Gegenmacht statt Ohnmacht

7. Juni 2020 von benhop

Isaf Gün/Benedikt Hopmann/Reinhold Niemerg (Hrsg.)
Gegenmacht statt Ohnmacht
100 Jahre Betriebsverfassungsgesetz:
Der Kampf um Mitbestimmung, Gemeineigentum und Demokratisierung
WIDERSTÄNDIG
160 Seiten | 2019 | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-036-9

Kurztext:

Wie wurden die Rechte erkämpft, auf die sich Betriebsräte heute stützen können? Die Autor*innen zeigen: Wie vor hundert Jahren geht es um mehr Mit¬bestimmung, Gemeineigentum und mehr Rechte in der ganzen Wirtschaft.

Inhalt:

Schon vor hundert Jahren forderten eine Million Berliner Beschäftigte in einem großen Streik »entscheidenden Einfluss auf Produktions-, Lohn- und Arbeitsverhältnisse«. Sie konnten sich nicht durchsetzen.
Auch für heutige Betriebsräte ist die Frage nach ihren Rechten fundamental. Kolleginnen und Kollegen erhalten zum Beispiel Firmenhandys, über die sie zu jeder Tageszeit von ihren Vorgesetzen erreichbar sind. Oder das Unternehmen will Überstunden anordnen. Oder Arbeitsplätze werden umstrukturiert, alte Tätigkeiten fallen weg, neue Arbeiten kommen hinzu. Die KollegInnen haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, Angst vor zusätzlichen Belastungen. Kann der Betriebsrat Maßnahmen der Betriebsleitung verhindern? Kann er sie abändern? Kann er die Folgen mildern? Es ist das Betriebsverfassungsgesetz, in dem wir Antworten auf diese Fragen finden. Es legt fest, in welchem Umfang Arbeitnehmerinnen Gegenmacht aufbauen können. Seine Geschichte ist eine lange Geschichte des Klassenkampfes, bei dem allzu viele und viele grundlegende Kapitel von den Unternehmern gewonnen wurden. So können Betriebsräte bis heute nicht den Einsatz von Leiharbeitskräften verhindern, nicht die Ausgliederung von betriebsinternen Tätigkeiten an Fremdfirmen mit miserablen Löhnen, nicht Massenentlassungen, sie können nicht die Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produktion (Konversion) oder die Schaffung von umweltfreundlichen Ersatzarbeitsplätzen in der Autoindustrie (Transformation) erzwingen.

Herausgeberinnen und Autorinnen:
Isaf Gün arbeitet im Ressort Betriebsverfassung und Mitbestimmungspolitik beim IG Metall Vorstand, Benedikt Hopmann und Reinhold Niemerg sind Rechtsanwälte in Berlin.
Autor*innen sind u.a. die Gewerkschafter Dirk Linder und Lena Fuhrmann, die Historiker Axel Weipert, Ralf Hoffrogge, Dietmar Lange, Rüdiger Hachtmann, Reiner Zilkenat, Holger Czitrich-Stahl, Ulrich Schneider, die Politikwissenschaftler Claudia von Gélieu und Frank Deppe, die Juristen Rudolf Buschmann, Franz Josef Düwell, Andreas Fisahn, Andrej Wroblewski, Henner Wolter sowie die Juristin Mechthild Garweg.

Rezensionen zu diesem Buch: hier

Zu bestellen über den: VSA Verlag

2020: Zukunft ohne Auto?

28.12.2020: Herzstück der Industrie im Krisengriff. Zehntausende Jobs in Gefahr. Statt Mobilitätswende Prämien für Elektrofahrzeuge. Die Krise ist geprägt von konjunkturellen Einbrüchen, globaler Konkurrenz und neuem Protektionismus. Schwer wiegt vor allem die Debatte um Klimaveränderungen. Den folgenden Beitrag schrieb Stefan Krull für die Junge Welt. Wir danken dem Autor, den Beitrag hier veröffentlichen zu dürfen.

Die Automobilindustrie gilt als Herzstück der deutschen Wirtschaft. Und sie verschläft die Zukunft: falsche Produktpolitik, zu große und zu teure Autos treffen auf sinkende kaufkräftige Nachfrage und wachsende Konkurrenz. Die Digitalisierung vieler Herstellungsprozesse, der Antriebswechsel zum Elektromotor, hohe Investitionen und eine unsichere Zukunft markierten bereits 2019 die prekäre Lage der Branche. Doch mit der Coronapandemie und deren Auswirkungen entwickelt sich das zur größten Krise dieses Industriezweiges. Beschäftigte müssen um ihre Jobs fürchten. 600.000 Menschen in Kurzarbeit und mehr als eine halbe Million zusätzlicher Erwerbsloser sind Alarmzeichen.

Sichtbar wird das ebenso in den sinkenden Absatz- und Verkaufszahlen des Verbandes der Autoindustrie (VDA) und des Kraftfahrtbundesamtes (KBA). Kapitaleigner und Management haben zur »Aufholjagd« geblasen: Personalabbau, Betriebsschließungen, Übernahmen, Standortverlagerung und befristete Kooperationen. Die Branche und deren gutbezahlte Lobbyisten machen sich zudem lächerlich: »Deutschland ist Europameister bei Elektromobilität«, jubelte VDA-Chefin Hildegard Müller Mitte November in Berlin. Bei einem drastisch sinkenden Markt reichen offenbar ein paar mehr Zulassungen von E-Autos, um Freudensprünge zu machen. »Der sprunghafte Anstieg zeigt, dass die neuen Modelle begeistern«, so Müller, vormalige Staatsministerin im Kanzleramt. Begeistern dürften eher die satten Kaufprämien.

Jobabbau und Gipfelgedöns

Die Krise ist geprägt von konjunkturellen Einbrüchen, globaler Konkurrenz und neuem Protektionismus. Schwer wiegt vor allem die Debatte um Klimaveränderungen. Die Branche versucht wie im Rausch mit Elektroautos das alte Geschäftsmodell fortzuführen. Alle großen Mitspieler haben mit Personalabbau begonnen. Zehntausende Beschäftigte sind Opfer der Kostensenkung. Zudem drohen die Unternehmen mit Verlagerung der Produktion (Daimler), mit Vertragsbruch (Opel) oder mit Werksschließungen (Daimler, Bosch, Continental) und fordern eine Arbeitszeitverlängerung.

Der absehbaren sozialökonomischen Katastrophe setzt die Regierung kein gesellschaftliches Projekt der Mobilitätswende entgegen. Lieber lädt sie zu »Autogipfeln«. Mitte November rief Kanzlerin Angela Merkel zum vierten Treffen dieser Art in diesem Jahr. Virtuell trafen sich Minister, Regierungschefs der »Autoländer«, Cheflobbyistin Müller sowie die Vorstands- und Betriebsratschefs von BMW, Continental, Daimler, Ford, Mahle, Opel, Schaeffler, VW und ZF Friedrichshafen. Ebenfalls dabei der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, und der Vorsitzende der »Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität«, Henning Kagermann. Vorgebliches Ziel war es laut Mitteilung des Bundeskanzleramtes, »nachhaltige Strategien« zu diskutieren, »die der erfolgreichen Bewältigung der tiefgreifenden strukturellen Herausforderungen für den Automobilstandort Deutschland durch Digitalisierung, Klimawandel, Globalisierung und weitere Faktoren dienen«.

