Südafrikas Teilerfolg gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof

Etappensieg für Südafrika: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am Freitag eine einstweilige Anordnung gegen Israel erlassen, in der ein Ende der Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen gefordert wird.

15 der 17 Richter befanden, dass zumindest einige der in der südafrikanischen Klageschrift vorgebrachten Anhaltspunkte auf eine mögliche Missachtung der UN-Völkermordkonvention, für deren Einhaltung der IGH zuständig ist, plausibel oder zumindest nicht offensichtlich unbegründet seien. Sie wiesen damit den Antrag Israels auf sofortige Zurückweisung der Klage ab. Südafrika habe das Recht, Israel nach der Konvention von 1948 zu verklagen, es habe auch im Vorfeld entsprechende Besorgnis geäußert.

Quelle: Jüdische Allgemeine, 26.01.2024


Nachdem die Demonstration der Jüdischen Stimme im Oktober verboten wurde, stellte sich Iris Hefets allein auf die Straße und wurde von der Polizei verhaftet, https://www.startpage.com/sp/search

Benedikt Hopmann 26.1.2024: Im Folgenden die Zusammenfassung des Beschlusses des INTERNATIONALEN GERICHTSHOFS in Den Haag, in dem er vorläufige Maßnahmen gegen Israel anordnet. Diese Zusammenfasssung wurde auf der website des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag auf Englisch veröffentlicht[1]Zusammenfassung wurde auf der website des Internationalen Gerichtshofs und ist hier auf Deutsch zu lesen. Zwar folgte der Gerichtshof nicht dem Antrag Südafrikas, dass Israel sofort seine militärischen Operationen im Gaza aussetzen soll, aber die angeordneten Maßnahmen sind nicht nur Anordnungen zur Verteidigung des humanitären Völkerrechts. Der Gerichtshof ordnete vorläufige Maßnahmen auf der Grundlage der Völkermordkonvention an. Es sind also Maßnahmen gegen völkermörderisches Handeln, die der Gerichtshof vorläufig anordnet, bis er in der Hauptsache entschieden hat. Diese endgültige Entscheidung in der Hauptsache, ob Israel Völkermord an den Palästinensern begangen hat, kann sehr lange dauern. Der Gerichtshof konnte die vorläufigen Maßnahmen nur anordnen, weil ihm die Vorwürfe Südafrikas in mehreren Punkten, die benannt werden, plausibel erschienen.

Es sei daran erinnert, das die 2. Vorsitzende der Jüdischen Stimme für eine gerechten Frieden festgenommen wurde, weil sie ein Schild mit der Forderung an Israel in die Höhe hielt, den Völkermord zu beenden.

Weiterlesen hier


Hier die offizielle Presseerklärung seitens des IGH: (in Engl.), 26.01.2024 Nr. 2024/6

Die Deutsche Übersetzung dieser Presseerklärung mittels Deepl-Übersetzung findet Ihr hier:

Anwendung des Übereinkommens über die Verhütung und Strafung des Völkermordes im Gaza-Streifen


Hier die Anordnung vom 26.01.2024 durch das IGH, in Engl. Sprache:

Die Deutsche Übersetzung der Anordnung, mittels Deepl-Übersetzung ist hier zu lesen.


Eine Überblick über den Fall:

Einleitung des Verfahrens
Vorläufige Massnahmen
Schriftliches Verfahren
Mündliche Verhandlung
Aufträge
Zusammenfassungen von Urteilen und Anordnungen
Pressemeldungen

findet Ihr hier:

Bundesregierung stellt sich in Völkermord-Verfahren an Seite Israels

Hier die Stellungnahmen der Bundesregierung und weitere:

11.01.2024 – 11.25 UHR Fr.de: Habeck kann Vorwürfe gegen Israel nicht nachvollziehen

12.01.2024 – 16.24 Uhr dpa: Bundesregierung stellt sich in Völkermord-Verfahren an Seite Israels

12.01.2024 – 21.49 Uhr dpa: Netanjahu bedankt sich bei Scholz für Ablehnung von Genozid-Vorwurf

12.01.2024 – 19.45 fr.de: Die Bundesregierung hat sich in dem Völkermord-Verfahren zum Gaza-Krieg nochmals klar an die Seite Israels gestellt.

12.01.2024: Pressemitteilung Bundesregierung: Erklärung der Bundesregierung zur Verhandlung am Internationalen Gerichtshof

     Auszug aus der PM: “Den nun vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords weist die Bundesregierung aber entschieden und ausdrücklich zurück. Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage.”

15.01.2024: LTO- Legal Tribune Online: Südafrika wirft Israel vor dem IGH vor, Völkermord an den Palästinensern zu begehen. Nun plant Deutschland eine Nebenintervention als Drittpartei. Damit will sich die Bundesregierung an die Seite Israels stellen.

Solidarität der Hafenarbeiter Griechenlands mit dem palästinensischen Volk

Die Verbände der Hafenarbeiter, Docker und Aufsichtsbeamten und Vorarbeiter Griechenlands haben folgende Erklärung abgegeben:

FÖDERATION DER HAFENARBEITER GRIECHENLANDS ( OM.Y.L.E )
UNION DER STÄNDIGEN UND PROBATIONÄREN DOCKER OLP (Hafenbehörde von Piräus)
VERBAND DER AUFSICHTSBEAMTEN UND VORARBEITER OLP

Solidarität der Hafenarbeiter Griechenlands mit dem palästinensischen Volk

Nach dem zu verurteilenden blutigen Angriff von Hamas-Kämpfern auf unbewaffnete israelische Zivilisten am 7. Oktober haben die israelischen Verteidigungskräfte eine massive Offensive gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens gestartet. Die Angriffe der israelischen Streitkräfte haben während der gesamten Zeit enorme Ausmaße angenommen. Unter dem Vorwand, die Kämpfer der Hamas zu töten, wird im Grunde eine ethnische Säuberung der Palästinenser durchgeführt, die zerstörte Infrastrukturen (Krankenhäuser, Schulen, Produktionsstätten usw.) und vor allem Tausende von toten Zivilisten, darunter Tausende von toten Kindern, hinterlässt. Das unmenschliche Vorgehen der israelischen Streitkräfte hat einen Sturm der Entrüstung bei den Völkern der Welt ausgelöst.

Angesichts dieser enormen Katastrophe können wir nicht gleichgültig bleiben und schweigen. Der palästinensische Kampf um Selbstbestimmung dauert nun schon mehr als 70 Jahre und hat Hunderttausende von Opfern gefordert. Auf der anderen Seite hat der Staat Israel in Palästina alle völkerrechtswidrigen Methoden angewandt (Siedlungen, ethnische Säuberungen, Eroberung und Inbesitznahme von Gebieten usw.) und versucht, die Palästinenser von der Landkarte zu tilgen.

Vor einigen Tagen empfingen unsere Gewerkschaften Vertreter von BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), einer internationalen palästinensischen Bewegung für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. BDS fordert das selbstverständliche Prinzip für jedes Volk, so auch für die Palästinenser, dass sie die gleichen Rechte haben wie der Rest der Menschheit. Sie zielt auf den Boykott israelischer Produkte, die von Unternehmen hergestellt werden, die die Menschenrechte verletzen, auf den Rückzug von Investitionen in israelische Unternehmen, die die Rechte der Palästinenser verletzen, und auf die Verhängung von Sanktionen gegen Israel durch internationale Organisationen und Regierungen.

Es kann keine gerechte Lösung für Palästina geben, wenn es nicht zuerst Frieden und ein Ende der Unterdrückung durch Israel gibt. Das Völkerrecht und die einschlägigen UN-Resolutionen sehen die Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 und eine friedliche Koexistenz von Palästinensern und Israelis vor. Bis heute praktiziert der Staat Israel eine inakzeptable Diskriminierung der Palästinenser sowohl innerhalb Israels als auch eine organisierte Unterdrückung in den palästinensischen Gebieten, die an Apartheid erinnert.

