit eingesetzt; in einigen Fällen waren die Waffen präzise genug, um bestimmte einzelne Objekte ins Visier zu nehmen.

Die Praxis des ukrainischen Militärs, zivile Objekte für militärische Zwecke zu nutzen, rechtfertigt in keiner Weise die wahllosen russischen Angriffe. Alle Konfliktparteien müssen jederzeit zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten unterscheiden und alle realisierbaren Vorkehrungen treffen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung zu minimieren. Hierzu zählt auch die Auswahl der geeigneten Waffen. Wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt oder zivile Objekte beschädigt werden, sind Kriegsverbrechen.

„Die ukrainische Regierung sollte unverzüglich dafür sorgen, dass ihre Streitkräfte nicht in bewohnten Gebieten stationiert werden. Sie sollte Zivilpersonen aus Gebieten evakuieren, in denen das Militär operiert. Streitkräfte dürfen Krankenhäuser nicht zur Kriegsführung nutzen. Schulen und zivile Wohnhäuser dürfen lediglich als letztes Mittel militärisch genutzt werden, wenn es keine anderen gangbaren Alternativen gibt“, so Agnès Callamard.

Amnesty International kontaktierte das ukrainische Verteidigungsministerium am 29. Juli 2022 und legte die Ergebnisse der Untersuchung vor. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung am 4. August 2022 hatte das Ministerium noch nicht darauf reagiert.

Den vollständige Bericht von Amnesty International auf Englisch hier lesen.

Radikalenerlass und Berufsverbote – Der Staat gegen Linke (Mit Silvia Gingold und Kerem Schamberger)

Die „Kommunisten Kneipe – DER PODCAST“

haben ein Podcast zum Thema „Radikalenerlass und Berufsverbote“ in der BRD der 70-Jahre erstellt.

Auszug aus der Ankündigung zum Podcast:

„Radikalenerlass und Berufsverbote. Selbst vielen Linken ist dieses Thema nicht mehr so präsent. Doch in den 70ern war es an der Tagesordnung: Wer sich politisch links engagierte, musste damit rechnen, dass er seinen Job verlor und in soziale Not geriet. Wer ein „Linksextremist:in“ war, entschied dabei der wesentlich von Nazis aufgebaute Verfassungsschutz. Selbst Briefträger:innen und Lokführer:innen konnten entlassen werden, wenn sie z.B. in der DKP waren.

Doch das Thema ist kein historisches. Auch in den letzten Jahren gab es neue Fälle dieser Art und der Staat plant schon wieder neue Gesetze in diese Richtung. Flo von Dekay und Paddy sprachen mit der legendären Kommunistin Silvia Gingold (Tochter der jüdischen, kommunistischen Widerstandskämpfer Peter und Etty Gingold), deren Berufsverbot einst für internationales Aufsehen sorgte und mit Kerem Schamberger. Der Kommunist aus München ist ebenfalls immer wieder von Repressionen betroffen und hatte vor wenigen Jahren mit den Spätfolgen des Radikalenerlasses zu kämpfen.“

Mehr Infos zum Thema Berufsverbote und Solidarität mit Betroffenen: http://www.berufsverbote.de/index.php…

Solidarität & Befreiung

Hinweis:

Einzelne Beiträge zu dem Thema dieser Seite „Solidarität & Befreiung“ wie zum Beispiel „Israelische Besatzung palästinensischer Gebiete“ oder „Blockade Kubas“ werden immer wieder ergänzt und es werden auch neue Beiträge hinzugefügt. Diese Aktualisierungen werden zugleich auf der Seite Aktuelles bekannt gemacht.

Einführung

Auf dieser Seite sind Beiträge zum Thema „Solidarität & Befreiung“ zusammengefasst.

Unter dem Thema „Solidarität & Befreiung“ solidarisieren wir uns mit anderen Menschen und Initiativen. Es geht um das gemeinsame Interesse, das wir durch gegenseitige Solidarität stärken. Es geht um die Verteidigung von Grundrechten, zum Beispiel der Meinungs- und Pressefreiheit.

Es sind aber auch Beiträge und Fotodokumentationen zum 8. März, 1. Mai und 8. Mai zu finden. Diese Tage werden in jedem Jahr als Tage der Befreiung begangen. Befreiung wird als Aufgabe begriffen und zugleich wird an die große Geschichte des Kampfes um Befreiung erinnert.

Ein bedeutsamer Tag ist in diesem Zusammenhang der 9. November, der für uns nicht nur der Tag der Reichspogromnacht im Jahr 1938 ist, sondern auch der Tag der Novemberrevolution im Jahr 1918. An den 9. November 1918 wurde über viele Jahrzehnte nicht angemessen erinnert. Es ist der Tag der Gründung der ersten deutschlandweiten Republik und der Beginn einer Revolution, die unvollendet blieb – mit verheerenden Folgen für die weitere Geschichte.

Und schließlich erinnern wir in einem eigenen Schwerpunkt an Cuba. Es hat sich selbst befreit und allen Widerständen über Jahrzehnte getrotzt, die ihm bis heute vor allem von USA in den Weg gestellt werden. Durch seine solidarische Unterstützung anderer Länder und schon durch seine Existenz ist dieses kleine Land Cuba ein großes Vorbild.

Weitere Beiträge befassen sich mit dem Konflikt Israel und Palästina, dokumentieren die große Demonstration „unteilbar solidarisch“ und nehmen zur Bekämpfung von COVID 19 Stellung.

Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung durch solidarisches Handeln – das ist das Thema dieser Seite. Unsere Schaffenskraft soll nicht der Zerstörung, Unterdrückung, Ausbeutung und dem Tod dienen, sondern dem Leben und dem Aufbau einer freien und solidarischen Welt.

Wir hatten zunächst auf dieser Seite auch alle Beiträge zum Thema Krieg versammelt, denn das ist das Wichtigste: Die Befreiung vom Krieg. Doch es wurden so viele Beiträge, dass wir dazu eine gesonderte Seite eingerichtet haben. Die Seite trägt nun den Titel ‚Krieg‚. Zum Thema ‚Faschismus‘ haben wir ebenfalls eine eigene Seite eingerichtet, obwohl es auch hier um Befreiung geht: Befreiung vom Faschismus im Zweiten Weltkrieg und vor drohenden faschistischen Gefahren heute. Solidarität & Befreiung ist auch das Ziel, um das es auf der Seite „Arbeit, Recht und Streik“ geht. Denn der Kampf der abhängig Beschäftigten richtet sich immer gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Und auf der Seite „Wem gehört die Welt?“ geht es um die Basis von Unterdrückung und Ausbeutung: Das große Kapital.

Inhaltsverzeichnis:

Solidarität mit der Jungen Welt: Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen!

Die Junge Welt wehrt sich in einem Prozess vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht. Es geht um die Presse – und Meinungsfreiheit.

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Solidarität mit Silvia hat gewirkt

Laut Artikel aus der TAZ vom 30.11.2023 stimmt der landeseigene Klinikkonzern zu, die Abmahnung aus der Personalakte von Silvia Habekost zu entfernen.

Ein Sieg für Silvia Habekost!!

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“ … und nicht vergessen“: George Floyd

Freitag, 5. Juni 2020: Wir diskutieren zu Dritt beim Griechen im Oysseus in der Friedelstraße. Einer behauptet: “So etwas wie den Mord an George Floyd in den USA gibt es bei uns in Deutschland nicht”.

Einen Tag später um 14:00 Uhr auf dem Alex in Berlin: Viele Menschen, immer mehr Menschen, ganz junge Menschen, sehr viele mit farbiger Hautfarbe, aber auch sehr viele mit weißer Hautfarbe; viele mit einem Papp-Schild und darauf ein selbst geschriebener Satz. “Black lives matter” – “How many more?” – “Deutschland ist nicht unschuldig” – “I can’t breathe” – “Bezahlt zu schützen, nicht zu töten” – “Racism ist the longest pandemic yet” –  “Stop white silence” – “No justice no peace” – “Rassismus tötet” – “No freedom until we are equal” – “White silence kills” – “Resist”. Wenn ich die Parolen lesen will, kann ich den Stolz in den Augen derjenigen sehen, die mir ihr Schild entgegen halten.

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Julian Assange: Journalismus ist kein Verbrechen!

Fotorechte: www.flickr.com

Julian Assange ist ein Jornalist, der wikiLeaks betreute. WiliLeaks ist eine Plattform, über die viele geheime Unterlagen, Skandale, vor allem auch schwere Gesetzesverstösse in staatlichen Einrichtungen, wie dem Militär, Geheimdiensten usw. öffentlich gemacht wurden, häufig aufgrund von Offenlegungen durch Whistleblower.

Sehr bekannt wurde zum Beispiel Chelsea Manning, eine Whistleblowerin, die Kriegsverbrechen von US-Militärs im Irak offenlegte. So konnte auf WikiLeaks ein dienstlich aufgenommenes Bord-Video veröffentlicht werden, das die gezielte Tötung von mindestens sieben Zivilpersonen durch die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers am 12.07.2007 im Irak zeigt (https://collateralmurder.wikileaks.org). Chelsea Manning hatte zu diesem Material Zugang als Nachrichtendienstanalytikerin der US-Army.

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Kommunistenverfolgung

Warum der Kommunismus von Anfang an bekämpft wurde und auf welche Art und Weise das geschah.

Man könnte diese Prozesse mit den “Hexenprozesse” [20] vergleichen. Es ging hauptsächlich darum, dass die Herrschenden Angst vor dem Verlust von Machteinfluss und Profit haben und dass sie Einflußnahme auf allen Ebenen verlieren. Der Mensch, der sich frei entfalten kann, und nach seinen Bedürfnisse und Fähigkeiten lebt, ist nicht so leicht zu manipulieren. Er hinterfragt politische Entscheidungen und wird dadurch als Feind der Herrschenden angesehen und dementsprechend wird versucht, mit allen Mitteln, die der Bourgeosie zur Verfügung stehn, dagegen zu kämpfen. Dazu werden Konstrukte erfunden, um zu beweisen wie gefährlich der Kommunist ist.

Angefangen haben die Kommunistenprozesse bereits kurz nach Veröffentlichung des “Kommunistische Manifest” aus dem Jahre 1848, Tiefpunkt der weiteren Entwicklung war 85 Jahre später die Nazidiktatur. Weiter geht die Kommunistenverfolgung in der alten BRD 1956 mit dem Verbot der KPD am 17. August 1956, dem Radikalenerlass 1972 bis hin zu Berufsverbote für Kommunisten, nicht zu vergessen die Prozesse in den USA und weltweit.

