Rechtsgrundlage für Aberkennung der Gemeinnützigkeit verfassungswidrig

3. November 2020 von benhop

Die gesetzlichen Regelungen, auf die sich die Berliner Behörde stützt, verstoßen unter zwei Gesichtspunkten gegen das Grundgesetz:

1. Es ist nicht mit der Verfassung vereinbar, die Finanzbehörde eines Bundeslandes über ein einfaches Gesetz an die Einstufung des Verfassungsschutzes eines anderen Bundeslandes zu binden (siehe unten unter 1.)
2. Der Maßstab ‚extremistisch‘, an dem entschieden wird, ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht, ist verfassungswidrig (siehe unten unter 2.).

Im Einzelnen:


zu 1. Die Bindung des Berliner Finanzamtes an die Einstufung des Bayrischen Verfassungsschutzes ist verfassungswidrig

Das Berliner Finanzamt muss sich nicht vom Bayrischen Verfassungsschutz vorschreiben lassen, ob es bei einer bundesweiten Organisationbei von einer linksextremen Organisation auszugehen hat oder nicht: Diese Zuständigkeit hat der bayrische Verfassungsschutz nicht und kann ihm auch nicht durch einfaches Gesetz zugewiesen werden. Eine solche Zuweisung ist unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Die Abgabenordnung muss insoweit geändert werden.

zu 2. Der Begriff extremistisch ist durch seine Unbestimmtheit und – soweit er bestimmt ist-  durch seine Instrumentalisierung als Kampfbegriff gegen Demokratie, gegen das Grundgesetz und gegen alle sozialistischen Optionen verfassungswidrig

Aus dem Begriff des Extremismus, wie er in der Abgabenordnung verwendet wird, wurde vom Verfassungsschutz (aber nicht nur vom Verfassungsschutz) ein Begriff des Linksextremismus entwickelt, der sich durch Unbestimmtheit auszeichnet. Bezogen auf den Rechtsextremismus stellte das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 2010 fest: „Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu ‚rechtsradikal‘ oder ‚rechtsreaktionär‘ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“[1]. Nichts anderes kann für den Begriff ‘Linksextremismus’ gelten.

Wenn anhand eines solchen unbestimmten Maßstabes in ein Grundrecht eingegriffen wird, ist das verfassungswidrig. Die Erwähnung der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht[2] und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt sind Eingriffe in Grundrechte. Besonders schwerwiegend ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit als Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, weil das zu erheblichen finanziellen Belastungen für diese Vereinigung führen kann. Ein solcher Eingriff muss verhältnismäßig sein. Dazu muss er bestimmt sein[3]. Das fehlt dem Begriff ‘Linksextremismus’. Er enthält keine klaren Vorgaben, nach denen sich die Vereine richten können[3]. Er kann von Verfassungsschutzdiensten beliebig ausgefüllt werden.

Seine Anwendung – gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gerichtet – prägt bis heute die  Bundesrepublik und öffnet dadurch dem Rechtsextremismus, der dieselbe Zielrichtung verfolgt, Tür und Tor. Mit der AfD als größter Oppositionspartei im Bundestag sollte deutlich geworden sein, dass die Gefahr von rechts kommt. Dem sollte der Kampf für ein antifaschistisches Deutschland entgegen gestellt werden. Das geht nur, wenn Antifaschismus nicht mehr als linksextremistisch und damit als verfassungswidrig gilt.   

In dieser Auseinandersetzung geht es darum, an Traditionen aus der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg anzuknüpfen, wie sie von Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gemeinsam entwickelt wurden und im Schwur von Buchenwald zum Ausdruck kommen. Dem entsprechend müssen die bestehenden gesetzlichen Grundlagen ausgelegt, angewendet und – wo notwendig – genauer gefasst werden. Es geht um eine entsprechende Orientierung der staatlichen Einrichtungen. Und es geht darum, die ökonomischen Grundlagen für eine antifaschistische Gesellschaft zu schaffen, um dem großen Ziel näher zukommen: “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” In diesem Sinne ist Antifaschismus als Verfassungsauftrag zu verstehen. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA passt dazu nicht.

Bei dieser Frage geht es nicht nur um die bayrische Verfassungsschutzbehörde. Denn auch das Verwaltungsgericht München hat die Wertungen der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusst“ gebilligt und damit vielleicht ein noch verheerenderes Zeichen gesetzt als die Verfassungsschutzbehörde selbst. Es hat der Meinung des Verfassungsschutzes den gerichtlichen Segen gegeben. Ob diese nun als Behörde des Verfassungsschutzes daher kommt oder in anderer Form, es lohnt sich, sich damit gründlich auseinanderzusetzen (siehe unter 7. der FAQ). Der stellvertretende Vorstehe des Berliner Finanzamtes für Körperschaften hatte keinerlei Probleme, in dem schon genannten Gespräch mit der VVN-BdA sämtliche Argumente des Verwaltungsgerichts München zu übernehmen, die das Verwaltungsgericht seinerseits vom Verfassungsschutz übernommen hatte.


[1] “Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von nationalsozialistischem oder rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht hinreichend beschränkt. Schon bezüglich des Verbots der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts lässt sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts nichts dazu entnehmen, ob damit jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie, und falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu “rechtsradikal” oder “rechtsreaktionär” – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung (vgl. § 145a StGB), …. nicht hinreichend erlauben. Die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann”. (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

[2]  es geht um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das auch für Vereinigungen als juristische Personen gilt Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art 19 Abs. 3 GG vgl. Verwaltungsgerichts München Az.: VG München vom 2.10.2014 M 22 K 11.2221 Rn. 31 (https://openjur.de/u/775502.html) mit Verweis auf BVerwG v. 21.8.2008 BVerwGE 131, 171                                                                                                                                           

[3]   Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmheitsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 GG, siehe Fisahn/ Schmidt „Kein Gnadenakt des Finanzamtes“ Forum Wissenschaft 1/20 S.51, 52-53. Fisahn/Schmidt zitieren das Bundesverfassungsgericht; siehe Fn. 1 (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

Kollatz (SPD) voll verantwortlich

15. Oktober 2020 von benhop

Der Berliner Senat ist für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA voll verantwortlich

Die Finanzämter sind Landesbehörden, die der Dienst- und Fachaufsicht der obersten Landesfinanzbehörden unterliegen[1]. Die Entscheidung über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit unterliegt also dem Finanzsenator Matthias Kollatz.

Richtig ist allerdings, dass die Landesfinanzbehörden der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums unterstehen, wenn es um die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung von Bundesgesetzen geht, also auch um die Ausführung der Abgabenordnung[2]. Die Ausführungverordnung, der sogenannte Anwendungserlass zur Abgabenordnung, weist allerdings unmissverständlich darauf hin, dass Organisationen nur dann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden darf, wenn sie im Bericht des Verfassungsschutzes einen Bundeslandes oder des Bundes „ausdrücklich als extremistisch eingestuft werden“ und dann wird auf die entsprechende Entscheidung des Bundesfinanzhofes verwiesen[3].

Die Berliner Finanzbehörde könnte also ohne weiteres die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA rückgängig machen mit dem einfachen Argument, dass diese Voraussetzung, wie sie in der Ausführungsverordnung verlangt wird, bei der VVN-BdA nicht erfüllt ist: Die VVN-BdA wurde im Bericht des bayrischen Verfassungsschutzes zwar als “linksextremistisch beeinflusst”, nicht aber ausdrücklich als “linksextremistisch” eingestuft.

Im Übrigen muss die Berliner Finanzbehörde der VVN-BdA nicht die Gemeinnützigkeit aberkennen, weil die Rechtsgrundlage dafür, die einschlägige Bestimmung aus der Abgabenordnung, unvereinbar mit dem Grundgesetz ist. Die Berliner Finanzbehörde muss nicht einer verfassungswidrigen Regelung folgen.

Die einschlägige Bestimmung in der Abgabenordnung ist auch verfassungswidrig, weil der Begriff “Linksextremismus” zu unbestimmt ist und deswegen nicht reicht als Grundlage für einen Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, das auch für die VVN-BdA als juristische Person gilt. Dazu ausführlicher unter Nummer 4.2 im Hauptbeitrag

Aber selbst wenn man die einschlägige Bestimmung in der Abgabenordnung nicht als verfassungswidrig ansehen will, ist die Berliner Finanzbehörde nicht gezwungen, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Denn es gibt gute Gründe, auch auf der bestehenden rechtlichen Grundlage der VVN-BdA nicht die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die Nichteinstufung als “linksextremistisch”, sondern nur als “linksextremistisch beeinflusst” hatten wir schon genannt. Außerdem bindet die bestehen Rechtsgrundlage in der Abgabenordnung die Aberkennung der Gemeinnützigkeit daran, dass die Vermutung des Verfassungsschutzes als “linksextremistisch” nicht widerlegt wird. Die Berliner Finanzbehörde kann also feststellen, dass die Vermutung des bayrischen Verfassungsschutzes widerlegt ist. Gründe dafür gibt es genug. Dazu ausführlicher unter Nummer 5. im Hauptbeitrag.

