Zum Beschluss des Bundestages vom 7. November 2024  „Nie wieder ist jetzt …“

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Die folgende Stellungnahme zum Beschluss des Bundestages vom 7. November 2024  „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ dient der Vorbereitung eines Beschlusses des VVN-VdA zu diesem Thema.

1. Am 7. November 2024 beschlossen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren gemeinsamen eingebrachten Antrag mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken.“[1] Die AfD stimmte diesem Antrag zu, die Linke enthielt sich und die BSW stimmte gegen diesen Antrag.

2. Nach einer kurzen Einführung (I.) geben wir eine Übersicht über die völkerrechtliche Bewertung der Politik Israels in den besetzen Gebieten (II.) und beschäftigen uns dann mit dem Beschluss des Bundestages (III.).

I.    Zur Einführung ein Beispiel: Berlinale-Preisverleihung am 24. Februar 2024

3. Im Mittelpunkt des Beschlusses des Bundestages steht die Bekämpfung des Antisemitismus. Es kommt dabei darauf an, was der Beschluss unter Antisemitismus versteht.

4. In dem Beschluss des Bundestages heißt es: „Auch in den Reihen von Kunst und Kultur sowie der Medien darf es keinen Raum für Antisemitismus geben. Die Ursachen und Hintergründe der großen Antisemitismusskandale der letzten Jahre in diesen Bereichen, insbesondere auf der ‚documenta fifteen‘ und der Berlinale im Februar 2024 müssen umfassend aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen werden. Dort, wo die Bundesregierung dies bereits in Angriff genommen hat – zum Beispiel durch Sensibilisierungsmaßnahmen und Codes of Conduct für die bundesgeförderten Einrichtungen in Bezug auf Antisemitismus – begrüßt der Deutsche Bundestag dies.“[2]  

5. Wie wollen uns genauer ansehen, was auf der Berlinale im Februar 2024 geschehen ist und ob es sich dabei um einen der „großen Antisemitismusskandale“ handelte, wie in dem Bundestagsbeschluss behauptet wird. Wir legen dabei die Berichterstattung der Tagesschau, Stand 26.02.2024 08:24 Uhr und 13:51 zugrunde[3].

6. Während der Preisverleihung konnte man auf dem Rücken einer Jurorin die Losung „Ceasefire Now“ („Waffenstillstand jetzt“) lesen. Man sah auch einen Menschen auf seinem Sitz mit erhobener geballter Faust. Der Film „No Other Land“ wurde mit dem Berliner Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet[4]. Der Film beschreibt das Handeln des jungen palästinensischen Aktivisten Basel Adra aus Masafer im Westjordan; Häuser der Palästinenser werden von der israelischen Armee mit Bulldozern abgerissen. Basel Adra ist nicht nur Aktivist, sondern auch einer der vier Regisseure des Films. Er erklärte während der Preisverleihung: „Es ist sehr schwer zu feiern, wenn zehntausende Menschen in Gaza gerade von Israel massakriert werden.“ Er richtete einen Appell an Deutschland, keine weiteren Waffen an Israel zu liefern. Dafür erhielt er Applaus. Sein Co-Regisseur, der israelische Journalist Yuval Abraham, sprach von „Apartheid“ im Westjordanland. Und Regisseur Ben Russel im Palästinensertuch: „Natürlich stehen wir hier auch auf für das Leben. Waffenstillstand jetzt! Natürlich sind wir gegen den Genozid. Wir stehen in Solidarität mit all unseren Kameraden.“ Auch hierfür gab es Applaus. Die Festivalleitung hatte zum Beginn des Abends erklärt: „Wir fordern Hamas auf, die Geiseln freizulassen, und wir fordern Israel dazu auf, alles erdenklich Mögliche zu tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen.“

7. Danach hagelte es Kritik. Der israelische Botschafter Ron Prosor: „Antisemitische und israelfeindliche Äußerungen.“ „Die deutsche Kulturszene rolle den roten Teppich ausschließlich für Künstler aus, die sich für „Israels Delegitimierung“ einsetzten. Der Zentralrat der Juden schrieb, dass bei der Berlinale „schon wieder eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen in Deutschland für ideologische Zwecke gegen Israel und Juden“ missbraucht worden sei.  „Hetze gegen Israel und Juden auf den deutschen Kulturveranstaltungen ist eine erschreckende Regelmäßigkeit geworden“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der ‚Bild‘. „Schon wieder ducken sich bei der Berlinale viele politisch Verantwortliche weg und haben nicht den Mut, gegen Applaus für Israelhass aufzustehen.“ Kanzler Olaf Scholz teile die Meinung, dass „eine derart einseitige Positionierung so nicht stehen gelassen werden kann“, sagte die stellvertretende Pressesprecherin Cristiane Hoffmann. Die Stellungnahme der Festivalleitung zum Beginn des Abends sei viel zu wenig gewesen, so die Kritiker. Sie hätte sofort gegen die Kritik an Israel Stellung nehmen müssen. Die mit öffentlichen Geldern geförderte Berlinale sende ein einseitiges Bild in die Welt. 

8. Kulturstaatsministerin Roth fordert Aufklärung. Antisemitisch waren die Äußerungen auf der Veranstaltung zur Preisverleihung nach Meinung des Direktors der Anne Frank-Stiftung nicht, aber „eindeutig antiisraelisch“. 