Unter der israelischen Militärbesatzung sind die Palästinenser gezwungen, als Gefangene in ihrem Land zu leben, das von der illegalen Mauer umgeben ist. Die lange Belagerung des Gazastreifens und die häufigen israelischen Militärangriffe wurden von der internationalen Gemeinschaft als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Angesichts der beklagenswerten Bedingungen, die Israel auferlegt, ist die gerechte Lösung für die Palästinenser eine Einbahnstraße.

Die Mitarbeiter der Hafenbehörde von Piräus erklären ihre volle Unterstützung und Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Die Eskalation der blinden Gewalt und Zerstörung im Gazastreifen mit den jüngsten Luftangriffen auf Schulen, Krankenhäuser und politische Ziele erfüllt uns mit Entsetzen und Abscheu.

In diesem Zusammenhang erklären wir als Beschäftigte des Hafens von Piräus, dass wir uns weder an illegalen Transporten von militärischem Material, die im Hafen von Piräus beginnen oder enden, nach Israel beteiligen noch an solchen arbeiten werden, die mit der Ermordung von Zivilisten und Kindern enden. Wir werden uns in keiner Weise an den Verbrechen beteiligen, die in Gaza stattfinden.

DIE VORSTÄNDE


Dies ist ein Übersetzung der folgenden englischen Fassung:

FEDERATION OF PORT EMPLOYEES OF GREECE ( OM.Y.L.E )

UNION OF PERMANENT & PROBATIONARY DOCKERS OLP (Piraeus Port Authority)

ASSOCIATION OF SUPERVISORS AND FOREMEN OLP

Solidarity with the Palestinian People

Following the condemnable bloody attack by Hamas militants on unarmed Israeli civilians on October 7, a massive offensive has been launched by the Israel Defense Forces on the civilian inhabitants of Gaza. All this time the attacks by the Israeli armed forces have been of enormous proportions where under the pretext of killing the militants of the Hamas, basically an ethnic cleansing of the Palestinians is being carried out which leaves behind destroyed infrastructure (hospitals, schools, production facilities, etc.) and, above all, thousands of dead civilians, including thousands of dead children. The inhumane practice of the Israeli forces has provoked a storm of reaction from peoples around the world.

To this enormous catastrophe we cannot remain indifferent and silent. The Palestinian struggle for self-determination counts more than 70 years and hundreds of thousands of victims. On the other hand on the other hand, the State of Israel has implemented in Palestine all the methods that are contrary to international law (settlements, ethnic cleansing, conquest and encroachment of territory, etc.), trying to eliminate Palestinians off the map.

A few days ago, our unions welcomed representatives of the BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), an international Palestinian movement for freedom, justice and equality. BDS claims the self-evident principle for every people, as it does for the Palestinians, that they have the same rights as the rest of humanity. It aims to boycott Israeli products produced by companies that violate human rights, the withdrawal of investments in from Israeli companies that violate Palestinian rights, and the imposition of sanctions on Israel by international organizations and governments.

There can be no just solution for Palestine if there is not first Peace and an end to Israel’s oppression. The International Law and the relevant UN resolutions provide for the establishment of a Palestinian state within the 1967 borders and peaceful coexistence of Palestinians and Israelis. To date, the State of Israel practices unacceptable discrimination against Palestinians both within Israel and organised oppression in the Palestinian territories that reminds of apartheid.

Under the Israeli military occupation, Palestinians are forced to live in their land as prisoners surrounded by the illegal wall. The long siege of Gaza and the frequent Israeli {military raids} have been condemned by the international community as war crimes and crimes against humanity. Given the deplorable conditions imposed by Israel, the just solution for the Palestinians is a one-way street.

The employees of the Piraeus Port Authority declare their full support of and express our solidarity with the Palestinian people. Η escalation of the blind violence and destruction taking place in Gaza with the recent air strikes on schools, hospitals and political targets, is a source of horror and disgust to us.

In this context, as workers at the port of Piraeus we declare that we will neither participate nor work in illegal transport of military material starting or stopping at the Piraeus Port to Israel that ends up murdering civilians and children. We will not be in any way complicit in the crime that is taking place in Gaza.

THE BOARDS

Zwei Menschen – eine Rede

Iris Hefets und Nadja Samour hielten am 25. November 2023 auf der großen Kundgebung “Nein zum Kieg!” in Berlin eine bemerkenswerte Rede, auf die wir hier aufmerksam machen wollen.

Der Text der Rede kann auf der website von Evelyn Hecht-Galinski nachgelesen werden.

Die Rede der beiden in Ton und Bild:

weitere Info über Iris Hefets sind hier nachzulesen:

Iris Hefets (Jüdische Stimme) über Antisemitismus, Irsrael, Gaza, deutsche Schuld | MERATV

14.04.2015: Interview mit Iris Hefets: „Pilgerfahrt nach Ausschwitz“

09.03.2019: Rede von Iris Hefets anlässlich der Verleihung des Göttinger Friedenspreises

weitere Info über Nadja Samour:

18.07.2019: „Say My Name“: Die Politik des Nicht-Namensgebens

18.10.2023: Wir treffen Nadija Samour, eine Strafverteidigerin, die mit einer Flut von Verfahren gegen Palästinenser und ihre Unterstützer in Berlin beschäftigt war.

“Wir verzweifeln an Israels Politik”

Wir geben hier einen Beitrag von Nirit Sommerfeld wieder, Mitglied der ‘Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost’. Nirit Sommerfeld nimmt Stellung zu einem Artikel in der Berliner Zeitung, in dem über die Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen der ‘Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden’ im Oyun berichtet wurde.

Der „Kosher-Stempel“-Artikel dieser Zeitung zur Veranstaltung der „Jüdischen Stimme“ am 4. November in Berlin hinterlässt mich kopfschüttelnd. Nachdem die Autorin zu 90 Prozent inhaltlich korrekt wiedergibt, was an jenem Abend im Kulturzentrum Oyoun stattgefunden hat, endet der Artikel mit der Vermutung, dass wir „eigensinnigen“ Jüdinnen und Juden wohl genauso massakriert worden wären, hätten wir uns am 7. Oktober zu Besuch in einem der Kibuzzim befunden, in denen Hamas-Terroristen gewütet hatten.

Was will die Autorin den Lesern (oder uns?) sagen? Dass wir so dumm oder zu naiv sind, um zu begreifen, dass unser ganzes Friedensgedöns sowieso nichts bringt, wenn man es mit Terroristen zu tun hat? Sind wir am Ende doch die „falschen“ Juden, wie sie in Deutschland normalerweise gar nicht gehört werden und auch nicht gehört werden sollen? An dieser Stelle ganz großen Dank an die Berliner Zeitung, die immerhin jemanden schickt und einen Artikel über unsere Veranstaltung abdruckt, während bis auf Kollegen der „junge welt“ alle anderen eingeladenen Pressevertreter sich lieber durch Abwesenheit positionieren.

Aber auch für die Kollegin der Berliner Zeitung scheinen wir nicht ins Bild zu passen: Es gab keine Kippas, als seien Juden nur an ihren Zuschreibungen erkennbar, dafür spüre ich eine gewisse Herabwürdigung, wenn von „zarten goldenen Davidsternen“ die Rede ist und von „wallenden dunklen Lockenmähnen“, die sich bei der Schweigeminute senken. Ein leise Unterton scheint mitzuschwingen, etwa wenn die Zahl der in Gaza getöteten Kinder kommentiert wird (in Klammern steht: „das sind die Zahlen der Hamas-Gesundheitsbehörde“) – aber ich lasse mal meine Empfindlichkeiten beiseite, denn es geht um wahrlich Wichtigeres.