Ergebnis: Die IG Metall zeigte sich zufrieden. Wichtige Anliegen wie die Förderung regionaler Transformationsdialoge und regionaler »Qualifizierungscluster«, Investitionen »in nachhaltige Prozesse« (1,8 Milliarden Euro), Bildung eines »Zukunftsfonds Automobilindustrie« (eine Milliarde Euro), »Abwrackprämie« für Lkw (eine Milliarde Euro) sowie die »Innovationsprämie« für Elektro- und Hybridfahrzeuge seien aufgegriffen worden. Die Hersteller bekommen mehr Subventionen, eine Verlängerung der staatlichen Verkaufsprämien und den Ausbau der Ladeinfrastruktur – aber keine auf das Klima bezogenen Auflagen hinsichtlich Verbrauch, Gewicht, Motorstärke, Emission, Größe und Geschwindigkeit – vor allem aber werden keine sozial- und arbeitsrechtlichen Standards wie Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung festgeschrieben. Und die Subventionen sind eher Peanuts: Allein VW, BMW und Daimler haben in den zurückliegenden Jahren 200 Milliarden Euro Gewinnrücklagen gebildet.

Es gibt keine »Win-win-Situation« zwischen Industrie und Gewerkschaft. Die Ziele der Industrie, die Produktivität zu steigern und die Kosten zu senken, stehen der Gewerkschaftsforderung nach Arbeitsplatzsicherung direkt entgegen. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit wird weiter verschleiert. Statt dessen nennt die Bundesregierung ihr Verhalten eine »marktwirtschaftliche Flankierung« des Strukturwandels. Doch bereits jetzt können betriebsbedingte Entlassungen kaum verhindert werden – eine Entwicklung, die sich seit 2018 angekündigt hat.

Falsche Prioritäten

Für die Beteiligten am Gipfel lag der Schwerpunkt wieder bei Elektroautos. Und das, obwohl sie kaum einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten, auch nicht zur Beschäftigungssicherung. Sie taugen für »die letzte Meile«, als Taxi oder Kommunalfahrzeuge, nicht aber als Ersatz für Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Dennoch werden sie mit bis zu 9.000 Euro gefördert, 6.000 Euro kommen vom Staat. Diese Subventionierung wurde bis 2025 verlängert. Wenn das Tempo der Zulassungen für E-Autos nur etwas steigt und das Ziel von zwei Millionen erreicht wird, kostet dieses Geschenk an die Konzerne die Steuerzahler rund zehn Milliarden Euro.

Fakt ist, Autos werden noch gebraucht. Vor allem in ländlichen Regionen. Vielleicht in geringerer Anzahl, zweckmäßiger konstruiert, smart unterwegs und kaum noch als privates Eigentum. Dennoch: Aktuell benötigen viele Menschen den Pkw, um den täglichen Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu Arzt- und Behördenbesuchen zu bewältigen. Lange Arbeitswege für Schichtarbeiter im Gesundheitswesen oder in der Autofabrik sind mit Bus und Bahn nicht zu bewältigen. Und für zunehmend mehr Menschen ist ein Pkw unerschwinglich geworden. Wertverlust, Versicherung, Steuern, Treibstoff summieren sich.

Das alles sind nicht nur Probleme hierzulande, sondern es geht um eine globale Entwicklung. 2020 wird es einen Rückgang der weltweiten Produktion um gut zehn Millionen Pkw geben. Den Herstellungskapazitäten von 75 Millionen Pkw steht ein Absatz von etwa 55 Millionen gegenüber. In Deutschland ist mit Rückgängen von circa 25 Prozent zu rechnen. Ein Zulassungsplus von 37 Prozent gab es bei Tesla. Doch bei dem geringen Absatz von 13.000 Fahrzeugen in der BRD ist das weder überraschend noch durchschlagend. Im sinkenden Markt gab es – abgesehen von SUV – Zuwächse nur bei Elektroautos, allerdings weit unter Plan. Geschönt wird diese Statistik mit Hybridfahrzeugen, die dazugezählt werden. Tesla fährt zum Jahresende die Produktion runter, die Bauarbeiten an der Fabrik in Grünheide ruhten, und Konzernboss Elon Musk schickte die Beschäftigten in unbezahlten Urlaub (Business Insider Deutschland vom 15.12.). Bei VW in Wolfsburg stehen die Bänder fast vier Wochen still. Absehbar ist: Wenn Kurzarbeitergeld und staatlich genehmigte Insolvenzverschleppung auslaufen, wird das Ausmaß der Krise nicht nur die Betroffenen überraschen.

Die Vier-Tage-Woche

Und wie weiter? Auch 2025 werden E-Autos preislich nicht konkurrenzfähig sein mit Verbrennern. Interessant sind die Verschiebungen im Absatzbereich: Die Anzahl privater Zulassungen nahm um 22,8 Prozent zu, ihr Anteil beträgt jetzt 39,4 Prozent. Gewerbliche Zulassungen gingen um 14,7 Prozent zurück und liegen nun bei 60 Prozent des Gesamtabsatzes. Hauptabnehmer von E-Autos sind Behörden und öffentliche Unternehmen, städtische Betriebe, die die Gelegenheit nutzen, ihre Fuhrparks mit den staatlichen Prämien zu erneuern, und so den wesentlichen Beitrag zum Absatz von Elektroautos leisten. Die Eigenzulassungen der Autohersteller und ihrer Händler schlagen mit fast 20 Prozent zu Buche.

Die IG Metall hat den Kampf um jeden Arbeitsplatz angekündigt und führt diesen schon bei Daimler, Opel, Continental, Bosch und ZF. Diese Auseinandersetzungen werden sich im kommenden Jahr zuspitzen. ­Voraussetzung für Erfolg wäre es, Alternativen zur Produktion von Autos durchzusetzen – zum Beispiel die Wagenparks der ÖPNV-Betriebe bedarfsgerecht zu erhöhen. Wichtig wäre zudem eine Konzentration auf die Arbeitszeitverkürzung, auf die Viertagewoche und auf gemeinsame Kämpfe der Belegschaften aller betroffenen Betriebe und der Klimabewegung.

Wir geben diesen Artikel wieder mit freundlicher Genehmigung des Autors. Stephan Krull war unter anderem von 1990 bis 2005 freigestellter Betriebsrat bei VW, Mitglied des Vorstandes der IG Metall Geschäftsstelle Wolfsburg und der Tarifkommission der IG Metall bei Volkswagen; empfehlenswert sein Blog: stephankrull.info

Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutz

6. Mai 2021 von benhop

Verfassungsbeschwerden teilweise erfolgreich

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden:

Das Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 ist mit den Grundrechten unvereinbar und muss neu geregelt werden.

Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, spätestens bis zum 31. Dezember 2022 das Klimaschutzgesetz zu überarbeiten und dabei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten.

