Warum wurde attac und anderen Vereinen die Gemeinnützigkeit aberkannt?

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4. November 2020 von benhop

Anders als bei der VVN-BdA geht es bei attac, campact und den anderen Vereinen, die sich in der Allianz “Rechtsicherheit für politische Willensbildung” zusammen geschlossen haben, um die Frage: Welche Zwecke darf ein gemeinnütziger Verein verfolgen und wie darf er sie verfolgen?

Die Allianz fordert eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen, so dass ihnen nicht mehr die Gemeinnützigkeit entzogen werden kann. Die Abgabenordnung soll so geändert werden, dass zivilgesellschaftliches Engagement als gemeinnützig anerkannt werden muss:

Einen ersten Schritt in dieser Richtung taten die Bundesländer auf der Sitzung des Bundesrats am 9. September. Sie entschieden sich für die Aufnahme weiterer Zwecke in die Abgabenordnung. Auch Vereine, die diese neuen Zwecke verfolgen, sollen als gemeinnützig anerkannt werden. Aber das reicht nicht aus, wie aktuelle Petitionen zeigen, z.B. https://www.openpetition.de/petition/online/engagement-gegen-rassismus-ist-gemeinnuetzig-der-bundestag-muss-dies-garantieren.

Ein anderer Vorschlag wurde jedoch abgelehnt, der attac und anderen Vereinen die Gemeinnützigkeit zurück gegeben hätte: Die Mehrheit der Länderfinanzminister hatte wenige Tage zuvor gegen die Stimmen der CDU/CSU folgenden Vorschlag gemacht: „Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine steuerbegünstigte Körperschaft bei der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch tätig wird, wenn ihre steuerbegünstigte Tätigkeit mit einer politischen Zielsetzung verbunden ist“. Dieser Vorschlag hätte den Vereinen auch erlaubt, politisch für ihre Forderungen einzustehen ohne Furcht vor der Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ begrüßte diesen Vorschlag und kommentierte ihn so: „Würde der Vorschlag ins Gesetz aufgenommen, würde damit prinzipiell anerkannt, dass gemeinnützige Organisationen natürlich auch mit politischen Mitteln wirken können, etwa mit Demonstrationen, Bürgerbegehren und Forderungen an den Bundestag, Länderparlament oder die Kommune“.

Die Allianz macht noch einen dritten Vorschlag: „Um sich für Demokratie zu engagieren, brauchen Vereine und Stiftungen die gesetzliche Erlaubnis, sich bei Gelegenheit über ihren Zweck hinaus zu engagieren, sonst wird dem Chorverein die Gemeinnützigkeit entzogen, wenn er zur antirassistischen Mahnwache aufruft“.

Die politisch Verantwortlichen sind nicht bereit, diese Forderungen der Allianz zu erfüllen, und sie sind auch nicht bereit, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA rückgängig zu machen. Etwas verallgemeinernd lässt sich die Zielrichtung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit so beschreiben: Zivilgesellschaftliches Handeln soll nicht politisch und politisches Handeln soll nicht antifaschistisch sein!

Es geht darum, diese Zielrichtung umzudrehen: Gemeinnützig ist zivilgesellschaftliches Handeln, das politisch, und politisches Handeln, das antifaschistisch ist. Das ist ein großes politisches Programm.

FAQ zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit

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10. November 2020. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit folgenden Fragen:

Die entsprechende Antwort auf jede Frage erscheint durch Anklicken der einzelnen Frage.

  1. Was will ein Verein erreichen, der die Anerkennung der Gemeinnützigkeit beantragt?
  2. Welche Voraussetzungen muss ein Verein erfüllen, wenn er als gemeinnützig anerkannt werden will?
  3. Warum wurde attac und anderen Vereinen die Gemeinnützigkeit aberkannt?
  4. Die unterschiedlichen Gründe für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN einerseits und attac und anderen Vereinen andererseits.
  5. Ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA verfassungswidrig? Zum Begriff “Extremismus” und seiner Anwendung.
  6. Das Verwaltungsgericht München hat irrig gemeint, die VVN-BdA sei “linksextremistisch beeinflusst”. Reicht das für eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit?
  7. Ist die Einstufung der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutzes widerlegt?
  8. Ist Wolfgang Thierse ein ‘Linksextremist” oder: Wie kommt das Finanzamt zu der Auffassung, jede Blockade eines Nazi-Aufmarsches sei unvereinbar mit dem Respekt vor der Meinungsäußerungsfreiheit und damit linksextremistisch? 
  9. Wer ist verantwortlich für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, der Berliner Finanzsenator Kollatz oder der Bundesfinanzminister Scholz?
  10. Ist die Berliner Finanzbehörde und der Berliner Finanzsenator verpflichtet, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen?
  11. Wie lässt sich das Ziel, das mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN BdA verbunden ist, zusammenfassen?
  12. Wie lässt sich das Ziel, das mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit aller politisch handelnder Vereine verbunden ist, zusammenfassen?
  13. Welches Ziel kann dem entgegen gesetzt werden?

Streit in der Frankfurter Rundschau

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15. Oktober 2020 von benhop

Nazi-Kundgebungen verbieten?

Offensichtlich sah der Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem nach dem beispiellosen Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht von NRW um die Demostrationsfreiheit für Neonazis die Notwendigkeit, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verteidigen. Dazu reichte ihm die Veröffentlichung der Begründung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht. Er veröffentlichte am 11. Juli 2002 in der Frankfurter Rundschau über eine ganze Seite einen Artikel  mit der Überschrift „Die Luftröhre der Demokratie“. „Luftröhre der Demokratie“ – das war eine Formulierung des Politologen Narr, um Bedeutung und Funktion der Demonstrationsfreiheit zu veranschaulichen. Die Unterüberschrift des Artikels des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem lautete: „Der Rechtsstaat ist stark genug, um auch die Demonstrationsfreiheit für Neonazis auszuhalten“. Damit war auch schon die Kernaussage des Artikels zusammengefasst. Für die Demonstrationsfreiheit von Rechtsextremisten soll nicht gelten: ‘Wehret den Anfängen!’, sondern: ‘Das muss der Rechtsstaat aushalten!’

Hoffmann-Riem stellt zunächst fest: „Auch fünfzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges und der Nazidiktatur lässt uns der Rechtsextremismus nicht los – nicht in der Erinnerung an die Vergangenheit und nicht als Erfahrung in der Gegenwart. Besonders sichtbar tragen Rechtsextremisten ihre Anschauungen in die Öffentlichkeit in Form von Versammlungen. Viele Bürger verstehen nicht, dass sie auch den Schutz durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit genießen“. 

Hoffmann-Riem doziert: „Die Versammlungsfreiheit ist … auch ein Schutzauftrag an den Staat, konkret an Polizei und Gerichte … Verbietet die Versammlungsbehörde eine Versammlung oder verhängt sie belastende Auflagen für deren Durchführung, können die Initiatoren Rechtsschutz beantragen …“.  

Dann macht Hoffmann-Riem deutlich, in welchem Ausmaß  Rechtsextremisten Rechtsschutz beantragen und Rechtsschutz bekommen: „Anträge auf Eilrechtsschutz für Demonstrationen  haben in jüngster Zeit in großer Zahl Rechtsextremisten gestellt. …  Jedes zweite oder dritte Wochenende ist vom Bundesverfassungsgericht über einen Eilantrag von Rechtsextremisten gegen ein behördliches Versammlungsverbot zu entscheiden …  Etwa 30 Prozent solcher Anträge in Versammlungssachen hatten in jüngster Zeit Erfolg. Demgegenüber ist die Erfolgsquote in anderen Verfahren viel geringer, sie beträgt bei Verfassungsbeschwerden zwischen 2 und 3 Prozent“.

