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Über die Kundgebung am 18.2.2022: Entspannung statt Konfrontation!

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Es ist höchste Zeit, dass wir zum Ukraine-Konflikt öffentlich Stellung beziehen. Wir müssen der  Kriegshetze entgegen treten, durch die in verantwortungsloser Weise  Krieg herbei geredet wird.

Die Kundgebung am Freitag, den 18. Februar 2022 am Brandenburger Tor war ein wichtiger erster Schritt.


Hier die Rede von Sevim Dagdelen auf der Kundgebung der Friedenskoordination am 18.2.2022:

Und hier der Aufruf der Berliner Friedenskoordination zur KUNDGEBUNG am 18.2.2022:

Seit Jahren macht Russland Angebote zur Zusammenarbeit an die NATO, USA, EU und Bundesrepublik für die Lösung internationaler Probleme. Doch diese betreiben eine Politik der Drohungen und Sanktionen, der militärischen Aufrüstung und Militäraufmärsche an den Grenzen Russlands. Nicht Russland hat sich den Grenzen der NATO genähert, sondern die NATO ist – entgegen aller früheren Zusicherungen – bis an die Grenzen Russlands vorgestoßen.

Die ukrainische Regierung wünscht eine Mitgliedschaft in der NATO. Sollte die NATO diesem Wunsch stattgeben, würde die Einkreisung Russlands weiter voranschreiten. Das will und kann Russland nicht zulassen und fühlt sich zu Recht bedroht. Darum fordert Russland von der NATO, die Aufnahme der Ukraine abzulehnen.

Das westliche Angriffsbündnis hat eine rote Linie erreicht, an der Russland sagt: bis hierher und nicht weiter. Die russische Föderation hat deshalb einen Vertragsentwurf vorgelegt, mit dem rechtsverbindliche Garantien von USA und NATO eingefordert werden, um die weitere Eskalation zu beenden und den Weg BEIDERSEITIGER Abrüstung und Entspannung einzuschlagen. Das sollte in unserem Land auf Verständnis treffen und erfordert von der Bundesregierung eine Unterstützung der dort von Russland eingeforderten Garantien!

Stattdessen wird in den führenden NATO-Ländern gegen Russland gehetzt, es werden Lügen verbreitet und ein drohender Krieg herbeigeredet. Daran beteiligen sich besonders auch Politikerinnen und Politiker und Medien in Deutschland. Sie verfälschen systematisch den Inhalt der Minsker Abkommen, die den Weg zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ukraine weisen. Sie unterschlagen, dass – neben Russland und Frankreich – die Bundesrepublik Deutschland Garantiemacht für die Minsker Abkommen ist. Statt ihrer daraus resultierenden Verpflichtung nachzukommen, die ukrainische Regierung zur Umsetzung zu drängen, die diese seit Beginn sabotiert, verhindert die Bundesregierung mit ihrer politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung die Durchsetzung der völkerrechtlichen Vereinbarungen.

Das Schüren der Panik über eine anstehende russische Invasiom in der Ukraine soll nach dem Desaster in Afghanistan die weitere Existenz der NATO rechtfertigen.
Ja, Russland bewegt Truppen auf seinem Staatsgebiet, das ist aber auch sein legitimes Recht. Die daraus abgeleitete Panikmache über einen „russischen Aufmarsch“ geht aber inzwischen selbst Kiew zu weit. Dennoch läuft die Kriegspropaganda weiter auf Hochtouren. Die Lage ist äußerst gefährlich – für Russland, für Europa, für die gesamte Welt.

Deeskalation ist das Gebot der Stunde und nicht, weitere Waffen in das von USA und EU in die Verelendung getriebene Land zu pumpen.

Das Umsetzen der Minsker Verträge und der Vertragsentwurf, den Russland am 17.12.2021 den USA und der NATO vorgelegt hat, sind die Lösung nicht nur dieser momentan aufgehetzten Situation. Die russischen Forderungen dienen der Stärkung der wechselseitigen, friedlichen Beziehungen in der Welt. Sie sind die entscheidenden Lösungsschritte für die Ziele, um die wir als Friedensbewegung schon lange kämpfen.

Wir unterstützen das Konzept der „unteilbaren Sicherheit“, auf dem der Vertragsentwurf beruht, die Forderungen nach einem Ende der NATO-Osterweiterung, der friedlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten auf der Grundlage der UNO-Charta.
Wir unterstützen den von Russland angebotenen Sicherheitsvertrag, in dem wechselseitig für die NATO-Länder und Russland u.a. gelten soll:

  • Keine landgestützten atomwaffenfähigen Kurz- und Mittelstreckenraketen außerhalb des eigenen Staatsgebiets sowie in Gebieten, von denen aus diese Waffen Ziele im Staatsgebiet der anderen Seite angreifen können.
  • Keine Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Landes. Das bedeutet auch den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland.
  • Keine NATO-Militärmanöver nahe der russischen Grenze, keine russischen Militärmanöver nahe der Grenze zu NATO-Staaten
  • Keine Annäherung schwerer Bomber und Kriegsschiffe an die Grenze des anderen, die einen Angriff möglich machen.

Schluss mit der medialen Kriegshetze und NATO-Aggressionspolitik!
Abrüstung und Frieden mit Russland!

Quelle: Friko Berlin



Kein Krieg! Keine Kriegshetze!

Bild VVN-BdA
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Immer wieder verbreiteten die USA in den vergangenen Wochen Nachrichten über eine unmittelbar bevorstehende Invasion Russlands in die Ukraine. Vor wenigen Tagen kündigte die USA erneut eine Invasion Russlands für Mittwoch, den 16. Februar 2022, an. Aus diesem Anlass wird hier die mündliche Begründung zu einem Initiativantrag veröffentlicht, der auf der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA Berlin am 12. Februar 2022 beschlossen wurde.

Der Initiativantrag wurde zusammen mit einem Neuköller Antrag angenommen. Beide Anträge unterstützten eine Weihnachtsanzeige der Friedensbewegung 2021 »Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg – Aufbruch für Abrüstung und Frieden«. Der Inhalt dieser Anzeige ist am Ende des Initiativantrags im Wortlaut abgedruckt.

Hier die Rede zur Begründung des Initiativantrages:

“Ihr habt sicher die Nachrichten in den letzten Wochen verfolgt.

Immer aufs Neue wird berichtet, dass in den nächsten Tagen Russland die Ukraine überfällt. Die russische Regierung kann sagen, was sie will, dass sie keinen Krieg gegen die USA will, dass sie eine atomwaffenfreie Zone will, dass sie Sicherheiten will – alles spielt keine Rolle.  

Dass Russland Sicherheiten fordert, ist allerdings mehr als verständlich.

Dass Lettland, Litauen, Estland, Polen, Ungarn, Rumänien einmal Mitglied der NATO würden – wer hätte das vor dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts gedacht?

Wer hätte gedacht, dass Deutschland einmal im Verein mit den USA nicht ausschließen will, dass die Ukraine und Georgien ebenfalls NATO-Mitglieder werden?

Ich möchte daran erinnern, dass die NATO ein aggressives Militärbündnis ist, das zum Beispiel vor gut 20 Jahren Jugoslawien mit einem Krieg überzog. Der damalige Bundeskanzler  Schröder hat später selbst eingeräumt, dass dies ein Völkerrechtsbruch war. Deutsche Piloten bombardierten Jugoslawien. Wer hätte gedacht, dass es einmal soweit kommen würde?

Morgen hören wir wieder, dass Putin übermorgen die Ukraine überfällt. Dann kommt drei Tage später die Bekanntmachung, dass das ein Irrtum war, aber „in der nächsten Woche ist es soweit. Es ist nur noch nicht bekannt, ob Putin schon den Entschluss gefasst hat“.

