Klimaschutz: Zur Einführung

Das ist die Forderung: Keine Erhöhung des Klimas um mehr als 1,5 Grad.

Zur Durchsetzung dieser Forderung müssen drei Fragen beantwortet werden: Welche Maßnahmen sind notwendig, um dieses Ziel zu erreichen? Wie werden die notwendigen Maßnahmen durchgesetzt? Wer soll die notwendigen Maßnahmen bezahlen?

Bei der dritten Frage geht es nicht darum, die Finanzierung auf die lange Bank zu schieben und dadurch die notwendigen Maßnahmen noch teurer zu machen, sondern es geht darum, diejenigen heranzuziehen, die zahlen können. Damit vor allem auch die Durchführbarkeit der notwendigen Maßnahmen gesichert und nicht diejenigen in den Widerstand gegen ein klimaneutrales Wirtschaften getrieben werden, die am wenigsten für die klimaschädlichen Emissionen verantwortlich sind und die auch hohe finanzielle Belastungen am wenigsten tragen können. So fordert die Deutsche Umwelthilfe zu Recht die Co2 Preiserhöhungen für die Heizenergie zu 100 Prozent den Vermietern anzulasten und ihnen den Weg zu versperren, diese Preiserhöhungen auf die Mieter abzuwälzen.

Es ist sehr wichtig, die Ursachen für die Aufheizung des Klimas zu erkennen. Ja, der Klimawandel ist von Menschen gemacht, aber man kann das genauer sagen: Die Aufheizung des Klimas ist eine unmittelbare Folge der Industrialisierung ist. Aber auch mit dem Begriff “Industrialisierung” sind die Ursachen nicht sehr präzise benannt. Denn dieser Begriff erfasst nicht, wer diese Industrialisierung in den vergangenen zwei Jahrhunderten und vor allem auch in den letzten Jahrzehnten in den industrialisierten Ländern vorangetrieben hat.

Laut carbon Majors Report sind seit 1988 hundert Konzerne für 71 % der weltweiten schädlichen Emissionen verantwortlich. Damit sind nur die Hersteller fossiler Brennstoffe wie ExxonMobil, Shell, BHP Billiton usw. erfasst. Hinzu kommen die Konzerne, die Autos, Stahl usw. produzieren und damit ebenfalls für einen erheblichen Teil der schädlichen Emissionen verantwortlich sind.

Im Kern geht es um die Arbeit in diesen großen Konzernen – zum Beispiel um die Arbeit in der Mobilitätsindustrie (Autos, Bus und Bahn) oder im Bergbau oder in der Energiewirtschaft. Es geht um “Was”, “Wie” und “”Wer” der Produktion:

  • Was muss mehr werden (zum Beispiel: Öffentlicher Nahverkehr, erneuerbare Energien) und was muss weniger werden (zum Beispiel der Individualverkehr) und was darf überhaupt nicht mehr produziert und gefördert werden (zum Beispiel: fossile Energie, Verbrennungsmotoren)?
  • Wie schnell muss diese Transformation durchgeführt werden?
  • Wer entscheidet die notwendigen Maßnahmen, wer überprüft sie und wer kann die Nichteinhaltung dieser Maßnahmen sanktionieren oder die Sanktionierung veranlassen?

Bisher haben alle diese Fragen die Unternehmen, also das große Kapital, nicht aber die Beschäftigten in diesen Unternehmen entschieden.

Es geht aber nicht nur um das große Kapital, das in diesen und anderen Bereichen die Zerstörung dieser Welt durch klimaschädliche Emissionen vorangetrieben hat. Es geht vor allem um diejenigen, die auf dieser Erde leben und arbeiten wollen und durch gemeinsames Handeln eine Gegenmacht bilden können, um eine Transformation hin zu einer umweltverträglichen Arbeit in dem notwendigen Ausmaß und Tempo zu erzwingen.

Zum Thema „Klimaschutz+Transformation“ weiterlesen hier:

Gemeinsam auf die Straße! 19.09.2021

„Ein breites Bündnis von 39 Organisationen hatte aufgerufen, gegen Einsparungen und Privatisierungen in Krankenhäusern, Schulen, Kitas, bei der S-Bahn und im gesamten öffentlichen Dienst zu protestieren. Die Demonstration mit 700 Menschen zog vom Washingtonplatz am Hauptbahnhof durch die Berliner Innenstadt zum Roten Rathaus.“

Text: Michael Koschitzki, Mitinitiator von „Gemeinsam auf die Straße“

Weitere Info: https://gemeinsamaufdiestrasse.de/

Hier eine kleine Bildergalerie:

Vergesellschaftung: Recht und Geschichte

Welche Möglichkeiten eröffnet das Grundgesetz?

