Kundgebung S Bahn Berlin 19.06.2020

Ausschnitte von der Kundgebung Wir demonstrieren gegen die S-Bahn-Ausschreibung und die mögliche Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn.

Die S-Bahn geht uns alle an – Beschäftigte, Fahrgäste und das Klima!

Redebeiträge:

Jürgen Hofmann, Mitglied der AG S-Bahn bei Aufstehen Berlin,

Felix Thoma, Student und Mitglied der Bewegung Students for Future,

Andreas Grüner, Mitglied EVG Bereich Station und Service,

Elias Koenig, Mitglied LINKE Neukölln,

Rosemarie Heyer, Jahrzehnte lange Anwohnerin Bf Ostkreuz

Berlin: Eine S-Bahn für alle!

Foto: Ingo Müller

Einführung in das Thema: Keine Privatisierung der S-Bahn!

25. November 2020. Die S-Bahn wurde zu 2/3 ausgeschrieben. Damit droht die Privatisierung der S-Bahn. Die Länder Berlin und Brandenburg bieten in der Ausschreibung den Bewerbern ein Grundstück für die Errichtung einer  Werkstatt  an, es werden neue Fahrzeuge für die S-Bahn gekauft, mit denen kommunales Eigentum in einer “Landesanstalt für Schienenfahrzeuge” aufgebaut werden soll, und schließlich will das Land Berlin über eine landeseigene Beschäftigungsgesellschaft Werkstattpersonal anbieten. Alle diese Maßnahmen öffnen privaten Unternehmen die Tür zum Betrieb der S-Bahn und zur Wartung der Fahrzeuge. Muss das so sein? Warum nicht gleich alles in landeseigener Regie übernehmen, also auch den Betrieb und die Instandhaltung der landeseigenen Fahrzeuge in landeseigener Regie durchführen?

Es sei daran erinnert, dass Berlin schon einmal die S-Bahn in eigener Regie betrieben hat, und zwar vor 1989 drei Jahre lang. Es wäre möglich ein eigenes Bahn-Unternehmen in Berlin zu schaffen, eventuell auch unter Beteiligung der Deutschen Bahn. Dann kann rechtssicher auf eine Ausschreibung verzichtet werden. Nur dann wäre die Gefahr der Zerschlagung der S-Bahn gebannt. Daher müssen diejenigen, die gegen die Zerschlagung der S-Bahn sind, auch gegen ihre Ausschreibung sein. 

Wenn die Ausschreibung durchgezogen wird, wird es auf jeden Fall eine Teilprivatisierung geben. Denn selbst wenn die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommen wird, wird die Instandhaltung in den Werkstätten zum Teil ausgelagert werden. Die S-Bahn GmbH bietet in der laufenden Ausschreibung zusammen mit Siemens und Stadler. Diese Privatfirmen werden nicht nur die Fahrzeuge liefern, sondern auch auch für die schwere Instandhaltung zuständig sein, für die jetzt die Werkstätten der S-Bahn GmbH zuständig sind.     

Es wurde das Wasser privatisiert und musste dann nach einem erfolgreichen Volksentscheid wieder für viel Geld zurück gekauft werden. Dann wurden tausende Wohnungen städtischer Wohnungsbaugesellschaften privatisiert. Jetzt kämpft die Kampagne “Deutsche Wohnen & Co enteignen” um die Rückführungen dieser Wohnungen in die kommunale Hand. Müssen wir mit der Privatisierung des S-Bahn Betriebs ein drittes Mal wiederholen, was schon zwei Mal nur Schaden gebracht hat?

Inhaltsverzeichnis:

07.08.2024: Die Privatisierung der S-Bahn basiert auf Lügen

4. März 2024: Kammergericht hat entschieden – Alstom konnte sich mit 2 Rügen zur Ausschreibung durchsetzen

28.Februar 2024: Gemeinsame Presseerklärung – S-Bahn Berlin: Kommunalisierung statt fauler Kompromiss

23.Februar 2024: Gemeinsame Presseerklärung – Gericht: S-Bahn-Privatisierung verzögert und verteuert alles

14.September 2023: Brief an die neue Verkehrssenatorin und an Stefan Evers

15. August 2023: 19. Oktober 2023 läuft die Frist zur Einreichung eines verbindlichen Angebots ab

04.04.2023 Pressemitteilung: Die Bündnisse Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE sehen einen großen Widerspruch zwischen zwei Aussagen zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. 

13.02.2023 Update zu: 26.01.2023:26.01.2023: Wahlwiederholung – Briefaktion an die jeweiligen Parteien – Antworten der Parteien

16.01.2023: Unterschriftenübergabe an Senatorin Jarasch

14. August 2022: Stand der Ausschreibung der S-Bahn

Fahrplan für eine Kommunalisierung des S-Bahn

Kleine Dokumentation der Aktivitäten von „Eine S-Bahn für Alle!“ nach den Abgeordnetenhauswahlen

Rot-grün-rote Koalition will Ausschreibung nicht abbrechen.

Statement von „Eine S-Bahn für alle!“ zum Koalitionsvertrag vom 03.12.2021

Der neue Film: Eine S-Bahn für alle!

FAQ zur Ausschreibung von 2/3 der S-Bahn

Wir wissen was uns erwartet

Gewinne und Verluste der S-Bahn GmbH von 2000 bis 2019

Ausschreibung beenden! Keine Zerschlagung der S-Bahn!

Podcast zur Livesendung “Berlin und das Tafelsilber – die S-Bahn” vom 09.08.2020

Kundgebung S Bahn Berlin 19.06.2020

S-Bahn Ausschreibung: Folgen für die Arbeitskräfte


Die Privatisierung der S-Bahn basiert auf Lügen

Initiativen und Verkehrsbündnisse fordern Abbruch der Ausschreibung

Ein Artikel von Carl Waßmuth [1]

weiterlesen hier:


4. März 2024: Kammergericht hat entschieden – Alstom konnte sich mit 2 Rügen zur Ausschreibung durchsetzen

Am 4. März entschied das Berliner Kammergericht. Alsthom konnte sich mit zwei Rügen gegen die Ausschreibung der S-Bahn durchsetzen: Die Rügen in den Bereichen „Gleisanschlusskosten“ und „Zugbeeinflussungssysteme ZBS“ sah das Gericht als begründet an.

Laut Tagesspiegel wurde die Ausschreibung trotz dieser beiden Rügen nicht komplett gekippt, sonden es müssen diese Punkte der Vergaberichtlinien geändert werden.

Hier den Bericht im Tagesspiegle lesen

Selbst wenn die S-Bahn die Ausschreibung gewinnen sollte, werden Werkstätten der S-Bahn privatisiert werden; denn die S-Bahn GmbH bewirbt sich zusammen mit Siemens und Stadler und diese beiden Unternehmen fordern auch ein Stück von dem Kuchen. Wir bleiben dabei: Berlin muss die S-Bahn in eigener Regie betreiben.

Völlig unklar ist, ob nach der Vergabe nicht erneut ein Prozess droht. Das Kammergericht hat jedenfalls schon angedeutet, dass ein Prozess erfolgreich sein könnte. So schreibt die Berliner Zeitung am 9.3.2024:

„Es bleibt spannend im Streit um die Zukunft der Berliner S-Bahn. Zwar kann die Ausschreibung für zwei Drittel des Netzes nach der Entscheidung des Kammergerichts weitergehen. Doch Beobachter bezweifeln, dass in das Vergabeverfahren endlich dauerhaft Ruhe einkehrt.

Denn schon im Herbst könne ein neuer Konflikt entstehen – mit der Gefahr, dass nach mehr als vier Jahren alles von vorn losgeht. Denn die Verstöße gegen das Vergaberecht, die das Gericht als Makel kritisiert hatte, dauern an.“

Hier den Bericht in der Berliner Zeitung lesen


28.Februar 2024: Gemeinsame Presseerklärung – S-Bahn Berlin: Kommunalisierung statt fauler Kompromiss

„Vor dem Kammergericht wurde die Vergabelogik im Zuge der Verhandlung der größten Ausschreibung in Deutschland auf die Spitze getrieben. Für die Ideologie des Wettbewerbs soll möglichst Tabula rasa gemacht werden. Vorhandene Werkstätten und Gleisanschlüsse sollen negiert werden, Entschädigungen oder Abriss und Neubau würde die Bürgerinnen und Bürger Berlins mehrere hundert Millionen Euro kosten. Ähnliches gilt für die Freistellung von allen erdenklichen Risiken wie etwa beim Zugbeeinflussungssystem.“

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23.Februar 2024: Gemeinsame Presseerklärung – Gericht: S-Bahn-Privatisierung verzögert und verteuert alles

Nach einem Bericht des rbb “könnte die milliardenschwere S-Bahn-Ausschreibung der Länder Berlin und Brandenburg in Teilen gegen das Vergaberecht verstoßen”. Das habe der Vergabesenat des Kammergerichts zu Beginn der ersten Verhandlungsrunde deutlich gemacht. Das Gericht habe sich am Freitag mit Beschwerden des französischen Bahntechnik-Konzerns Alstom gegen die Ausschreibungsmodalitäten befasst. Unter anderem bemängelt der Konzern die Kriterien, nach denen eingehende Angebote bewertet werden sollen. Die Vorsitzende Richterin, Cornelia Holldorf, habe deutlich gemacht, dass das Gericht hier ebenfalls das Risiko sehe, das nicht zwingend das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhalte. Dazu veröffentlichte “Bahn für Alle” und “EINE S-Bahn für Alle” folgende Presseerklärung:

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14. September 2023: Brief an die neue Verkehrssenatorin

In den letzten Tagen hat die Initiative EINE S-Bahn für ALLE je einen Brief an die neue Verkehrssenatorin und an Stefan Evers geschrieben Beide Briefe haben wir in einem längeren Prozess diskutiert, vor allem auf den Monatstreffen von GiB, zu denen auch immer alle Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom S-Bahn-Bündnis eingeladen sind, um die Kräfte zu bündeln und keine Extratermine zu generieren.

Hier der Wortlaut der Briefe:


15. August 2023: Am 19. Oktober 2023 läuft die Frist für ein verbindliches Angebot ab

Am 15.08. 2023 berichtete der Tagesspiegel:

„Die vor knapp drei Jahren gestartete Ausschreibung für den Betrieb der Berliner S-Bahn und die Lieferung neuer Züge verzögert sich erneut. Nach Informationen des Tagesspiegels wurde die Frist zur Einreichung der „verbindlichen Angebote“ vom 27. Juli auf den 19. Oktober 2023 verschoben.

Als Grund für die neue Verschiebung nannte eine Sprecherin der Verkehrsverwaltung das „noch laufende Beschwerdeverfahrens zur aktuellen S-Bahn-Vergabe“. Trotzdem sei die Zuschlagsentscheidung „weiterhin für das erste Quartal 2024 geplant“, sagte die Sprecherin. Wie die drei Monate kompensiert werden sollen, sagte sie nicht.“.

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04.04.2023 Pressemitteilung: Die Bündnisse Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE sehen einen großen Widerspruch zwischen zwei Aussagen zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen.

„Die Garantie eines einheitlichen Betriebs der S-Bahn durch CDU und SPD ist ein riesiger Erfolg unserer Arbeit! Genau das fordern wir seit drei Jahren vehement. Gleichzeitig die Ausschreibung abzuschließen ist jedoch widersinnig, denn damit wird ja gerade die Aufspaltung betrieben.“

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13.02.2023 Update zu: 26.01.2023: Wahlwiederholung – Briefaktion an die jeweiligen ParteienAntworten der Parteien

Liebe Freundinnen und Freunde von Bahn für Alle, Gemeingut und EINE S-Bahn für ALLE,

wir brauchen Ihre aktive Mithilfe! In Berlin und Brandenburg sollen große Anteile des Nahverkehrs unter den Hammer kommen: die Berliner S-Bahn. Pro Jahr befördert sie mehr als 300 Millionen Fahrgäste, das sind dreimal so viele wie die Deutschen Bahn jährlich mit der gesamten ICE-Flotte befördert. In den meisten Bundesländern wurden S-Bahn- und Regionalverkehr längst zerschlagen und separat ausgeschrieben: Die Berliner S-Bahn fährt in einem unabhängigen Netz und blieb verschont.

In Berlin wird die Wahl wiederholt. Schreiben Sie E-Mails an die Verantwortlichen der politischen Parteien! Die Ausschreibung muss abgebrochen und die S-Bahn geschützt werden.

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Inzwischen sind drei Antworten eingegangen, von der Senatskanzlei (ohne Nennung des namens von Senatschefin Franziska Giffey), Klaus Lederer für die Partei DIE LINKE und Kai Wegner, CDU

Wir dokumentieren die Antworten und geben Argumente an, die zeigen, dass diese Antworten eher Pseudoantworten sind und die eigentliche Aussage daher noch aussteht. Die bausteine dürfen und sollen gerne für weiteren Schriftverkehr verwendet werden!

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16.01.2023: Unterschriftenübergabe an Senatorin Jarasch

Aktive der “Bündnisse Bahn für Alle” und “Eine S-Bahn für Alle” sowie von “Gemeingut in BürgerInnenhand“haben Heute eine Unterschriftensammlung, mit über 10.000 Unterschriften, gegen die Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn an die Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Bettina Jarasch übergeben.

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14. August 2022: Stand der Ausschreibung der S-Bahn

Jörn Hasselmann berichtete am 14. August 2022 im Tagesspiegel, dass es nur noch einen Bewerber für den Betrieb der S-Bahn gebe: Die S-Bahn GmbH, die schon jetzt die S-Bahn betreibt.

Ausgeschrieben wurde der Betrieb von 2/3 des S-Bahn Netzes. Benötigt würden außerdem für die elf Linien der Nord-Süd und Ost-West Strecken 1.308 bis 2.160 Züge.

Die S-Bahn GmbH und das Konsortium Siemens/Stadler bieten gemeinsam sowohl den Betrieb der ausgeschriebenen S-Bahnstrecken als auch den Bau der neuen Züge an, die ebenfalls ausgeschrieben wurden.

Als weiterer Bewerber bietet Alsthom nur den Bau der ausgeschriebenen Züge an.

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Fahrplan für eine Kommunalisierung des S-Bahn

10. Februar 2022 In der Koalitionsvereinbarung, auf deren Grundlage der derzeitigen Senat arbeitet, heißt es unter anderem zur S-Bahn: „

Die Koalition verfolgt unabhängig von der Ausschreibung das Ziel einer Kommunalisierung der S-Bahn. Sie tritt in zügige Verhandlungen mit dem Bund und der Deutschen Bahn zum Kauf der S-Bahn ein und entwickelt bis Herbst 2022 einen Fahrplan zum Aufbau eines eigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU)“.

Wir hatten schon dazu Stellung genommen. Auch das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ hatte schon dazu Stellung genommen.

Wenn dieser Fahrplan bis Herbst 2022 entwickelt werden soll, so ist nicht nur wichtig, dass die Kommunalisierung nicht auf den Sankt Nimmerleistag verschoben wird, sondern in jedem Fall auch, dass zumindestens ein wichtiger Eckpfeiler zur Ausgestaltung der kommunale EVU eingezogen wird.

Das sit die folgende Festlegung:

„Schon zum Beginn ihres Aufbaus wird eine kommunale EVU die Bindung an alle Tarifverträge, die für die S-Bahn GmbH gelten, mit der EVG und GdL vereinbaren, gegebenfalls verbunden mit dem Beitritt zu dem tarifschließenden Arbeitgeberverband“.

Das ist wichtig, damit die Beschäftigten wissen, dass bei einer Kommunalisierung ihre erkämpften Rechte nicht angegriffen werden.


Kleine Dokumentation der Aktivitäten des S-Bahn Bündnisses „Eine S-Bahn für Alle!“

Hier eine kleine Dokumentation des S-Bahn-Bündisses „Eine S-Bahn für Alle“ nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus:

25.01.2022 | Interview-Video S-Bahn-Privatisierung in Berlin „99 ZU EINS“: Janek Neuendorf spricht im Interview bei „99zueins“ über die Pläne von #RGR zur Privatisierung & Zerschlagung der S-Bahn.

20.01.2022 |Video mit Jorinde Schulz zu Privatisierungsplänen bei der S-Bahn: Unsere Aktive Jorinde Schulz hat mit der Hellen Panke über die aktuelle S-Bahn-Ausschreibung gesprochen und am Fall der Abellio-Pleite die Desaster des Wettbewerbs auf der Schiene erläutert.

15.12.2021 | Radiosendung Wir holen uns den Kiez zurück: „Eine S-Bahn für alle – Zerschlagung der S-Bahn verhindern, … #113“, im Interview Janek Neuendorf

03.12.2021 | Statement zum Koalitionsvertrag: „Kommunalisierung der S-Bahn gibt es nur mit Abbruch der Ausschreibung alles andere ist Täuschung!“

23.11.2021 | Public Climate School: Film- und Diskussionsabend zur Berliner S-Bahn: Aufführung des Films „EINE S-BAHN FÜR ALLE“ mit anschließender Diskussion an der Humboldt-Universität Berlin im Rahmen der Public Cilmate School.

02.11.2021 | Aktion und Pressemitteilung „S-Bahn-Ausschreibung stoppen und S-Bahn neu denken“. Vertreter*innen des Aktionsbündnisses EINE S-Bahn für ALLE versammelten sich vor dem Sitz des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, um dem VBB Klaus Gietingers S-Bahn-Dokumentation zu überreichen. Mit der Übergabe verbanden die Aktivist*innen die Forderung, die laufende Ausschreibung sofort zu stoppen. Der VBB verweigerte die Entgegennahme der Filmschachtel.

20.11.2021 | Film- und Diskussionsabend zur Berliner S-Bahn: Kinoaufführung des Films „EINE S-BAHN FÜR ALLE“ mit anschließender Diskussion. Veranstaltung in Kooperation mit dem Berliner Regenbogenkino und der Regenbogenfabrik.

