




Vor einiger Zeit sprach mich eine Frau an: Wenn sie sage: „Ich bin gegen die Lieferung von Panzern in die Ukraine“, sei die Antwort: „Das ist schwierig“. Die Frau weiter: „Nichts ist schwierig. Die Lieferung der Panzer ist die Entrittskarte in den Krieg.“
Die Frau war weit über 80 Jahre.
Ein zwanzig Jahre junger Mensch sagte mir: „Ich habe nie an einen Krieg in Europa gedacht“.
Er war noch nicht geboren, als sich Deutschland nach 74 Jahren 1999 das erste Mal wieder an einem Krieg beteiligte und deutsche Piloten ausgerechnet Jugoslawien bombardierten, das schon im Zweiten Weltkrieg furchbar unter dem deutschen Faschismus gelitten hatte.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb vor zwei Wochen: „Zu Beginn des Angriffskrieges hatte Putin die NATO-Staaten davor gewarnt, der Ukraine zu Hilfe zu kommen, und mit Konsequenzen gedroht, „die größer sind als alles, was ihr in der Geschichte erlebt habt““[1]Süddeutsche Zeitung vom 16./17./8. April 2022, Seite 1.
In derselben Ausgabe warnte CIA Chef Bill Burns davor, die nukleare Bedrohung durch Russland zu unterschätzen. „Angesichts der möglichen Verzweifelung von Präsident Putin und der russischen Führung, angesichts der bislang erfahrenen Rückschläge kann keiner von uns die Bedrohung durch einen möglichen Einsatz taktischer oder Atomwaffen geringer Sprengkraft auf die leichte Schulter nehmen. Wir tun es nicht,“ sagt er[2]Süddeutsche Zeitung vom 16./17./8. April 2022, Seite 1.
Zwei Wochen später lädt der US-Verteidungsminister auf die Rammstein Air Base ein und schwor 40 Staaten auf eine Aufrüstung der Ukraine ein: „Wir sind hier, um der Ukraine zu helfen, den Kampf gegen Russlands ungerechte Invasion zu gewinnen …“[3]Junge Welt vom 27. April, Seite 1.
Entweder nimmt die USA die Drohung von Putin, Atomwaffen einzusetzen, doch auf die leichte Schulter oder aber die Regierenden der USA nehmen den Einsatz vom Atomwaffen bewusst in Kauf.
Alles Nachdenken und alles Handeln muss auf eine einzige Frage gerichtet sein: Wie kann dieser Krieg eher heute als morgen beendet werden?
Was tut die Bundesregierung?
Sie verurteilt den verbrecherischen Angriffskrieg Putins und liefert Panzer an die Ukraine.
Was tun wir? Wir verurteilen ebenfalls den Einmarsch russischer Truppen und fordern keine Panzer an die Ukraine.
Die Reaktion beschreibt die alte Frau: „Das ist schwierig“ und antwortet:
„Die Lieferung der Panzer ist die Eintrittskarte in den Krieg.“
Sie hat den letzten Krieg miterlebt.
Wer den Krieg beenden will, kommt keinen Schritt weiter, wenn er sich immer wieder über den Angriffskrieg und Bruch des Völkerrechts empört und Putin energisch aufruft, die Truppen zurückzuziehen.
dan heißt es nur: „Eben deswegen müssen wir Waffen an die Ukraine liefern. Die Ukraine muss sich verteidigen können. Dazu braucht sie auch Waffen“.
Aber damit beenden wir nicht den Krieg. Wir müssen die andere Seite beschrieben: Was tut die deutsche Bundesregirung, die NATO, die USA? Feuer löscht man nicht mit Benzin.
Es ist ein extrem hohes Risiko, auf eine militärisch Lösung zu setzen. Aber genau das macht die NATO, angetrieben von den USA. Sie wollen den Krieg gewinnen.
Und Russland wird den Krieg nicht verlieren wollen.
Wenn unter diesen Umständen Russland tatsächlich Atomraketen einsetzt, was dann?
Dann wird ein Entsetzen durch die Welt gehen und man wird sagen: „Da sieht man es. Der Agressor Putin. Wir haben es immer gesagt“ usw usw.
Aber das wurde auch schon vorher gesagt. Hat es geholfen?