Die Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021 zu diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts:

“Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019[1]Klimaschutzgesetz <KSG> über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen. …

Das Klimaschutzgesetz verpflichtet dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu mindern und legt durch sektorenbezogene Jahresemissionsmengen die bis dahin geltenden Reduktionspfade fest[2]§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2. Zwar kann nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber mit diesen Bestimmungen gegen seine grundrechtlichen Schutzpflichten, die Beschwerdeführenden vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen, oder gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG verstoßen hat. Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichen die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln”.

Pressemitteilung weiterlesen hier

Hier der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 in vollständigem Wortlaut:

References

References
1 Klimaschutzgesetz <KSG>
2 § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2

6. Leiharbeit gefährdet das Streikrecht

25. August 2020 von benhop

Das Einzige, was die abhängig Beschäftigten haben, um ihre Interessen gegen die Unternehmer zu verteidigen, ist das  gemeinsame Handeln. Das ist gefährdet, solange den Unternehmen das Recht eingeräumt wird, neben Stammarbeitskräften Leiharbeitskräfte einzusetzen. Insbesondere gefährdet der Einsatz von Leiharbeitskräften eine wirksame Ausübung des Streikrechts[1] Das Streikrecht ist Ausdruck der Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist; das Streikrecht ist ein Grundrecht.

Auch nach den 2016 beschlossenen Änderungen  des AÜG ist es dem Entleiher nicht verboten, Leiharbeiter in einem bestreikten Betrieb einzusetzen. Dem Entleiher ist es nur verboten, einen Leiharbeiter für Tätigkeiten einzusetzen, „die bisher von Arbeitnehmern erledigt wurden, die

1. sich im Arbeitskampf befinden oder

2. ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die sich im Arbeitskampf befinden, übernommen haben“[2]§ 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG n.F...

Für Leiharbeiter, die nicht unter dieses Verbot fallen, bleibt es bei der schon bisher  geltenden Regelung: Sie müssen selbst entscheiden, ob sie ihr Recht auf Leistungsverweigerung wahrnehmen wollen[3]Leiharbeiter, deren Einsatz dem Entleiher nicht verboten ist, sind „nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist“ § 11 … Continue reading und machen in der Regel wegen Angst vor Repressalien von diesem Recht keinen Gebrauch[4]schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.69. Das gefährdet eine wirksame Ausübung des Streikrechts, und zwar umso mehr, je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb schon vor Arbeitskampfbeginn eingesetzt wurden. Je mehr Leiharbeiter in einem Betrieb arbeiten umso schwerer wird es für die Stammarbeiter, diesen Betrieb im Arbeitskampf zum Stillstand zu bringen.

Wenn Unternehmer  einwenden,  ein vollständiges Einsatzverbot von Leiharbeitern in einem bestreikten Betrieb zerstöre die Kampfparität[5]So der BDA in seiner schriftlichen Stellungnahme v. 12.10.2016 Ausschussdrucksache 18(11)740 S. 36., dann kann man nur erwidern: Die Kampfparität haben die Unternehmer durch die Einstellung von Leiharbeitskräften selbst zerstört.


References

References
1  Das Streikrecht ist Ausdruck der Koalitionsfreiheit, die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist; das Streikrecht ist ein Grundrecht
2 § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG n.F..
3 Leiharbeiter, deren Einsatz dem Entleiher nicht verboten ist, sind „nicht verpflichtet, bei einem Entleiher tätig zu sein, soweit dieser durch einen Arbeitskampf unmittelbar betroffen ist“ § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG n.F.. Der DGB (schriftliche Stellungnahme des DGB in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 13. Oktober 2016 18. Wahlperiode Ausschussdrucksache 18(11)761, S. 18) erinnert an den ursprünglichen Referentenentwurf der Arbeitsministerin Nahles, der in § 11 Abs. 5 die einfache Regelung enthielt: „Der Entleiher darf Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, soweit sein Betrieb unmittelbar betroffen ist“. Diese Regelung wie auch mehrere andere Regelungen des Referentenentwurfs wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gekippt; die massive Einflussnahme der Unternehmer, Verleiher und Entleiher, ist unübersehbar. Der DGB hebt hervor, dass die gegenüber dem Referentenentwurf abgeänderte Regelung “in einer komplexen Arbeitsorganisation überhaupt nicht praktikabel ist (Beispiel: Im Falle von Arbeitsniederlegungen bei Amazon lässt sich gar nicht feststellen, welche Arbeiten von den Streikenden ohne Streik erledigt worden wären und welche nicht). Außerdem wird  ein Verstoß in vielen Fällen nur sehr schwer nachzuweisen und nur mit Unterstützung der Arbeitnehmer/innen möglich sein, die dann ggf. auch vor Gericht gegen ihren Arbeitgeber aussagen müssten (Beispiel: Bei der Deutschen Post AG wurde bekannt, dass im einstweilgien rechtsschutzverfahren benannte Zeug/innen unter Druck gesetzt wurden)“. Der DGB bemängelt auch, dass die neue Regelung nicht für die Konzernleihe gilt und die Sanktionen zu schwach sind.  
4 schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.69
5 So der BDA in seiner schriftlichen Stellungnahme v. 12.10.2016 Ausschussdrucksache 18(11)740 S. 36.

5. „equal pay“ und Niedriglohnsektor

23. April 2021 von Benedikt Hopmann

Die rot/grüne Bundesregierung verbarg 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze den Abbau von Schutzrechten für Leiharbeitskräfte hinter dem Versprechen, Leiharbeitskräfte Stammarbeitskräften gleichzustellen; sie versprach nicht nur gleichen Lohn für gleiche Arbeit („equal pay“), sondern insgesamt gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit[1]Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232.  

Was der zuständige Minister der SPD Wolfgang Clement tatsächlich mit „equal pay“ meinte, hatte er schon am 29. November 2002 im Bundesrat gesagt: Tarifabschlüsse unterhalb von „equal pay“[2]Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524..

Die Leiharbeit sollte mit Hilfe von Tarifverträgen aus der „Schmuddelecke“ geholt werden[3]Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233, um einen Niedriglohnsektor[4]  „… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. … Continue reading) zu schaffen.   

Tatsächlich wurde in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Regelung aufgenommen, die für Leiharbeitskräfte dieselben Arbeitsbedingungen vorschreibt wie die, die für Stammarbeitskräfte gelten. Diese Vorschrift lässt aber eine Ausnahme zu: Abweichende Regelungen durch Tarifvertrag.

Seitdem können durch Tarifvertrag auch schlechtere Arbeitsbedingungen, insbesondere auch schlechtere Löhne vereinbart werden als die, die für die Stammarbeitskräfte gelten[5]§ 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.. Nach der jüngsten Neuregelung sind schlechtere Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag immer noch 9 Monate lang möglich und diese Frist kann sogar noch verlängert werden – wieder durch Tarifvertrag[6]§ 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des … Continue reading. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es überhaupt nur jede vierte  Leiharbeitskraft länger als 9 Monate bei ein und denselben Verleiher aushält[7]vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.. Ein Verleiher kann eine Gleichstellung für zwei Leiharbeiter zum Beispiel dadurch vermeiden, dass er sie  halbjährlich wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt[8]Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f..  Diese beiden Leiharbeitskräfte werden den Stammarbeits-kräften nie gleichgestellt, ersetzen aber in jedem der beiden  Entleihbetrieb eine Stammarbeitskraft.