Ich will hier nur von mir sprechen, denn – Überraschung! – selbst innerhalb des Vereins „Jüdische Stimme“ gibt es unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Aktivitäten, trotz der gemeinsamen Überzeugung, dass nur Gerechtigkeit auf beiden Seiten zu einem dauerhaften Frieden führen kann. In besagtem Artikel wird als Motiv für unser Engagement unsere „Empörung über die Ungerechtigkeit (…) im Verhältnis zwischen Israel und Palästina“ beschrieben. In Wahrheit ist es etwas viel Größeres, was uns antreibt: Es sind schiere Verzweiflung, tief sitzender Schmerz und existentielle Angst.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahuimago images

Wir verzweifeln an Israels Politik, die seit Jahrzehnten das Ziel verfolgt, die Palästinenser loszuwerden und das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan für sich zu beanspruchen, was derzeit in einer rechtsradikalen Regierung manifest geworden ist, die unverhohlen Äußerungen von sich gibt, die in Deutschland (zurecht!) als Volksverhetzung oder Schlimmeres identifiziert würden.

So will etwa Israels Staatspräsident Herzog nicht zwischen Hamas und Zivilisten unterscheiden und verlangt in einer martialischen Rede, ihnen „das Rückgrat zu brechen“. Verteidigungsminister Yoav Galant spricht, wie viele andere auch in der israelischen Zivilgesellschaft, von „Tieren“ oder „human animals“; die auf sie gerichteten Militäroperationen seien „nicht auf Genauigkeit aus, sondern auf Zerstörung“. Israels Minister für ‚Jerusalemer Angelegenheiten und Heimaterbe‘, Amichai Eliyahu, brachte den Einsatz einer Atombombe ins Spiel und schlägt den „Monstern von Gaza“ die Flucht in die Wüste oder nach Irland vor.

Wir wissen: Worte bereiten Taten vor. Seit Netanyahu der Hamas den Krieg erklärt hat, findet meiner Ansicht nach ein Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung statt. Es ist die Rache für den 7. Oktober, bei dem die Hamas ihrerseits durch nichts zu rechtfertigende Kriegsverbrechen an Zivilisten verübt hat.

Übrigens war das schon vor 15 Jahren, als ich in Israel gelebt habe, völlig normal, so über Palästinenser zu sprechen. Mehrere Bekannte sagten mir damals schon, es gäbe nur eine Lösung für das Palästinenserproblem, und das sei Vernichtung. Diese Araber – in Israel nimmt man ungern das Wort ‚Palästinenser‘ in den Mund, als fürchte man, die alleinige Namensnennung könne schon die Anerkennung ihrer Existenz andeuten – würden nicht leiden, sie machten nur Theater, um das Mitleid der Welt zu erregen. Geschichte sei nun einmal nicht gerecht, man habe als jüdisches Volk 2000 Jahre Diaspora hinter sich und mit der Shoa das schlimmste Menschheitsverbrechen erdulden müssen; jetzt seien eben andere dran.

In solchen Aussagen liegt der Schmerz, den viele in der „Jüdischen Stimme“ kennen. Er rührt von einer Wunde, die sich nicht schließen will. Bei mir ist es die tiefe Enttäuschung, die ich erfahren habe, als ich 2007 in mein Geburtsland zurückzog. Im Laufe von zwei Jahren musste ich festzustellen, dass all meine Überzeugungen bezüglich dieses Landes, an denen ich ebenso wenig wie alle anderen Kinder Israels je gezweifelt hatte, Lügen und Täuschungen waren: Von der Mär vom leeren „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ über die „moralischste Armee der Welt“ und der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ (die immerhin für jüdische Israelis bis vor kurzem noch halbwegs existierte) bis hin zur im israelischen Diskurs komplett geleugneten Nakba, der Ermordung tausender und Vertreibung hunderttausender Palästinenser im Zuge der Staatsgründung, des Raubes ihres Besitzes, ihres Landes, ihres verbrieften Rückkehrrechts. Die Liste ließe sich lang fortsetzen.

Auf alledem baut sich eine existenzielle Angst auf: Angst um die Menschen in Israel, Angst um die Palästinenser, Angst um Juden weltweit, Angst vor einem Flächenbrand, der zu einem Dritten  (und letzten?) Weltkrieg führen könnte. Wo soll das hinführen, wenn wir diesen Pfad der Gewalt nicht verlassen? Wenn wir ein Menschheitsverbrechen – und das hat die Hamas mit ihrem barbarischen Vernichtungszug am 7. Oktober begangen, was nicht nur verdammt, sondern auch bestraft werden muss – mit einem weiteren Menschheitsverbrechen vergelten?

Israelische Soldaten manövrieren gepanzerte Militärfahrzeuge entlang der israelischen Grenze zum Gazastreifen. Ohad Zwigenberg/AP

Die Geschichte hat gezeigt, dass Gewalt immer nur Gegengewalt erzeugt, und dass Ideen und Ideologien nicht weggebombt werden können. Und da soll mir keiner mit dem Beispiel von Nazi-Deutschland kommen! Die Alliierten wussten schon Jahre vor 1945 von der Existenz von KZs, sie hätten das Grauen schon lange zuvor beenden können. Faschistische Nazi-Ideologie wurde nicht durch Bomben auf Dresden ausgelöscht. Sie macht das Leben in Deutschland heute noch für bestimmte Minderheiten gefährlich, siehe NSU, Hanau oder Halle, nur um die Spitze des Eisbergs zu benennen.

Was erwarten wir von den überlebenden Kindern in Gaza, deren Eltern und Urgroßeltern schon Flüchtlinge von 1948 waren? Sollen sie, nachdem sie wochenlang Ruinen, Hunger und Durst, Verschüttete und Verbrannte, Tod und Trauma erlebt haben, nach einem Wiederaufbau ihres Freiluftgefängnisses unsere freundlichen Nachbarn mit eingeschränkten Rechten werden, die unsere israelischen Gärten bestellen und unsere Häuser bauen, so wie die meisten Palästinenser es sich eingerichtet haben in den vergangenen Jahrzehnten? Oder werden sie eines Tages zu jungen Männern werden, die in ihrer Verzweiflung und Wut wieder Waffen in die Hand nehmen, um sich zu rächen an der Rache Israels?

Diese tödliche Spirale wird ausschließlich durch einen Paradigmenwechsel zu unterbrechen sein. Entweder durch radikale Trennung zwischen Israelis und Palästinensern, was ich bis dato immer abgelehnt habe, weil ich durch meine eigene Familiengeschichte weiß, wie gut Juden und Araber neben- und miteinander leben konnten, solange die einen sich nicht über die anderen gestellt und sie entrechtet haben. Oder durch gleiche Rechte für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan in einem wie auch immer gearteten gemeinsamen Staat, einer Konföderation, einem Staatenbündnis oder einer sonstigen Organisationsform, die ohnehin die Menschen vor Ort selbst zu bestimmen haben.

Aber bis dahin wird viel Blut fließen. Mit jedem Tag, an dem das Gemetzel in Gaza und die Tötungen, Vertreibungen und Hauszerstörungen im Westjordanland weitergehen, entfernt sich ein gerechter Frieden um eine Generation, mindestens. Hier kommt meine Verzweiflung über die deutsche Politik ins Spiel – von der EU und den USA ganz zu schweigen. Deutschland begreift nicht, dass sein „Wir stehen bedingungslos an der Seite Israels“ zu einer riesigen Gefahr für Israel und vor allem für Juden in Deutschland werden kann.