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60 Jahr Blockade Cubas

Am 28. Juni 2020 veranstaltete die Freundschaftsgesellschaft Cuba – Berlin eine Kundgebung auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Der Anlass war der 60. Jahrestag der Blockade Cubas durch die USA. 60 Menschen steuerten einen Beitrag aus diesem Anlass bei. Benedikt Hopmann hielt den folgenden Beitrag:

weiterlesen hier:


Israelische Besatzung palästinensischer Gebiete

Hier finden sich Nachrichten zur Besatzung palästinensischer Gebiete durch Israel.

weiterlesen hier:


Emanzipation der Frauen: 8. März

Ausschnitte von der Kundgebung könnt als Video und eine Fotogalerie hier ansehen

Foto: Ingo Müller

Für unser Recht: 1. Mai

Impressionen zum 1. Mai 2020 auf der Kundgebung der IG Metall:

1. Mai 2020. Aus Anlass einer Kundgebung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern am Holocaust Mahnmal sprach Benedikt Hopmann über die Voraussetzungen, die zu dem systematischen Mord an Millionen Juden führten, und über unser Recht, für unsere Interessen auch unter den eingeschränkten Bedingungen der Corona-Pandemie zu demonstrieren.

weiterlesen hier:


Befreiung als Aufgabe: 8. Mai

Einleitend tragen wir Überlegungen vor, die den 8. Mai 1945 in die Geschichte der Kämpfe um ein besseres Deutschland einordnen und aktuelle Aspekte dieses Tages der Befreiung von Krieg und Faschismus beleuchten. Dann dokumentieren wir das Erinnern in einzelnen vergangenen Jahren.

Mehr als je zuvor brauchen wir die Erinnerung an die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, aber auch die Erinnerung an die Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg.

Der 9. November 1918 und der 8. Mai 1945 – beides Tage der Befreiung. Der 9. November 1918 – der Tag der Selbstbefreiung. Der 8. Mai 1945 – der Tag des Befreit-Werdens.

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Die Bedeutung des 9. November 1918 für eine antifaschistische Politik Aktive Erinnerung an den 9. November 1918

Nach über 100 Jahren bleiben die Kämpfe und Gedanken der Novemberrevolution aktueller denn je. Dennoch sind die Geschehnisse rund um den 9. November 1918 und der Novemberrevolution heute größtenteils aus unserem Gedächtnis verdrängt worden.

Auf der Seite zur Revolution 1918/19 sind zu finden:

  • Video über die Veranstaltungen am 9. November 2021, 2022 und 2023 mit der Koordination „9. November 1918 – die unvollendete Revolution“. In den verschiedenen Jahren gab es unterschiedliche Unterstützung, unter anderen von der Stadtteilorganisation Hände weg vom Wedding, der Berliner Krankenhausbewegung, von S.K.E.T. zur Revolution 1918/19.
  • Eine kurze Übersicht über die Revolution 1918/19 und die Gegenrevolution.
  • Thesen über die Bedeutung dieser unvollendeten Revolution 1918/19 für eine antifaschistische Politik.

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Arbeitskreis Internationalismus in der IG Metall Berlin

Ein Bericht über die Veranstaltung „Wir werden 30 – 30 Jahre AKI“ des Arbeitskreises Internationalismus in der IG Metall Berlin (AKI)

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Und hier der link zur Website des AKI auf der Homepage der IG Metall Berlin.


unteilbar solidarisch

https://widerstaendig.de/wp-content/uploads/2021/09/IMG_0810-scaled.jpg
Auf der Demonstration unteilbar, Foto: Ingo Müller

Am Samstag, den 4. September 2021 kamen viele tausend Menschen zusammen, um gemeinsam zu demonstrieren. Auch wenn an dieser Demonstration weniger Menschen als im Jahr 2018 teilnahmen, war sie sehr bedeutsam, weil Forderungen gegen die Aufheizung des Weltklimas, gegen Krieg, Rüstung und Atomraketen, mit der Forderung verbunden wurden, die Lasten der Klimakrise nicht auf die Beschäftigten abzuwälzen und sich nicht durch Rassismus spalten zu lassen. So war die Solidarität ein großes Thema. Rassismus spaltet und macht den Aufbau einer Gegenmacht unmöglich. Wir zeigen die Demonstration, wie wir sie in ihrer ganzen Pracht erlebt haben: Vereint in dem Willen gemeinsam zu handeln.

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Von COVID 19 befreien

Autor: Benedikt Hopmann

5. Dezember 2021 Heute sprach H. mit seinem Nachbarn. Der Nachbar ist Inhaber des Restauants Aapka.

Er fragt H: “Wie lange werden wir mit COVID 19 noch zu tun haben?”

H: “Das werden wir nicht mehr los. Das wird uns verfolgen wie die Grippe, jedes Jahr wieder. Nur ist COVID 19 gefährlicher, kostet mehr Tote.”

Er: “Die armen Länder sind wehrlos. Nicht einmal die reichen Länder können den Virus besiegen”.

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Der Tod Europas und die Geburt einer neuen Ordnung 

von Augusto Zamora Rodríguez

Übersetzung: Olga Espín

Augusto Zamora Rodríguez ist der Autor von Política y geopolítica para rebeldes, irreverentes y escépticos (3. Auflage, 2018); Réquiem polifónico por Occidente (2018) und Malditos libertadores (2. Auflage 2020); war Professor für Völkerrecht und internationale Beziehungen an der Universidad Autónoma de Madrid sowie Dozent an der Nationalen Autonomen Universität von Nicaragua und Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in Europa und Lateinamerika.

Ehemaliger Botschafter Nicaraguas in Spanien. Von 1979 bis 1990 juristischer Direktor des Außenministeriums und Stabschef des Außenministers. Er gehörte dem nicaraguanischen Verhandlungsteam in den Friedensprozessen von Contadora und Esquipulas an, von Anfang an bis zur Wahlniederlage des Sandinismus. Er vertrat Nicaragua im Verfahren gegen die USA vor dem Internationalen Gerichtshof wegen des Contra-Krieges und nahm an zahlreichen diplomatischen Missionen teil.

I

Zum Glück gibt es keinen Nobelpreis für menschliche Dummheit, denn er wäre bei der Fülle von Kandidaten, angefangen bei den europäischen Herrschern, unmöglich zu vergeben.  

Die Ukraine-Frage (wir weigern uns, das als Invasion oder Krieg zu bezeichnen, obwohl es technisch gesehen beides sein kann) ist  keineswegs das, was die westlichen Medien krampfhaft behaupten. Russland hat weder die Absicht, die Ukraine zu annektieren, noch hat es einen Eroberungskrieg begonnen, und schon gar nicht ist es das Ergebnis eines imperialen Wahns nach verlorener Größe.

Es ist ein geopolitischer Konflikt im wahrsten Sinn des Wortes. Geopolitisch im Verständnis des 19. Jahrhunderts, ein Kampf um Macht und Interessen, denn es gibt keinen Konflikt der Ideologien, keinen Kampf der Systeme, auch wenn die üblichen Söldner und Dummköpfe – die leider keine aussterbende Spezies sind –  davon schwadronieren. Nein, nichts dergleichen.

Es ist der alte Kampf zwischen der Welt, die geboren werden will, und der Welt, die sich weigert zu sterben (wie der Kommunist Antonio Gramsci gesagt haben soll), hervorgerufen durch die Weigerung der Nato, sich nicht weiter Richtung Russland auszudehnen. Denn das und nichts anderes ist der Grund der militärischen Aktion. Sicherheit für Russland zu gewinnen, was die Europäische Union/Nato ablehnt, was darauf schließen lässt, dass sie an ihrer Expansionspolitik festhalten.

Es wird behauptet, wiederholt und immer wieder betont, dass bei Konflikten dieser Größenordnung zuerst die Wahrheit stirbt. Wir sind anderer Meinung. Wir glauben, dass als Erstes die Intelligenz stirbt. Denn man muss schon ignorant, einfältig, verblödet und so weiter sein, um zu glauben, dass Russland die Ukraine wegen Banalitäten wie Größenwahn oder imperialen Liebesaffären angegriffen hat, wie in einem Roman von Corín Tellado (für diejenigen, die sie nicht kennen: die größte Autorin von Liebesgeschichten, bis zu drei pro Woche, an die sich ihre Mütter oder Großmütter mit, ja, jugendlicher Nostalgie erinnern werden). Nichts dergleichen.

Kriege sind teuer, sehr teuer, und ihr Verlauf hängt, wie Thukydides feststellte, von dem Geld ab, das man zur Verfügung hat. Wladimir Putin ist kein hirnloser Mann, wie sie ihn so gerne darstellen wollen. Er ist noch weniger ein Abenteurer wie Crassus, der römische Milliardär, der, um Caesar und Pompeius zu übertrumpfen, einen Krieg gegen die Parther finanzierte, woraufhin die Parther ihn köpften und seine 30.000 Soldaten vernichtend schlugen (daher stammt der Ausdruck „craso error“ großer Fehler).

Die Ukraine ist eine Spielfigur, vor allem auf dem globalen Schachbrett (um einen Ausdruck von Zbigniew Brzezinskis zu gebrauchen[1]The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives ist der Titel eines Buches von Brzezinski aus dem Jahr 2016 ), auf dem die Machtverteilung für die nächsten Jahrzehnte, wenn wir überhaupt dahin kommen, ausgespielt wird.

Wir erklären das. Gegenwärtig gibt es drei große Akteure ‒ Russland, die USA und China ‒ die sich in zwei Lager aufteilen. In der einen Ecke, wie in einem Boxring, die Allianz zwischen China und Russland, in der anderen die USA. Das ist keine Erfindung von uns. Wer das sagt und bis zum Überdruss wiederholt, sind die USA und ihr europäischer Hühnerstall. Da in geostrategischen Fragen nur die Lumpen Konflikte erfinden, zitieren wir offizielle US-Dokumente, zu denen wir zusätzlich den Quellenlink für diejenigen angeben, die ihre Neugierde befriedigen wollen.

Vorab sei gesagt, dass in den USA die Regierung und der Kongress so nett sind, solche Dokumente nach zunächst erfolgter Zensur zu veröffentlichen, und zwar auf eine Weise, dass diejenigen, die es nicht wissen wollen, das gar nicht mitbekommen. Aber sie sind da (natürlich in englischer Sprache) und stehen der Öffentlichkeit, die in der Regel erschreckend klein ist, zur Verfügung. Diese Dokumente machen es heute möglich, einen Tropfen Wahrheit in die Orgie der Manipulation und Desinformation zu bringen, die sich in diesem ignoranten europäischen Hühnerstall abspielt.

Beginnen wir mit dem wichtigsten Dokument, betitelt National Defense Strategy (Nationale Verteidigungsstrategie) von 2018, das bis zum heutigen Tag die Regeln bestimmt.

Darin heißt es: „Der zwischenstaatliche strategische Wettstreit, nicht der Terrorismus, ist jetzt das wichtigste nationale Sicherheitsanliegen der Vereinigten Staaten“.