Maria Metzke, Richterin a.D, stellt schon auf einem Symposium “Die unvollendete Revolution 1918/1919” im Jahr 2019 im IG Metall-Haus Berlin dar, welche Möglichkeiten das Grundgesetz zur Enteigung und Vergesellschaftung eröffnet.

Weiterlesen hier:

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Zur Geschichte des Kampfes um Vergesellschaftung

Der Historiker Dietmar Lange spricht zwei Jahre später über die Geschichte des Kampfes um die Vergesellschaftung großen Kapitals. Auch diese Veranstalung wurde von der Koordination “Die unvollendete Revolution 1918/1919” durchgeführt.

Weiterlesen hier:

Zur Geschichte der Vergesellschaftung

Das Grundgesetz eröffnet die Möglichkeit, großes Kaptial zu vergesellschaften. In dem folgenden Video geht der Historiker Dietmar Lange auf die Geschichte des Rechts ein.

Dietmar Lange, Historiker: „Zur Geschichte des Artikel 15 Grundgesetz“ https://vimeo.com/603725097#t=25m18s

Dieser Vortrag wurde am Dienstag den 16. September 2021 auch in der Jungen Welt auf den Seiten 12/13 abgedruckt: https://www.jungewelt.de/artikel/410340.gesetzgebung-recht-auf-enteignung.html

Dokumentation der Veranstaltung

Veröffentlicht am  von Ingo Müller

WOHNKONZERNE VERGESELLSCHAFTEN!

WOHNKONZERNE VERGESELLSCHAFTEN! Veranstaltung mit Musik  |  ver.di-Haus Berlin  |  7. September 2021 
Gesamte Dokumentation  |  55 min: https://vimeo.com/603725097

Passagen:
1. Einführung von der Koordination ›Unvollendete Revolution 1918‹
https://vimeo.com/603725097
2. Jonas Becker, Stand der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
https://vimeo.com/603725097#t=2m42s
3. Frank Wolf, Landesbezirksleiter ver.di                                                                    https://vimeo.com/603725097#t=10m44s
4. Sabine Kördel, Ortsvorstand IG Metall Berlin       
 https://vimeo.com/603725097#t=14m00s
5. Dietmar Lange, Historiker: „Zur Geschichte des Artikel 15 Grundgesetz“ https://vimeo.com/603725097#t=25m18s
6. Diskussion:                                                                                                                                                          https://vimeo.com/603725097#t=37m25s


Es gab einmal eine Zeit, die mit dem Ziel der Vergesellschaftung von Konzernen große Hoffnungen verband, so weitgehend und allgemein tragfähig, dass sie in der damaligen Weimarer Verfassung (1919) niedergeschrieben wurde. Nicht zufällig im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, so dass diese Forderung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Mai 1949) übernommen wurde. Damit war mehr gemeint, als Enteignungen von Privatgrundstücken für den Bau von Autobahnen vorzunehmen: Es ging um die Vergesellschaftung des großen Kapitals, allen voran der Schwerindustrie, die eine große Verantwortung für diese Kriege hatte. Gegenwärtig lebt die Forderung nach Vergesellschaftung vor allem wieder auf, wenn es um die Daseinsvorsorge geht, die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse, von denen das Recht auf bezahlbares Wohnen (neben Gesundheit, kommunale Versorgung mit Energie und Wasser) ein zentrales Moment darstellt …

Musik  |  The Incredible Herrengedeck

Moderation  |  Marianne Dallmer und Manfred Birkhahn

Veranstalter  |  Koordination ›Unvollendete Revolution 1918‹ / 1918unvollendet@gmx.de / www.1918unvollendet.org

Dokumentation  |  www.zweischritte.berlin 2021

„Rührei-Theorie“

„Ein verdorbenes Ei verdirbt den ganzen Brei“ – ein Begriff aus dem Arbeitskampfrecht. Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Auffassung, dass schon ein unzulässiges Streikziel einen ganzen Strek unzulässig macht, siehe Randnummer 162 in: BAG vom 26.07.2016 – 1 AZR 160/14.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vertritt zumindest teilweise eine andere Auffassung, siehe „HRVATSKI Lijecnicki Sindikat (HLS) / Kroatien“ (EGMR [I. Sektion] 27. November 2014 – 36701/09 – AuR 2015, 146).