Ergebnis: Auch wenn es sinnvoll wäre, die Abgabenordnung zu ändern, verweist der Finanzminister Olaf Scholz zu Recht auf die Verantwortung der Länderfinanzbehörden[4], im vorliegenden Fall also auf die Verantwortung der Berliner Finanzbehörde und des Berliner Senats.


[1]                                                                                                                                            Art. 108 GG,; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage    

[2]                                                                                                                                                                                          Art. 108 Abs. 2,  3 i.V.m. Art 85 Abs. 3, 4 GG; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage, wo allerdings nicht auf das Weisungsrecht des Ministeriums für Finanzen nach Art. 108 Abs. 3 i.V.m. Art. 85  Abs. 3, 4 GG eingegangen wird. Die Finanzbehörde hat sich also auch nach dem Anwendungserlass der Abgabenordnung zu richten (als pdf.Datei unter www.bundesfinanzministerium.de, zusammen mit einem Begleitschreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 31. Januar 2014)

[3]                                                                                                                                                                                          Änderung des Anwendungserlasses zur  Abgabenordnung vom 31. Januar 2014 unter www.bundesfinanzministerium.de S. 3

[4]                                                                                                                                                                                          „Ich habe beim Bundesfinanzminister dagegen protestiert. Er ließ mir mitteilen, dass er über die Entscheidung der Berliner Steuerverwaltung genau so überrascht gewesen sei wie ich und dass er sich die Anzweiflung der Verfassungstreue der VVN-BdA nicht hätte vorstellen können. Zugleich ließ er darauf verweisen, dass Steuerverwaltung Angelegenheit der Länder und alles rechtmäßig vollzogen worden sei. Der Minister, hieß es, hätte um eine Darstellung aus Berlin gebeten. So geschehen im November 2019. Bis heute sind zwar die finanziellen Forderungen an die VVN-BdA ausgesetzt, der Entzug der Gemeinnützigkeit bleibt jedoch aufrechterhalten, wodurch diese antifaschistische Organisation erwürgt und handlungsunfähig gemacht werden soll“ (Rede von Günther Pappenheim, Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora zum 75. Jahrestag der Befreiung und Selbstbefreiung der Häftlinge des Komzentrationslöagers Buchenwald am 11. April 2020: https://thueringen.vvn-bda.de/2020/04/14/reden-zum-75-jahrestag-der-befreiung-und-selbstbefreiung-der-haeftlinge-des-konzentrationslagers-buchenwald-am-11-april-2020/)

Nicht als „linksextremistisch“ eingestuft!

15. Oktober 2020 von benhop

Linksextremistisch oder linksextremistisch beeinflusst?

Während die VVN-BdA im Bericht des bayrischen Verfassungsschutzes als “linksextremistisch beeinflusst” eingestuft wird, wird sie im Anhang  zu diesem Bericht in einer Übersicht mit dem Titel „Linksextremismus“ aufgeführt [1] Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf den Seiten 326, 331, 332  . Dieser Sprung von „linksextremistisch beeinflusst“ zu „linksextremistisch“ geschieht ohne irgendwelche konkreten tatsächlichen Anknüpfungspunkte. Der Verfassungsschutz spricht zwar mit Blick auf alle Organisationen in dieser Übersicht pauschal von „vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkten“, die „in der  Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolge, es sich mithin um verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handele“[2] Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf Seite 326 – 332 . Aber – abgesehen von der widersprüchlichen Wertung einmal „linksextremistisch“ und dann wieder „linksextremistisch beeinflusst“ – beklagt Rechtsanwalt Reinecke zu Recht, dass der Verfassungsschutz zur Einstufung als „linksextremistisch“ im Anhang in der Übersicht nichts Konkretes vorträgt.

Wenn das Berliner Finanzamt den bayrischen Verfassungsschutz so versteht, dass der bayrische Verfassungsschutz die VVN-BdA als „linksextremistisch“ eingestuft hat und deswegen jetzt die VVN-BdA verpflichtet sei, den Gegenbeweis anzutreten, setzt sich das Berliner Finanzamt zu Lasten der VVN-BdA über die Bayrische Verwaltungsgerichtsbarkeit hinweg. Denn das Verwaltungsgericht München hatte zwar die Klage zurückgewiesen, mit der die VVN-BdA ihre Erwähnung aus den bayrischen Verfassungsschutzberichten 2010, 2011, 2012 und 2013 löschen wollte. Das Verwaltungsgericht hatte aber eindeutig festgestellt, dass der bayrische Verfassungsschutz die VVN-BdA nur als „linksextremistisch beeinflusst“, nicht aber als  „linksextremistisch“ einstufte.


 

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References

References
1  Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf den Seiten 326, 331, 332
2 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf Seite 326 – 332 

Ist die Einstufung der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutzes als “linksextremistisch beeinflusst” widerlegt?

3. November 2020 von benhop

In der Zeitung der VVN-BdA antifa[1] antifa BEILAGE September/Oktober 2020 berichtet die Bundesprecherin der VVN-BdA Cornelia Kerth  über ein Gespräch mit dem Berliner Finanzamt für Körperschaften. Der stellvertretende Vorsteher dieses Finanzamtes habe betont, dass die VVN-BdA  in einer Phase sei, in der es „nicht mehr darum ginge Zweifel an der Schlüssigkeit der vom Inlandsgeheimdienst vorgetragenen Behauptungen aufkommen zu lassen“, sondern dass die VVN-BdA diese Behauptungen nunmehr so widerlegen müssten, dass keine Zweifel an der Darstellung der VVN-BdA möglich seien.

In dem Gespräch der VVN-BdA mit dem Berliner Finanzamt referierte die Sachgebietsleiterin, was die VVN-BdA widerlegen müsse: „„kommunistischer Faschismusbegriff“, Einfluss der DKP, Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären,  Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden“[2]antifa BEILAGE September/Oktober 2020

Das ist genau das, was im Verfahren vor der Bayrischen Verwaltungsgerichtsbarkeit der Bayrische Verfassungsschutz als Indizien für seine Einstufung der VVN-BdA vorgetragen hatte[3]VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221. Kein anderes Bundesland und auch nicht der Bundesnachrichtendienst stufen die VVN-BdA noch als  linksextremistisch ein[4]Thomas Willms “Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA”, vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und gesellschaftspolitik Nr. 229 (59(1, S. 125-132, 126)). Wenn der Verfassungsschutz von 15 anderen Bundesländern und auch der Bundesnachrichtendienst die VVN-BdA nicht mehr als linksextremistisch einstufen, dann müsste schon alleine diese Tatsache die Einstufung der VVN-BdA als „linksextremistisch“ durch den bayrischen Verfassungsschutzes nachhaltig erschüttern.

Selbst wenn man die bestehenden rechtlichen Grundlagen ausgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum die Behauptungen, die der Verfassungsschutz als “tatsächliche Anknüpfungspunkte” anführt, auch nur die Wertung  linksextremistischen beeinflusst’ rechtfertigen sollen.