„Der langfristige strategische Wettstreit mit China und Russland hat für das [Verteidigungs-] Ministerium oberste Priorität und erfordert aufgrund des Ausmaßes der Bedrohungen, die sie gegenwärtig für die Sicherheit und den Wohlstand der Vereinigten Staaten darstellen, und der Möglichkeit, dass diese Bedrohungen in Zukunft zunehmen werden, größere und nachhaltige Investitionen“.

Um diesem „langfristigen strategischen Wettstreit“ zu begegnen, hat das Pentagon neben einer umfassenden Liste von Maßnahmen und Aktionen die folgenden Ziele festgelegt.

In Bezug auf China: „Die Bündnisse und Partnerschaften im Indo-Pazifik stärken, um eine vernetzte Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die in der Lage ist, die Aggression abzuschrecken, die Stabilität zu wahren und den offenen Zugang zu gemeinsamen Gebieten zu gewährleisten“.

Was Russland angeht: „Das transatlantische Bündnis der Nato stärken. Ein starkes und freies Europa, geeint durch die gemeinsamen Prinzipien der Demokratie, der nationalen Souveränität und der Verpflichtung zu Artikel 5 des Nordatlantikvertrags, ist für unsere Sicherheit unerlässlich“[2]Artikel 5 des Nordatlantikvertrags von 1949 definiert den Bündnisfall.

Zusammenfassend: Seit 2018 arbeiten die USA daran, eine Klammer um Russland und China zu bilden, deren wesentlicher Pfeiler ihre militärischen und politischen Bündnisse sind. Auf diese Weise soll die Nato die Atlantikfront der US-Armee bilden, während die USA mit ihren Verbündeten ‒ allen voran Japan ‒ für die Pazifikfront zuständig sind.

Die gesamte Strategie der USA, wirklich die ganze, beruht auf dem Konzept der zwei Kriegsfronten und folgt ihrer Politik während des Zweiten Weltkriegs, wo die USA sich weigerten, eine Front in Westeuropa zu eröffnen, weil sie ihre gesamte Macht gegen Japan einsetzen wollten (aus diesem Grund musste die Landung in der Normandie bis Juni 1944 warten).

Dieses Konzept ist das Ergebnis einer Tatsache, die in offiziellen US-Dokumenten eingestanden wird. Wie in dem Dokument Providing for the Common Defense (Für die gemeinsame Verteidigung bereitet sein), ebenfalls von 2018, zu lesen ist:

„Die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten ‒ das Rückgrat ihres globalen Einflusses und ihrer nationalen Sicherheit – ist in einem gefährlichen Maße erodiert… Die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, ihre Verbündeten, ihre Partner und ihre eigenen lebenswichtigen Interessen zu verteidigen, ist zunehmend in Frage gestellt. Wenn die Nation nicht schnell handelt, um diese Umstände zu ändern, werden die Folgen schwerwiegend und lang anhaltend sein“.

Das heißt, die USA wissen, dass sie nicht die militärische Kapazität haben, um dem russisch-chinesischen Bündnis die Stirn zu bieten. Aus diesem Grund ist das Rückgrat der Strategie Washingtons, die maximale Anzahl von Bündnissen und Verbündeten zusammenzubringen. Die National Defense Strategy drückt es so aus: „Die Allianzen und Partnerschaften zum gegenseitigen Nutzen sind für unsere Strategie entscheidend, da sie einen dauerhaften, asymmetrischen strategischen Vorteil bieten, bei dem kein Konkurrent oder Rivale mithalten kann“.

„Über unsere Hauptbündnisse hinaus werden wir auch den Aufbau von Kooperationen auf der ganzen Welt forcieren, denn unsere Stärke vervielfacht sich, wenn wir gemeinsame Anstrengungen bündeln, um Kosten zu teilen und den Kreis der Zusammenarbeit zu erweitern. Dabei erkennen wir an, dass unsere vitalen nationalen Interessen eine engere Verbindung mit dem Indo-Pazifik, Europa und der westlichen Hemisphäre verlangen“.

Zusammengefasst: Da sie in den USA wissen, dass sie allein nicht können, werben sie eifrig Länder an, die willens sind, einen beträchtlichen Teil ihres Haushalts dafür aufzuwenden, die Unterlegenheit der USA auszugleichen und, wenn die Zeit gekommen ist, als Kanonenfutter im kommenden Krieg gegen Russland und China zu dienen.

Dies würde die Weigerung erklären, mit Russland über Sicherheitsfragen zu verhandeln, denn es ging nicht um die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine, sondern darum, die Ukraine als Falle zu benutzen, damit der europäische Hühnerstall blindlings und massenhaft seine Rolle als Atlantische Flanke der USA übernimmt.

Das Ziel, wir gestehen es ein, ist erreicht worden, und nun wird der europäische Hühnerstall tun, was die USA wollen: gegen Russland aufrüsten und sich auf den kommenden Krieg vorbereiten. Nur wird dieser Krieg nicht konventionell sein.

Er wird nuklear sein. Jeder, der etwas anderes glaubt, hat keine Ahnung von den Interessen, die hier im Spiel sind.

II

In diesem Rahmen müssen die Schlüssel zum Verständnis der politischen und geopolitischen Bewegungen in der heutigen Welt gesucht werden. Wer ihn sich nicht vorstellt oder ihn nicht kennt, kann nur eine Reihe von Unsinn von sich geben, der in Unwissenheit, Fanatismus und Unverstand, viel Unverstand, kultiviert wird.

Dieser beschriebene Rahmen macht zum Beispiel klar, dass die USA die gesamte Last ‒ politisch, militärisch und wirtschaftlich ‒ der Ukraine-Krise der Atlantikfront überlassen, aus dem einfachen Grund, dass sie keine Ressourcen von ihrer Pazifikfront abziehen wollen, der härtesten, schwierigeren und kostspieligsten. Die EU/Nato wird sich folglich auf ein Wettrüsten gegen Russland einlassen müssen, das hat Donald Trump als US-Präsident schon gefordert.

Das atlantische Europa hat diese Rolle klaglos akzeptiert, ohne die Kosten zu bemessen, seine Bürger zu informieren oder den Preis zu kalkulieren, den es in seiner Rolle als untergeordneter Hühnerstall bezahlen wird. Zu keinem Zeitpunkt hat eine europäische Regierung je eine solche Möglichkeit in Betracht gezogen. An dieser Stelle muss mit dem Mythos einer „hirntoten“ Nato aufgeräumt werden.

Die Nato wurde stattdessen weiter ausgebaut. 2009 traten Albanien und Kroatien und 2017 Montenegro bei. Nur das Söldnertum und die Dummheit haben diese Fiktion aufrechterhalten können.

Der Ukraine-Konflikt ist schließlich genau wegen der Weigerung der Nato explodiert, eine neutrale Ukraine zu akzeptieren. Sie wollen das Land in der NATO, und bei dieser Besessenheit bleiben sie. Überdies hat sich die Dominanz der USA schon vor Jahren gezeigt, als der Hühnerstall gehorsam akzeptierte, die Projekte einer Europaarmee und der Schaffung einer gemeinsamen, von den USA unabhängigen Außen- und Sicherheitspolitik zu begraben.

Der andere Mythos des Hühnerstalls ist die angebliche Einsamkeit Russlands. Man muss schon blind, dumm oder bestechlich sein, um einen solchen Trugschluss zu vertreten. Zunächst einmal hat Russland die Unterstützung Chinas und Indiens. Das sind nicht nur Worte, sondern: Diese beiden Länder haben mehr Gewicht als der ganze Hühnerstall zusammen.

Außerhalb der Blase des Hühnerstalls ist die Welt besser informiert als die Hühner, und die weltweiten Beziehungsgeflechte sind von solcher Komplexität, dass sie für eingerostete atlantische Neuronen schwer verdaulich sind.

China braucht Russland aus vielen Gründen, angefangen bei lebenswichtigen geostrategischen, über die Neue Seidenstraße, bis hin zu Energiefragen. Indien braucht Russland für seine Streitigkeiten und Eifersüchteleien mit China, zusätzlich zu der Tatsache, dass 75 Prozent seiner Waffen aus Russland kommen.

Die Liste ließe sich fortsetzen, aber das ist nicht nötig. Wer sich die Mühe macht, die Positionen der Regierungen der Welt zu untersuchen, wird bemerken, dass fast keine mitmischen will. Sie wissen, was die USA sind, und sie wissen, was die Nato ist. Sie wissen, wer die Verursacher der Ukraine-Krise sind.

Der Hühnerstall wirft sich wie eine Armee von Trollen aus „Der Herr der Ringe“ gegen Russland in die Schlacht, mit einer pathologischen Wut, die ihrem zerstörerischen Ethos freien Lauf lässt, und das ist gut so. Man muss wissen, wer die Freunde und wer die Feinde sind. In Moskau wird es keinen Zweifel daran geben, falls es überhaupt mal einen gab, dass eine Verständigung mit den Atlantikern nicht möglich ist.

Der Hühnerstall der Trolle und Marionetten mit seiner antirussischen Giftigkeit hat die Zersplitterung der Welt in Blöcke beschleunigt und auch den politischen Tod Europas herbeigeführt. Es wird nicht mehr Europa sein, auch wenn es so scheint und weiter auf den Landkarten markiert bleibt. Europa wird im Wesentlichen die Atlantikfront der US-Armee sein, in Erwartung, dass die USA ihre Vernichtung anordnen.

Wir erleben live, direkt und in voller Deformation die Teilung der Welt und die Geburt einer neuen Welt, in der der Hühnerstall irrelevant sein wird, da das Geschäft zwischen China, Russland und den USA abgewickelt werden wird. Nichts wird den aufgerissenen Graben wieder schließen, selbst wenn sich die Beziehungen normalisieren, es wird die Normalität der Begräbnisse sein. Die Halbinsel Europa wird mehr denn je eine Halbinsel sein, denn ihre Verbindung zu Asien ist ‒ war ‒ Russland. Ohne Russland bleibt ihnen nur noch der Atlantik.

Ein weiterer Nutzen für Russland und China ist, dass der atlantische Hühnerstall seine Strategie offenbart hat. Sie ist derjenigen, die 1918 auf Deutschland angewendet wurde, so ähnlich, dass es an der Zeit ist auszurechen, was ein Bunker kosten würde. Der Unterschied ist, dass Russland nicht Deutschland ist. Das Gegenteil ist der Fall: Russland hat alles, von unbegrenzter Energie bis hin zu unerschöpflichen landwirtschaftlichen Ressourcen.