29.10.2021 | Offener Brief an die Parteien in den aktuellen Koalitionsverhandlungen: „Berliner S-Bahn retten, Ausschreibung abbrechen, Kommunalisierung einleiten!“

19.10.2021 | S-Bahn-Film an Landesvorsitzende der Berliner Linken übergeben: Am 19. Oktober tagte die Berliner Linke, um über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu beratschlagen. VertreterInnen des Aktionsbündisses übergaben Katina Schubert die Filmdokumentation gegen die S-Bahn-Privatisierung.


Rot-grün-rote Koalition will Ausschreibung nicht abbrechen

29. November 2021. Benedikt Hopmann

Jetzt wissen wir es genau. Die rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung will die laufende Aussschreibung des S-Bahn Betriebes nicht abbrechen, sondern abschließen. Was bedeutet diese Entscheidung?

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Statement von „Eine S-Bahn für alle!“ zum Berliner Koalitionsvertrag, vom 03.12.2021

Kommunalisierung der Berliner S-Bahn gibt es nur mit Abbruch der Ausschreibung – alles andere ist Täuschung!

Offener Brief an die Parteien in den aktuellen Koalitionsverhandlungen

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Der neue Film: Eine S-Bahn für alle!

9. Oktober 2021. Hier der link zum neuen Film „Eine S-Bahn für alle!“: https://bahn-fuer-alle.de/modul-1-des-klimabahn-films-erschienen-eine-s-bahn-fuer-alle/.

 


FAQ zur Ausschreibung von 2/3 der S-Bahn

Hier sind die häufig gestellten Fragen zur Ausschreibung von 2/3 der S-Bahn aufgelistet: Zu jeder Frage wird eine kurze zusammenfassende Antwort gegeben (rot). Wer genauer Bescheid wissen will, kann danach zu jeder Antwort auf “im Einzelnen” klicken und bekommt eine ausführliche Antwort.

Hier die häufig gestellten Fragen mit den Antworten:


Wir wissen was uns erwartet

Schon bisherige Privatisierungsschritte waren folgenschwer.

August 2021 Benedikt Hopmann Es ist jetzt gut zehn Jahre her: Wir standen auf den Bahnsteigen und warteten. Manchmal kam eine S‐Bahn nach einer halben, manch­mal nach einer Stunde. Und manchmal kam sie gar nicht. Es war Winter, die Bahn­steige waren überfüllt, und wir klapperten mit den Zähnen. Das ging wochenlang so.
»Da sieht man es doch. Die öffentliche Hand kann es nicht«, schimpften diejenigen, die es schon immer besser wussten und das Wasser, die Gesundheitsversorgung und die S‐Bahn lieber heute als morgen privatisieren möchten.

Die S-Bahn Berlin GmbH gehört zu 100 Prozent der Deutschen Bahn AG (DB AG), und die Deutsche Bahn AG gehört zu 100 Prozent dem Staat. War das Desaster Ende der 2000er Jahre der Beweis dafür, dass die S-Bahn ausgeschrieben werden muss, damit sie besser wird?

Als GmbH muss die S-Bahn ihr Ergebnis, also Gewinn oder Verlust, jähr­lich veröffentlichen. Am 17. Juni 2020 legte das Verkehrsministerium den Bundestags-abgeordneten auf einer Sitzung des Verkehrsausschusses die Ergebnisse der Gewinn- und Ver­lust­rechnungen der S-Bahn Berlin GmbH aus den Jahren 2000 bis 2019 vor:

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Gewinne und Verlust der S-Bahn

Haben wir alle schon das Desaster im Jahr 2009 vergessen? Um die Deutsche Bahn AG börsenfähig zu machen, wurde die S-Bahn GmbH gezwungen, die Gewinne von 2006 bis 2008 die Gewinnabführungen an die Deutsche Bahn AG massiv zu erhöhen – durch Kosteneinsparungen beim Personal. Die katastrophalen Folgen waren ab 2009 zu besichtigen. Die Privatisierungsvorbereitungen wurden abgebrochen. Warum die S-Bahn privatisieren, wenn schon 2009 die Vorbereitung der Privatisierung der Deutschen Bahn AG die schlimmsten Folgen hatte?


Ausschreibung beenden! Keine Zerschlagung der S-Bahn!

Zur Veröffentlichung der Ausschreibung der S-Bahn im EU-Amtsblatt am 7. August 2020

Nur wenn auf eine Ausschreibung verzichtet wird, kann gesichert werden, dass niemand der S-Bahn Beschäftigten seinen Arbeitsplatz verliert. Nur wenn auf die Ausschreibung verzichtet wird, ist sicher, dass die bestehende Tarifbindung erhalten bleibt. Nur bei einem Verzicht auf eine Ausschreibung bleiben für alle Tätigkeiten der S-Bahn Beschäftigten die Arbeitsbedingungen (z.B. DemographieTV, Arbeitszeiten, Ruhezeiten usw.) voll erhalten bleiben, die in den letzten Jahren von den Gewerkschaften erkämpften wurden.

Und – nicht zu vergessen – Privatisierung führt zu Arbeitsverdichtung. Das ist eine der bevorzugten Methoden, um die Gewinne in die Höhe zu treiben und trifft alle. Das Jahr 2009 lieferte einen drastischen Beweis. Um zur Vorbereitung der Privatisierung hohe Gewinne zu erzeugen, wurden derart viele Arbeitsplätze nicht mehr besetzt, , dass dies nicht nur für alle Beschäftigten zu einer enormen Belastung, sondern 2009 auch zu einem Desaster für alle S-Bahn-Nutzer führte.

Es steht zu viel auf dem  Spiel. Gleichzeitig bestehen Möglichkeiten einer Gegenwehr, wie es sie nicht alle Tage gibt. Für die Gewerkschaften besteht die Chance, sich dadurch stärker zu machen, dass sie nicht nur unmittelbar für ihre eigenen Interessen kämpfen, sondern ihre Interessen mit dem großen Interesse der Berliner Bevölkerung an einem Erhalt der S-Bahn  verbinden. Wird aus diesen gemeinsamen Interessen ein gemeinsamer Kampf, dann kann das eine erhebliche Sprengkraft entwickeln. Daher sehe ich auch jetzt, da die Ausschreibung veröffentlicht ist, immer noch die Möglichkeit, eine Zerschlagung der S-Bahn zu verhindern.

Man sagt manchmal: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Gegenüber dem Schrecken ohne Ende, der uns nach einer Privatisierung und Zerschlagung erwartet, ist das Ende der der Ausschreibung ein ziemlich harmloser Schrecken.

Wir sollten glaubwürdig bleiben. Wir können nicht einerseits den Öffentlichen Personennahverkehr als einen zentralen Hebel für ein umweltfreundlicheres Leben beschwören und andererseits die S-Bahn-Ausschreibung stillschweigend hinnehmen. Wir sollten nicht die Tür für ihre Privatisierung und Zerschlagung öffnen. Es wäre kein Fortschritt, wenn die erheblichen Gewinne, die in den letzten Jahren an die Deutsche Bahn abgeführt wurden, zukünftig an private Betreiber gehen.

vollständigen Text hier lesen:


Podcast zur Livesendung “Berlin und das Tafelsilber – die S-Bahn” vom 09.08.2020

Bild: Ingo Müller

Über Aussichten und Befürchtungen der Privatisierung der S-Bahn, sprachen wir am
9. August von 16 bis 18 Uhr, live in “Speiches Rock- und Blueskneipe”. Die Sendung wurde über rockradio.de live übertragen.

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Kundgebung S Bahn Berlin 19.06.2020

Foto: Ingo Müller

Ausschnitte von der Kundgebung „Wir demonstrieren gegen die S-Bahn-Ausschreibung und die mögliche Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn“.

Am 19.06.2020 am S-Bahnhof Ostkreuz

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S-Bahn Ausschreibung: Folgen für die Arbeitskräfte

 

S-Bahn Ausschreibung: Folgen für die Arbeitskräfte

Die Länder Berlin und Brandenburg planen eine Ausschreibung von Betrieb und Wartung der S-Bahn-Netzteile Nord-Süd und Stadtbahn. Welche Folgen hat das für die Arbeitskräfte? Werden alle Arbeitskräfte übernommen, wenn ein neuer Betreiber den Zuschlag bekommt? Ein neuer Betreiber muss nicht an Tarifverträge gebunden sein, schon gar nicht an die Tarifverträge, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist. Was bedeutet Tariftreue, die ein neuer Betreiber einhalten muss? Der Vortrag gibt am Anfang eine Übersicht über alle Folgen, die auf die Arbeitskräfte nach einem Betreiberwechsel zu kommen können. Danach werden diese Folgen noch einmal im Detail beschrieben.

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FAQ zur Ausschreibung der S-Bahn Langfassung

Inhaltsverzeichnis:

1. Was verbirgt sich hinter der Ausschreibung des S-Bahn Betriebs?

Juni 10, 2021 von admin

7. September 2020 von benhop

Wenn es um Steuergelder geht, kommt es auf eine sparsame Haushaltsführung an: Die soll  durch eine Ausschreibung gesichert werden. Wenn es aber um Leistungen geht, die bisher immer durch den Staat angeboten wurden, dann ist die Ausschreibung weit mehr: Sie wird zum Türöffner für die Privatisierung dieser staatlicher Leistungen. Wenn nach der Ausschreibung der S-Bahn ein oder mehrere Privat-Unternehmen den Zuschlag bekommen, ist der Betrieb der S-Bahn auf den Teilnetzen Nord-Süd und Stadtbahn für 15 Jahre und die Instandhaltung der Fahrzeuge auf diesen Teilnetzen für 30 Jahre in privater Hand.

Es geht um ein Gesamtvolumen von 8 Milliarden Euro. Es geht um viele Beschäftigte, die jetzt noch bei der S-Bahn GmbH arbeiten. Und es geht um die Sicherung eines guten und zuverlässigen Personennahverkehrs. Mit der Privatisierung des S-Bahn Betrieb gibt das Land Berlin seine unmittelbare Verantwortung für einen guten Personennahverkehr, für den Schutz der Umwelt und für gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten an ein privates Unternehmen ab. Für ein privates Unternehmen steht an erster Stelle die Verzinsung des eingesetzten Kapitals.

Die Berliner haben in den vergangenen Jahren nur schlechte Erfahrungen mit  Privatisierungen gemacht. Das Wasser wurde privatisiert und die Wasserpreise stiegen in  astronomische Höhe. Erst ein erfolgreicher Volksentscheid erzwang, dass das Wasser wieder zurück in Landeseigentum geführt wurde. Dafür musste viel Geld gezahlt werden. Dann wurden Wohnungen privatisiert. Jetzt gibt es die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die Deutsche Wohnen AG ist inzwischen im Deutschen Aktien Indes (Dax) als eines der großen Unternehmen in Deutschland gelistet.  Es ist zu hoffen, dass auch die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erfolgreich ist und die Wohnungen in kommunale Hand zurückgeführt werden. Aber dann muss wieder viel Geld als Schadenersatz für die Enteignung auf den Tisch gelegt werden. Es ist nicht zu verstehen, dass der Senat nun ein drittes Mal die Privatisierung einer staatlichen Leistung vorantreibt.

Auch diejenigen, die hoffen, dass die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommt, können nicht ausschließen, dass am Ende ein privates Unternehmen die Ausschreibung gewinnt. Eine Ausschreibung ist russisches Roulette. Man weiß ja, wie das ausgehen kann.

Nicht sparsame Haushaltsführung, sondern die drohende Privatisierung des S-Bahn Betriebs:

1.a. Manche ärgern sich über die Gewinne in Millionenhöhe, die in jedem Jahr von der S-Bahn GmbH an die  Deutsche Bahn AG abgeführt werden, und begründen damit die Notwendigkeit einer Ausschreibung.

Die Gewinne, die jährlich an die deutsche Bahn AG, die immer noch zu hundert Prozent in staatlicher Hand ist, rechtfertigt aber nicht eine Privatisierung, durch die zumindest ein Teil dieser Gewinne in die Taschen der Eigner eines privaten Betreibers umgelenkt würden. Besser wäre es allerdings, wenn die Gewinne in einem landeseigenen Unternehmen verbleiben könnten. Das wird aber mit einer Ausschreibung nicht erreicht. 

1.b. Andere begründen die Notwendigkeit einer Ausschreibung mit dem Jahr 2009, als die S-Bahn GmbH Monate lang nur sehr eingeschränkt den Fahrbetrieb aufrechterhalten konnte. 

Der eingeschränkte Fahrbetrieb im Jahr 2009 ist alles andere als ein Argument für die Privatisierung. Im Gegenteil: Es vermittelt eine Ahnung davon, wohin eine Privatisierung der S-Bahn GmbH führen kann. Damals reichte allein die Vorbereitung der Privatisierung, dass die S-Bahn nur noch eingeschränkt fahren konnte.

Siehe. Gewinnabführung der S-Bahn GmbH für die Jahre 2001 bis 2008.

1.c. Es wird auch gesagt, dass nicht länger mit der Ausschreibung gewartet werden kann, weil neue S-Bahn-Wagen benötigt werden und beschafft werden müssen. Der Senat hat inzwischen die Gründung einer Landesanstalt für Schienenfahrzeuge beschlossen. 

Ja, im Abgeordnetenhaus wird zur Zeit ein Gesetz zur Errichtung einer solchen Landesanstalt beraten. Die Schienenfahrzeuge werden Eigentum dieser Anstalt und diese Anstalt eine Einrichtung des Landes Berlin sein. Nach Angaben des Senats ist der Einsatz der neuen landeseigenen Fahrzeuge ab Winter 2027/28 vorgesehen. Gäbe es einen landeseigenen S-Bahn Fahrdienst, könnten von ihm diese Wagen genutzt werden. Wäre das nicht naheliegend? Wäre es nicht naheliegend, dass diese landeseigenen Fahrzeuge von einem landeseigenen Fahrdienst betrieben und in landeseigenen Werkstätten instand gehalten werden?  Weil aber die Deutsche Bahn AG das Land Berlin nicht an der S-Bahn GmbH beteiligen will und eine Ausschreibung zulässt, kann der Berliner Senat eine Privatisierung des S-Bahn Fahrdienstes nur verhindern, indem er einen eigenen S-Bahn Fahrdienst aufbaut. Eine Ausschreibung der S-Bahn Fahrdienste ist nicht notwendige Voraussetzung für die Beschaffung neuer S-Bahn Fahrzeuge (siehe unten unter 9.).

Im Einzelnen:

2. Was bedeutet die Ausschreibung für meinen Arbeitsplatz bei der S-Bahn Berlin GmbH?

Wenn die S-Bahn GmbH die Ausschreibung verliert, fällt dieser Arbeitsplatz bei der S-Bahn GmbH weg. Genauer: Es fällt der Arbeitsplatz weg, der direkt oder indirekt vom Betrieb der Nord-Süd Bahn oder der Stadtbahn oder von der Instandhaltung der Fahrzeuge auf diesen Teilnetzen abhängt.

Im Einzelnen:

3. Müssen alle Beschäftigten der S-Bahn GmbH, die aufgrund der Ausschreibung ihren Arbeitsplatz verlieren, von dem neuen Betreiber übernommen werden?

Nein. Die Ausschreibung garantiert nicht die Übernahme aller Beschäftigten, die aufgrund der Ausschreibung ihren Arbeitsplatz verlieren.  

Die im Amtsblatt der EU im August veröffentlichte Ausschreibung kann dazu führen, dass die S-Bahn GmbH den Auftrag für den Verkehrsdienst auf den  beiden Teilnetzen Nord-Süd Bahn und Stadtbahn verliert; das sind 2/3 des gesamten S-Bahn Netzes. Zudem kann die S-Bahn GmbH die Zuständigkeit verlieren für die Instandhaltung und Reparatur der S-Bahn Fahrzeuge auf diesen Strecken. Dann fallen alle diese Arbeitsplätze bei der S-Bahn GmbH weg und es fallen auch alle davon abhängigen Arbeitsplätze in anderen Bereichen der S-Bahn GmbH weg:  Fahrgastinformation, Marketing, Planung und Disposition usw. 

4. Wenn ich bei einem möglichen neuen Betreiber beschäftigt werde, was passiert mit meinen TV- Ansprüchen, die ich bei der S-Bahn Berlin hatte?

Diese TV-Ansprüche gelten nicht mehr. Tarifverträge, für die die Beschäftigten viele Jahre gekämpft haben, verlieren auf einen Schlag ihre Wirksamkeit. Die Ansprüche gehen allerdings nicht ganz verloren. Sie leben individuell als Teil des Arbeitsvertrages weiter. Das gilt aber nur für einen Teil der Beschäftigten.

Der Senat kann einen neuen Betreiber der S-Bahn nicht dazu verpflichten, sich durch Vertrag mit den Gewerkschaften an die bisher geltenden Tarifverträge zu binden. Wenn der neue Betreiber nicht mehr an die bisher geltenden  Tarifverträge gebunden ist, dann bestehen auch keine Ansprüche mehr aus diesen Tarifverträgen. 

a. Für eine Gruppe von S-Bahnern gilt: Kollektive Ansprüche (d.h. Ansprüche aus den bisher geltenden Tarifverträgen) werden durch Gesetz zu Individualansprüchen (d.h. zu Ansprüchen aus Arbeitsvertrag)

Allerdings geht alles das, was bisher aus Tarifvertrag geltend gemacht werden konnte, nach dem Verlust der bisher geltenden Tarifverträge nicht ganz verloren. Denn ein Beschäftigter, der bisher bei der S-Bahn GmbH gearbeitet hat, verliert zwar nach einem Betreiberwechsel seine Ansprüche aus den bisher geltenden Tarifverträgen, nicht aber seine Ansprüche aus seinem Arbeitsvertrag. Sein Arbeitsvertrag gilt weiter und die andere Vertragspartei wird durch Gesetz ausgewechselt: An Stelle der S-Bahn GmbH wird der neue Betreiber Partei des Arbeitsvertrages. Und nicht nur das. Die Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag werden durch Gesetz erweitert: Alle Ansprüche, auf die der Beschäftigte bisher aus Tarifvertrag Anspruch hatte, gelten jetzt als Ansprüche aus dem einzelnen Arbeitsvertrag weiter.