Das Gefährliche ist, die Menschen gewöhnen sich daran.

Auch besteht die Gefahr, dass in diesem aufgeheizten Klima, jede Provokation unabsehbare Folgen haben kann.

Wir wissen: Die VVN-BdA hat den Kampf für den Erhalt des Friedens immer für eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachtet. Und sie hat sich nie gescheut, die Kriegstreiber zu benennen, die Rüstungsprofiteure, die Herren des Kapitals, die nach neuen Absatzmärkten suchen.

Der Schwur von Buchenwald sagt: „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“.

Darum geht es. Darum kämpfen wir.

Ich denke, der BO Friedrichshain-Kreuzberg der VVN-BdA ist es ganz gut gelungen, den Kampf gegen Krieg und Aufrüstung zu einem festen Bestandteil ihrer gewöhnlichen Arbeit zu machen. Kleine Kundgebungen vor einer Werbefirma in der Kohlfurter Straße in Kreuzberg  unter dem Motto „Kein Werben fürs Sterben“ gehören dazu, aber auch die Teilnahme an berlinweiten Aktionen.

Ich bitte Euch an der Kundgebung am 18. Februar 2022 um 17 Uhr am Brandenburger Tor teilzunehmen.

Und ich bitte Euch, unseren Antrag zu unterstützen.

Er schlägt konkrete Schritte vor, von denen wir glauben, dass sie auch machbar sind.

Es geht darum, dass alle Mitglieder der VVN-BdA eingeladen werden sollen, gemeinsam zu überlegen, was wir tun können. In einem zweiten Schritt geht es darum, dass wir uns darum bemühen, dass alle Friedensfreunde berlinweit zu einem Treffen eingeladen werden.  Und schließlich möchten wir in einer Serie von Plakaten gegen Krieg und Aufrüstung mobilisieren. Soweit die Kräfte reichen soll dies schließlich mit entsprechenden Veranstaltungen verbunden werden.

Ich bitte Euch, den Antrag  zuzustimmen und Euch auch an der Umsetzung zu beteiligen”.

Anmerkung zum Umgang der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner VVN-BdA mit dem Initiativantrag:

Der Initiativantrag enthält konkrete Schritte, um der Forderung nach Frieden und Abrüstung Nachdruck zu verleihen. Dazu gehörte eine Serie von sieben Plakaten, die verschiedene Gründe in den Fokus rücken sollen, warum wir Kriege ablehnen.

Vor der Annahme dieses Antrags wurde allerdings in einem Änderungsantrag beschlossen, das dritte Plakat in der Plakat-Serie ersatzlos zu streichen. Dieses dritte Plakat sollte unter dem Motto stehen: “Die systematischen Vertragsbrüche der letzten 30 Jahre gegenüber Russland”.

Im Ergebnis ist damit die Auseinandersetzung zwischen Russland und den USA um die Ukraine in der geplanten Plakatserie zu Frieden und Abrüstung nicht mehr enthalten.

Dies war eine fatale Fehlentscheidung.

Wie ist eine solche Entscheidung möglich, obwohl dieses Thema gegenwärtig in allen Medien am meisten behandelt und jeden zweiten Tag ein Krieg in Europa angekündigt wird?

Die Versammlungsleitung begründete ihren Änderungsantrag damit, dass Russland nicht mehr die Sowjetunion sei und auch Verträge gebrochen habe. Der Antragsteller des Initiativantrags wurde als Außenstelle der russischen Botschaft bezeichnet. 19 Stimmen waren für die Herausnahme, 10 dagegen.

Russland will keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die seit 2014 über das Assoziierungsabkommen wirtschaftlich in die EU eingebunden ist. Die NATO und auch die deutsche Bundesregierung schließen eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO zwar gegenwärtig, aber nicht für die Zukunft aus. Das kann nicht unser Ziel sein. Die NATO ist ein aggressives Militärbündnis. Das hat die NATO nicht zuletzt im Krieg gegen Jugoslawien gezeigt. Die VVN-BdA kann als Teil der Friedensbewegung nur gegen dieses Militärbündnis und schon gar nicht für seine Erweiterung sein. An erster Stelle muss das Ziel stehen, den Frieden in Europa zu erhalten.

Das alles wird in der Plakatserie nicht mehr thematisiert.

Wenn die VVN-BdA in dieser Situation diese gegen Russland gerichtete Politik unter Verweis auf die beidseitige Vertragsbrüchigkeit nicht einmal mehr benennt, kann sie gegen diese Politik auch nicht  angehen.

Es sollten niemals die Verheerungen und über 27 Millionen Toten vergessen werden, für die Deutschland durch die Entfesselung des 2. Weltkriegs in der ehemaligen Sowjetunion verantwortlich ist. Die daraus entstehende Verpflichtung, den Frieden mit Russland zu erhalten und zu sichern, erfüllt Deutschland nicht, wenn es imperiale Interessen verfolgt, die Ukraine über das Assoziierungsabkommen in die EU und sich selbst in die Politik der USA und der NATO einbindet.

Der beschlossene Änderungsantrag wird der Losung der VVN-BdA: “Nie wieder Krieg!” nicht gerecht.

Für Frieden und Abrüstung

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Die Landesdelegiertenkonferenz möge beschließen:

Die VVN-BdA Berlin unterstützt den beigefügten Text, vom Bundesausschuss Friedensratschlag initiiert und von zahlreichen Gruppen unterstützt und in mehreren Tageszeitungen am 24. Dezember veröffentlicht, indem sie

  • zu einem berlinweiten Treffen von VVN-BdA Mitgliedern  einlädt, um gemeinsam zu beraten, welche Schritte wir gegen Krieg und Aufrüstung tun können, und sich danach mit demselben Ziel um ein berlinweites Treffen bemüht, das an alle Friedensinteressierten gerichtet ist.

  • eine Serie von 7 Plakaten unterstützt, die in der Öffentlichkeit gegen Krieg und Abrüstung mobilisieren sollen:
    1. Krieg als Klimakiller
    2. Atomwaffen raus aus Deutschland
    3. Die systematischen Vertragsbrüche der letzten 30 Jahre gegenüber Russland
    4. Keine Instrumentalisierung der Menschenrechte für Krieg
    5. Krieg als Grund für Flucht
    6. Abrüsten statt Sozialabbau
    7. Deutschland ist schon jetzt an zahlriechen Kriegseinsätzen beteiligt. 

  • die Verbreitung der Plakate  mit Veranstaltungen zu den auf den Plakaten genannten Themen verbindet, soweit die Kräfte reichen.

Begründung

Wir erleben gerade eine sehr gefährliche Zuspitzung der weltpolitischen Sicherheitslage, die uns alle zutiefst beunruhigen sollte. Die Bundeswehr ist im Ausland weiter in Einsätzen und wir befinden uns in einer Phase der Kriegsvorbereitung. Fast alle Rüstungskontrollabkommen sind gekündigt. Bundesdeutsche Medien phantasieren von ‘hybrider Kriegsführung’, wenn Flüchtlinge an den europäischen Ostgrenzen in die EU gelangen wollen. Die öffentliche Darstellung der Politik Russlands und Chinas in unseren Medien ist geprägt von einem irrealen Schwarz-Weiß-Raster und einseitigen Schuldzuweisungen. Statt angesichts der existenzbedrohenden Gefährdung durch die Klimakrise die Zeichen auf Verständigung und gemeinsame Sicherheit zusetzen wird auf Konfrontation gesetzt. Das ist völlig verantwortungslos und fordert die Zivilgesellschaft heraus, hier den Protest zu artikulieren. Dieser entwickelt sich erst sehr zaghaft.