Und Atomwaffen. Putin hat angeordnet, sie in Alarmbereitschaft zu versetzen, um die überheblichen Insassen des Hühnerstalls daran zu erinnern. Diejenigen, die in ein paar Jahren, wie die Ukrainer heute, als Kanonenfutter für den größeren Glanz eines Reiches dienen werden, das in eben diesen paar Jahren aufhören wird, ein Reich zu sein. Und wenn das vorbei ist, wird Russland immer noch da sein, und die Zeit wird kommen, Rechenschaft abzulegen.

Wut und Mitgefühl mit der ukrainischen Bevölkerung, die im Namen blinder und absurder strategischer Kalküle der USA als Kanonenfutter benutzt wird. Und Verräter sind die Regierungen, die sie in die heutige tragische Lage gebracht haben, während ihre erste Pflicht war, ihr Wohlergehen und ihre Ruhe sicherzustellen.

Tausende Ukrainer kämpfen, ohne es zu wissen, in einem Krieg, der nicht ihrer ist, provoziert von einer Macht, die nicht gezögert hat, sie allein zu lassen. Im Hühnerstall sollte das zur Kenntnis genommen werden, aber welch eine Illusion: Die Hühner denken nicht.

Notiert euch das doch einmal. Russland wird die Ukraine solange nicht verlassen, bis sie sich nicht zu einem neutralen Land erklärt. Die ukrainische Regierung hat akzeptiert, mit Russland zu verhandeln. Keine intelligente Idee, sondern eine unvermeidliche. Ob es nun länger oder kürzer dauert, wenn es keine Einigung gibt, werden russische Panzer auf dem Maidan ankommen.

Wir beenden diesen Artikel, der länger geworden ist als geplant, mit den folgenden Kommentaren:

„Die USA reden oft von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Moral, aber in Wirklichkeit geht es um Interessen. Der strategische Egoismus und die Heuchelei Washingtons haben sich in der Praxis seiner internationalen Politik immer wieder offen gezeigt. Laut Berichten sind mindestens 37 Millionen Menschen in und aus Afghanistan, Irak, Pakistan, Jemen, Somalia, Philippinen, Libyen und Syrien als direkte Folge der von den USA seit dem 11. September 2001 geführten Kriege vertrieben worden“.

„Wenn ein Land, so mächtig es auch sein mag, nur seine eigenen Interessen verfolgt, überall Flammen schürt und ständig Chaos in andere Länder exportiert, ist es unvermeidlich, dass seine Glaubwürdigkeit zerbricht und seine Hegemonie an ihr Ende kommt“.

„Für Länder und Regionen, die immer noch Fantasien haben oder als Handlanger der USA agieren, ist die Ukraine-Krise eine gute Mahnung: Einem ‚Partner‘, der nur ‚gute Nachrichten‘ verkündet, wenn du in Schwierigkeiten bist, ist nicht zu trauen“.

Das stammt aus einem Leitartikel der Global Times der Kommunistischen Partei Chinas. Vernachlässigt das nicht. Auch nicht, dass die Krise in der Ukraine eine Botschaft hinterlässt: An eine friedliche Einigung mit den USA und ihrem Hühnerstall ist nicht zu denken. Daher ist die einzige Möglichkeit, den Hegemonialansprüchen der USA entgegenzutreten, der Krieg.

China hat sein ukrainisches Pendant. Es heißt Taiwan, der riesige landgestützte US-Flugzeugträger nur 230 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt. Wenn es unklug ist, die Pfoten des Bären anzufassen, so ist es selbstmörderisch, dies gleichzeitig beim Drachen und beim Bären zu tun.

Aber es geht noch weiter. Die atlantische Bösartigkeit hat den früheren japanischen Premierminister Shinzo Abe dazu ermutigt, unter Hinweis auf die Ukraine-Krise eine nukleare Zusammenarbeit Japans mit den Vereinigten Staaten zu fordern. Die Global Times reagierte sofort in einem Leitartikel:

„Die USA sind sich der rechtsgerichteten Bewegung in Japan bewusst, sehen das Land aber als den wichtigsten Hebel, um China in Ostasien einzudämmen. Daher wird es für Washington mehr und mehr zu einer Priorität, Japan dafür zu benutzen. Dies ermöglicht es Japans rechten Politikern, eine Gelegenheit zu sehen und sie voll und ganz auszunutzen, um die strategischen Fesseln zu lösen, die sie seit fast 80 Jahren gebunden haben. Die nukleare Kapazität ist dabei wahrscheinlich ihr Endziel“. Gamer over.

Nehmt ihr den Wink wahr oder bleibt ihr dumm eingetaucht in die giftige Informationswolke? Die USA wollen, dass Japan für China das ist, was Deutschland von jetzt an für Russland sein wird, und wir wissen ja, wie diese Länder im Zweiten Weltkrieg endeten.

Kurz um, wir sprechen von reiner und harter Geopolitik und von einem Spiel, das größer ist, als die Menschen es sich vorstellen.

Hühner spielen da nicht mit. Sie opfern sich, um Suppe aus ihnen zu machen oder dieses  cholesterinverseuchte Gringo-Rezept fried chicken. Willkommen an der Schwelle des ersten großen Krieges des 21. Jahrhunderts. Lassen Sie sich das Huhn schmecken.

Mit freundlicher Genehmigung der Übersetzerin

Spanischer Originaltext bei https://prensabolivariana.org/2022/03/05/la-muerte-de-europa-y-el-parto-de-un-nuevo-orden/

References

References
1 The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives ist der Titel eines Buches von Brzezinski aus dem Jahr 2016
2 Artikel 5 des Nordatlantikvertrags von 1949 definiert den Bündnisfall

Wir zahlen nicht für eure Kriege!

„Wir – Friedensbewegte in der BRD aus der ganzen Welt – rufen dazu auf, das angekündigte Aufrüstungspaket von 100 Milliarden Euro im Grundgesetz gemeinsam zu stoppen und für die Umwidmung der Mittel zum Ausbau des Sozialstaats zu kämpfen. Die Aufrüstungspolitik ist grundfalsch, hochgefährlich und zynisch, weil sie bedeutet, die gesellschaftliche Krise mit Militarismus zu beantworten statt mit sozialem Fortschritt zur Mehrung des Allgemeinwohls. Rüstungs- und Kriegspolitik stehen immer im Gegensatz zur solidarischen Kultivierung der Gesellschaft. Deswegen engagieren wir uns stattdessen für massive öffentliche Investitionen und dauerhafte Ausgabenerhöhungen für Soziales, Gesundheit, Bildung, Kultur und Klima – zur zivilen, demokratischen und sozialen Wohlentwicklung weltweit.“

Auszug aus dem Aufruf:

Kommt zur bundesweiten Demonstration
am Samstag, den 02.07.2022,
um 14 Uhr, Bebelplatz
in Berlin!

Weitere Info zum Aufruf hier:

Und hier das Positionspapier von „Bundesausschuss Friedensratschlag“ [1]https://friedensratschlag.de/

References

Henry Kissinger zur Ukraine

BUSINESS INSIDER Nederland vom 24. Mai 2022 über eine Rede Kissinger’s in Davos:

„Henry Kissinger sagte, die Ukraine müsse Russland Territorium abtreten, um den Krieg zu beenden, und warnte den Westen, dass eine demütigende Niederlage Russlands zu einer weiteren Destabilisierung führen könnte.

Kissinger, der heute 98 Jahre alt ist, äußerte sich am Montag auf einer Konferenz des Weltwirtschaftsforums in Davos (Schweiz), berichtet der Daily Telegraph.

„Die Verhandlungen müssen in den nächsten zwei Monaten beginnen, bevor es zu Verwerfungen und Spannungen kommt, die nicht leicht zu überwinden sind. Idealerweise sollte die Trennungslinie eine Rückkehr zum Status quo ante sein“, sagte Kissinger.

Kissinger sagte in seinen Ausführungen, dass Russland 400 Jahre lang ein wesentlicher Bestandteil Europas gewesen sei und in entscheidenden Momenten zum Gleichgewicht des Machtgefüges beigetragen habe, berichtete The Telegraph“.

signora.org vom 24. Mai 2022 ebenfalls über die Rede Kissinger’s in Davos:

„Kissinger erinnerte daran, dass er beim Ausbruch der Ukraine-Krise durch einen bewaffneten Staatsstreich in Kiew vor acht Jahren dafür eingetreten sei, dass die Ukraine ein neutraler Staat und eine „Brücke zwischen Russland und Europa und nicht eine Frontlinie von Gruppierungen innerhalb Europas“ werden sollte. Stattdessen habe Kiew die Mitgliedschaft in der NATO als strategisches Ziel verfolgt und damit den Weg für die aktuellen Feindseligkeiten geebnet. Die Gelegenheit, für die er damals geworben habe, bestehe heute nicht mehr, aber „sie könnte immer noch als Endziel angesehen werden“, erklärte Kissinger. Er fügte hinzu:

„Ich hoffe, dass die Ukrainer ihrem Heldentum Weisheit entgegensetzen werden“, sagte er und fügte hinzu, dass der richtige Platz für die Ukraine ein neutraler Pufferstaat sei und nicht ein vollständig integrierter Teil Europas.

Seit mehr als vier Jahrhunderten sei Russland ein „wesentlicher Teil Europas“, und die europäischen Staats- und Regierungschefs dürften die langfristigen Beziehungen mit dem Land nicht aus den Augen verlieren, da sie sonst riskierten, dass sich Russland endgültig von Europa abkehren und in ein dauerhaftes Bündnis mit China treten könnte. 

Der erfahrene Politiker äußerte gegenüber der „Daily Mail“ zudem seine Auffassung, dass der Westen nichts zu der Niederlage Russland beitragen solle. Er warnt vor weiteren Eingriffen des Westens in dem Ukraine-Krieg. Kissinger riet der Ukraine, mit den Verhandlungen zu beginnen, bevor es „zu Aufruhr und Spannungen kommt, die nicht leicht zu überkommen sind.“

Der 98-Jährige sprach in Davos auch die sich zuspitzende Konfrontation zwischen Peking und Washington an. Die beiden Nationen sähen sich jetzt gegenseitig als den einzigen lebensfähigen strategischen Konkurrenten auf der Weltbühne, wobei ein Wettrüsten zwischen den beiden Ländern ein besonders beunruhigendes Szenario für die ganze Welt darstelle, sagte er“.

Karl Marx: Bürgerkrieg in Frankreich

Hier ein Auszug aus Karl Marx „Bürgerkrieg in Frankreich“

An die Mitglieder der internationalen Arbeiterassoziation
in Europa und den Vereinigten Staaten

III

Am Morgen des 18. März 1871 wurde Paris geweckt durch den Donnerruf: „Es lebe die Kommune!“ Was ist die Kommune, diese Sphinx, die den Bourgeoisverstand auf so harte Proben setzt?