Das Bundesarbeitsgericht meint, dass auf den Fall, den es zu entscheiden hatte, das Urteil des Europäischen Gerichthofs nicht anwendbar sei, siehe dazu Rn. 187 in: BAG vom 26.07.2016 – 1 AZR 160/14. Dort wird auch Klaus Lörcher zitiert, der meint, dass mit der Entscheidung des EGMR die Rührei-Theorie nicht mehr zu halten ist (Lörcher AuR 2015, 126, 129).

Der Streit ist bisher nicht geklärt.

Welche Möglichkeiten zur Vergesellschaftung eröffnet das Grundgesetz?

Maria Metzke || Richterin b. LAG a.D.


Regelungen zur Enteignung gab es schon im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 und im Kaiserreich. Zur Anwendung kamen sie vor allem beim Ausbau der Verkehrswege – Eisenbahn, Schiffahrtskanäle, Fernstraßenbau – im Zuge der Industrialisierung. Nach der Revolution von 1918 wurde in der Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 nicht nur die Enteignung in Art. 153 Abs. 2 neu geregelt, sondern darüber hinaus die Möglichkeit der „Überführung für die Vergesellschaftung geeigneter privater wirtschaftlicher Unternehmungen in Gemeineigentum“ eröffnet, Art. 156 Satz 1 WRV. Aus den Beratungen des parlamentarischen Rates ist erkennbar, dass man sich bei der Abfassung der entsprechenden Regelungen in Art. 14 Abs. 3 und Art. 15 GG weitgehend an diesen Bestimmungen orientieren, jedoch auch die Erfahrungen der Weimarer Zeit berücksichtigen wollte. In der damaligen Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde nämlich nur eine Entschädigung zum vollen Verkehrswert als „angemessen“ angesehen. Dies machte damals wesentliche Änderungen der Wirtschaftsverfassung unmöglich.


Enteignung nach Artikel 14 Grundgesetz


Das Grundgesetz regelt in Art. 14 Abs. 3 Satz 1, dass eine Enteignung, d.h. die vollständige oder teilweise Entziehung des in Art. 14 Abs. 1 geschützten und nach Art. 14 Abs. 2 sozial gebundenen Eigentums nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig ist. Sie ist beschränkt auf Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll [1]Beschluss des BVerfG vom 22.5.2001, BVerfGE 104,1, „Baulandumlegung“. Eine Enteignung kann laut Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG nur durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Diese sog. „Junktimsklausel“ schützt einerseits den von der Enteignung betroffenen Eigentümer, weil sie ihm für den Eigentumsverlust eine Entschädigung zusichert. Andererseits soll sie den Gesetzgeber, der auch für den Staatshaushalt zuständig ist, vor unvorhersehbaren Ausgaben bewahren.
Die Enteignung durch Gesetz, die sog. Legalenteignung, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [2]Urteil vom 18.12.1968 zum Hamburger Deichordnungsgesetz BVerfGE 24, 367 nur in eng begrenzten Fällen zulässig. Regelfall ist die Enteignung auf der Grundlage eines Gesetzes durch Verwaltungsakt, die sog. Administrativenteignung. Die Enteignung ist ferner an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden [3]BVerfGE 24, 367, 404. Sie muss demnach geeignet, erforderlich und das mildeste Mittel zur Erreichung des mit ihr beabsichtigten Zwecks sein.


Entschädigung ist eine Abwägung


Die Entschädigung ist nach Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 Grundgesetz unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Der Gesetzgeber hat dabei „wie es die Gerechtigkeit fordert, einen freien Spielraum von einer bloßen nominellen bis zur vollen Entschädigung“ [4]so jedenfalls v. Mangoldt im Schriftlichen Bericht des Parlamentarischen Rates zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 12, zitiert nach Wieland, in Dreier, GG, 2. Aufl., … Continue reading. Er ist nicht auf eine Verkehrswert-entschädigung festgelegt. Ist z.B. der Wert des Enteignungsgegenstandes ohne eigene Leistung des Eigentümers gestiegen, etwa aufgrund der Bauplanung oder durch Spekulationsgewinne, kann dies bei der Bemessung der Entschädigung ebenso – durch Abzug – berücksichtigt werden wie eine besondere Sozialbindung dieses Enteignungs-gegenstandes. Zugunsten des Betroffenen fällt demgegenüber eine besondere Bedeutung des Enteignungsgegenstandes für seine persönliche Entfaltung ins Gewicht [5]Wieland, aaO, Rn. 116, 117. Insoweit gibt es aber viel Streit in der Kommentarliteratur um die Reichweite des Spielraums des Gesetzgebers. Schließlich ist in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG wegen der Höhe der Entschädigung ausdrücklich der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, wobei jedoch die Verwaltungsgerichte zuständig sind für den primären Rechtsschutz gegen Administrativenteignungen. Man spricht insoweit von einer Doppelgleisigkeit des Rechtswegs.


Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz


Während Art. 4 Abs. 3 GG die Individualenteignung im Interesse der Allgemeinheit regelt, geht es in Art. 15 GG um Sozialisierung, also um die Möglichkeit des Gesetzgebers zu einer Umgestaltung der Wirtschaftsordnung. Gemeint ist der Übergang von einer auf private Gewinnerzielung gerichteten in eine gemeinnützige Form des Wirtschaftens. Ziel ist die Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft. Art. 15 GG enthält allerdings nur eine Ermächtigung, nicht jedoch einen Verfassungsauftrag zur Sozialisierung, und verhindert deshalb auch nicht die Privatisierung von Staatsunternehmen [6]Urteil des BVerfG vom 17.5.1961, BVerfGE 12, 363 f., „VW-Privatisierung“.


Die Ermächtigung des Gesetzgebers ist begrenzt durch den Katalog der sozialisierungs­fähigen Güter und das Sozialisierungsziel. Ob eine Sozialisierung darüber hinaus auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen muss, ist umstritten. Sie muss aber jedenfalls die grundrechtliche Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) von Eigentum – Art. 14 GG – und Berufsfreiheit – Art. 12 GG – beachten und darf deshalb die Möglichkeit privater Wirtschaftstätigkeit nicht vollständig beseitigen [7]so Bryde, in: v.Münch/Kunig, 6. Aufl. 2012, Rn. 10 zu Art. 15. Die Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft beinhaltet mit dem Oberbegriff der Gemeinwirtschaft eine Abgrenzung zur privaten Gewinnorientierung und Ausrichtung an der gesellschaftlichen Bedarfsdeckung bzw. der Verfolgung sonstiger Gemeinwohlziele [8]Bryde, aaO, Rn. 11. Sozialisierung ist nicht deckungsgleich mit Verstaatlichung, auch andere öffentlich-rechtliche Träger wie Gemeinden oder Selbstverwaltungskörperschaften kommen für die Überführung in Gemeineigentum in Betracht [9]Bryde, aaO, Rn. 12. Die Erreichung des Sozialisierungsziels ist auf Dauer zu sichern [10]Bryde, aaO, Rn. 15. Gegenstände einer möglichen Sozialisierung sind zunächst „Grund und Boden“, d.h. Grundstücke nebst Zubehör und „Naturschätze“, d.h. Bodenschätze und Naturkräfte, z.B. Wasserkraft. Umstritten ist der Begriff „Produktionsmittel“. Die herrschende Lehre beschränkt diesen Begriff auf Mittel, die der Herstellung von Gütern dienen, was insbesondere Handel, Banken, Versicherungen und Verkehrsbetriebe ausschließt. Nach der Entstehungsgeschichte und dem Zweck von Art. 15 GG, eine gemeinwirtschaftliche Umgestaltung zu ermöglichen, ist es jedoch nicht plausibel, dass gerade diese wesentlichen Wirtschaftssektoren von der Sozialisierungsermächtigung nicht erfasst sein sollen. „Produktionsmittel“ meint daher alle Wirtschaftsunternehmen, mit Ausnahme von kleinbäuerlichen und Handwerksbetrieben [11]so Bryde, aaO, Rn. 18, 19 zu Art. 15 GG. Auch die Sozialisierung erfordert ein Parlamentsgesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, wobei Art. 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 für die Entschädigung entsprechend gilt.


Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral


Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Urteil vom 1.7.1954 zum Investitionshilfegesetz [12]BVerfGE 4,7 ausgeführt, dass das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral ist und sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Weiter heißt es in dieser Entscheidung: „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein
mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.“ Auf die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes bezieht sich Bundesverfassungsgericht auch im Urteil vom 1.3.1979 zum Mitbestimmungs-gesetz 1976 [13]BVerfGE 50, 290 und führt dort aus: „Der Gesetzgeber darf jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet. Ihm kommt eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu.“


Aus dem Stenographischen Bericht des Parlamentarischen Rates [14]S. 205, zitiert nach Wieland, aaO, Rn. 10 zu Art. 15 geht hervor, dass die Sozialdemokratie damals beabsichtigte, alsbald nach dem Zusammentritt des Ersten Bundestages durch entsprechende Gesetzentwürfe an das große Werk der Sozialisierung heranzugehen. Daraus ist offenbar nichts geworden. Die in den ersten Jahren der Bundesrepublik von der SPD erhobene Forderung nach Verstaatlichung aller Grundstoffindustrien wurde spätestens durch das Godesberger Programm 1959 mit seinem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft aufgegeben. Versuche der Gewerkschaften, mit eigenen Unternehmen die Marktwirtschaft um eine gemeinwirtschaftliche Komponente zu ergänzen, scheiterten letztlich.


Von der vom Grundgesetz eröffneten Sozialisierungsoption wurde von den herrschenden politischen Kräften bisher kein Gebrauch gemacht. Der wirtschaftliche und politische Zusammenbruch der DDR hat zudem dafür gesorgt, dass derartige Forderungen auch in der jüngeren Vergangenheit nicht erhoben wurden. Art. 15 GG ist aber auch durch den Einigungsvertrag nicht berührt und gilt durch den Beitritt auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Als ein die staatliche Übernahme von Banken in größerem Umfang ermöglichendes Gesetz wäre allenfalls noch das Rettungsübernahmegesetz vom 4.7.2009 zu nennen, in dessen Folge es allerdings nicht zur Bankenenteignung kam, weil der Bund damals die Hypo Real Estate durch Anteilsübernahme auch ohne Enteignung vollständig übernehmen konnte.


Es kommt auf den politischen Willen an


Der Gesetzgeber ist aber nach Art. 15 GG weiterhin zu Vergesellschaftungen in der Lage, so er es denn politisch will. Politisch, aber auch juristisch spannend dürfte deshalb Ausgang und mögliche Umsetzung des angekündigten Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sein, das ausdrücklich auf Art. 15 GG gestützt wird. Problematisch dürfte auch hier neben der strittigen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor allem die Höhe der Entschädigung sein. In einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 29.1.2019 – im Internet erhältlich – sind die juristischen Streitfragen im Hinblick auf die „Vergesellschaftung eines privat-wirtschaftlichen Wohnungsunternehmens“ näher ausgeführt.

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung dem Buch entnommen: Dokumetation des Symposiums „Die unvollendete Revolution 1918/1919“ Juni 2019, S. 67 ff


Der Historiker Dietmar Lange zur Geschichte des Kampfes um Vergesellschaftung hier lesen:

References

References
1 Beschluss des BVerfG vom 22.5.2001, BVerfGE 104,1, „Baulandumlegung“
2 Urteil vom 18.12.1968 zum Hamburger Deichordnungsgesetz BVerfGE 24, 367
3 BVerfGE 24, 367, 404
4 so jedenfalls v. Mangoldt im Schriftlichen Bericht des Parlamentarischen Rates zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, S. 12, zitiert nach Wieland, in Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 14, Rn. 13
5 Wieland, aaO, Rn. 116, 117
6 Urteil des BVerfG vom 17.5.1961, BVerfGE 12, 363 f., „VW-Privatisierung“
7 so Bryde, in: v.Münch/Kunig, 6. Aufl. 2012, Rn. 10 zu Art. 15
8 Bryde, aaO, Rn. 11
9 Bryde, aaO, Rn. 12
10 Bryde, aaO, Rn. 15
11 so Bryde, aaO, Rn. 18, 19 zu Art. 15 GG
12 BVerfGE 4,7
13 BVerfGE 50, 290
14 S. 205, zitiert nach Wieland, aaO, Rn. 10 zu Art. 15

Reichsrätekongress

Vom 16. bis 21. Dezember 1918 tagte im Abgeordnetenhaus zu Berlin der erste Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands. Im Folgenden die drei wichtigsten Beschlüsse dieses Kongresses:

1. Beschluss

(am 3. Sitzungstag zur Führung in Heer und Marine: Die ‚sieben Hamburger Punkte‘):