9. Die Berlinale sieht die Schuld auch mit zwei Tagen Abstand nicht bei sich, wenngleich sie sich auch differenziertere Äußerungen gewünscht hätte, berichtet die Tagesschau. Mariette  Rissenbeck, Leiterin Filmfestival Berlinale: „Es gab eine Richtlinie, dass antisemitische Hetze oder auch das Existenzrecht vom Staat Israel in Frage stellenden Bemerkungen oder Anmerkungen nicht toleriert werden sollten.“ Aber solche Verstöße habe es nicht gegeben, so die Berlinale.

Zoé Claire Miller vom Berufsverband bildender Künstler in Berlin stellt fest: „dass man immer wieder beobachtet, wie Perspektiven, die in weiten Teilen der Welt als sehr unkontrovers gelten, zum Beispiel die Einforderung eines Waffenstillstands, hier als antisemitisch diffamiert werden.“

10. Die FAZ berichtete zwei Tage später über den Regisseur Yuval Abraham, er habe deutschen Politikern vorgeworfen, durch einen falschen Antisemitismusvorwurf nach seiner Berlinale-Rede ihn und seine Familie in Gefahr gebracht zu haben. „Ein „rechter israelischer Mob“ sei in der vorangegangenen Nacht vor seinem Haus aufgetaucht, enge Familienmitglieder seien bedroht worden und „mitten in der Nacht in eine andere Stadt geflohen““.[5] In einem Beitrag des israelischen Fernsehsenders Kann sei Abrahams Rede in einer Bildunterschrift „antisemitisch“ genannt worden. Er habe daraufhin nach eigenen Angaben Todesdrohungen erhalten und seinen Rückflug nach Israel absagen müssen.[6]

„Mehrere Dutzend Filmemacher veröffentlichten daraufhin ein Solidaritätsschreiben für Abraham. Der Fernsehsender zog seinen Beitrag am Montag zurück. In einer Mitteilung hieß es, es „wäre besser gewesen, wenn wir die Bildunterschrift anders formuliert hätten“.

Abraham prangerte den deutschen Diskurs im Zusammenhang mit der Berlinale mit scharfen Worten an. An deutsche Politiker gerichtet, schrieb er, man könne das, was er und Adra auf der Bühne gesagt hatten, kritisieren, „ohne uns zu dämonisieren“.

In Deutschland gebe es aber einen „entsetzlichen Missbrauch“ des Wortes Antisemitismus – „nicht nur, um palästinensische Kritiker Israels zum Schweigen zu bringen, sondern auch, um Israelis wie mich zum Schweigen zu bringen, die den Waffenstillstand unterstützen, der das Töten in Gaza beendet und die Freilassung der israelischen Geiseln ermöglicht“, schrieb er.

Das „entleert das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung und gefährdet damit Juden auf der ganzen Welt“. Als Nachkomme von Holocaustüberlebenden empfinde er es als besonders skandalös, dass deutsche Politiker den Begriff gegen ihn in Stellung brächten und damit auch seine Familie in Gefahr gebracht hätten, kritisierte Abraham. Vor allem aber sei er um das Wohlergehen al-Adras besorgt, der unter Militärbesatzung lebe, in einer Gegend voller gewaltbereiter Siedler.“[7]

11. Ein anderer der vier Regisseure, der Palästinenser Hamdan Ball, wurde drei Wochen, nachdem der Film im Jahr 2025 mit einem Oscar prämiert wurde, von der israelischen Armee verhaftet, nachdem maskierte Siedler sein Haus angegriffen hatten. Fünf jüdisch-amerikanischen Aktivisten, die den Angriff miterlebten, berichteten, Hamdan Ballal sei von einer Gruppe von etwa 15 bewaffneten Siedlern in Susya im Masafer Yatta-Gebiet südlich von Hebron umzingelt und angegriffen worden, berichtete der Guardian: „«Sie begannen, Steine auf Palästinenser zu werfen und zerstörten einen Wassertank in der Nähe von Hamdans Haus», sagte Joseph von den Aktivisten des Zentrums für jüdische Gewaltfreiheit, die aus Sicherheitsgründen darum baten, seinen vollen Namen nicht zu verwenden. Die Zeugen sagten, dass eine Gruppe von Soldaten zusammen mit anderen Siedlern in Militäruniform am Tatort ankam, die Hamdan zu seinem Haus jagten und ihn dem Militär übergaben. Basel Adra, der Zeuge des Anschlags in Susya wurde, bezeichnete die Gewalt als „entsetzlich“. „Es gab Dutzende von Siedlern zusammen mit den israelischen Soldaten und sie bedrohten uns mit Waffen“, sagte er. „Die Polizei war von Anfang an da und griff nicht ein. Während die Soldaten ihre Waffen auf uns richteten, griffen die Siedler die Häuser der Palästinenser an.“

12. Im November 2024 wurde der Film „No Other Land“ auf dem „offizielle Hauptstadtportal des Landes Berlin“ [8] mit folgenden Worten angekündigt: «Fertiggestellt wurde der Film, der antisemitische Tendenzen aufweist, 2023, nach dem Angriff der Hamas auf Israel, der in dieser Dokumentation keinen Niederschlag findet.»[9] Tatsächlich aber wird der Angriff der Hamas am Ende des Films durch die Einblendung von Nachrichtenschnipseln erwähnt.