Wir wollen die einzelnen Punkte durchgehen:

a. “kommunistischen Antifaschismusbegriff

Wir haben dargelegt, dass ein “kommunistischen Antifaschismusbegriff” kein Anknüpfungspunkt ist, siehe unsere entsprechenden Ausführungen. Die VVN-BdA hat kein von einer einheitlichen Weltanschauung geprägtes Verständnis von Faschismus und Antifaschismus und im Übrigen erklärte die CDU unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg selbst: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“. Der VVN-BdA lehnt es ab, mit dem bayrischen Verfassungschutz zwischen guten und schlechten Antifaschistinnen und Antifaschisten zu diferenzieren und sich so spalten zu lassen.

b. Einfluss der DKP

Till Müller-Heidelbeg schreibt zum Einfluss der DKP in der Bayrischen VVN-BdA: “Nach den Zahlen des Verfassungsschutzes sind wenig als 7% der Mitglieder der VVN-BdA auch Mitglieder der DKP Wie sollen diese denn die übrigen 93% Mitglieder linksextremistisch beeinflussen oder dominieren? Dasselbe gilt für den Vorstand. Von den drei Mitgliedern des Sprecherkreises des Landesvorstandes ist evtl. ein Mitglied auch Mitglied der DKP, ohne dort aber irgendeine Funktion zu haben. Und von den insgesamt 15 Mitgliedern des Vorstandes der VVN-BdA Landesvereinigung Bayern haben gerade drei Mitglieder auch eine Mitgliedschaft in der DKP. Die übrigen Vorstandsmitglieder sind parteilos oder gehören anderen, im Bayrischen Landtag vertretenen, Parteien an, so dass von einer DKP-Beeinflussung nicht die Rede sein kann. Der Landesverfassungsschutzbericht verschweigt auch geflissentlich , dass vier bayrische Landtagsabgeordnete und mindestens eine bayrische SPD-Bundestagsabgeordnete Mitglied der VVN-BdA sind. Dass nach der Argumentation von Verfassungsschutz und Finanzamt die VVN-BdA folglich sozialdemokratisch beeinflusst oder dominiert ist, wird verständlicherweise von diesen im Prozess vor dem Finanzgericht München nicht vorgetragen”[5]in Kerth/ Kutscha “Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? – Ein Geheimdienst und seine Praxis”Köln 2020, S. 115, 119 f..

Abgesehen davon, dass also der bayrische Verfassungsschutz den Einfluss von DKP Mitgliedern in der VVN-BdA übertreibt, sind Mitglieder der DKP in der VVN-BdA prinzipiell kein Anknüpfungspunkt dafür, dass die VVN-BdA Bestrebungen fördert, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. In den Konzentrationslagern haben Menschen mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen zusammen gestanden. Das hat im KZ- Buchenwald schließlich zur Befreiung durch die Häftlinge selbst geführt, kurz bevor sie von der amerikanischen Armee befreit wurden. An diesem Erbe, das in dem Schwur von Buchenwald seinen Ausdruck gefunden hat, hält die VVN-BdA fest. Das Problem ist nicht die DKP, sondern der Begriff “Extremismus” und die darin enthaltende Gleichsetzung von links und rechts, Opfer und Tätern, Mörder und Ermordeten.

c. Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären

Als tatsächlicher Anhaltspunkt wird noch angeben: “Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären”. Als Beispiel wird unter anderen diese Äußerung aus einer Rede auf dem 4. Bundeskongress im Jahr 2011 zitiert: „Faschismus ist im Deutschen ein mehrdeutiges Wort: es bezeichnet eine Organisation, Bewegung oder Partei, eine Ideologie und eine Staatsform, die faschistische Diktatur genannt wird. Und diese Diktatur ist eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft. Das ist das Wesen der Sache und des Streits. Eine Ausprägung neben anderen: der konstitutionellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder auch dieser oder jener Form autokratischer Herrschaft. In welchen Formen die bürgerliche Gesellschaft ihren staatlichen Rahmen findet, hängt nicht in erster Linie von Überzeugungen ab, wiewohl die beim Handeln von Menschen immer im Spiele sind, sondern davon, welche von ihnen den in der Gesellschaft dominierenden Interessen und deren Verfechtern dient, sie fördert und womöglich auch sichert“.

Der Verfassungsschutz und mit ihm das Verwaltungsgericht würdigt diesen Ausschnitt aus der Rede eines “maßgeblichen Vertreters der marxistischen Faschismustheorie innerhalb der der VVN-BdA” so: “Dieses spezifische Verständnis von „Antifaschismus“ der DKP und in der VVN-BdA erinnert an den „Antifaschismus“ als Staatsdoktrin der ehemaligen DDR, wonach alle nicht-sozialistischen Staaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, „faschistisch“ waren (siehe auch die Bezeichnung der ehemaligen Berliner Mauer als „antifaschistischer Schutzwall“). Es setzt sich fort in den zu Beginn der 1980er-Jahre entstandenen …-Gruppen, die sich auch auf die autonome Szene erstrecken”.

Diese Auslegung des zitierten Ausschnitts einer Rede auf dem 4. Bundeskongress ist eine grobe Verfälschung des Gesagten. Nirgendwo im Text wird behauptet, dass alle nichtsozialistischen Staaten faschistisch waren. Der Text stellt die unbestreitbare Tatsache fest, dass der Kapitalismus, also eine Wirtschaft, in der privatkapitalistische Unternehmen vorherrschen, unter den verschiedensten Staatsformen existiert hat, unter der konstituellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder eben auch unter der faschistischen Diktatur. Der einfache Gedanke, der sich einem Leser, der nicht beim Verfassungsschutz arbeitet, beim Lesen des zitierten Redeausschnitt aufdrängt, ist: Was ist an diesem Text falsch? Will der Verfassungsschutz und das Verwaltungsgericht München nur den berühmten Satz von Rosa Luxemburg bestätigen, dass revolutionär ist, zu sagen, was ist?

Der nächste Gedanke, der sich aufdrängt: Eine kapitalistische Wirtschaft ist nicht schon aufgrund dieser Wirtschaftsform vor eine faschistischen Diktatur geschützt. Es ist eher so, dass vor allem das große Kapital für die Ablösung der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik durch die faschistische Diktatur zumindestens stark mitverantwortlich war. Das war jedenfalls gleich nach dem 2. Weltkrieg bis in die CDU hinein Konsens. Die größte deutsche Gewerkschaft, die IG Metall, fordert in ihrer Satzung die “Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschende Unternehmungen in Gemeineigentum” und beruft sich damit auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der diese Möglichkeit eröffnet. Will etwa demnächst der Verfassungsschutz auch die IG Metall als linksextremistisch einstufen?

“Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral” erklärte das Bundesverfassungsgericht mehrfach, vor allem auch unter Berufung auf Art. 15 des Grundgesetzes mehrfach[6]BVerGE 4, 7/17; 7, 377/400; 50, 290/338; siehe Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in “Gün,Hopmann,Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht” S. 136, 139. Das Grundgesetz fordert den Sozialstaat, aber keineswegs die Marktwirtschaft[7] Andreas Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in Gün, Hopmann, Niemerg (Hrsg.) “Gegenmacht statt Ohnmacht” Hamburg 2020 S. 136, 139. Auch der Verfassungsschutz muss das respektieren, so jedenfalls die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE[8]siehe Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen … Continue reading.

Das Verwaltungsgericht München unterstellt der Antifaschismus-Arbeit der VVN-BdA als Ziel, „den Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“. Mit dieser Definition der freiheitlich demokratischen Grundordnung als ausschließlich kapitalistisches System setzen sich jedoch Verfassungsschutz und Verwaltungsgericht München selbst in Widerspruch zum Grundgesetz und begeben sich damit in die Verfassungswidrigkeit. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach hervorgehoben, dass das Grundgesetz nicht auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem festgelegt ist[2]. Wenn das Verwaltungsgericht München in diesem Zusammenhang erklärt, die Parole “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen” diene “schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen”, ist das nicht nur eine Beleidigung der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, sondern aller, die unter Berufung auf den Schwur von Buchenwald gegen Unterdrückung und Krieg kämpfen. Die Gleichsetzung von freiheitlich demokratischer Grundordnung und kapitalistischem System ist grundgesetzwidrig, während diejenigen, die sich auf den Schwur von Buchenwald berufen und den Faschismus mit seinen Wurzeln beseitigen wollen, im Einklang mit dem Grundgesetz handeln. Sie erkennen in unserer Verfassung einen antifaschistischen Auftrag, den es umzusetzen gilt. Sie fühlen sich damit den besten Traditionen dieses Landes verpflichtet.

Alle vom Berliner Finanzamt genannten “tatsächlichen Anknüpfungspunkte” sind widerlegt – im Wesentlichen in dem Sinne, dass die behaupteten Tatsachen keine Anknüpfungspunkte dafür sind, dass die VVN-BdA “Bestrebungen fördert, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten”, wie es in der Abgabenordnung als Voraussetzung für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit gefordert wird.

Nicht die VVN-BdA muss sich ändern. Das Verständnis unseres Grundgesetzes muss sich ändern. Nicht der Schwur von Buchenwald, sondern der Extremismus-Begriff in seiner Anwendung gegen Demokraten und Sozialisten ist verfassungswidrig.