Das gilt aber nicht für alle S-Bahner, die von einem neuen Betreiber übernommen werden. Es git nur für die S-Bahner, deren Tätigkeiten für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen „unmittelbar erforderlich“ sind.Dazu gehören jedenfalls die Lokführer.

b. Für eine andere Gruppe von S-Bahner gilt nur das Senatsversprechen, zu denselben Arbeitsbedingungen wie bisher in eine landeseigene Beschäftigungsgesellschaft übernommen zu werden.

Vor allem für die S-Bahner in den Werkstätten ist nicht verbindlich gesichert, welche Arbeitsbedingungen sie zu erwarten haben, wenn zukünftig nicht mehr die S-Bahn GmbH für die Instandhaltung verantwortlich ist. Denn der Berliner Senat ist zwar der Auffassung, dass die Beschäftigten in der Instandhaltung und Reparatur für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen „unmittelbar erforderlich“ sind. Allerdings ist diese Auffassung wohl mit der Befürchtung gepaart, dass diese Auffassung vor einem Gericht erfolgreich zu Fall gebracht werden könnte. Dann wäre das Werkstattpersonal nicht mehr geschützt: Es hätte damit weder einen Anspruch auf Übernahme durch den neuen Betreiber noch eine Anspruch auf Weitergeltung der bisherigen Arbeitsbedingungen.

Deswegen hat der Berliner Senat als Ersatzregelung die landeseigene  Beschäftigungs-Gesellschaft (LBG) erdacht und will ein neues Instandhaltungsunternehmen zur Beschäftigung dieser Arbeitskräfte aus der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft verpflichten.

Das Land Berlin bietet den S-Bahnern aus den Werkstätten zwar einen Arbeitsvertrag mit der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft an, aber es ist völlig unsicher, zu welchen Bedingungen. Es ist unsicher, ob und in welcher Form die Arbeitsbedingungen weiter gelten, auf die sich die Beschäftigten der S-Bahn GmbH bisher aus Tarifvertrag berufen konnten.

Um die Verpflichtung zur Übernahme des Werkstattpersonals bei einem Betreiberwechsel gab es Streit im Senat. Dieser Streit endete in einer Protokollnotiz[1]In der Protokollnotiz wird unter Nr. 2 verlangt, dass „im Bereich der Instandhaltung sichergestellt werden muss, dass die Menschen, die beim bisherigen Betreiber für die Instandhaltung der S-Bahn … Continue reading, die zu dieser Regelung in der veröffentlichten Ausschreibung führte und die dieselben Arbeitsbedingungen verspricht wie bei der S-Bahn GmbH. Rechtssicher ist diese Zusicherung derselben Arbeitsbedingungen allerdings nicht; eine neuer Senat muss sich an diese Zusicherung durch eine Protokollnotiz nicht gebunden fühlen, erst recht nicht ein neuer Senat, der politisch anders zusammen gesetzt ist als der derzeitige rot-rot-grüne Senat.

c. Für eine dritte Gruppe ist nichts gesichert, d.h. weder ihre Übernahme noch die bisherigen Arbeitsbedingungen sind gesichert

Das sind diejenigen, die in der S-Bahn GmbH weder als Lokführer noch in der Instandhaltung arbeiten. Wenn sie nach einem Betreiberwechsel nicht übernommen werden, auch nicht zu schlechteren Arbeitsbedingungen, hat sich die Frage erledigt, was mit den TV-Ansprüchen passiert, die bei der S-Bahn GmbH galten.    

5. Für wen sind die Regelungen aus Tariftreue wichtig?

Die Tariftreue ist für alle wichtig, die ein neuer Betreiber nicht von der S-Bahn GmbH übernommen hat, die aber bei ihm Tätigkeiten ausführen, für die früher die S-Bahn GmbH zuständig war. Die Regelungen zur Tariftreue greifen für die Lokführer und sollen nach dem Ausschreibungstext auch für die Arbeitskräfte in der Instandhaltung gelten.

Für alle, die Tätigkeiten ausüben, die bisher von Beschäftigten der S-Bahn GmbH ausgeführt wurden, nach einem möglichen Betreiberwechsel aber nicht mehr von ihnen ausgeführt werden.

Beschäftigte, die früher bei der S-Bahn GmbH gearbeitet haben und dann von dem neuen Betreiber übernommen wurden, werden nach und nach aus dem neuen Unternehmen ausscheiden, altersbedingt, krankheitsbedingt oder auch deswegen, weil sie bei diesem neuen Betreiber nicht bleiben wollen und einen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen gefunden haben.  Denkbar ist auch, dass Beschäftigte der S-Bahn GmbH Widerspruch gegen den Wechsel zu einem neuen Betreiber eingelegt haben und auf diese Weise bei der Deutschen Bahn bleiben. So werden sehr rasch frühere S-Bahn-GmbH-Tätigkeiten von Beschäftigten ausgeführt, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden. Sie führen Tätigkeiten aus, die früher bei der S-Bahn GmbH zu den dort geltenden Tarife erledigt wurden, haben aber keine Ansprüche aus den Tarifverträgen der S-Bahn GmbH, auch nicht über ihren Arbeitsvertrag, weil sie keine Arbeitskräfte sind, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden.

Die Regelungen zur Tariftreue greifen nach dem Gesetz nur für die „Arbeitskräfte, die die den Auftrag prägenden, mit der eigentlichen Verkehrserbringung verknüpften Tätigkeiten wahrnehmen“ oder auf die „mit der die im Kernbereich der Verkehrserbringung tätigen“ Arbeitskräfte, also für die Lokführer.

Die Ausschreibung der Nord-Süd-Bahn und der Stadtbahn enthält aber eine Verpflichtung zur Tariftreue im Verkehrsdienst[2]„Das BerlAVG und das BbgVgG enthalten Verpflichtungen zur Tariftreue. Die AG haben gem. § 4 Satz 1 BerlAVG und § 4 Abs. 3 BbgVgG entschieden, für die Leistungen auf den Gebieten beider Länder … Continue reading) und auch eine Verpflichtung zur Tariftreue in der Instandhaltung[3]„Die AG haben sich zum Schutz des für die vertragsgegenständlichen Instandhaltungsleistungen eingesetzten Personals für eine Tariftreueverpflichtung entschieden. Der AN wird daher verpflichtet, … Continue reading). Also soll auch für die Arbeitskräfte in der Instandhaltung die Verpflichtung zur Tariftreue gelten.

6. Tariftreue –  ist das nicht was Gutes?

Tariftreue ist besser als keine Tariftreue, aber schlechter als Tarifbindung.

Die neuen Betreiber können nicht zu einem Vertrag mit den Gewerkschaften verpflichtet werden, aber als Ersatz können sie zu einem Vertrag mit dem Staat verpflichtet werden. In diesem Vertrag verpflichtet der Staat den neuen Betreiber zur Einhaltung von bestimmten Tarifverträgen (Tariftreue)[4]Das Kapital entzieht sich in den letzten 20 Jahren nicht nur immer mehr der Tarifbindung und hat selbstverständlich auch kein Interesse an Auflagen zur Tariftreue, die in einem über viele Jahre … Continue reading.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes haben die Länder Berlin und Brandenburg zwar einen Ermessenspielraum bei der Bestimmung dieser Tarifverträge, aber das Gesetz stellt auch klar, dass das Land Berlin einen neuen Betreiber der Verkehrsdienste nur dazu verpflichten muss, seine Beschäftigten „bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen“[5]§ 10 BerlAVG lautet: „Öffentliche PersonennahverkehrsdiensteUnbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche … Continue reading)). Das Gesetz verlangt nicht, dass die Tariftreue auch für alle anderen Arbeitsbedingungen gilt, die durch die bisher geltenden Tarifverträge festgeschrieben wurden und die sich nicht auf den Lohn beziehen, z.B. Arbeitszeit,  Ruhezeit, Urlaub, Kündigungsschutz usw. 

Die Ausschreibung der Nord-Süd-Bahn und der Stadtbahn enthält eine Verpflichtung zur Tariftreue im Verkehrsdienst[6]„Das BerlAVG und das BbgVgG enthalten Verpflichtungen zur Tariftreue. Die AG haben gem. § 4 Satz 1 BerlAVG und § 4 Abs. 3 BbgVgG entschieden, für die Leistungen auf den Gebieten beider Länder … Continue reading) und eine Verpflichtung zur Tariftreue in der Instandhaltung[7][5]                     „Die AG haben sich zum Schutz des für die vertragsgegenständlichen … Continue reading). Unternehmen, die den Verkehrsbetrieb oder die Instandhaltung übernehmen wollen, werden in der Ausschreibung verpflichtet, ihre Arbeitskräfte bei der Ausführung dieser Tätigkeiten „mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen“. Dann werden die Tarifverträge (pdf-Datei) aufgelistet, die zur Anwendung kommen sollen. Es sind nur Tarifverträge mit Entgeltregelungen. Alle anderen Regelungen in diesen Tarifverträgen und alle anderen Tarifverträge der EVG und GdL, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist, fallen unter den Tisch, z.B. der Demographie-TV der EVG, der einen sehr starken Kündigungsschutz enthält. Zudem kritisiert die EVG, dass der Senat in die Liste nicht einschlägige Entgelttarife für die Beschäftigten der S-Bahn GmbH aufgenommen hat.

Weil es sich um einen Vertrag mit dem Staat handelt, kann auch nur der Staat für die Einhaltung dieser Tariftreue sorgen. Aus dieser  Tariftreue entstehen keine Ansprüche, die der einzelne Beschäftigte geltend machen könnte. Vielmehr sind die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften darauf angewiesen, dass der Staat für die Einhaltung dieser Tariftreue sorgt.     

Tariftreue heißt also nicht Tarifbindung. Tariftreue ist besser als keine Tariftreue, aber wesentlich schlechter als die bisherige Tarifbindung. Nach einem Betreiberwechsel müssen die Gewerkschaften die Bindung an die bestehenden Tarifverträge neu erkämpfen. Sollten der Verkehrsbetrieb nach 15 Jahren und das Instandhaltungsunternehmen nach 30 Jahren aufgrund einer erneuten Ausschreibung noch einmal wechseln, fängt wieder alles von vorne an.

7. Als Lokführer bin ich doch gut abgesichert. Kann es mir nicht egal sein, bei wem ich arbeite?

Nein, eine gute Absicherung ist das nicht, wenn die Bindung an die bisherigen Tarifverträge verloren geht und die Ansprüche der Lokführer nicht mehr durch Tarifvertrag, sondern nur noch durch den einzelnen Arbeitsvertrag abgesichert sind. Zudem führt das Fehlen einer Bindung an die bisherigen Tarifverträge zu einer Spaltung in der Belegschaft des neuen Betreibers: Dort werden die Lokomotivführer zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen arbeiten, je nachdem ob ein Lokführer von der S-Bahn GmbH übernommen wurde oder nicht. Und schließlich führt der Betrieb und die Instandhaltung durch einen privaten Betreiber zur Arbeitsverdichtung. Diese Arbeitsverdichtung wird alle treffen. Auch die Lokführer werden von den Folgen der Arbeitsverdichtung nicht verschont. Auch die Fahrgäste der S-Bahn werden das zu spüren bekommen.

Einsparungen beim Personal sind eine wichtige Methode rasch die Gewinne zu erhöhen. Schon allein der Versuch, die Aktien der Deutsche Bahn AG an die Börse bringen, führte in den Jahren 2006 bis 2008 führte zu erheblichen  Personalreduzierungen bei der S-Bahn GmbH – mit verheerenden Folgen für den S-Bahn Betrieb im Jahr 2009. Auch ein privater Betreiber der S-Bahn wird auf Personaleinsparungen nicht verzichten wollen. Personaleinsparung führt zu Arbeitsverdichtung. Das wird sich bei allen Beschäftigten bemerkbar machen, auch bei den Lokführern. 

Die Ansprüche, die bei der S-Bahn GmbH durch Tarifvertrag  abgesichert waren und nach dem Betreiberwechsel nur noch durch den einzelnen Arbeitsvertrag abgesichert sind,  darf der neue Betreiber nach den gesetzlichen Regeln „nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers ändern“[8]  § 613a BGB: „(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs … Continue reading.

Eine fehlenden Tarifbindung des neuen Betreibers kann dem Lokführer auch aus einem anderen Grund nicht egal sein: Die Belegschaft wird gespalten und gegeneinander aufgebracht.

Die Arbeitskräfte, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden, haben bessere Arbeitsbedingungen als die übrigen Arbeitskräfte. Schlechter Arbeitsbedingungen haben diejenigen, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden, die aber Tätigkeiten ausüben, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden. Die schlechtesten Arbeitsbedingungen haben diejenigen, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden und auch keine Tätigkeiten ausüben, die früher von der S-Bahn GmbH ausgeführt wurden. Für diese dritte Gruppe Beschäftigter gibt es in der Ausschreibung keinerlei Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen, zu denen sie arbeiten müssen. Die  ungleichen  Arbeitsbedingungen bestehen, obwohl exakt die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird- zum Beispiel als Lokomotivführer.

Wenn der neue Betreiber an dieselben Tarifverträge gebunden wäre, wie die S-Bahn GmbH, gäbe es diese ungleichen Arbeitsbedingungen für dieselben Tätigkeiten nicht.. Eine Verpflichtung zu dieser Tarifbindung enthält die Ausschreibung aber nicht und kann sie  auch nicht enthalten. Die Zerstörung der bisherigen Tarifbindung ist also eine Folge der Ausschreibung.

Also: Ohne Ausschreibung kein Verlust der Tarifbindung. Und: Ohne Verlust der Tarifbindung keine Spaltung unter den Beschäftigten.

Die Erfahrung zeigt, dass in diesen unterschiedlichen Arbeitsbedingungen bei gleicher Tätigkeit eine große Sprengkraft liegt[9] J. Seppelt, R. Niemerg u.a. Der Aufstand der Töchter, Hamburg 2018 VSA VerlagKategorienS-Bahn. Die Bedeutung der ungleichen Arbeitsbedingungen nach einer Ausgliederung oder nach einer Vergabe durch Ausschreibung wie im vorliegenden Fall wird regelmäßig deswegen unterschätzt, weil alles nur aus der Jetzt-Perspektive der S-Bahn Beschäftigten betrachtet wird: Die Arbeitsbedingungen der S-Bahn Beschäftigten sollen sich nicht verschlechtern. Wenn das auch nur über Einzelarbeitsverträge gesichert werden kann, soll das ausreichen. Nach einem Betreiberwechsel kommt es aber auf die neue Belegschaft an, die eben nicht nur aus den von der S-Bahn GmbH übernommenen Arbeitskräften besteht. Die allein auf den individuellen Anspruch fokussierte Betrachtungsweise ist ein Gift, das die Beschäftigten ohnmächtig macht, weil es davon ablenkt, dass diese Individualansprüche immer das Ergebnis von gemeinsamem Handeln sind und auch nur in gemeinsamem Handeln verteidigt werden können.

8. Wer soll denn, außer der S-Bahn Berlin GmbH, dieses Netz betreiben können?

Ob auch andere Bewerber als die S-Bahn GmbH in der Lage sind, 2/3 des S-Bahn-Netzes zu betreiben und die neuen Fahrzeuge instand zu halten, kann mit guten Gründen bezweifelt werden, insbesondere wenn bedacht wird, dass die Aufteilung der S.Bahn unter verschiedene private Unternehmen (Zerschlagung der S-Bahn) zu erheblichen Abstimmungs- und Koordinationsprobleme zwischen den zahlreichen möglichen Beteiligten führen wird. Trotzdem wird viel dafür getan, andere Bewerber als die S-Bahn GmbH zum Zuge kommen zu lassen. Anstatt mit viel Geld private Unternehmen zu fördern sollte dieses Geld für eine Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs auf der Schiene verwendet werden.

Es wird  viel dafür angetan, andere Bewerber als die S-Bahn GmbH zum Zuge kommen zu lassen:

  1. Die Ausschreibung ist nicht so ausgestaltet, dass sich jeder Bewerber um den gesamten Auftrag, den jetzt die S-Bahn GmbH ausführt, also Instandhaltung und Verkehrsbetrieb der Nord-Süd Bahn und Stadtbahn, bewerben muss. Vielmehr ist die Ausschreibung in vier Lose aufgeteilt: Das Teilnetz Stadtbahn und das Teilnetz Nord-Süd Bahn, ist in zwei Fachlose unterteilt: Instandhaltung der Fahrzeuge (Fachlos A) und Verkehrsbetrieb mit den Fahrzeugen (Fachlos B). Bewerber können sich um die gesamte Instandhaltung auf beiden Teilnetzen (A/A), um den gesamten Verkehrsbetrieb auf beiden Teilnetzen (B/B) oder auf Instandhaltung und Verkehrsbetrieb (A/B) nur auf der Nord-Süd Bahn oder nur auf der Stadtbahn, aber auch auf alle vier Lose zusammen bewerben. Das Ergebnis kann sein, das für jedes der vier Lose ein anderes privates Unternehmen den Zuschlage bekommt. Hinzu kommen die S-Bahn GmbH, die schon vor einigen Jahren den Zuschlag für den Rest des S-Bahn-Netzes bekam, und die DB Netz AG, die für die Eisenbahninfrastruktur zuständig ist. Um andere Bewerber als die S-Bahn GmbH zum Zuge kommen zu lassen, wird die Zerschlagung der S-Bahn in Kauf genommen. Die absehbaren Folgeprobleme der Abstimmung und Koordination zwischen den möglichen zahlreichen Beteiligten werden in einem Artikel von Felix Thoma (dort unter 3.4 ) detailliert beschrieben  
  2. In Zukunft sollen Betreiber nicht mehr mit eigenen Fahrzeugen den S-Bahn Verkehr betreiben – wie jetzt noch die S-Bahn GmbH. Vielmehr soll der Verkehr auf den beiden Teilstrecken mit neuen Fahrzeugen aus einem Fahrzeugpool des Landes betrieben werden. Die Fahrzeuge für den Verkehrsbetrieb sind also nicht Fahrzeuge des neuen Betreibers, sondern Fahrzeuge des Landes Berlin.
  3. Neuen Betreibern wird die Möglichkeit geboten, eigene Werkstätten neu zu errichten, obwohl bereits Werkstätten der S-Bahn GmbH bestehen. Zur Unterstützung der Errichtung neuer Werkstätten bieten die Länder Berlin und Brandenburg die Nutzung mind. einer Grundstücksfläche an.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die S-Bahn in Zukunft mit landeseigenen Fahrzeugen betrieben und diese landeseigenen Fahrzeuge auf landeseigen Grundstücken und sogar mit Arbeitskräften einer landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft  in standgehalten werden,  der S-Bahn Betrieb selbst und die Instandhaltung jedoch nicht in staatlicher Regie durchgeführt werden soll, und dies, obwohl seit Jahrzehnten Betrieb und Instandhaltung in staatlicher Hand liegen und die S-Bahn GmbH schon den Zuschlag bekommen hat, den S-Bahn Ring, ein Drittel des S-Bahn-Netzes, auch in Zukunft zu betreiben und dafür die Fahrzeuge instand zu halten.