Der Gesetzgeber hätte darauf verzichten können, für den Leiharbeiter nachteilige tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz zu erlauben. Das hat die Bundesregierung aber im Interesse des Kapitals nicht getan, auch nicht in der Neufassung von 2016.

Das gesetzliche Angebot zum Abschluss von Tarifverträgen ist vergiftet. Tarifverträge dienen dazu, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Diese Funktion von Tarifverträgen wird auf den Kopf gestellt, wenn das gesetzliche Angebot zum Abschuss von Tarifverträgen tatsächlich auf ein Angebot zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinausläuft. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich der DGB bis heute auf dieses vergiftete Angebot einlässt anstatt durch Verzicht auf Tarifverträge dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz von Stammarbeitern und Leiharbeitern Geltung zu verschaffen[9]Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die … Continue reading.

Die gewerkschaftliche Handlungsmacht in den Unternehmen der Leiharbeitsbranche reicht nicht aus, um in Tarifverträgen eine Gleichstellung durchzusetzen. Die Einzelgewerkschaften sind deswegen dazu übergegangen in Verhandlungen über die  Flächentarifverträge der Stammbelegschaften Leiharbeiter-Zuschläge durchzusetzen. Aber auch das hat bisher nicht  annähernd zu einer Gleichstellung von Leiharbeitern und Stammarbeitern geführt. Das mittlere Bruttomonatsentgelt einer Leiharbeitskraft beträgt trotz der vereinbarten Tarifverträge immer noch nur knapp 60 % des mittleren Bruttomonatsentgelts aller Vollzeitbeschäftigten[10]Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916.

Die Hartz Gesetze erleichtern einerseits den Verleihern die Verleihung von Arbeitskräften und erhöhen andererseits den  Druck auf Arbeitslose, Stellenangebote von Verleihern anzunehmen. Die im Zuge der Hartz Gesetze verschärften  Zumutbarkeitsregeln und die Sanktionen, die bei Ablehnung einer angebotenen Stelle zunächst eine Kürzung und im zweiten Wiederholungsfall sogar die vollständige Streichung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) vorsehen[11]Zur Zumutbarkeit:  § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II. , treiben  Arbeitslose, spätestens nach 12 Monaten[12]Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit  gelten … Continue reading Arbeitslosigkeit, in die Leiharbeit. Im Juni 2016 waren 2,6 Millionen Menschen arbeitslos, aber nur 664.872 offene Stellen gemeldet, davon waren ein Drittel Stellenangebote von Verleihern[13]Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen.

Bundeskanzler Schröder 2005 in Davos:

„Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung  Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt“ 


References

References
1 Wolfgang Clement BT-Protokoll 8. Sitzung 15. Wahlperiode v. 07.11.2002 S. 394 und BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1232
2 Bundesrat 783. Sitzung v. 29. November 2002 S. 524.
3 Wolfgang Clement BT-Protokoll 16. Sitzung 15. Wahlperiode v. 19.12.2002 S. 1233
4   „… aber es sind Vorschläge, die den Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich betreffen: Minijobs, Kleinstgewerbetreibende, Zeit- und Leiharbeit …“ (Wolfgang Clement im Bundesrat,783. Sitzung 29.11.2002 S. 522
5 § 9 Nr. 2 AÜG i.d.F. v. 7.8.2013.
6 § 8 Abs. 1 AÜG n.F. schreibt den Gleichstellungsgrundsatz vor, von dem § 8 Abs. 2 AÜG n.F. die Abweichung durch TV zulässt; kritisch dazu Düwell in Wortprotokoll-Nr. 18/88 der 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016, S. 9
7 vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.60; das WSI fasst dort sehr präzise die Verbreitung und Wirkungen von Leiharbeit und Werkverträgen zusammen.
8 Wissenschaftlicher Dienst des BT v. 14.10.2016 WD 6 – 3000 – 113/16 S. 6 f.
9 Der DGB hatte zunächst solche Vereinbarungen damit gerechtfertigt, dass andernfalls das Feld den christlichen Gewerkschaften überlassen würde und schon deren Tarifverträge verhindern, dass die Regel der gesetzlichen Gleichstellung und nicht die Ausnahme der Schlechterstellung durch Tarifvertrag eingreift. Doch wurden inzwischen die Tarifverträge, die die christliche Gewerkschaft (CGZP) mit den Leiharbeitsfirmen abschloss,  wegen Tarifunfähigkeit dieser Gewerkschaft für unwirksam erklärt (BAG BAG NZA 11, 289); auch Verweisungen auf diese Tarifverträge in Einzelarbeitsverträgen sind unwirksam
10 Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst (BT-Drs. 18/09916
11 Zur Zumutbarkeit:  § 10 SGB II (jede Arbeit ist zumutbar – ohne Rücksicht auf die Höhe des Entgelts, die vorherige Qualifikation und den Wohnort); zu den Sanktionen: § 31 a SGB II. 
12 Personen bis zum 55. Lebensjahr erhalten maximal zwölf Monaten, nach dem 55. Lebensjahr maximal 18 Monate Arbeitslosengeld I, dann Arbeitslosengeld II, auch „Hartz IV“ genannt; damit  gelten die Zumutbarkeitsregeln und Sanktionen des  SGB II
13 Daten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt im Überblick – Stand Juni 2016 sowie: „Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Zeitarbeit – Aktuelle Entwicklungen

4.2 Das Begründungsmuster

25. August 2020 von benhop

Das Muster, mit dem der Abbau von sozialen Rechten und Arbeitsrechten begründet wird, lässt sich schon an der  Begründung des Beschäftigungsförderungsgesetzes des Jahres 1985 ablesen. Während die sozial-liberale Bundesregierung 1972 die Verabschiedung des Arbeitnehmerüberlassungs-gesetzes ausschließlich mit der Notwendigkeit begründete, den Schutz der Leiharbeitskräfte zu verbessern[1]Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Drs. VI/2303, S. 1, baute die christlich-liberale Bundesregierung genau diesen Schutz mit der Begründung ab, „zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen“[2]Gesetzesentwurf Drs. 10/2102, S. 1.. Die Bundesregierung behauptete, dieses Ziel u.a. durch Erleichterungen bei der Verleihung von Arbeitskräften erreichen zu können. Dadurch würden die Unternehmer, statt Überstunden abzubauen, mehr Leiharbeiter einstellen[3]Bundesrat Drs. 393/84 S.16, 20 f. Neben der Erleichterung der Leiharbeit erlaubte die Bundesregierung in diesem Gesetz vor allem auch erstmalig die befristete Einstellung ohne Begründung; davor … Continue reading.