„Die Proletarier von Paris“, sagte das Zentralkomitee in seinem Manifest vom 18. März, „inmitten der Niederlagen und des Verrats der herrschenden Klassen, haben begriffen, daß die Stunde geschlagen hat, wo sie die Lage retten müssen, dadurch, daß |336| sie die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in ihre eignen Hände nehmen … Sie haben begriffen, daß es ihre höchste Pflicht und ihr absolutes Recht ist, sich zu Herren ihrer eignen Geschicke zu machen und die Regierungsgewalt zu ergreifen.“

Aber die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.

Die zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen stehende Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand, Organe, geschaffen nach dem Plan einer systematischen und hierarchischen Teilung der Arbeit – stammt her aus den Zeiten der absoluten Monarchie, wo sie der entstehenden Bourgeoisgesellschaft als eine mächtige Waffe in ihren Kämpfen gegen den Feudalismus diente. Dennoch blieb ihre Entwicklung gehemmt durch allerhand mittelalterlichen Schutt, grundherrliche und Adelsvorrechte, Lokalprivilegien, städtische und Zunftmonopole und Provinzialverfassungen. Der riesige Besen der französischen Revolution des 18. Jahrhunderts fegte alle diese Trümmer vergangner Zeiten weg und reinigte so gleichzeitig den gesellschaftlichen Boden von den letzten Hindernissen, die dem Überbau des modernen Staatsgebäudes im Wege gestanden. Dies moderne Staatsgebäude erhob sich unter dem ersten Kaisertum, das selbst wieder erzeugt worden war durch die Koalitionskriege des alten halbfeudalen Europas gegen das moderne Frankreich. Während der nachfolgenden Herrschaftsformen wurde die Regierung unter parlamentarische Kontrolle gestellt, d.h. unter die direkte Kontrolle der besitzenden Klassen. Einerseits entwickelte sie sich jetzt zu einem Treibhaus für kolossale Staatsschulden und erdrückende Steuern und wurde vermöge der unwiderstehlichen Anziehungskraft ihrer Amtsgewalt, ihrer Einkünfte und ihrer Stellenvergebung der Zankapfel für die konkurrierenden Fraktionen und Abenteurer der herrschenden Klassen – andrerseits änderte sich ihr politischer Charakter gleichzeitig mit den ökonomischen Veränderungen der Gesellschaft. In dem Maß, wie der Fortschritt der modernen Industrie den Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit entwickelte, erweiterte, vertiefte, in demselben Maß erhielt die Staatsmacht mehr und mehr den Charakter einer öffentlichen Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse {4}, einer Maschine der Klassenherrschaft. Nach jeder Revolution, die einen Fortschritt des Klassenkampfs bezeichnet, tritt der rein unterdrückende Charakter der Staat macht offner und offner hervor. Die Revolution von 1830 übertrug die Regierung von den Grundbesitzern auf die Kapitalisten und damit von den entfernteren auf die direkteren Gegner der Arbeiter. |337| Die Bourgeoisrepublikaner, die im Namen der Februarrevolution das Staatsruder ergriffen, gebrauchten es zur Herbeiführung der Junischlächtereien, um der Arbeiterklasse zu beweisen, daß die „soziale“ Republik weiter nichts bedeute, als ihre soziale Unterdrückung durch die Republik; und um der königlich gesinnten Masse der Bourgeois und Grundbesitzer zu beweisen, daß sie die Sorgen und die Geldvorteile der Regierung ruhig den Bourgeoisrepublikanern überlassen könnten. Nach dieser ihrer einzigen Heldentat vom Juni blieb den Bourgeoisrepublikanern jedoch nur übrig, zurückzutreten aus dem ersten Glied ins letzte Glied der „Ordnungspartei“ – einer Koalition, gebildet aus allen konkurrierenden Fraktionen und Faktionen der aneignenden Klassen in ihrem jetzt offen erklärten Gegensatz zu den hervorbringenden Klassen. Die angemessene Form ihrer Gesamtregierung war die parlamentarische Republik mit Louis Bonaparte als Präsidenten; eine Regierung des unverhohlnen Klassenterrorismus und der absichtlichen Beleidigung der „vile multitude“ (der schoflen Menge). Wenn, wie Thiers sagte, die parlamentarische Republik die Staatsform war, die die Fraktionen der herrschenden Klasse am wenigsten trennte, so eröffnete sie dagegen einen Abgrund zwischen dieser Klasse und dem ganzen, außerhalb ihrer dünngesäten Reihen lebenden Gesellschaftskörper. Die Schranken, die, unter frühern Regierungen, die innern Spaltungen jener Klasse der Staatsmacht noch auferlegt hatten, waren durch ihre Vereinigung jetzt gefallen. Angesichts der drohenden Erhebung des Proletariats benutzte die vereinigte besitzende Klasse jetzt die Staatsmacht rücksichtslos und frech als das nationale Kriegswerkzeug des Kapitals gegen die Arbeit. Aber ihr ununterbrochner Kreuzzug gegen die produzierenden Massen zwang sie nicht nur, die vollziehende Gewalt mit stets wachsender Unterdrückungsmacht auszustatten; er zwang sie auch, ihre eigne parlamentarische Zwingburg – die Nationalversammlung – nach und nach aller Verteidigungsmittel gegen die vollziehende Gewalt zu entblößen. Die vollziehende Gewalt, in der Person des Louis Bonaparte, setzte sie vor die Tür. Der leibliche Nachkomme der Republik der „Ordnungspartei“ war das zweite Kaisertum.

Das Kaisertum, mit dem Staatsstreich als Geburtsschein, dem allgemeinen Stimmrecht als Beglaubigung und dem Säbel als Zepter, gab vor, sich auf die Bauern zu stützen, auf jene große Masse der Produzenten, die nicht unmittelbar in den Kampf zwischen Kapital und Arbeit verwickelt waren. Es gab vor, die Arbeiterklasse zu retten, indem es den Parlamentarismus brach und mit ihm die unverhüllte Unterwürfigkeit der Regierung unter die besitzenden Klassen. Es gab vor, die besitzenden Klassen zu retten |338| durch Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen Hoheit über die Arbeiterklasse; und schließlich gab es vor, alle Klassen zu vereinigen durch die Wiederbelebung des Trugbilds des nationalen Ruhms. In Wirklichkeit war es die einzige mögliche Regierungsform zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte. Die ganze Welt jauchzte ihm zu als dem Retter der Gesellschaft. Unter seiner Herrschaft erreichte die Bourgeoisgesellschaft, aller politischen Sorgen enthoben, eine von ihr selbst nie geahnte Entwicklung. Ihre Industrie, ihr Handel dehnten sich zu unermeßlichen Verhältnissen aus; der Finanzschwindel feierte kosmopolitische Orgien; das Elend der Klassen hob sich grell ab gegenüber dem schamlosen Prunk eines gleißenden, überladnen und schuftigriechenden Luxus. Die Staatsmacht, scheinbar hoch über der Gesellschaft schwebend, war dennoch selbst der skandalöseste Skandal dieser Gesellschaft und gleichzeitig die Brutstätte aller ihrer Fäulnis. Ihre eigne Verrottung und die Verrottung der von ihr geretteten Gesellschaft wurde bloßgelegt durch die Bajonette Preußens, das selbst vor Begierde brannte, den Schwerpunkt dieses Regimes von Paris nach Berlin zu verlegen. Der Imperialismus ist die prostituierteste und zugleich die schließliche Form jener Staatsmacht, die von der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft ins Leben gerufen war als das Werkzeug ihrer eignen Befreiung vom Feudalismus und die die vollentwickelte Bourgeoisgesellschaft verwandelt hatte in ein Werkzeug zur Knechtung der Arbeit durch das Kapital.

Der gerade Gegensatz des Kaisertums war die Kommune. Der Ruf nach der „sozialen Republik“, womit das Pariser Proletariat die Februarrevolution einführte, drückte nur das unbestimmte Verlangen aus nach einer Republik, die nicht nur die monarchische Form der Klassenherrschaft beseitigen sollte, sondern die Klassenherrschaft selbst. Die Kommune war die bestimmte Form dieser Republik.

Paris, der Mittelpunkt und Sitz der alten Regierungsmacht und gleichzeitig der gesellschaftliche Schwerpunkt der französischen Arbeiterklasse, Paris hatte sich in Waffen erhoben gegen den Versuch des Thiers und seiner Krautjunker, diese ihnen vom Kaisertum überkommne alte Regierungsmacht wiederherzustellen und zu verewigen. Paris konnte nur Widerstand leisten, weil es infolge der Belagerung die Armee losgeworden war, an deren Stelle es eine hauptsächlich aus Arbeitern bestehende Nationalgarde gesetzt hatte. Diese Tatsache galt es jetzt in eine bleibende Einrichtung zu verwandeln. Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.

|339| Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit. Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller andern Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. Die erworbnen Anrechte und die Repräsentationsgelder der hohen Staatswürdenträger verschwanden mit diesen Würdenträgern selbst. Die öffentlichen Ämter hörten auf, das Privateigentum der Handlanger der Zentralregierung zu sein. Nicht nur die städtische Verwaltung, sondern auch die ganze, bisher durch den Staat ausgeübte Initiative wurde in die Hände der Kommune gelegt.

Das stehende Heer und die Polizei, die Werkzeuge der materiellen Macht der alten Regierung einmal beseitigt, ging die Kommune sofort darauf aus, das geistliche Unterdrückungswerkzeug, die Pfaffenmacht, zu brechen; sie dekretierte die Auflösung und Enteignung aller Kirchen, soweit sie besitzende Körperschaften waren. Die Pfaffen wurden in die Stille des Privatlebens zurückgesandt, um dort, nach dem Bilde ihrer Vorgänger, der Apostel, sich von dem Almosen der Gläubigen zu nähren. Sämtliche Unterrichtsanstalten wurden dem Volk unentgeltlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staats und der Kirche gereinigt. Damit war nicht nur die Schulbildung für jedermann zugänglich gemacht, sondern auch die Wissenschaft selbst von den ihr durch das Klassenvorurteil und die Regierungsgewalt auferlegten Fesseln befreit.

Die richterlichen Beamten verloren jene scheinbare Unabhängigkeit, die nur dazu gedient hatte, ihre Unterwürfigkeit unter alle aufeinanderfolgenden Regierungen zu verdecken, deren jeder sie, der Reihe nach, den Eid der Treue geschworen und gebrochen hatten. Wie alle übrigen öffentlichen Diener, sollten sie fernerhin gewählt, verantwortlich und absetzbar sein.