9. Ist eine Vergabe des S-Bahn-Verkehrsbetriebes und der Instandhaltung der S-Bahn-Fahrzeuge ohne Ausschreibung möglich (so genannte Direktvergabe)?

Ja, eine Ausschreibung kann vermieden werden, eine Direktvergabe ist möglich. Dazu muss die Deutsche Bahn AG die Kontrolle über die S-Bahn GmbH an das Land Berlin oder an die beiden Länder Berlin und Brandenburg abgeben. Die deutsche Bahn AG muss nicht die gesamte S-Bahn GmbH verkaufen, sondern kann einen Teil der Anteile behalten – als Grundlage für eine enge Zusammenarbeit zwischen S-Bahn GmbH und Deutscher Bahn AG auch in der Zukunft. Wer darauf besteht, dass die Kontrolle über die S-Bahn GmbH bei der Deutschen Bahn AG bleibt, kommt auf Dauer an einer Ausschreibung mit all den drohenden schädlichen Folgen nicht vorbei. So sind die geltenden gesetzlichen Regelungen.

Ja, eine Direktvergabe ohne Ausschreibung ist möglich. Dazu muss die deutsche Bahn AG die Kontrolle über die S-Bahn GmbH an die Länder Berlin und Brandenburg zusammen oder an das Land Berlin alleine abgeben. Wer das nicht will, kommt auf Dauer an einer Ausschreibung mit all den drohenden schädlichen Folgen nicht vorbei.

Im Einzelnen:

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) schließt für den Schienenpersonen-nahverkehr, also auch für den S-Bahn Betrieb, unter bestimmten Voraussetzungen eine  Direktvergabe nicht aus[10]S§ 131 Abs. 2 i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, auf die ausdrücklich verwiesen wird: Das Land Berlin kann den Verkehrsdienst selbst erbringen (Eigenerbringung, z.B über einen Eigenbetrieb) oder an einen internen Betreiber direkt vergeben (sog. Inhouse-Vergabe, d.h. ohne Ausschreibung). Dieser interne Betreiber kann eine GmbH wie die S-Bahn GmbH sein. Das Land Berlin muss aber über diesen Betreiber eine ähnliche Kontrolle ausüben wie über seine eigenen Dienststellen (Kontrollkriterium)[11]Bei der Erfüllung des Kontrollkriteriums kommt es  auf den tatsächlichen Einfluss auf strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen an, aber auch  auf den Umfang der … Continue reading) und  mehr als 80 Prozent der Tätigkeiten müssen vom Land Berlin in Auftrag gegeben werden (sog. Tätigkeitskriterium). Eine Beteiligung privater Unternehmen an diesem Betreiber (sog. Beteiligungskriterium) schließt das Gesetz nicht aus; es enthält nicht einmal eine Begrenzung für die Beteiligung Privater[12]Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 14; dort wird auf den Gegensatz von § 131 Abs.2 … Continue reading. Bis hat das Land aber keine Anteile an der S-Bahn GmbH und an einer Kontrolle über die S-Bahn GmbH durch das Land Berlin fehlt es erst recht.   

Ganz sicher wäre die beste Lösung eine Kontrolle der S-Bahn GmbH durch das Land Berlin. Dafür sprechen all die Gründe, die ganz allgemein gegen einen Betreiberwechsel sprechen: Es müssten nicht neue Werkstätten errichtet werden, obwohl die S-Bahn GmbH über solche Werkstätten verfügt. Es stünde ohne weiteres das erfahrene Personal zur Verfügung, das bisher für den Betrieb und die Instandhaltung der S-Bahn sorgt. Es könnte so weit wie möglich die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn fortgeführt werden. Die bisherige Tarifbindung würde weiter gelten. Auf der anderen Seite steht zu viel auf dem Spiel,  wenn die Deutsche Bahn AG sich weigert, dem Land Berlin die Kontrolle über und Anteile an der S-Bahn GmbH einzuräumen. Dann bleibt als Alternative auf Dauer nur die Ausschreibung und das heißt:  Drohende Privatisierung, drohende Zerschlagung der S-Bahn und drohender Verlust der bisherigen Tarifbindung.   

Um Anteile an der S-Bahn GmbH und die Kontrolle über die S-Bahn GmbH zu erlangen, ist das Land Berlin auf die Zustimmung der Deutschen Bahn AG und der Bundespolitiker angewiesen, die im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG sitzen. Das Land Berlin muss sich für den Fall vorbereiten, dass die Deutsche Bahn AG diese Zustimmung verweigert und es damit auf eine Ausschreibung ankommen lässt und auch eine Privatisierung in Kauf nimmt. Dann hat das Land Berlin keine andere Wahl, als einen Eigenbetrieb oder ein landeseignes Unternehmen, etwa in der Rechtsform der AöR, aufzubauen, an das das Land Berlin den Betrieb der S-Bahn  und die Instandhaltung der landeseigenen Fahrzeuge direkt vergibt. Das Land Berlin muss sich frühzeitig darauf vorbereiten. Allerdings nur unter Bindung an alle Tarifverträge, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist. Das muss immer wieder hervorgehoben werden; denn das Land Berlin hat in anderen Fällen gerade auch in dieser Frage vollkommen versagt (siehe die Ausgründungen in den Krankenhäusern und bei der BVG).

Auch gegenüber dem Land Brandenburg hat das Land Berlin in einer verhältnismäßig starken Position. Das Land Berlin hat rein rechtlich die Möglichkeit, den S-Bahn Betrieb auch dann selbst durchzuführen bzw. an einen internen Betreiber zu vergeben, wenn das Land Brandenburg das ablehnt. Es kann ohne Beteiligung des Landes Brandenburg den Verkehr der S-Bahn betreiben. Dass einige S-Bahn-Linien bis in das Brandenburger Land hineinreichen, lässt das Gesetz ausdrücklich zu[13][4]              § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Abs. 2 lit b. Siehe auch: Säcker- … Continue reading.

Über eine Verlängerung der Übergangsverträge , die das Land Berlin schon jetzt mit der S-Bahn GmbH abgeschlossen hat ( https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/oepnv/s_bahn/ ) , kann es Zeit gewinnen, alle Vorbereitungen für einen landeseigenen Betrieb zu treffen.

Zusatzfrage: Bei einem landeseigenen Bahnunternehmen ist nicht in jedem Fall gesichert, dass es an die Tarifverträge gebunden ist, die für die S-Bahn GmbH gelten. Welchen Nutzen haben also die Beschäftigten von einem landeseigenen Bahnbetrieb?

Wenn die Deutsche Bahn AG erhebliche Anteile an der S-Bahn GmbH an das Land Berlin verkauft und dadurch ein landeseigener Bahnbetrieb entsteht, bleibt die bestehende Bindung an die Tarifverträge erhalten. Wenn das Land Berlin ein eigenes Bahnunternehmen gründet, muss dieses Unternehmen sofort an alle Tarifverträge gebunden werden, die für die S-Bahn GmbH gelten. Die Erfahrungen zeigen, dass dies durchaus nicht gesichert ist. Die Erfahrungen zeigen aber auch, dass die Einflussmöglichkeiten, eine solche Tarifbindung zu erzwingen, in einem landeseigenen Unternehmen größer sind als in einem voll privatisierten Unternehmen.

Im Einzelnen:

10. Ist ein Abbruch der schon veröffentlichten Ausschreibung möglich?

Das Argument, „der Zug ist abgefahren“, ist wenig überzeugend. Der Zug kann gestoppt werden. Ein Abbruch der Ausschreibung ist jederzeit möglich.

11. Welche Möglichkeiten habe ich als Beschäftigte, meinen Unmut gegenüber den Plänen der Regierung kundzutun?

Der Betriebsrat kann Betriebsversammlungen einberufen.

Im Einzelnen:

Der Betriebsrat kann Betriebsversammlungen einberufen, auf denen die Beschäftigten ihren Unmut gegenüber den Plänen der Regierung kundtun können. Den Beschäftigten kann auch noch einmal deutlich vor Augen geführt werden, was auf sie zu kommt und welche Alternativen es gibt. 

Der Betriebsrat kann eine, die In jedem Kalendervierteljahr hat eine Betriebs-versammlung stattzufinden, die der Betriebsrat einberufen muss[14]§ 43 Abs.1 Satz 1 BetrVG. Der Betriebsrat kann diese Betriebsversammlung auch in Form von mehreren Abteilungsversammlungen einberufen[15]„Arbeitnehmer organisatorich oder räumlich abgegrenzter Betriebsteile sind vom Betriebsrat als Abteilungsversammlungen zusammenzufassen, wenn dies für die Erörterung der besonderen belange dder … Continue reading. und er kann zusätzlich zu den zwingend vorgeschriebenen vierteljährlichen Betriebsversammlungen in jedem Halbjahr eine weitere Betriebsversammlung[16]§ 43 Abs.1 Satz  4 BetrVG.). einberufen. Auf diesen Versammlungen können die Ausschreibung und die drohenden Folgen ausführlich thematisiert werden.

Erinnert sei an die Betriebsversammlung im Jahre 2012 ….. wie wurde diese Betriebsversammlung durchgesetzt? …. Wie viele beteiligten sich an der Betriebsversammlung … Schilderung dieser Betriebsversammlung …. welche Wirkung hatte sie?

12. Darf ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aufgrund der Pläne in den Streik treten?

Es ist für alle Gewerkschaften von sehr großer Bedeutung, dass endlich eine Gewerkschaft auch zu einem politischer Demonstrationsstreik aufruft. Das könnte ein Streik der S-Bahner gegen die Ausschreibung und die damit verbundenen Verschlechterungen sein. Ein zusätzliches Streikziel könnte ein Sozialtarifvertrag für den Fall sein, dass die S-Bahn GmbH nicht den Zuschlag bekommt. Der Streik könnte an einem der Freitage stattfinden, an dem fridays-for-future zum Klimastreik aufrufen. Das Haftungsrisiko ist kalkulierbar.

Ein Streik gegen die Ausschreibung und die damit drohenden Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen wäre wohl ein politischer Streik. Wird er nur für eine kurze Zeit durchgeführt, wäre das ein politischer Demonstrationsstreik. Wenn es um den politischen Demonstrationsstreik geht, dann haben die Befürworter des Verbots von politischen Streiks ganz schlechte Karten[17]Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17; Berg/Kocher/Schumann – Berg Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 6. Auflg. Frankf. a.M. 2018 Teil 3 Rn. 188 ff.; handelt es sich um einen Streik, der die … Continue reading. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um einen Streik handelt, der die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum Ziel hat[18]Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 183 ff.. Aber auch diese Voraussetzung wäre erfüllt, wenn sich ein Streik der S-Bahner gegen die drohende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Ausschreibung richten würde.

Die Mehrheit der Juristen hält zwar tapfer an der Rechtswidrigkeit auch von politischen Demonstrationsstreiks fest, aber sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Das Bundesarbeitsgericht hat im Jahr 2007 ausdrücklich offen gelassen, ob „reine Demonstrationsstreiks, mit denen ohne Bezug auf einen um einen Tarifvertrag geführten Arbeitskampf lediglich Protest oder Sympathie  – etwa für oder gegen Entscheidungen des Gesetzgebers – zum Ausdruck gebracht werden soll“ zulässig sind[19]BAG v. 19.06.2007 1 AZR 396/06 juris Rn. 13. Dem Gericht lag seitdem kein Fall vor, an dem es neu hätte entscheiden können. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage noch nie beschäftigt.

Es ist ganz unverständlich, dass dem Bundesarbeitsgericht immer noch kein Fall vorliegt, der ihm die Gelegenheit gibt, seine Rechtsprechung zu ändern. Streikrecht ist Richterrecht. Nur wenn die Gerichte über einen politischen Demonstrationsstreik zu entscheiden haben, können sie ihre Rechtsprechung überprüfen. Notwendig ist ein politscher Demonstrationsstreik, den man – im Vorgriff auf die zu erwartende Änderung der Rechtsprechung und auch als Ausdruck der Ablehnung der bisherigen Rechtsprechung – als vollständig legales Verhalten betrachten kann, wie es die Gewerkschaften schon 1986 getan haben.

Dagegen wird von gewerkschaftlicher Seite immer das Haftungsrisiko ins Feld geführt; denn eine hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht, dass das Bundesarbeitsgericht den politischen Demonstrationsstreik erlauben werde. Doch das Haftungsrisiko ist kalkulierbar: Wenn auf einer S-Bahn Strecke für eine kürzere Zeit der S-Bahn Verkehr eingestellt wird, ist das Haftungsrisiko abschätzbar. Zum Beispiel wäre ein solcher Streik im Zusammenhang mit dem nächsten Klimastreik von Fridays-for-Future am Freitag den 25. September 2020 möglich. 

Aber an diesem Tag wäre auch eine Arbeitsniederlegung ohne Aufruf der Gewerkschaften denkbar. 2007 kam es ohne Aufruf der Gewerkschaften zu Streiks gegen die Rente mit 67. Obwohl sie  nicht offiziell dazu aufgerufen hatten, waren den Gewerkschaften diese Streiks dermaßen willkommen, dass viele glaubten, die Gewerkschaften selbst hätten dazu aufgerufen, was sie aber nicht hatten. Bei diesen Demonstrationsstreiks gegen die Änderung des Renteneintrittsalters war es offiziell nicht die Gewerkschaft, sondern es waren die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die die Dinge in der Hand  hatten. Der Begriff spontaner Streik trifft also die Sache nicht, der Begriff „wilder“ ist unzulässig abwertend. Besser sollte man von verbandsfreien Streiks sprechen. Da die Gewerkschaften offiziell nicht Träger des Streiks waren, konnten sie auch nicht für eventuelle Schäden in Haftung genommen werden.

Es stellt sich die einfache Frage: Wie lange wollen wir uns noch von einem Nazi-Juristen vorschreiben lassen, für welche Ziele wir streiken dürfen (siehe: https://www.youtube.com/watch?v=r3uMKtGB18U&feature=youtu.be) ?

Zusätzlich zu dem Streikziel, das sich gegen die Ausschreibung und die damit verbundenen Verschlechterungen richtet, könnte noch ein Sozialtarifvertrag für den Fall gefordert werden, dass nicht die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommt. Um der Friedenspflicht zu entgehen, müssten in diesem Sozialtarifvertrag Forderungen aufgestellt werden, die bisher noch nicht in Tarifverträgen der GdL und der EVG enthalten sind. Der Streik für einen Sozialtarifvertrag ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig. Hintergrund für diesen Vorschlag, die Forderung für den Abbruch der Ausschreibung mit der Forderung nach einem Sozialtarifvertrag zu kombinieren, ist die  Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Danach ist ein Streik auch dann rechtmäßig, wenn eine Forderung zulässig, andere Forderungen aber unzulässig sind[20]EGMR 27.11.2014, Nr. 36701/09 – Hrvatski Lijecnicki Sindikat (HLS) ./. Kroatien; Klaus Lörcher AuR 4/2015 S. 126, 129; siehe auch Däubler-Lörcher 4. Auflg. § 10 Rn. 85. Das Bundesarbeitsgericht urteilt  genau umgekehrt. Das Bundesarbeitsgericht kann sich aber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht entziehen[21]Das angegriffene innerstaatliche Urteil muss auf der Verletzung der Konvention beruhen; dann  innerstaatlich ein Restitutionsverfahren möglich, § 580 Nr. 8 ZPO.

Weitere Einzelheiten zum Streikrecht:

13. Kann mir gekündigt werden, wenn ich mich weigere, Beschäftigter des neuen Betreibers zu werden, und meinen Arbeitsvertrag mit der S-Bahn GmbH nicht aufgeben will?

Nein, Widerspruch ist möglich – ohne die Gefahr gekündigt zu werden.

Im Einzelnen

Gegen die Übernahme durch einen neuen Betreiber können die Lokführer Widerspruch einlegen. Auch andere, deren Tätigkeit für den S-Bahn-Verkehrsdienst „unmittelbar erforderlich“ ist, können Widerspruch einlegen. Nach dem Widerspruch werden sie nicht von dem neuen Betreiber übernommen und  bleiben Beschäftigte der S-Bahn GmbH. Eine Kündigung müssen sie deswegen nicht befürchten; davor schützt sowohl ein Tarifvertrag der GdL als auch ein Tarifvertrag der EVG. Dieser Kündigungsschutz gilt auch für die Beschäftigte in Werkstätten der S-Bahn GmbH, auch wenn sie das Angebot des Landes Berlin nicht annehmen, Beschäftigte  in einer landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) zu werden.   