Wir wollen dazu beitragen, dass dieser Protest stärker wird.

In diesem Sinne enthält der Antrag nicht nur eine Positionsbestimmung (Einleitung und Text der Anzeige), sondern auch Festlegungen von praktischen Schritten, um die Proteste gegen Kriegsvorbereitung und Aufrüstung zu stärken

Text der Anzeige:

»Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg – Aufbruch für Abrüstung und Frieden«

Weihnachtsanzeige der Friedensbewegung 2021

Die neue Regierungskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP will
kein Umsteuern der Außen- und Militärpolitik. Nach dem vorliegenden
Koalitionsvertrag soll eine verschärfte aggressive Einkreisung Russlands
und Chinas durch NATO, EU und USA unterstützt werden. Die
Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen – trotz des verheerenden
Afghanistan-Krieges – fortgesetzt werden. Besonders an der Westgrenze
Russlands, in Afrika, aber auch im Pazifik und im Nahen Osten werden die
Kriegsdrohungen lauter. Es geht um einen gesteigerten Konkurrenzkampf
zur Neuaufteilung der Welt, um geostrategische und ökonomische Interessen.

Der millionenfache Tod durch Kriege, die Zerstörung von Umwelt und
Infrastruktur, Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen durch die
weltweite Militarisierung, aber auch durch Blockaden und Sanktionen und
die Ausweitung von Armut und Umweltzerstörung dürfen nicht weiter zur
Normalität gehören. Die Verschwendung von enormen – auch finanziellen –
Ressourcen, die zur Lösung der bestehenden Probleme und für die Zukunft
der Menschheit dringend benötigt werden, muss beendet werden.

Für eine Politik des Friedens, der Gerechtigkeit und internationalen
Solidarität werden wir weiter aktiv sein und müssen wir neue
Mitstreiter:innen für einen wirklichen politischen Wandel gewinnen.
Eine ernsthafte und wirkungsvolle Friedenspolitik ist eine unabdingbare
Voraussetzung für die Bewältigung der vielen globalen und regionalen
Krisen und Herausforderungen, die die Zukunft der Menschheit bedrohen.

Militärische Aufrüstung stoppen, Spannungen abbauen, Rassismus und
Abschiebungen bekämpfen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen, das schafft
Perspektiven für Entwicklung hin zu globaler und sozialer Sicherheit.

Abrüsten bleibt das Gebot der Stunde

Ein beispielloser Konflikt in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte

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Im Jahr 2001 kam es einem beispiellosen Rechtstreit in der Bundesrepublik, der auch nach zwanzig Jahren nichts von seiner Bedeutung verloren hat.

Oberverwaltungsgericht NRW stellt sich gegen das Bundesverfassungsgericht

Dieser Konflikt ist nicht nur deswegen „beispiellos“, weil noch nie in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte ein Oberverwaltungsgericht mit einer solchen Vehemenz und so offen gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Stellung bezogen hatte, sondern auch deswegen, weil sich das Oberverwaltungsgericht mit seinen Entscheidungen auf die antifaschistischen Traditionen berief, die auch im Grundgesetz zu finden sind, und weil sich das Oberverwaltungsgericht unter Berufung auf das „historische Gedächtnis der Verfassung“[1] OVG Münster v. 30.4.2001 – S B 585/01 NJW 2001, 2114 weigerte, weiter ein politisches Weltbild zu pflegen, das nach 1945 mit Beginn der Restauration in der Bundesrepublik alle antifaschistischen Traditionen bei Seite schob, sich im kalten Krieg als Staatsdoktrin Deutschlands festigte und bis heute die staatlichen Institutionen Deutschlands prägt.

Im Jahr 2001 verbot der Polizeipräsident Aachen eine „Kundgebung mit Aufzug“ mit dem Thema „Gegen die Kriminalisierung nationaler Deutscher und Niederländer – Gemeinsamer Protestmarsch“ im März 2001. Es sollten Landsknechtstrommeln, schwarze Fahnen, Transparente, Tragschilder, bis zu sechs Handlautsprecher und eine Lautsprecherwagen genutzt werden. Derjenige, der das gerichtliche Eilverfahren gegen dieses Verbot einleitete, bestätigte, in der NVU, einer weit rechts stehenden Organisation, Mitglied zu sein, bei der es sich aber nach Angaben dieses Mitglieds keinesfalls um eine neofaschistische oder dem Nationalsozialismus anhängende Organisation handele. Eine Aufhebung dieses Versammlungsverbot lehnte das Verwaltungsgericht ab. Auch das Oberverwaltungsgericht NRW bestätigte das Verbot. Das Gericht leitete u.a. aus dem zentralen Wert der Menschenwürde und dem Friedensstaatsgebot des Grundgesetzes ab, dass eine verfassungsimmanente Schranke für demonstrative Äußerungen neonazistischer Meinungen besteht. „Die … öffentliche Ordnung wird durch Bestrebungen unmittelbar gefährdet, die die nationalsozialistische Diktatur oder ihre führenden Vertreter und Symbolfiguren verherrlichen oder verharmlosen, auch wenn dadurch im Einzelfall die Schwelle der Strafbarkeit noch nicht erreicht sein mag. Die öffentliche Ordnung … ist mithin unmittelbar gefährdet, wenn eine Versammlung erkennbar unter Umständen stattfindet, die ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus beinhalten und damit all jenen grundgesetzlichen Wertvorstellungen zuwider läuft, die Ausdruck einer Abkehr vom Nationalsozialismus sind“[2] OVG Münster v. 23.3.2001 – S B 395/01 NJW 2001, 2111

Doch das  Bundesverfassungsgericht kippte das Versammlungsverbot[3] BVerG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html und erlaubte die Demonstration unter der Auflage, keine Trommeln und Fahnen zu benutzen – ausgenommen die Bundesflagge und der Fahnen der Bundesländer – und keine Transparente strafbaren Inhalts und keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Uniformen oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer Gesinnung nicht zu verwenden. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass Beschränkungen der Versammlungsfreiheit am Maßstab der Meinungsfreiheit gemessen werden müssten. Die Meinungsfreiheit erlaube aber auch Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch nicht Rechtsgüter anderer nicht gefährde. „Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit der Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren“[4] BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html . Eine Grenze der Meinungsäußerung bildeten Strafgesetze, die zu Rechtsgüterschutz ausnahmsweise bestimmte geäußerte Inhalte verbieten, wie Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole oder von Verfassungsorganen. Daneben kämen „entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts“ keine zusätzliche „verfassungsimmanente Grenzen“ zum Tragen[5] BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html .    

Bevor wir eine weitere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW vorstellen, die vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde,  zunächst eine  Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die einen Beschluss des hessischen Verwaltungsgerichtshof kassierte:

Hessischer Verwaltungsgerichtshof gegen Bundesverfassungsgericht

Eine Frau meldete für den 7. April 2001 eine „Kundgebung mit Aufzug“ in Frankfurt a.M. unter dem Thema an: „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“. Es sollten verwendet werden. Schwarze Fahnen, Transparente, Trage- und Halteschilder, Landsknechtstrommeln und Flugschriften. In dem Einladungsflugblatt wurde die Veranstaltung als „Demonstration gegen Überfremdung“ bezeichnet. Die Teilnahme solle für jeden Deutschen  ein absolutes Muss sein, „der auch in zehn Jahren noch als solcher aufrecht gehen möchte“. Die Demonstration sei unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsgestaltung zu betrachten. Die Versammlungsbehörde verbot diese Veranstaltung. Die Thematik der Demonstration und die Kenntnis der Verläufe von früheren  Veranstaltungen der Anmelderin ließen eine Störung der öffentlichen Ordnung durch aggressive Ausländerfeindlichkeit befürchten; das würde Teile der ansässigen Bevölkerung einschüchtern und beängstigen. Aus dem zu erwartenden Teilnehmerkreis aus rechtsextremistischen Organisationen (unter anderem „Skinheads“) folge, dass Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen zu erwarten seien[6] BVerfG v. 07. April 2001 1 BvQ 17/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/qk20010407_1bvq001701.html.