Wie nur kann der deutsche Staat wegsehen, wenn israelische Minister sich selbst als Faschisten bezeichnen, und Israels korrupter Ministerpräsident alles tut, um nur ja an der Macht zu bleiben? Seht Ihr nicht, dass er sein eigenes Volk verraten hat? Wo war die israelische Selbstverteidigung am 7. Oktober, auf deren Recht Ihr permanent pocht? Wo war Deutschlands „Staatsräson“, als israelische Zivilisten dringen Schutz vor Terroristen gebraucht hätten? Und wo ist jetzt Eure „unverbrüchliche Freundschaft“ mit einem Staat, der Völkermord und Vertreibung an den Palästinensern vorantreibt und womöglich nicht einmal vor dem Einsatz einer „kleinen“ Atombombe zurückschreckt?

Oder – was fast schlimmer wäre – die gesamte islamische Welt auf den Plan rufen könnte, wenn der Plan von rund 20 radikal-jüdischen Organisationen und deren Anhängern sich durchsetzt, den Felsendom zu sprengen und den Dritten Tempel an seiner Stelle zu erreichten? Die Einrichtungsgegenstände samt der goldenen Menorah, so wie sie in der Bibel beschrieben ist, das Gewand des Hohepriesters, Becher und Löffel für Weihrauch und Vieles mehr liegt schon im „Tempel-Institut“ in der Altstadt Jerusalems bereit und erfreut sich einer steigenden Besucherzahl, vor allem von evangelikalen und andere Christensekten.

Das alles macht mir, macht uns „Jüdischen Stimmen“ Angst. Ich habe Angst um meine Verwandten und Freunde in Israel, um den Niedergang der einst sozialistisch beflügelten, einst demokratisch und geschlechter- und herkunftsgleich gedachten israelischen Gesellschaft, in der heute nur noch Hass und Überlegenheitsanspruch regiert. Deswegen senken wir die Köpfe angesichts des Todes und der Gewalt, die auch wieder auf uns zurückfallen kann – und es ist gut, dass Grauschöpfe, dunkle Locken, Juden und Nichtjuden dabei sind. Der Staat Israel verrät sein eigenes Volk, verrät uns Juden weltweit, indem er am laufenden Band gegen jüdische Werte verstößt und seine Bürger nicht schützte, als sie es am nötigsten hatten. Stattdessen waren Militär und Polizei mit dem Schutz gewalttätiger Siedler in der Westbank beschäftigt.

Ist es da nicht auch für Deutsche ermutigend, dass Juden in Deutschland ihre Stimme erheben? In den USA sind Tausende dem Ruf unserer Schwesterorganisation „Jewish Voice for Peace“ gefolgt, haben den Kongress in Washington besetzt und den zentralen Bahnhof von New York blockiert. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Not in our name“ (Nicht in unserem Namen), verlangen einen sofortigen Waffenstillstand, die Befreiung der Geiseln, Verhandlungen. „We still need to talk“ (Wir müssen immer noch reden) ist dort wie hier die Devise, unter der vorletzte Woche eine von Jüdinnen und Juden in Berlin geführte Demonstration mit mehr als tausend Menschen friedlich stattfand.

Ja, mit Sicherheit wären auch wir am 7. Oktober in einem israelischen Kibbuz ermordet worden. Aber zum Glück ist diese Frage wirklich hypothetisch. Diese Gewaltvorstellung wird mich nicht meine Werte verraten lassen. Für eine gemeinsame, gerechte und friedliche Zukunft werde ich laut und eigensinnig weiterhin meine jüdische Stimme erheben. Denn unsere Trennlinie verläuft nicht zwischen Juden und Arabern, sondern zwischen Humanisten und Fanatikern.

Eliana Ben David vom Verein Jüdische StimmeBenjamin Pritzkuleit

Im Übrigen hat der Berliner Kultursenator verkündet, dass dem Kulturzentrum Oyoun aufgrund der Zusammenarbeit mit „Jüdische Stimme“ sämtliche Fördergelder entzogen werden. Begründung: „Versteckter Antisemitismus“. Ich wünschte, in Deutschland würde mit dieser Entschlossenheit echtem, unverhohlenem Antisemitismus begegnet werden.

Nirit Sommerfeld, in Israel geboren, in Ostafrika und Deutschland aufgewachsen, ist Schauspielerin, Sängerin und Autorin. Von 2007 bis 2009 lebte sie mit ihrer Familie in Tel Aviv und besuchte regelmäßig die besetzte Westbank, seitdem setzt sie sich für die Beendigung der Besatzung und gleiche Rechte für Israelis und Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordan ein.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen der Open-Source-Initiative der Berliner Zeitung eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Scott Ritter zum Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023

Scott Ritter, ein ehemaliger US-amerikanischer Offizier, der als Inspector der Vereinten Nationen für die UNSCOM Mission im Irak bekannt wurde, veröffentlichte am 13. November 2023 einen Beitrag zu dem Hamas – Angriff auf Israel, der in CO-OP news auf Deutsch veröffentlicht wurde. Scott Ritter schließt seinen Artikel damit, dass er den “Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober zum erfolgreichsten Militärangriff dieses Jahrhunderts” erklärt. Das ist offensichtlich übertrieben. Man denke nur an den erfolgreichen Krieg Vietnams von 1955 bis 1975 zunächst gegen Frankreich und dann gegen die USA.

Eine andere Sache ist, dass Scott Ritter die von Israel behaupteten Gräultaten der Hamas in Frage stellt. Diese Behauptungen seien “nachweislich falsch und irreführend”: “Die israelische Regierung musste ihre Behauptungen, die Hamas habe 40 Kinder enthauptet, zurücknehmen und hat keine glaubwürdigen Beweise dafür vorgelegt, dass die Hamas an der Vergewaltigung oder dem sexuellen Übergriff auf eine einzige israelische Frau beteiligt war.” Irgendwann wird sich zeigen, was am 7. Oktober geschah. Wir sollten allerdings nicht vergessen: “Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst.” Warum sollte das nicht auch für die Behauptungen Israels über den Angriff der Hamas am 7. Oktober gelten? Hier der Artikel von Scott Ritter im Wortlaut:

Es gibt eine Binsenweisheit, die ich oft zitiere, wenn ich die verschiedenen analytischen Ansätze zur Bewertung der vielfältigen geopolitischen Probleme, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, erörtere: Man kann ein Problem nicht lösen, wenn man es nicht zuerst richtig definiert. Der Kern des Arguments ist ganz einfach: Jede Lösung, die nichts mit dem betreffenden Problem zu tun hat, ist im wahrsten Sinne des Wortes gar keine Lösung.

Israel hat den Angriff der Hamas auf die verschiedenen israelischen Militärstützpunkte und militarisierten Siedlungen oder Kibbuz, die in ihrer Gesamtheit einen wichtigen Teil des Gaza-Sperrsystems ausmachen, als massiven Terrorakt bezeichnet und mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die Vereinigten Staaten verglichen. Israel stützt diese Charakterisierung, indem es die Zahl der Getöteten angibt (etwa 1.200, eine Korrektur nach unten, die von Israel vorgenommen wurde, nachdem es feststellte, dass 200 der Toten palästinensische Kämpfer waren) und eine Vielzahl von Gräueltaten aufzählt, die angeblich von der Hamas begangen wurden, darunter Massenvergewaltigungen, die Enthauptung von Kindern und die Ermordung von unbewaffneten israelischen Zivilisten.

Das Problem mit den israelischen Behauptungen ist, dass sie nachweislich falsch oder irreführend sind. Nahezu ein Drittel der israelischen Opfer waren Militär-, Sicherheits- und Polizeibeamte. Außerdem hat sich herausgestellt, dass nicht die Hamas oder andere palästinensische Gruppierungen, sondern das israelische Militär selbst am 7. Oktober die meisten israelischen Opfer zu beklagen hatte. Kürzlich veröffentlichte Videos zeigen, wie israelische Apache-Hubschrauber wahllos auf israelische Zivilisten schießen, die versuchen, von der Supernova-Sukkot-Veranstaltung in der offenen Wüste in der Nähe des Kibbutz Re’im zu fliehen, wobei die Piloten nicht zwischen Zivilisten und Hamas-Kämpfern unterscheiden können. Viele der Fahrzeuge, die die israelische Regierung als Beispiel für die Niedertracht der Hamas angeführt hat, wurden von den israelischen Apache-Hubschraubern zerstört.