Es sollte aber auf keinen Fall alles auf diese eine Karte gesetzt werden. Es ist zu bedenken, dass Widerspruch erst eingelegt werden kann, wenn der Senat einem neuen Betreiber den Zuschlag gegeben und schon entsprechende Verträge mit dem neuen Betreiber unterzeichnet hat. Es ist völlig offen, ob massenhafte Widersprüche dazu führen werden, dass diese Verträge deswegen gekündigt werden. Der Widerstand muss früher beginnen. Sonst besteht die Gefahr, dass Mutlosigkeit um sich greift und die Kolleginnen und Kollegen auch nicht mehr die Kraft haben, zu widersprechen, wenn sie widersprechen können. 

References

References
1 In der Protokollnotiz wird unter Nr. 2 verlangt, dass „im Bereich der Instandhaltung sichergestellt werden muss, dass die Menschen, die beim bisherigen Betreiber für die Instandhaltung der S-Bahn Fahrzeuge beschäftigt waren und für die Erbringung der Instandhaltungsleistungen unmittelbar erforderlich sind, entweder von einem etwaigen neuen Betreiber ein Arbeitsangebot nach Maßgabe der Vorgaben für einen Betriebsübergang  (§613a BGB)  erhalten oder ein Angebot erhalten, im Rahmen einer Auffanggesellschaft und unter Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs mit dem neuen Betreiber zu den bisherigen Bedingungen beschäftigt zu werden, wenn diese Menschen beim bisherigen Betreiber nicht weiter beschäftigt werden“.
2, 6 „Das BerlAVG und das BbgVgG enthalten Verpflichtungen zur Tariftreue. Die AG haben gem. § 4 Satz 1 BerlAVG und § 4 Abs. 3 BbgVgG entschieden, für die Leistungen auf den Gebieten beider Länder die Regelungen des BerlAVG in der jeweils geltenden Fassung zur Anwendung zu bringen. Der AN wird daher im Sinne von § 10 Satz 1 BerlAVG verpflichtet, seine Arbeitskräfte bei der Ausführung der vertragsgegenständlichen Leistungen über öffentliche Personennahverkehrsdienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Der Auftragnehmer wird verpflichtet, Leistungen der Kundenbetreuer und Leistungen der Triebfahrzeugführer in einem bestimmten Umfang selbst zu erbringen. Nähere Angaben hierzu sind aus den Vertragsunterlagen ersichtlich. Die in Abschnitt III.2.2), (1) geregelte Pflicht zur Personalübernahme bleibt hiervon unberührt.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 2 und 4, jeweils unter II.2.4
3 „Die AG haben sich zum Schutz des für die vertragsgegenständlichen Instandhaltungsleistungen eingesetzten Personals für eine Tariftreueverpflichtung entschieden. Der AN wird daher verpflichtet, diese Arbeitskräfte bei der Ausführung der o.g. Leistungen mind. nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Für alle vorstehenden Ausführungen wird ergänzend auf die Vertragsunterlagen verwiesen.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 1 und 3, jeweils unter II.2.4
4 Das Kapital entzieht sich in den letzten 20 Jahren nicht nur immer mehr der Tarifbindung und hat selbstverständlich auch kein Interesse an Auflagen zur Tariftreue, die in einem über viele Jahre andauernden Konflikt gegen das Kapital durchgesetzt wurden. Die einschlägigen Regeln zur Tariftreue finden sich im Berliner Auftrags – und Vergabegesetz (BerlAVG), GVBl. 2020, 276. Das geänderte BerlAVG trat am 1. Mai 2020 in Kraft. Es gilt für alle Vergabeverfahren, die ab dem 1. Mai 2020 begonnen werden. Am 2. April 2020 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus dieses Gesetz in der Fassung der Vorlage zur Beschlussfassung  – Drucksache 18/2538 – angenommen Die Regelungen zur Tariftreue finden sich also nicht im GWB, sondern in den Ländergesetzen, die dafür auch die Zuständigkeit haben, da diese „Regelungen unter das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Absatz 1 Nr. 11 GG fallen und nach Art. 70 GG i.V.m. Art. 72 Absatz 2 GG der Bund im Rahmen dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz den hier vorliegenden Regelungsgegenstand nicht abschließend gesetzlich geregelt hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.07.2006 – 1 BvL 4/00)“ – so wörtlich die Begründung zu § 9 BerlAVG.
5 § 10 BerlAVG lautet: „Öffentliche Personennahverkehrsdienste
Unbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche Auftraggeber gemäß § 2 Aufträge über öffentliche Personennahverkehrsdienste, wenn sich die Auftragnehmer bei der Angebotsabgabe verpflichten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen und vereinbaren eine dementsprechende Lohngleitklausel für den Fall einer Änderung der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit. Außerdem sind insbesondere die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (Abl. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1) zu beachten“.(§ 10 BerlAVG v. 22.April 2020, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes und weiterer Rechtsvorschriften v. 22. April 2020 (GVBl. S. 276
7 [5]                     „Die AG haben sich zum Schutz des für die vertragsgegenständlichen Instandhaltungsleistungen eingesetzten Personals für eine Tariftreueverpflichtung entschieden. Der AN wird daher verpflichtet, diese Arbeitskräfte bei der Ausführung der o.g. Leistungen mind. nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Für alle vorstehenden Ausführungen wird ergänzend auf die Vertragsunterlagen verwiesen.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 1 und 3, jeweils unter II.2.4
8   § 613a BGB: „(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird. …….
9 J. Seppelt, R. Niemerg u.a. Der Aufstand der Töchter, Hamburg 2018 VSA VerlagKategorienS-Bahn
10 S§ 131 Abs. 2 i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, auf die ausdrücklich verwiesen wird
11 Bei der Erfüllung des Kontrollkriteriums kommt es  auf den tatsächlichen Einfluss auf strategische Entscheidungen und einzelne Managemententscheidungen an, aber auch  auf den Umfang der Vertretung in den Aufsichtsgremien, die entsprechenden Bestimmungen in der Satzung und das Vorhandensein von Eigentumsrechten, so dass es am Ende auf eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände hinausläuft  (Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 14
12 Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 14; dort wird auf den Gegensatz von § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 (sog. PersonenverkehrsVO)  zu § 108 Abs 1 GWB hingewiesen, wo in Ziff. 3 eine Begrenzung privater Beteiligungen geregelt ist.
13 [4]              § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 5 Abs. 2 lit b. Siehe auch: Säcker- Bremer/Helmstäter Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht. München 2018   2. Auflage GWB § 131 Rn. 15; dort wird auf den Gegensatz von § 131 Abs.2 i.Vm. Art. 5 Abs. 2 lit a. VO (EG) Nr. 1370/2007 (sog. PersonenverkehrsVO)  zu § 108 Abs 1 GWB hingewiesen, wo in Ziff. 3 eine Begrenzung privater Beteiligungen geregelt ist.  
14 § 43 Abs.1 Satz 1 BetrVG
15 „Arbeitnehmer organisatorich oder räumlich abgegrenzter Betriebsteile sind vom Betriebsrat als Abteilungsversammlungen zusammenzufassen, wenn dies für die Erörterung der besonderen belange dder Arbeitnehmer erforderlich ist“ (§ 42 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
16 § 43 Abs.1 Satz  4 BetrVG.
17 Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17; Berg/Kocher/Schumann – Berg Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 6. Auflg. Frankf. a.M. 2018 Teil 3 Rn. 188 ff.; handelt es sich um einen Streik, der die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingen zum Ziel hat, wird dieser Streik durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, auch wenn es ein politischer Streik ist; geht es nicht um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, schützen Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs.1 GG (vgl. Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 157 f
18 Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 183 ff.
19 BAG v. 19.06.2007 1 AZR 396/06 juris Rn. 13
20 EGMR 27.11.2014, Nr. 36701/09 – Hrvatski Lijecnicki Sindikat (HLS) ./. Kroatien; Klaus Lörcher AuR 4/2015 S. 126, 129; siehe auch Däubler-Lörcher 4. Auflg. § 10 Rn. 85
21 Das angegriffene innerstaatliche Urteil muss auf der Verletzung der Konvention beruhen; dann  innerstaatlich ein Restitutionsverfahren möglich, § 580 Nr. 8 ZPO

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Die Bedeutung des 9. November 1918 für eine antifaschistische Politik

In Teil I wird kurz eine Übersicht die Revolution 1918/19 und Gegenrevolution gegeben und in Teil II die Bedeutung der Nichtvollendung dieser Revolution für die antifaschistische Politik in sechs Thesen zusammengefasst (II).

I. Eine kurze Geschichte der unvollendeten Revolution von 1918 

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 war zugleich das Ende der ersten deutschen Republik.

Diese erste Republik war das Ergebnis der Revolution von 1918/19.

Bis dahin war Deutschland vorrepublikanisch geprägt. Die Unternehmer verfügten zwar nach der großen Industrialisierungswelle der vorangegangenen Jahrzehnte über die ökonomische Macht, Berlin war ein aus ganz Europa herausragendes industrielles Zentrum. Aber – anders als die französischen Unternehmer 1789 – hatten es die deutschen Unternehmer 1848 nicht vermocht, auch die politische Macht zu erringen. Die Verfügungsgewalt über die Exekutive und das Militär blieb weitgehend in der Hand des Adels, mit dem Kaiser an der Spitze. Der Kaiser ernannte und entließ den Reichskanzler, er war der oberste Heeresführer und entschied über Krieg und Frieden. Der Reichstag besaß lediglich das Recht, den staatlichen Haushalt zu verabschieden. Die abhängig Beschäftigten hatten weder die politische noch die ökonomische Macht.

1914 erklärte Deutschland Russland den Krieg. Die SPD verkündete: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich“. Und die Gewerkschaften verkündeten den so genannten „Burgfrieden“, d.h. sie verzichteten für die Dauer des Krieges auf jeglichen Streik.

Es dauerte eine Zeit, bis sich Widerstand regte. Er wurde nicht über die Gewerkschaften organisiert, sondern über die revolutionären Obleute, die allerdings alle erfahrene Gewerkschafter waren. Der  Widerstand zeigte sich in Arbeitsniederlegungen, die von immer mehr Beschäftigten befolgt wurden. Er richtete sich zunächst gegen die immer schlechtere Versorgung der Bevölkerung und wurde dann immer politscher, bis er zum Schluss unmissverständlich das Ende des Krieges forderte.

Im Herbst 1918 war es dann so weit. Von Kiel aus sprang der Funke auf andere Städte über, bis er am 9. November auch Berlin erreichte. Der Generalstreik am 9. November besiegelte das Ende des Krieges und des Kaiserreichs.

In den folgenden Monaten ging es darum, Entmilitarisierung und Demokratisierung voranzutreiben und zu festigen. Sebastian Haffner hat das in seinem Buch über die Novemberrevolution sehr prägnant beschrieben, auch die bremsende Rolle der SPD in diesem Prozess.

Militarismus zusammen mit Kaisertreue hatten im ersten Weltkrieg Millionen Tote gekostet. Wenn mit dieser Tradition gebrochen werden sollte, durften alle diejenigen, die bisher dafür gestanden hatten, nicht mehr in Amt und Würden bleiben. Aber sie blieben in der Justiz, in der Verwaltung und im Militär und durften weiter über Menschen entscheiden und die Gesellschaft im Inneren prägen. Hinter der Fassade der Demokratie existierte der undemokratische Geist der Kaiserzeit und Militarismus weiter. „Der Kaiser ging, die Generäle blieben“. Nicht nur die Generäle blieben. Obwohl es große Streiks für die Vergesellschaftung des Kohlebergbaus und der eisenschaffenden Industrie gab, weil sie in besonderen Maße den Krieg vorangetrieben und daran verdient hatten, wurde auch das große Kapital nicht angetastet. Das war die unvollendete Revolution.

Stattdessen wurden die Revolutionäre bekämpft, also diejenigen, die sich für das Ende von Krieg und für die Republik eingesetzt hatten. Im Frühjahr 1919 und 1920 nach dem Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Ludendorff Putsch wurden von Freikorps Tausende umgebracht. Dieser Putsch im Jahr 1920 war zwei Jahre nach der Revolution der erste Versuch, die ganze Republik zu beseitigen. 1920 konnte der Generalstreik dem noch ein Ende setzen. 13 Jahre später, gelang die Verteidigung der Republik nicht mehr. Alle organisierten Widerstandskräfte wurden zerschlagen. Hitler begann die Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges. Es sollte kein Massenwiderstand im Wege stehen wie im ersten Weltkrieg. Denn  diesen Widerstand betrachteten alle Reaktionäre als Grund für ihre  Niederlage im ersten Weltkrieg (Dolchstoßlegende). Hitler nannte immer wieder diejenigen, die die erste Republik und das Kriegsende durchgesetzt hatten, „Novemberverbrecher“.

Das war die Ausgangslage am 9. November 1938, als die  Reichspogromnacht den Boden für die systematische Vernichtung von Millionen Juden bereitete. Alle Kräfte, die sich dem hätten entgegenstellen könne, waren zerstört: Die Arbeiterparteien, die Gewerkschaften und alle anderen demokratische Organisationen und Parteien.    

Thesen zur Bedeutung dieser Revolution für eine antifaschistische Politik 

  1. Eine der zentralen Losungen der VVN-BdA ist: Nie wieder Krieg.  Schon aus diesem Grund muss die Revolution von 1918 für uns eine große Bedeutung haben. Denn diese Revolution von 1918 baute auf den Massenstreiks während des ersten Weltkrieges auf und war zuallererst eine Antikriegsbewegung. Massenstreiks gegen den Krieg in diesem Ausmaß hat es danach nie mehr gegeben.
  2. 1918 bis 1933 umfassten keine lange Zeit: 15 Jahre. Die meisten, die das Ende der ersten deutschen Republik mit der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler erlebten, hatten schon die Geburtsstunde dieser Republik in der Revolution am 9. November 1918 erlebt. 
  3. Aber es geht nicht nur um den engen zeitlichen Zusammenhang, viel wichtiger ist der  innere Zusammenhang zwischen der Nichtvollendung der Revolution 1918/19 und dem Sieg des Hitlerfaschismus 1933. Einer der wichtigsten Gründe für das Erstarken des Hitlerfaschismus war, dass die Anhänger von Militarismus und Monarchie nicht wirklich entmachtet worden waren und nicht ein starkes demokratische Fundament geschaffen wurde, so dass alle Reaktionäre mit der  Formierung des Faschismus alle Errungenschaften von 1918 beseitigen konnten.  
  4. Der Hitlerfaschismus war zunächst nichts anderes als die Zerstörung von allem, was die Revolution 1918 durchgesetzt hatte.
  5. Auch nach 1945 gelang es nicht, die Verantwortlichen für Krieg und Faschismus von den Ämtern in der Justiz, in den Verwaltungen und im Militär fernzuhalten, jedenfalls gilt das uneingeschränkt für Westdeutschland. Gut 10 Jahre später gab es auch wieder eine deutsche Armee – mit faschistischen Generalen an der Spitze. 
  6. In die Zeit der Restauration gehört auch, dass die Erinnerung an die Revolution 1918 fast vollständig ausgelöscht und auch damit das Werk des Faschismus weitergeführt wurde.
  7. Der Faschismus hatte den 9. November zu einem Tag des Gedenkens an diejenigen gemacht, die im Hitler – Ludendorff Putsch 1923 gegen die Republik getötet worden waren und damit die Erinnerung an den 9. November komplett auf den Kopf gestellt. Aus einem Tag der Erinnerung an die Geburtsstunde der Republik wurde ein Tag der Erinnerung an diejenigen, die sie am 9. November 1923 zerstören wollten.
  8. Auch die Reichspogromnacht 1938 fiel auf den 9. November. In einer Erklärung zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution, die von rund 170 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterstützt wurde, heißt es dazu: “Wir glauben nicht, dass die jährliche Erinnerung an die Reichspogromnacht von 1938 am 9. November die Erinnerung an die Revolution von 1918/19 am selben Tag ausschließt. Im Gegenteil: Wer angemessen an die Judenpogrome erinnern will, muss an die Zerstörung der Republik 1933 erinnern, die schon mit der blutigen Niederschlagung der Revolution 1918/19 begann. Die Machtübergabe an Hitler 1933 war die Vollendung der Gegenrevolution, völker- und massenmörderische Menschheitsverbrechen waren die Folge und der Antisemitismus von Beginn an Teil des konterrevolutionären Programms. 1933 waren die Gegenkräfte auch des Antisemitismus niedergeworfen, 1938 die Gewerkschaften und Arbeiterparteien längst verboten, alle demokratischen Rechte längst beseitigt“.
  9. Wer die Erinnerung an den 9. November 1918 vergisst, kann nicht angemessen an den 9. November 1938 erinnern.
  10. Der Schwur von Buchenwald lautet: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. Das waren auch die Ziele der Revolution von 1918: Gegen den Krieg und für die Republik und Demokratie. Die Antifaschisten nach 1945 und die Revolution 1918/19 kämpften für dasselbe Ziel: Den Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit. 
  11. Es gibt dafür zahllose Beispiele. Zwei möchte ich hier nennen:    
  12. Der Artikel 15 Grundgesetz wurde fast wortgleich aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen. Allein aufgrund des enormen Drucks der Revolution 1918/19 wurde dieser Artikel in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen (Art. 156 Satz 1 WRV), der die Vergesellschaftung großen Kapitals ermöglicht. Er wurde in das Grundgesetz aufgenommen, weil es nach dem zweiten Weltkrieg allgemeine Überzeugung war, dass das große Kapital eine Mitverantwortung für den Faschismus hatte. Wie schon nach dem ersten Weltkrieg wurde er auch nach dem zweiten Weltkrieg nicht angewandt. Nach 100 Jahren ist aber jetzt die Rechtsgrundlage für die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
  13. Ein Denkstein auf dem alten Friedhof in Buer Gelsenkirchen stellt ebenfalls diesen Zusammenhang dar. In der Mitte auf diesem Gedenkstein steht: „Zerstampft des Unrechts Drachensaat / Zerstampft den Hass von Staat zu Staat / Versenkt die Waffen in Gewässern / Dann wird im Friedenssonnenschein / Die ganze Welt uns Heimat sein“ Auf der linken Seite sind die Namen derer genannt, die als Mitglieder der Roten Ruhrarmee gegen den Kapp-Putsch ermordet wurden. Das Denkmal wurde von den Nazis zerstört. Auf Initiative des „Komitees ehemaliger politscher Gefangener und Konzentrationäre“, aus der später die VVN hervorging, wurde es nach dem Krieg neu errichtet. Nun wurden auf der rechten Seite die Namen von ermordeten Mitgliedern von Arbeiterorganisationen und von Angehörigen zwei jüdischer Familien hinzugefügt, die von den Nazis ermordet wurden.
  14. Die VVN-BdA Kreuzberg Friedrichshain hatte in ihrer Rede am 8. Mai darauf hingewiesen, dass sich die Häftlinge in Buchenwald in den letzten Stunden vor der Befreiung durch die amerikanische Armee selbst befreien konnten. Dieser Moment der Selbstbefreiung ist gerade deshalb so bedeutsam, weil insgesamt die Befreiung vom Faschismus keine Selbstbefreiung war. „Befreiung“ hat auf der Demonstration am 8. Mai eine sehr große Rolle gespielt. „Befreiung“ stand auf dem Transpart, das an der Spitze des Zuges getragen wurde. Befreiung wurde als gegenwärtige Aufgabe verstanden. Und das kann nur Selbstbefreiung sein. Wir müssen uns mit allen anderen, die in diese Richtung gehen, dafür einsetzen, dass dieses Land von Rassismus, aber auch von Kriegsgefahr und Unterdrückung befreit wird.
  15. Als Beispiel für Selbstbefreiung ist die Revolution von 1918/19 das große Beispiel in unserer Geschichte. Die Revolution von 1918 war ein Massenkampf von enormem Ausmaß und hatte auch mindesten zum Teil Erfolg. Denn sie besiegelte nicht nur das Kriegsende, sondern schuf auch die erste deutsche Republik für die Dauer von 15 Jahren, während der erste Versuch 1848 soweit gar nicht kam, sondern schon vorher mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. 
  16. In Frankreich ist der 14. Juli, der Tag des Sturms auf die Bastille, der wichtigste Nationalfeiertag; Denn dieser Tag legte 1789er den Grundstein für die erste französische Republik. Sicher wird dieser Tag von der herrschenden Schicht stark vereinnahmt, zum Beispiel zeigt die französische Armee an diesem Tag in jedem Jahr ihre neueste Waffentechnik auf dem Champs Elysee. Aber das ist nur die eine Seite. Dieser Tag des Aufstandes ist tief in der französischen Bevölkerung verankert. Er wird in jedem Dorf gefeiert. Die Gelbwesten riefen bei ihren Protesten: „Macron in die Bastille“.
  17. Bei uns ist der entsprechende Tag der 9. November. Er kann wegen des 9. November nicht gefeiert werden, aber als nationaler Gedenk- und Erinnerungstag an den 9. November 1918 und den 9. November 1938 muss er ein arbeitsfreier werden.

