Interview JW mit Benedikt Hopmann, vom 04.03.2020

4. März 2020 von benhop

Quelle: Junge Welt Ausgabe vom 04.03.2020, Seite 2 / Inland

Nach Anschlag in Hanau

»Höchste Zeit, dass Gewerkschaften ein Zeichen setzen«

Gedenkveranstaltung für Opfer rechter Gewalt in Hanau. Aufruf zur Arbeitsniederlegung am heutigen Mittwoch. Ein Gespräch mit Benedikt Hopmann

Interview: Gitta Düperthal

Demonstration in Hanau am 22. Februar 2020

Benedikt Hopmann ist Anwalt für Arbeitsrecht in Berlin, vertritt abhängig Beschäftigte und berät Betriebsräte und Gewerkschaften

Am Mittwoch findet in Hanau die Trauerfeier für die Opfer des rassistischen Anschlags statt. Sie haben zu diesem Anlass Petitionen ins Leben gerufen, in denen Sie zur zehnminütigen Arbeitsniederlegung, beginnend um 11.50 Uhr, aufrufen. Wie kamen Sie auf die Idee, dies gegenüber den Vorständen und Bezirksleitungen der Gewerkschaften zu fordern?

Besagte Petitionen, die sich mit demselben Wortlaut an verschiedene Adressaten wenden, habe ich – das sei zunächst gesagt – gemeinsam mit der Initiative »9. November 2018 – 100 Jahre unvollendete Revolution« initiiert. Unser Aufruf verweist auf die 94 Todesopfer rechter Gewalt, die seit 1990 offiziell anerkannt sind. Nach Angaben von Tagesspiegel und Zeit online sind es mindestens doppelt so viele. Im vergangenen Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Rechten ermordet. Im Oktober versuchte in Halle ein Neonazi vergebens, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in eine Synagoge einzudringen, in der sich über 50 Menschen aufhielten, um dann anschließend zwei Menschen zu erschießen. Vor zwei Wochen nun der Mord aus rassistischen Motiven an neun Menschen in Hanau. Angesichts dessen ist es höchste Zeit, dass die Gewerkschaften ein Zeichen gegen rechte Gewalt setzen, sowie gegen die, die den Boden dafür bereiten.

Die Petitionen zeigten bereits Wirkung: Die IG Metall Hanau-Fulda, Verdi Hessen und Verdi Berlin-Brandenburg haben jeweils mit eigenen Worten Arbeitsniederlegungen vorgeschlagen. Der DGB selbst hat sich bisher nicht geäußert.

Der Verdi-Landesverband Berlin-Brandenburg macht seinen »Vorschlag« allerdings davon abhängig, dass »viele Arbeitgeber« ihren Beschäftigten »diese zehn Minuten antirassistischen Gedenkens gestatten würden«. Heißt doch: Passt es dem Unternehmen nicht, soll es keinen Streik geben. Wie finden Sie das?

Zunächst ist es gut, dass Verdi Berlin-Brandenburg mitmacht. Wir dürfen diese demonstrative Arbeitsniederlegung aber auf keinen Fall von der Zustimmung der Arbeitgeber abhängig machen. Es geht hier um die Meinungsfreiheit der Beschäftigten, die sich gegen rechte Gewalt aussprechen. Das Bundesverfassungsgericht sagte 1985 in seinem Urteil zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit: Das Recht, »sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers«. Ergo: Lassen wir uns an einem Tag wie dem der Gedenkveranstaltung den Mund verbieten, sind wir nicht mehr als Untertanen.

Die IG Metall Berlin vertritt in ihrem Aufruf hierzu eine andere Position als Verdi Berlin-Brandenburg. Sie erwähnt in ihrer Erklärung die Arbeitgeber nicht, dafür aber die Vertrauensleute.

Zurück zu Ihrem Anliegen. Ein zehnminütiger Streik – wen soll das beeindrucken?

Sicher hätte es eine stärkere Wirkung, die Arbeit länger niederzulegen. Aber es geht doch vielmehr darum zu erkennen, dass die Betriebe und die Verwaltungen die richtigen Orte dafür sind, um ein klares Signal gegen rechts zu setzen. Das haben auch der Gesamtbetriebsrat und der Vorstand der Daimler AG erkannt und sich geeinigt, an allen deutschen Standorten diese Gedenkminuten zu machen.