Ebenso hat die israelische Regierung das, was sie als „Re’im-Massaker“ bezeichnet, weithin publik gemacht und eine Zahl von etwa 112 Zivilisten genannt, die angeblich von der Hamas ermordet wurden. Augenzeugenberichte von überlebenden israelischen Zivilisten und an den Kämpfen beteiligten Militärangehörigen zeigen jedoch, dass die große Mehrheit der Getöteten durch das Feuer israelischer Soldaten und Panzer auf Gebäude starb, in denen sich die Zivilisten entweder versteckten oder von Hamas-Kämpfern als Geiseln gehalten wurden. Es dauerte zwei Tage, bis das israelische Militär Re’im zurückerobern konnte. Dies gelang erst, nachdem Panzer auf die Wohnhäuser der Zivilisten geschossen hatten, so dass sie auf ihre Bewohner einstürzten und oft in Brand gerieten, so dass die Leichen der Bewohner vom Feuer verzehrt wurden. Die israelische Regierung hat publik gemacht, dass sie die Dienste forensischer Archäologen in Anspruch nehmen musste, um die menschlichen Überreste im Kibbuz zu identifizieren, und dabei unterstellt, dass die Hamas die Häuser der Bewohner verbrannt hat. Tatsache ist jedoch, dass es israelische Panzer waren, die die Zerstörung und das Töten vornahmen.

Diese Szene wiederholte sich in anderen Kibbuzes entlang des Gaza-Sperrsystems.

Die israelische Regierung behandelt den Kibbuz als rein zivil und hat dennoch veröffentlicht, wie bewaffnete Sicherheitsteams mehrerer Kibbuzes – die sich aus den so genannten „zivilen“ Bewohnern rekrutieren – in der Lage waren, rechtzeitig zu mobilisieren, um die Hamas-Angreifer erfolgreich abzuwehren. In Wirklichkeit musste jeder Kibbuz von der Hamas wie ein bewaffnetes Lager behandelt und als solches angegriffen werden, als ob es sich um ein militärisches Ziel handelte, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie es alle waren.

Außerdem wurde jeder Kibbuz bis zur Verlegung mehrerer IDF-Bataillone in das Westjordanland durch eine Truppe von etwa 20 IDF-Soldaten verstärkt, die im Kibbuz einquartiert waren. Da die Hamas diesen Angriff seit über einem Jahr geplant hatte, musste sie davon ausgehen, dass sich diese 20 IDF-Soldaten noch immer in jedem Kibbuz befanden, und entsprechend handeln.

Die israelische Regierung musste ihre Behauptungen, die Hamas habe 40 Kinder enthauptet, zurücknehmen und hat keine glaubwürdigen Beweise dafür vorgelegt, dass die Hamas an der Vergewaltigung oder dem sexuellen Übergriff auf eine einzige israelische Frau beteiligt war. Augenzeugenberichte beschreiben die Hamas-Kämpfer als diszipliniert, entschlossen und tödlich im Angriff und dennoch höflich und sanft im Umgang mit gefangenen Zivilisten.

Es stellt sich die Frage, warum die israelische Regierung alles daran setzt, ein Narrativ zu fabrizieren, das die falsche und irreführende Charakterisierung des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober auf das Gaza-Absperrsystem als Terrorakt unterstützt.

Die Antwort ist ebenso beunruhigend wie klar – denn was am 7. Oktober geschah, war kein Terroranschlag, sondern ein militärischer Überfall. Der Unterschied zwischen den beiden Begriffen ist wie Tag und Nacht: Indem Israel die Ereignisse vom 7. Oktober als Terrorakte bezeichnet, schiebt es die Schuld für die enormen Verluste von seinen Militär-, Sicherheits- und Geheimdiensten auf die Hamas ab.

Sollte Israel jedoch anerkennen, dass es sich bei dem, was die Hamas getan hat, tatsächlich um einen Überfall – eine Militäroperation – gehandelt hat, würde die Kompetenz des israelischen Militärs, der Sicherheitsdienste und des Geheimdienstes in Frage gestellt werden, ebenso wie die politische Führung, die für die Überwachung und Leitung ihrer Operationen verantwortlich ist.

Und wenn Sie der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sind, ist das das Letzte, was Sie wollen.

Benjamin Netanjahu kämpft um sein politisches Leben. Er befand sich bereits in einer von ihm selbst verursachten Krise, nachdem er ein Gesetz durchgesetzt hatte, mit dem das israelische Grundgesetz in einer Weise umgeschrieben wurde, die die israelische Justiz unter die Kontrolle der Knesset stellte und ihren Status als eigenständige, aber gleichberechtigte Regierungsinstanz effektiv beendete (so viel dazu, dass Israel die „größte Demokratie im Nahen Osten“ ist). Dieser Akt brachte Israel an den Rand eines Bürgerkriegs, und Hunderttausende von Demonstranten gingen auf die Straße, um Netanjahu anzuprangern. Was Netanjahus Handeln noch verabscheuungswürdiger macht, ist die Tatsache, dass es sich dabei um ein reines Machtspiel handelte, mit dem das israelische Gerichtssystem daran gehindert werden sollte, ihn wegen mehrerer glaubwürdiger Korruptionsvorwürfe vor Gericht zu stellen, die ihn im Falle eines Schuldspruchs (was sehr wahrscheinlich ist) für viele Jahre ins Gefängnis gebracht hätten.

Netanjahu hatte sich selbst als Israels oberster Verteidiger bezeichnet, als Spezialist für die Bedrohungen, denen Israel im Ausland ausgesetzt ist, und dafür, wie man am besten darauf reagiert. Er hat sich offen für eine militärische Konfrontation mit dem Iran wegen dessen Atomprogramm ausgesprochen. Netanjahu ist auch ein Befürworter des politischen Zionismus in seiner extremsten Ausprägung und hat die Ausweitung der israelischen Siedlungen im Westjordanland gefördert, die Palästinenser mit Gewalt aus ihren Häusern und Dörfern vertreiben, als Teil eines Gesamtplans zur Schaffung eines „Groß-Israel“, das dem biblischen Vorbild entspricht.

Ein Teil von Netanjahus Strategie zur Verwirklichung dieses Traums von einem „Groß-Israel“ besteht darin, das palästinensische Volk und seine Regierung bis zur Bedeutungslosigkeit zu schwächen und sie so daran zu hindern, ihren Traum von einem unabhängigen palästinensischen Staat zu verwirklichen. Um diese Strategie zu erleichtern, hat Netanjahu in den letzten zwei Jahrzehnten das Wachstum der Hamas als politische Organisation gefördert. Der Zweck dieser Unterstützung ist einfach: Durch die Förderung der Hamas schwächt Netanjahu die Palästinensische Autonomiebehörde, das Regierungsorgan des palästinensischen Volkes, das von seinem Präsidenten Mahmoud Abbas geleitet wird.

Netanjahus Plan ging auf – im September 2020 unterzeichnete Netanjahu das Abaraham-Abkommen, eine Reihe bilateraler Vereinbarungen, die von der Regierung des damaligen Präsidenten Donald Trump vermittelt wurden und die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen Golfstaaten zum Ziel hatten, alles auf Kosten einer unabhängigen palästinensischen Nation. Vor dem Hamas-Anschlag am 7. Oktober stand Israel kurz davor, die Beziehungen zu Saudi-Arabien zu normalisieren, ein Akt, der den Sargnagel für die palästinensische Eigenstaatlichkeit bedeutet hätte.