Das zuständige Bundesministerium gab eine Überprüfung dieses Gesetzes auf seine Beschäftigungswirkung in Auftrag. Diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis: Das Beschäftigungsförderungsgesetz hatte nur „marginale direkte Zusatzeinstellungs-Effekte“[4]empirische Evaluation des BeschFG im Auftrag des BMAS, vom Wissenschaftszentrum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Infratest, München, zwischen 1987 und 1989 durchgeführt; Grundlage … Continue reading

Entscheidend ist eben, dass ein Unternehmen nicht einstellt, wenn  die Aufträge fehlen. Die Beschäftigungslage hängt von der Auftragslage in den Unternehmen ab und nicht von Erleichterungen bei der Einstellung von Leiharbeitern. Die Propagierung der Deregulierung als Beschäftigungs-förderung[5]Mit ihrer Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz machte sich die Regierung „die Kritik der ‚De-regulierungs‘-Befürworter am Kündigungsschutz zu eigen“ (Büchtemann … Continue reading ist ein ausgemachter Unsinn mit allerdings bösen Folgen für die abhängig Beschäftigten, die ihrer Schutzrechte beraubt werden.

Zusätzliche Beschäftigung durch Einstellung von mehr Leiharbeitskräften ist kein erstrebenswertes Ziel.  Die IG Metall propagierte stattdessen, die vorhandene Arbeit auf alle zu verteilen, und  war mit diesem Ziel in ihren bisher letzten großen Kampf gezogen, den Kampf um die 35 Stunden Woche[6]Auch die SPD lehnte das Beschäftigungsförderungsgesetz ab. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schaffe keine Beschäftigung. Sie forderte „die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, … Continue reading).

Dagegen lief die von der Kohlregierung propagierte Politik auf nichts anderes hinaus, als die Arbeitslosigkeit zu nutzen, um die Positionen der Unternehmer zu stärken. Sie nutze die Angst vor Arbeitslosigkeit und machte daraus ein Programm zum Abbau von Schutzrechten in Zeiten, in denen der Druck auf die abhängig Beschäftigten am größten ist und sie diese Rechte am meisten  brauchen.

„ Mehr Arbeit durch weniger Rechte und weniger sozialen Schutz“ – das sollte das Grundmuster für die Begründung aller folgenden Gesetze sein,  die auf den Abbau von sozialen Rechten und Leistungen  gerichtet waren – obwohl sich dieses Muster schon als  Begründung  für das Beschäftigungs-förderungsgesetz als nicht tragfähig erwiesen hatte.

Die Hartz Gesetze standen unter dem Motto: „Sozial ist was Arbeit schafft“. 

Typischerweise gehen diese Angriffe auf die abhängig Beschäftigten einher mit Angriffen auf ihre Gewerkschaften. So auch im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen. Bundeskanzler Schröder drohte in seiner 2010-Agenda-Rede wörtlich: „Die verantwortlichen – Gesetzgeber wie Tarifpartner – müssen in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktlage ihre Gestaltungsspielräume nutzen, um Neueinstellungen zu erleichtern. … Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien entlang dessen, was es bereits gibt – aber in weit größerem Umfang – auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln wissen“[7]Bundestagsprotokolle 15. Wahlperiode 32. Sitzung Freitag, den 14. März 2003, S. 2487. Damit reihte sich der Bundeskanzler in die Linie von CDU/CSU und FDP ein und propagierte die Bekämpfung der  Arbeitslosigkeit durch Bekämpfung tariflicher Mindeststandards – wenn nicht mit den Gewerkschaften (durch ausufernde Öffnungsklausel), dann gegen sie[8]Vgl. Hopmann, Köbrich, Linder „Angriff auf die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit“ Sozialismus 12/2003 S. 48 ff..    

Was die Hartz Gesetze in den Köpfen angerichtet haben, ist  ebenso verheerend wie die Hartz Gesetze selbst. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen erheblich gesunken. Die meisten damaligen Befürworter der Hartz Gesetze[9]Bei den Hartz Gesetzen lag die Regie in den Händen einer  rot/grünen Bundesregierung. Weil aber auch der Bundesrat den Gesetzen zustimmen musste und die Mehrheiten im Bundesrat andere waren als … Continue reading führen das  nicht auf eine bessere Konjunktur, sondern auf diese Gesetze zurück.

Die nächste Krise kommt bestimmt und ebenso sicher werden die Unternehmer versuchen, dann noch mehr Rechte der Beschäftigten abzubauen. Das Begründungmuster ist schon bekannt: Es wird dasselbe sein, wie das der vorangegangenen Jahre.

Es ist eine Politik mit verheerenden Folgen. Das zeigt der enorme Wählerzulauf für die AfD, die die Unzufriedenheit auf  völkische und rassistische Mühlen lenkt. Auch ein Blick zurück in die Geschichte schärft den Blick für die Konsequenzen, die eine Politik des Abbaus von Arbeitsrechten und sozialen Leistungen nach sich zieht: Zum Ende der Weimarer Republik verfolgte die  Regierung Brüning einen rigorosen Sparkurs und senkte Sozialausgaben und Löhnen durch Notverordnungen.  Die folgende Regierung Papen erließ am 5. September 1932 eine Notverordnung, die den Unternehmen erlaubte, bei Neueinstellungen unter die tarifvertraglichen Lohnsätze zu gehen. Den Gewerkschaften wurde durch eine weitere Verordnung vom 3. Oktober 1932 der Kampf dagegen verboten[10]Zu diesen beiden Verordnungen im Einzelnen: M. Kittner Arbeitskampf S. 496 f; auch diese Notverordnung führte zu keiner „Vermehrung von Arbeitsgelegenheiten“, wie es der Name dieser Vorordnung … Continue reading). Alles „zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit“, so der Name der Notverordnung vom 5. September 1932. 1933 folgte der Hitlerfaschismus, die Zerschlagung der  Gewerkschaften und wenige Jahre später Krieg.