Hoffmann-Riem macht sich Gedanken darüber, warum das Bundesverfassungsgericht so häufig mit solchen Anträgen auf Eilrechtsschutz von Rechtsextremisten zu tun hat: „Die Rechtsanwender in Behörden und Gerichten sind vermutlich fest davon überzeugt, sich für eine gute Sache einzusetzen und möglicherweise handeln viele von ihnen unter dem Eindruck des Satzes: „Hätten doch auch die Juristen in der Nazizeit dem Rechtsextremismus widerstanden“. Vermutlich schütteln viele von ihnen den Kopf über das Bundesverfassungsgericht oder halten es zumindest für politisch naiv, wenn es Neonazis Eilrechtsschutz gewährt“.                 

Darauf antwortet Hoffmann-Riem mit der Autorität des Bundesverfassungsrichters apodiktisch und gibt dabei die Auslegung des Grundgesetzes wieder, wie sie vom Bundesverfassungsgericht vertreten wird: „Auf die Frage, ob wir den Schutz des Rechts mit dem Ziel verweigern dürfen, Rechtsextremisten die Äußerungen ihrer Auffassungen unmöglich zu machen, antwortet das Grundgesetz: „Nein“. … Die Garantien des Rechtsstaats dürfen zu keiner Zeit einem  politischen Trend oder einem politisch wünschenswerten Anliegen geopfert werden“.  Die Rechtsanwender in Behörden und Gerichten, die Demonstrationen von Rechtsextremisten verbieten, folgen also nur einem „politischen Trend“ oder einem „wünschenswerten Anliegen“, denen die Garantien des Rechtsstaats zu keiner Zeit „geopfert“ werden dürfen. 

Damit verabschiedet sich das Bundesverfassungsgericht aus der Bekämpfung rechtsextremistische Äußerungen. Die politische Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten ist dann nur noch Aufgabe der Zivilgesellschaft: „Deshalb ist es wichtig, dass die Gesellschaft und ihre Mitglieder aktiv werden, für die Werte der rechtsstaatlichen Demokratie werben und sich kritisch mit denen auseinander setzen, die ein Zurück in den Unrechtsstaat propagieren.“

Hoffmann-Riem feiert als einen Erfolg, dass es Schutzauftrag der Polizei ist, genehmigte Demonstration der Rechtsextremisten zu verteidigen und damit zwangsläufig in Konflikt mit Antifaschisten getrieben zu werden: „Eine aus rechtsstaatlicher Sicht erfreuliche Folge der verfassungsgerichtlichen Interventionen war, dass die Behörden und Gerichte ihre Praxis umgestellt haben und sich offenbar an den vom Bundesverfassungsgericht konkretisierten Grundsätzen orientieren. Hier wird deutlich, dass der Rechtsstaat der Bundesrepublik funktioniert.  Zu den Errungenschaften des Rechtsstaats gehört, dass er inhaltlich neutral ist … Im Umfeld der Studentenbewegung hatten insbesondere politische „Linke“ um den Schutz der Freiheit zu kämpfen – teilweise müssen sie es immer noch. In der jüngsten Zeit ist aber vorrangig die Versammlungsfreiheit politisch „Rechter“ gefährdet. Ein Grundrecht darf seine Fahne nicht nach dem politischen Wind richten. Dies gilt erst recht für ein Grundrecht, das besonders für Minderheiten wichtig ist, also für diejenigen, die nicht dem Mainstream folgen“.     

Statt „Polizisten – schützen Faschisten“ sollte es genauer heißen: „Das Bundesverfassungsgericht schützt Faschisten“. Das reimt sich zwar nicht so gut, benennt aber präziser die Verantwortlichen. 

Die Stellungnahme des Präsidenten des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG NRW), Dr. Bertrams, soll hier ebenfalls ausführlich wieder gegeben werden[1]https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilung/01_archiv/2002/25_020715/index.php; siehe auch https://nrw-archiv.vvn-bda.de/texte/0103_njw.htm:

Bertrams bezieht sich zunächst auf die bemerkenswerte Aussage des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem, dass infolge der “Intervention” des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Behörden und Gerichte ihre Praxis, Neonazi – Demonstrationen zu verbieten, umgestellt hätten und sich nunmehr an den vom BVerfG konkretisierten Grundsätzen orientierten, denen zufolge auch Neonazis grundsätzlich das Recht zustehe, öffentlich zu demonstrieren. Dazu erklärt Dr. Michael Bertrams, das größte bundesrepublikanische Oberverwaltungsgericht, das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht unter seinem Vorsitz, wolle dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht folgen. Die Begründung Dr. Bertrams:

„Mit Blick auf das öffentliche Auftreten von Neonazis ist bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Normen des Grundgesetzes zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz in weiten Teilen  … als eine Antwort auf die Beseitigung der Weimarer Demokratie durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu verstehen ist. Das Grundgesetz ist mit anderen Worten der Gegenentwurf zur Barbarei der Nazis. Von zentraler Bedeutung ist dabei neben der grundgesetzlich konstituierten Friedenspflicht  … der die gesamte Rechtsordnung prägende Aspekt der Menschenwürde …. Angesichts dieser Verfassungswerte gewinnt die Tatsache, dass vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte durch das öffentliche Auftreten von Neonazis und das Verbreiten entsprechenden Gedankenguts grundlegende soziale und ethische Anschauungen einer Vielzahl von Menschen – zumal der in Deutschland lebenden ausländischen und jüdischen Mitbürger – in erheblicher Weise verletzt werden, besonderes Gewicht.

Soweit es beim Problem der Demonstrationsfreiheit für Neonazis um das Grundrecht der Meinungsfreiheit …  geht, schützt dieses zwar auch und gerade die “politisch missliebige Meinung”. Bei dem Gedankengut von Neonazis geht es aber nicht um irgendeine “politisch missliebige Meinung”, sondern um Anschauungen, denen das Grundgesetz mit seinem historischen Gedächtnis eine klare Absage erteilt hat. Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit als Kernpunkte neonazistischer Ideologie sind nicht irgendwelche unliebsamen, politisch unerwünschten Anschauungen, sondern solche, die mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar sind. Der Ausschluss gerade dieses Gedankenguts aus dem demokratischen Willensbildungsprozess ist ein aus der historisch bedingten Werteordnung des Grundgesetzes ableitbarer Verfassungsbelang, der es rechtfertigt, die Freiheit der Meinungsäußerung, bezogen und beschränkt auf dieses Gedankengut, inhaltlich zu begrenzen. Das historische Gedächtnis der Verfassung wird m.a.W. übergangen, wenn man das öffentliche Eintreten für nationalsozialistisches Gedankengut als politisch unerwünscht und missliebig bagatellisiert und wie jede andere Meinungsäußerung als Ausübung eines für die Demokratie konstituierenden Freiheitsrechts einstuft.

Vor diesem Hintergrund lässt sich nach der Rechtsprechung des OVG NRW eine rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus nicht – auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts – legitimieren; bei der Auslegung des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG) ist deshalb dieser verfassungsimmanenten Beschränkung auch unterhalb der Schwelle strafrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Verbots- und Verwirkungsentscheidungen Rechnung zu tragen, so dass Versammlungen, die durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sind, … verboten werden können. …

Als dem maßgeblichen Hüter der Verfassung obliegt dem Bundesverfassungsgericht insoweit eine besondere Verantwortung.

Hoffmann-Riem ignoriert letztlich die Renaissance des Rechtsextremismus im wiedervereinten Deutschland. Dieses Phänomen wird jedenfalls verharmlost und bagatellisiert, wenn er Neonazis unkommentiert dem Kreis beliebiger “Minderheiten” zuordnet und deren Programmatik undifferenziert in eine Reihe stellt mit anderen am Prozess der demokratischen Willensbildung teilnehmenden politisch unerwünschten, missliebigen Meinungen.