Das Verwaltungsgericht erlaubte[7] Genauer: Es stellt die aufschiebende Wirkung des zuvor eingelegten Widerspruchs gegen das Verbot wieder her die Veranstaltung unter folgenden Auflagen: Die Demonstrationsroute hat folgenden Verlauf … und den Teilnehmern wird untersagt, Trommeln und Fahnen zu benutzen – ausgenommen die Bundesflagge und der Fahnen der Bundesländer –, Transparente strafbaren Inhalts zu verwenden und entsprechende Parolen zu skandieren oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Uniformen oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer Gesinnung nicht zu tragen. Die bei den Kundgebungen auftretenden Redner dürfen keine aggressiven Ausländerfeindlichkeiten, die die ansässige Bevölkerung einschüchtern und beängstigen könnten,  oder Verstöße gegen einschlägige Strafbestimmungen äußern. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hob die vorinstanzliche Entscheidung auf und verbot die Veranstaltung. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde die öffentliche Ordnung gestört. Das Motto der Veranstaltung „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ verstoße gegen § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Danach macht sich strafbar, wer in einer Weise, die den öffentlichen Frieden stört, …  zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert. Es werde zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung in einer Weise aufgestachelt, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Das für die Versammlung gewählte Motto „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ drücke eine aggressive Ausländerfeindlichkeit aus, die geeignet sei Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern und zu beängstigen.

Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichtshofs wieder auf[8] BVerfG v. 07. April 2001 1 BvQ 17/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/qk20010407_1bvq001701.html und erlaubt die Veranstaltung unter den Auflagen, unter denen schon die 1. Instanz die Veranstaltung erlaubt hatte. Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Entscheidung damit, aus dem Motto der Veranstaltung „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ lasse sich ein Verstoß gegen Strafbestimmungen nicht begründen. Das Motto habe zwar eine ausländerfeindliche Grundrichtung, aber im Strafgesetzbuch seien ausländerfeindliche Äußerungen nicht schon als solche unter Strafe gestellt. Nach Ansicht des hessischen Verwaltungsgerichthofes werde mit dem Motto in Anknüpfung an die Herrenrassen-Ideologie des nationalsozialistischen Gedankenguts gesagt, dass „die deutsche Bevölkerung in der Knechtschaft  der im Bundesgebiet ansässigen Ausländer“ leben müsse. Angesichts der Mehrdeutigkeit des Mottos hätte sich der Verwaltungsgerichtshof nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls mit der von den Veranstaltern geltend gemachten Deutungsalternative auseinandersetzen müssen. Danach soll mindestens der zweite Teil des Mottos, dass man nicht Knecht der Fremden sein möchte, auf eine in der Zukunft mögliche, von ihnen abgelehnte Entwicklung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht erklärt nicht, warum diese auf die Zukunft gerichtete Deutung des Mottos „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ nicht ebenfalls zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung aufgestachelt und  nicht ebenfalls eine aggressive Ausländerfeindlichkeit ausdrückt, die geeignet ist Teile der ansässigen Bevölkerung einzuschüchtern. Das Bundesverfassungsgericht lässt sich auch nicht davon beirren, dass der hessische Verwaltungsgerichtshof die Stellungnahme des Veranstalters und dessen Beharren auf dem Motto ausdrücklich als eine Bestätigung seiner Deutung des Mottos betrachtet hatte.

Um was geht es in diesem Streit?

Das Oberverwaltungsgericht NRW sah die Meinungsäußerungsfreiheit durch die Verfassung immanent begrenzt, weil das Grundgesetz eine antifaschistische Ausrichtung habe. Aufgrund dieser verfassungsimmanenten Grenzen müssten demonstrative Meinungsäußerungen, die die  nationalsozialistische Diktatur, ihre führenden Vertreter und Symbolfiguren verherrlichen,  auch dann verboten werden, wenn (noch) kein Straftatbestand erfüllt ist. Das Bundesverfassungsgericht erkannte  dagegen nur die im Strafgesetzbuch bestimmten Grenzen an. Nur wenn eine Meinungsäußerung strafbar ist wegen Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen usw., kann auch eine Versammlung mit diesem Inhalt verboten werden. Gleichzeitig hebt das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des hessischen Verwaltungsgerichthof auf, der in dem Motto „Herren im eigenen Lande statt Knechte der Fremden“ den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sah. Der hessische Verwaltungsgerichtshof habe nicht eine  Deutung des Versammlungs-Mottos berücksichtigt, die vom Veranstalter vorgetragen worden sei.     

Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Position mit der herausragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit. „Die Meinungsfreiheit ist für die freiheitlich demokratische Ordnung des Grundgesetzes schlechthin konstituierend“[9] BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html. Und: „Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit der Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren“[10] BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html . Aber die „plurale Demokratie“ der Weimarer Republik konnte den folgenden Hitler-Faschismus nicht verhindern . Diese historische Tatsache bleibt auch 75 Jahre nach dem Ende des deutschen Faschismus und des 2. Weltkrieges aktuell. Sie war das Fundament, auf dem das Grundgesetz beschlossen wurde. Das wird in den Begründungen des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts unter dem Vorsitz von Dr. Michael Bertrams mit den entsprechenden Konsequenzen berücksichtigt. Mit einem Beitrag des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem und einer Erwiderung von Dr. Bertrams wurde der Streit in der Frankfurter Rundschau fortgesetzt.


References

References
1 OVG Münster v. 30.4.2001 – S B 585/01 NJW 2001, 2114
2 OVG Münster v. 23.3.2001 – S B 395/01 NJW 2001, 2111
3 BVerG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html
4 BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html
5, 10 BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html
6 BVerfG v. 07. April 2001 1 BvQ 17/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/qk20010407_1bvq001701.html
7 Genauer: Es stellt die aufschiebende Wirkung des zuvor eingelegten Widerspruchs gegen das Verbot wieder her
8 BVerfG v. 07. April 2001 1 BvQ 17/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/qk20010407_1bvq001701.html
9 BVerfG v. 24. März 2001 1 BvQ 13/01, siehe auch: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/03/qk20010324_1bvq001301.html

Eine Kampagne gegen Nancy Faeser und den Antifaschismus

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Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte 2020 einen Gastbeitrag in der Zeitung der VVN-BdA antifa veröffentlicht. Es ging um die Briefe, Faxe und Mails, die mit “NSU 2.0” unterschrieben waren. Nancy Faeser selbst hatte zwei dieser Briefe bekommen. Damals war sie Vorsitzende der Hessischen SPD und Fraktionsvorsitzender der SPD im Hessischen Landtag. Der Beitrag von Nancy Faeser kann hier nachgelesen werden.

Wegen dieses Gastbeitrages in der antifa nahm Anfang Februar 2022 das Sprachrohr der neuen Rechten, die Junge Freiheit, die häufig genug auch Rechtsextremen eine Bühne bietet, die Bundesinnenministerin aufs Korn. Die Springerpresse griff das auf, Politiker der AfD und CDU folgten. Begründet wurde die Kampagne damit, dass der bayrische Verfassungschutz die VVN-BdA im Jahr 2020 wie in den Jahren zuvor als “extremistisch beeinflusst” eingestuft hatte (Bayrischer Verfassungsschutzbericht 2020, Seite 258) . Kaum erwähnt wurde, dass das Finanzamt Berlin, das für die Bundesvereinigung VVN-BdA zuständig ist und der VVN-BdA wegen dieser Einstufung im Jahr 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen hatte, diese Aberkennung im Jahr 2021 wieder rückgängig machte. Nach der Abgabenordnung wird einem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen, wenn er vom Verfassungsschutz auch nur eines Landes als “extremistisch” eingestuft wird und er das gegenüber dem zuständigen Finanzamt nicht widerlegen kann (§ 51 Absatz 3 Satz 2 Abgabenordnung). Offensichtlich waren für das Berliner Finanzamt für Körperschaftssteuern diese Voraussetzungen nach der Abgabenordnung nicht erfüllt.

