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Ist die Einstufung der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutzes als “linksextremistisch beeinflusst” widerlegt?

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3. November 2020 von benhop

In der Zeitung der VVN-BdA antifa[1] antifa BEILAGE September/Oktober 2020 berichtet die Bundesprecherin der VVN-BdA Cornelia Kerth  über ein Gespräch mit dem Berliner Finanzamt für Körperschaften. Der stellvertretende Vorsteher dieses Finanzamtes habe betont, dass die VVN-BdA  in einer Phase sei, in der es „nicht mehr darum ginge Zweifel an der Schlüssigkeit der vom Inlandsgeheimdienst vorgetragenen Behauptungen aufkommen zu lassen“, sondern dass die VVN-BdA diese Behauptungen nunmehr so widerlegen müssten, dass keine Zweifel an der Darstellung der VVN-BdA möglich seien.

In dem Gespräch der VVN-BdA mit dem Berliner Finanzamt referierte die Sachgebietsleiterin, was die VVN-BdA widerlegen müsse: „„kommunistischer Faschismusbegriff“, Einfluss der DKP, Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären,  Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden“[2]antifa BEILAGE September/Oktober 2020

Das ist genau das, was im Verfahren vor der Bayrischen Verwaltungsgerichtsbarkeit der Bayrische Verfassungsschutz als Indizien für seine Einstufung der VVN-BdA vorgetragen hatte[3]VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221. Kein anderes Bundesland und auch nicht der Bundesnachrichtendienst stufen die VVN-BdA noch als  linksextremistisch ein[4]Thomas Willms “Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA”, vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und gesellschaftspolitik Nr. 229 (59(1, S. 125-132, 126)). Wenn der Verfassungsschutz von 15 anderen Bundesländern und auch der Bundesnachrichtendienst die VVN-BdA nicht mehr als linksextremistisch einstufen, dann müsste schon alleine diese Tatsache die Einstufung der VVN-BdA als „linksextremistisch“ durch den bayrischen Verfassungsschutzes nachhaltig erschüttern.

Selbst wenn man die bestehenden rechtlichen Grundlagen ausgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum die Behauptungen, die der Verfassungsschutz als “tatsächliche Anknüpfungspunkte” anführt, auch nur die Wertung  linksextremistischen beeinflusst’ rechtfertigen sollen.

Wir wollen die einzelnen Punkte durchgehen:

a. “kommunistischen Antifaschismusbegriff

Wir haben dargelegt, dass ein “kommunistischen Antifaschismusbegriff” kein Anknüpfungspunkt ist, siehe unsere entsprechenden Ausführungen. Die VVN-BdA hat kein von einer einheitlichen Weltanschauung geprägtes Verständnis von Faschismus und Antifaschismus und im Übrigen erklärte die CDU unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg selbst: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“. Der VVN-BdA lehnt es ab, mit dem bayrischen Verfassungschutz zwischen guten und schlechten Antifaschistinnen und Antifaschisten zu diferenzieren und sich so spalten zu lassen.

b. Einfluss der DKP

Till Müller-Heidelbeg schreibt zum Einfluss der DKP in der Bayrischen VVN-BdA: “Nach den Zahlen des Verfassungsschutzes sind wenig als 7% der Mitglieder der VVN-BdA auch Mitglieder der DKP Wie sollen diese denn die übrigen 93% Mitglieder linksextremistisch beeinflussen oder dominieren? Dasselbe gilt für den Vorstand. Von den drei Mitgliedern des Sprecherkreises des Landesvorstandes ist evtl. ein Mitglied auch Mitglied der DKP, ohne dort aber irgendeine Funktion zu haben. Und von den insgesamt 15 Mitgliedern des Vorstandes der VVN-BdA Landesvereinigung Bayern haben gerade drei Mitglieder auch eine Mitgliedschaft in der DKP. Die übrigen Vorstandsmitglieder sind parteilos oder gehören anderen, im Bayrischen Landtag vertretenen, Parteien an, so dass von einer DKP-Beeinflussung nicht die Rede sein kann. Der Landesverfassungsschutzbericht verschweigt auch geflissentlich , dass vier bayrische Landtagsabgeordnete und mindestens eine bayrische SPD-Bundestagsabgeordnete Mitglied der VVN-BdA sind. Dass nach der Argumentation von Verfassungsschutz und Finanzamt die VVN-BdA folglich sozialdemokratisch beeinflusst oder dominiert ist, wird verständlicherweise von diesen im Prozess vor dem Finanzgericht München nicht vorgetragen”[5]in Kerth/ Kutscha “Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? – Ein Geheimdienst und seine Praxis”Köln 2020, S. 115, 119 f..