Einer der Hauptgründe für Israels Fortschritte in dieser Hinsicht war sein Erfolg bei der Schaffung einer politischen Kluft zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Am 7. Oktober wurde dieser Erfolg jedoch durch den Sieg der Hamas über die IDF zunichte gemacht. Die genauen Mittel, mit denen dieser Sieg errungen wurde, sind ein Thema für ein anderes Mal. Aber die grundlegenden Elemente dieses Sieges sind bekannt.

Die Hamas hat Israels gepriesene Nachrichtendienste wirkungsvoll neutralisiert und sie für die Möglichkeit eines Angriffs dieses Ausmaßes blind gemacht.

Als der Angriff stattfand, war die Hamas in der Lage, genau die Überwachungs- und Kommunikationsknotenpunkte zu treffen, auf die sich die IDF verließen, um im Falle eines Angriffs eine Reaktion zu mobilisieren.

Die Hamas besiegte die entlang der Sperrmauer stationierten israelischen Soldaten im Nahkampf. Zwei Bataillone der Golani-Brigade wurden aufgerieben, ebenso wie Teile anderer gepriesener IDF-Einheiten.

Die Hamas griff das Hauptquartier der Gaza-Division, die örtliche Geheimdienstzentrale und andere wichtige Kommando- und Kontrolleinrichtungen mit brutaler Präzision an und machte aus einer Reaktionszeit von fünf Minuten viele Stunden – mehr als genug Zeit für die Hamas, um eines ihrer Hauptziele zu verwirklichen: die Geiselnahme. Dies gelang ihnen mit äußerster Geschicklichkeit, und sie kehrten mit mehr als 230 israelischen Soldaten und Zivilisten nach Gaza zurück.

Das Marineinfanteriekorps definiert einen Überfall als „eine Operation, in der Regel von geringem Umfang, bei der schnell in feindliches Gebiet eingedrungen wird, um Informationen zu erhalten, den Feind zu verwirren oder seine Einrichtungen zu zerstören. Sie endet mit einem geplanten Rückzug nach Abschluss der zugewiesenen Mission“.

Genau das hat die Hamas am 7. Oktober getan.

Was waren die Ziele dieses Angriffs? Nach Angaben der Hamas verfolgte der Überfall am 7. Oktober drei Ziele.

Erstens, das Recht des palästinensischen Volkes auf ein Heimatland, das nicht durch das Abaraham-Abkommen definiert ist, zu bekräftigen.

Zweitens die Freilassung der mehr als 10.000 Palästinenser, die von Israel gefangen gehalten werden, die meisten von ihnen ohne Anklage und ohne ein ordentliches Verfahren.

Drittens die Wiederherstellung der Unantastbarkeit der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, der drittheiligsten Stätte des Islam, die in den letzten Jahren wiederholt von israelischen Sicherheitskräften geschändet worden war.

Um diese Ziele zu erreichen, musste der Überfall vom 7. Oktober die notwendigen Voraussetzungen für einen Sieg schaffen. Dies wurde erreicht, indem Israel ausreichend gedemütigt wurde, um ein vorhersehbares Ergebnis zu provozieren – die Umsetzung der Dahiya-Doktrin der kollektiven Bestrafung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen in Verbindung mit einem Bodenangriff auf den Gazastreifen, der die IDF in einen Hinterhalt der Hamas locken sollte.

Die Geiselnahme sollte der Hamas als Verhandlungsmasse für die Freilassung der 10.000 von Israel festgehaltenen Gefangenen dienen.

Die israelische Bombardierung und Invasion des Gazastreifens hat zu internationaler Empörung gegen Israel geführt, da die Welt vor der humanitären Katastrophe, die sich vor ihren Augen abspielt, zurückschreckt. Die Straßen der großen Städte auf der ganzen Welt sind voll von wütenden Demonstranten, die für das palästinensische Volk – und die palästinensische Eigenstaatlichkeit – demonstrieren. Die Vereinigten Staaten erklären nun, dass eine Zweistaatenlösung – etwas, was das Abrahams-Abkommen verhindern sollte – der einzige Weg für den Frieden im Nahen Osten ist.

Das hätten die Vereinigten Staaten am 6. Oktober niemals gesagt.

Die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten diese Haltung eingenommen haben, ist auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober zurückzuführen.

Israel verhandelt mit den Vereinigten Staaten und anderen über einen möglichen Gefangenenaustausch zwischen den Hamas-Geiseln und bestimmten Kategorien politischer Gefangener – Frauen und Kinder -, die von Israel festgehalten werden (ja, Sie haben richtig gelesen – Kinder). Jetzt wissen Sie, wie weise die Entscheidung der Hamas war, israelische Kinder als Geiseln zu nehmen).

Ohne den Hamas-Angriff vom 7. Oktober wäre eine solche Möglichkeit niemals gegeben gewesen.

Und in Saudi-Arabien ist die größte Versammlung islamischer Staaten in der modernen Geschichte zusammengekommen, um die Gaza-Krise zu diskutieren. Einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte ist die Frage der Al-Aqsa-Moschee und die Beendigung der israelischen Schändung.

Eine Diskussion, die ohne den Hamas-Angriff vom 7. Oktober nie stattgefunden hätte.

Es versteht sich von selbst, dass der Hamas-Angriff vom 7. Oktober einen Feuersturm brutaler Vergeltungsmaßnahmen in Form von Bomben, Granaten und Kugeln auf die Zivilbevölkerung des Gazastreifens ausgelöst hat. Es handelt sich um Menschen, denen seit fast acht Jahrzehnten eine eigene Heimat von den Israelis verwehrt wird, die die Palästinenser in einem der größten Akte ethnischer Säuberung der modernen Geschichte – der Nakba oder Katastrophe von 1948 – gewaltsam aus dem Land vertrieben haben, das heute Israel heißt.

Diese Menschen haben unsägliche Entbehrungen durch die israelischen Besatzer erlitten, während sie auf den Moment warten, in dem ihr Traum von einer palästinensischen Heimat wahr wird. Sie wissen, dass ein palästinensisches Heimatland nicht verwirklicht werden kann, solange Israel von denjenigen regiert wird, die die Idee eines Groß-Israels (Eretz Israel) vertreten, und dass die einzige Möglichkeit, diese Leute zu beseitigen, darin besteht, sie politisch zu besiegen, und die einzige Möglichkeit, ihre politische Niederlage herbeizuführen, ist, sie militärisch zu besiegen.

Die Hamas ist dabei, dies zu erreichen.

Aber es gibt einen Preis zu zahlen – einen hohen Preis. Die Franzosen haben 20.000 Zivilisten verloren, um die Befreiung der Normandie im Sommer 1944 zu erreichen.

Bisher haben die palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen 12.000 Zivilisten verloren, die bei den Bemühungen der Hamas, ihre israelischen Besatzer militärisch zu besiegen, getötet wurden.

Dieser Preis wird in den kommenden Tagen und Wochen noch steigen.

Aber es ist ein Preis, der gezahlt werden muss, wenn es eine Chance auf ein palästinensisches Heimatland geben soll.

Das Opfer des palästinensischen Volkes hat eine arabische und islamische Welt in Zugzwang gebracht, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gegenüber den von Israel an dem palästinensischen Volk verübten Verheerungen stumm geblieben ist. Die nichts unternommen hat, als die Sache der palästinensischen Staatlichkeit durch das Abraham-Abkommen erörtert wurde.

Nur aufgrund des Leidens des palästinensischen Volkes schenkt heute irgendjemand der Sache der palästinensischen Staatlichkeit Aufmerksamkeit.

Oder dem Wohlergehen der palästinensischen Gefangenen, die von Israel festgehalten werden.

Oder die Unantastbarkeit der Al-Aqsa-Moschee.