Der Regisseur Yuval Abraham erklärte nach der Vorstellung des Films: «Ich fühle mich nicht sicher und nicht willkommen in Berlin». Er sei schockiert. «Ich möchte rechtlich dagegen vorgehen, denn ich kann nicht darüber hinwegsehen und zulassen, dass diese hasserfüllten Kommentare und der Missbrauch dieses Wortes weitergeht», sagte er. Er könne nicht zulassen, dass das Wort Antisemitismus weiterhin so missbraucht werde. Ein Großteil seiner Familie sei im Holocaust ermordet worden, das Wort Antisemitismus habe deswegen eine sehr persönliche Bedeutung für ihn.[10]

13. Zunächst wurde in einer ersten Korrektur die Passage gekürzt und die Beschreibung «antisemitische Tendenzen» gestrichen: «Fertiggestellt wurde der Film 2023, nach dem Angriff der Hamas auf Israel.»[11] Später wurde auch dieser Satz gestrichen und durch folgenden Satz ersetzt: «Im Mittelpunkt steht das Leben der Palästinenser im Westjordanland und ihr Leiden unter der israelischen Besatzung. »[12]

Schon die erste Korrektur war einen Tag später um den Hinweis ergänzt worden: «In einer früheren Version des Textes hieß es, dass dieser Film «antisemitische Tendenzen aufweist». Diese Bewertung war falsch und unzulässig. Sie wurde deshalb entfernt. «Berlin.de» bittet diesen Fehler zu entschuldigen.» [13]

14. Dieses Beispiel zeigt: Kritik an der Politik der israelischen Regierung wird als Antisemitismus geächtet und damit versucht, Kritik an der Politik der israelischen Regierung abzuwehren und die Kritiker mundtot zu machen. Wenn jedoch das, was auf der Berlinale am Abend der Preisverleihung gesagt wurde, mit den Beschlüssen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag verglichen wird, so zeigt sich, dass nichts über das hinausgeht, was der Internationale Gerichtshof in Den Haag festgestellt hat.

Wir wollen im Folgenden kurz die Feststellungen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag über die Politik und Praktiken Israels zusammenfassen.      

II.  Die Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag

15. Um zu verhindern, dass Israel gegen die Völkermordkonvention verstößt, ordnete der Internationale Gerichtshof in Den Haag auf Antrag von Südafrika am 26. Januar 2024 vorläufige Maßnahmen gegen Israel an.[14]

In der Begründung werden zunächst die verbotenen Handlungen vorgestellt, durch die ein Völkermord definiert ist. Außerdem kommt es darauf an, dass diese verbotenen Handlungen „in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten“[15]. Nach dieser Beschreibung, was ein Völkermord ist, zählt der Gerichtshof konkret Erklärungen von UN-Gremien und dokumentierte Aussagen hoher israelischer Beamter auf, aus denen sich für den Gerichtshof plausibel ergibt: Israel erfüllte die Merkmale, die einen Völkermord kennzeichnen. Es ist für den Gerichtshof plausibel, dass Israel in der Absicht, die Gruppe der Palästinenser im GAZA zu vernichten, getötet, zerstört und vertrieben und die Palästinenser im Gaza-Streifen in dieser Absicht vom Zugang zu Wasser, Lebensmitteln, Brennstoff, Strom und anderen lebenswichtigen Gütern sowie der Versorgung mit medizinischen Gütern abgeschnitten hat.

Es war also plausibel, dass Südafrika von Israel die Einhaltung der Verpflichtungen nach der Völkermordkonvention verlangte. Am 24. Mai 2024 verschärfte der Internationale Gerichtshof seinen Beschluss und forderte Israel auf, die Militäroffensive in der Stadt Rafah „sofort“ zu beenden.[16]

16. Schon der Antrag Südafrikas[17], der dieses Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Gang setzte, zeichnet sich durch eine überwältigende Fülle von Belegen aus, die den Vorwurf des Völkermordes plausibel machen. Erst nach Jahren ist eine endgültige Entscheidung zu erwarten.

 „Südafrika ist sich bewusst, dass Völkermord unweigerlich Teil eines Kontinuums ist – wie Raphaël Lemkin sagte, der den Begriff “Völkermord” der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes entwickelte … Aus diesem Grund ist es wichtig, die Akte des Völkermords in den breiteren Kontext des Verhaltens Israels gegenüber den Palästinensern während seiner 75-jährigen Apartheid, seiner 56-jährigen lang andauernden kriegerischen Besetzung palästinensischer Gebiete und seiner 16-jährigen Blockade des Gazastreifens zu stellen, einschließlich der schwerwiegende und andauernde Verstöße gegen das Völkerrecht in diesem Zusammenhang …“.[18]

17. Es sei daran erinnert, dass Israel eng mit dem Apartheid-Regimes Südafrikas zusammenarbeitete. Dagegen unterstützt seit jeher der Afrikanische Nationalkongress die palästinensische Sache. Der erste demokratisch gewählte Präsident des Landes, Nelson Mandela, sagte: „Wir wissen nur zu gut, dass unsere Freiheit ohne die Freiheit der Palästinenser unvollständig ist.“[19]

Deutschland kündigte in dem Verfahren Südafrika gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag im Januar 2024 an, sich als «Drittpartei» auf die Seite Israels zu stellen[20].

18. In einem Gutachten[21] vom 19. Juli 2024, das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegeben wurde, befasste sich der Internationalen Gerichtshofs in Den Haag mit der Politik und den Praktiken Israels in den besetzten Gebieten einschließlich Ostjerusalems, mit der Siedlungspolitik, mit der Frage der Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete, der diskriminierenden Gesetzgebung und der Frage der Selbstbestimmung. Die rechtliche Bewertung ergab: Die Präsenz Israels in diesen besetzten Gebieten einschließlich Ostjerusalems ist rechtswidrig. Der Internationale Gerichtshof stellt daher fest, 

  • dass der Staat Israel verpflichtet ist,
    • seine rechtswidrige Tätigkeit Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich zu beenden;
    • unverzüglich alle neuen Siedlungsaktivitäten einzustellen und alle Siedler aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu evakuieren;
    • den Schaden für alle betroffenen natürlichen oder juristischen Personen in den besetzten palästinensischen Gebieten wiedergutzumachen;
  • dass alle Staaten verpflichtet sind,
    • … keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die der Staat Israel durch seine fortgesetzte Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten geschaffenen hat.