  1. Die Kommandogewalt über Heer und Marine üben die Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats aus.
  2. Als Symbol der Zertrümmerung des Militarismus und der Abschaffung des Kadavergehorsams werden die Entfernung aller Rangabzeichen und das Verbot des außerdienstlichen Waffentragens angeordnet.
  3. Für die Zuverlässigkeit der Truppenteile und für die Aufrechterhaltung der Disziplin sind die Soldatenräte verantwortlich. Der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte ist der Überzeugung dass die unterstellten Truppen den selbstgewählten Soldatenräten und Vorgesetzten im Dienst zur Durchführung der Ziele der sozialistischen Revolution unbedingt erforderlichen Gehorsam erweisen. Vorgesetzte außer Dienst gibt es nicht mehr.
  4. Entfernung der bisherigen Achselstücke, Unteroffizierstresse usw., Kokarden, Achselklappen und Seitengewehre ist ausschließlich Angelegenheit der Soldatenräte und nicht einzelner Personen. Ausschreitungen schädigen das Ansehen der Revolution und sind zur Zeit der Heimkehr unserer Truppen unangebracht. Der Kongress verlangt Abschaffung aller Orden und Ehrenzeichen und des Adels.
  5. Die Soldaten wählen ihre Führer selbst. Frühere Offiziere, die das Vertrauen der Mehrheit ihres Truppenteils genießen, dürfen wiedergewählt  werden.
  6. Offiziere der militärischen Verwaltungsbehörden und Beamte im Offiziersrange können im Interesse der Demobilisation in  ihren Stellungen zu belassen werden, wenn sie erklären, nichts gegen die Revolution zu unternehmen.
  7. Die Abschaffung des stehenden Heeres und die Errichtung der  Volkswehr sind zu beschleunigen.

Beachte: Aus dem Stenograpfischen Bericht des 1. Reichsrätekongresses (S.95 Sp. 190) ergibt sich, dass nicht über den Antrag Lüdemann abgestimmt wurde, der aber im Stenographischen Bericht als angenommener Antrag abgedruckt ist (S. 181) , sondern  über den Antrag einer freigebildeten Kommission, den diese auf der Grundlage des Antrags Lüdemann (S. 70 Sp. 140) formuliert hatte  und der durch Haase begründet wurde (S. 90 f Sp. 180 f.). Daraus ergibt sich, dass es in Ziffer 3 „Führern“ statt „Vorgesetzten“ heißen muss und es in Ziffer 6 statt „sind  … zu belassen“ heißen muss „können … belassen werden“ (so auch Müller S. 434).

Im Stenographischen Bericht (S. 181) ist auch irreführend Ziffer 8 des Antrags Lüdemann aufgenommen, wobei dann  vermerkt wird, dass Punkt 8. zurückgenommen wurde. Ziffer 8 lautete: „Vorstehende Sätze sind Richtlinien. Die endgültigen Ausführungsbestimmungen werden von den 6 Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats und im Einvernehmen mit den Soldatenräten von Heer und Marine festgesetzt“. Dieser Punkt 8 war in dem zur Abstimmung gestellten Antrag der freigebildeten Kommission nicht mehr enthalten. Auf Empfehlung der freigebildeten Kommission wurde beschlossen, in Ziffer 1 hinter „Marine“ einzufügen: „und Schutztruppen“. Zudem wurde auf Empfehlung dieser Kommission ergänzend beschlossen: „1. In den Garnisonen wird die militärische Kommandogewalt im ständigen Einvernehmen mit der obersten Kommandogewalt von den örtlichen Arbeiter- und Soldatenräten ausgeübt. 2. Militärische Angelegenheiten, die allen Garnisonen gemeinsam sind, werden von den Trägern der obersten Kommandogewalt im Verein mit einem Delegiertenrat der Garnisonen erledigt„. (siehe Stenogr. Bericht S. 181, wo auf Sp. 346 verwiesen wird) ))


Dazu das Telegramm Hindenburgs an die Armeeoberkommandos vom 19.12.1918:

Ich erkenne die von dem Zentralrat der A.- und S.-Räte vom 18.12.18 in Berlin gefassten Beschlüsse betreffend Vereinbarungen im Heerwesen, insbesondere in der Stellung von Offizier und Unteroffizier, nicht an

Ich bin der Auffassung, dass ein solch tief in das Leben der Nation einschneidende Veränderung nicht von einer einseitigen Ständevertretung, sondern nur von der durch das ganze Volk berufenen Nationalversammlung getroffen werden kann.