….. Für den demokratischen Willensbildungsprozess sind die vom Grundgesetz geächteten Anschauungen von Neonazis ohne Bedeutung. Speziell diesen Anschauungen hat das Grundgesetz mit seinem historischen Gedächtnis eine klare Absage erteilt. Mit anderen Worten: Die Freiheit des Andersdenkenden ist ein hohes Gut. Diese Freiheit muss in der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes aber dort ihre Grenze finden, wo der Versuch unternommen wird, das menschenverachtende Gedankengut des Dritten Reiches wiederzubeleben. Handelt es sich bei der Demonstrationsfreiheit um die “Luftröhre der Demokratie”, dann gehen – um im Bild zu bleiben – Neonazis der Demokratie an die Gurgel. Eine wehrhafte Demokratie muss dem entgegentreten und dafür sorgen, dass ihr nicht irgendwann von geschichtsblinden Barbaren die Luft zum Atmen genommen wird“ [2]https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilung/01_archiv/2002/25_020715/index.php; siehe auch https://nrw-archiv.vvn-bda.de/texte/0103_njw.htm.    


                                                                                                               

Antifaschismus als Verfassungsauftrag

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30.10.2020 Im Grundgesetz finden sich viele Spuren von dem, was gleich nach dem Ende des 2. Weltkrieg Konsens war und was in dem Schwur von Buchenwald in den beiden Sätzen zusammengefasst wird: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzen ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. 

Die Grundrechte wurden an den Anfang des Grundgesetzes gestellt und an die erste Stelle die Menschenwürde. Aktive Feinde dieser Grundordnung verwirken ihre Grundrechte (Art. 18 GG), ihre Parteien werden aufgelöst (Art. 21. Abs. 2 GG) und erhalten keine staatliche Finanzierung (Art. 21. Abs. 3 GG), ihre Vereine werden verboten (Art. 9 Abs. 2 GG).

Wenn diese Regelungen, so ausgelegt werden, dass sie gegen Demokraten, Sozialisten oder Kommunisten gewendet werden, so passt das nicht zu dem antifaschistischen Konsens, der gleich nach dem Ende des 2. Weltkrieges galt. So galt „die Kommunistische Partei Deutschlands auch in den Westzonen nicht nur als eine demokratische Partei, sondern als eine für den politischen Neuanfang in besonderer Weise legitimierte Partei. 1933 war sie verboten worden und hatte seitdem einen entschlossenen Kampf gegen die NS-Diktatur geführt“ [1]Foschepoth „Verfassungswidrig!“ Göttingen 2017 S. 108. Wichtige Entscheidungen lagen zu dieser Zeit in den Händen der Besatzungsmächte. Nationalistische Parteien bekamen keine Zulassung (Lizensierung)[2]Foschepoth „Verfassungswidrig!“ Göttingen 2017 S. 108 .

Wehret den Anfängen! Es galt alles zu tun, um ein Wiederaufleben des Faschismus zu verhindern.  

Es gibt zwei weitere Artikel im Grundgesetz, die das in besonderem Maße verdeutlichen: Artikel 26 Absatz 2 Grundegesetz und Artikel 139 Grundgesetz.

Artikel 26 Absatz 1 GG erklärte alle Handlungen für verfassungswidrig, „die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“. Die Rechtswissenschaftler Battis und Grigoleit erläutern dieses Verbot so:

„Es richtet sich gleichermaßen gegen den Staat wie gegen Private. Und verbietet auch diesen Kriegspropaganda und jedes Eintreten für nationalen, rassischen und religiösen Hass. Nach den Erfahrungen der NS-Diktatur sollte jede „nationalistische Verhetzung der Gemüter“ verboten sein. Insofern erhält das Friedensstaatgebot eine … die Kommunikationsgrundrechte beschränkende, äußerste Grenze für die Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess“[3]Battis, Grigoleit „Neue Herausforderungen im Versammlungsrecht“ NVwZ 2001, S. 121, 123.

Artikel 139 GG bestimmt, dass „die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften von den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht berührt werden“, also weiter gelten sollen. Artikel 139 GG ist keinesfalls obsolet, wie vielfach behauptet wird – Behauptungen, denen Wolfgang Abendroth schon vor Jahrzehnten und bis heute beeindruckend in einem Beitrag entgegengetreten ist. Der Bundestag hätte ausreichend Gelegenheit gehabt, diese Vorschrift aufzuheben. Das hat er aber nicht getan.     

Ganz sicher muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach hervorgehoben hat: “Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral”[4]“Die “wirtschaftspolitische Neutralität” des Grundgesetzes besteht … darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. …. Die … Continue reading[5]A. Fisahn: „Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz“ in Gün/Hopmann/Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht – 100 Jahre Betriebsverfassung. Der Kampf um Mitbestimmung, … Continue reading[6]siehe auch die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich … Continue reading. Nach Artikel 15 GG können „zum Zweck der Vergesellschaftung Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“. Der Ursprung dieses Artikels liegt in der Revolution von 1918/19, die dazu führte, dass der 1. Reichsrätekongress beschloss, “mit der Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen”. Das schlug sich in entsprechenden Optionen in der Weimarer Reichsverfassung nieder. Nach den Erfahrungen mit dem Hitler-Faschismus war es weithin Konsens, dass das große Kapital eine besondere Verantwortung Krieg und Faschismus hatte. Die Aufnahme einer Option zur Vergesellschaftung großen Kapitals, wie sie schon in der Weimarer Reichsverfassung enthalten war, wurde als besonders dringlich betrachtet. In diesem Sinnen konnte auch der Schwur von Buchenwald verstanden werden: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“. Selbst die CDU erklärte in ihrem Ahlener Programm: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“[7]https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/das-ahlener-programm-der-cdu-der-britischen-zone-vom-3.-februar-1947. Sie forderte eine „Neuordnung von Grund aus“ und die Vergesellschaftung der Bergwerke und der eisenschaffenden Großindustrie.

1946 stimmten über zwei Drittel der Bevölkerung in Hessen für die Überführung von Bergbau, Eisen – und Stahlerzeugung sowie Energiewirtschaft in Gemeineigentum und in Sachsen für die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher. In Sachsen und in der übrigen von der Sowjetunion besetzten Zone, der späteren DDR, wurden die Betriebe der Nazi- und Kriegsverbrecher enteignet. Die Bundesrepublik behielt die Kapitalherrschaft in vollem Umfang bei. 44 Jahre später wurde sie wieder auf die DDR ausgedehnt. Geblieben aber ist der Artikel 15 Grundgesetz. Auf diesen Artikel beruft sich die gegenwärtige Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.

Artikel 20 Absatz 4 GG normiert das Widerstandsrecht, auch das Recht zum Generalstreik, „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen …, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Danach ist also ein Generalstreik wie der gegen den Kapp Putsch 1920 erlaubt. 1920 wurde mit dem Generalstreik erfolgreich die junge erste deutsche Republik erfolgreich verteidigt. Dieser Artikel 20 Absatz 4 GG ist aber unzureichend, weil er nur in extremen Ausnahmefällen den politischen Streik erlaubt: „ … wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, das heißt: Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, also ein Streik nicht mehr oder nur noch unter sehr schweren Bedingungen möglich ist. Der Kampf um ein politisches Streikrecht hat sich also keinesfalls erledigt. Der Artikel 20 Absatz 4 wurde im Zusammenhang mit den Notstandsgesetzen in das Grundgesetz aufgenommen. Er war ein Zugeständnis an diejenigen, die die  Notstandsgesetze nicht wollten. 

Soll das Wort von der Verfassung als dem „historischen Gedächtnis“ der Nation einen Sinn haben, so aktualisiert sich dieser Sinn gerade in Bestimmungen wie Artikel 139 GG und Artikel 15 Grundgesetz[8]Battis, Grigoleit „Neue Herausforderungen im Versammlungsrecht“ NVwZ 2001, S. 121, 124; dort heißt es: „Soll das Wort von der Verfassung als dem „historischen Gedächtnis“ der Nation einen … Continue reading.