19.  Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, Karim Khan, beantragte einen internationalen Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant. Der Internationale Strafgerichtshof hat inzwischen einen Haftbefehl gegen Netanjahu erlassen.

20.  Deutschland ist also verpflichtet, „keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die der Staat Israel durch seine fortgesetzte Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten geschaffenen hat“ (siehe oben unter 18.) und Netanjahu, sollte er Deutschland besuchen, festzunehmen und nach den Haag zu überstellen. Merz kündigte jedoch an, „Mittel und Wege zu finden, dass Netanjahu Deutschland besuchen und wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen wird“. Damit kündigt Merz offen einen Rechtsbruch an; denn das deutsche Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet in § 2 Deutschland zur Festnahme Netanjahu und seiner Überstellung nach den Haag, sollte Netanjahu Deutschland besuchen.[22] Zuständig ist das Bundesjustizministerium, konkret die örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft und das örtlich zuständige Oberlandesgericht. Der Bundeskanzler, das Bundesjustizministerium, die Generalstaatsanwaltschaft sowie das Oberlandesgericht ist an das Gesetz gebunden.  

III.      Der Bundestags-Beschluss vom 7. November 2024

21. Schon vor dem Bundestagsbeschluss vom 7. November 2024 erhoben sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Gastbeitrag in der FAZ gegen die „umstrittene Arbeitsdefinition des Antisemitismus“ Bedenken und machten Vorschläge zur Änderung des Antragstextes. In einem offenen Brief unterstützten danach tausende Einzelpersonen und zahlreiche Organisationen aus der Zivilgesellschaft diese Änderungsvorschläge. Doch diese Kritik prallte an den Bundestagsparteien in ihrer übergroßen Mehrheit ab. Das Parteienkartelle der Antragsteller scheint gegen jede öffentliche Kritik immun zu sein.   

22.  In dem Bundestagsbeschluss wird zunächst unterstrichen, dass die Bekämpfung des Antisemitismus eine „gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten darstellt“.[23] Auf den folgenden Seiten werden jedoch vor allem Maßnahmen gefordert, die von den staatlichen Einrichtungen ausgehen sollen. Es wird an die Einrichtungen des Bundes, der Länder und Kommunen appelliert[24].

Dabei richtet sich der Beschluss nicht nur gegen Antisemitismus, der im deutschen Faschismus in der Entrechtung und Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden mündete[25] und deren Bekämpfung auch eine Verpflichtung gegenüber der gegenwärtigen Existenz jüdischen Lebens[26] ist, sondern auch vor allem darauf, die Kritiker der Politik Israels mundtot zu machen. Dazu dient der Begriff „israelbezogener Antisemitismus“. Diese Vermischung ergibt einen jedes Recht tötenden Cocktail. 

A. „Israelbezogener“ Antisemitismus

23. Der Beschluss des Bundestages beruft sich auf eine Definition von Antisemitismus nach der sogenannten IHRA-Arbeitsdefinition: „In diesem Zusammenhang sind der Beschluss der Bundesregierung vom 20. September 2017, der die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus politisch bekräftigt, und der  Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, in dem sich der Bundestag zur IHRA-Arbeitsdefinition bekennt, als maßgeblich heranzuziehen.“

Dazu erklären jüdische Organisationen der ganzen Welt in einer gemeinsamen Stellungnahme: 

“Wie in früheren Resolutionen und Erklärungen wird die Arbeitsdefinition des Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als Messlatte für die Bestimmung des Antisemitismus herangezogen. Es gibt inzwischen unzählige Texte von Wissenschaftler:innen, die die Definition kritisieren, und selbst einer ihrer Hauptautor:innen, Kenneth Stern, hat seine Bestürzung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Definition verwendet wird, um Widerstand gegen die israelische Politik zu ersticken. In ähnlicher Weise haben Expert:innen aus dem juristischen, kulturellen und akademischen Bereich vor dieser Resolution gewarnt …”[27]

Es wird zu Recht gefragt: „… ist nicht das eigentliche Problem, dass dieser Wildwuchs an Definitionen eine an und für sich vollkommen klare Sachlage – “Judenfeindlichkeit ist kategorisch abzulehnen” – wie etwas Kompliziertes aussehen lässt?“[28]

24. Wenn man es also für notwendig hält, überhaupt eine der zahlreichen Definitionen von Antisemitismus heranzuziehen, so ist alle Male die sogenannte Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus[29]der IHRA-Arbeitsdefinition[30] vorzuziehen, weil die Jerusalemer Erklärung einen israelbezogenen Antisemitismus ausschließt; die Jerusalemer Erklärung wurde als Kritik an der IHRA Arbeitsdefinition entwickelt.

Antisemitismus war und ist die Bekämpfung von Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden, niemals aber die Kritik und Bekämpfung israelischer Völkerrechtsverletzungen. Wenn wir die Völkerrechtsverletzungen der israelischen Regierung anklagen, hat das nichts mit Antisemitismus zu tun, weil es dabei eben nicht um die Bekämpfung von Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden, sondern um die Bekämpfung von schwersten Völkerrechtsverletzung durch die israelische Regierung geht. Die Verletzungen des Völkerrechts, die Israel zu verantworten hat, können weder mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 noch mit dem Verteidigungsrecht Israels gerechtfertigt werden, wie die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes und des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag unmissverständlich deutlich machen.