Die Pariser Kommune sollte selbstverständlich allen großen gewerblichen Mittelpunkten Frankreichs zum Muster dienen. Sobald die kommunale Ordnung der Dinge einmal in Paris und den Mittelpunkten zweiten Ranges eingeführt war, hätte die alte zentralisierte Regierung auch in den Provinzen der Selbstregierung der Produzenten weichen müssen. In einer kurzen |340| Skizze der nationalen Organisation, die die Kommune nicht die Zeit hatte, weiter auszuarbeiten, heißt es ausdrücklich, daß die Kommune die politische Form selbst des kleinsten Dorfs sein, und daß das stehende Heer auf dem Lande durch eine Volksmiliz mit äußerst kurzer Dienstzeit ersetzt werden sollte. Die Landgemeinden eines jeden Bezirks sollten ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten, und diese Bezirksversammlungen dann wieder Abgeordnete zur Nationaldelegation in Paris schicken; die Abgeordneten sollten jederzeit absetzbar und an die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden sein. Die wenigen, aber wichtigen Funktionen, welche dann noch für eine Zentralregierung übrigblieben, sollten nicht, wie dies absichtlich gefälscht worden, abgeschafft, sondern an kommunale, d.h. streng verantwortliche Beamte übertragen werden. Die Einheit der Nation sollte nicht gebrochen, sondern im Gegenteil organisiert werden durch die Kommunalverfassung; sie sollte eine Wirklichkeit werden durch die Vernichtung jener Staatsmacht, welche sich für die Verkörperung dieser Einheit ausgab, aber unabhängig und überlegen sein wollte gegenüber der Nation, an deren Körper sie doch nur ein Schmarotzerauswuchs war. Während es galt, die bloß unterdrückenden Organe der alten Regierungsmacht abzuschneiden, sollten ihre berechtigten Funktionen einer Gewalt, die über der Gesellschaft zu stehn beanspruchte, entrissen und den verantwortlichen Dienern der Gesellschaft zurückgegeben werden. Statt einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll, sollte das allgemeine Stimmrecht dem in Kommunen konstituierten Volk dienen, wie das individuelle Stimmrecht jedem andern Arbeitgeber dazu dient, Arbeiter, Aufseher und Buchhalter in seinem Geschäft auszusuchen. Und es ist bekannt genug, daß Gesellschaften ebensogut wie einzelne, in wirklichen Geschäftssachen gewöhnlich den rechten Mann zu finden und, falls sie sich einmal täuschen, dies bald wieder gutzumachen wissen. Andrerseits aber konnte nichts dem Geist der Kommune fremder sein, als das allgemeine Stimmrecht durch hierarchische Investitur zu ersetzen.

Es ist das gewöhnliche Schicksal neuer geschichtlicher Schöpfungen, für das Seitenstück älterer und selbst verlebter Formen des gesellschaftlichen Lebens versehn zu werden, denen sie einigermaßen ähnlich sehn. So ist diese neue Kommune, die die moderne Staatsmacht bricht, angesehn worden für eine Wiederbelebung der mittelalterlichen Kommunen, welche jener Staatsmacht erst vorausgingen und dann ihre Grundlage bildeten. Die Kommunalverfassung ist versehn worden für einen Versuch, einen |341| Bund kleiner Staaten, wie Montesquieu und die Girondins ihn träumten, an die Stelle jener Einheit großer Völker zu setzen, die, wenn ursprünglich durch Gewalt zustande gebracht, doch jetzt ein mächtiger Faktor der gesellschaftlichen Produktion geworden ist. – Der Gegensatz der Kommune gegen die Staatsmacht ist versehn worden für eine übertriebne Form des alten Kampfes gegen Überzentralisation. Besondre geschichtliche Umstände mögen die klassische Entwicklung der Bourgeoisregierungsform, wie sie in Frankreich vor sich gegangen, in andren Ländern verhindert, und mögen gestattet haben, daß, wie in England, die großen zentralen Staatsorgane sich ergänzen durch korrupte Pfarreiversammlungen (vestries), geldschachernde Stadträte und wutschnaubende Armenverwalter in den Städten und durch tatsächlich erbliche Friedensrichter auf dem Lande. Die Kommunalverfassung würde im Gegenteil dem gesellschaftlichen Körper alle die Kräfte zurückgegeben haben, die bisher der Schmarotzerauswuchs „Staat“, der von der Gesellschaft sich nährt und ihre freie Bewegung hemmt, aufgezehrt hat. Durch diese Tat allein würde sie die Wiedergeburt Frankreichs in Gang gesetzt haben. – Die Mittelklasse der Provinzialstädte sah in der Kommune einen Versuch zur Wiederherstellung der Herrschaft, die sie unter Louis-Philippe über das Land ausgeübt hatte und die unter Louis Bonaparte verdrängt wurde durch die angebliche Herrschaft des Landes über die Städte. In Wirklichkeit aber hätte die Kommunalverfassung die ländlichen Produzenten unter die geistige Führung der Bezirkshauptstädte gebracht und ihnen dort, in den städtischen Arbeitern, die natürlichen Vertreter ihrer Interessen gesichert. – Das bloße Bestehn der Kommune führte, als etwas Selbstverständliches, die lokale Selbstregierung mit sich, aber nun nicht mehr als Gegengewicht gegen die, jetzt überflüssig gemachte, Staatsmacht. Es konnte nur einem Bismarck einfallen, der, wenn nicht von seinen Blut- und Eisenintrigen in Anspruch genommen, gern zu seinem alten, seinem geistigen Kaliber so sehr zusagenden Handwerk als Mitarbeiter am „Kladderadatsch“ zurückkehrt – nur einem solchen Kopf konnte es einfallen, der Pariser Kommune eine Sehnsucht unterzuschieben nach jener Karikatur der alten französischen Städteverfassung von 1791, der preußischen Städteordnung, die die städtischen Verwaltungen zu bloßen untergeordneten Rädern in der preußischen Staatsmaschinerie erniedrigt. – Die Kommune machte das Stichwort aller Bourgeoisrevolutionen – wohlfeile Regierung – zur Wahrheit, indem sie die beiden größten Ausgabequellen, die Armee und das Beamtentum, aufhob. Ihr bloßes Bestehn setzte das Nichtbestehn der Monarchie voraus, die, wenigstens in Europa, der regelrechte Ballast und der unentbehrliche Deckmantel der Klassenherr- |342| schaft ist. Sie verschaffte der Republik die Grundlage wirklich demokratischer Einrichtungen. Aber weder „wohlfeile Regierung“ noch die „wahre Republik“ war ihr Endziel; beide ergaben sich nebenbei und von selbst.

Die Mannigfaltigkeit der Deutungen, denen die Kommune unterlag, und die Mannigfaltigkeit der Interessen, die sich in ihr ausgedrückt fanden, beweisen, daß sie eine durch und durch ausdehnungsfähige politische Form war, während alle früheren Regierungsformen wesentlich unterdrückend gewesen waren. Ihr wahres Geheimnis war dies: Sie war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.

Ohne diese letzte Bedingung war die Kommunalverfassung eine Unmöglichkeit und eine Täuschung. Die politische Herrschaft des Produzenten kann nicht bestehn neben der Verewigung seiner gesellschaftlichen Knechtschaft. Die Kommune sollte daher als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzustürzen, auf denen der Bestand der Klassen und damit der Klassenherrschaft ruht. Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein.

Es ist eine eigentümliche Tatsache: Trotz all des großen Geredes und der unermeßlichen Literatur der letzten sechzig Jahre über Emanzipation der Arbeiter {5} – kaum nehmen die Arbeiter irgendwo die Sache in ihre eignen Hände, so ertönen auch sofort wieder die apologetischen Redensarten der Fürsprecher der jetzigen Gesellschaft mit ihren beiden Polen: Kapital und Lohnsklaverei (der Grundbesitzer ist jetzt nur noch der stille Gesellschafter des Kapitalisten), als lebte die kapitalistische Gesellschaft noch im Stande reinster jungfräulicher Unschuld, alle ihre Grundsätze {6} noch unentwickelt, alle ihre Selbsttäuschungen noch unenthüllt, alle ihre prostituierte Wirklichkeit noch nicht bloßgelegt! Die Kommune, rufen sie aus, will das Eigentum, die Grundlage aller Zivilisation, abschaffen! Jawohl, meine Herren, die Kommune wollte jenes Klasseneigentum abschaffen, das die Arbeit der vielen in den Reichtum der wenigen verwandelt. Sie beabsichtigte die Enteignung der Enteigner. Sie wollte das individuelle Eigentum zu einer Wahrheit machen, indem sie die Produktionsmittel, den Erdboden und das Kapital, jetzt vor allem die Mittel zur Knechtung und Ausbeutung der Arbeit, in bloße Werkzeuge der freien und assoziierten Arbeit verwandelt. – |343| Aber dies ist der Kommunismus, der „unmögliche“ Kommunismus! Nun, diejenigen Leute aus den herrschenden Klassen, die verständig genug sind, die Unmöglichkeit der Fortdauer des jetzigen Systems einzusehn und deren gibt es viele -, haben sich zu zudringlichen und großmäuligen Aposteln der genossenschaftlichen Produktion aufgeworfen. Wenn aber die genossenschaftliche Produktion nicht eitel Schein und Schwindel bleiben, wenn sie das kapitalistische System verdrängen, wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigne Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll – was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der „mögliche“ Kommunismus?

Die Arbeiterklasse verlangte keine Wunder von der Kommune. Sie hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigne Befreiung und mit ihr jene höhre Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben. Im vollen Bewußtsein ihrer geschichtlichen Sendung {7} und mit dem Heldenentschluß, ihrer würdig zu handeln, kann die Arbeiterklasse sich begnügen, zu lächeln gegenüber den plumpen Schimpfereien der Lakaien von der Presse wie gegenüber der lehrhaften Protektion wohlmeinender Bourgeoisdoktrinäre, die ihre unwissenden Gemeinplätze und Sektierermarotten im Orakelton wissenschaftlicher Unfehlbarkeit abpredigen.

Als die Pariser Kommune die Leitung der Revolution in ihre eigne Hand nahm; als einfache Arbeiter zum erstenmal es wagten, das Regierungsprivilegium ihrer „natürlichen Obern“, der Besitzenden, anzutasten, und, unter Umständen von beispielloser Schwierigkeit, ihre Arbeit bescheiden, gewissenhaft und wirksam verrichteten – sie verrichteten für Gehalte, deren höchstes kaum ein Fünftel von dem war, was nach einem hohen wissenschaftlichen Gewährsmann (Professor Huxley) das geringste ist für einen Sekretär des Londoner Schulrats -, da wand sich die alte Welt in Wutkrämpfen |344| beim Anblick der roten Fahne, die, das Symbol der Republik der Arbeit über dem Stadthause wehte.