Allerdings wurde das antifaschistische Fenster, das diejenigen geöffnet hatten, die unmittelbar nach dem Krieg aus dem Exil und den Konzentrationslagern in ihre Heimatstädte zurückgekehrt waren, bald wieder geschlossen. Es folgte der antitotalitäre Konsens. Die Entnazifizierung wurde beendet und die Renazifizierung in Justiz und Verwaltung begann. Es setzte sich eine konservativ-liberale Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik durch, die nicht den antirepublikanischen Kräften, sondern “der vermeintlich zu toleranten und nicht abwehrbereiten Republik die Schuld an ihrem eigenen Untergang gab”[9]Maximilian Fuhrmann / Sarah Schulz “Strammstehen vor der Demokratie – Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik” Stuttgart 2021, S. 37. Auf dieser Grundlage wurde das antitotalitäre Konzept der wehrhaften Demokratie für die Bundesrepublik entwickelt, das sich vor allem gegen die DDR und die Kommunisten richtete und alle schwächte “die an ‘sozialistischen Vorstellungen’ orientiert waren, auch SPD und Gewerkschaften. Die SPD selbst sah sich im ‘Schatten der Halbverdächtigung, halbe Kommunisten zu sein’ (Hans Apel, in Steiniger/Weiss 2009, Min.2.1)”[10]zitiert nach Maximilian Fuhrmann / Sarah Schulz “Strammstehen vor der Demokratie – Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik” Stuttgart 2021, S. 38 Fn. 6.

Das Bundesverfassungsgericht meint: „Das Grundgesetz kennt kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubt…. Das Grundgesetz gewährt Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch für die Feinde der Freiheit“[11]BVerfG v. 4.11.2009 1 BvR 2150/08 Rn. 67. Das Bundesverfassungsgericht bezog sich ausdrücklich auf die Position der Rechtswissenschaftler Battis und Grigoleit und des Oberverwaltungsgerichts NRW und lehnte diese Position ab [12] BVerfG v. 4.11.2009 1 BvR 2150/08 Rn. 67 .

Diese Position des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip kennt, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubt, halten wir für äußerst gefährlich. Denn diese Position öffnet das Tor für alle die Anwendungen des Grundgesetzes, die unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Extremismus am Ende nur die Demokraten und Linken bekämpfen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, gegen diese Position des Bundesverfassungsgericht anzugehen: Die eine Möglichkeit ist die, für eine Änderung dieser Positionen des Bundesverfassungsgerichts zu kämpfen. Die andere Möglichkeit ist die, ein allgemeines antifaschistisches Grundprinzip ausdrücklich in das Grundgesetz aufzunehmen. Meines Erachtens sollte man in beide Richtungen gehen.

Initiativen, ein antifaschistisches Grundprinzip in die Verfassung aufzunehmen, gab es auch in verschiedenen Bundesländern. Wenn das eine tatsächliche Wirkung entfalten soll, kommt es ganz entscheidend darauf an, wie das formuliert wird. Das Land Mecklenburg – Vorpommern nahm als Reaktion auf den Einzug der neofaschistischen NPD in den Landtag folgende Formulierung in seine Verfassung auf: „Alles staatliche Handeln muss dem inneren und äußeren Frieden dienen und Bedingungen schaffen, unter denen gesellschaftliche Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker oder der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu stören und insbesondere darauf gerichtet sind, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut  zu verbreiten, sind verfassungswidrig [13]Art. 18a Verfassung des Landes Mecklenburg Vorpommern.

In dieser Regelung ist der Begriff “extremistisch” irreführend, weil er unter “linksextrem” auch Vereine und Parteien fasst, deren Bestrebungen nicht gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind, und weil er diese Organisationen mit dem Rechtsextremismus in einen Topf wirft.

Auch in Brandenburg wurde eine Antifaschismus – Klausel in die Landesverfassung aufgenommen: „Das Land schützt das friedlich Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen“[14]Art. 7a der Verfassung des Landes Brandenburg unter https://www.bravors.brandeburg.de/de/gesetze-212792#7a. In dieser Antifaschismus Klausel wurde der Begriff “extremistisch” vermieden. Doch die irreführende Gleichsetzung von Rechtsextremismus mit demokratischem oder linkem Handeln spielte auch bei der Fassung dieser Klausel eine Rolle, und zwar wenn es um die Frage geht, ob die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit auch für Rechtsextremisten gelten soll. Im ND vom 23.5.2013 war dazu ein aufschlussreicher Bericht zu lesen: „… nach intensiver Diskussion mit den Oppositionsparteien entschied man sich, anstatt etwas zu verbieten, den Staat zu etwas zu verpflichten. … Bei einem Verbot hätte die FDP nicht mitgespielt. Mögliche Einschränkungen der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit wollte sie auch dann nicht hinnehmen, wenn es gegen Neonazis geht. Denn das könnte auch andere treffen, argumentierte der FDP-Abgeordnete Hans-Peter Goetz.“[15]ND v. 23.5.2013, abgerufen am 2.11.20 unter https://www.neues-deutschland.de/artikel/822173.antirassismusklausel-fuer-brandenburgs-verfassung.html Als versucht wurde, auch in Sachsen eine Antifaschismus-Klausel in die Verfassung aufzunehmen, lehnte der Vertreter von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das in ähnlicher Weise ab [16]39. Sitzung des Landtages v. 24. Januar 2005 TOP 6 und bezog sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2001 und den Folgejahren – gegen den erbitterten Widerstand des Oberverwaltungsgerichts NRW – immer wieder Verbote von Nazi-Aufmärschen aufgehoben, siehe der Streit in der Frankfurter Rundschau.   

In Sachsen-Anhalt gelang dann im Jahr 2020 ein wichtiger Etappenerfolg. Gegen die Stimmen der AfD wurde von CDU und der Partei DIE LINKE ein zusätzlicher Artikel (Artikel 37a) in die Landesverfassung aufgenommen, der lautet: “Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen”. In die Bremer Verfassung soll eine ähnliche Ergänzung aufgenommen werden [17]siehe Weserkurier vom 14.05.20: https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-buergerschaft-debattiert-ueber-antifaschismusklausel-_arid,1913290.html und vom 02.03.20: … Continue reading. Der Begriff “extremistisch” wird vermieden und dadurch Faschismus und neofaschistische Bestrebungen nicht relativiert.

Es sei erinnert an den Widerstand der FDP, ein Verbot in die Verfassung des Landes Brandenburg aufzunehmen: “Mögliche Einschränkungen der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit wollte sie auch dann nicht hinnehmen, wenn es gegen Neonazis geht”[18]siehe unter Fn. 13. Wir hatten schon darauf hingewiesen: Das ist genau die Position, die das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 2001 und 2002 im Streit mit dem Oberverwaltungsgericht NRW durch gesetzt hatte. Aus Sicht derer, die wie das Oberverwaltungsgericht NRW für ein schärferes antifaschistisches Profil in den Verfassungen sind, geht es jedoch darum, demonstrative faschistische Meinungsäußerungen aus dem demokratischen Meinungskampf auszugrenzen. Um dem verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheitsgebot zu genügen, müsste allerdings ein Verbot genauer festlegen, was unter nationalsozialistischem Gedankengut zu verstehen ist: Was gehört dazu und was nicht?[19]BVerG v. 08.12.2010 Az.: 1 BvR 1106/08; siehe https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/12/rk20101208_1bvr110608.html

Zu beachten ist, dass es sich bei all diesen Bemühungen um Änderungen der Länderverfassungen handelt. Es bleibt die Aufgabe des Bundestages, auch in der Bundesverfassung, also dem Grundgesetz, klarzustellen, dass Antifaschismus Verfassungsauftrag ist. Dies schon deswegen, weil das Bundesverfassungsgericht, meint, das Grundgesetz kenne kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip. Allerdings besteht die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht solche Regelungen abzuschwächen versucht, indem es – wie schon in der Vergangenheit – die besondere Bedeutung der Demonstrations- und Meinungsäußerungsfreiheit hervorhebt, die auch für Nazis zu gelten habe. Es kommt also darauf an, eine möglichst klare Regelung zu finden, über die sich das Bundesverfassungsgericht nicht hinweg setzen kann.