References

References
1  antifa BEILAGE September/Oktober 2020
2 antifa BEILAGE September/Oktober 2020
3 VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221
4 Thomas Willms “Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA”, vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und gesellschaftspolitik Nr. 229 (59(1
5 in Kerth/ Kutscha “Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? – Ein Geheimdienst und seine Praxis”Köln 2020, S. 115, 119 f.
6 BVerGE 4, 7/17; 7, 377/400; 50, 290/338; siehe Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in “Gün,Hopmann,Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht” S. 136, 139
7 Andreas Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in Gün, Hopmann, Niemerg (Hrsg.) “Gegenmacht statt Ohnmacht” Hamburg 2020 S. 136, 139
8 siehe Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung”, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2303/230324.html).

d. Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden

Und schließlich bleiben noch als tatsächliche Anhaltspunkte: “Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden“. Wir haben dazu ausführlich Stellung genommen: Der Aufruf zur Blockade in Dresden im Jahr 2010 ist kein Anknüpfungspunkt für eine Einstufung als “linksextremistisch beeinflusst” und auch nicht ein Grund für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Es bleibt nichts, was der VVN-BdA vorzuwerfen wäre. Die Meinung des Bundesverfassungsgericht, die Demonstrationsfreiheit schütze auch Nazi-Aufmärsche, ist unvereinbar mit der antifaschistischen Prägung des Grundgesetzes.

Fazit:

Die Anwendung “extremistisch” bzw. “extremistisch beeinflusst” auf die VVN-BdA vollzieht das Verwaltungsgericht München so, dass es zunächst zwischen guten und schlechten Antifaschisten differenziert und dann keine Probleme hat, die älteste und größte antifaschistische Organisation VVN-BdA als schlechte, also extremistische Organisation einzuordnen, die den Rechtsextremismus lediglich als “vordergründige Aktivität” bekämpft:

Nach verfassungsschutzrechtlicher Bewertung des Bundes (siehe etwa Verfassungsschutzbericht 2010 des Bundesministeriums des Innern, Internet) ist das Ziel der sogenannten Antifaschismus-Arbeit – in linksextremistischen Organisationen – „der Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“; die Bekämpfung des Rechtsextremismus sei dabei lediglich eine vordergründige Aktivität. Die in diesem Zusammenhang oft geäußerte Parole „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ (siehe hierzu ausführlich Klageerwiderung, Abschnitt 1.4.3.6) erscheint damit in einem anderen Licht. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, dient die Parole schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen. Die Deutungshoheit darüber, was unter „Faschismus“ zu verstehen ist, nehmen die genannten Gruppen für sich in Anspruch”((VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221

Andere Gründe für die Aberkennnung der Gemeinnützigkeit bei der VVN-BdA

3. November 2020 von benhop

Wenn die Finanzämter einem Verein die Gemeinnützigkeit aberkennen, berufen sie sich auf  zwei gesetzliche Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen:

  • Der Verein muss gemeinnützige Zwecke verfolgen[1] und
  • Der Verein darf nicht extremistisch sein.[2].

Bei Attac und den Vereinen der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ geht es um die erste Voraussetzung: Welche Zwecke darf ein gemeinnütziger Verein verfolgen und wie darf er sie verfolgen? Bei der VVN-BdA geht es um die zweite Voraussetzung: Wann verfolgt ein Verein verfassungswidriger Bestrebungen, so dass er nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werden soll?  

[1]  § 51 Absatz  1 Abgabenordnung (AO);  § 51 Absatz  2 Abgabe nordnung (AO)

[2]  § 51 Absatz  3 Abgabenordnung (AO)

Klimastreik und Streikrecht

14. November 2020 von benhop

30. September 2020

Wirtschaftsminister Peter Altmaier belehrte die Studentin Luisa Neubauer, eine Organisatorin der „fridays for future”-Demonstrationen in Berlin: „Sie sagen, dass Sie für das Klima streiken, aber in Deutschland kennen wir keinen politischen Generalstreik. Unser Streikrecht richtet sich immer auf Forderungen, die ein Arbeitgeber liefern kann“[1].

Man muss dem Wirtschaftsminister fast dankbar sein. Denn damit hat er den politischen Streik überhaupt wieder zu einem Thema gemacht. Er ja auch hätte einfach sagen können: „Schüler dürfen nicht streiken. Es gibt die Schulpflicht und wer dagegen verstößt, muss mit Sanktionen rechnen.” Aber nein, Altmaier spricht über den politischen Streik, den wir in Deutschland „nicht kennen“. Allerdings: Der Anstoß für diese Erklärung kam von der jungen Klimabewegung selbst, die im Jahr 2019 jeden Freitag während der Schulzeit für ihre Zukunft demonstrierte. Neubauer ließ sich denn auch von den Belehrungen Altmaiers nicht beeindrucken: „Als das Streikrecht erfunden wurde, kannte man die Klimakrise ja noch nicht.“

Am 24. Mai 2019 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Aufruf der jungen Klimabewegung an die Welt unter der Überschrift „Streik!“. Die Erwachsenen antworteten auf derselben Seite unter der Überschrift „Zeitenwende“ mit folgendem Aufruf: „Am Freitag, den 20. September werden wir auf Bitte der jungen Menschen, die rund um die Welt Schulstreiks organisieren, unsere Arbeitsplätze und Wohnungen verlassen, um einen Tag lang Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern, die große existenzielle Bedrohung der gesamten Menschheit. … Wir hoffen, dass sich uns viele Menschen anschließen … Überall auf dem Planeten sind Formen eines Green New Deal vorgeschlagen worden, Gesetze, die rasch fossile Energiequellen durch Energie aus Sonne und Wind ersetzen würden und dabei für gute Jobs sorgen …“. Unterschrieben hatten diesen Aufruf Frauen und Männern aus der Wissenschaft, aus der Kunst und der Umweltbewegung. Dieser Aufruf war nicht nur ein Aufruf, die eigenen Interessen zu verteidigen, sondern auch den Gedanken der generationsübergreifenden Solidarität zu stärken.

Der Aufruf führte am 20. September 2019 zu einer eindrucksvollen Demonstration von über eine Millionen Menschen für den Klimaschutz, aber nicht zu einem Streik.

Zum 25. September 2020 rief “fridays-for-future” wieder zum Klimastreik auf. Es war sehr wichtig, dass sich viele Menschen in ihrer Freizeit an den Aktionen am 25. September 2020 beteiligten. Aber ein Streik war auch das nicht.

Ein Streik ist nur während der Arbeitszeit möglich. Denn in einem Streik legen abhängig Beschäftigte ihre Arbeit nieder. Das ist in der Freizeit nicht möglich; denn in der Freizeit wird eine Arbeit, die niedergelegt werden könnte, gerade nicht ausgeübt.

Ein Klimastreik richtet sich gegen die Klimaerwärmung. Es können entsprechende Maßnahmen vom Staat oder auch direkt von den Unternehmen gefordert werden. Richten sich die Forderungen an den Staat, handelt es sich um einen politischen Streik.

Wann gibt es nicht nur einen weiteren Aufruf zum Klimastreik, sondern auch die erste Arbeitsniederlegung gegen die Klimaerwärmung?

Sämtliche Zeitungen verkündeten im September 2019, der politische Streik sei verboten. Gibt es ein recht auf den politischen Streik?

Einzelheiten zum Recht auf Streik hier weiterlesen:

[1]                     SPIEGEL v. 16.3.2019 S. 60 ff

Tesla

28. Dezember 2020 von benhop

Tesla (Grünheide) und die Tarifbindung

In Grünheide in Brandenburg hat Tesla mit der Errichtung einer Gigafactory begonnen. Es sollen Anlagen für ein Presswerk, eine Gießerei, Karosseriefertigung, Sitzfertigung, Endmontage und die notwendige Standortlogistik aufgebaut werden. Obwohl Tesla auch Batterien herstellen will, wurde bisher eine Batteriefertigung nicht genehmigt[1] https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/gigafactory-disign-von-tesla-in-gruenheide-unterlagen-ab-donnerstag-online-50381203.html . Es sollen dort 7.000 Menschen arbeiten. Schon 2021 soll begonnen werden.