Doch der Beschluss des Bundestages wirft unverdrossen Antisemitismus und Kritik an der israelischen Völkerrechtsverletzungen in einen Topf und stellt „israelbezogenen Antisemitismus“ auf „einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau“[31] fest. 

       B. Antisemitismus durch Zuwanderung

25. Auf dieser Basis wird Antisemitismus auch auf die Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens zurückgeführt:

„In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind.“[32]

Menschen aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens werden so unter Generalverdacht gestellt.

Jürgen Braun (AfD) konnte im Namen seiner Fraktion feststellen: Die AfD warne seit Jahren vor der „islamischen Masseneinwanderung“; denn das sei das „Kernproblem, das das jüdische Leben in Deutschland gefährdet.“[33] Und Beatrix von Storch (AfD), deren Vater während der gesamten Zeit des Faschismus Reichsfinanzminister war[34], assistierte: „Und jetzt das Eingeständnis der ehemaligen Ampelparteien und der Union mit diesem gemeinsamen Antrag zu jüdischem Leben: Ja, der explodierende Judenhass in Deutschland hat etwas mit Einwanderung und mit dem Islam zu tun. Ich kann mich noch gut an Ihrer aller Schnappatmung hier – vor allem bei den Grünen – erinnern, als die AfD vor importiertem muslimischem Antisemitismus gewarnt hat. Jetzt lesen wir in diesem Antrag – mit eingebracht von den Grünen – von Antisemitismus, der auf – Zitat – „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert.“[35]

C. Links-antimperialistischer Antisemitismus

26. Der Bundestags-Beschluss führt Antisemitismus auch auf „vermehrt israelbezogenen links – antiimperialistischen“ Antisemitismus zurück[36].

Beatrix von Storch (AfD) freut sich: „Endlich erkennen Sie an, dass es außer dem von Ihnen mantraartig beschworenen rechtsextremen Antisemitismus auch den gefährlichen von links gibt.“[37].

Dieser behauptete Antisemitismus von links erweitert gleichsam die Extremismusideologie um eine israelbezogene Komponente und verwandelt den Antisemitismus-Vorwurf zu einer Allzweckwaffe zur Verteidigung der völkerrechtswidrigen Politik Israels. Es wird verschwiegen, dass die Linke, einschließlich der antiimperialistischen Linken, überhaupt nur dadurch, dass sie zwischen Antizionismus und Antisemitismus unterscheidet, den Antisemitismus bekämpfen kann, ohne die völkerrechtswidrige Praxis Israels zu rechtfertigen. Die Linke schürt also gerade nicht den Hass auf Juden als Juden, sondern richtet sich gegen die israelische Kolonial-, Siedler und Annexionspolitik.

27. Am Ende des Bundestagsbeschlusses wird die Bundesregierung aufgefordert, sich für die Rechte Israels einzusetzen. Über die Rechte der Palästinenser wird geschwiegen.

„Wir fordern die Bundesregierung auf, weiterhin aktiv für die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel einzutreten …“[38] Seit Jahrzehnten beschließt die UNO immer wieder vergeblich das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Stattdessen vertreibt Israel über Jahrzehnten die Palästinenser von ihrem eigenen Land.

Das Eintreten der Bundesregierung für die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel wird als ein „zentrales Prinzip der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik“ beschrieben und die Bundesregierung aufgefordert, „die Anstrengungen für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung zu verstärken“[39]. „Verhandelte“ Zwei-Staaten-Lösung heißt: Die Bundesregierung soll die Anstrengung für eine Zwei-Staaten-Lösung nur dann verstärken, wenn diese Lösung verhandelt wird oder verhandelt worden ist. Doch diese Verhandlungen lehnt die israelische Regierung ab: Am 18. Juli 2024 verabschiedete die Knesset eine Resolution gegen eine Zwei-Staaten-Lösung, mit den Stimmen der Partei von Benny Gantz, der beansprucht, die politische Mitte zu vertreten[40].

Im Beschluss des Bundestages heißt es weiter: „Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen völkerrechtswidrige Angriffe zu verteidigen und damit die anerkannte Pflicht, seine Bürger unter Wahrung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen vor Terror zu schützen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich weiterhin in internationalen Gremien und gegenüber internationalen Partnern für dieses Recht einzusetzen.“[41]   

Was für eine Verteidigung meint der Bundestagsbeschluss? Die Tötung von inzwischen 50.000 Palästinensern kann niemals als Verteidigung gegen die Angriffen der Hamas vom 7. Oktober 2023 gerechtfertigt werden. Der Internationale Gerichtshof stellte fest, dass „alle Staaten verpflichtet sind, keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die der Staat Israel durch seine fortgesetzte Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten geschaffenen hat“. Deutschland ist nach den USA einer der größten Waffenlieferanten an Israel und liefert bis heute Waffen an Israel[42].

D. Ausweisungen, Abschiebungen, Repressionen und Verbote

28. Der Bundestagsbeschluss fordert: „Die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben ist vollständig und nachhaltig auszufüllen und umzusetzen. Dazu gehört es unter anderem „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“ … Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts -, Asyl – und Staatsangehörigkeitsrecht, um eine möglichst wirksame Bekämpfung von Antisemitismus zu gewährleisten.“[43]

Auch das Wasser auf die Mühlen der AfD.