All dies waren die erklärten Ziele der Hamas bei ihrem Angriff am 7. Oktober.

Und alle Ziele werden in diesem Moment erreicht.

Nur dank der Aktionen der Hamas und der Opfer des palästinensischen Volkes.

Das macht den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober zum erfolgreichsten Militärangriff dieses Jahrhunderts.

Den Horror in Gaza beenden

In einer bemerkenswerten Erklärung hat medico International zu dem Krieg Israels im Gaza Stellung genommen. Wir geben hier die Stellungnahme in vollem Wortlaut wieder:

Israel wird durch die Verbrechen der Hamas nicht seiner eigenen völkerrechtlichen Verantwortung entbunden. Der Krieg muss enden.

medico international arbeitet seit Jahrzehnten mit Partnerorganisationen in Israel und Palästina. Wir haben in dieser langen Zeit unserer Zusammenarbeit, die meist mit politischen Minderheiten im jeweiligen Kontext stattfand, vieles versucht. Vieles ist gescheitert oder halb geglückt. Wir standen dabei immer auf der Seite der Unterdrückten und gleichzeitig auf der Seite der Idee von Verständigung und der Suche nach einer nicht-nationalistischen Perspektive.

Trotz dieser Erfahrungen mit politischer Gewalt und der Gewöhnung an Rückschläge und Niederlagen, die zuallererst die Realität unserer Partner:innen ist, stellt alles, was seit dem 7. Oktober geschehen ist, die herkömmlichen Strategien, Gewissheiten und Sicherheiten in Frage. Wir hören Horrorgeschichten von Tod, Gewalt und Verzweiflung, die kaum auszuhalten sind, obwohl wir sie nicht selbst durchleben müssen.

Wir stehen auch heute an der Seite unserer Partner:innen in Israel und Palästina, so gut, wie das gerade möglich ist. Und es ist nicht gut möglich. Denn sie sind verzweifelt, am Ende und todtraurig. Sie sind umgeben von Angst und Tod. Sie schlafen nicht, haben keinen Strom und es explodiert tagtäglich die Welt um sie herum. Sie versuchen und mit ihnen wir, sich nicht der herrschenden Kriegslogik und den falschen Dichotomien zu beugen. Doch das heißt nicht, dass wir unparteiisch wären, im Gegenteil.

Und deshalb sprechen wir jetzt und heute von Gaza, von dem die ganze Zeit gesprochen wird und über dem dennoch ein unerträgliches Schweigen liegt. Und wir sprechen mit Dringlichkeit, denn der Horror von Gaza findet jetzt statt. Er ist kein Ereignis der Vergangenheit, er ist ein Geschehen. Und er muss aufhören. Sofort.

Fast alle Argumente, die vor zwei, drei, vier Wochen vielleicht noch überzeugend waren oder klangen, sind es heute nicht mehr. Israels Armee ist außer Kontrolle, außerhalb der Verhältnismäßigkeit und außerhalb völkerrechtlicher und wertegeleiteter Bahnen. Die Menschen in Gaza durchleben seit Wochen die blanke Hölle und kein Tunnel unter ihnen rechtfertigt die Fortsetzung dieses Albtraums. Seit dem 7. Oktober finden flächendeckende Angriffe auf alle Teile Gazas statt, die etwa die Hälfte aller Wohnhäuser beschädigt, zerstört oder bis auf weiteres unbewohnbar gemacht haben. 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht, so viele wie noch nie in Palästina. Sichere Zufluchtsorte gibt es nicht, bombardiert wird überall. Ganze Familien werden durch Luftangriffe ausgelöscht.

Das vorläufige Ergebnis: Binnen vier Wochen sind in Gaza mehr als doppelt so viele Frauen und Kinder dem Kriegsgeschehen zum Opfer gefallen, wie in der Ukraine seit Kriegsbeginn durch Verbrechen der russischen Armee den Tod fanden. Fast 11.000 Menschen sind bei israelischen Angriffen getötet worden, etwa 68 Prozent davon Frauen und Kinder. Schätzungsweise 2.650 gelten als vermisst, auch davon etwa 1.400 Kinder. Die meisten dürften unter den Trümmern ihrer Häuser begraben liegen. In keinem Konflikt weltweit haben die Vereinten Nationen bisher so viele Personal verloren wie in Gaza: 100 Mitarbeiter:innen kamen bei den Angriffen seit dem 7. Oktober ums Leben.

Schon vor dem verheerenden Überfall der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppierungen auf Israel waren in Gaza rund 80 Prozent der Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 65 Prozent der Bevölkerung litten unter Ernährungsunsicherheit, die hohe Arbeitslosigkeit hatte zwei Drittel unter die Armutsgrenze gedrückt. Die Bevölkerung, von der etwa die Hälfte Kinder und Jugendliche sind, hatte schon keine Perspektive, bevor die vollständige militärische Belagerung begann.

Am 9. Oktober ordnete Israels Verteidigungsminister dann die Abschaltung der Strom- und Wasserversorgung sowie die Einstellung aller Warenlieferungen einschließlich Lebensmittel, Medikamente und Treibstoff an. Davor kamen täglich im Schnitt 500 Lastwagen nach Gaza. Das ist der Bedarf, um das Gebiet zu versorgen. Als „humanitäre Geste“ der israelischen Regierung wurden bis zum 7. November insgesamt 650 LKW nach Gaza gelassen. Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD kommt in ihrem jüngsten Bericht zu dem Schluss: „Grenzschließungen und wiederholte Militäroperationen haben einen Teufelskreis des wirtschaftlichen und institutionellen Zusammenbruchs in Gang gesetzt, der den Gazastreifen zu einem Fall von Rück-Entwicklung gemacht hat.“

Die Folgen des jetzigen Krieges sind für die Versorgung der Menschen katastrophal. Laut WHO mussten 14 Kliniken ihren Betrieb einstellen. Das Personal der verbliebenen Krankenhäuser muss um das Leben der Patient:innen bangen. Ohne Strom funktionieren Autoklaven, Inkubatoren, Dialysen und andere lebenswichtige Geräte nicht. Die Lieferung von Treibstoff für die Notstromgeneratoren der Kliniken ist überlebensnotwendig und wird durch Israel weiterhin blockiert. Medikamente, Schmerz- und Betäubungsmittel, Antibiotika, Wundauflagen und Desinfektionsmittel sind nicht mehr in ausreichendem Maß vorhanden.

Die Einhaltung des Völkerrechts gewährleisten

Die Debatten in Deutschland der letzten Wochen haben für viele anscheinend zum Ergebnis, dass Israels Armee bedingungslos unterstützt werden muss und dass sie eine vertrauenswürdige Kraft des Guten ist. Dieser Glaube scheint weiterhin größer zu sein, als die Fakten und Zeugnisse von vor Ort, die bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber den zur Verfügung stehenden Quellen ein eindeutiges Bild unbestreitbaren Grauens zeichnen.

Doch Deutschland führt nicht nur eine Debatte. Die deutsche Bundesregierung ist ein politischer Akteur und trägt Verantwortung. Bundeskanzler Scholz war der erste Regierungschef, der Israel nach dem 7. Oktober besuchte, die Bundesregierung und die gesamte Parteienlandschaft in Deutschland haben sich solidarisch mit Israel – was in dieser Situation auch bedeutet: solidarisch mit dem Krieg gegen Gaza – gezeigt und die Bundesregierung hat hierfür einen Freifahrtschein ausgestellt, der sich moralisch aus dem blutigen Überfall des 7. Oktobers ableiten soll.