Zu beachten ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung des Jahres 2009 [20]BVerG v. 04. November 2009 1 BvR 2105/08, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2009/11/rs20091104_1bvr215008.html eine Verschärfung des Strafrechts [21]§ 130 Abs. 4 StGB; Gesetzesänderung v. 24.3.2005 BGBl. I, 969; dazu BT-Drucks. 15/5051, 12; 1 und auf dieser Grundlage ein Verbot von Nazi-Kundgebungen in Wunsiedeln für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärte und damit einen Schritt in die richtige Richtung ging, weil diese Strafverschärfung sich nicht allgemein gegen „Extremisten“ richtete, sondern ausschließlich gegen denjenigen, der „nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“[22]„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise … Continue reading. Das reicht aber nicht. Denn in derselben Entscheidung meinte das Bundesverfassungsgericht eben auch, wie schon zitiert: „Das Grundgesetz kennt kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubt…. Das Grundgesetz gewährt Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch für die Feinde der Freiheit“[23]BVerfG v. 4.11.2009 1 BvR 2150/08 Rn. 67. Die Folgen zeigten sich in dem Nazi-Aufmarsch in Dresden im Jahr 2010, der nicht verboten wurde und wohl auch wegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nicht verboten werden konnte. Die vielen Naziaufmärsche der vergangenen Jahre dürfen nicht zur Gewohnheit werden. Die Bemühungen der Bundesländer, in ihren Verfassungen antifaschistische Klauseln aufzunehmen, machen deutlich, dass die rechtlichen Grundlagen, um gegen Nazis vorzugehen, als unzureichend betrachtet werden.

Noch einmal zusammenfassend:

Es gibt zwei Möglichkeiten, gegen die Position des Bundesverfassungsgericht, wonach das Grundgesetz kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip kennt, anzugehen: Die eine Möglichkeit ist der Kampf dafür, dass das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung ändert und anerkennt, dass das Grundgesetz doch ein allgemeines antifaschistisches Grundprinzip kennt. Die andere Möglichkeit ist die, ein allgemeines antifaschistisches Grundprinzip ausdrücklich in das Grundgesetz aufzunehmen. Beide Richtungen sollten meines Erachtens weiter verfolgt werden.

Wichtig ist, sich klar zu machen, dass in jedem Fall Erfolge in die eine oder andere Richtung oder beide Richtungen nur erzielt werden können, wenn sich ein breiter antifaschistischer Konsens in großen Teilen der Gesellschaft herausbildet. Das ist ein Kampf, der täglich geführt werden muss.

     

References

References
1 Foschepoth „Verfassungswidrig!“ Göttingen 2017 S. 108
2 Foschepoth „Verfassungswidrig!“ Göttingen 2017 S. 108 
3 Battis, Grigoleit „Neue Herausforderungen im Versammlungsrecht“ NVwZ 2001, S. 121, 123
4 “Die “wirtschaftspolitische Neutralität” des Grundgesetzes besteht … darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. …. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann” (BVerfG v. 20.7.1954, unter D.5.: BVerfGE 4, 7/17f); siehe auch: 7,377/400; 50, 290/338
5 A. Fisahn: „Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz“ in Gün/Hopmann/Niemerg Gegenmacht statt Ohnmacht – 100 Jahre Betriebsverfassung. Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und Demokratisierung” Hamburg 2020
6 siehe auch die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung”
7 https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/das-ahlener-programm-der-cdu-der-britischen-zone-vom-3.-februar-1947
8 Battis, Grigoleit „Neue Herausforderungen im Versammlungsrecht“ NVwZ 2001, S. 121, 124; dort heißt es: „Soll das Wort von der Verfassung als dem „historischen Gedächtnis“ der Nation einen Sinn haben, so aktualisiert sich dieser Sinn gerade in Bestimmungen wie der des 139 GG“
9 Maximilian Fuhrmann / Sarah Schulz “Strammstehen vor der Demokratie – Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik” Stuttgart 2021, S. 37
10 zitiert nach Maximilian Fuhrmann / Sarah Schulz “Strammstehen vor der Demokratie – Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik” Stuttgart 2021, S. 38 Fn. 6
11, 23 BVerfG v. 4.11.2009 1 BvR 2150/08 Rn. 67
12 BVerfG v. 4.11.2009 1 BvR 2150/08 Rn. 67
13 Art. 18a Verfassung des Landes Mecklenburg Vorpommern
14 Art. 7a der Verfassung des Landes Brandenburg unter https://www.bravors.brandeburg.de/de/gesetze-212792#7a
15 ND v. 23.5.2013, abgerufen am 2.11.20 unter https://www.neues-deutschland.de/artikel/822173.antirassismusklausel-fuer-brandenburgs-verfassung.html
16 39. Sitzung des Landtages v. 24. Januar 2005 TOP 6
17 siehe Weserkurier vom 14.05.20: https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-buergerschaft-debattiert-ueber-antifaschismusklausel-_arid,1913290.html und vom 02.03.20: https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-bekaempfung-von-nsgedankengut-soll-in-die-verfassung-_arid,1900884.html
18 siehe unter Fn. 13
19 BVerG v. 08.12.2010 Az.: 1 BvR 1106/08; siehe https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/12/rk20101208_1bvr110608.html
20 BVerG v. 04. November 2009 1 BvR 2105/08, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2009/11/rs20091104_1bvr215008.html
21 § 130 Abs. 4 StGB; Gesetzesänderung v. 24.3.2005 BGBl. I, 969; dazu BT-Drucks. 15/5051, 12; 1
22 „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“ § 130 Abs. 4 StGB

Es wird nur von ›Extremismus‹ gesprochen

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Junge Welt: Ausgabe vom 17.11.2020, Seite 2 / Inland Entzug der Gemeinnützigkeit

»Es wird nur von ›Extremismus‹ gesprochen«

Verfassungsschutz definiert, welcher Zweck gemeinnützig ist. Antifaschistischer Verein ist es demnach nicht.

Ein Gespräch mit Benedikt Hopmann Interview: Marc Bebenroth

Verschiedenen progressiven Organisationen ist der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Betroffen ist unter anderen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, kurz VVN-BdA. In der Folge schloss sie sich der mehr als 180 Organisationen umfassenden »Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung« an. Welches Ziel verfolgt dieses Bündnis?

Es geht um die Änderung der rechtlichen Grundlagen in der deutschen Abgabenverordnung. Was die VVN-BdA angeht, sind sich alle einig: Die derzeit bestehende Beweislastumkehr muss gestrichen werden. Wenn eine Organisation beispielsweise vom Verfassungsschutz als »linksextremistisch« eingestuft wird, so ist das laut Abgabenordnung »widerlegbar«, die betroffene Organisation muss also den Gegenbeweis antreten. Andernfalls verliert sie den Status der Gemeinnützigkeit. Die Allianz fordert, dass derjenige, der diese Anschuldigung erhebt, diese belegen muss, bevor die Gemeinnützigkeit entzogen werden kann. Im Fall der VVN-BdA ist das die Berliner Finanzbehörde, gestützt auf den bayerischen Verfassungsschutz.

weiterlesen hier:

Aktive Erinnerung an den 9. November 1918

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Hier finden sich Beiträge zum 9. November als Jahrestag der Revolution 1918/19. Siehe auch die homepage 1918unvollendet.

Inhalt:


9. November 2024 – Was hat die Revolution von 1918 mit uns zu tun?

Heute heisst die staatsoffizielle Parole wieder: „Freie Fahrt für Militarismus und Rüstung“, nun in der Verkleidung der Verteidigung der Werte von Freiheit und Demokratie, die nur dürftig die Profitgier verschleiern.

Reden von Klaus Dallmer (Initiative 1918unvollendet“) und Sarah („Rheinmetall entwaffnen“) hier sehen und hören


9. November 2023 – Krieg und Kapital zerstören Löhne, Leben und Klima! Veranstltung zur unvollendeten Revolution 1918

Je ein eigenes Video der Reden von Uwe Haseloff, Günter Watermeier, Rolf Becker und Duygu Kaya sowie Videos von Ausschnitteen des Kulturprogramms. Von den Reden von Uwe Haseloff und Günter Watermeier können auch die Texte gelesen werden.