Beatrix von Storch verkündete: „Und auch der Lösungsvorschlag in Ihrem Antrag geht in unsere Richtung: repressive Möglichkeiten ausschöpfen, insbesondere im Straf- und Staatsbürgerschaftsrecht und im Asyl- und Aufenthaltsrecht. Auf Deutsch: muslimische Antisemiten in den Flieger setzen und ab in die Heimat. „Tschüss!“ und nicht „Auf Wiedersehen!““[44]

 „Dort, wo die Bundesregierung dies bereits in Angriff genommen hat, begrüßt der Deutsche Bundestag dies,“ heißt es dazu im Bundestags-Beschluss. Schon jetzt verbreitet die verstärkte Anwendung repressiver Möglichkeiten Angst.

29. Der Beschluss fordert weiter: „Nun müssen weitere extremistische Organisationen überprüft und, sofern möglich, verboten werden. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss vom 17. Mai 2019 mit dem Titel „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (BT-Drucksache 19/10919) und fordert die Bundesregierung auf, zu dessen Umsetzung die gegen die BDS-Bewegung gerichteten Aktivitäten zu verstärken. Dazu zählt, dass auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS Deutschland geprüft wird.“[45]

Dazu Beatrix von Storch (AfD): „Da müssen Sie nichts prüfen und das Rad neu erfinden; unser Verbotsantrag liegt schon lange vor.“[46]

Nur am Rande sei vermerkt: Ein Vergleich der BDS-Kampagne gegen die Politik Israels mit dem Aufruf der Nazis “Kauft nicht bei Juden!” ist völlig verfehlt. Die BDS Kampagne erinnert auf ihrer Homepage gleich im ersten Satz an das Apartheidregime in Südafrika, gegen das ebenfalls eine Kampagne ins Leben gerufen wurde, die aufrief, Lebensmittel aus Südafrika solange nicht zu kaufen, bis die Apartheid beendet ist[47].

Demensprechend heißt es auf der Homepage der BDS-Kampagne gleich im ersten Satz: “Inspiriert vom Kampf der Südafrikaner*innen gegen Apartheid ruft die palästinensische Zivilgesellschaft zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel auf, bis dieses internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachkommt.“[48]

30. In einer gemeinsamen Erklärung haben jüdische Organisationen aus aller Welt zu dem Ziel, die BDS Kampagne Deutschland zu verbieten, Stellung genommen: „… wie die berüchtigte Anti-BDS-Resolution des Bundestags von 2019 nutzt auch die neue Resolution ihren Status als unverbindliche Erklärung aus, um Forderungen zu stellen, die bei einer tatsächlichen Gesetzgebung eklatant verfassungswidrig wären. Wie die Resolution von 2019 gezeigt hat, reicht der repressive Gehorsam deutscher Institutionen aus, um selbst einen Text ohne Rechtskraft in ein De-facto-Gesetz zu verwandeln, das sich auf die abschreckende Wirkung stützt, die mit jedem potenziellen Vorwurf des Antisemitismus einhergeht. Und während jene Resolution dazu aufrief, die Boykottbewegung zu bekämpfen, zielt diese darauf ab, sie zu verbieten.”[49]

E. Kein Gesetz, aber ein durchschlagender Beschluss

31. Auch für alle anderen Forderungen, die in diesem Bundestagsbeschluss erhoben werden, gilt: Sie haben zwar keine gesetzliche, werden aber eine durchschlagende faktische Wirkung haben.   

Gleichzeitig erschwert die fehlende gesetzliche Wirkung, solche Beschlüsse selbst dann gerichtlich anzugreifen, wenn sie rechtswidrig sind. Auch darauf weist die zitierte Stellungnahme der jüdischen Organisationen hin. Jedenfalls hat bisher eben diese Unverbindlichkeit die Gerichte dazu veranlasst, über solche Beschlüsse nicht zu entscheiden. Nunmehr hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht für nicht zuständig erklärt, über den BDS-Beschluss des Bundestages vom 19. Mai 2019 zu entscheiden. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kann der betroffene Bürger gegen diesen Beschluss nur über eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gerichtlich vorgehen kann[1]https://www.bverwg.de/pm/2025/23. Wie das Bundesverfassungsgericht im Fall einer Verfassungsbeschwerde entscheiden wird, ist offen.

Diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist übertragbar auf den Beschluss des Bundestages vom 7. November 2024. Außerdem bleibt noch die Möglichkeit, gegen jede einzelne angeordnete Maßnahme aus dem Repressions-Katalog dieses Bundestagsbeschlusses vor Gericht zu ziehen. 

       F. Freiheits-Einschränkungen, Vergabe öffentlicher Mittel und Leitfäden

32. Im Bundestags-Beschluss heißt es:

„Der Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen.“[51]

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich gegenüber den Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass sie entsprechende Regelungen implementieren und, sofern noch nicht geschehen, die IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranziehen….

In diesem Rahmen und auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung der Kulturministerkonferenz, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der kommunalen Spitzenverbände vom 13. März 2024 sollen Länder, Bund und Kommunen – soweit noch nicht erfolgt – rechtssichere, insbesondere haushalterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Cunduct und Awarenessstrategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.“[52]

33. Zur Forderung des Bundestagsbeschlusses, dass „keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen“, erinnerte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller an die Förderungsgeldaffäre der ehemaligen Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, und an die Empörung, für die diese Affäre sorgte: „Zu Recht; denn offensichtlich ließ ihr Haus prüfen, ob Hochschullehrenden Fördermittel entzogen werden könnten, die eine kritische Erklärung zur Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin unterstützt haben. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckte Meinungsäußerungen dürfen nicht mit dem Entzug von Fördergeldern bestraft werden – das war die einhellige Kritik der demokratischen Opposition.  …“[53]