Anders das bayrische Finanzamt: Es erkennt die Gemeinnützigkeit des bayrischen Landesverband der VVN-BdA immer noch nicht an. Der Bayrische Laandesverband klagte dagegen, hatte aber vor dem Finanzgericht München keinen Erfolg. Nach einem Bericht der VVN-BdA Landesverband Bayer ließ aber das Finanzgericht München die Revision zu. Die nächste Runde des Rechtsstreits wird also demnächst vor Bundesfinanzhof ausgetragen werden.

Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA und jetzt die Kampagne gegen die Bundesinnenministerin zeigen schlaggartig, dass der tief verwurzelte Antikommunismus, der über Jahrzehnte in der Bundesrepublik gepflegt wurde, noch längst nicht der Geschichte angehört.

Diese schlimme Tradition spiegelt sich in der Abgabenordnung unmittelbar wieder. Sie verwendet explizit den Begriff Extremismus und stellt sich damit in eine Tradition, die die antifaschistische Prägung des Grundgesetzes leugnet. Die Forderungen zur notwendigen Änderung der Abgabenordnung können hier nachgelesen werden.

Es muss endlich eine Diskussion darüber geführt werden, wie mit diesen unseeligen Traditionen gebrochen werden kann. Die VVN-BdA ist die älteste antifaschistische Organisation der Bundesrepublik und vereinigt Menschen unterschiedlichster Parteizugehörigkeit und verschiedener Weltanschauungen. Alle einigt das Ziel: “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” Wieso kann ein Verfassungsschutz in seinem Verfassungsschutzbericht 2020 (Seite 258) unwahr über die VVN-BdA behaupten: “Vielmehr werden alle nicht marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt”?

Nicht die VVN-BdA gehört beobachtet und auf den Prüfstand, sondern eine Behörde, die die älteste antifaschistische Organisation als “extremistisch beeinflusst” einstuft, und Gerichte und eine Politik, die das stützen. Wie soll auf dieser Basis einem Rechtsblock begegnet  werden, wie er sich exemplarisch gegen die Inneministerin Nancy Faeser von der “Jungen Freiheit” bis zur Springer Presse, von der AfD bis zur CDU formierte?

Der Bundesverband der VVN-BdA nahm mit diesen Worten Stellung: „Es ist ein Skandal, dass Menschen über lange Zeiträume von einem NSU 2.0 bedroht werden, dessen Hintergründe bis weit in die hessische Polizei reichen und dessen Aufklärung bis heute von der hessischen Landesregierung hintertrieben wird. Es ist mehr als selbstverständlich für uns, den Betroffenen rechter Morddrohungen beizustehen und Öffentlichkeit für das Thema herzustellen. Die aktuelle Kampagne gegen Frau Faeser vonseiten rechter Medien verurteilen wir und schätzen es nur als weiteren Versuch ein, diejenigen einzuschüchtern, die sich gegen rechte Bedrohungen, Faschismus und Rassismus aussprechen.“

Nancy Faeser erklärte: „Ich habe immer klare Kante gegen Rechtsextremismus und alle Feinde der offenen Gesellschaft gezeigt – und werde das auch weiterhin tun.“ Wir wünschen uns, dass Nancy Faeser konsequent bleibt.

Bewertung und Kontrolle der Klimazusagen von Unternehmen

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8. Februar 2022 Hopmann. Am 7. Februar 2022 wurde von “carbon market watch” eine Studie “Corporate Climate Responsibility Monitor” veröffentlicht. Susanne Ferschel, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagesfraktion der Partei DIE LINKE, forderte daraufhin mehr Vorgaben, Standards und Kontrolle der Unternehmen und mehr Mitbestimmung der Beschäftigten im Betrieb. Wolfgang Däubler und Thomas Berger haben dazu einen konkreten Vorschlag gemacht.

Inhalt:

Ergebnisse der Studie “Corporate Climate Resonsibility Monitor”

Zunächst zitieren wir aus der Studie “Corporate Climate Responsibility Monitor”:

“Der Corporate Climate Responsibility Monitor bewertet die Transparenz und Integrität der Klimazusagen von Unternehmen.

Unternehmen auf der ganzen Welt werden … von immer mehr Interessengruppen aufgefordert, Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Aktivitäten zu übernehmen. Die meisten großen Unternehmen haben inzwischen öffentliche Klimastrategien und -ziele, von denen viele Zusagen enthalten, die auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass sie ihren Beitrag zur globalen Erwärmung deutlich reduzieren oder sogar eliminieren wollen. Die rasche Beschleunigung der Klimazusagen von Unternehmen in Verbindung mit der Fragmentierung der Ansätze bedeutet, dass es schwieriger denn je ist, zwischen echter Klimapolitik und unbegründetem Greenwashing zu unterscheiden. Hinzu kommt ein allgemeiner Mangel an regulatorischer Aufsicht auf nationaler und sektoraler Ebene. Die Identifizierung und Förderung echter klimapolitischer Führungsqualitäten und deren Unterscheidung von Greenwashing ist eine zentrale Herausforderung, die, wenn sie angegangen wird, das Potenzial hat, mehr Ambitionen zur Eindämmung des globalen Klimawandels freizusetzen.

Eine vom NewClimate Institute in Zusammenarbeit mit Carbon Market Watch durchgeführte Bewertung der Klimabehauptungen von 25 großen globalen Unternehmen ergab, dass fast alle von ihnen auf irgendeine Form von Schlupflöchern oder Tricks zurückgreifen, um die Ambitionen ihrer Klimaziele und -maßnahmen erheblich zu übertreiben”.

Empfehlungen dieser Studie

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten die Anforderungen in Bezug auf falsche und irreführende Werbung und Marketing verbessern.

Zusammenfassung der Empfehlungen von Carbon Market Watch:

  • Die Regierungen müssen Unternehmen verbieten, “Netto-Null”- und “Kohlenstoffneutralitäts”-Behauptungen aufzustellen.
  • Die Unternehmen müssen die absoluten Emissionsreduzierungen getrennt von den außerhalb ihrer Wertschöpfungskette finanzierten Emissionsreduzierungen ausweisen, anstatt eine einzige Gesamtzahl zu nennen.
  • Die Unternehmen müssen Verbrauchern und Investoren stets ein vollständiges Bild vermitteln. Sie müssen Ziele festlegen, die alle Emissionen innerhalb ihrer Wertschöpfungskette abdecken, d. h. die Bereiche 1-3; sie müssen die Emissionsreduzierungen sowohl in absoluten Zahlen als auch als Anteil an den Gesamtemissionen ausdrücken und Einzelheiten über den Bezugspunkt für die Berechnung der Reduzierungen, d. h. das Basisjahr, angeben.
  • Die Unternehmen sollten die Emissionen aus fossilen Brennstoffen nicht mit Kohlenstoff ausgleichen, der in nicht dauerhaften Kohlenstoffsenken wie Wäldern oder Böden gespeichert ist”.

