Ein Beitrag von Florian Schneider.
In den ersten Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine arbeitete der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett hinter den Kulissen intensiv an Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Nun hat er in einem Videointerview erstmals ausführlich über den Ablauf und das Ende der Verhandlungen gesprochen. Sein Ziel: Ein Waffenstillstandsabkommen.
Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit. Doch vor allem Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.
Hindernisse für einen Waffenstillstand aus dem Weg geräumt
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe ihn, Bennett, nach Ausbruch des Krieges gebeten, Wladimir Putin zu kontaktieren. So stehe es auch in den Protokollen. In der damaligen Phase des Krieges, als die russische Armee vor Kiew stand, habe Selenskyj um sein Überleben gefürchtet. Bennett habe anschließend mit US-Präsident Joe Biden gesprochen und gesagt, er könne eine „Pipeline“ für den Kontakt zum Kreml sein. Es folgte eine Reihe von Telefongesprächen sowohl mit dem russischen Präsidenten als auch mit Selenskyj. Bennett sei Vertrauen von beiden Seiten entgegengebracht worden. Entwürfe für zentrale Punkte eines Waffenstillstands wurden ausgetauscht. Zugleich verhandelten im belarussischen Gomel ukrainische und russische Delegationen.
Am 5. März 2022 flog Bennett dann auf Einladung Putins in einem privaten, vom israelischen Geheimdienst bereitgestellten Jet nach Moskau. In dem Gespräch im Kreml habe Putin, so Bennett, einige substanzielle Zugeständnisse gemacht, insbesondere habe er auf sein ursprüngliches Kriegsziel einer Demilitarisierung der Ukraine verzichtet.
Bennett fragte Putin, ob er vorhabe, Selenskyj zu töten. Putin sicherte ihm ausdrücklich zu, das nicht zu tun. Auf seiner Rückreise rief Bennett Selenskyj an und teilte ihm das Ergebnis mit. Der ukrainische Präsident erklärte sich im Gegenzug bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten – eine Position, die er kurze Zeit später auch öffentlich wiederholte. Damit war eines der entscheidenden Hindernisse für einen Waffenstillstand aus dem Weg geräumt.
Scholz und Macron waren eher pragamatisch eingestellt
Auch andere Themen wie die Zukunft des Donbass und der Krim sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine seien in diesen Tagen Gegenstand von intensiven Gesprächen gewesen. Bennett wörtlich: „Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten.“
Bennett flog daraufhin zunächst nach Deutschland, um mit Bundeskanzler Scholz zu sprechen, anschließend unterrichtete er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premier Boris Johnson sowie die amerikanische Regierung. Boris Johnson habe damals die „aggressive“ Position vertreten, dass „man Putin weiter bekämpfen müsse“, wogegen Scholz und Macron eher pragmatisch eingestellt waren. In der US-Regierung seien beide Positionen vertreten gewesen.
Welche Position hat die deutsche Regierung eingenommen?
In den folgenden Tagen habe es weitere intensive Diplomatie mit den Kriegsparteien gegeben. Bennett habe seine Bemühungen dabei „bis ins kleinste Detail mit den USA, Deutschland und Frankreich abgestimmt“. Auf die Frage, ob die westlichen Verbündeten die Initiative letztlich blockiert hätten, antwortete Bennett: „Im Grunde genommen, ja. Sie haben es blockiert, und ich dachte, sie hätten unrecht.“ Sein Fazit: „Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie ihn nicht verhindert hätten.“ Ob die Entscheidung des Westens, den Verhandlungsprozess zu beenden, langfristig richtig sei, könne er nicht beurteilen.
Die Aussagen von Bennett werfen, sollten sie zutreffend sein, einige grundsätzliche Fragen auf. Warum haben die Nato-Staaten damals einen Waffenstillstand blockiert? Welche Position hat die deutsche Regierung eingenommen? Und kommt dem Westen womöglich eine Mitschuld an der folgenden Eskalation des Krieges zu? Damals, im März 2022, waren einige Tausend Menschen im Krieg gestorben. Seither sind mehr als 200.000 Tote zu beklagen. Vielleicht hätte das verhindert werden können.
Hinweis: Dieser Artikel von Florian Scheidler erschien in der Berliner Zeitung und unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0)