Es muss eine Eskalation bis hin zu einem Atomkrieg vermieden werden.
Wenn man sagt, ein entscheidender Grund für den Krieg sei gewesen, dass die NATO darauf bestanden habe, die Tür für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine offen zu halten, so wird entgegnet: „Ja, das mag ein Fehler der NATO gewesen sein, aber das rechtfertigt nicht den Angriffskrieg Russlands“.
Doch wer es bei dieser Antwort belässt, schiebt die Verantwortung beiseite, die NATO mit den USA an der Spitze für diesen Krieg haben. Zudem wird er nicht sagen können, wie der Krieg beendet werden kann. Nur wer nach einer Antwort auf die Frage sucht, warum dieser Krieg begonnen wurde, wird auch eine Antwort auf die Frage finden, wie dieser Krieg beendet werden kann. In der Formel Keine Osterweiterung der NATO wird man nicht nur die Ursache, sondern auch den Weg zur raschen Beendigung dieses Krieges finden.
Immer wieder wird argumentiert, die Ukraine sei souverän und müsse selbst entscheiden, ob sie Mitglied in der NATO werden wolle. Aber ebenso souverän ist die NATO, zu entscheiden, ob sie die Ukraine aufnimmt oder eben nicht aufnimmt. Was verpflichtet die NATO, die Ukraine aufzunehmen? Lebt die Schweiz oder Österreich nicht gut mit ihrer Neutralität? Wieso nimmt die NATO wegen einer solchen Frage den Tod von Tausenden Menschen in Kauf?
Die Verantwortlichen, die die Tür zur NATO offen gehalten und es deswegen bewusst auf einen Krieg haben ankommen lassen, sagen es jetzt ganz unmissverständlich: Sie wollen Russland entscheidend schwächen. Und das ist es ihnen wert, einen großen Krieg zu führen – in Europa, weit weg von den USA.
Vielleicht werden sie einmal furchtbare Verbrecher genannt werden.
Und wir, die wir den Krieg nicht verhindert haben? Was wird man über uns sagen?
Ich möchte als einen ersten Schritt empfehlen, den Appell für den Frieden zu unterschreiben. Dieser Appell richtet sein Augenmerk auf das, was den Krieg schnell beenden könnte. Darüber berichten die großen Zeitungen und Fernsehsender wenig. Dieses Deutschland hat eine Verantwortung. Um diese Verantwortung geht es.
Die Meinungsäußerungsfreiheit von Whistleblowern ist deswegen so bedeutsam, weil sie die Warnung vor drohenden Gefahren ermöglicht, denen die Allgemeinheit sonst schutzlos ausgeliefert wäre; niemand anderes weiß davon oder wir erfahren das erst, wenn es zu spät ist.
Whistelblowerschutz ist also Gefahrenschutz ersten Ranges. Das gilt vor allem dann, wenn es um überragende Gemeinschaftsbelange, Überlebensinteressen der Menschheit geht.
Weder Unternehmensinteressen noch Interessen der nationalen Sicherheit dürfen gegen diesen Gefahrenschutz abgeschirmt werden.
Diesen Anspruch erfüllt der Referentenentwurf eine Gesetzes zum Schutz von Whistleblowing vom 24. März 2022 nicht.
Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit hier meine Kritik:
Inhaltsverzeichnis:
Unternehmen erhalten einen besonderen Schutz vor Veröffentlichungen, der sonst im Zivilrecht oder Strafrecht nicht existiert:
Nachweis im Referentenentwurf: Eine Offenlegung, also eine Bekanntmachung gegenüber der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 5), wird in der Regel nur erlaubt, wenn vorher der Verstoß extern gemeldet wurde (§ 32 in Verbindung mit §§ 27 – 31): Eine externe Meldung ist eine Information an eine zuständige Stellen außerhalb des Unternehmens (§§19 ff).
Eine der Ausnahmen von der Reihenfolge ‚Erst externe Meldung, dann Offenlegung‘ gilt dann, wenn „der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann“ (§ 32 Nr. 1).
Diese Einschränkung des öffentlichen Interesses auf „Notfälle, die Gefahr irreversible Schäden oder vergleichbare Umstände“ wird der herausragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft, wie sie etwa das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil beschrieben hat, nicht gerecht.