Hier hören und lesen


9. November 2022 – Krieg und Kapital zerstören Löhne, Leben und Klima! Veranstaltung zur unvollendeten Revolution 1918

Kurzbericht und Podcast findest Du hier:


9. November 2021 – Veranstaltung zur unvollendeten Revolution 1918


Theater, Veranstaltung, Musik mit Vertreter*innen von der Koordination 1918 Unvollendete Revolution, der Stadtteilorganisierung Hände weg vom Wedding, der Berliner Krankenhausbewegung, von S.K.E.T. – Die Schnelle Kulturelle Eingreifftruppe (Theater X); Ort: Dragonerareal, Berlin Kreuzberg

weiterlesen hier:


Juli 21, 2021 von Benedikt Hopmann

Die Bedeutung des 9. November 1918 für eine antifaschistische Politik

In Teil I wird kurz eine Übersicht die Revolution 1918/19 und Gegenrevolution gegeben und in Teil II die Bedeutung der Nichtvollendung dieser Revolution für die antifaschistische Politik in Thesen zusammengefasst (II).

I. Eine kurze Geschichte der unvollendeten Revolution von 1918

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 war zugleich das Ende der ersten deutschen Republik.

Diese erste Republik war das Ergebnis der Revolution von 1918/19.

weiterlesen hier:


II. Thesen zur Bedeutung dieser Revolution für eine antifaschistische Politik

These: 1

Eine der zentralen Losungen der VVN-BdA ist: Nie wieder Krieg.  Schon aus diesem Grund muss die Revolution von 1918 für uns eine große Bedeutung haben. Denn diese Revolution von 1918 baute auf den Massenstreiks während des ersten Weltkrieges auf und war zuallererst eine Antikriegsbewegung. Massenstreiks gegen den Krieg in diesem Ausmaß hat es danach nie mehr gegeben.

weiterlesen hier:


Gemeinsame Erklärung zum 100 Jahrestag der Revolution 1918/19

Eine gemeinsame Erklärung zum 100. Jahrestag der Revolution 1918 wurde von 170 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterzeichnet.

Für unser Recht: 1. Mai

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Inhaltsverzeichnis:


Foto unten: Klaus D.; Foto oben: Ingo Müller

Heute sind wir mit tausenden Menschen auf der DGB-Demonstration auf die Straße gegangen. Gemeinsam haben wir uns laut und deutlich für kämpferische Gewerkschaften positioniert. Der DGB-Führung war dies ein Dorn im Auge. Bereits früh haben sie den klassenkämpferischen Block kriminalisiert, da er sich in ihren Augen zu klar gegen Krieg, das Morden in Palästina und für kämpferische Auseinandersetzungen mit dem Kapital positioniert hat.

Wir sagen unmissverständlich: Schluss mit der Kriminalisierung der Kolleg:innen durch die Gewerkschaften! Wir lassen uns von der Repression nicht einschüchtern und kämpfen weiter für eine wirkliche Interessenspolitik im Sinne der Kolleg:innen als Arbeiter:innen anstatt sie dem Kapital und der Polizeigewalt zum Fraß vorzuwerfen. Der DGB darf sich niemals zum Erfüllungsgehilfen einer rechten Politik gegen Frieden und soziale Gerechtigkeit machen. Wir werden diese Repression nicht auf sich beruhen lassen. …“

Weiterlesen


Impressionen 1. Mai 2022

Foto: Ingo Müller

“Nach den beiden Corona-Jahren konnten die diesjährigen 1.Mai-Demonstrationen an Strahlkraft und Beteiligung wieder an das Niveau vor der Pandemie anschließen. Nach Polizeiangaben folgten dem Aufruf des DGB am Vormittag 7.500 Menschen und auf der „revolutionären 1.Mai-Demonstration” am Abend zählte die gleiche Behörde 14.000. Die Fahrraddemo „My Gruni“, die sich ebenfalls als Tradition etabliert hat und die zahlreihen dort beheimateten Vermögenden über ihre Pflichten aufklärt und ihnen die Probleme der Bevölkerungsmehrheit nahebringt, schaffte es auf die Hälfte der Zahl der Teilnehmer:innen der gewerkschaftlichen Demo. Auf der Abschlusskundgebung des DGB hatte vor allem die regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einen schweren Stand …“

Fotogalerie zum 1. Mai 2022 hier ansehen


Impressionen zum 1. Mai 2020 auf der Kundgebung der IG Metall

Rede von Benedikt Hopmann:

am 1. Mai 2020 auf einer Kundgebung des Arbeitskreises Internationalismus der IG Metall am Denkmal der ermordeten Juden Europas:

Zu den Voraussetzungen für den Mord an Millionen Juden Europas

Wir stehen hier am Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Für uns als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ist wichtig, daran zu erinnern, dass diejenigen, die die diesen systematischen Mord an Millionen Juden betrieben, dieselben waren, die sehr bald, nachdem ihnen die Regierung übertragen wurde, die Gewerkschaften zerschlugen.

Ja ich glaube, man kann das noch mehr zuspitzen und sagen: Dieser millionenfache Mord war nur möglich, weil die Nazis vorher die Arbeiterparteien verboten und die Gewerkschaften zerschlagen hatten. Vor dem Reichstagsgebäude steht ein Denkmal zur Erinnerung an 96 von den Nazis ermordete Reichstagsabgeordnete. Von den 96 ermordeten Reichstagsabgeordneten, an die dort erinnert wird, waren 43 Mitglieder der KPD und 41 Mitglieder der SPD.

Die Hitler-Faschisten nannten nicht zufällig die Revolutionäre von 1918/19 „Novemberverbrecher“. Das Ziel dieser „Novemberverbrecher“ war gewesen: Schluss mit dem Krieg! Schluss mit der feudalen Herrschaft in Politik und Wirtschaft! Nicht nur der Kaiser, auch die Schlotbarone und Krautjunker sollten gehen und mit ihnen all die Militaristen, die Deutschland in den 1. Weltkrieg geführt hatten.

All das, wofür die Novemberrevolution stand, war den Hitler-Faschisten zu tiefst zu wider. Sie wollten für die Zukunft unter allen Umständen eine Opposition verhindern, wie sie sich während des ersten Weltkrieges gebildet, über die revolutionären Obleute immer größere Massenstreiks organisiert und schließlich zur Revolution 1918/19 geführt hatte.

Weil aber nur der Kaiser ging, nicht aber all die anderen Militaristen, weil auch die Antidemokraten in den Verwaltungen, Gerichten, Schulen und Kirchen blieben, weil das große Kapital der Schwerindustrie mit seinen äußerst reaktionären Vertretern nicht enteignet wurde und weil die Privateigentümer in ihren Betrieben weiter ein unbeschränktes Feudalregiment führen konnten, weil es also der Novemberrevolution nicht gelang, die gegenrevolutionären Kräfte zu zerschlagen, konnten die Faschisten diese Kräfte um sich sammeln und eine Massenpartei darauf aufbauen.

So hatte es verheerende Folgen, dass die Revolution von 1918/19 unvollendet blieb. Zwar gelang den abhängig Beschäftigten noch 1920, die erste deutsche Republik durch einen Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch zu verteidigen, doch wenige Jahre später hatten sie dazu nicht mehr die Kraft. Sie waren nicht mehr in der Lage, vereint zu handeln und den Aufstieg des Faschismus zu verhindern.

Schon 1920 trugen die Putschisten Hakenkreuze am Helm und viele von ihnen waren von einem scharfen Antisemitismus geprägt. Darauf bauten die Hitlerfaschisten auf. Nachdem sie 1933 die gewerkschaftliche und politische Gegenmacht zerstört hatten, begannen sie Schritt für Schritt mit der Aufrüstung. Das alles endete in Völkermord und einem neuen Weltkrieg mit über 50 Millionen Toten. Der Antisemitismus steigerte sich zu einem systematischen Mord an Millionen Juden, an den dieses Denkmal erinnert.

