Der verbandsfreie Streik im Hamburger Hafen

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Am 6. und 7. November streikten die Hamburger Hafenarbeiterinnen und -arbeiter (HHLA) ohne dass die Gewerkschafft ver.di dazu aufgerufen hatte oder diesen Strek nachträglich übernahm. Es war also ein verbandsfreier („wilder“) Streik. Er richtete sich gegen den geplanten Teilverkauf der HHLA an die weltweit größte Reederei MSC. Die HHLA ist noch überwiegend in städtischer Hand.

Über den Streik am 7. November heißt es im express 11/2023:

„… im Laufe des Tages erhöht die Geschäftsleitung den Druck auf die Beschäftigten. …  Am Abend des 7. November, nach insgesamt vier bestreikten Schichten, wird der Streik beendet. Bis zum Ende des Streiks am Dienstagabend haben mindestens 50 Beschäftigte eine Abmahnung erhalten. Die Ansage der Geschäftsleitung ist eindeutig und schüchtert viele Beschäftigte ein: Mit jedem weiteren Streiktag folgt eine weitere Abmahnung. 50 weitere Abmahnungen seien bereits vorbereitet und könnten sofort verteilt werden. Im Zweifel würden auch fristlose Kündigungen ausgesprochen werden. Unter dem Eindruck des massiven Drucks und der fehlenden Ausweitung des Streiks auf die anderen Terminals beenden die Beschäftigten ihre Aktion.“[1]express 11/2023, S. 1 f.; über die Abmahnungen berichtete auch die Hamburger Morgenpost, so die Perspektive vom 10.11.2023

Mit diesem verbandsfreien Streik haben die Beschäftigten des Hamburger Hafens demonstriert, dass sie sich nicht an die Kette des Rechts legen lassen. Denn nach der geltenden Rechtsprechung sollen verbandsfreie Streiks verboten sein. Auch könnte in Frage gestellt werden, ob das Ziel des Streiks – Verhinderung des Verkaufs an MSC – ein erlaubtes Streikziel ist.

Der Bericht zeigt aber auch die Waffen, die die Rechtsprechung den Unternehmern mit der Illegalisierung des verbandsfreien Streiks und den Beschränkungen der erlaubten Streikziele in die Hand gegeben hat: Die Abmahnung und dann die drohende fristlose Kündigung. 

Der Streik zeigt nachdrücklich, wie wichtig es ist, dass die restiktive deutsche Rechtsprechung zum Streikrecht beendet wird. Das gilt sowohl für das Verbot des verbandsfreien Streik als auch für die verbotenen Streikziele.

In dem zitierten Bericht über den Streik im Hamburger Hafen heißt es, dass die Beschäftigten nicht nur unter „dem Eindruck des massiven Drucks“ ihren verbandsfreien Streik beendeten, sondern auch wegen der „fehlenden Ausweitung des Streiks auf die anderen Terminals.“ Je mehr sich ein solcher Streik ausweitet, desto wirksamer ist er. Desto leichter ist es auch, Disziplinarmaßnahmen der Gegenseite abzuwehren. Die Möglichkeit, das Streikziel durchzusetzen, und der Schutz vor Disziplinarmaßnahmen wachsen mit der Masse der Streikenden.

Es gab Gründe genug für eine Ausweitung des Streiks: „Der vierte große Containerterminal im Hamburger Hafen gehört … Eurogate. Dort wird derzeit noch viel Ladung von MSC-Schiffen umgeschlagen. Diese Ladung von einem Eurogate- an einen HHLA-Terminal zu verlagern, ist keine Lösung für die geringe Auslastung des Hamburger Hafens.“[2]express 11/2023

„Neben den Beschäftigten der HHLA sind am Montagabend auch solidarische Beschäftigte von Eurogate und aus den sognannten Lasch-Betrieben vor Ort. Denn von einem Verkauf der HHLA-Anteile wären auch die umliegenden Hafenbetriebe betroffen.“[3]express 11/2023, S. 1 f. Sonja Petersen, Betriebsrätin und ver.di Vertrauensfrau bei der HHLA befürchte, dass durch das Verlegen von Umschlagsmengen die Reederei in Zukunft versuchen könne, die Beschäftigten der einzelnen Betriebe untereinander zu spalten. … Neu seien diese Spaltungsversuche durch die Konzernbosse nicht.[4]express 11/2023, S. 1 f. „Dieses Spiel gibt es seit vielen Jahren und hat den Beschäftigten auf keiner Seite langfristig geholfen. Leider stirbt aber derzeit jeder für sich allein“[5]express 11/2023, S. 1 f.. Nervös blicken die Arbeiter:innen während ihres Streiks auf die beiden weiteren Terminals der HHLA, das Containerterminal Altenwerden (CTA) und das Containerterminal Tollerort (CTT), in der Hoffnung, dass sich die Kolleg:innen dem spontanen Streik anschließen könnten. Bis zum Ende jedoch gelingt es nicht, den Streik auf diese Bereiche auszuweiten.“[6]express 11/2023, S. 1 f.