Das Heer steht nach wie vor loyal zur Regierung Ebert und erwartet von dieser, dass sie die von ihr gegebene Zusage über den Bestand des Heeres  und Richtlinien über die Befugnisse er Vertrauensräte des Heeres weiter als maßgebend anerkennt und dadurch dem Offiziers- und Unteroffizierskorps ermöglicht, weiter Dienst zu tun.

Ich bin in diesem Sinnen bei der Regierung vorstellig geworden. Es bleibt daher bei den bisher gegebenen Befehlen. [1]Groener Lebenserinnerungen S. 471 (zitiert nach Gerhard A. Ritter, Susanne Miller Die deutsche Revolution1918/19 s. 144 ff)

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2. Beschluss

(am 4. Sitzungstag zur Wahl für eine  konstituierende Nationalversammlung am 19. Januar 1919)

Die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung finden am Sonntag, den 19. Januar 1919, statt. [2]zitiert nach: Herausgeber und Verleger: Zentralrat der sozialistischen Republik Deutschlands, Berlin, Herrenhaus, Allgemeiner Kongress der Arbeiter-und Soldatenräte Deutschlands vom 16. bis 21. … Continue reading

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3. Beschluss

(am 5. Sitzungstag zur Sozialisierung):

„Vorsitzender Leinert: Wir kommen zur Abstimmung.

Ich werde in der Weise abstimmen lassen, dass ich zunächst über den Antrag Lüdemann und Severing  abstimmen lasse, der lautet:

Der Kongress der Arbeiter-und Soldatenräte beauftragt die Regierung, mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen.

Wird der Antrag angenommen, dann ist der Antrag Geyer im ersten Teil erledigt. Der zweite Teil und ein Antrag, eine Entschließung anzunehmen, die sich auf die Heimstätten bezieht, sollte dann der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen werden.

Ich bitte diejenigen, die den Antrag Lüdemann und Severing, den ich verlesen habe, zustimmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht). Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.  (Rufe: Gegenprobe!). Wenn ich sehe, dass noch einige sitzen, genügt es doch vollkommen, zu sagen, dass der Antrag gegen einige Stimmen angenommen ist. (Zurufe: Uns interessiert zu wissen, wer dagegen gestimmt hat!) Ich bitte also diejenigen, sich zu erheben, die gegen den Antrag stimmen wollen. (Rufe: Einstimmig!) Sie können doch dadurch, dass diejenigen, die dagegen stimmen, sitzen geblieben sind, nicht erklären, dass der Antrag einstimmig angenommen wäre. Wenn die Herren dafür stimmen wollten, hätten sie aufstehen können.

Damit ist der erste Absatz der Resolution Geyer und Genossen erledigt. Wir kommen zum zweiten Absatz dieses Antrags

Bis zu deren Durchführung wird für alle Bergleute ein Mindestlohn gesetzlich festgelegt. Die Arbeitszeit darf von Beginn der Einfuhr bis zur Beendigung der Ausfuhr 8 Stunden täglich nicht überschreiten.[3]Dieser zweite Absatz der Resolution Geyer und Genossen und der Heimstättenantrag wurden an die „Regierung zur Berücksichtigung“  überwiesen; zitiert nach: Herausgeber und Verleger: … Continue reading

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References

References
1 Groener Lebenserinnerungen S. 471 (zitiert nach Gerhard A. Ritter, Susanne Miller Die deutsche Revolution1918/19 s. 144 ff)
2 zitiert nach: Herausgeber und Verleger: Zentralrat der sozialistischen Republik Deutschlands, Berlin, Herrenhaus, Allgemeiner Kongress der Arbeiter-und Soldatenräte Deutschlands vom 16. bis 21. Dezember 1918 im Abgeordnetenhaus zu Berlin  Stenograpfischer Bericht S. 141 Sp.282
3 Dieser zweite Absatz der Resolution Geyer und Genossen und der Heimstättenantrag wurden an die „Regierung zur Berücksichtigung“  überwiesen; zitiert nach: Herausgeber und Verleger: Zentralrat der sozialistischen Republik Deutschlands, Berlin, Herrenhaus, Allgemeiner Kongress der Arbeiter-und Soldatenräte Deutschlands vom 16. bis 21. Dezember 1918 im Abgeordnetenhaus zu Berlin  Stenograpfischer Bericht S. 172 Sp.344