Doch das Beispiel Tesla in Grünheide zeigt, dass bei solchen Neu-Ansiedlungen Forderungen über die   Bedingungen, unter denen zukünftig gearbeitet werden soll, zurückgestellt werden. Grund dafür ist die überlegene Position der Unternehmen, die allein über ihre Investitionen entscheiden und bei solchen Investitionsentscheidungen immer einen Standortwettbewerb zwischen mehreren Regionen oder auch Ländern entfachen, um sich dann das beste Angebot herauszupicken. So verhandelte Tesla auch über Standorte an der deutsch-französischen Grenze und in Großbritannien[2]  https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tesla-musk-gigafactory-deutschland-brandenburg-1.4680397.html. Eine Region, die den Zuschlag bekommen will, wird sich hüten, irgendwelche Vorgaben bei den Arbeitsbedingungen zu machen. Stattdessen werden staatliche Fördermittel angeboten. Auch Tesla bekommt staatliche Unterstützung[3] https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2020-02/tesla-subventionen-gruenheide-elektromobilitaet-elon-musk. Nach Angaben des Ministerpräsidenten von Brandenburg verhandelten 30 Leute sechs Monate lang; alles sei „absolut vertraulich“ geblieben[4]https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tesla-musk-gigafactory-deutschland-brandenburg-1.4680397.html.

Der Chef der Arbeitsagentur Frankfurt (Oder) Jochem Freyer berichtete im November 2020, es soll ein rollierendes Schichtsystem sechs Tage in der Woche geben[5]https://app.handelsblatt.com/politik/deutschland/jochem-freyer–im-interview–arbeitsagenturchef-lobt-tesla-die-bezahlung-ist-einfach-mal-ein-kracher/26604268.html. Und weiter: „Für Tesla ist es kein No Go, jemanden einzustellen, der schon längere Zeit ohne Job war oder keine abgeschlossene Berufsausbildung hat“. Diese Person erwarte ein eine unbefristete Vollzeitstelle mit einem Bruttomonatslohn von 2.700 €. „Die Bezahlung ist einfach mal ein Kracher für diese Ebene,“ wird Freyer zitiert. Gleichzeitig verkündet Jochem Freyer, Tesla wolle den Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie nicht übernehmen und nicht anwenden[6] https://app.handelsblatt.com/politik/deutschland/jochem-freyer–im-interview–arbeitsagenturchef-lobt-tesla-die-bezahlung-ist-einfach-mal-ein-kracher/26604268.html. Birgit Dietze, Bezirksleiterin der IG Metall, wendet zu Recht ein, dass der Bruttoeinstiegslohn allein wenig aussagt. Es kommt darauf an, wie viele Stunden dafür gearbeitet werden muss, wie viel Urlaub es gibt, ob es Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt und welche Zuschläge bezahlt werden usw. Das alles ist in Tarifverträgen geregelt.

„Ich finde, es ist schon ein großer Fortschritt, wenn wir uns einem Industrietarifvertrag annähern“, erklärt Jochem Freyer[7] https://app.handelsblatt.com/politik/deutschland/jochem-freyer–im-interview–arbeitsagenturchef-lobt-tesla-die-bezahlung-ist-einfach-mal-ein-kracher/26604268.html. Man muss nur einmal die älteren Kolleginnen und Kollegen fragen: Sie können bestätigen, dass es einmal Zeiten gab, da war eine solche Aussage undenkbar. Eine solche Aussage von einem Arbeitsagenturchef hätte einen handfesten Skandal ausgelöst. Gegenwärtig sind alle Autofirmen in Deutschland tarifgebunden, auch das amerikanische Unternehmen Ford. Dieser Flächentarif schließt aus, dass sich ein Autounternehmen über schlechtere Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen verschafft. Dass Tesla von vornherein erklärt, sich nicht an die einschlägigen Tarifverträge binden zu wollen, ist alarmierend.  Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDA, Christian Bäumler, fordert die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie mit der Begründung: „Tesla darf kein zweites Amazon werden“. Im Einzelhandel ist schon seit Jahren die Zerstörung des Flächentarifs zu beobachten. Zwischen 2010 und 2019 verloren fast die Hälfe der Beschäftigten den Schutz der Tarifverträge. Fielen 2010 noch 50 % unter diesen Schutz, so sind es jetzt nur noch 28 % der Beschäftigten[8] https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/darmatischer-rueckgang-der-tarifbindung–im-einzelhandel/. Ver.di versucht seit sieben Jahren vergeblich Amazon in die Tarifbindung zu zwingen. Ver.di fordert auch schon seit Jahren die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge des Einzelhandels. Ebenfalls bisher vergeblich.


References

References
1 https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/gigafactory-disign-von-tesla-in-gruenheide-unterlagen-ab-donnerstag-online-50381203.html
2  https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tesla-musk-gigafactory-deutschland-brandenburg-1.4680397.html
3 https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2020-02/tesla-subventionen-gruenheide-elektromobilitaet-elon-musk
4 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tesla-musk-gigafactory-deutschland-brandenburg-1.4680397.html
5 https://app.handelsblatt.com/politik/deutschland/jochem-freyer–im-interview–arbeitsagenturchef-lobt-tesla-die-bezahlung-ist-einfach-mal-ein-kracher/26604268.html
6 https://app.handelsblatt.com/politik/deutschland/jochem-freyer–im-interview–arbeitsagenturchef-lobt-tesla-die-bezahlung-ist-einfach-mal-ein-kracher/26604268.html
7 https://app.handelsblatt.com/politik/deutschland/jochem-freyer–im-interview–arbeitsagenturchef-lobt-tesla-die-bezahlung-ist-einfach-mal-ein-kracher/26604268.html
8 https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/darmatischer-rueckgang-der-tarifbindung–im-einzelhandel/

Daimler AG Marienfelde

28. Dezember 2020 von benhop

Zum Beispiel die Daimler AG und das Werk in Berlin-Marienfelde

A. Die Situation in der Daimler AG und speziell im Werk Marienfelde

Das Werk in Marienfelde

Das Werk in Marienfelde ist das älteste produzierende Werk der Daimler AG. Es ist belegt, dass die Beschäftigten dieses Werkes zu den Metallerinnen und Metaller gehörten, die im Jahr 1918 das Ende des ersten Weltkrieges und der Monarchie und damit die erste deutsche Republik erzwangen. Auch während der Zeit des Faschismus leisteten Beschäftigte des Werkes in Marienfelde Widerstand.

Dieses Werk ist auch das kleinste Werk der Daimler AG. Dort arbeiten rund 2.500 Beschäftigte, davon ca. 50 % Arbeiterinnen und Arbeiter und 50 % Angestellte.

Verbindliche Ziele für die Transformation

Die Daimler AG veröffentlichte unter dem Titel „Ambition 2039“ ihr Ziel einer „CO2-neutralen Pkw-Neuwagenflotte“ bis 2039: Bis 2039 soll also die Produktion von Verbrennungsmotoren eingestellt werden. Als „Etappenziele“ nennt die Daimler AG für das Jahr 2025 ein „Absatzanteil an rein elektrischen Fahrzeugen von bis zu 25% (abhängig von den Rahmenbedingungen)“ und für das Jahr 2030 die „Erzielung von mehr als 50 % des Pkw-Absatzes mit Plug-in-Hybriden oder rein elektrischen Fahrzeugen“[1]https://www.daimler.com/nachhaltigkeit/klima/ambition-2039-unser-weg-zur-co2-neutralitaet.html. Über den Auslaufzeitpunkt des Verbrenners soll am Ende der Absatzmarkt entscheiden. Daher beschreibt der Daimler Konzern seine Ziele auch treffend als „Ambitionen“. Das reicht nicht.

Die zu unverbindlichen Ambitionen der Daimler AG zeigen: Der Staat muss für die gesamte Branche einen verbindlichen Zeitpunkt festlegen, ab dem keine Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden dürfen; zudem müssen verbindliche Zeitpunkte festgelegt werden, zu denen der Bau von Verbrennungsmotoren in Stufen immer weiter eingeschränkt wird.

Die Folgen für die Beschäftigten

Aber was bedeutet das für diejenigen, die in der Autobranche arbeiten?

Die Daimler AG will in Zukunft Elektroautos bauen. Dadurch werden Ersatzarbeitsplätze geschaffen, obwohl es erhebliche Bedenken gibt, ob das Elektroauto das versprochene umweltfreundliches Produkt einer umweltverträglichen Produktion ist. Zudem zeigt die Studie ELAB 2.0: Die Umstellung vom Auto mit Verbrennungsmotor auf das Elektroauto führt dazu, dass viel mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue Arbeitsplätze geschaffen werden. 

