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7. Als Lokführer bin ich doch gut abgesichert. Kann es mir nicht egal sein, bei wem ich arbeite?

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7. September 2020 von benhop

Einsparungen beim Personal sind eine wichtige Methode rasch die Gewinne zu erhöhen. Schon allein der Versuch, die Aktien der Deutsche Bahn AG an die Börse bringen, führte in den Jahren 2006 bis 2008 führte zu erheblichen  Personalreduzierungen bei der S-Bahn GmbH – mit verheerenden Folgen für den S-Bahn Betrieb im Jahr 2009. Auch ein privater Betreiber der S-Bahn wird auf Personaleinsparungen nicht verzichten wollen. Personaleinsparung führt zu Arbeitsverdichtung. Das wird sich bei allen Beschäftigten bemerkbar machen, auch bei den Lokführern. 

Die Ansprüche, die bei der S-Bahn GmbH durch Tarifvertrag  abgesichert waren und nach dem Betreiberwechsel nur noch durch den einzelnen Arbeitsvertrag abgesichert sind,  darf der neue Betreiber nach den gesetzlichen Regeln „nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers ändern“[1].

Eine fehlenden Tarifbindung des neuen Betreibers kann dem Lokführer auch aus einem anderen Grund nicht egal sein: Die Belegschaft wird gespalten und gegeneinander aufgebracht.

Die Arbeitskräfte, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden, haben bessere Arbeitsbedingungen als die übrigen Arbeitskräfte. Schlechter Arbeitsbedingungen haben diejenigen, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden, die aber Tätigkeiten ausüben, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden. Die schlechtesten Arbeitsbedingungen haben diejenigen, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden und auch keine Tätigkeiten ausüben, die früher von der S-Bahn GmbH ausgeführt wurden. Für diese dritte Gruppe Beschäftigter gibt es in der Ausschreibung keinerlei Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen, zu denen sie arbeiten müssen. Die  ungleichen  Arbeitsbedingungen bestehen, obwohl exakt die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird- zum Beispiel als Lokomotivführer.

Wenn der neue Betreiber an dieselben Tarifverträge gebunden wäre, wie die S-Bahn GmbH, gäbe es diese ungleichen Arbeitsbedingungen für dieselben Tätigkeiten nicht.. Eine Verpflichtung zu dieser Tarifbindung enthält die Ausschreibung aber nicht und kann sie  auch nicht enthalten. Die Zerstörung der bisherigen Tarifbindung ist also eine Folge der Ausschreibung.

Also: Ohne Ausschreibung kein Verlust der Tarifbindung. Und: Ohne Verlust der Tarifbindung keine Spaltung unter den Beschäftigten.

Die Erfahrung zeigt, dass in diesen unterschiedlichen Arbeitsbedingungen bei gleicher Tätigkeit eine große Sprengkraft liegt[2]. Die Bedeutung der ungleichen Arbeitsbedingungen nach einer Ausgliederung oder nach einer Vergabe durch Ausschreibung wie im vorliegenden Fall wird regelmäßig deswegen unterschätzt, weil alles nur aus der Jetzt-Perspektive der S-Bahn Beschäftigten betrachtet wird: Die Arbeitsbedingungen der S-Bahn Beschäftigten sollen sich nicht verschlechtern. Wenn das auch nur über Einzelarbeitsverträge gesichert werden kann, soll das ausreichen. Nach einem Betreiberwechsel kommt es aber auf die neue Belegschaft an, die eben nicht nur aus den von der S-Bahn GmbH übernommenen Arbeitskräften besteht. Die allein auf den individuellen Anspruch fokussierte Betrachtungsweise ist ein Gift, das die Beschäftigten ohnmächtig macht, weil es davon ablenkt, dass diese Individualansprüche immer das Ergebnis von gemeinsamem Handeln sind und auch nur in gemeinsamem Handeln verteidigt werden können.


[1]                     § 613a BGB: „(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird. …….

                (4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt“.    

[2]                      J. Seppelt, R. Niemerg u.a. Der Aufstand der Töchter, Hamburg 2018 VSA Verlag