References

References
1 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Drs. VI/2303, S. 1
2 Gesetzesentwurf Drs. 10/2102, S. 1.
3 Bundesrat Drs. 393/84 S.16, 20 f. Neben der Erleichterung der Leiharbeit erlaubte die Bundesregierung in diesem Gesetz vor allem auch erstmalig die befristete Einstellung ohne Begründung; davor waren befristete Einstellungen nur erlaubt, wenn der Unternehmer dafür einen Sachgrund nachweisen konnte, z.B. weil eine Vertretung wegen Urlaub oder Krankheit notwendig  ist oder weil ein vorübergehender betrieblicher Bedarf an Arbeitsleistung besteht. Die Bundesregierung glaubte auch hier einen Schub zusätzlicher Beschäftigung durch Erleichterungen bei befristeten Einstellungen auslösen zu können. Bis heute wird von der begründungslosen Befristung umfassend Gebrauch gemacht. Im Jahr 2013 wurden nach offiziellen Angaben 1,3 Millionen Arbeitsverträge mit begründungsloser Befristung abgeschlossen, das sind knapp 45 % aller Einstellungen.
4 empirische Evaluation des BeschFG im Auftrag des BMAS, vom Wissenschaftszentrum Berlin in Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut Infratest, München, zwischen 1987 und 1989 durchgeführt; Grundlage der Evaluation war eine Repräsentativumfrage von 2392 Betrieben; der Autor dieser Evaluation, Christoph F. Büchtemann, fasste die Befunde zusammen  in  „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394, 406. Siehe auch die Stellungnahme der IG Metall Abteilung Sozialpolitik mit den Ergebnissen einer Auswertung ihrer bundesweiten Frageaktion im Jahr 1986 in 5.261 Betrieben über die Auswirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes
5 Mit ihrer Begründung zum Beschäftigungsförderungsgesetz machte sich die Regierung „die Kritik der ‚De-regulierungs‘-Befürworter am Kündigungsschutz zu eigen“ (Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 395). Nach Büchtemann haben sich seit 1981/82 in den meisten westeuropäischen Staaten die „vorherrschenden Diagnose- und Therapiemuster in der beschäftigungspolitischen Diskussion“  gewandelt … Neben inflexiblen Reallöhnen und starren Arbeitszeitregelungen richtete sich das Augenmerk auf das in den meisten westeuropäischen Ländern während der 60er Jahre entstandene und in den 70er Jahre weiter ausgebaute System der rechtlichen und kollektivvertraglichen Kündigungsschutzes …“ (Büchtemann a.a.O. S. 394).
6 Auch die SPD lehnte das Beschäftigungsförderungsgesetz ab. Der Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten schaffe keine Beschäftigung. Sie forderte „die Umverteilung von Überstunden durch ein neues, fortschrittliches Arbeitszeitgesetz“ (so die Abgeordnete Weiler für die SPD Fraktion im Bundestag am 15.11.1989, BT- Protokolle 11. Wahlperiode 175.Sitzung, 15.11.1989 S. 13259 ff..
7 Bundestagsprotokolle 15. Wahlperiode 32. Sitzung Freitag, den 14. März 2003, S. 2487
8 Vgl. Hopmann, Köbrich, Linder „Angriff auf die gewerkschaftliche Handlungsfreiheit“ Sozialismus 12/2003 S. 48 ff.
9 Bei den Hartz Gesetzen lag die Regie in den Händen einer  rot/grünen Bundesregierung. Weil aber auch der Bundesrat den Gesetzen zustimmen musste und die Mehrheiten im Bundesrat andere waren als die im Bundestag, nahmen am Ende an den Verhandlungen zwischen Bundestag und Bundesrat alle Parteien teil – mit Ausnahme der Partei DIE LINKE.
10 Zu diesen beiden Verordnungen im Einzelnen: M. Kittner Arbeitskampf S. 496 f; auch diese Notverordnung führte zu keiner „Vermehrung von Arbeitsgelegenheiten“, wie es der Name dieser Vorordnung versprach (siehe dazu im Einzelnen Kittner a.a.O.

4.1 Die Demontage des AÜG

25. August 2020 von benhop

Die Deregulierung oder – besser gesagt-  die Demontage des AÜG erfasste Schritt für Schritt alle wesentlichen Bestimmungen dieses Gesetzes:

  1. die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf,
  2. die besonderen Befristungsverbote für Verträge zwischen Leiharbeiter und Verleiher, und
  3. die Sanktionen bei  illegaler Leiharbeit.

Alles begann 1985 mit dem so genannten Beschäftigungs-förderungsgesetz[1]Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG v. 26.04.1985 BGBl. Teil I S. 710): Die maximale Dauer, für die eine Leiharbeitskraft verliehen werden darf, wurde von drei auf sechs Monate erhöht[2]§ 3 Abs. 1 Nr. 6 a.F. AÜG.

In den folgenden Jahren wurde diese zulässige Höchstverleihdauer Schritt für Schritt  immer mehr ausgeweitet: Von 6 auf 9 Monate, von 9 auf 12, von 12 auf 24 Monate; 2002/2003 im Zuge der Hartz Gesetze wurde sie vollständig gestrichen. Das öffnete der Verdrängung von Stammarbeitskräften durch billigere Leiharbeitskräfte Tür und  Tor.

Die Tore wurden nie wieder geschlossen, nicht durch  die 2011 eingeführte Eingrenzung der Verleihdauer[3]Diese Eingrenzung der Verleihdauer wurde notwendig aufgrund der Leiharbeit-EU-Richtlinie auf eine  „vorübergehende“ Verleihung und auch nicht durch die Neufassung des AÜG aus dem Jahr 2016[4]Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 18/9232) nach zweiter und dritter Lesung am 21.10.2016 am selben Tag beschlossen (BT-Protokolle 18/197 v. … Continue reading. In dieser jüngsten Neufassung  wird für Verleiher die Höchstverleihdauer von Arbeitskräften auf 18 Monate eingeschränkt; doch nach drei Monaten kann eine Leiharbeitskraft wieder nach Daimler zurückkehren. Damit wird die ursprüngliche Höchstverleihdauer aus dem Jahre 1972 von drei Monaten immer noch um das 6fache übertroffen; es wird auch nicht unterbunden, dass nach spätestens 18 Monaten auf demselben Arbeitsplatz eine neue Leiharbeitskraft, und danach wieder die alte Leiharbeitskraft  eingesetzt wird und so durch abwechselnden Einsatz zweier Leiharbeitskräfte eine Stammarbeitskraft auf diesem Arbeitsplatz nie mehr zum Zuge kommt[5]Es ist fraglich, ob die Gerichte nach dieser neuen Regelung zu einer Rechtsfortbildung bereit sind, die die dauerhafte Besetzung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeitskräfte ausschließt (vgl. zur … Continue reading. Dieser Arbeitsplatz wird nicht mehr nur vorübergehend, sondern auf Dauer durch Leiharbeitskräfte besetzt. Eine gesetzliche Regelung, die das ausschließt, ist nicht unmöglich, wie Arbeitsministerin A. Nahles meint[6]A. Nahles BT Protokolle 18. Wahlperiode 190 Sitzung v. 22.09.2016, S. 18764; denn eine solche Regelung, einschließlich der entsprechenden Rechtsprechung, existiert bereits für befristete Einstellungen mit sachlichem Grund[7]Eine befristete  Einstellung ist zulässig, „wenn der betriebliche Bedarf an Arbeitsleistung vorübergehend ist“ (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG); vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: … Continue reading. Die Ministerin hätte sich  für eine entsprechende Regelung im AÜG einsetzen können, so dass eine Tätigkeit nicht mehr auf Dauer nur von Leiharbeitskräften erledigt werden kann[8]Eine solche Regelung kann nicht eine Regelung zur Höchstverleihdauer ersetzen, sondern nur ergänzen  . Konsequenter wäre es jedoch, den Einsatz von Leiharbeitskräften ganz zu verbieten. Bei vorübergehendem betrieblichem Bedarf an Arbeitsleistung haben die Unternehmer dann immer noch die Möglichkeit, eben aus diesem Sachgrund befristet einzustellen[9]So auch der Abg. der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst in seiner Rede im Bundestag am 21.10.2016 (zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des AÜG, BT-Protokolle 18/197 Sitzung v. 21.10.2016 … Continue reading.