Und doch war dies die erste Revolution, in der die Arbeiterklasse offen anerkannt wurde als die einzige Klasse, die noch einer gesellschaftlichen Initiative fähig war; anerkannt selbst durch die große Masse der Pariser Mittelklasse – Kleinhändler, Handwerker, Kaufleute -, die reichen Kapitalisten allein ausgenommen. Die Kommune hatte sie gerettet durch eine weise Erledigung jener immer wiederkehrenden Ursache des Streits unter der Mittelklasse selbst, der Frage zwischen Schuldnern und Gläubigern. Derselbe Teil der Mittelklasse hatte sich 1848 bei der Unterdrückung des Arbeiteraufstandes vom Juni beteiligt; und unmittelbar darauf war er durch die konstituierende Versammlung ohne alle Umstände seinen Gläubigern zum Opfer gebracht worden. Aber dies war nicht der einzige Grund, weswegen er sich jetzt an die Arbeiter anschloß. Er fühlte, daß es nur noch eine Wahl gab: die Kommune oder das Kaisertum, gleichviel unter welchem Namen. Das Kaisertum hatte diese Mittelklasse ökonomisch ruiniert durch seine Verschleuderung des öffentlichen Reichtums, durch den von ihm großgezognen Finanzschwindel, durch seine Beihülfe zur künstlich beschleunigten Zentralisation des Kapitals und die dadurch bedingte Enteignung eines großen Teils dieser Mittelklasse. Es hatte sie politisch unterdrückt, sie sittlich entrüstet durch seine Orgien, es hatte ihren Voltairianismus beleidigt durch Überlieferung der Erziehung ihrer Kinder an die „unwissenden Brüderlein „, es hatte ihr Nationalgefühl als Franzosen empört, indem es sie kopfüber in einen Krieg stürzte, der für alle die Verwüstung, die er anrichtete, nur einen Ersatz ließ – die Vernichtung des Kaisertums. In der Tat, nach der Auswanderung der hohen bonapartistischen und kapitalistischen Zigeunerbande aus Paris trat die wahre Ordnungspartei der Mittelklasse hervor als die „Union républicaine“, stellte sich unter die Fahne der Kommune und verteidigte sie gegen Thiers‘ absichtliche Entstellungen. Ob die Dankbarkeit dieser großen Masse der Mittelklasse die jetzigen schweren Prüfungen bestehn wird, bleibt abzuwarten.

Die Kommune hatte vollständig recht, als sie den Bauern zurief: „Unser Sieg ist eure Hoffnung!“ Von allen den Lügen, die in Versailles ausgeheckt und von den ruhmvollen europäischen Preßzuaven weiterposaunt wurden, war eine der ungeheuerlichsten die, daß die Krautjunker der Nationalversammlung die Vertreter der französischen Bauern seien. Man denke sich nur die Liebe des französischen Bauern für die Leute, denen er, nach 1815, eine Milliarde Entschädigung zahlen mußte! In den Augen des französischen Bauern ist ja schon die bloße Existenz eines großen |345| Grundbesitzers ein Eingriff in seine Eroberungen von 1789. Der Bourgeois hatte 1848 die Bodenparzelle des Bauern mit der Zuschlagssteuer von 45 Centimen auf den Franken belastet, aber er tat es im Namen der Revolution; jetzt hatte er einen Bürgerkrieg gegen die Revolution entzündet, um die Hauptlast der den Preußen bewilligten fünf Milliarden Kriegsentschädigung den Bauern aufzubürden. Die Kommune dagegen erklärte gleich in einer ihrer ersten Proklamationen, daß die wirklichen Urheber des Krieges auch dessen Kosten tragen müßten. Die Kommune würde dem Bauer die Blutsteuer abgenommen, ihm eine wohlfeile Regierung gegeben und seine Blutsauger, den Notar, den Advokaten, den Gerichtsvollzieher und andre gerichtliche Vampire, in besoldete Kommunalbeamte, von ihm selbst gewählt und ihm verantwortlich, verwandelt haben. Sie würde ihn befreit haben von der Willkürherrschaft des Flurschützen, des Gendarmen und des Präfekten; sie würde an Stelle der Verdummung durch den Pfaffen die Aufklärung durch den Schullehrer gesetzt haben. Und der französische Bauer ist vor allem ein Mann, der rechnet. Er würde es äußerst vernünftig gefunden haben, daß die Bezahlung des Pfaffen, statt von dem Steuereinnehmer eingetrieben zu werden, nur von der freiwilligen Betätigung des Frömmigkeitstriebs seiner Gemeinde abhängen solle. Dies waren die großen unmittelbaren Wohltaten, die die Herrschaft der Kommune – und sie nur – den französischen Bauern in Aussicht stellte. Es ist daher ganz überflüssig, hier näher einzugehn auf die verwickelteren wirklichen Lebensfragen, die die Kommune allein fähig und gleichzeitig gezwungen war, zugunsten des Bauern zu lösen – die Hypothekenschuld, die wie ein Alp auf seiner Parzelle lastete, das ländliche Proletariat, das täglich auf ihr heranwuchs, und seine eigne Enteignung von dieser Parzelle, die mit stets wachsender Geschwindigkeit durch die Entwicklung der modernen Ackerbauwirtschaft {8} und die Konkurrenz des kapitalistischen Bodenbaus sich durchsetzte.

Der französische Bauer hatte Louis Bonaparte zum Präsidenten der Republik gewählt, aber die Ordnungspartei schuf das zweite Kaisertum. Was der französische Bauer wirklich bedarf, fing er an, 1849 und 50 zu zeigen, indem er überall seinen Maire dem Regierungspräfekten, seinen Schullehrer dem Regierungspfaffen und sich selbst dem Regierungsgendarmen entgegenstellte. Alle von der Ordnungspartei im Januar und Februar 1850 erlassenen Gesetze waren eingestandene Zwangsmaßregeln gegen die Bauern. Der Bauer war Bonapartist, weil die große Revolution, mit all |346| ihren Vorteilen für ihn, in seinen Augen in Napoleon verkörpert war. Diese Täuschung, die unter dem zweiten Kaisertum rasch am Zusammenbrechen war (und sie war ihrer ganzen Natur nach den Krautjunkern feindlich), dies Vorurteil der Vergangenheit, wie hätte es bestehn können gegenüber dem Appell der Kommune an die lebendigen Interessen und dringenden Bedürfnisse der Bauern?

Die Krautjunker – dies war in der Tat ihre Hauptbefürchtung – wußten, daß drei Monate freien Verkehrs zwischen dem kommunalen Paris und den Provinzen einen allgemeinen Bauernaufstand zuwege bringen würden. Daher ihre ängstliche Eile, Paris mit einer Polizeiblockade zu umgeben und die Verbreitung der Rinderpest zu hemmen.

Wenn sonach die Kommune die wahre Vertreterin aller gesunden Elemente der französischen Gesellschaft war, und daher die wahrhaft nationale Regierung, so war sie gleichzeitig, als eine Arbeiterregierung, als der kühne Vorkämpfer der Befreiung der Arbeit, im vollen Sinn des Worts international. Unter den Augen der preußischen Armee, die zwei französische Provinzen an Deutschland annexiert hatte, annexierte die Kommune die Arbeiter der ganzen Welt an Frankreich.

Das zweite Kaisertum war das Jubelfest der kosmopolitischen Prellerei gewesen, die Hochstapler aller Länder waren auf seinen Ruf herzugestürzt, teilzunehmen an seinen Orgien und an der Ausplünderung des französischen Volks. Selbst in diesem Augenblick noch ist Thiers‘ rechte Hand Ganesco, der walachische Lump, und seine linke Hand Markowski, der russische Spion. Die Kommune ließ alle Fremden zu zu der Ehre, für eine unsterbliche Sache zu fallen. – Zwischen dem durch ihren Verrat verlornen auswärtigen Krieg und dem durch ihre Verschwörung mit dem fremden Eroberer entzündeten Bürgerkrieg hatte die Bourgeoisie Zeit gefunden, ihren Patriotismus durch die Organisation von Polizeijagden auf die Deutschen in Frankreich zu betätigen. Die. Kommune machte einen Deutschen zu ihrem Arbeitsminister |Leo Frankel|. – Thiers, die Bourgeoisie, das zweite Kaisertum hatten Polen immerfort durch laute Verheißungen der Teilnahme getäuscht, während sie in Wirklichkeit es an Rußland verrieten und Rußlands schmutzige Arbeit verrichteten. Die Kommune ehrte die Heldensöhne Polens, indem sie sie an die Spitze der Verteidigung von Paris stellte |Jaroslaw Dombrowski und Walery Wróblewski|. Und, um ganz unverkennbar die neue geschichtliche Ära zu bezeichnen, die sie einzuleiten sich bewußt war, warf die Kommune, unter den Augen, hier der siegreichen Preußen, dort der von bonapartistischen Generalen geführten bonaparti- |347| stischen Armee, das kolossale Symbol des Kriegsruhms nieder, die Vendôme-Säule.

Die große soziale Maßregel der Kommune war ihr eignes arbeitendes Dasein. Ihre besondern Maßregeln konnten nur die Richtung andeuten, in der eine Regierung des Volks durch das Volk sich bewegt. Dahin gehören die Abschaffung der Nachtarbeit der Bäckergesellen; das Verbot, bei Strafe, der bei Arbeitgebern üblichen Praxis, den Lohn herabzudrücken durch Auferlegung von Geldstrafen auf die Arbeiter unter allerlei Vorwänden – ein Verfahren, wobei der Arbeitgeber in einer Person Gesetzgeber, Richter und Vollstrecker ist und obendrein das Geld einsteckt. Eine andre Maßregel dieser Art war die Auslieferung von allen geschlossenen Werkstätten und Fabriken an Arbeitergenossenschaften, unter Vorbehalt der Entschädigung, gleichviel, ob der betreffende Kapitalist geflüchtet war oder aber vorzog, die Arbeit einzustellen.

Die finanziellen Maßregeln der Kommune, ausgezeichnet durch ihre Einsicht und Mäßigung, konnten sich nur auf solche beschränken, die mit der Lage einer belagerten Stadt verträglich waren. In Anbetracht der ungeheuren Diebstähle, begangen an der Stadt Paris durch die großen Finanzkompanien und Bauunternehmer unter Haussmanns Herrschaft, hätte die Kommune ein weit größeres Recht gehabt, ihr Eigentum zu konfiszieren, als Louis Bonaparte das der Familie Orléans. Die Hohenzollern und die englischen Oligarchen, die beide ein gutes Stück ihrer Besitzungen von geraubtem Kircheneigentum herleiten, waren natürlich höchst entrüstet über die Kommune, die aus der Säkularisation nur 8.000 Franken profitierte. Während die Versailler Regierung, sobald sie wieder zu etwas Mut und Stärke gekommen, die gewaltsamsten Mittel gegen die Kommune anwandte; während sie die freie Meinungsäußerung über ganz Frankreich unterdrückte und sogar Versammlungen von Delegierten der großen Städte verbot; während sie Versailles und das übrige Frankreich einer Spionage, weit schlimmer als die des zweiten Kaisertums, unterwarf; während sie durch ihre Gendarmen-Inquisitoren alle in Paris gedruckten Zeitungen verbrannte und alle Briefe von und nach Paris erbrach; während in der Nationalversammlung die furchtsamsten Versuche, ein Wort für Paris zu verlautbaren, niedergeheult wurden in einer, selbst in der Junkerkammer von 1816 unerhörten Weise; während der blutdürstigen Kriegführung der Versailler außerhalb und ihrer Versuche der Bestechung und Verschwörung innerhalb Paris – hätte da die Kommune nicht ihre Stellung schmählich verraten, wenn sie alle Anstandsformen des Liberalismus, wie im tiefsten Frieden, beobachtet hätte? Wäre die Regierung der Kommune der des Herrn Thiers verwandt |348| gewesen, es wäre ebensowenig Veranlassung dagewesen, Ordnungsparteiblätter in Paris wie Kommunalblätter in Versailles zu unterdrücken.