Welche Rolle spielt bei diesem Thema die »unvollendete Revolution« vor mehr als 100 Jahren?

Die Gewerkschaften haben zweimal in ihrer Geschichte fundamental gegen ihre eigenen Interessen und die ihrer Mitglieder gehandelt: Das erste Mal stellten sie sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite der kriegführenden Regierung. »Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich«, hieß es damals. Das zweite Mal riefen sie mit zu Hitlers Maifeier am 1. Mai 1933 auf. Die Quittung bekamen sie am Tag darauf: Faschisten stürmten die Gewerkschaftshäuser und zerschlugen alles, was bis dahin erkämpft worden war. Das endete wieder in einem verheerenden Krieg. Toni Sender, Cläre Casper, Otto Brenner, Willi Bleicher und andere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter standen dagegen für eine antifaschistische Haltung. Auf dieses Erbe sollten wir uns besinnen. Dass wir gegen rechte Gewalt und deren Wegbereiter sind, dürfen wir nicht nur sagen, sondern müssen es auch zeigen.

https://www.jungewelt.de/artikel/373771.nach-anschlag-in-hanau-h%C3%B6chste-zeit-dass-gewerkschaften-ein-zeichen-setzen.html

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Miroslav Strecker

war ein Whistleblower.

Durch Ihm wird als LKW-Fahrer bekannt, dass die Wertfleich GmbH Wurst- und Fleischfabrik Fleischabfälle zu Dönerfleisch verarbeitet und gibt das an die Gewerbeaufsicht weiter. Der Bundesminister für Landwirtschaft und Forsten, Horst Seehofer, ehrt ihn 2007 mit der „Goldenen Plakette“ für Zivilcourage. Strecker wird krank wegen eines Rückenleidens. Nachdem er wieder gesund ist, erhält er die Kündigung. Jetzt arbeitet er als Busfahrer

https://www.anstageslicht.de/menschen-dahinter/miroslav-strecker/

Edward Snowden

ist ein Whistleblower.

Er gab Informationen an den Guardian-Journalisten Glenn Greenwald über streng geheime US-amerikanische und britische Programmen weiter, die der Überwachung der weltweiten Internetkommunikation dienten und zu denen er als Systemadministrator Zugang hatte. Er bekam für seinen Dienst an der Öffentlichkeit zahlreiche Preise, darunter den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis), den Whistleblower Preis der Vereinigung deutscher Wissenschaftler und die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Liga für Menschenrechte. In den USA wird er per Haftbefehl gesucht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Snowden

Dr. med. Lothar Gawlik

Dr. med. Lothar Gawlik, geb. 1967, ist Chefarzt für Innere Medizin und Geriatrie. Er hat Humanmedizin in Göttingen studiert und promovierte 1997. Nach seiner Facharztausbildung war er klinisch unter anderem in England sowie dem Fürstentum Liechtenstein tätig. Nachdem er wegen des Verdachts unerlaubter Sterbehilfe Strafanzeige gegen seinen ehemaligen Chef gestellt hat und darauffolgend fristlos entlassen wurde, heuerte er nach 3-monatiger Arbeitslosigkeit zunächst als Schiffsarzt an. Eine honorarärztliche Tätigkeit führte ihn 2018 nach Achim bei Bremen, wo er seitdem tätig ist.
Gawlik ist verheiratet und Vater von 3 Kindern.

Daniell Ellsberg

war ein Whistleblower.

Er kopierte als Mitarbeiter im Verteidigungsministerium die so genannten Pentagon Papiere. Diese Papiere zeigten, dass bereits Vorbereitungen für einen Krieg gegen Vietnam  getroffen worden waren, als US-Präsident Johnson noch behauptete, nicht in Vietnam intervenieren zu wollen. Die Papiere zeigten auch, dass der Krieg trotz steigender amerikanischer Verluste weiter geführt werden sollte, um Vietnam auszubluten. Die New York Times begann 1971, sie abzudrucken. US-Präsident Nixon verbot die weitere Veröffentlichung. Dieses Veröffentlichungsverbot wurde vom obersten Gerichtshof der USA aufgehoben. Das Geheimhaltungsinteresse des Staates müsse im Zweifelsfall hinter den Interessen der Öffentlichkeit und der Pressefreiheit zurückstehen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Ellsberg

Chelsea Manning

war eine Whistleblower.