Dieser Streik belegt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, dass sich die Beschäftigten über die völkerrechtswidrigen Einschränkungen des deutschen Streikrechts hinwegsetzen. Wie sollen sie sich sonst gegen die drohende Privatisierung und deren schlimmen Folgen für die Beschäftigten und die ganze Stadt wehren?

„Insgesamt arbeiten im HHLA-Konzern 6.700 Beschäftigte, 2003 wurde die HHLA in einzelne GmbHs aufgespalten. „Ziel war es seinerzeit, Beteiligungen an einzelnen Terminals zu ermöglichen,“ erläutert Sonja Pertersen im Gespräch. „Es gab die Erwartungshaltung, dass sich durch die Beteiligung von Partnern, im Wesentlichen von Reedern, Abfertigungsmenden und weiteres Geschäft an Terminals binden ließe.“ Anders als die Beteiligungen an einzelnen Firmen blieb die HHLA-Holding als Dach der einzelnen GmbHs bis 2006 komplett im Besitz der Stadt.“[7]express 11/2023, S. 10 ff. Als der Senat versuchte, die HHLA wie viele andere städtische Betriebe um jeden Preis zu privatisieren, wehrten sich die Beschäftigten vehement, so dass der Versuch scheiterte.[8]express 11/2023, S. 10 ff.. Nur 30 Prozent der Aktien wurden in Streubesitz verkauft. „Für uns als Beschäftigte war und ist es wichtig, dass die HHLA ein öffentliches Unternehmen und der Einfluss der Freien und Hansestadt auf die Unternehmens- und damit auch Hafenpolitik erhalten bleibt,“ wird Sonja Pertersen zitiert. Dabei waren auch schon die Beteiligungen an einzelnen Containerterminals unter den Hafenbeschäftigten nicht unumstritten.[9]express 11/2023, S. 10 ff.. Doch der jetzt geplante Teilverkauf der HHLA habe nun eine „völlig andere Qualität“ als frühere Terminalbeteiligungen, gibt Sonja Petersen zu verstehen. Nach einer Umstrukturierung der HHLA soll MSC knapp unter 50 Prozent der Anteile kaufen, wobei MSC die 30 Prozent Aktien, die jetzt schon in Streubesitz sind, ebenfalls übernehmen will[10]siehe die Perspektive vom 10.11.2023 sowie die FAZ vom 7.11.2023. Allerdings meldete die ZEIT am 21.11.2023, MSC seien erst 3,9 Prozent der Aktien „angedient“ worden habe.[11]die ZEIT vom 21.11.2023; siehe auch Tagesschau vom 23.11.2023 Die Stadt Hamburg soll knapp über 50 Prozent behalten.

Nach dem Bericht im express sind die Würfel noch nicht gefallen. Der express: „Noch ausstehend ist zudem die Zustimmung der Hamburger Bürgerschaft zu dem geplanten Deal. Die Teilprivatisierung kann also noch verhindert werden.“[12]siehe auch die Hamburger Morgenpost vom 7.11.2023 in Pressreader

Ein interessanter Bericht über eine Versammlung am 11. November 2023 vor dem Hamburger Rathaus unter dem Motto: „Kein Verkauf von Stadteigentum! Unser Hafen, nicht euer Casino!“ ist hier nachzulesen. Siehe auch die Junge Welt vom 8.11.2023.

References

References
1 express 11/2023, S. 1 f.; über die Abmahnungen berichtete auch die Hamburger Morgenpost, so die Perspektive vom 10.11.2023
2 express 11/2023
3, 4, 5, 6 express 11/2023, S. 1 f.
7, 8, 9 express 11/2023, S. 10 ff.
10 siehe die Perspektive vom 10.11.2023 sowie die FAZ vom 7.11.2023
11 die ZEIT vom 21.11.2023; siehe auch Tagesschau vom 23.11.2023
12 siehe auch die Hamburger Morgenpost vom 7.11.2023 in Pressreader