Auch wenn an eine Offenlegung, eine Bekannmachung in der Öffentlichkeit, höhere Anforderungen gestellt werden müssen als an eine interne oder externe Meldung, findet sich ein Verbot der Offenlegung unrichtiger Verstösse (§ 32 Absatz 2) und eine entsprechende Sanktionierung (§ 40 Absatz 1) nicht einmal in der EU-Richtlinie 2019/1937[1]vergleiche § 32 Absatz 2 des Referentenentwurfs mit Artikel 15 EU-Richtlinie 2019/1937. Es besteht schon jetzt ein ausreichender Schutz gegen die Verbreitung von unrichtigen Verstössen in der Öffentlichkeit. Einen besonderen Schutz darüber hinaus für Unternehmen in einem WhistleblowerGesetz bedarf es nicht.
Eine Formulierung, die der Meinungsfreiheit ein größeres Gewicht einräumt, ist zu finden unter: https://widerstaendig.de/whistleblower/fuer-ein-besseres-recht/#vorbehalt
Es ist nicht einzusehen, dass die Anforderungen, die an den Wahrheitsgehalt einer Strafanzeige gestellt werden, höher als sonst sein müssen, wenn sich die Strafanzeige gegen ein Unternehmen richtet. Unternehmen dürfen nicht mehr als andere vor Strafanzeigen geschützt werden.
Schon die EU-Richtlinie 2019/1937 stellte zu hohe Anforderungen an den Wahrheitsgehalt einer Strafanzeige, weil sie für eine interne oder externe Meldungen verlangt, dass Whistleblower “hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen” (Artikel 1 Absatz 1 a der EU-Richtlinie 2019/1937) .
Der Referentenentwurf verlangt, dass die „Informationen über Verstöße begründete Verdachtsmomente sind oder Wissen über tatsächliche oder mögliche Verstöße sowie über Versuche der Verschleierung solcher Verstöße, die bereits begangen wurden oder sehr wahrscheinlich erfolgen werden“ (§ 3 Absatz 3).
Diese Anforderungen übernimmt der Referentenentwurf ohne dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, nach der es nicht auf „begründete“ Verdachtsmomente ankommt, also darauf, ob ein Verdacht eine Straftat begründen könnte, sondern allein darauf, dass derjenige, der den Verdacht auf eine Straftat seines Arbeitgebers bei der Staatsanwaltschaft anzeigt, nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht. Es ist allein Aufgabe der Staatsanwaltschaft und schließlich der Gerichte zu prüfen, ob eine Strafanzeige „begründet“ ist, also einen bestimmten Straftatbestand erfüllt.
Siehe dazu: https://widerstaendig.de/whistleblower/fuer-ein-besseres-recht/#Strafanzeigen
Whistleblower wie Daniel Ellsberg, Edward Snowden oder Chelsea Manning werden durch diesen Referentenentwurf nicht geschützt.
Nachweis im Referentenentwurf: Kein Schutz für Whistleblower, die über Verstösse im nationalen Sicherheitsbereich oder Bereich wesentlicher Sicherheitsinteressen informieren (§ 5 Abs. 1), selbst wenn es um strafbare Handlungen oder Verstöße gegen Leib, Leben oder Gesundheit geht (§ 2 Abs, 1 Nr, 1 und 2) geht.
Siehe dazu: https://widerstaendig.de/whistleblower/fuer-ein-besseres-recht/#Schutz
Wie in § 5 Nr. 2 Geschäftsgeheimnisgesetz sollte Whistleblowing auch dann geschützt werden, wenn es sich nicht um rechtswidriges Verhalten, sondern um Fehlverhalten unterhalb der Schwelle der Rechtswidrigkeit handelt.
Solche Verstösse schließt der Referentenentwurf ausdrücklich aus, erfasst allerdings neben den rechtwidrigen Handlungen (§ 3 Absatz 1 Nr. 1) auch missbräuchliche Handlungen unterhalb der Schwelle der Rechtswidrigkeit, wobei Handlungen missbräuchlich sind, „weil sie dem Ziel oder dem Zweck der Regelungen in den Vorschriften oder Rechtsgebieten zuwiderlaufen“, die in den vom Gesetz definierten sachlichen Anwendungsbereich fallen. (§ 3 Absatz 2 Nr. 2). Anders als im Geschäftsgeheimnisgesetz soll damit im Referentenentwurf unethisches Verhalten nicht geschützt werden[2]siehe Begründung zu § 3 Absatz 1 Nr. 1, Referentenentwurf S. 69.