Kleine Geschichte der Leiharbeit – Gesamtfassung

– Inhaltsverzeichnis –

jede der folgenden blauen Zeile kann man zum Weiterlesen anklicken und weiterlesen:

1. Leiharbeit bis 1945

2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

3. Besserer Schutz durch ein Gesetz (AÜG)?

4. Deregulierung und Demontage

5. „equal pay“ und Niedriglohnsektor

6. Leiharbeit gefährdet das Streikrecht


1. Leiharbeit bis 1945

25. August 2020 von benhop

Bis 1967 war Leiharbeit verboten.

Das war nicht immer so.

Bis zum ersten Weltkrieg war die Verleihung von Arbeitskräften und Stellenvermittlung überwiegend das Geschäft von einigen Tausend privaten Vermittlern.

Die Wende kam in der Folge der Novemberrevolution.

Eine öffentliche Stellenvermittlung löste Schritt für Schritt die Arbeitsvermittlung durch privates Gewerbe ab[1]  vgl. Abkommen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vom 15. November 1918: „Die großen Arbeitgeberverbände vereinbaren mit den Gewerkschaften der Arbeitnehmer u.a.: „… 5. … Continue reading.

Da die Verleihung von Arbeitskräften durch privates Gewerbe als Arbeitsvermittlung galt, war sie, ebenso wie die private Arbeitsvermittlung, ab dem 31. Januar 1931 verboten.

Das Verbot der Verleihung von Arbeitskräften als privates Gewerbe wurde während des Faschismus aufgehoben. Arbeitskräfte wurden in großem Umfang zur Zwangsarbeit verliehen. Auch die Arbeitsämter selbst organisierten Zwangsarbeit und die Versorgung von Rüstungsbetrieben und anderen kriegswichtigen Betrieben mit Arbeitskräften. Die Arbeitslosigkeit sank, weil die Rüstungsproduktion stieg. Erst Millionen Arbeitslose, dann Millionen in der Rüstungsproduktion, dann Millionen Kriegstote.

Nach dem Krieg wurden die Vorschriften zur Arbeitsvermittlung und zur gewerbsmäßigen Verleihung von Arbeitskräften aus der Weimarer Republik wurden nahezu wortgleich übernommen. Gewerbsmäßige Arbeitskräfteverleihung galt wieder als Arbeitsvermittlung, verstieß damit wieder gegen das Alleinvermittlungsrecht der Arbeitsämter und war also wieder verboten.


2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

1967 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitskräfteverleihung auf[2]BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994.

Wer aber meint, ein erneutes Verbot der Leiharbeit werde wieder am Bundesverfassungsgericht scheitern, kann sich auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berufen. Das Bundesverfassungsgericht traf seine Entscheidung unter Annahmen, die heute nicht mehr gegeben sind[3]Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.. Es  formulierte Voraussetzungen, die nicht mehr erfüllt werden. Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist nicht mehr „sehr begrenzt“[4]BVerfG a.a.O. Die Verträge des Verleihers mit seinen Leiharbeitern werden nicht mehr nur „auf Dauer“ vereinbart[5]BVerfG a.a.O.. Und schließlich werden überwiegend Menschen  beschäftigt, für die das Leiharbeitsverhältnis die einzige Existenzgrundlage ist[6]Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19.

Dem Bundesverfassungsgericht war die Freiheit der Unternehmer, Arbeitskräfteverleihung als Gewerbe zu betreiben, wichtiger als der arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Schutz dieser Arbeitskräfte. Der Befürchtung, dass die Leiharbeitskräfte dieses Schutzes beraubt würden, begegnete das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Gerichte, bei denen ein Leiharbeiter seine Ansprüche einklagen könne.

Dass das nicht reichte, zeigte sehr schnell die Realität. Die elementarsten Unternehmerpflichten wurden von den Verleihern nicht eingehalten: Löhne wurden vorenthalten und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Dabei nahm die Zahl der Verleihfirmen sprunghaft zu.


3. Besserer Schutz durch ein Gesetz (AÜG)?

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Zur wirksameren Unterbindung solcher Verstöße beschloss der Bundestag 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)[7]AÜG vom 7. August 1972 (BGBl. Teil 1 S. 1393.

Dieses Gesetz regelte zulässige Arbeitskräfteverleihung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Danach hat ein Verleiher das Recht, eine Arbeitskraft an ein anderes Unternehmen weiter zu verleihen, und übernimmt gleichzeitig für diese Arbeitskraft die üblichen Pflichten eines Unternehmers (Lohnzahlung, Lohnfortzahlung im Urlaub und bei Krankheit, Kündigung nach den Regeln des Kündigungsschutzgesetzes usw.). Grundlage ist ein Vertrag, den Verleiher und Leiharbeiter miteinander vereinbaren und der „während der Zeit, in der der Arbeitnehmer in dem fremden Betrieb tätig wird, weiter besteht“[8]BVerfG a.a.O..

Die Verleihung der Arbeitskraft wird in einem gesonderten Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher, zum Beispiel Daimler, vereinbart (Arbeitnehmer-Überlassungsvertrag[9]Muster können aus dem Internet heruntergeladen werden ).

Der Verleihung von Arbeitskräften ist ein besonderes wirtschaftliches Risiko eigen; denn nach einer abgeschlossenen Verleihung in einen Einsatzbetrieb können Anschlussaufträge fehlen, also einsatzfreie Zeiten drohen. Das Gesetz wollte   verhindern, dass der Verleiher dieses Risiko auf die Leiharbeitskraft abwälzt. Deswegen ordnete es an, dass der Vertrag des Verleihers mit seinem Arbeiter grundsätzlich nicht befristet ist (besondere Befristungsverbote)[10]§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5 AÜG  i.d.F. v. 7.8.1972.;  insbesondere darf dieser Vertrag nicht auf den Zeitraum des ersten Einsatzes beschränkt sein (Synchronisationsverbot). Dabei verpflichtet das Gesetz den Verleiher zwingend, dem Leiharbeiter den Lohn auch in Arbeitszeiten weiter zu zahlen, in denen er ihn nicht beschäftigen kann[11]so genannter Annahmeverzug, der für jeden Arbeitgeber gilt, § 615 Satz 1 BGB, der nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG bei einem Leiharbeiter nicht durch Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden kann

Das Gesetz wollte zudem verhindern, dass ein  Leiharbeiter auf Dauer in einem Betrieb eingesetzt werden kann. Wenn Daimler eine Arbeitskraft für mehr als 3 Monate brauchte, sollte Daimler eine Stammarbeitskraft einstellen. Das regelte das Gesetz dadurch, dass es eine Höchstverleihdauer anordnet.  Länger als drei Monate durfte kein Leiharbeiter bei Daimler eingesetzt werden.  

Besonders wichtig sind die Vorschriften zur staatlichen Aufsicht des Verleihers und die Sanktionen zur  Einhaltung und Durchsetzung der Schutzvorschriften dieses Gesetzes[12]Bei Verletzungen von Vorschriften  dieses Gesetzes drohen überdies  Bußgelder (§ 16 AÜG) und andere Sanktionen (z.B. Strafen wegen Steuerhinterziehung oder Beitragshinterziehung, weil Steuern … Continue reading). Das Verleihen von Arbeitskräften bedarf einer besonderen Erlaubnis[13]§ 1 Abs. 1 S. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972; die Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit (§ 17 AÜG), „um illegale Praktiken zu unterbinden“[14]Minister Arndt in Bundestagsdebatte v. 21.06.1972 BT-Protokolle 6. Wahlperiode 194. Sitzung S. 11379. Wenn der Verleiher  ohne Erlaubnis handelt, wird durch Gesetz aus der Leiharbeitskraft eine Stammarbeitskraft von Daimler[15]  §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972.

Obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verabschiedet worden war, um Leiharbeitskräfte besser zu schützen, konnte es nie auch nur die elementarsten Rechte der Leiharbeitskräfte sicherstellen. Leiharbeiter selbst nehmen diese  Rechte nur selten wahr; die Rolle, die ihre Verleiher dabei spielen, verschweigen sie. Angst leitet das Verhalten der Leiharbeiter, Angst als Kehrseite der Schutzlosigkeit und Unterdrückung[16]Ein Beispiel: „Sowohl im Jahr 1978 als auch im Jahr 1979 wurde beobachtet, dass vor Feiertagen, insbesondere in der Weihnachts-/Neujahrswoche eine ungewöhnlich große Anzahl von Leiharbeitnehmern … Continue reading.  


4. Deregulierung und Demontage

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

In den 80er Jahren wurde ein fundamentaler Umbruch im Arbeits- und Sozialrecht eingeleitet, der bis heute andauert. Seitdem konzentrieren sich alle Bundesregierungen  – unabhängig davon, ob sie schwarz/gelb,  rot/grün oder schwarz/rot zusammen gesetzt sind – darauf, die Dämme einzureißen, die die abhängig Beschäftigten zu ihrem Schutz über Jahrzehnte erkämpft hatten (Deregulierung)[17]vgl. Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394. Die im Jahr 2002/2003 beschlossenen Hartz Gesetze sind der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.


4.1 Die Demontage des AÜG

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Die Deregulierung oder – besser gesagt-  die Demontage des AÜG erfasste Schritt für Schritt alle wesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes:

  1. die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf,
  2. die besonderen Befristungsverbote für Verträge zwischen Leiharbeiter und Verleiher, und
  3. die Sanktionen bei  illegaler Leiharbeit.

Alles begann 1985 mit dem so genannten Beschäftigungs-förderungsgesetz[18]Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG v. 26.04.1985 BGBl. Teil I S. 710) : Die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf, wurde von drei auf sechs Monate erhöht[19] § 3 Abs. 1 Nr. 6 a.F. AÜG.

In den folgenden Jahren wurde diese zulässige Höchstverleihdauer Schritt für Schritt  immer mehr ausgeweitet: Von 6 auf 9 Monate, von 9 auf 12, von 12 auf 24 Monate; 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze wurde sie vollständig gestrichen. Das öffnete der Verdrängung von Stammarbeitskräften durch billigere Leiharbeitskräfte Tür und  Tor.

Die Tore wurden nie wieder geschlossen, nicht durch  die 2011 eingeführte Eingrenzung der Verleihdauer[20]Diese Eingrenzung der Verleihdauer wurde notwendig aufgrund der Leiharbeit-EU-Richtlinie auf eine  „vorübergehende“ Verleihung und auch nicht durch die Neufassung des AÜG aus dem Jahr 2016[21] Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 18/9232) nach zweiter und dritter Lesung am 21.10.2016 am selben Tag beschlossen (BT-Protokolle 18/197 v. … Continue reading. In dieser jüngsten Neufassung  wird für Verleiher die Höchstverleihdauer von Arbeitskräften auf 18 Monate eingeschränkt; doch nach drei Monaten kann eine Leiharbeitskraft wieder nach Daimler zurückkehren. Damit wird die ursprüngliche Höchstverleihdauer aus dem Jahre 1972 von drei Monaten immer noch um das 6fache übertroffen; es wird auch nicht unterbunden, dass nach spätestens 18 Monaten auf demselben Arbeitsplatz eine neue Leiharbeitskraft, und danach wieder die alte Leiharbeitskraft  eingesetzt wird und so durch abwechselnden Einsatz zweier Leiharbeitskräfte eine Stammarbeitskraft auf diesem Arbeitsplatz nie mehr zum Zuge kommt[22]Es ist fraglich, ob die Gerichte nach dieser neuen Regelung zu einer Rechtsfortbildung bereit sind, die die dauerhafte Besetzung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeitskräfte ausschließt (vgl. zur … Continue reading. Dieser Arbeitsplatz wird nicht mehr nur vorübergehend, sondern auf Dauer durch Leiharbeitskräfte besetzt. Eine gesetzliche Regelung, die das ausschließt, ist nicht unmöglich, wie Arbeitsministerin A. Nahles meint[23]A. Nahles BT Protokolle 18. Wahlperiode 190 Sitzung v. 22.09.2016, S. 18764  ; denn eine solche Regelung, einschließlich der entsprechenden Rechtsprechung, existiert bereits für befristete Einstellungen mit sachlichem Grund[24]Eine befristete  Einstellung ist zulässig, „wenn der betriebliche Bedarf an Arbeitsleistung vorübergehend ist“ (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG); vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: … Continue reading. Die Ministerin hätte sich  für eine entsprechende Regelung im AÜG einsetzen können, so dass eine Tätigkeit nicht mehr auf Dauer nur von Leiharbeitskräften erledigt werden kann[25]Eine solche Regelung kann nicht eine Regelung zur Höchstverleihdauer ersetzen, sondern nur ergänzen  . Konsequenter wäre es jedoch, den Einsatz von Leiharbeitskräften ganz zu verbieten. Bei vorübergehendem betrieblichem Bedarf an Arbeitsleistung haben die Unternehmer dann immer noch die Möglichkeit, eben aus diesem Sachgrund befristet einzustellen[26]So auch der Abg. der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst in seiner Rede im Bundestag am 21.10.2016 (zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des AÜG, BT-Protokolle 18/197 Sitzung v. 21.10.2016 … Continue reading.

Die  jüngste Neufassung sieht zudem eine unbegrenzte Erhöhung der Verleihdauer vor, wenn sie durch die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche tarifvertraglich vereinbart wird. Dementsprechend hat die IG Metall mit GesamtMetall die  Möglichkeit eröffnet, im Rahmen von freiwilligen Betriebsvereinbarungen die Höchstverleihdauer auf 48 Monaten und im Einzelfall darüber hinaus zu verlängern; kommt eine Betriebsvereinbarung nicht zustande gilt eine  Höchstverleihdauer von 24 Monaten. Einer gerichtlichen Überprüfung werden solche Betriebsvereinbarungen  ebenso wenig wie die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen im Tarifvertrag und Gesetz standhalten[27]Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. … Continue reading.       

Die besonderen Befristungsverbote im  Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurden zunächst gelockert und dann 2002/2003 – im Zuge der Hartz Gesetze – ganz gestrichen, auch das so genannte Synchronisationsverbot, das eine Begrenzung des Arbeitsvertrages auf die Dauer des ersten Einsatzes untersagte. Seitdem gelten bis heute nur noch die Befristungsregeln, die grundsätzlich für alle Arbeitsverträge gelten[28]Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. … Continue reading. In den ersten beiden Jahren kann der Verleiher demnach  Befristungen mit seiner Leiharbeitskraft vereinbaren, die mit dem Ende der ersten Verleihung auslaufen. Dadurch kann der Verleiher das wirtschaftliche Risiko fehlender Anschlussaufträge und einsatzfreier Zeiten voll auf den Leiharbeiter abwälzen – und damit genau das tun, was 1967 das Bundesverfassungsgericht und 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausgeschlossen hatten.