Am 9. November eines jeden Jahres wird die Erinnerung an die Novemberrevolution von 1918 weitgehend verdrängt durch das Gedenken an die Judenpogrome vom 9.November 1938, die als wichtiger Schritt zu dem folgenden millionenfachen Morden verstanden werden. Wenn wir wollen, dass dies nie wieder geschieht, dann müssen wir aber an die Novemberrevolution von 1918 erinnern und an die Gründe, die 15 Jahre später zum Sieg des Faschismus, 20 Jahre später zu den Judenpogromen und zu den folgenden Menschheitsverbrechen führten. Nur so können wir vermeiden, dass sich die Geschichte wiederholt.

130 Jahre lang: Wir kämpfen für unser Recht

Wir sind uns bewusst, dass die Ansteckungsgefahr durch den Corona-Virus zu Einschränkungen der Versammlungsfreiheit zwingt, um Gesundheit und Leben von allen zu schützen. Aber nicht nur der Corona-Virus tötet, auch die Abschottung der EU-Grenzen tötet, die Zerstörung der Umwelt tötet, Rüstung und Krieg töten. Dazu darf nicht geschwiegen werden und deswegen wollen wir auch auf Versammlungen nicht vollständig verzichten. Versammlungsfreiheit und das Recht auf Leben und Gesundheit sind miteinander vereinbar, wenn die Hygieneregeln beachtet werden. Das ist der Grund, warum die Eindämmungs-Verordnung Versammlungen auch nicht vollständig verbietet. Und das ist auch der Grund, warum wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am 1. Mai nicht vollständig auf Kundgebungen verzichten wollen.

Nachdem der DGB alle Kundgebungen unter freiem Himmel abgesagt hatte, ehrt es den Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall, dass er diese Kundgebung und die drei vorangegangenen kleinen Kundgebungen am heutigen Tag durchführt. Und es ist ein gutes Zeichen, dass diese Kundgebungen von Birgit Dietze unterstützt werden.

Es wäre sehr schade gewesen, wenn Gewerkschaften ausgerechnet am diesem 1.Mai keine Kundgebung unter freiem Himmel durchgeführt hätten. Denn es ist in diesem Jahr 130 Jahre her, dass das erste Mal weltweit Kundgebungen durchgeführt wurden. Im Jahr 1889 hatte der Gründungskongress der II. Internationale in Paris beschlossen, in allen Ländern am selben Tag Kundgebungen zur Durchsetzung des Achtstundentags durchzuführen. Ein Jahr später, am 1.Mai 1890 war es dann soweit: Es begann eine weltweite Tradition, die bis heute anhält. Das Arbeitsschutzprogramm, das auf dem Kongress in Paris entwickelt wurde, beruhte auf der grundsätzlichen Feststellung, dass „die Emanzipation der Arbeit und der Menschheit nur ausgehen kann von dem als Klasse und international organisierten Proletariat, welches sich die politische Macht erringt, um die Expropriation des Kapitalismus und die gesellschaftliche Besitzergreifung der Produktionsmittel ins Werk zu setzten“[1]Protokoll des internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris, mit einem Vorwort von Wilhelm Liebknecht, Nürnberg 1889, S. 121). Berliner Vertreter auf diesem Kongress waren der Metallarbeiter Karl Becker, der in dem Unternehmen Max Hasse & Comp. arbeitete, der Tischler Theodor Glocke, der Former Alwin Körsten, der Zimmerer Julius Seitz, der Schneider Leo Pfeiffer, der Mauerer Julius Wernau und der Hausdiener Wilhelm Werner ; mit der Vertretung der Berliner Arbeiterinnen war Clara Zetkin beauftragt worden[2]Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung a.a.O. S. 311. Seit dem Spätherbst 1889 hatten sich nahezu alle Berliner Arbeiter-, Volks- und Gewerkschaftsversammlungen für eine Arbeitsniederlegung am 1. Mai 1990 ausgesprochen. Obwohl der preußische Innenminister aufgrund des noch geltenden Sozialistengesetzes Versammlungen verbot und Agitatoren und Streikenden strafrechtliche Verfolgung androhte, streikten in Berlin am 1. Mai 1890 ca. 20.000 abhängig Beschäftigte und unternahmen Massenausflüge in die Berliner Umgebung[3]a.a.O. S. S. 323. 28 Jahre später – am 12. November 1918 – verkündete der Rat der Volksbeauftragten, der am 10. November im Zirkus Busch von der Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte aus der Taufe gehoben worden war: „… spätestens am 1. Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten“. Außerdem verkündete der Rat der Volksbeauftragten mit Gesetzeskraft: „Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung“ und: „Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei“[4]BArch R 43 I / 1972, Bl. 22.

Hygienedemos, die mit dem Grundgesetz unter dem Arm notwendige Hygieneregeln und damit Leben und Gesundheit missachten und sich auch sonst nicht nach rechts abgrenzen, haben nichts mit der Verteidigung von Grundrechten zu tun. Diese Grundrechte wurden nicht vom Bürgertum, sondern von den abhängig Beschäftigten erkämpft. Das ist die Tradition, auf die sich die hier versammelten Gewerkschafterinnen berufen. Wir kämpfen für Freiheit, Leben und Frieden und wissen dabei, dass die Unternehmer unter der Verteidigung dieser Rechte etwas anderes verstehen als wir.


References

References
1 Protokoll des internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris, mit einem Vorwort von Wilhelm Liebknecht, Nürnberg 1889, S. 121
2 Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung a.a.O. S. 311
3 a.a.O. S. S. 323
4 BArch R 43 I / 1972, Bl. 22

Befreiung von Krieg und Faschismus: 8. Mai

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Einführung:

Unter „Allgemein“ tragen wir Überlegungen vor, die den 8. Mai 1945 in die Geschichte der Kämpfe um ein besseres Deutschland einordnen und aktuelle Aspekte dieses Tages der Befreiung von Krieg und Faschismus beleuchten. Unter „Im Einzelnen“ dokumentieren wir das Erinnern in einzelnen vergangenen Jahren.

Mehr als je zuvor brauchen wir die Erinnerung an die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, aber auch die Erinnerung an die Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg.

Der 9. November 1918 und der 8. Mai 1945 – beides Tage der Befreiung. Der 9. November 1918 – der Tag der Selbstbefreiung. Der 8. Mai 1945 – der Tag des Befreit-Werdens.


Allgemein:

Wir selbst sind der Schutz, den wir brauchen

  1. Der Schwur von Buchenwald
  2. Enteignungsforderungen nach 1945
  3. Sind Forderungen nach Sozialisierung aktuell?
  4. Wer zahlt für diese Krise?
  5. Unsere Macht ist die Solidarität
  6. Der 9. November und der 8. Mai müssen frei von Arbeit sein!

Im Einzelnen:



Wir selbst sind der Schutz, den wir brauchen

Fürstenwalde
Foto: Ingo Müller

Mehr als je zuvor brauchen wir die Erinnerung an die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, aber auch die Erinnerung an die Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg.

Der 9. November 1918 und der 8. Mai 1945 – beides Tage der Befreiung. Der 9. November 1918 – der Tag der Selbstbefreiung. Der 8. Mai 1945 – der Tag des Befreit-Werdens.


1. Der Schwur von Buchenwald

Die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald schworen 1945:

»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel«

Diese Forderungen „Frieden und Freiheit“ waren die Forderungen der Revolution von 1918/19.

Doch keines der Ziele dieser Revolution konnte durchgesetzt werden.

  • Entmilitarisierung: Der Krieg wurde beendet, aber nicht der Militarismus, der die Deutschen in den Krieg getrieben hatte.
  • Demokratisierung: Die erste deutsche Republik wurde gegründet, aber die Antidemokraten im Staat blieben und das Kapital herrschte in den Betrieben uneingeschränkt weiter.
  • Sozialisierung: die Schwerindustrie wurde nicht enteignet.

Die Gegner der Revolution behielten Einfluss und Macht.

Die Revolution blieb unvollendet – mit verheerenden Folgen.