Abgesehen davon, dass also der bayrische Verfassungsschutz den Einfluss von DKP Mitgliedern in der VVN-BdA übertreibt, sind Mitglieder der DKP in der VVN-BdA prinzipiell kein Anknüpfungspunkt dafür, dass die VVN-BdA Bestrebungen fördert, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. In den Konzentrationslagern haben Menschen mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen zusammen gestanden. Das hat im KZ- Buchenwald schließlich zur Befreiung durch die Häftlinge selbst geführt, kurz bevor sie von der amerikanischen Armee befreit wurden. An diesem Erbe, das in dem Schwur von Buchenwald seinen Ausdruck gefunden hat, hält die VVN-BdA fest. Das Problem ist nicht die DKP, sondern der Begriff “Extremismus” und die darin enthaltende Gleichsetzung von links und rechts, Opfer und Tätern, Mörder und Ermordeten.

c. Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären

Als tatsächlicher Anhaltspunkt wird noch angeben: “Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären”. Als Beispiel wird unter anderen diese Äußerung aus einer Rede auf dem 4. Bundeskongress im Jahr 2011 zitiert: „Faschismus ist im Deutschen ein mehrdeutiges Wort: es bezeichnet eine Organisation, Bewegung oder Partei, eine Ideologie und eine Staatsform, die faschistische Diktatur genannt wird. Und diese Diktatur ist eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft. Das ist das Wesen der Sache und des Streits. Eine Ausprägung neben anderen: der konstitutionellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder auch dieser oder jener Form autokratischer Herrschaft. In welchen Formen die bürgerliche Gesellschaft ihren staatlichen Rahmen findet, hängt nicht in erster Linie von Überzeugungen ab, wiewohl die beim Handeln von Menschen immer im Spiele sind, sondern davon, welche von ihnen den in der Gesellschaft dominierenden Interessen und deren Verfechtern dient, sie fördert und womöglich auch sichert“.

Der Verfassungsschutz und mit ihm das Verwaltungsgericht würdigt diesen Ausschnitt aus der Rede eines “maßgeblichen Vertreters der marxistischen Faschismustheorie innerhalb der der VVN-BdA” so: “Dieses spezifische Verständnis von „Antifaschismus“ der DKP und in der VVN-BdA erinnert an den „Antifaschismus“ als Staatsdoktrin der ehemaligen DDR, wonach alle nicht-sozialistischen Staaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, „faschistisch“ waren (siehe auch die Bezeichnung der ehemaligen Berliner Mauer als „antifaschistischer Schutzwall“). Es setzt sich fort in den zu Beginn der 1980er-Jahre entstandenen …-Gruppen, die sich auch auf die autonome Szene erstrecken”.

Diese Auslegung des zitierten Ausschnitts einer Rede auf dem 4. Bundeskongress ist eine grobe Verfälschung des Gesagten. Nirgendwo im Text wird behauptet, dass alle nichtsozialistischen Staaten faschistisch waren. Der Text stellt die unbestreitbare Tatsache fest, dass der Kapitalismus, also eine Wirtschaft, in der privatkapitalistische Unternehmen vorherrschen, unter den verschiedensten Staatsformen existiert hat, unter der konstituellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder eben auch unter der faschistischen Diktatur. Der einfache Gedanke, der sich einem Leser, der nicht beim Verfassungsschutz arbeitet, beim Lesen des zitierten Redeausschnitt aufdrängt, ist: Was ist an diesem Text falsch? Will der Verfassungsschutz und das Verwaltungsgericht München nur den berühmten Satz von Rosa Luxemburg bestätigen, dass revolutionär ist, zu sagen, was ist?

Der nächste Gedanke, der sich aufdrängt: Eine kapitalistische Wirtschaft ist nicht schon aufgrund dieser Wirtschaftsform vor eine faschistischen Diktatur geschützt. Es ist eher so, dass vor allem das große Kapital für die Ablösung der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik durch die faschistische Diktatur zumindestens stark mitverantwortlich war. Das war jedenfalls gleich nach dem 2. Weltkrieg bis in die CDU hinein Konsens. Die größte deutsche Gewerkschaft, die IG Metall, fordert in ihrer Satzung die “Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschende Unternehmungen in Gemeineigentum” und beruft sich damit auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der diese Möglichkeit eröffnet. Will etwa demnächst der Verfassungsschutz auch die IG Metall als linksextremistisch einstufen?

“Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral” erklärte das Bundesverfassungsgericht mehrfach, vor allem auch unter Berufung auf Art. 15 des Grundgesetzes mehrfach[6]BVerGE 4, 7/17; 7, 377/400; 50, 290/338; siehe Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in “Gün,Hopmann,Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht” S. 136, 139. Das Grundgesetz fordert den Sozialstaat, aber keineswegs die Marktwirtschaft[7] Andreas Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in Gün, Hopmann, Niemerg (Hrsg.) “Gegenmacht statt Ohnmacht” Hamburg 2020 S. 136, 139. Auch der Verfassungsschutz muss das respektieren, so jedenfalls die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE[8]siehe Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen … Continue reading.