Die Sanktion wegen illegaler Leiharbeit lief zunehmend ins Leere. Wir erinnern uns: Diese Sanktion besteht darin, dass Leiharbeiter durch Gesetz zu Stammarbeitern von Daimler werden. Sie galt nach dem AÜG von 1972 auch bei der Überschreitung der Höchstverleihdauer, wurde aber 1997 für diesen Fall aufgehoben[29]Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung AFRG v. 24.3.1997 BGBl I S. 594; vgl. BAG v.10.12.2013 9 AZR 51/13. Werkvertragsunternehmen droht diese Sanktion, wenn ihr Einsatz in den Betrieben nur dem Namen nach Werkvertrags-Tätigkeit, in Wirklichkeit aber Leiharbeit ist (verdeckte Leiharbeit); denn dafür fehlt ihnen die Erlaubnis, ohne die Verleiher ihr Geschäft nicht betreiben dürfen. Werkvertragsunternehmen entgingen dieser Sanktion, indem sie einfach auf Vorrat eine Erlaubnis beantragten – als ‚Rettungsschirm‘ für den Fall, dass ihr Werkvertrags-Einsatz als Leiharbeit ‚enttarnt‘ wurde[30]Diese Praktik wurde vom BAG  u.a. deswegen als gesetzeskonform gewertet, weil der Bundestag sie gebilligt hatte ( BAG v. 12.7.2016 AZR 352/15). Die jüngste Neufassung des AÜG des Jahres 2016 unterbindet diese Erlaubniserteilung auf Vorrat und kehrt auch bei Überschreitung der Höchstverleih-dauer wieder zu der Sanktion zurück wie sie bis 1997 nach dem AÜG galt.


4.2 Das Begründungsmuster

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Das Muster, mit dem der Abbau von sozialen Rechten und Arbeitsrechten begründet wird, lässt sich schon an der  Begründung des Beschäftigungsförderungsgesetzes des Jahres 1985 ablesen. Während die sozial-liberale Bundesregierung 1972 die Verabschiedung des Arbeitnehmerüberlassungs-gesetzes ausschließlich mit der Notwendigkeit begründete, den Schutz der Leiharbeitskräfte zu verbessern[31]Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Drs. VI/2303, S., baute die christlich-liberale Bundesregierung genau diesen Schutz mit der Begründung ab, „zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“[32]Gesetzesentwurf Drs. 10/2102, S. 1.. Die Bundesregierung behauptete, dieses Ziel u.a. durch Erleichterungen bei der Verleihung von Arbeitskräften erreichen zu können. Dadurch würden die Unternehmer, statt Überstunden abzubauen, mehr Leiharbeiter einstellen[33]Bundesrat Drs. 393/84 S.16, 20 f. Neben der Erleichterung der Leiharbeit erlaubte die Bundesregierung in diesem Gesetz vor allem auch erstmalig die befristete Einstellung ohne Begründung; davor … Continue reading.

Das zuständige Bundesministerium gab eine Überprüfung dieses Gesetzes auf seine Beschäftigungswirkung in Auftrag. Diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis: Das Beschäftigungsförderungsgesetz hatte nur „marginale direkte Zusatzeinstellungs-Effekte“[34]empirische Evaluation des BeschFG im Auftrag des BMAS, vom Wissenschaftszentrum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Infratest, München, zwischen 1987 und 1989 durchgeführt; Grundlage … Continue reading

Entscheidend ist eben, dass ein Unternehmen nicht einstellt, wenn  die Aufträge fehlen. Die Beschäftigungslage hängt von der Auftragslage in den Unternehmen ab und nicht von Erleichterungen bei der Einstellung von Leiharbeitern. Die Propagierung der Deregulierung als Beschäftigungs-förderung[35]Mit ihrer Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz machte sich die Regierung „die Kritik der ‚De-regulierungs‘-Befürworter am Kündigungsschutz zu eigen“ (Büchtemann … Continue reading ist ein ausgemachter Unsinn mit allerdings bösen Folgen für die abhängig Beschäftigten, die ihrer Schutzrechte beraubt werden.

Zusätzliche Beschäftigung durch Einstellung von mehr Leiharbeitskräften ist kein erstrebenswertes Ziel.  Die IG Metall propagierte stattdessen, die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen, und  war mit diesem Ziel in ihren bisher letzten großen Kampf gezogen, den Kampf um die 35 Stunden Woche[36]Auch die SPD lehnte das Beschäftigungsförderungsgesetz ab. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schaffe keine Beschäftigung. Sie forderte „die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, … Continue reading).

Dagegen lief die von der Kohlregierung propagierte Politik auf nichts anderes hinaus, als die Arbeitslosigkeit zu nutzen, um die Positionen der Unternehmer zu stärken. Sie nutze die Angst vor Arbeitslosigkeit und machte daraus ein Programm zum Abbau von Schutzrechten in Zeiten, in denen der Druck auf die abhängig Beschäftigten am größten ist und sie diese Rechte am meisten  brauchen.

„ Mehr Arbeit durch weniger Rechte und weniger sozialen Schutz“ – das sollte das Grundmuster für die Begründung aller folgenden Gesetze sein,  die auf den Abbau von sozialen Rechten und Leistungen  gerichtet waren – obwohl sich dieses Muster schon als  Begründung  für das Beschäftigungs-förderungsgesetz als nicht tragfähig erwiesen hatte.

Die Hartz Gesetze standen unter dem Motto: „Sozial ist was Arbeit schafft“. 

Typischerweise gehen diese Angriffe auf die abhängig Beschäftigten einher mit Angriffen auf ihre Gewerkschaften. So auch im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen. Bundeskanzler Schröder drohte in seiner 2010-Agenda-Rede wörtlich: „Die verantwortlichen – Gesetzgeber wie Tarifpartner – müssen in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktlage ihre Gestaltungsspielräume nutzen, um Neueinstellungen zu erleichtern. … Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien entlang dessen, was es bereits gibt – aber in weit größerem Umfang – auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln wissen“[37]Bundestagsprotokolle 15. Wahlperiode 32. Sitzung Freitag, den 14. März 2003, S. 2487. Damit reihte sich der Bundeskanzler in die Linie von CDU/CSU und FDP ein und propagierte die Bekämpfung der  Arbeitslosigkeit durch Bekämpfung tariflicher Mindeststandards – wenn nicht mit den Gewerkschaften (durch ausufernde Öffnungsklausel), dann gegen sie[38]Vgl. Hopmann, Köbrich, Linder „Angriff auf die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit“ Sozialismus 12/2003 S. 48 ff..    

Was die Hartz Gesetze in den Köpfen angerichtet haben, ist  ebenso verheerend wie die Hartz Gesetze selbst. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen erheblich gesunken. Die meisten damaligen Befürworter der Hartz Gesetze[39]Bei den Hartz Gesetzen lag die Regie in den Händen einer  rot/grünen Bundesregierung. Weil aber auch der Bundesrat den Gesetzen zustimmen musste und die Mehrheiten im Bundesrat andere waren als … Continue reading führen das  nicht auf eine bessere Konjunktur, sondern auf diese Gesetze zurück.

Die nächste Krise kommt bestimmt und ebenso sicher werden die Unternehmer versuchen, dann noch mehr Rechte der Beschäftigten abzubauen. Das Begründungmuster ist schon bekannt: Es wird dasselbe sein, wie das der vorangegangenen Jahre.

Es ist eine Politik mit verheerenden Folgen. Das zeigt der enorme Wählerzulauf für die AfD, die die Unzufriedenheit auf  völkische und rassistische Mühlen lenkt. Auch ein Blick zurück in die Geschichte schärft den Blick für die Konsequenzen, die eine Politik des Abbaus von Arbeitsrechten und sozialen Leistungen nach sich zieht: Zum Ende der Weimarer Republik verfolgte die  Regierung Brüning einen rigorosen Sparkurs und senkte Sozialausgaben und Löhnen durch Notverordnungen.  Die folgende Regierung Papen erließ am 5. September 1932 eine Notverordnung, die den Unternehmen erlaubte, bei Neueinstellungen unter die tarifvertraglichen Lohnsätze zu gehen. Den Gewerkschaften wurde durch eine weitere Verordnung vom 3. Oktober 1932 der Kampf dagegen verboten[40]Zu diesen beiden Verordnungen im Einzelnen: M. Kittner Arbeitskampf S. 496 f; auch diese Notverordnung führte zu keiner „Vermehrung von Arbeitsgelegenheiten“, wie es der Name dieser Vorordnung … Continue reading. Alles „zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit“, so der Name der Notverordnung vom 5. September 1932. 1933 folgte der Hitlerfaschismus, die Zerschlagung der  Gewerkschaften und wenige Jahre später Krieg.


5. „equal pay“ und Niedriglohnsektor

Juni 12, 2021 von admin

23. April 2021 von Benedikt Hopmann

Die rot/grüne Bundesregierung verbarg 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze den Abbau von Schutzrechten für Leiharbeitskräfte hinter dem Versprechen, Leiharbeitskräfte Stammarbeitskräften gleichzustellen; sie versprach nicht nur gleichen Lohn für gleiche Arbeit („equal pay“), sondern insgesamt gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit[41]Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232.  

Was der zuständige Minister der SPD Wolfgang Clement tatsächlich mit „equal pay“ meinte, hatte er schon am 29. November 2002 im Bundesrat gesagt: Tarifabschlüsse unterhalb von „equal pay“[42]Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524..

Die Leiharbeit sollte mit Hilfe von Tarifverträgen aus der „Schmuddelecke“ geholt werden[43]Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233, um einen Niedriglohnsektor[44]„… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. … Continue reading) zu schaffen.   

Tatsächlich wurde in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Regelung aufgenommen, die für Leiharbeitskräfte dieselben Arbeitsbedingungen vorschreibt wie die, die für Stammarbeitskräfte gelten. Diese Vorschrift lässt aber eine Ausnahme zu: Abweichende Regelungen durch Tarifvertrag.

Seitdem können durch Tarifvertrag auch schlechtere Arbeitsbedingungen, insbesondere auch schlechtere Löhne vereinbart werden als die, die für die Stammarbeitskräfte gelten[45]§ 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.. Nach der jüngsten Neuregelung sind schlechtere Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag immer noch 9 Monate lang möglich und diese Frist kann sogar noch verlängert werden – wieder durch Tarifvertrag[46]§ 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des … Continue reading. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es überhaupt nur jede vierte  Leiharbeitskraft länger als 9 Monate bei ein und denselben Verleiher aushält[47]vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.. Ein Verleiher kann eine Gleichstellung für zwei Leiharbeiter zum Beispiel dadurch vermeiden, dass er sie  halbjährlich wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt[48]Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f..  Diese beiden Leiharbeitskräfte werden den Stammarbeits-kräften nie gleichgestellt, ersetzen aber in jedem der beiden  Entleihbetrieb eine Stammarbeitskraft.

Der Gesetzgeber hätte darauf verzichten können, für den Leiharbeiter nachteilige tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz zu erlauben. Das hat die Bundesregierung aber im Interesse des Kapitals nicht getan, auch nicht in der Neufassung von 2016.

Das gesetzliche Angebot zum Abschluss von Tarifverträgen ist vergiftet. Tarifverträge dienen dazu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Funktion von Tarifverträgen wird auf den Kopf gestellt, wenn das gesetzliche Angebot zum Abschuss von Tarifverträgen tatsächlich auf ein Angebot zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinausläuft. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der DGB bis heute auf dieses vergiftete Angebot einlässt anstatt durch Verzicht auf Tarifverträge dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz von Stammarbeitern und Leiharbeitern Geltung zu verschaffen[49]Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die … Continue reading.

Die gewerkschaftliche Handlungsmacht in den Unternehmen der Leiharbeitsbranche reicht nicht aus, um in Tarifverträgen eine Gleichstellung durchzusetzen. Die Einzelgewerkschaften sind deswegen dazu übergegangen in Verhandlungen über die  Flächentarifverträge der Stammbelegschaften Leiharbeiter-Zuschläge durchzusetzen. Aber auch das hat bisher nicht  annähernd zu einer Gleichstellung von Leiharbeitern und Stammarbeitern geführt. Das mittlere Bruttomonatsentgelt einer Leiharbeitskraft beträgt trotz der vereinbarten Tarifverträge immer noch nur knapp 60 % des mittleren Bruttomonatsentgelts aller Vollzeitbeschäftigten[50]Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916.

Die Hartz Gesetze erleichtern einerseits den Verleihern die Verleihung von Arbeitskräften und erhöhen andererseits den  Druck auf Arbeitslose, Stellenangebote von Verleihern anzunehmen. Die im Zuge der Hartz Gesetze verschärften  Zumutbarkeitsregeln und die Sanktionen, die bei Ablehnung einer angebotenen Stelle zunächst eine Kürzung und im zweiten Wiederholungsfall sogar die vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) vorsehen[51]Zur Zumutbarkeit:  § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II. , treiben  Arbeitslose, spätestens nach 12 Monaten[52]Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit  gelten … Continue reading Arbeitslosigkeit, in die Leiharbeit. Im Juni 2016 waren 2,6 Millionen Menschen arbeitslos, aber nur 664.872 offene Stellen gemeldet, davon waren ein Drittel Stellenangebote von Verleihern[53]Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen.

Bundeskanzler Schröder 2005 in Davos:

„Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung  Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt“ 


6. Leiharbeit gefährdet das Streikrecht

Juni 12, 2021 von admin

25. August 2020 von benhop

Das Einzige, was die abhängig Beschäftigten haben, um ihre Interessen gegen die Unternehmer zu verteidigen, ist das  gemeinsame Handeln. Das ist gefährdet, solange den Unternehmen das Recht eingeräumt wird, neben Stammarbeitskräften Leiharbeitskräfte einzusetzen. Insbesondere gefährdet der Einsatz von Leiharbeitskräften eine wirksame Ausübung des Streikrechts[54]Das Streikrecht ist Ausdruck der Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist; das Streikrecht ist ein Grundrecht.

Auch nach den 2016 beschlossenen Änderungen  des AÜG ist es dem Entleiher nicht verboten, Leiharbeiter in einem bestreikten Betrieb einzusetzen. Dem Entleiher ist es nur verboten, einen Leiharbeiter für Tätigkeiten einzusetzen, „die bisher von Arbeitnehmern erledigt wurden, die

1. sich im Arbeitskampf befinden oder

2. ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die sich im Arbeitskampf befinden, übernommen haben“[55]§ 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG n.F...

Für Leiharbeiter, die nicht unter dieses Verbot fallen, bleibt es bei der schon bisher  geltenden Regelung: Sie müssen selbst entscheiden, ob sie ihr Recht auf Leistungsverweigerung wahrnehmen wollen[56]Leiharbeiter, deren Einsatz dem Entleiher nicht verboten ist, sind „nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist“ § 11 … Continue reading und machen in der Regel wegen Angst vor Repressalien von diesem Recht keinen Gebrauch[57]schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.69. Das gefährdet eine wirksame Ausübung des Streikrechts, und zwar umso mehr, je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb schon vor Arbeitskampfbeginn eingesetzt wurden. Je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb arbeiten umso schwerer wird es für die Stammarbeiter, diesen Betrieb im Arbeitskampf zum Stillstand zu bringen.

Wenn Unternehmer  einwenden,  ein vollständiges Einsatzverbot von Leiharbeitern in einem bestreikten Betrieb zerstöre die Kampfparität[58]So der BDA in seiner schriftlichen Stellungnahme v. 12.10.2016 Ausschussdrucksache 18(11)740 S. 36., dann kann man nur erwidern: Die Kampfparität haben die Unternehmer durch die Einstellung von Leiharbeitskräften selbst zerstört.