Stellungnahme der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Susanne Ferschel, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE LINKE, kommentierte:

“Wenn wir die Klimawende schaffen wollen, müssen wir die Wirtschaft stärker kontrollieren. Voraussetzung dafür sind endlich deutlich schärfere Gesetze und eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung. Es gibt keine Vorgaben und Standards, nach denen Unternehmen ihre CO2-Emissionen bilanzieren und die eigenen Klimapläne erfassen müssen. Auch die Ampelregierung hat keine Pläne das zu ändern. Dabei ist die Schaffung und Kontrolle solcher Standards zwingend notwendig. … Die beste Kontrollinstanz bei der Durchsetzung von Klimaschutzmaßnahmen im Betrieb sind die Beschäftigten selbst. Sie verfügen über die Sach- und Betriebskenntnis, um die Praxis des Klimaschutzes im Unternehmen wirklich bewerten zu können. … Es muss Schluss damit sein, einseitig Unternehmensgewinne zu schonen, während abhängig Beschäftigte die steigenden Kosten des Klimawandels schultern” (JW v. 8. Februar 2022, Seite 8).

Vorschlag von Däubler zur Erweiterung der Mitbesimmungsrechte der Betriebsräte

Wolfgang Däubler und Thomas Berger haben in der Zeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb 1/2022 einen konkreten Vorschlag gemacht, wie die notwendige Mitbestimmung von Betriebsräten beim Umwelt- und Klimaschutz in § 87 Betriebsverfassungsgesetz verankert werden könnte.

§ 87 Betriebsverfassungsgesetz beginnt so:

Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegeheiten mitzubestimmen ...”

Dann folgt ein Katalog von “Angelegenheiten“, bei denen der Betriebsrat mitzubestimmen hat. Es wird vorgeschlagen, diesen Katalog um folgende “Angelegenheit” zu erweitern:

15. Maßnahmen, die geeignet sind, dem Umwelt- und Klimaschutz zu dienen“.

Jeder Betriebsrat kennt den § 87 Betriebsverfassungsgesetz und weiß sofort, dass der Betriebsrat damit die Rechte hätte, die er braucht, um die Praxis des Klimaschutzes in Unternehmen bewerten und kontrollieren zu können.

Gründe und Abgründe

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6, Februar 2022. In Charlottenburg in der Schlossstraße 22 vor dem Restaurant ‘Kastanie’ erinnert in jedem Jahr ein Bündnis (u.a. Kiezbündnis Klausenerplatz e.V., VVN-BdA Charlottenburg, die LINKE, DKP) an die Ermordung des jungen Kommunisten Otto Grüneberg im Jahr 1931 durch Faschisten. Benedikt Hopmann wurde gebeten, zu der Aberkennung und Wieder-Anerkennung der VVN-BdA zu sprechen. Die einzelnen Anknüpfungspunkte, die für den bayrischen Verfassungsschutz eine Einstufung als extremistisch rechtfertigten, wurden nicht mündlich vorgetragen, sind hier aber ebenfalls veröffentlicht.

Was bedeutet es für einen Verein, wenn er als gemeinnützig anerkannt ist? Diejenigen, die an einen gemeinnützigen Verein spenden, können diese Spende von  ihren zu versteuernden Einkünften absetzen. Ein gemeinnütziger Verein kann entsprechende Spendenbescheinigungen ausstellen. Ebenso wichtig ist, dass Zuschüsse aus öffentlichen Kassen regelmäßig an die Gemeinnützigkeit gebunden sind. Zudem befreit die Anerkennung der Gemeinnützigkeit einen Verein von zahlreichen Steuern, insbesondere von der Körperschaftssteuer (entspricht der Einkommenssteuer bei natürlichen Personen) und Gewerbesteuer. Diese Steuerbefreiung gilt vor allem für die Vereinseinnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Erbschaften, Zuschüssen usw.

Da die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für drei Jahre rückwirkend galt, drohten der VVN-BdA Zahlungen an das Finanzamt im fünfstelligen Bereich.

Es war das Berliner Finanzamt, das der Bundes-VVN-BdA die Gemeinnützigkeit aberkannte. Der Grund: Der bayrische Verfassungsschutz hatte die Bundes VVN-BdA als „extremistisch beeinflusst“ eingestuft. Für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit war das Berliner Finanzamt zuständig, weil  die Bundes-VVN-BdA als Verein in Berlin registriert ist.  Verantwortlich ist aber in letzter Instanz die Bundespolitik. Denn der Bundestag hat in einem Bundesgesetz, der Abgabenordnung, die Rechtsgrundlage für alles geschaffen. In der Abgabenordnung heißt es wörtlich: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutz des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen“, dass sie nicht gemeinnützig sind. In der Abgabenordnung wird also ausdrücklich der Begriff „extremistisch“ verwendet. Totalitarismus und Extremismus – das sind seit dem kalten Krieg die wichtigsten Kampfbegriffe gegen jeden substantiellen gesellschaftlichen Fortschritt, immer wurden sie fast ausschließlich gegen links in Anwendung gebracht – bis heute, wie die Verwendung „extremistisch“ in der Abgabenordnung belegt. Diese Regelung wurde erst nach der Jahrtausendwende in die Abgabenordnung aufgenommen.

Das Finanzamt muss, wenn der Verfassungsschutz auch nur vermutet, dass ein Verein „extremistisch“ ist, diesem Verein die Gemeinnützigkeit entziehen. In dem eben zitierten Gesetzestext erscheint allerdings das Wort „widerlegbar“, über das wir noch nicht gesprochen haben. „Widerlegbar heißt: Der vom Verfassungsschutz vermutete „Extremismus“ kann widerlegt werden. „Widerlegbar“ heißt allerdings auch: Nicht das Finanzamt muss den Vollbeweis für die Vermutung des Verfassungsschutzes antreten, bevor es die Gemeinnützigkeit entzieht, sondern die VVN-BdA selbst muss die Vermutung des Verfassungsschutzes widerlegen, sie sei „extremistisch“. Das wird manchmal auch Umkehr der Beweislast genannt.

Die VVN-BdA hatte vorher gegen ihre Einstufung als „extremistisch“ vor dem bayrischen Verwaltungsgericht geklagt. Doch sie hatte die Klage verloren. Das Verwaltungsgericht München hatte damit ein vielleicht noch verheerenderes Zeichen gesetzt als der  Verfassungsschutz selbst. Es hatte der Einstufung durch den Verfassungsschutz seinen richterlichen Segen gegeben.

Das Berliner Finanzamt ging großzügig über den Unterschied hinweg, dass der bayrische Verfassungsschutz mit dem Segen des bayrischen Verwaltungsgericht die Bundes-VVN-BdA nur als „extremistisch beeinflusst“ eingestuft hatten, während die Abgabenordnung eine Einstufung als „extremistisch“ verlangt, um die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Damit weitete das Berliner Finanzamt die Möglichkeit, die Gemeinnützigkeit zu entziehen ins Uferlose aus.

Unsere Bundesprecherin der VVN-BdA Cornelia Kerth hatte 2020 ein Gespräch mit dem Berliner Finanzamt. Die Sachgebietsleiterin referierte, was die VVN-BdA widerlegen müsse, um die Vermutung des Linksextremismus zu entkräften. Dabei zählte sie alle Anknüpfungspunkte auf, die dem bayrischen Verwaltungsgericht für eine Einstufung als „linksextremistisch“ ausgereicht hatten[14].

Das Berliner Finanzamt hatte keinerlei Probleme, sämtliche Anknüpfungspunkte des Verwaltungsgerichts München zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht München seinerseits hatte diese Anknüpfungspunkte vom bayrischen Verfassungsschutz übernommen. Der Vertreter des Berliner Finanzamtes hob hervor, das alles mit dem Finanzsenator Kollatz abgestimmt sei.