Sie übergab Material an Wikileaks weiter, darunter ein dienstlich aufgenommenes Bord-Video, das die gezielte Tötung von mindestens sieben Zivilpersonen durch die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers am 12.07.2007 im Irak zeigt).

Chelsea Manning hatte zu diesem Material Zugang als Nachrichtendienstanalytikerin der US-Army.

https://collateralmurder.wikileaks.org

Brigitte Heinisch

war eine Whistleblower.

Sie bekam als einzige Nichtakademikerin den Whistleblower-Preis der Vereinigung deutscher Wissenschaftler. Wegen schwerer Pflegemängel in einem Altenpflegeheim von Vivantes, in dem sie als Altenpflegerin arbeitet, erstattete sie Strafanzeige gegen ihre eigene Arbeitgeberin, die Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH. Brigitte Heinisch wird krank, auch wegen der Belastungen in diesem Konflikt. Der Kern ihrer Kritik: Personalmangel führte zu schweren Pflegemängeln. Vivantes kündigt ihr zunächst wegen ihrer Krankheit, dann erneut, fristlos, wegen des „Verdachts der Initiierung eines Flugblattes“, in dem gegen die unhaltbaren Zustände in dem Pflegeheim und ihre erste Kündigung protestiert wurde. Brigitte Heinisch klagt gegen diese Kündigungen. In der ersten Instanz gewinnt sie, weil das Flugblatt durch die Meinungsfreiheit geschützt ist. In der zweiten Instanz verliert sie wegen der Strafanzeige, die sie erstattet hatte. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wertet diese Strafanzeige als rechtmäßig. Die Kündigung war eine Verletzung der  Meinungsäußerungsfreiheit, auf die sich Brigitte Heinisch bei ihrer Strafanzeige berufen konnte (Beschwerde Nr. 28274/08 Heinisch ./. Deutschland unter: https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-108773).

Barbara Emme

Der »Fall Emmely« machte bundesweit Schlagzeilen:

Barbara Emme – genannt »Emmely« – wurde wegen der Einlösung von zwei Flaschenpfandbons im Wert von 130 Cent und damit der »rechtswidrigen« Schädigung des Vermögens der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann GmbH fristlos gekündigt.

Gemeinsam mit dem Komitee »Solidarität mit Emmely«, unterstützt von ihren Anwälten und den Gewerkschaften, konnte sie vor Gericht die Rücknahme der Kündigung erstreiten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Fall_Emmely

Ist “kommunistischer Antifaschismus” ein Anknüpfungspunkt für eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht?

4. November 2020 von benhop

Cornelia Kerth, Sprecherin der VVN-BdA, hat darauf direkt geantwortet, dass die VVN-BdA eine Parteien und Spektren übergreifende Organisation ist, in der es unterschiedliche Zugänge zum Antifaschismus gibt, und dass sich die VVN-BdA auf Gemeinsames konzentriert: „Dazu gehört auch, dass wir kein von einer einheitlichen Weltanschauung geprägtes Verständnis von Faschismus und Antifaschismus haben“[1]antifa Beilage September/Oktober 2020, Seite 1. Der VVN-BdA lehnt es ab, mit dem bayrischen Verfassungsschutz zwischen guten und schlechten Antifaschisten zu differenzieren und sich spalten zu lassen.

Zugleich sei daran erinnert, dass selbst die CDU in ihrem Ahlener Programm 1947 erklärte: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“[2]https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/das-ahlener-programm-der-cdu-der-britischen-zone-vom-3.-februar-1947">https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/das-ahlener-programm-der-cdu-der-britischen-zone-vom-3.-februar-19477. Sie forderte eine „Neuordnung von Grund aus“ und die Vergesellschaftung der Bergwerke und der eisenschaffenden Großindustrie. War das, was die CDU damals forderte, kommunistischer Antifaschismus? Das Ziel des bayrischen Verfassungsschutzes ist es, die VVN-BdA Mitglieder aufzuspalten in gute und schlechte Antifaschisten. Mitglieder der DKP gehören dann zu den schlechten Antifaschisten.