2. Enteignungsforderungen nach 1945

Die Konsequenz zogen die Häftlinge in Buchenwald mit ihrem Schwur: „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzel ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Das wurde auch so verstanden, dass Nazi- und Kriegsverbrechern die wirtschaftliche Macht entzogen werden sollte. Damit knüpft der Schwur von Buchenwald an die Sozialisierungsforderungen der Revolution von 1918/19 an. Selbst das Ahlener Programm der CDU forderte 1947 eine Vergesellschaftung des Bergbaus und der „eisenschaffenden Industrie“.

Über zwei Drittel stimmten 1946 in Hessen für die Überführung von Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung sowie Energiewirtschaft in Gemeineigentum. In Sachsen stimmte eine ähnliche Mehrheit für die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher. Aber nur in Sachsen und in der übrigen von der Sowjetunion besetzten Zone wurden die Betriebe der Nazi- und Kriegsverbrecher enteignet. Auch daran muss erinnert werden.

Die Bundesrepublik behielt die Kapitalherrschaft bei. Seit 1990 feiert sie ihre Ausdehnung auf das Gebiet der DDR jährlich am 3. Oktober.


3. Sind Forderungen nach Sozialisierung aktuell?

Die Forderung nach Sozialisierung des großen Kapitals ist heute aktueller denn je.

Das zeigt die Kampagne “Deutsche Wohnen & Co enteignen”. Sie beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dieser Artikel wurde fast wortgleich aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen und war zunächst auf dem ersten Reichsrätekongress im Dezember 1918 in Berlin beschlossen worden: „Zügig sollten die dafür reifen Industrien” sozialisiert werden. Die Sozialisierung ist eine bis heute in der Verfassung vorgesehene Option.

Nicht nur im Bereich Wohnen, auch in anderen Bereichen der Wirtschaft zeigt sich die Notwendigkeit das große Kapital zu sozialisieren. Wenn es darum geht, die Erderwärmung aufzuhalten oder wenn wir abrüsten wollen, haben wir als Gegner die Energie-, Auto- und Rüstungskonzerne. Muss das immer so weitergehen, dass uns die großen Konzerne im Wege stehen? Diese Konzerne hat noch nie der Erhalt von Arbeitsplätzen interessiert. Ihre Beschäftigten nutzen sie als Geiseln. Wäre es nicht an der Zeit, für eine Wirtschaftsordnung zu kämpfen, in der nicht mehr Privatinteressen entscheiden und die Garantie eines zumutbaren Ersatzarbeitsplatzes für denjenigen gegeben wird, der seinen Arbeitsplatz verliert?


4. Wer zahlt für diese Krise?

Die Diskussion um die Bekämpfung der Folgen der Wirtschaftskrise und Umweltzerstörung mündet in der einfachen Frage: Zu wessen Lasten wird nach Lösungen gesucht?

Die Frage, wer zahlt, ist die zentrale Frage: Dabei geht es nicht nur die Lockerung oder Aufhebung der Schuldenbremse. Was an Schulden aufgenommen wird, wird irgendwann als Rechnung präsentiert. Wer zahlt diese Rechnung?


5. Unsere Macht ist die Solidarität

Die Forderung „Wir zahlen nicht für die Krise“ wird nur soweit Erfolg haben, wie eine große gesellschaftliche Macht dafür einsteht.

Gesundheit, Leben, Umwelt und Frieden sind immer stärker gefährdet und es besteht die Gefahr der Not für sehr viele Menschen.

Es ist Zeit, über mögliche gemeinsame Perspektiven und gemeinsame Handlungsmöglichkeiten nachzudenken.

Es ist Zeit die Kräfte zu bündeln, damit wir nicht von einem Sturm der Zerstörung, des Krieges und der Not fortgerissen werden.

Unsere Macht ist die Solidarität. Wir selbst sind der Schutz, den wir brauchen. Einen anderen Weg haben wir nicht.


6. Der 9. November und der 8. Mai müssen frei von Arbeit sein!

Frankreich feiert in jedem Jahr die Geburtsstunde der Republik. Am 14. Juli. Das ist der Tag, an dem die Bastille gestürmt wurde. Deutschland feiert den »Tag der Einheit«.

Warum erinnern nicht auch wir in jedem Jahr an die Geburtsstunde der ersten deutschen Republik? Das schließt die Erinnerung an die Reichspogromnacht nicht aus. Die Zerstörung der ersten Republik war wesentliche Voraussetzung der Reichspogromnacht und der folgenden Menschheitsverbrechen.

Ebenso wichtig ist die Initiative von Esther Bejarano, den 8. Mai zu einem Feiertag zu machen: “Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann“. Diese Petition wird inzwischen von über 100.000 Menschen unterstützt.

Der 9. November 1918 als Tag der Selbstbefreiung von Krieg und feudaler Unterdrückung und der 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung von den Zerstörern dieser Errungenschaften – diese beiden Tage gehören zusammen.

Beide Tage stehen für den Kampf um Frieden und Freiheit im Sinne des Schwurs von Buchenwald. Beide Tage sollten nationale Gedenktag werden – zur Mahnung, zur Erinnerung und zur Ermunterung. Das wäre ein wichtiges Zeichen. Denn Militarismus und Aufrüstung, Kapitalherrschaft und Unterdrückung sind geblieben. Die Befreiung wurde nicht vollendet.

Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit bleibt unser Ziel.


In ein kleine Ort “Klosterfelde” [1] fand am 8. Mai eine Gedenkveranstaltung am Ehrenfriedhof für die Gefallenen der Roten Armee statt.

Es waren ca. 30 Teilnehmer vor Ort und und Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland. der auch Worte des Gedenkens an die Teilnehmer richtete. Und am Abend wurde der Ehrenfriedhof geschändet.

Weiterlesen hier:


Erinnerung an den Tag der Befreiung: 8. Mai 2022, 2023 und 2024

Transparent gezeigt am 8. Mai 2022 am Treptower Ehrenmal Foto: Andi Hesse

Im Vorhinein war per Erlass das Zeigen der sowjetischen Fahne an über zehn Orten in Berlin verboten worden, auch am Treptower Ehrenmal – eine beispiellose Geschichtsvergessenheit des Berliner Senats.

Der Sieg über den Faschismus ist ein gemeinsames Erbe Russlands, der Ukraine und der vielen anderen Völker der Sowjetunion. Die Besinnung auf diese große gemeinsame Geschichte könnte eine starke Kraft für eine Beendigung des Krieges und eine Einigung zwischen Russland und der Ukraine sein.

weiterlesen hier

“ … und nicht vergessen“: George Floyd

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Freitag, 5. Juni 2020: Wir diskutieren zu Dritt beim Griechen im Oysseus in der Friedelstraße. Einer behauptet: “So etwas wie den Mord an George Floyd in den USA gibt es bei uns in Deutschland nicht”.

Einen Tag später um 14:00 Uhr auf dem Alex in Berlin: Viele Menschen, immer mehr Menschen, ganz junge Menschen, sehr viele mit farbiger Hautfarbe, aber auch sehr viele mit weißer Hautfarbe; viele mit einem Papp-Schild und darauf ein selbst geschriebener Satz. “Black lives matter” – “How many more?” – “Deutschland ist nicht unschuldig” – “I can’t breathe” – “Bezahlt zu schützen, nicht zu töten” – “Racism ist the longest pandemic yet” –  “Stop white silence” – “No justice no peace” – “Rassismus tötet” – “No freedom until we are equal” – “White silence kills” – “Resist”. Wenn ich die Parolen lesen will, kann ich den Stolz in den Augen derjenigen sehen, die mir ihr Schild entgegen halten.

Ich gehe nach oben zum Bahnhof der S-Bahn, wo man sehr gut auf den Alex sehen kann: Überall Menschen. Neben mir stehen zwei Security-Männer. Ich spreche den einen an, mit weißer Hautfarbe: “Toll nicht?” Seine Antwort: “Ich sage dazu nichts”. Der andere mit schwarzer Hautfarbe sieht auch auf die Menschen auf dem Alex: “Das ist wichtig!”. Er nickt mir zustimmend zu als ich mit Blick auf seinen Kollegen erkläre: “Der sagt nichts, weil er gegen die Versammlung ist.”