Whistleblowerschutz ist Gefahrenschutz ersten Ranges. Kein Unternehmen und keine Einrichtung darf gegen diesen Gefahrenschutz abgeschirmt werden. Diesen Anspruch erfüllt der Referententwurf nicht: Unternehmen erhalten einen besonderen Schutz vor Veröffentlichungen, der sonst im Zivilrecht oder Strafrecht nicht existiert. Auch die Anforderungen an Strafanzeigen gegen Unternehmen sind höher als sonst. Menschen wie Daniel Ellsberg, Edward Snowden oder Chelsea Manning legen Verstösse im nationalen Sicherheitsbereich, Bundesnachrichtendienst usw. offen. Sie dürfen nicht vom Whistleblowerschutz ausgeschlossen werden. Im Übrigen müssen auch Whistleblower geschützt werden, die Missstände offenlegen, die keine Rechtsverstösse sind.
Siehe auch zum Referentenentwurf für ein Hinweisgebergesetz:
References
↑1 | vergleiche § 32 Absatz 2 des Referentenentwurfs mit Artikel 15 EU-Richtlinie 2019/1937 |
---|---|
↑2 | siehe Begründung zu § 3 Absatz 1 Nr. 1, Referentenentwurf S. 69 |
„Es war längst überfällig, den Landeverband Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen in den Berichten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz nicht mehr als „linksextremistisch beeinflusst“ zu bezeichnen. Im eben vorgestellten Bericht für das Jahr 2021 ist das jetzt endlich geschehen. Bayern hatte damit bisher eine Sonderstellung, weil ansonsten die VVN-BdA weder im Bund noch in den Berichten der anderen Bundesländer als verfassungsfeindlich ausgegrenzt wurde …“ heißt es in einer Pressemitteilung der VVN-BdA Landesvereinigung Bayern e.V. Jetzt dürfte auch der Anerkennung der Gemeinnnützigkeit in Bayern nicht mehr im Wege stehen. Allerdings ist der Rechtsstreit um die Abereknnung der Geminnützigkeit in den vergangen Jahren noch nicht beendet; er hat inzwischen den Bundesfinanzhof erreicht. Auch existiert die gesetzliche Grundlage, auf der der VVN-BdA Bayern die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, weiter.
Also bleibt weiter die Forderung nach Streichung oder Änderung dieser Rechtsgrundlage.
Hier die vollständige Pressemitteilung der VVN-BdA Landesvereinigung Bayern e.V. vom 12. April 2022 lesen.
Und zu diesem Thema ein Interview mit Harald Munding, Mitglied im Landessprecherkreis der VVN-BdA Bayern, in der Jungen Welt vom 13. April 2022: „Das gibt uns deutlich mehr Spielraum“
Die irische Europaabgeordnete Clare Daly hat im EU-Parlament die Ukraine-Politik der Union scharf kritisiert und dem Bündnis vorgeworfen, die Menschen in der Ukraine, der EU und in Russland zu einem Spielball der NATO und des militärisch-industriellen Komplexes zu machen.
Hier die Rede hören und sehen.
Statt immer mehr Waffen in die Ukraine zu pumpen, die den Krieg und das Leid der Menschen dort nur verlängern, müssten sich die EU-Politiker endlich an einen Tisch mit Russland setzen und eine Lösung finden.
Die massiven Sanktionen des Westens gegen Russland würden nicht nur russischen Menschen schaden, sondern in immer stärkeren Ausmaßen auch den EU-Bürgern. „Sie sehen sich mit massiven Energiepreissteigerungen, Inflation und einem katastrophalen Rückgang ihres Lebensstandards konfrontiert. „
Die vorgetäuschte Sympathie und Doppelmoral der westlichen Vertreter kotze sie an, fügte sie hinzu:
„Und natürlich steht diese moralische Empörung über Russlands illegalem Krieg, der diesen Wahnsinn ausgelöst hat, in krassem Gegensatz zum Fehlen jeglicher Skrupel in Bezug auf die illegalen US-Kriege im Irak oder in Afghanistan, die wir nicht nur nicht verurteilt haben, sondern sogar mitgemacht haben …. Es gab keine solchen Skrupel bei Saudi-Arabiens Völkermord im Jemen. Die Opfer dieser Konflikte bitten verzweifelt um finanzielle Hilfen für ihre humanitäre Krise. Es fehlen ihnen Milliarden, während wir gerne Milliarden ausgeben, um den Krieg in der Ukraine zu verlängern. Das macht mich absolut krank. „
Der bulgarische, nationalistische Abgeordnete Angel Dschambaski stand demonstrativ während Dalys Rede auf und verließ den Saal. Er hatte im Februar für Schlagzeilen gesorgt, nachdem er im Europaparlament den Hitlergruß zeigte.