Es war in der Tat ärgerlich für die Krautjunker, daß gerade um die Zeit, wo sie die Rückkehr zur Kirche als einziges Mittel zur Rettung Frankreichs erklärten, die ungläubige Kommune die eigentümlichen Geheimnisse des Nonnenklosters Picpus und der Kirche St. Laurent aufdeckte. Es war eine Satire auf Thiers, daß, während er Großkreuze auf die bonapartistischen Generale regnen ließ für ihre Meisterschaft im Schlachtenverlieren, Kapitulationsunterzeichnen und Wilhelmshöher Zigarettendrehen, die Kommune ihre Generale absetzte und verhaftete, sobald sie der Vernachlässigung ihres Dienstes verdächtig waren. Die Ausstoßung und Verhaftung eines Mitgliedes |Blanchet|, das sich unter falschem Namen eingeschlichen und früher in Lyon sechs Tage Gefängnis wegen einfachen Bankerotts erlitten hatte – war sie nicht eine vorbedachte Beleidigung, ins Gesicht geschleudert dem Fälscher Jules Favre, damals noch immer auswärtiger Minister Frankreichs, noch immer Frankreich verkaufend an Bismarck, noch immer Befehle diktierend jener unvergleichlichen belgischen Regierung? Aber in der Tat, die Kommune machte keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit, wie dies alle die alten Regierungen ohne Ausnahme tun. Sie veröffentlichte alle Reden und Handlungen, sie weihte das Publikum ein in alle ihre Unvollkommenheiten.

In jeder Revolution drängen sich, neben ihren wirklichen Vertretern, Leute andern Gepräges vor. Einige sind die Überlebenden früherer Revolutionen, mit denen sie verwachsen sind; ohne Einsicht in die gegenwärtige Bewegung, aber noch im Besitz großen Einflusses auf das Volk durch ihren bekannten Mut und Charakter oder auch durch bloße Tradition. Andre sind bloße Schreier, die, jahrelang dieselben ständigen Deklamationen gegen die Regierung des Tages wiederholend, sich in den Ruf von Revolutionären des reinsten Wassers eingeschlichen haben. Auch nach dem 18. März kamen solche Leute zum Vorschein und spielten sogar in einigen Fällen eine hervorragende Rolle. Soweit ihre Macht ging, hemmten sie die wirkliche Aktion der Arbeiterklasse, wie sie die volle Entwicklung jeder frühern Revolution gehemmt haben. Sie sind ein unvermeidliches Übel; mit der Zeit schüttelt man sie ab; aber gerade diese Zeit wurde der Kommune nicht gelassen. Wunderbar in der Tat war die Verwandlung, die die Kommune an Paris vollzogen hatte! Keine Spur mehr von dem buhlerischen Paris des zweiten Kaisertums. Paris war nicht länger der Sammelplatz von britischen Grundbesitzern, irischen Absentees, amerikanischen Ex-Sklavenhaltern und |349| Emporkömmlingen, russischen Ex-Leibeignenbesitzern und walachischen Bojaren. Keine Leichen mehr in der Morgue, keine nächtlichen Einbrüche und fast keine Diebstähle mehr; seit den Februartagen von 1848 waren die Straßen von Paris wirklich einmal wieder sicher, und das ohne irgendwelche Polizei.

„Wir“, sagte ein Mitglied der Kommune, „wir hören jetzt nichts mehr von Mord, Raub und Tätlichkeiten gegen Personen: es scheint in der Tat, als ob die Polizei alle ihre konservativen Freunde mit nach Versailles geschleppt habe.“

Die Kokotten hatten die Fährte ihrer Beschützer wiedergefunden – der flüchtigen Männer der Familie, der Religion und vor allem des Eigentums. An ihrer Stelle kamen die wirklichen Weiber von Paris wieder an die Oberfläche – heroisch, hochherzig und aufopfernd wie die Weiber des Altertums. Paris, arbeitend, denkend, kämpfend, blutend, über seiner Vorbereitung einer neuen Gesellschaft fast vergessend der Kannibalen vor seinen Toren, strahlend in der Begeisterung seiner geschichtlichen Initiative!

Und nun, gegenüber dieser neuen Welt in Paris, siehe da die alte Welt in Versailles – diese Versammlung der Ghuls aller verstorbnen Regimes, Legitimisten und Orleanisten, gierig, vom Leichnam der Nation zu zehren – mit einem Schwanz vorsintflutlicher Republikaner, die durch ihre Gegenwart in der Versammlung der Sklavenhalter-Rebellion zustimmten, die die Erhaltung ihrer parlamentarischen Republik von der Eitelkeit des bejahrten Pickelhärings an der Spitze der Regierung erhofften und 1789 karikierten durch Abhaltung ihrer gespensterhaften Versammlungen im Jeu de Paume (Ballspielhaus, wo die Nationalversammlung von 1789 ihre berühmten Beschlüsse faßte). Da war sie, diese Versammlung, die Vertreterin von allem, was abgestorben war in Frankreich, aufgestützt zur Positur scheinbaren Lebens durch nichts als die Säbel der Generale von Louis Bonaparte. Paris ganz Wahrheit, Versailles ganz Lüge, und diese Lüge losgelassen durch den Mund Thiers‘.

Thiers sagt einer Deputation der Bürgermeister des Seine und Oise-Departements:

„Sie können sich auf mein Wort verlassen, das ich nie gebrochen habe!“

Der Versammlung selbst sagte er, sie sei „die freiestgewählte und liberalste Versammlung, die Frankreich je besessen“; seiner buntgemischten Soldateska, sie sei „die Bewunderung der Welt und die schönste Armee, die Frankreich je gehabt“; den Provinzen, das Bombardement von Paris sei ein Märchen:

|350| „Wenn einige Kanonenschüsse gefallen sind, so geschah das nicht durch die Versailler Armee, sondern durch einige Insurgenten, die glauben machen wollen, sie schlügen sich, wo sie sich doch nirgends zu zeigen wagen.“

Dann wieder sagt er den Provinzen:

„Die Artillerie von Versailles bombardiert Paris nicht, sie kanoniert es bloß.“

„Die Artillerie von Versailles bombardiert Paris nicht, sie kanoniert es bloß.“

Dem Erzbischof von Paris sagt er, die den Versailler Truppen nach erzählten Erschießungen und Repressalien(!) seien lauter Lügen. Er verkündet an Paris, er beabsichtigte nur, „es von den scheußlichen Tyrannen zu befreien, die es bedrücken“, und das Paris der Kommune sei in der Tat „nur eine Handvoll Verbrecher“.

Das Paris des Thiers war nicht das wirkliche Paris der „schoflen Menge“, sondern ein Phantasie-Paris, das Paris der Francs-fileurs, das Paris der Boulevards, männlich wie weiblich, das reiche, das kapitalistische, das vergoldete, das faulenzende Paris, das sich jetzt mit seinen Lakaien, seinen Hochstaplern, seiner literarischen Zigeunerbande und seinen Kokotten in Versailles, Saint-Denis, Rueil und Saint-Germain drängte; für das der Bürgerkrieg nur ein angenehmes Zwischenspiel war; das den Kampf durchs Fernglas betrachtete, die Kanonenschüsse zählte und bei seiner eignen Ehre und der seiner Huren schwor, das Schauspiel sei unendlich besser arrangiert, als es im Theater der Porte Saint-Martin je gewesen. Die Gefallnen waren wirklich tot, das Geschrei der Verwundeten war kein bloßer Schein; und dann, wie welthistorisch war nicht die ganze Sache!

Dies ist das Paris des Herrn Thiers, ganz wie die Emigration von Koblenz das Frankreich des Herrn von Calonne war“

Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse. Seine Vertilger hat die Geschichte schon jetzt an jenen Schandpfahl genagelt, von dem sie zu erlösen alle Gebete ihrer Pfaffen ohnmächtig sind.

Der Generalrat:

M. J .Boon, Fred. Bradnick, G. H. Buttery, Caihil, William Hales, Kolb, Fred. Leßner, G. Milner, Thomas Mottershead, Charles Murray, Pfänder, Roach, Rühl, Sadler, Cowell Stepney, Alf. Taylor, W. Townshend [1]In der dritten englischen Ausgabe von 1871 sind noch folgende Mitglieder des Generalrats angeführt: Delahaye, A. Herman, Lochner, J. P. Mac Donnel, Ch. Mills, Rochat und A. Serraillier.

Korrespondierende Sekretäre:

Eugene Dupont, für Frankreich – Karl Marx, für Deutschland und Holland – Friedrich Engels, für Belgien und Spanien – Hermann Jung, für die Schweiz – P. Giovacchini, für Italien – Zévy Maurice, für Ungarn – Antoni Zabicki, für Polen – J. Cohen, für Dänemark – J. G. Eccarius, für die Vereinigten Staaten

Hermann Jung, Vorsitzender – John Weston, Schatzmeister – Georg Harris, Finanzsekretär – John Hales, Generalsekretär

256, High Holborn, London, W. C.
30. Mai 1871


Quelle:

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 313-365.

Geschrieben April/Mai 1871.
Erstmalig in englischer Sprache veröffentlicht als Broschüre in London, Juni 1871.
Erstmalig in deutscher Sprache veröffentlicht in „Der Volksstaat“, Leipzig, vom 28. Juni bis 29. Juli 1871 und als Separatabdruck aus dem „Volksstaat“, Leipzig 1871.
Der vorliegende Abdruck entspricht der letzten, von Friedrich Engels besorgten Auflage in deutsche Sprache, Berlin 1891.


Einleitung (Ausgabe 1891)

References

References
1 In der dritten englischen Ausgabe von 1871 sind noch folgende Mitglieder des Generalrats angeführt: Delahaye, A. Herman, Lochner, J. P. Mac Donnel, Ch. Mills, Rochat und A. Serraillier.

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