Fraglos haben sich die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppierungen schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht und müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden. Nach wie vor beschießen sie unterschiedslos Ziele in Israel und halten Zivilpersonen als Geiseln fest. Israel wird durch diese Verbrechen jedoch nicht seiner eigenen völkerrechtlichen Verantwortung entbunden. Die vollständige unterschiedslose Abriegelung der gesamten Küstenenklave und die weitgehende Vorenthaltung humanitärer Hilfe nimmt die palästinensische Zivilbevölkerung insgesamt in Haft für die Verbrechen jener Gruppen. Gezielte Angriffe auf nicht militärische Infrastruktur und die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen. 

Dem völkerrechtswidrigen Handeln muss schnellstmöglich ein Ende gesetzt werden. Die Bundesregierung muss, gemeinsam mit anderen Staaten, dringend entsprechenden Druck auf die Kriegsparteien ausüben, um ihrer völkerrechtlichen Verantwortung zur Verhütung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachzukommen. Sie sollte weiter die wichtige Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs unterstützen und dem Chefankläger jede erforderliche Hilfe anbieten, um weitere Massengräueltaten zu verhindern und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, bei denen der Verdacht auf Beteiligung an Straftaten unter dem Römischen Statut oder Verantwortung für solche besteht.

Ein politischer Horizont ist notwendig. Es ist an der Zeit, mit den Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan eine politische Perspektive zu entwickeln. Nur so kann Sicherheit jenseits der militärischen Macht geschaffen werden. Rechte und Sicherheit wird es entweder für alle geben, oder aber für niemanden.

Demonstration 11.11.23 in Berlin: Gaza – no conflict, no war.

Berlin. Samstag, 11.11.2023, 14:30 Uhr: Der Demonstrationszug setzt sich langsam vom Oranienplatz aus in Bewegung. Erst ruft eine Einzelstimme. Dann folgt die vielstimmige Wiederholung:

Free, free Palästina.”

“Gaza blutet still,

weil die Welt nichts sagen will.”

“No conflict, no war.”

Es ist Massenmord.

“Muslim, Juden oder Christen:

Wir sind gegen Zionisten.”

“Unsere Kinder sterben dort,

Deutschland sagt kein Wort.”

“Kindermord ist Kindermord!”

In dem Moment griff die Polizei genau denjenigen, der das gerufen hatte, aus der Menge, um ihn festzunehmen. Das Ganze spielte sich am U-Bahnhof Prinzenstraße ab. Als die Menge sich empörte, kam sofort wie aus dem Nichts eine größere Greiftruppe der Polizei. „Shame ! Shame!“ rief noch empörter die Menge. Es dauerte eine Weile bis die Demonstranten weiterzogen.

Zu der Anzahl der Toten im Gaza meldete die Frankfurter Rundschau am selben Tag: „Die neuesten Opferzahlen machen jedoch fassungslos: Seit dem 7. Oktober seien mehr als 4000 Menschen getötet worden – mehr als 40 Prozent der Todesopfer in Gaza seien Kinder unter 18 Jahren, wie CNN berichtet. Die Zahl der getöteten Kinder liegt bereits jetzt weit über der des Ukrainekriegs.“

Eine längere Zeit verging, dann war der Rufer wieder da.  In der Zwischenzeit hatten andere seine Rolle übernommen, junge Frauen und Männer.

“Viva, viva Palästina.”

“Free, free, free, free Palästina.”

“Gaza, Gaza ist in Not,

hat kein Wasser und kein Brot.”

“Deutschland, Deutschland, wo bist Du?

Hör uns doch mal endlich zu!”

Und immer wieder:

“Free, free Palästina.”

“Deutschland mit den Lügen,

lasst Euch nicht betrügen!”

“Gaza ist in Dunkelheit,

wo bleibt unsere Menschlichkeit?”

“NO JUSTICE, NO PEACE.”

“Viva, viva Palästina.”

Es begann leicht zu regnen. Ein Ordner schenkt mir einen Regenponcho aus dünner durchsichtiger Plastik – made in China. Später schenkt mir eine junge Demonstration ihren schönen glänzenden Kugelschreiben. Damit habe ich die Rufe notiert und kann sie jetzt hier veröffentlichen.

Hinweise:
  1. Es wird andauernd von dem Existenzrecht Isarels gesprochen, aber über das Existenzrecht eines eigenen Staates der Palästinenser wird geschwiegen. Man verweist auf “den Beschluss der UNO-Generalversammlung vom 29. November 1947 über die Gründung eines Israelischen Staates, ohne auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, dass die gleiche Resolution 181(II), Kapitel 4 die Bildung eines Palästinensischen Staates fordert. Von 1947 bis 1995 hat Israel sein Staatsgebiet auf 78% gewaltsam ausgedehnt und das von Palästina auf 22% reduziert. Inzwischen hat die aggressive Besiedlungspolitik palästinensischer Gebiete das de facto okkupierte Territorium Israels noch mehr erweitert. Wie lassen sich solche Gewaltorgien mit dem verbrieften Völkerrecht vereinbaren? Solange das Unrecht, nämlich die Nichteinhaltung der Resolution 181 fortbesteht, wird es keinen gerechten Frieden im Nahost geben können. Hat eigentlich eine Bundesregierung die völkerrechtswidrige territoriale Ausdehnung Israels je so vehement verurteilt wie sie das Existenzrecht Israels einfordert und für eine Zwei-Staaten-Lösung nur halbherzig eintritt?” [1]Beitrag des Arbeitskreises Frieden vom 8. November 2023 in der VVN-BdA Berlin zu diesem Thema
  2.  Eine  Untersuchung von Amnesty International kommt zu dem Ergebnis, dass Israel ein Apartheid-Regime betreibt. Amnesty beruft sich auf die völkerrechtliche Konvention gegen Apartheid und das Römischen Statut des IStGH.
  3. Eine bemerkenswerte Erklärung vom 10. November 2023 zur Situaution im Gaza von medico international hier lesen
Fundstellen:
  1. Das Zitat aus der Frankfurter Rundschau ist vom 11.11.2023, 09:18 Uhr, abgerufen 21:34 Uhr: https://www.fr.de/politik/israel-krieg-gazastreifen-verluste-tote-zahlen-kinder-gesundheitsamt-hamas-zr-92662670.html.
  2. Regelmäßig überarbeitete Angaben über die Toten, die Vertreibung, die fehlende Gesundheitversorgung, die fehlende Versorgung mit Elektrizität, Wasser und die fehlende Ernährungssicherheit und sanitäre Versorgung finden sich auf der Seite der UNOCH, einer Organisation der UNO: https://ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-flash-update-33

References

References
1 Beitrag des Arbeitskreises Frieden vom 8. November 2023 in der VVN-BdA Berlin zu diesem Thema

Zum jüngsten Gewaltausbruch im Nahen Osten

Standpunkte des AK Frieden der Berliner VVN-BdA,

Juden Europas, darunter auch Vorfahren von einigen Mitgliedern des Arbeitskreises Frieden der Berliner VVN-BdA, waren dem einmalig grausamen Pogrom der Faschisten, ausgesetzt.

Je tiefer wir über den Ausspruch des Überlebenden des KZ Auschwitz-Birkenau und zweimaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski: „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um bei neuem Unrecht zu schweigen“ nachdenken, desto schwerer fällt es uns, zu dem unvorstellbar grausamen Pogrom an Palästinensern seit Jahrzehnten zu schweigen.

Der neuerliche Ausbruch von Gewalt im Nahen Osten hat uns zutiefst berührt und erfüllt uns mit großer Sorge um die leidtragenden Menschen in der Region auf beiden Seiten. Den terroristischen Überfall auf israelische Bürger am 7. Oktober verurteilen wir ebenso wie die Geiselnahme unschuldiger Zivilisten. Aber das rechtfertigt nicht den furchtbaren Staatsterror Israels gegen ein ganzes Volk, den wir unmissverständlich gleichfalls missbilligen.

Wortlaut:

Dank an Andrej Reder für die Zusendung und Genehmigung der Veröffentlichung.