34. Die „Lehre aus der Fördergeldaffäre“ müsse sein, dass die Bewilligung von Fördergeldanträgen keine Gesinnungsprüfung vorausgehen darf. „Antisemitismus ist wie jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Kritik an der Politik der israelischen Regierung, zum Beispiel mit Blick auf den aktuellen Krieg in Gaza, muss aber möglich sein, ohne im Bildungsministerium auf eine schwarze Liste zu kommen“, sagte der GEW-Vize.[54]     

35. Die Jüdische Stimme in einer Erklärung vom 6. November 2024, in der sie zu Recht darauf hinweist, dass zunehmend Angst umgeht: „Der gesellschaftliche Kontext, über den wir hier sprechen, wurde schon als „McCarthyianisch“ beschrieben. Und tatsächlich muss man schon jetzt – also auch ohne eine offiziell erlassene Resolution – nur zwei Steine in der deutschen Kunstszene, Wissenschaft und Medienlandschaft umdrehen, um auf Menschen zu stoßen, die Angst davor haben, als Antisemiten bezeichnet zu werden, und sich deshalb nicht kritisch (oder überhaupt) zu Israel-Palästina äußern. Sie wollen ihre Stellung nicht verlieren, sie befürchten Anschuldigungen, Schikanen bis hin zu Karriereverlust. Dabei sind diese Debatten gerade jetzt so unendlich wichtig.“[55]

36. “Trotz der Behauptung, dass die Freiheit der Rede, der Kunst und der Wissenschaft geschützt werden muss, bereitet die Resolution den Boden für eine noch stärkere Einschränkung dieser Freiheiten, als man jetzt schon vielerorts auffindet, insbesondere seit Oktober 2023. Alle großen Parteien sind nun offiziell dafür, die Förderung von Projekten, die den proisraelischen Konsens in Frage stellen, zu unterbinden und alle, die mit solchen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, zum Schweigen zu bringen, auszuladen, zu entlassen oder sogar abzuschieben. Die zentrale Bedeutung dieser Förderung gibt dem Staat immense Zensurbefugnisse, die unweigerlich zu einer zunehmenden Selbstzensur unter denjenigen führen, die Repressionen vermeiden wollen. Angesichts des Rechtsrucks in der deutschen Gesellschaft und Politik wird es nicht lange dauern, bis solche Instrumente in die Hände von Faschisten fallen. Schon jetzt sehen wir, wie die extreme Rechte den Philosemitismus (der selbst ein rassistisches Phänomen ist) zynisch als Deckmantel für den eigenen Rassismus benutzt, und wir wissen nur zu gut, dass diejenigen, die es kaum erwarten können, Muslime abzuschieben, nicht zögern werden, dasselbe mit Jüdinnen und Juden zu tun. Unsere Solidarität mit den Palästinenser:innen setzt uns jetzt schon der Polizeigewalt aus, und der Antisemitismus derjenigen, die uns zwingen wollen, Zionisten zu sein, passt perfekt zum Antisemitismus derjenigen, die uns gerne in Konzentrationslager stecken würden.” [56]


[1] Drucksache 20/13627, https://dserver.bundestag.de/btd/20/136/2013627.pdf   

[2] Drucksache 20/13627, S. 3, 8. Absatz.

[3] Siehe: https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-politik-wertet-israel-kritik-bei-preisverleihung-als- schaden-fuer-die-berlinale-100.html, abgerufen 16.11.2024 um 17:51 Uhr; das entscheidende Video hier: https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesthemen/video-1310090.html 

[4] https://www.berlinale.de/de/archiv/preise-jurys/preise.html/o=desc/p=1/rp=40

[5] Christian Meier, FAZ aktualisiert 28.2.2024 14:39 Uhr: https://www.faz.net/aktuell/politik/nach-berlinale-  rede-morddrohungen-gegen-israelischen-regisseur-19551720.html, abgerufen am 17.11.2024 um 10:07 Uhr 

[6] Christian Meier, FAZ a.a.O.

[7] Christian Meier, FAZ a.a.O.

[8] https://www.berlin.de/wir-ueber-uns/impressum/, abgerufen am 18.11.2024

[9] Siehe FAZ vom 13.11.2024 um 13:14 Uhr: https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/wieder-diskussionen-um-berlinale-film-no-other-land-110108536.html, abgerufen am 18.11.2024

[10] FAZ vom 13.11.2024 um 13:14 Uhr: https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/wieder-diskussionen-um-berlinale-film-no-other-land-110108536.html, abgerufen am 18.11.2024

[11] FAZ vom 13.11.2024 um 13:14 Uhr: https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/wieder-diskussionen-um-berlinale-film-no-other-land-110108536.html, abgerufen am 18.11.2024

[12] https://www.berlin.de/kino/_bin/filmdetail.php/303113, abgerufen am 18.11.2024 um 16:49 Uhr

[13] FAZ vom 13.11.2024 um 13:14 Uhr: https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/wieder-diskussionen-um-berlinale-film-no-other-land-110108536.html, abgerufen am 18.11.2024; siehe auch https://www.berlin.de/kino/_bin/filmdetail.php/303113, abgerufen am 18.11.2024 um 16:49 Uhr

[14] Eine Zusammenfassung unter: https://widerstaendig.de/zusammenfassung-2/#erinnert

[15] https://widerstaendig.de/zusammenfassung-2/#erinnert

[16] https://widerstaendig.de/der-internationale-gerichtshof-hat-entschieden-dass-israel-die-militaeroffensive-in-der-stadt-rafah-sofort-beenden-muss/

