21. Juli 2021 von benhop
Nicht nur der VVN-BdA wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Zwar hat die VVN-BdA die Gemeinnützigkeit inzwischen wiedererlangt. Aber die Gefahr einer erneuten Aberkennung der Gemeinnützigkeit ist nicht vollständig gebannt, weil Rechtsgrundlage für die Aberkennung nicht geändert wurde. Zudem geht auf dieser gesetzlichen Grundlage die Bedrohung weiter, anderen antifaschistischen Vereinen die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Auch anderen Vereinen der Zivilgesellschaft wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt oder droht die Aberkennung der Gemeinnützigkeit.
Was muss geschehen, damit diese Vereine die Gemeinnützigkeit zurückerhalten? Was muss im Recht geändert werden, um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für diese Vereine, die zivilgesellschaftliches Engagement zeigen, dauerhaft zu sichern?
Unterschiedliche Begründungen für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit
I. Es gibt zwei unterschiedliche Begründungen für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Zur unterschiedlichen Begründung für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit einerseits wegen angeblichen ‚Extremismus‘ einerseits, wie er z.B. der VVN vorgworfen wurde, und wegen der politischen Verfolgung von Vereinzwecken andererseits, wie es z.B. attac und anderen Vereinen vorgeworfen wird, weiterlesen hier:
Forderungen zur Sicherung der Gemeinnützigkeit
II. Allgemein muss die Forderung lauten: Zivilgesellschaftliches Handeln, das politisch und antifaschistisches ist, ist gemeinnützig! Das trifft den Kern des Konfliktes, mit dem sich alle Vereine konfrontiert sehen, denen die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde oder die davon bedroht sind.
III. Zur Frage, welche Forderungen zur Rückerlangung oder Verteidigung der Gemeinnützigkeit bei Vereinen wie attac und anderen Vereinen, die mit Vorwürfen der politischen Verfolgung von Vereinszwecken konfrontiert werden, gestellt werden müssen, weiterlesen hier:
IV. Zur Rückgewinnung und Sicherung der Gemeinnützigkeit von Vereinen wie der VVN-BdA, deren Ziel antifaschistische Tätigkeit ist, muss gefordert werden, dass die derzeit geltende Regelung in § 51 Absatz 3 Satz 2 der Abgabenordnung durch folgende Regelung ersetzt wird: Körperschaften, die eine Verherrlichung oder Wiederbelebung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems fördern oder die Verbreitung von militaristischem, rassistischem, antisemitischem, antiziganistischem oder völkischem Gedankengut oder entsprechende Aktivitäten zulassen, erhalten keine Steuervergünstigung“.
Zur Begründung dieser Forderung :
Die zur Zeit geltende Regelung lautet: “Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind”[1]Denn Satz 1 , auf den Bezug genommen wird, regelt Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung: “Eine Steuervergünstigung setzt zudem voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und … Continue reading). Das heißt: Diese Körperschaft erhält keine Steuervergünstigung [2]] VG München vom 2.10.2014 M22 K 11.2221 Rn. 58.
4 Gründe für eine Änderung der Abgabenordnung in diesem Sinne:
1. Keine Beweislastumkehr
In dem Wort “widerlegbar” ist eine Umkehr der Beweislast enthalten: Wenn auch nur ein Verfassungsschutz einen Verein als “extremistisch” einstuft, muss der Verein beweisen, dass er nicht “extremistisch” ist, um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nicht zu verlieren. Das muss geändert werden: Diejenigen , die der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit aberkennen wollen, müssen die volle Beweislast dafür tragen, dass die VVN-BdA extremistisch ist. Im derzeit noch laufenden außergerichtlichen Verfahren der VVN-BdA gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit müsste also die Finanzbehörde die volle Beweispflicht dafür tragen, dass die VVN-BdA “extremistisch” ist.