In Deutschland sind vor allem die Werke der Daimler AG Stuttgart-Untertürkeim, Berlin und Hamburg vom Verbrennungsmotor abhängig. In Untertürkheim werden von 18.500 Beschäftigten ganz überwiegend Motoren, Getriebe und Achsen produziert. In Berlin-Marienfelde und Hamburg arbeiten jeweils 2.500 Menschen. In Marienfelde werden Getriebeteile, Kraftstoffsysteme, Nockenwellen, Pumpen und Dieselmotoren hergestellt. In Kölleda in Thüringen produzieren 1.400 Beschäftigte der Tochter MDC Power GmbH fast jeden zweiten Pkw-Motor. Insgesamt sind also mit dem Ende des Verbrenners knapp 25.000 Arbeitsplätze weggefallen. Daimler hat angekündigt, bis 2025 rund 5.000 Arbeitsplätze abzubauen, davon 4000 im Werk Untertürkheim. Auch im Werk Marienfelde und im Hamburg sollen massiv Arbeitsplätze abgebaut werden.

Das Werk in Berlin-Marienfelde hängt zu 90 % vom Verbrenner ab. Alle diese Arbeitsplätze fallen weg. Es gibt bisher keinen Plan, Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Daher ist der ganze Betrieb gefährdet. In jedem Fall besteht die akute Gefahr, eines gewaltigen Stellenabbaus.

Sehr lehrreich sind in diesem Zusammenhang die Erfahrungen, die die Betriebsräte und Beschäftigte gemacht haben, als in der Leuchtindustrie die Glühlampe durch andere Leuchtmittel ersetzt wurde. Obwohl die Betriebsräte wussten, dass diese Umstellung mit einem enormen Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist, wurden sie dann doch von der Schnelligkeit überrascht, mit der diese Transformation durchgezogen wurde. Betriebsbedingte Kündigungen konnten nicht vermieden werden (siehe Gün, Hopmann, Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht“).

Es wird immer wieder auf eine Vereinbarung zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Unternehmensleitung der Daimler AG verwiesen, die bis 2030 betriebsbedingte Kündigungen ausschließen soll. Diese Betriebsvereinbarung hält aber nicht, was sie angeblich verspricht. Im Übrigen hat die Leitung der Daimler AG auch schon durchblicken lassen, dass sie die Betriebsvereinbarung kündigen kann. Selbst ein Ausschluss von Kündigungen durch Tarifvertrag ist nur eingeschränkt in der Lage, betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern.

B. Was fordern? 

Verteilung der Investitionen im Konzern

Am besten sind die Ersatzarbeitsplätze, die im Konzern geschaffen werden. Denn dann sind die Arbeitsbedingungen nach den Tarifverträgen der Elektro- und Metallindustrie gesichert. Die haben die Beschäftigten des Werks in Berlin-Marienfelde über Jahre verteidigt und sie haben auch, zusammen mit allen anderen in der IG Metall Organisierten, für die Verbesserung dieser Tarifverträge gekämpft. Die Arbeitsplätze, die für die Entwicklung und Herstellung der Antriebessträge von Elektro-Autos gebraucht und geschaffen werden, müssen also im Unternehmen bleiben.

Unvermeidbar ist ein ‘Tauziehen’ um die Frage, wo welche Komponenten der zukünftigen Elektroautos gebaut werden. Es geht um die Verteilung der entsprechenden Investitionen auf die verschiedenen Standorte. Zum Beispiel geht es darum, dass Berlin-Marienfelde nicht ganz hinten über fällt und geschlossen wird. Das wird nicht einfach durchzusetzen sein; denn Marienfelde ist ein kleines Werk. Nur wer viel Öffentlichkeit erregt und Kampfkraft zeigt und einsetzt, hat ein Chance.

Ein Beispiel, wie die Verteilung der Investitionen geregelt werden kann, ist der Tarifvertrag, der vor vielen Jahren einmal zwischen der IG Metall und VW abgeschlossen wurde. Die IG Metall vereinbarte nicht nur ein Verbot betriebsbedingter Kündigungen, sondern sicherte dieses Verbot durch ganz konkrete Verpflichtungen über Investitionen an einzelnen Standorten ab. Dieser Kündigungsschutz, der mit Zusagen für Investitionen unterlegt ist, geht jedenfalls weiter als nur eine Vereinbarung, die betriebsbedingte Kündigungen ausschließt.

Bisher haben wir allerdings nur darüber gesprochen, wie eine Decke, die zu kurz ist, den ganzen Körper wärmen soll. Wir haben um die Verteilung eines Mangels gesprochen. Denn die Umstellung vom Auto mit Verbrennungsmotor auf das Elektroauto führt dazu, dass viel mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Es werden nicht in ausreichendem Maße Ersatzarbeitsplätze geschaffen. Das ist ein zentrales Problem.

Das vorhandene Potential im Konzern

Insgesamt arbeiten im Daimler Konzern in Deutschland rund 170.000 Menschen. Das ist ein enormes Potential. Darunter sind viele Menschen mit einer technischen, einer Ingenieurs-Ausbildung und auch einer wissenschaftlichen Ausbildung. Auch wenn insoweit Rechte des Betriebsrates nur sehr eingeschränkt bestehen, sollte der Betriebsrat darauf drängen, dass dieses Potential nicht aus dem Konzern gedrängt, sondern ausgeschöpft wird. Den Beschäftigten sollte die Möglichkeit eröffnet werden, neue umweltfreundliche Produkte zu entwickeln und herzustellen, auch Produkte, die der Konzern bisher nicht verkauft hat. Der Ideenreichtum und die Schaffenskraft der Beschäftigten sollten genutzt werden.

Vor Jahren gab es Arbeitskreise, die in den Rüstungsbetrieben um Konversion kämpften, also um die Umstellung auf zivile Produktion. Diese Initiativen scheiterten daran, dass den Betriebsräten die notwendige Entscheidungsmacht fehlte. Solche Initiativen müssen daher von Anfang an mit dem Kampf um mehr Rechte der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte verbunden werden; sonst verkommt das Ganze schnell zu einer Spielwiese und läuft sich tot.

Vielleicht können auch hier erste Schritte über einen Tarifvertrag abgesichert werden.

Fremdvergaben

Es muss darauf gedrängt werden, dass all das, was die Daimler AG in Zukunft als Werk- oder Dienstvertrag fremd vergeben will, darauf hin überprüft wird, ob es im Unternehmen selbst gemacht werden kann. Wenn die Arbeitskräfte der Zulieferer schlechtere Arbeitsbedingungen haben als die Arbeitskräfte in den Stammwerken, sollte versucht werden, das in die Daimler AG zurück zu holen. Doch was geschieht dann mit denjenigen, deren Arbeitsplätze in der Zuliefererindustrie wegfallen? Es führt kein Weg an einem Plan vorbei, der über den einzelnen Betrieb wie das Werk in Berlin-Marienfelde, über das einzelne Unternehmen wie die Daimler AG und auch über die ganze Automobilbranche hinaus weist. Es führt kein Weg an einem Transformationsprogramm vorbei – alleine schon deswegen, weil die Bundesregierung dazu in ihrem Klimaschutzprogramm nichts gesagt hat. Die Bundesregierung überlässt das dem Markt, dem Arbeitsmarkt.

Ersatzarbeitsplätz im ÖPNV

Lars Hirsekorn, Vertrauensmann der IG Metall bei VW-Braunschweig, machte zwei Vorschläge, die ich hier wiederholen möchte:

„1. Ausbau des Öffentlichen Personen Nahverkehrs (ÖPNV) in großem Stil. Das Bündnis Verkehrswende fordert bis 2030 eine Verdoppelung des ÖPNV, damit er so attraktiv wird, dass Menschen umsteigen.

2. Löhne im ÖPNV müssen steigen, damit diese Arbeitsplätze auch für Menschen aus der Mobilindustrie attraktiv werden“[2] auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung am 2./3. Oktober in Stuttgart mit dem Titel „Forum Gerechte Übergänge und alternative Produktion“, siehe express Nr. 10/2020.  

Dann ergänzt Lars Hirsekorn: „Gleichzeitig müssen diejenigen informiert und ermutigt werden, für die sich ein Wechsel sofort lohnen würde. In Braunschweig sind das z.B. die LogistikerInnen der Volkswagen Group Service GmbH. Die fahren bei uns für 13 bis 15 € pro Stunde, und das seit Jahren. Wenn wir es als IG Metall nicht schaffen, dass diese KollegInnen mehr Geld bekommen, dann sollten wir sie aktiv darauf hinweisen, dass es im ÖPNV durchaus bessere Arbeitsplätze gibt. Ich habe 15 Jahre darum gekämpft, dass die KollegInnnen in den Haustarif übernommen werden – leider bislang vergebens. Und hier sehe ich tatsächlich die IG Metall und Ihre Betriebsräte in der Pflicht. Zum einen muss die IG Metall unter ihren Mitgliedern und somit im Schwerpunkt auch in der Automobilindustrie Stimmung zur Unterstützung der ÖPNV machen. Zum anderen wäre es meiner Meinung nach Aufgabe der Vertrauensköperleitung, GewerkschafterInnen aus ÖPNV Betrieben einzuladen, damit diese die Löhne und Arbeitsbedingungen vorstellen können[3]auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung am 2./3. Oktober in Stuttgart mit dem Titel „Forum Gerechte Übergänge und alternative Produktion“, siehe express Nr. 10/2020.