[17] https://widerstaendig.de/30096-2/

[18] Einleitung des Antrags Südafrikas ./. Israel unter Ziffer 2 (https://widerstaendig.de/30096-2/#einleitung)

[19] https://www.voanews.com/a/south-africa-to-take-israel-to-top-un-court-on-genocide-claim-in-gaza-/7427539.html

[20] Erklärung der Bundesregierung vom 12.01.2024: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/erklaerung-der-bundesregierung-zur-verhandlung-am-internationalen-gerichtshof-2252842; siehe auch Eyal Weizmann „Drei Genozide“, Juni 2024: https://blnreview.de/en/ausgaben/2024-06/eyal-weizman-genozid-deutschland-namibia-israel, abgerufen am 17,11.2024. Dem Autor ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung inzwischen von dieser Absicht, als Nebenintervenient auf Seiten Israels in dem Verfahren Südafrika ./. Israel vor dem IGH Abstand genommen hat.   

[21] https://widerstaendig.de/19-07-2024-rechtliche-konsequenzen-aus-der-politik-und-praxis-israels-im-besetzten-palaestinensischen-gebiet-einschliesslich-ostjerusalem/

[22] https://www.gesetze-im-internet.de/istghg/BJNR214410002.html

[23] Drucksache 20/13627, S. 1, 1. Absatz; im 3. Absatz auf derselben Seite wird wiederholt: „Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. “

[24] Drucksache 20/13627, S. 3, 10. Absatz.

[25] Drucksache 20/13627, S. 1, 2. Absatz.

[26] Drucksache 20/13627, S. 1, 3. Absatz.

[27] Stellungnahme von Jüdischen Organisationen zum Bundestagsbeschloss gegen Antisemitismus: https://www.juedische-stimme.de/j%C3%BCdische-organisationen-weltweit-verurteilen-die-bundestagsresolution-zu-antisemitismus ; am Ende dieser Stellungnahme sind alle Organisationen aufgelistet, die diese Stellungnahme befürworten.

[28] Jüdische Stimme, Erklärung vom 6.11.2024 zur geplanten Bundestagsresolution:  https://www.juedische-stimme.de/zur-bundestagsresolution-%22nie-wieder-ist-jetzt%22:-f%C3%BCr-einen-konsens-des-neins

[29] https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf, https://jerusalemdeclaration.org/, https://jerusalemdeclaration.org/

[30] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus

[31] Drucksache 20/13627, S. 1, 5. Absatz.

[32] Drucksache 20/13627, S. 2, 1. Absatz.

[33] BT-Protokoll vom 7. November 2024 (20. WP), S. 25716, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20197.pdf  

[34] Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Beatrix_von_Storch

[35] BT-Protokoll vom 7. November 2024 (20. WP), S. 25719, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20197.pdf  

[36] Drucksache 20/13627, S. 1, 5. Absatz.

[37] BT-Protokoll vom 7. November 2024 (20. WP), S. 25719 f., https://dserver.bundestag.de/btp/20/20197.pdf  

[38] Drucksache 20/13627, S. 4, 7. Absatz.

[39] Drucksache 20/13627, S. 4, 7. Absatz.

[40] Siehe die Meldung in „Die Welt“ vom 19.07.2024:  https://www.welt.de/debatte/kommentare/article252592244/Israel-Die-kategorische-Ablehnung-der-Zwei-Staaten-Loesung-ist-ein-Fehler.html; abgerufen am 17.11.2024 um 09:33 Uhr

[41] Drucksache 20/13627, S. 4, 8. Absatz.

[42] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/waffen-israel-deutschland-100.html, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/ruestungsexporte-ausgeweitet-deutschland-israel-100.html, beide Nachrichtensendungen abgerufen am 17.11.2024 um 12:04 Uhr;

[43] Drucksache 20/13627, S. 3, 5. Absatz.

[44] BT-Protokoll vom 7. November 2024  (20. WP), S. 25719, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20197.pdf  

[45] Drucksache 20/13627, S. 3, 6. Absatz.

[46] BT-Protokoll 2024  a.a.O.  

[47] Siehe: https://zeithistorische-forschungen.de/2-2016/5370

[48] http://bds-kampagne.de/

[49] https://www.juedische-stimme.de/j%C3%BCdische-organisationen-weltweit-verurteilen-die-bundestagsresolution-zu-antisemitismus ; am Ende dieser Stellungnahme sind alle Organisationen aufgelistet, die diese Stellungnahme befürworten.

[50] Pressemitteilung des Obervwrwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.6.2023:  https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1335578.php   

[51] Drucksache 20/13627, S. 2, 8. Absatz.

[52] Drucksache 20/13627, S. 3, 1., 2. und 10. Absatz.

[53] Siehe GEW unter dem Titel „Lehren aus der Fördergeldaffäre ziehen – Debatte über Antisemitismus Resolution im Bundestag“ vom 7.11.2024, https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/debatte-ueber-antisemitismus-resolution-des-bundestages

[54] Siehe GEW a.a.O.

[55] Jüdische Stimme, Erklärung vom 6.11.2024 zur geplanten Bundestagsresolution:  https://www.juedische-stimme.de/zur-bundestagsresolution-%22nie-wieder-ist-jetzt%22:-f%C3%BCr-einen-konsens-des-neins

[56] Stellungnahme von Jüdischen Organisationen zum Bundestagsbeschloss gegen Antisemitismus: https://www.juedische-stimme.de/j%C3%BCdische-organisationen-weltweit-verurteilen-die-bundestagsresolution-zu-antisemitismus ; am Ende dieser Stellungnahme sind alle Organisationen aufgelistet, die diese Stellungnahme befürworten.

References