Das war sehr beunruhigend. Es zeichnete sich eine ganz große Koalition ab, von Berlin bis München, von der Politik, über die Verwaltung bis zu den Gerichten. Offensichtlich hat die Doktrin des „Extremismus“ nicht nur den Verfassungsschutz vergiftet.

Wir wollen einmal einzelne Anknüpfungspunkte durchgehen, nach denen Verfassungsschutz und Verwaltungsgericht die VVN-BdA als „extremistisch beeinflusst“ einstuften, auch um zu erkennen, was als „extremistisch“, genauer als „linksextremistisch“ betrachtet wird.

Ein Anknüpfungspunkt für den Vorwurf des Linksextremismus, war die Behauptung, die VVN-BdA vertrete einen “kommunistischer Antifaschismus”

Cornelia Kerth, Sprecherin der VVN-BdA, antwortete den Vertretern des Finanzamtes auf diese Vorhaltung so: Die VVN-BdA sei eine Parteien und Spektren übergreifende Organisation, in der es unterschiedliche Zugänge zum Antifaschismus gibt; die VVN-BdA konzentriere sich auf Gemeinsames: „Dazu gehört auch, dass wir kein von einer einheitlichen Weltanschauung geprägtes Verständnis von Faschismus und Antifaschismus haben“[16]. Was auch immer Verfassungsschutz und Gerichte unter „kommunistischen Antifaschismus“ verstehen mögen, die VVN-BdA lässt sich jedenfalls nicht in gute und schlechte Antifaschistinnen und Antifaschisten spalten.

Ein anderer Anknüpfungspunkt war die Behauptung, der “Einfluss der DKP” in der VVN-BdA sei zu groß.

Abgesehen davon, dass der bayrische Verfassungsschutz den Einfluss von DKP Mitgliedern in der VVN-BdA stark übertreibt, sind Kommunisten und Kommunistinnen niemals ein Anknüpfungspunkt dafür, dass die VVN-BdA „extremistisch“ ist, also Bestrebungen fördert, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. Unvergessen bleibt Max Reimann, Kommunist und einer der Väter des Grundgesetzes. Er stimmte gegen das Grundgesetz, weil es die Spaltung Deutschlands zementieren sollte, sagte aber gleichzeitig voraus, dass die Kommunistinnen und Kommunisten diejenigen sein würden, die dieses Grundgesetz gegen jene verteidigen würden, die es beständig aushöhlen und verwässern werden.

Ein weiterer Anknüpfungspunkt waren “Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären

Als Beispiel wird die folgende Äußerung aus einer Rede auf dem 4. Bundeskongress im Jahr 2011 zitiert: „Faschismus ist im Deutschen ein mehrdeutiges Wort: es bezeichnet eine Organisation, Bewegung oder Partei, eine Ideologie und eine Staatsform, die faschistische Diktatur genannt wird. Und diese Diktatur ist eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft. Das ist das Wesen der Sache und des Streits. Eine Ausprägung neben anderen: der konstitutionellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder auch dieser oder jener Form autokratischer Herrschaft. In welchen Formen die bürgerliche Gesellschaft ihren staatlichen Rahmen findet, hängt nicht in erster Linie von Überzeugungen ab, wiewohl die beim Handeln von Menschen immer im Spiele sind, sondern davon, welche von ihnen den in der Gesellschaft dominierenden Interessen und deren Verfechtern dient, sie fördert und womöglich auch sichert“.

Der Verfassungsschutz und mit ihm das Verwaltungsgericht würdigt diesen Ausschnitt aus der Rede eines “maßgeblichen Vertreters der marxistischen Faschismustheorie innerhalb der der VVN-BdA” so: “Dieses spezifische Verständnis von „Antifaschismus“ der DKP und in der VVN-BdA erinnert an den „Antifaschismus“ als Staatsdoktrin der ehemaligen DDR, wonach alle nicht-sozialistischen Staaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, „faschistisch“ waren …”. Das ist allerdings eine Behauptung, die auch bei bestem Willen nicht aus dem zitierten Text herausgelesen werden kann. Nirgendwo steht, die Bundesrepublik Deutschland sei faschistisch. Es wird nur gesagt: „Die faschistische Diktatur …  ist eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft“.  Deutschland hatte bis zum Ende des 1. Weltkrieg einen Kaiser, war danach in der Weimarer Republik eine bürgerliche Demokratie und ab 1933 ein faschistisches Regime. Das alles immer auf der Basis einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Das ist nicht nur eine Beschreibung der Vergangenheit, sondern auch eine Warnung für die Zukunft. Oder in den Worten von Primo Levi: Es ist geschehen und es kann wieder geschehen. Nur wer die  Gefahr benennt, kann sich vor ihr schützen. Es ist ganz unerhört, schon die Warnung davor als verfassungswidrig abzuqualifizieren und auf diese Weise den antifaschistischen Auftrag, den das Grundgesetz enthält, auszuhebeln.

Das bayrische Verwaltungsgericht hatte keine Probleme, die älteste und größte antifaschistische Organisation VVN-BdA als „extremistische“ Organisation einzuordnen, die den Rechtsextremismus lediglich als “vordergründige Aktivität” bekämpft:

Nach verfassungsschutzrechtlicher Bewertung des Bundes ist das Ziel der sogenannten Antifaschismus-Arbeit – in linksextremistischen Organisationen – „der Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen… [2].

Mit dieser Definition der freiheitlich demokratischen Grundordnung als ausschließlich kapitalistisches System setzen sich jedoch Verfassungsschutz und das Verwaltungsgericht in München selbst in Widerspruch zum Grundgesetz und begeben sich damit in die Verfassungswidrigkeit. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach hervorgehoben, dass das Grundgesetz nicht auf ein kapitalistisches System festgelegt ist[2]. Das Grundgesetz fordert den Sozialstaat, aber keineswegs die Marktwirtschaft[30].

Will der Verfassungsschutz demnächst auch die IG Metall als linksextremistisch einstufen, weil sie in ihrer Satzung die “Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschende Unternehmungen in Gemeineigentum” fordert und sich damit auf Artikel 15 des Grundgesetzes beruft, der diese Möglichkeit eröffnet? Oder sind die mehr als eine Millionen Menschen, die für die Enteignung der großen Wohnungskonzerne gestimmt haben, Verfassungsfeinde? “Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral” erklärte das Bundesverfassungsgericht mehrfach[29].

Das Verwaltungsgericht München erklärt, unsere Parole “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen” diene “schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen”[2]. Die Meinung von Faschisten wird also als „andere Meinung“ verharmlost. Geht man so mit einem Regime um das Millionen Menschen in den den KT’s und noch mehr Millionen Menschen im Krieg umgebracht hat? Eine solche Verharmlosung des Faschismus können wir niemals akzeptieren. Wir erkennen in unserer Verfassung einen antifaschistischen Auftrag, den es umzusetzen gilt. Wir fühlen uns damit den besten Traditionen dieses Landes verpflichtet.

Nicht auf die VVN-BdA, sondern auf den Verfassungsschutz und das bayrische Verwaltungsgericht fallen dunkle Schatten.   

Man hätte erwarten können , dass ein rot-rot-grüner Senat das erkennt. Dann hätte der rot-rot-grüne Senat die vom Verfassungsschutz und Verwaltungsgericht angeführte Anknüpfungspunkte als widerlegt betrachtet  und das zuständige Finanzamt angewiesen, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit rasch rückgängig zu machen. Aber stattdessen empfahl das Finanzamt Cornelia Kerth ernsthaft, erneut zum Verwaltungsgericht zu gehen, und zwar in Berlin und jetzt die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Berliner Finanzamt überprüfen zu lassen. Das kam für die VVN-BdA überhaupt nicht in Frage.