2. Keine Deutungshoheit des Verfassungsschutzes
Nach geltendem Recht darf der Verfassungsschutz einen Verein öffentlich als “extremistisch” bewerten ohne die Quellen zu nennen, die dieser Bewertung zugrunde liegen. Das ist nicht hinnehmbar. Erst recht nicht hinnehmbar ist, dass die zuständige Finanzbehörde dann davon auszugehen hat, dass diese Organisation “extremistisch” ist. Das gilt schon dann, wenn der Verfassungsschutz auch nur eines Bundeslandes diese Organisation als “extremistisch” in seinem Verfassungsschutzbericht erwähnt (§ 51 Absatz 3 Satz 2 Abgabenordnung). Dieser Automatismus muss beendet werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass für eine Einstufung als „extremistisch“ eine Vermutung des Verfassungsschutzes ausreichen soll. Der Verfassungsschutz mag Tatsachen liefern, deren Wahrheitsgehalt und Eignung als Anknüpfungspunkte vom Gericht geprüft werden muss. Mehr aber nicht. Auf keinen Fall darf im Gesetz festgeschrieben werden, dass aus einer Einstufung des Verfassungsschutzes als “extremistisch” automatisch eine Verpflichtung der Finanzämter folgt, dieser Einstufung eines Verfassungsschutzes zu folgen und die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, wenn der Verein die Vermutung des Verfassungsschutzes nicht widerlegen kann. Weder der bayrische Verfassungsschutz noch irgendein anderer Verfassungsschutz darf in dieser Weise den politisch Verantwortlichen und der zuständigen Finanzbehörde Vorgaben machen.
3. Begriff “Extremismus” ausschließen
Das größte Problem ist jedoch der Begriff “Extremismus” selbst und seine Anwendung. Dieser Begriff löste den Begriff des Totalitarismus ab, mit dem bald nach 1945 der Kampf gegen den Faschismus gegen seine Gegnerinnen und Gegner gewendet wurde.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff des Extremismus in seiner Anwendung als Rechtsextremismus als ungeeignet verworfen, um damit ein Publikationsverbot auszusprechen: “Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von … rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht hinreichend beschränkt. … dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts (fehlt es) an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu “rechtsradikal” oder “rechtsreaktionär” – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen … . Die Verbreitung rechtsextremistischen … Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann” [3]BVerG vom 08.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn. 20. Was für den Begriff Rechtsextremismus gilt, muss auch für den Begriff Linksextremismus und erst recht für den Oberbegriff Extremismus gelten, dem es noch mehr an “bestimmbaren Konturen” fehlt.
Der Begriff „Extremismus“ erlaubt es, Faschisten und seine Gegnerinnen und Gegner, also die Täter und die von ihnen gequälten Opfer in eins zu setzen. Der im Jahr 2009 in die Abgabenordnung aufgenommene § 51 Absatz 3 Satz 2 steht in dieser Tradition, die dazu führt, dass der größten und ältesten antifaschistischen Organisation VVN-BdA die Gemeinnützigkeit aberkannt, bisher gewährte Steuerentlastungen entzogen und ihre Arbeit damit erschwert wird.
Die VVN-BdA als Organisation einzustufen, die verfassungswidrige Bestrebungen fördert, entbehrt jeder Grundlage. Im Gegenteil: Die VVN-BdA ist es, die den antifaschistischen Gehalt des Grundgesetzes verteidigt. Die Arbeit der VVN-BdA ist notwendiger als je zuvor angesichts der zunehmenden Verbreitung von militaristischem, rassistischem, antisemitischem, antiziganistischem und völkischem Gedankengut und entsprechenden Aktivitäten.
4. Antifaschismus als Verfassungsauftrag gilt auch bei der Anerkennung der Gemeinnützigkeit
Der Begriff Extremismus und damit der § 51 Absatz 3 Satz 2 der Abgabenordnung muss also gestrichen werden. Diese Streichung darf nicht dazu führen, dass Vereine, die die Verherrlichung oder Wiederbelebung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems fördern oder die Verbreitung von militaristischem, rassistischem, antisemitischem oder antiziganistischem Gedankengut oder entsprechende Aktivitäten zulassen, als gemeinnützig anerkannt werden. Die Ersetzung durch die vorgeschlagene Formulierung ist die konkret Anwendung des Antifaschismus als Verfassungsauftrag im Gemeinnützigkeitsrecht.
References
↑1 | Denn Satz 1 , auf den Bezug genommen wird, regelt Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung: “Eine Steuervergünstigung setzt zudem voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt” (§51 Absatz 3 Satz 1 AO; https://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__51.html |
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↑2 | ] VG München vom 2.10.2014 M22 K 11.2221 Rn. 58 |
↑3 | BVerG vom 08.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn. 20 |