Das Verwaltungsgericht München unterstellt der Antifaschismus-Arbeit der VVN-BdA als Ziel, „den Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“. Mit dieser Definition der freiheitlich demokratischen Grundordnung als ausschließlich kapitalistisches System setzen sich jedoch Verfassungsschutz und Verwaltungsgericht München selbst in Widerspruch zum Grundgesetz und begeben sich damit in die Verfassungswidrigkeit. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach hervorgehoben, dass das Grundgesetz nicht auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem festgelegt ist[2]. Wenn das Verwaltungsgericht München in diesem Zusammenhang erklärt, die Parole “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen” diene “schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen”, ist das nicht nur eine Beleidigung der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, sondern aller, die unter Berufung auf den Schwur von Buchenwald gegen Unterdrückung und Krieg kämpfen. Die Gleichsetzung von freiheitlich demokratischer Grundordnung und kapitalistischem System ist grundgesetzwidrig, während diejenigen, die sich auf den Schwur von Buchenwald berufen und den Faschismus mit seinen Wurzeln beseitigen wollen, im Einklang mit dem Grundgesetz handeln. Sie erkennen in unserer Verfassung einen antifaschistischen Auftrag, den es umzusetzen gilt. Sie fühlen sich damit den besten Traditionen dieses Landes verpflichtet.

Alle vom Berliner Finanzamt genannten “tatsächlichen Anknüpfungspunkte” sind widerlegt – im Wesentlichen in dem Sinne, dass die behaupteten Tatsachen keine Anknüpfungspunkte dafür sind, dass die VVN-BdA “Bestrebungen fördert, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten”, wie es in der Abgabenordnung als Voraussetzung für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit gefordert wird.

Nicht die VVN-BdA muss sich ändern. Das Verständnis unseres Grundgesetzes muss sich ändern. Nicht der Schwur von Buchenwald, sondern der Extremismus-Begriff in seiner Anwendung gegen Demokraten und Sozialisten ist verfassungswidrig.

References

References
1  antifa BEILAGE September/Oktober 2020
2 antifa BEILAGE September/Oktober 2020
3 VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221
4 Thomas Willms “Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA”, vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und gesellschaftspolitik Nr. 229 (59(1
5 in Kerth/ Kutscha “Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? – Ein Geheimdienst und seine Praxis”Köln 2020, S. 115, 119 f.
6 BVerGE 4, 7/17; 7, 377/400; 50, 290/338; siehe Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in “Gün,Hopmann,Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht” S. 136, 139
7 Andreas Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in Gün, Hopmann, Niemerg (Hrsg.) “Gegenmacht statt Ohnmacht” Hamburg 2020 S. 136, 139
8 siehe Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung”, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2303/230324.html).

d. Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden

Und schließlich bleiben noch als tatsächliche Anhaltspunkte: “Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden“. Wir haben dazu ausführlich Stellung genommen: Der Aufruf zur Blockade in Dresden im Jahr 2010 ist kein Anknüpfungspunkt für eine Einstufung als “linksextremistisch beeinflusst” und auch nicht ein Grund für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Es bleibt nichts, was der VVN-BdA vorzuwerfen wäre. Die Meinung des Bundesverfassungsgericht, die Demonstrationsfreiheit schütze auch Nazi-Aufmärsche, ist unvereinbar mit der antifaschistischen Prägung des Grundgesetzes.

Fazit:

Die Anwendung “extremistisch” bzw. “extremistisch beeinflusst” auf die VVN-BdA vollzieht das Verwaltungsgericht München so, dass es zunächst zwischen guten und schlechten Antifaschisten differenziert und dann keine Probleme hat, die älteste und größte antifaschistische Organisation VVN-BdA als schlechte, also extremistische Organisation einzuordnen, die den Rechtsextremismus lediglich als “vordergründige Aktivität” bekämpft:

Nach verfassungsschutzrechtlicher Bewertung des Bundes (siehe etwa Verfassungsschutzbericht 2010 des Bundesministeriums des Innern, Internet) ist das Ziel der sogenannten Antifaschismus-Arbeit – in linksextremistischen Organisationen – „der Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“; die Bekämpfung des Rechtsextremismus sei dabei lediglich eine vordergründige Aktivität. Die in diesem Zusammenhang oft geäußerte Parole „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ (siehe hierzu ausführlich Klageerwiderung, Abschnitt 1.4.3.6) erscheint damit in einem anderen Licht. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, dient die Parole schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen. Die Deutungshoheit darüber, was unter „Faschismus“ zu verstehen ist, nehmen die genannten Gruppen für sich in Anspruch”((VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221