Dabei dürfen Beschäftigte, die sich für ein Angebot in einem anderen Unternehmen entscheiden, nicht von den Sozialtarifverträgen ausgenommen werden, die im vorliegenden Fall unverzichtbar sind. Sozialtarifverträge sind angelehnt an die Sozialpläne, die ein Betriebsrat mit seinem Unternehmen bei Betriebsänderungen vereinbart. Sozialtarifverträge unterliegen jedoch nicht den Voraussetzungen, die für eine Vereinbarung mit einem Betriebsrat gelten und die Gewerkschaften können mit dem Streikrecht im Rücken größeren Druck aufbauen.

Dreh – und Angelpunkt ist die von Lars Hirsekorn angesprochene Verdoppelung des ÖPNV. Das erfordert erhebliche Investitionen. Die müssen politisch erzwungen werden. Wie viele zusätzliche Arbeitsplätze diese Verdoppelung des ÖPNV? Welche Folgen hat das für den Rückgang des Individulaverkehrs? Es muss eine Folgenabschätzung für die Arbeitsplätze her. Da sind wir wieder bei der Notwendigkeit eines Transformationsprogramms. Es geht um die einfache Frage: Wer trägt die Lasten des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung?

Nur am Rande sei darauf hingewiesen: Die Ausschreibung der Berliner S-Bahn ist das völlig falsche Zeichen; denn es öffnet die Tür zur Privatisierung und zum Verlust der Tarifbindung.

Ersatzarbeitsplätze durch Neu-Ansiedlungen ohne Tarifbindung?

Ein anderer Weg zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen wäre, neue Betriebe von Unternehmen anzusiedeln, die nicht zur Daimler AG gehören.

In Grünheide in Brandenburg hat Tesla mit der Errichtung einer Gigafactory begonnen. In der ersten Stufe sollen dort 7.000 Menschen arbeiten. Die Arbeit soll schon 2021 beginnen. Doch das Beispiel Tesla in Grünheide zeigt, dass bei solchen Neu-Ansiedlungen die Arbeitsbedingungen immer zurückgestellt werden. Grund dafür ist die überlegene Position des Unternehmens, das allein über seine Investitionen entscheidet und bei solchen Investitionsentscheidungen immer einen Standortwettbewerb zwischen mehreren Landesteilen oder auch Ländern entfacht, um sich dann das beste Angebot heraus zupicken.

Tesla will sich nicht an den Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie binden. Ist ein Arbeitsplatz unter diesen Bedingungen ein zumutbarer Ersatz für die Beschäftigten des Betriebs in Berlin-Marienfelde? Was die Beschäftigten dort zusammen mit allen anderen gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen über Jahre erkämpft haben, soll ihnen jetzt genommen werden. Dabei müssen schon jetzt die Beschäftigten der Daimler AG aus der Verwaltung und den produktionsnahmen Bereichen für ein Jahr wöchentlich auf zwei Stunden ohne Lohnausgleich verzichten, entfällt für alle Beschäftigten die Ergebnisbeteiligung 2020 und wird das tarifliche Zusatzgeld 2021 nicht ausgezahlt, sondern in freie Tage umgewandelt. Der Tagesspiegel fasst zusammen: Alles in allem spart Daimler dadurch 5,7 % der Lohnkosten je Beschäftigten[4]https://www.tagesspiegel.de /nachhaltigkeit/klima/ambition-2039-unser-weg-zur-co2-neutralitaet.html.

Die Allein-Entscheidungsmacht der Unternehmen über ihre Investitionen führt zu einer enormen Freiheit für die Unternehmen. Darf ein Mensch nach Jahre langer Arbeit in die Arbeitslosigkeit geschickt werden, ohne dass er dafür in irgendeiner Weise persönlich verantwortlich gemacht werden kann? Darf ihm die Möglichkeit genommen werden, für sich und seine Familie die Existenzgrundlage durch eigene Arbeit zu sichern? Oder ist ihm auch nur zuzumuten, dass er zur Annahme einer Arbeit mit viel schlechteren Arbeitsbedingungen gezwungen wird? Es sind die Unternehmenseigner, die über die Existenzgrundlage von Millionen Menschen entscheiden. Die Freiheit der Unternehmen ist die Unfreiheit der Beschäftigten.

Es geht also darum, im Interesse der Beschäftigten und der Umwelt den Unternehmen diese Alleinentscheidungsmacht zu nehmen. Das beginnt mit der Tarifbindung. Gegenwärtig sind alle Autofirmen in Deutschland tarifgebunden, auch amerikanische Unternehmen, die – wie Ford – in Deutschland fertigen lassen. Über den Flächentarif soll ausgeschlossen werden, dass sich ein Autounternehmen über schlechtere Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Firmen der Automobilindustrie verschafft und so eine Spirale in Gang setzt, die Löhne, Arbeitszeiten und Urlaub usw. nur verschlechtern kann. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDA, Christian Bäumler, fordert die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie mit der Begründung: „Tesla darf kein zweites Amazon werden“. Besser wäre es, die Gewerkschaft könnte aus eigener Kraft die Tarifbindung bei Tesla erzwingen.

Tesla-Chef Elon Musk twitterte am 24. Juli 2020 nach dem Staatsstreich gegen Morales in Bolivien: “Wir werden putschen, gegen wen immer wir wollen”. Da weiß man, mit wem man es zu tun hat. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen. Die deutschen Autounternehmen sind auch nicht viel besser: In den USA verhindern sie seit Jahren, dass Gewerkschaften in ihren Betrieben Fuß fassen. Dass dies in Deutschland anders ist, haben die Kolleginnen und Kollegen Traditionen zu verdanken, die sie selbst geschaffen haben. Die Tarifbindung gäbe es schon längst nicht mehr, wenn sie nicht über Jahre durch einen hohen Organisationsgrad und die Bereitschaft verteidigt worden wäre, diese Organisationskraft auch einzusetzen.

Statt Entlassungen Arbeit auf alle verteilen

Entweder es gelingt, ausreichend umweltfreundliche und auch sozial zumutbare Ersatzarbeitsplätze zu schaffen oder, wenn weniger Arbeit für alle da ist, muss die Arbeit auf alle verteilt werden anstatt zu entlassen. Das heißt: Arbeitszeitverkürzungen für alle, wobei es darauf ankommen wird, in welchem Umfang Lohnausgleich durch gesetzt werden kann. Gerade für die unteren Lohn – und Gehaltsgruppen sind Einkommensverluste unzumutbar; denn die Miete und andere finanzielle Verpflichtungen wie die Bedienung von Krediten können nicht eingeschränkt werden.

Über den einzelnen Betrieb hinaus denken – den einzelnen Betrieb nicht allein lassen

Vier Hinweise sollen zeigen, dass Lösungen, die nur an einem Betrieb ausgerichtet sind, zu kurz greifen müssen:

1. Der Kampf um umweltverträgliche Ersatzarbeitsplätze ist ein Konflikt, der nicht auf den einzelnen Betrieb beschränkt ist. Die Entwicklung und Fertigung umweltverträglicher Produkte und Produktion werden staatlich gefördert. Der Öffentliche Personen Nahverkehr (ÖPNV) wird im Ganzen vom Staat finanziert. Damit ist die Entscheidung, wohin die Reise bei der Entwicklung und Förderung von umweltfreundlichen Produkten gehen soll, eine politische Entscheidung, die weit über ein einzelnes Unternehmen und erst recht über den einzelnen Betrieb in einem Unternehmen hinaus geht.   

2. Die Frage, in welchem Umfang der Individualverkehr durch den öffentlichen Nah – und Fernverkehr abgelöst werden muss, ist für die Daimler AG kein Thema sein. Wie auch? Das kann nur politisch entschieden werden. Für die Beschäftigten und die Umweltbewegung ist es ein großes Thema.  