Nach vielen Protesten wurde der Bundes-VVN-BdA die Gemeinnützigkeit im April letzten Jahres wieder zuerkannt. Der Berliner Finanzsenator ließ sich viel Zeit.

In Hamburg verabschiedeten sich im Juli 2021 hunderte Menschen von der Ehrenvorsitzenden der VVN-BdA Esther Bejarano aus Anlass ihrer Beerdigung. Wenige Wochen vorher hatte Esther Bejarano noch eine förmliche Versicherung abgeben müssen, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Nur unter dieser Voraussetzung war der Berliner Finanzsenator bereit, der VVN-BdA wieder die  Gemeinnützigkeit zuzuerkennen. Was für ein abgrundtiefes Misstrauen staatlicherseits gegenüber der größten und ältesten antifaschistischen Organisation Deutschlands.

Nach der rot-grün-gelben Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene soll einer Organisation weiter die Gemeinnützigkeit aberkannt werden können, wenn der Verfassungsschutz auch nur eines Bundeslandes diese Organisation als „extremistisch“ einstuft. An dieser Regelung soll sich nichts ändern.

Der bayerische Verfassungsschutz stuft die bayerische VVN-BdA immer noch als „extremistisch“ ein.

Es geht darum für eine antifaschistisch geprägte Gesellschaft zu kämpfen. Das ist das Ziel.

Entscheidend wird sein, ob wir in den kommenden Jahren große Mehrheiten für dafür gewinnen können. Das ist eine Herkulesaufgabe. Aber die Rechtsentwicklung in unserem Land und in ganz Europa fordert das heraus.

Das Grundgesetz ist antifaschistisch geprägt. In diesem Sinne muss es verstanden und auch wohl präzisiert werden. Wenn selbst das Bundesverfassungsgericht kein antifaschistisches Prinzip im Grundgesetz erkennen will, müssen wir dieses Prinzip  durchsetzen.

Es gibt viele konkrete Schritte, die alle helfen, dem Ziel näher zu kommen, unsere Gesellschaft grundlegend antifaschistisch zu prägen.

Es wäre gut, eine Schule nach Esther Bejarano zu nennen.

Auch diese Versammlung hier zu Ehren eines aufrechten Kommunisten, der für seine antifaschistische Überzeugung sterben musste, ist ein Schritt in diese Richtung.  

Hilfreich ist auch, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA seit 2019 tausende neuer Mitglieder beschert hat. Vor allem junge Menschen sind Mitglied unserer Organisation geworden.

Nach dem 2. Weltkrieg war das Ziel, die Gesellschaft in einer antifaschistische Gesellschaft umzugestalten, ein ganz selbstverständliches Ziel. Kommunisten und Sozialdemokraten hatten im Widerstand und in den KZ’s zusammengestanden und wollten nach dem Krieg gemeinsam ein demokratisches antifaschistisches Deutschland aufbauen. Der Schwur von Buchenwald drückt dieses Ziel besonders klar aus: Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. 

Das ist bis heute unsere Richtschnur.

Nicht die VVN-BdA muss sich ändern. Wir müssen die Gesellschaft ändern. Die jungen Menschen, die Mitglied in der VVN-BdA geworden sind, sind unsere Hoffnung.

Rot-grün-gelb zur Gemeinnützigkeit: Wen staatlich fördern?

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In der “Antifa”, der Zeitung der VVN-BdA, wurde im Januar 2022 folgender Beitrag von Benedikt Hopmann zu den Koalitionsvereinbarungen der rot-grün-gelben Bundesregierung zur Gemeinnützigkeit veröffentlicht.

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit hat der VVN-BdA seit 2019 tausende neuer Mitglieder beschert. Vor allem junge Menschen sind Mitglied unserer Organisation geworden. Nach vielen Protesten wurde der Bundes-VVN-BdA die Gemeinnützigkeit im April letzten Jahres wieder zuerkannt. Der Berliner Finanzsenator ließ sich viel Zeit.

In Hamburg verabschiedeten sich im Juli hunderte Menschen von der Ehrenvorsitzenden der VVN-BdA Esther Bejarano aus Anlass ihrer Beerdigung. Wenige Wochen vorher hatte Esther Bejarano noch eine förmliche Versicherung abgeben müssen, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht, damit auf diese Weise die VVN-BdA ihre Gemeinnützigkeit wiedererlangen kann. Was für ein abgrundtiefes Misstrauen staatlicherseits gegenüber der größten und ältesten antifaschistischen Organisation Deutschlands. Eine Schule sollte nach Esther Bejarano benannt werden.

Daraus ergibt sich unmittelbar unsere Aufgabe: Der Kampf um eine antifaschistisch geprägte Gesellschaft. Nach dem 2. Weltkrieg war das ein selbstverständliches Ziel. Doch bald wurde es verdrängt. Der Kampf gegen Totalitarismus und Extremismus war angesagt. Das ist bis heute maßgebend. Selbst nach dem Mord an den Regierungspräsidenten Lübcke (CDU) wurde erklärt, dass gegenwärtig die größte Gefahr von dem Rechtsextremismus ausgehe. Selbst unter diesen Umständen wurde also weiter eine Gefahr des Linksextremismus behauptet. Der Bundes-VVN-BdA wurde genau deswegen die Gemeinnützigkeit durch das Berliner Finanzamt aberkannt. Es reichte die Einstufung als „linksextremistisch“ durch den bayrischen Verfassungsschutz. Verantwortlich ist in letzter Instanz die Bundespolitik, die in der Abgabenordnung dafür die Rechtsgrundlage geschaffen hat. Diese Rechtsgrundlage besteht immer noch. Der bayerische Verfassungsschutz stuft die bayerische VVN-BdA immer noch als „extremistisch“ ein.

Rot-grün-gelb im Bundestag will, dass sich eine gemeinnützige Organisation „politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann“, so die Koalitionsvereinbarung. Die Gemeinnützigkeitszwecke sollen „gegebenenfalls“ konkretisiert und ergänzt werden. Das wertet die Allianz für Rechtssicherheit, zu der auch die VVN-BdA gehört, als Erfolg und kann Organisationen wie Attac helfen, die Gemeinnützigkeit zurückzuerlangen.

Einer Organisation soll aber weiter die Gemeinnützigkeit aberkannt werden können, wenn der Verfassungsschutz auch nur eines Bundeslandes diese Organisation als „extremistisch“ einstuft. Dabei geht es nicht nur darum, wer was beweisen muss, entscheidend ist der Begriff „Extremismus“ selbst. Das hat die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA deutlich gezeigt. Die zögerliche Haltung des rot-rot-grünen Senats und hier in besonderem Maße die des Finanzsenators war ein Offenbarungseid. Es war völlig verfehlt, der VVN-BdA mangelnden Respekt vor der Meinungsfreiheit zu unterstellen und das ausgerechnet mit dem Verweis auf unsere Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.

Wenn selbst das Bundesverfassungsgericht kein antifaschistisches Prinzip im Grundgesetz erkennen will, müssen wir es durchsetzen. Entscheidend wird in den kommenden Jahren sein, ob wir große Mehrheiten für diese Überzeugung gewinnen können – vielleicht ein Anlass für eine Fortsetzung unserer bundesweiten Online-Veranstaltungen.

Demokratie und Antifaschismus sind zwei Seiten derselben Medaille. Menschenwürde verlangt Abrüstung und Frieden. Demokratie ist mit Rassismus ebenso unvereinbar wie mit der Macht des großen Kapitals. Die Möglichkeit der Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz ist dagegen Ausdruck einer antifaschistischen Prägung des Grundgesetzes.

Zivilgesellschaftliches und antifaschistisches Handeln muss vom Staat als gemeinnützig anerkannt werden. Die Demokratie sind wir.