References

References
1   vgl. Abkommen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vom 15. November 1918: „Die großen Arbeitgeberverbände vereinbaren mit den Gewerkschaften der Arbeitnehmer u.a.: „… 5. Gemeinsame Regelung und paritätische Verwaltung des Arbeitsnachweises“ (M. Schneider Kleine Geschichte der Gewerkschaften S. 426); „Arbeitsnachweis“ ist ein anderer Namen für  Arbeitsvermittlung; in diesem Abkommen wurde auch das kollektive Arbeitsrecht vereinbart, so wie es in den Grundzügen bis heute gilt. Dieses Abkommen war ein Dokument der Unterwerfung der Gewerkschaften unter die Herrschaft des Kapitals; denn von Sozialisierung des großen Kapitals war nicht mehr die Rede; das war aber das Ziel derjenigen, die die Novemberrevolution vorbereitet hatten, zum Beispiel der revolutionären Obleute; die Unternehmer  unterschrieben dieses Abkommen, um die Sozialisierung ihrer Betrieb zu
2 BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994
3 Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.
4 BVerfG a.a.O
5 BVerfG a.a.O.
6 Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19
7 AÜG vom 7. August 1972 (BGBl. Teil 1 S. 1393
8 BVerfG a.a.O.
9 Muster können aus dem Internet heruntergeladen werden
10 § 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5 AÜG  i.d.F. v. 7.8.1972.
11 so genannter Annahmeverzug, der für jeden Arbeitgeber gilt, § 615 Satz 1 BGB, der nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG bei einem Leiharbeiter nicht durch Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden kann
12 Bei Verletzungen von Vorschriften  dieses Gesetzes drohen überdies  Bußgelder (§ 16 AÜG) und andere Sanktionen (z.B. Strafen wegen Steuerhinterziehung oder Beitragshinterziehung, weil Steuern oder Beiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt werden
13 § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972; die Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit (§ 17 AÜG
14 Minister Arndt in Bundestagsdebatte v. 21.06.1972 BT-Protokolle 6. Wahlperiode 194. Sitzung S. 11379
15   §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972
16 Ein Beispiel: „Sowohl im Jahr 1978 als auch im Jahr 1979 wurde beobachtet, dass vor Feiertagen, insbesondere in der Weihnachts-/Neujahrswoche eine ungewöhnlich große Anzahl von Leiharbeitnehmern ihre Arbeitsverhältnisse mit Verleihern kündigte, nach Ablauf der Feiertageszeit von den Verleihern jedoch wieder eingestellt wurde. In einigen Fällen ist die Bundesanstalt für Arbeit diesem Verhalten der Leiharbeitnehmer, das wegen des Verlustes der Ansprüche auf Lohnfortzahlung für die Feiertage wirtschaftlich nicht verständlich ist, nachgegangen, um festzustellen, ob von den Verleihunternehmen Druck auf die Leiharbeitnehmer ausgeübt wurde. Ein derartiger Druck konnte jedoch nicht festgestellt werden. Soweit sich die Leiharbeitnehmer überhaupt äußerten, erklärten sie, von sich aus die Kündigung ausgesprochen zu haben. Es drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass diese Kündigungen nicht ohne Zutun der Verleiher erfolgten.“ (Vierter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 12.09.1979 Drs. 8/4479, S. 14.)
17 vgl. Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394
18 Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG v. 26.04.1985 BGBl. Teil I S. 710) 
19  § 3 Abs. 1 Nr. 6 a.F. AÜG
20 Diese Eingrenzung der Verleihdauer wurde notwendig aufgrund der Leiharbeit-EU-Richtlinie
21  Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 18/9232) nach zweiter und dritter Lesung am 21.10.2016 am selben Tag beschlossen (BT-Protokolle 18/197 v. 21.10.2016 S. 19657 ff.), und zwar nach Maßgabe der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 19.10.2016 (Drs. 18/10064); der Ausschuss hatte in seiner Empfehlung die in § 9  AÜG  neu aufgenommene  Festhaltenserklärung wieder entschärft (vgl. dazu Wortprotokoll Nr. 18/88, 18. Wahlperiode, 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016; vgl. Prof. Sell auf S. 12, Prof. Düwell auf S. 16, Prof. Brors auf S. 17 dieses Protokolls; ein Verzicht auf diese  Festhaltenserklärung wäre allerdings besser gewesen). Der Bundesrat ließ in seinen Sitzungen v. 4.11.2016 und v. 25.11.2016, jeweils  Drucksache 627/16, das Gesetz in dieser geänderten Form ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses durchgehen.
22 Es ist fraglich, ob die Gerichte nach dieser neuen Regelung zu einer Rechtsfortbildung bereit sind, die die dauerhafte Besetzung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeitskräfte ausschließt (vgl. zur bisherigen Auseinandersetzung Ulber/Ulber AÜG 2. Auflg.2014 § 1 Rn. 130c ff. mit Hinweisen auf die LAG-Rechtprechung). 
23 A. Nahles BT Protokolle 18. Wahlperiode 190 Sitzung v. 22.09.2016, S. 18764  
24 Eine befristete  Einstellung ist zulässig, „wenn der betriebliche Bedarf an Arbeitsleistung vorübergehend ist“ (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG); vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.64. Der Verweis auf die Befristung mit Sachgrund, § 14 Abs.1 TzBfG ist nicht unvereinbar mit der Forderung nach einem Verbot der begründungslosen Befristung, die sich nach § 14 Abs. 2 TzBfG richtet.  
25 Eine solche Regelung kann nicht eine Regelung zur Höchstverleihdauer ersetzen, sondern nur ergänzen  
26 So auch der Abg. der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst in seiner Rede im Bundestag am 21.10.2016 (zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des AÜG, BT-Protokolle 18/197 Sitzung v. 21.10.2016 S. 19659 ff).
27, 28 Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. Auflg. § 1 Rn. 283 und 286 
29 Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung AFRG v. 24.3.1997 BGBl I S. 594; vgl. BAG v.10.12.2013 9 AZR 51/13
30 Diese Praktik wurde vom BAG  u.a. deswegen als gesetzeskonform gewertet, weil der Bundestag sie gebilligt hatte ( BAG v. 12.7.2016 AZR 352/15
31 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Drs. VI/2303, S.
32 Gesetzesentwurf Drs. 10/2102, S. 1.
33 Bundesrat Drs. 393/84 S.16, 20 f. Neben der Erleichterung der Leiharbeit erlaubte die Bundesregierung in diesem Gesetz vor allem auch erstmalig die befristete Einstellung ohne Begründung; davor waren befristete Einstellungen nur erlaubt, wenn der Unternehmer dafür einen Sachgrund nachweisen konnte, z.B. weil eine Vertretung wegen Urlaub oder Krankheit notwendig  ist oder weil ein vorübergehender betrieblicher Bedarf an Arbeitsleistung besteht. Die Bundesregierung glaubte auch hier einen Schub zusätzlicher Beschäftigung durch Erleichterungen bei befristeten Einstellungen auslösen zu können. Bis heute wird von der begründungslosen Befristung umfassend Gebrauch gemacht. Im Jahr 2013 wurden nach offiziellen Angaben 1,3 Millionen Arbeitsverträge mit begründungsloser Befristung abgeschlossen, das sind knapp 45 % aller Einstellungen.
34 empirische Evaluation des BeschFG im Auftrag des BMAS, vom Wissenschaftszentrum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Infratest, München, zwischen 1987 und 1989 durchgeführt; Grundlage der Evaluation war eine Repräsentativumfrage von 2392 Betrieben; der Autor dieser Evaluation, Christoph F. Büchtemann, fasste die Befunde zusammen  in  „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394, 406. Siehe auch die Stellungnahme der IG Metall Abteilung Sozialpolitik mit den Ergebnissen einer Auswertung ihrer bundesweiten Frageaktion im Jahr 1986 in 5.261 Betrieben über die Auswirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes
35 Mit ihrer Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz machte sich die Regierung „die Kritik der ‚De-regulierungs‘-Befürworter am Kündigungsschutz zu eigen“ (Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 395). Nach Büchtemann haben sich seit 1981/82 in den meisten westeuropäischen Staaten die „vorherrschenden Diagnose- und Therapiemuster in der beschäftigungspolitischen Diskussion“  gewandelt … Neben inflexiblen Reallöhnen und starren Arbeitszeitregelungen richtete sich das Augenmerk auf das in den meisten westeuropäischen Ländern während der 60er Jahre entstandene und in den 70er Jahre weiter ausgebaute System der rechtlichen und kollektivvertraglichen Kündigungsschutzes …“ (Büchtemann a.a.O. S. 394).
36 Auch die SPD lehnte das Beschäftigungsförderungsgesetz ab. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schaffe keine Beschäftigung. Sie forderte „die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, fortschrittliches Arbeitszeitgesetz“ (so die Abgeordnete Weiler für die SPD Fraktion im Bundestag am 15.11.1989, BT- Protokolle 11. Wahlperiode 175.Sitzung, 15.11.1989 S. 13259 ff..
37 Bundestagsprotokolle 15. Wahlperiode 32. Sitzung Freitag, den 14. März 2003, S. 2487
38 Vgl. Hopmann, Köbrich, Linder „Angriff auf die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit“ Sozialismus 12/2003 S. 48 ff.
39 Bei den Hartz Gesetzen lag die Regie in den Händen einer  rot/grünen Bundesregierung. Weil aber auch der Bundesrat den Gesetzen zustimmen musste und die Mehrheiten im Bundesrat andere waren als die im Bundestag, nahmen am Ende an den Verhandlungen zwischen Bundestag und Bundesrat alle Parteien teil – mit Ausnahme der Partei DIE LINKE.
40 Zu diesen beiden Verordnungen im Einzelnen: M. Kittner Arbeitskampf S. 496 f; auch diese Notverordnung führte zu keiner „Vermehrung von Arbeitsgelegenheiten“, wie es der Name dieser Vorordnung versprach (siehe dazu im Einzelnen Kittner a.a.O.) 
41 Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232
42 Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524.
43 Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233
44 „… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. Sitzung 29.11.2002 S. 522
45 § 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.
46 § 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016, S. 9
47 vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.
48 Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f.
49 Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die Regel der gesetzlichen Gleichstellung und nicht die Ausnahme der Schlechterstellung durch Tarifvertrag eingreift. Doch wurden inzwischen die Tarifverträge, die die christliche Gewerkschaft (CGZP) mit den Leiharbeitsfirmen abschloss,  wegen Tarifunfähigkeit dieser Gewerkschaft für unwirksam erklärt (BAG BAG NZA 11, 289); auch Verweisungen auf diese Tarifverträge in Einzelarbeitsverträgen sind unwirksam
50 Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916
51 Zur Zumutbarkeit:  § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II. 
52 Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit  gelten die Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen des  SGB II
53 Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen
54 Das Streikrecht ist Ausdruck der Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist; das Streikrecht ist ein Grundrecht
55 § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG n.F..
56 Leiharbeiter, deren Einsatz dem Entleiher nicht verboten ist, sind „nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist“ § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG n.F.. Der DGB (schriftliche Stellungnahme des DGB in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 13. Oktober 2016 18. Wahlperiode Ausschussdrucksache 18(11)761, S. 18) erinnert an den ursprünglichen Referentenentwurf der Arbeitsministerin Nahles, der in § 11 Abs. 5 die einfache Regelung enthielt: „Der Entleiher darf Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, soweit sein Betrieb unmittelbar betroffen ist“. Diese Regelung wie auch mehrere andere Regelungen des Referentenentwurfs wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gekippt; die massive Einflussnahme der Unternehmer, Verleiher und Entleiher, ist unübersehbar. Der DGB hebt hervor, dass die gegenüber dem Referentenentwurf abgeänderte Regelung “in einer komplexen Arbeitsorganisation überhaupt nicht praktikabel ist (Beispiel: Im Falle von Arbeitsniederlegungen bei Amazon lässt sich gar nicht feststellen, welche Arbeiten von den Streikenden ohne Streik erledigt worden wären und welche nicht). Außerdem wird  ein Verstoß in vielen Fällen nur sehr schwer nachzuweisen und nur mit Unterstützung der Arbeitnehmer/innen möglich sein, die dann ggf. auch vor Gericht gegen ihren Arbeitgeber aussagen müssten (Beispiel: Bei der Deutschen Post AG wurde bekannt, dass im einstweilgien rechtsschutzverfahren benannte Zeug/innen unter Druck gesetzt wurden)“. Der DGB bemängelt auch, dass die neue Regelung nicht für die Konzernleihe gilt und die Sanktionen zu schwach sind.
57 schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.69
58 So der BDA in seiner schriftlichen Stellungnahme v. 12.10.2016 Ausschussdrucksache 18(11)740 S. 36.

Dr. Gawlik kämpft für die Rechte von Whistleblowern

Inhaltsverzeichnis:

  1. Whistleblower-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16.2.2021 für Menschenrechte (EGMR Nr. 23922/19 Gawlik ./. Liechtenstein)
  2. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
  3. Ein verheerendes Fehlurteil
  4. Zu den Urteilsgründen des EGMR im Einzelnen
  5. Weitere Hinweise:

Whistleblower-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16.2.2021 für Menschenrechte (EGMR Nr. 23922/19 Gawlik ./. Liechtenstein)

Der deutsche Arzt Dr. Gawlik klagte, weil ihm im Jahr 2014 sein Arbeitgeber, das Landesspital Liechtensteins, gekündigt hatte. Dr. Gawlik hatte den Chefarzt des Landesspitals bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Euthanasie angezeigt. Deswegen wurde ihm fristlos gekündigt. Die Gerichte Liechtensteins billigten die Kündigung.

Auch wenn er sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht durchsetzen konnte, warf Dr. Gawlik wichtige Fragen auf, die gelöst werden müssen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bedarf in folgenden Fragen einer dringenden Korrektur:

  • Was kann von einem Beschäftigten verlangt werden, der gegen seinen Chef Strafanzeige wegen des Verdachts der Tötung stellt?
  • Darf einem Menschen gekündigt werden, weil er bei der Staatsanwaltschaft den Verdacht einer schweren Straftat seines Chefs anzeigt, dazu auch wahre Tatsachen hinterlegt, aber nicht weiter ermittelt?
  • Verdienen Unternehmer oder Arbeitgeber einen größeren Schutz vor Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft als alle anderen Personen?
  • Was ist wichtiger: Das Ansehen einer Klinik oder die Sorge um das Leben der Patientinnen und Patienten?

Dr. Gawlik hat dazu beigetragen, dass sich der Europäische Gerichtshof diesen Fragen auf Dauer nicht wird entziehen können.

Ein sehr gutes Portrait von Dr. Gawlik kann gelesen werden in: Katharina Kutsche, Süddeutsche Zeitung vom 1. Juli 2021 „Der Arzt, der seinen Chef verdächtigt“: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/whistleblower-kriminalitaet-sterbehilfe-1.5337099?reduced=true

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nahmen Whistleblower Dr. Gawlik und sein Anwalt Benedikt Hopmann noch am selben Tag Stellung:

Die schriftliche Stellungnahme von Dr. Gawlik hier lesen:

Die schriftliche Stellungnahme seines Anwalts B. Hopmann:

Ein verheerendes Fehlurteil

Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) prüft, ob Sanktionen gegen einen Whistleblower das Menschenrecht auf freie Meinung verletzen, wägt er die Interessen der streitenden Parteien gegeneinander ab. Dabei hat der EGMR hat eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt, die bei dieser Abwägung maßgebend sind. Diese Abwägung kann nur zugunsten von Dr. Gawlik ausgehen. Das Urteil des EGMR ist ein verheerendes Fehlurteil. 

Übrigens: Die Bundesregierung blieb während des ganzen Verfahrens stumm, obwohl sie vom EGMR zur Stellungnahme aufgefordert wurde, weil Dr. Gawlik deutscher Staatsbürger ist.

Zu den Urteilsgründen des EGMR im Einzelnen hier weiterlesen:

…………………………………………………………………………………..

Weitere Hinweise:

Anmerkungen zur Entscheidung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von Frau Prof. Dr. Coneric veröffentlicht in: https://www.hugo-sinzheimer-institut.de/faust-detail.htm?sync_id=9238 Die Anmerkungen sind eine Kurzfassung des Schriftsatzes, den von Frau Prof. Dr. Colneric und RA Benedikt Hopmann beim EGMR eingereicht haben.

Eine weitere Besprechung der Entscheidung des EGMR unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/egmr-whistleblower-klinik-anzeige-bverfg-kuendigung-bmjv-entwurf-richtlinie/

Bericht am 14. Februar von Dietmar Hipp in SPIEGEL online: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/aus-sorge-um-patienten-zeigte-er-seinen-chef-an-und-wurde-gefeuert-a-dfa69854-5104-451b-81f5-15ef1cf3ba03

Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen für deutsche Gerichte: https://widerstaendig.de/uncategorized/wie-binden-urteile-des-egmr-deutsche-gerichte/

Zum Maßstab, nach dem der EGMR prüft, ob Whistleblowing rechtmäßig ist: https://widerstaendig.de/2021/02/08/wie-pruefte-der-egmr-whistleblower-faelle/

Zum Streit um eine Rangfolge von interner und externer Missstände-Meldung bei der Abfassung der Whistleblower-Richtlinie der EU: Prof. Dr. Ninon Colneric Zum zukünftigen Verhältnis von interner und externer Meldung: https.//www.wistelblower-net.de/online-magazin/2019/11/02/zum-zukuenftigen-verhaeltnis-von-interner-und externer-meldung-prof-dr-ninon-colneric

Dieser Streit ist auch nicht nicht ausgestanden in der gegenwärtigen Phase der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht. Siehe dazu die Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes BDA: https://www.whistleblower-net.de/online-magazin/2021/02/04/bda-fordert-verfassungswidrige-und-unionsrechtswidrige-umsetzung-der-eu-whistleblowing-richtlinie

Zum Verfahren beim Landgericht Oldenburg: https://landgericht-oldenburg.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/anklage-gegen-verantwortliche-aus-dem-klinikum-delmenhorst-aktueller-sachstand-193695.html

2. Aufhebung des Verbots der Leiharbeit

23. April 2021 von Benedikt Hopmann

1967 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitskräfteverleihung auf[1]BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994.

Wer aber meint, ein erneutes Verbot der Leiharbeit werde wieder am Bundesverfassungsgericht scheitern, kann sich auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht berufen. Das Bundesverfassungsgericht traf seine Entscheidung unter Annahmen, die heute nicht mehr gegeben sind[2]Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.. Es  formulierte Voraussetzungen, die nicht mehr erfüllt werden. Die Zahl der Leiharbeitskräfte ist nicht mehr „sehr begrenzt“[3]BVerfG a.a.O. Die Verträge des Verleihers mit seinen Leiharbeitern werden nicht mehr nur „auf Dauer“ vereinbart[4]  BVerfG a.a.O.. Und schließlich werden überwiegend Menschen  beschäftigt, für die das Leiharbeitsverhältnis die einzige Existenzgrundlage ist[5]Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19.

Dem Bundesverfassungsgericht war die Freiheit der Unternehmer, Arbeitskräfteverleihung als Gewerbe zu betreiben, wichtiger als der arbeitsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Schutz dieser Arbeitskräfte. Der Befürchtung, dass die Leiharbeitskräfte dieses Schutzes beraubt würden, begegnete das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Gerichte, bei denen ein Leiharbeiter seine Ansprüche einklagen könne.

Dass das nicht reichte, zeigte sehr schnell die Realität. Die elementarsten Unternehmerpflichten wurden von den Verleihern nicht eingehalten: Löhne wurden vorenthalten und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt. Dabei nahm die Zahl der Verleihfirmen sprunghaft zu.


References

References
1 BVerfG v. 17.01.1967 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261. Das Verbot der privaten  Arbeitsvermittlung galt weiter bis 1994
2 Ulber AÜG 5. Auflg. Einleit. B. Rn. 9 f.
3 BVerfG a.a.O
4   BVerfG a.a.O.
5 Ulber/Ulber AÜG Basiskommentar Einleit. Rn. 19