Die  jüngste Neufassung sieht zudem eine unbegrenzte Erhöhung der Verleihdauer vor, wenn sie durch die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche tarifvertraglich vereinbart wird. Dementsprechend hat die IG Metall mit GesamtMetall die  Möglichkeit eröffnet, im Rahmen von freiwilligen Betriebsvereinbarungen die Höchstverleihdauer auf 48 Monaten und im Einzelfall darüber hinaus zu verlängern; kommt eine Betriebsvereinbarung nicht zustande gilt eine  Höchstverleihdauer von 24 Monaten. Einer gerichtlichen Überprüfung werden solche Betriebsvereinbarungen  ebenso wenig wie die entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen im Tarifvertrag und Gesetz standhalten[10]Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. … Continue reading.       

Die besonderen Befristungsverbote im  Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurden zunächst gelockert und dann 2002/2003 – im Zuge der Hartz Gesetze – ganz gestrichen, auch das so genannte Synchronisationsverbot, das eine Begrenzung des Arbeitsvertrages auf die Dauer des ersten Einsatzes untersagte. Seitdem gelten bis heute nur noch die Befristungsregeln, die grundsätzlich für alle Arbeitsverträge gelten[11]§ 14 TzBfG. In den ersten beiden Jahren kann der Verleiher demnach  Befristungen mit seiner Leiharbeitskraft vereinbaren, die mit dem Ende der ersten Verleihung auslaufen. Dadurch kann der Verleiher das wirtschaftliche Risiko fehlender Anschlussaufträge und einsatzfreier Zeiten voll auf den Leiharbeiter abwälzen – und damit genau das tun, was 1967 das Bundesverfassungsgericht und 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausgeschlossen hatten.

Die Sanktion wegen illegaler Leiharbeit lief zunehmend ins Leere. Wir erinnern uns: Diese Sanktion besteht darin, dass Leiharbeiter durch Gesetz zu Stammarbeitern von Daimler werden. Sie galt nach dem AÜG von 1972 auch bei der Überschreitung der Höchstverleihdauer, wurde aber 1997 für diesen Fall aufgehoben[12]§ 14 TzBfG. Werkvertragsunternehmen droht diese Sanktion, wenn ihr Einsatz in den Betrieben nur dem Namen nach Werkvertrags-Tätigkeit, in Wirklichkeit aber Leiharbeit ist (verdeckte Leiharbeit); denn dafür fehlt ihnen die Erlaubnis, ohne die Verleiher ihr Geschäft nicht betreiben dürfen. Werkvertragsunternehmen entgingen dieser Sanktion, indem sie einfach auf Vorrat eine Erlaubnis beantragten – als ‚Rettungsschirm‘ für den Fall, dass ihr Werkvertrags-Einsatz als Leiharbeit ‚enttarnt‘ wurde[13] Diese Praktik wurde vom BAG  u.a. deswegen als gesetzeskonform gewertet, weil der Bundestag sie gebilligt hatte ( BAG v. 12.7.2016 AZR 352/15). Die jüngste Neufassung des AÜG des Jahres 2016 unterbindet diese Erlaubniserteilung auf Vorrat und kehrt auch bei Überschreitung der Höchstverleih-dauer wieder zu der Sanktion zurück wie sie bis 1997 nach dem AÜG galt.


References

References
1 Das Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG v. 26.04.1985 BGBl. Teil I S. 710)
2 § 3 Abs. 1 Nr. 6 a.F. AÜG
3 Diese Eingrenzung der Verleihdauer wurde notwendig aufgrund der Leiharbeit-EU-Richtlinie
4 Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 18/9232) nach zweiter und dritter Lesung am 21.10.2016 am selben Tag beschlossen (BT-Protokolle 18/197 v. 21.10.2016 S. 19657 ff.), und zwar nach Maßgabe der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 19.10.2016 (Drs. 18/10064); der Ausschuss hatte in seiner Empfehlung die in § 9  AÜG  neu aufgenommene  Festhaltenserklärung wieder entschärft (vgl. dazu Wortprotokoll Nr. 18/88, 18. Wahlperiode, 88. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales v. 17.10.2016; vgl. Prof. Sell auf S. 12, Prof. Düwell auf S. 16, Prof. Brors auf S. 17 dieses Protokolls; ein Verzicht auf diese  Festhaltenserklärung wäre allerdings besser gewesen). Der Bundesrat ließ in seinen Sitzungen v. 4.11.2016 und v. 25.11.2016, jeweils  Drucksache 627/16, das Gesetz in dieser geänderten Form ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses durchgehen.
5 Es ist fraglich, ob die Gerichte nach dieser neuen Regelung zu einer Rechtsfortbildung bereit sind, die die dauerhafte Besetzung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeitskräfte ausschließt (vgl. zur bisherigen Auseinandersetzung Ulber/Ulber AÜG 2. Auflg.2014 § 1 Rn. 130c ff. mit Hinweisen auf die LAG-Rechtprechung). 
6 A. Nahles BT Protokolle 18. Wahlperiode 190 Sitzung v. 22.09.2016, S. 18764
7 Eine befristete  Einstellung ist zulässig, „wenn der betriebliche Bedarf an Arbeitsleistung vorübergehend ist“ (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG); vgl. auch die schriftliche Stellungnahme des WSI in: Ausschussdrucksache 18(11)750 S.64. Der Verweis auf die Befristung mit Sachgrund, § 14 Abs.1 TzBfG ist nicht unvereinbar mit der Forderung nach einem Verbot der begründungslosen Befristung, die sich nach § 14 Abs. 2 TzBfG richtet.  
8 Eine solche Regelung kann nicht eine Regelung zur Höchstverleihdauer ersetzen, sondern nur ergänzen  
9 So auch der Abg. der Fraktion DIE LINKE Klaus Ernst in seiner Rede im Bundestag am 21.10.2016 (zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des AÜG, BT-Protokolle 18/197 Sitzung v. 21.10.2016 S. 19659 ff).
10 Die Einsatzbranche ist unzuständig, Tarifverträge über eine Höchstverleihdauer abzuschließen; außerdem verstoßen Höchstverleihdauern von 48 Monaten gegen Unionsrecht, Ulber AÜG, 2017, 5. Auflg. § 1 Rn. 283 und 286 
11, 12 § 14 TzBfG
13  Diese Praktik wurde vom BAG  u.a. deswegen als gesetzeskonform gewertet, weil der Bundestag sie gebilligt hatte ( BAG v. 12.7.2016 AZR 352/15)

4. Deregulierung und Demontage

25. August 2020 von benhop

In den 80er Jahren wurde ein fundamentaler Umbruch im Arbeits- und Sozialrecht eingeleitet, der bis heute andauert. Seitdem konzentrieren sich alle Bundesregierungen  – unabhängig davon, ob sie schwarz/gelb,  rot/grün oder schwarz/rot zusammen gesetzt sind – darauf, die Dämme einzureißen, die die abhängig Beschäftigten zu ihrem Schutz über Jahrzehnte erkämpft hatten (Deregulierung)[1]vgl. Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394. Die im Jahr 2002/2003 beschlossenen Hartz Gesetze sind der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.