3. Die Frage der Arbeitszeitverkürzung und der damit zusammenhängende Konflikt um Lohnausgleich kann nur einigermaßen erfolgreich in der Fläche angegangen werden, weil es dazu Stärke braucht und es eben das gemeinsame Handeln ist, das stark macht.

Zusammenfassung

Vielleicht beginnt mit den Auseinandersetzungen der Beschäftigten der Daimler AG und der Beschäftigten des Werks in Berlin-Marinefelde um ihre Rechte der Kampf um ein Transformationsprogramm, das nicht nur dem Namen nach – wie das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung -, sondern tatsächlich für einen besseren Schutz der Umwelt einsteht und zugleich den Schutz der Beschäftigten nicht vergisst.  

C. Was tun?

Wird die Macht der Unternehmen, flankiert von einer unternehmensfreundlichen Politik, hingenommen, haben nicht nur die Beschäftigten verloren, sondern am Ende auch der Schutz der Umwelt. Gegenmacht statt Ohnmacht ist die Alternative.

Kein Gegeneinander der Standort

Der unvermeidliche Konflikt um die Verteilung der Investitionen auf die einzelnen Standort im Konzern muss am Ende in ein einheitliches Vorgehen gegen die Konzernleitung führen. Es muss vermieden werden, dass sich die einzelnen Standorte gegeneinander ausspielen lassen. Dann würden alle verlieren.

Gewerkschaften und Umweltverbände Hand in Hand!

Politische Entscheidungen sind keinesfalls Entscheidung, die nur Politiker angehen. Um zu vermeiden, dass am Ende doch nur wieder die Interessen des Kapitals erfüllt werden, muss erheblicher Druck von außen aufgebaut werden. Dabei sind tarifliche Forderungen äußerst wichtig, weil erstens die Daimler AG nicht aus der Verantwortung entlassen wird und zweitens über den Tarifkampf Druck aufgebaut werden kann. Ohne diesen Druck wird kein Erfolg möglich sein. Gleichzeitig und parallel dazu geht es aber auch darum, eine breite außerparlamentarische Bewegung aufzubauen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und auch so Druck zu entfalten. Beschäftigte und Umweltbewegung können auf vielfältige Weise zusammenarbeiten. Damit kann sofort begonnen werden. Ein nicht geringer Teil der Umweltbewegung sind Beschäftigte. Umweltfreundliche Arbeitsplätze für Alle. Leave No One Behind.


References

References
1 https://www.daimler.com/nachhaltigkeit/klima/ambition-2039-unser-weg-zur-co2-neutralitaet.html
2 auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung am 2./3. Oktober in Stuttgart mit dem Titel „Forum Gerechte Übergänge und alternative Produktion“, siehe express Nr. 10/2020
3 auf einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung am 2./3. Oktober in Stuttgart mit dem Titel „Forum Gerechte Übergänge und alternative Produktion“, siehe express Nr. 10/2020
4 https://www.tagesspiegel.de /nachhaltigkeit/klima/ambition-2039-unser-weg-zur-co2-neutralitaet.html

Die Studie ELAB 2.0

28. Dezember 2020 von benhop

Die Wirkung der Auto-Elektrifizierung auf die Arbeitsplätze der Automobilindustrie

Die Studie ELAB 2.0 untersucht die Wirkung der Auto-Elektrifizierung auf die Automobilindustrie

Die Fraunhofer Gesellschaft veröffentlichte am 15. November 2918 eine Studie mit dem Titel ELAB 2.0[1], die auf einer Studie ELAB aus dem Jahr 2012 aufbaut und die Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigten der Automobilindustrie in Deutschland untersucht.

Nach dieser Studie verursachte im Jahr 2017 der Straßenverkehr 18 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Zum Schutz der Umwelt ist also das Ende des Verbrennungsmotor eher früher als später notwendig. Es ist bedauerlich, dass in der Studie eine Zurückdrängung des Individualverkehrs durch eine grundlegende Verbesserung des gemeinschaftlichen öffentlichen Verkehrs und die Folgen solcher Veränderungen für die Beschäftigung nicht berücksichtigt werden.  

Es werden ausschließlich die Wirkungen der Elektrifizierung von Autos untersucht. Die Folgen für die Arbeitsplätze werden entwickelt, indem ermittelt wird, wie viele Arbeitsplätze von der Herstellung einzelner Komponenten abhängen, und zwar der Komponenten, die mit der Elektrifizierung des Autos verschwinden, hinzukommen oder sich ändern. Alle diese Teile in einem Auto können mit dem Begriff Antriebsstrang zusammengefasst werden. Es ist der Antriebsstrang, der das Auto mit Verbrennungsmotor von einem Elektroauto unterscheidet. Zum Antriebsstrang eines Autos mit Verbrennungsmotor gehören der Verbrennungsmotor, das Getriebe und die sogenannte Peripherie, also Ölversorgung, Luftversorgung und Einspritzanlage u.a. Zum Antriebsstrang eines Elektroautos gehören der Elektromotor, die Batterie und Leistungselektronik.

In der Studie werden verschieden Szenarien durchgespielt, die alle die Autoproduktion im Jahr 2030 im Blick haben, aber mit einem unterschiedlichen Anteil von Elektroautos an der gesamten Autoproduktion in Deutschland. Im ersten Szenario sind im Jahr 2030 25% der hergestellten Autos Elektroautos, im zweiten Szenario sind es 40 % und im dritten Szenario 80 % der hergestellten Autos. 

Im ersten Szenario verlieren 74.000 bis 80.000 Beschäftigte, im zweiten Szenario 80.000 bis 90.000 Beschäftigte und im dritten Szenario 107.000 bis 125.000 Beschäftigte durch diese Elektrifizierung bis 2030 ihren Arbeitsplatz. Es geht nur um Beschäftigte, die in der Herstellung von Antriebssträngen gearbeitet haben und denen kein Ersatzarbeitsplatz in der Herstellung von Antriebssträngen für Elektroautos angeboten werden. Dabei werden auch die Beschäftigten der Zuliefererindustrie erfasst, soweit diese in Deutschland arbeiten. Zu beachten ist, dass in den angegebenen Zahlen auch die Produktivitätsfortschritte berücksichtigt werden, die beim Verbrenner zu einem jährlichen Verlust von 2 % der Arbeitsplätze und bei einem Elektroauto zu einem jährlichen Verlust von 3 % der Arbeitsplätze führen. Das Ergebnis der Untersuchung lässt sich so zusammen fassen: Es fallen viel mehr Arbeitsplätze weg als neue Arbeitsplätze mit der Herstellung von Elektromotoren, Batterien und Leistungselektronik geschaffen werden.

Im Jahr 2017 waren in Deutschland mit der Herstellung von Antriebsträngen 200.000 Menschen beschäftigt. Das Elektroauto spielte noch keine Rolle. 97% der gefertigten Antriebsstränge waren Antriebstränge für Verbrenner. Insgesamt arbeiteten im Jahr 2018 in der Automobilindustrie 840.000 Menschen. Mindestens ebenso viele Menschen sind nach Angaben der Studie indirekt von der Automobilindustrie abhängig. 

Die Auswirkungen der Elektrifizierung der Antriebe auf die Beschäftigung werden in der Studie als „erheblich“ gewertet. Die Auswirkungen treffen nach dieser Studie unmittelbar die Automobilhersteller, mehr oder weniger spezialisierte Zulieferer, einzelne Betriebe und ganze Standorte. „Die Politik ist auf allen Ebenen gefordert, frühzeitig Gegenstrategien zu entwickeln“.

Diese Gegenstrategien müssen darauf gerichtet sein, umweltfreundliche und zumutbare Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Davon ist bisher auch nicht im Ansatz etwas zu sehen. Luftreden, Empörung, Appelle sind kein Ersatz. Tatsächlich sind die Strategien darauf gerichtet, diejenigen, die jahrelang alles gegeben haben, als Überflüssige aus den Unternehmen zu drängen. Zum Schutz der Umwelt werden Vorgaben gemacht. Die Beschäftigten werden dem Markt überlassen. Sollen sie doch sehen, wie sie ihre Existenzgrundlage sichern. Reden wird nur weiterhelfen, wenn es darauf gerichtet ist, Handeln folgen zu lassen und massiven Druck aufzubauen. Beschäftigte und Umweltbewegung müssen Hand in Hand gehen – mit dieser Zusammenarbeit muss sofort begonnen werden. Umweltfreundliche Arbeitsplätze für Alle. Leave No One Behind. 


[1] ELAB Studie 2.0 der Frauenhofer-Gesellschaft aus dem Jahr 2019; kann herunter geladen werden