References

References
1 vgl. Büchtemann „Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis?“, MittAB 3/90 S. 394

3. Besserer Schutz durch ein Gesetz (AÜG)?

25. August 2020 von benhop

Zur wirksameren Unterbindung solcher Verstöße beschloss der Bundestag 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)[1]  AÜG vom 7. August 1972 (BGBl. Teil 1 S. 1393).

Dieses Gesetz regelte zulässige Arbeitskräfteverleihung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Danach hat ein Verleiher das Recht, eine Arbeitskraft an ein anderes Unternehmen weiter zu verleihen, und übernimmt gleichzeitig für diese Arbeitskraft die üblichen Pflichten eines Unternehmers (Lohnzahlung, Lohnfortzahlung im Urlaub und bei Krankheit, Kündigung nach den Regeln des Kündigungsschutzgesetzes usw.). Grundlage ist ein Vertrag, den Verleiher und Leiharbeiter miteinander vereinbaren und der „während der Zeit, in der der Arbeitnehmer in dem fremden Betrieb tätig wird, weiter besteht“[2]BVerfG a.a.O..

Die Verleihung der Arbeitskraft wird in einem gesonderten Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher, zum Beispiel Daimler, vereinbart (Arbeitnehmer-Überlassungsvertrag[3]Muster können aus dem Internet heruntergeladen werden ).

Der Verleihung von Arbeitskräften ist ein besonderes wirtschaftliches Risiko eigen; denn nach einer abgeschlossenen Verleihung in einen Einsatzbetrieb können Anschlussaufträge fehlen, also einsatzfreie Zeiten drohen. Das Gesetz wollte   verhindern, dass der Verleiher dieses Risiko auf die Leiharbeitskraft abwälzt. Deswegen ordnete es an, dass der Vertrag des Verleihers mit seinem Arbeiter grundsätzlich nicht befristet ist (besondere Befristungsverbote)[4]§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5 AÜG  i.d.F. v. 7.8.1972.;  insbesondere darf dieser Vertrag nicht auf den Zeitraum des ersten Einsatzes beschränkt sein (Synchronisationsverbot). Dabei verpflichtet das Gesetz den Verleiher zwingend, dem Leiharbeiter den Lohn auch in Arbeitszeiten weiter zu zahlen, in denen er ihn nicht beschäftigen kann[5]so genannter Annahmeverzug, der für jeden Arbeitgeber gilt, § 615 Satz 1 BGB, der nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG bei einem Leiharbeiter nicht durch Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden kann

Das Gesetz wollte zudem verhindern, dass ein  Leiharbeiter auf Dauer in einem Betrieb eingesetzt werden kann. Wenn Daimler eine Arbeitskraft für mehr als 3 Monate brauchte, sollte Daimler eine Stammarbeitskraft einstellen. Das regelte das Gesetz dadurch, dass es eine Höchstverleihdauer anordnet.  Länger als drei Monate durfte kein Leiharbeiter bei Daimler eingesetzt werden.  

Besonders wichtig sind die Vorschriften zur staatlichen Aufsicht des Verleihers und die Sanktionen zur  Einhaltung und Durchsetzung der Schutzvorschriften dieses Gesetzes[6]Bei Verletzungen von Vorschriften  dieses Gesetzes drohen überdies  Bußgelder (§ 16 AÜG) und andere Sanktionen (z.B. Strafen wegen Steuerhinterziehung oder Beitragshinterziehung, weil Steuern … Continue reading). Das Verleihen von Arbeitskräften bedarf einer besonderen Erlaubnis[7]§ 1 Abs. 1 S. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972; die Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit (§ 17 AÜG), „um illegale Praktiken zu unterbinden“[8]Minister Arndt in Bundestagsdebatte v. 21.06.1972 BT-Protokolle 6. Wahlperiode 194. Sitzung S. 11379. Wenn der Verleiher  ohne Erlaubnis handelt, wird durch Gesetz aus der Leiharbeitskraft eine Stammarbeitskraft von Daimler[9]§§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972.

Obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verabschiedet worden war, um Leiharbeitskräfte besser zu schützen, konnte es nie auch nur die elementarsten Rechte der Leiharbeitskräfte sicherstellen. Leiharbeiter selbst nehmen diese  Rechte nur selten wahr; die Rolle, die ihre Verleiher dabei spielen, verschweigen sie. Angst leitet das Verhalten der Leiharbeiter, Angst als Kehrseite der Schutzlosigkeit und Unterdrückung[10]Ein Beispiel: „Sowohl im Jahr 1978 als auch im Jahr 1979 wurde beobachtet, dass vor Feiertagen, insbesondere in der Weihnachts-/Neujahrswoche eine ungewöhnlich große Anzahl von Leiharbeitnehmern … Continue reading.  


References

References
1   AÜG vom 7. August 1972 (BGBl. Teil 1 S. 1393)
2 BVerfG a.a.O.
3 Muster können aus dem Internet heruntergeladen werden
4 § 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, 5 AÜG  i.d.F. v. 7.8.1972.
5 so genannter Annahmeverzug, der für jeden Arbeitgeber gilt, § 615 Satz 1 BGB, der nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG bei einem Leiharbeiter nicht durch Vertrag aufgehoben oder eingeschränkt werden kann
6 Bei Verletzungen von Vorschriften  dieses Gesetzes drohen überdies  Bußgelder (§ 16 AÜG) und andere Sanktionen (z.B. Strafen wegen Steuerhinterziehung oder Beitragshinterziehung, weil Steuern oder Beiträge zur Sozialversicherung nicht abgeführt werden
7 § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972; die Erlaubnis erteilt die Bundesagentur für Arbeit (§ 17 AÜG
8 Minister Arndt in Bundestagsdebatte v. 21.06.1972 BT-Protokolle 6. Wahlperiode 194. Sitzung S. 11379
9 §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 AÜG i.d.F. v. 7.8.1972
10 Ein Beispiel: „Sowohl im Jahr 1978 als auch im Jahr 1979 wurde beobachtet, dass vor Feiertagen, insbesondere in der Weihnachts-/Neujahrswoche eine ungewöhnlich große Anzahl von Leiharbeitnehmern ihre Arbeitsverhältnisse mit Verleihern kündigte, nach Ablauf der Feiertageszeit von den Verleihern jedoch wieder eingestellt wurde. In einigen Fällen ist die Bundesanstalt für Arbeit diesem Verhalten der Leiharbeitnehmer, das wegen des Verlustes der Ansprüche auf Lohnfortzahlung für die Feiertage wirtschaftlich nicht verständlich ist, nachgegangen, um festzustellen, ob von den Verleihunternehmen Druck auf die Leiharbeitnehmer ausgeübt wurde. Ein derartiger Druck konnte jedoch nicht festgestellt werden. Soweit sich die Leiharbeitnehmer überhaupt äußerten, erklärten sie, von sich aus die Kündigung ausgesprochen zu haben. Es drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass diese Kündigungen nicht ohne Zutun der Verleiher erfolgten.“ (Vierter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 12.09.1979 Drs. 8/4479, S. 14.).