Die Rede (englisch mit deutschen Untertiteln) ist von RT veröffentlicht worden. Das sollte uns aber nicht hindern, sie uns anzuhören.
Hier Presse-Berichte über die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 6. April 2022 über die Klagen von drei ehemaligen Gorillas-Beschäftigten gegen ihre Kündigung wegen Teilnahme an einem verbandsfreien Streik im Oktober 2021.
Im Folgenden eine Auswahl von Berichten in Presse und Fernsehen zur Verhandlung und Entscheidung in der 1. Instanz über die Klage von drei ehemaligen Gorillas-Beschäftigten gegen ihre Kündigung wegen Teilnahme an einem verbandsfreien Streik im Oktober 2021:
https://www.jungewelt.de/artikel/424169.arbeitskampf-rider-kontern-vor-kadi.html
hier ein Bericht der ard schon im Oktober 2021: Wird Gorillas zum Präzendezfall?: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/gorillas-rechtstreit-kuendigungen-streiks-101.html
https://taz.de/Gorillas-Fahrer-klagen-gegen-Entlassung/!5848026/
https://twitter.com/LArbG_BB/status/1511704630908043274?t=esbiUrftmCKi6f_i0V4W4g&s=09
Ab minute 1:42 Gerichtsprozess Gorillas im rbb:
https://jungle.world/artikel/2022/18/die-legalitaet-des-politischen-streiks-durchsetzen
Duygu Kaya wollte heute in der Verhandlung über ihre Kündigungsschutzklage (Az.: 20 Ca 10257/21) vor dem Arbeitsgericht Berlin eine Erklärung abgegeben. Ihr Anwalt Benedikt Hopmann bat das Gericht, sich diese Erklärung anzuhören, um sich selbst ein Bild davon zu machen, unter welchen Bedingungen die Gorillas-Beschäftigten arbeiten und warum die Beschäftigten die Arbeit niederlegten. Obwohl der Anwalt ausdrücklich darauf hinwies, dass der Klägerin rechtliches Gehör zusteht, unterband der Richter die Erklärung mit der Begründung, die Klägerin wolle sich nicht zur Sache äußern. Aber der Richter kannte die Erklärung nicht, die die Klägerin abgeben wollte. Hier die Erklärung von Duygu Kaya im Wortlaut:
Für ein zeitgemäßes und gerechtes Streikrecht für prekäre und migrantische Arbeiter:innen bei Gorillas und allen Arbeiter:innen in Deutschland und Europa
„Sehr geehrte Richter und Richterinnen
ich möchte Sie bitten, mir als Zivilpersonen mit offenen Herzen und als Richterinnen mit aufmerksamen Ohren zuzuhören. Es wird länger dauern, deshalb bitte ich Sie um Ihre Geduld.
Mein Name ist Duygu Kaya, ich bin 33 Jahre alt und komme aus Istanbul. In der Türkei habe ich zwei Studien abgeschlossen; zum ersten, Lehramt für Englisch und zum zweiten, Filmwissenschaft. Im Moment schreibe ich neben meinen Brotjobs meine Masterarbeit.
2018 bin ich aus persönlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Ich habe sofort begonnen, den Deutschunterricht zu besuchen, denn ich wollte so schnell wie möglich meine Diplome anerkennen lassen, um wieder als Lehrerin arbeiten zu können. Aber bald schon musste ich so viel arbeiten, um meinen grundlegenden Lebensunterhalt zu bestreiten, dass ich schlicht keine Zeit mehr hatte für meine Deutschkurse. Sozialleistungen konnte ich nicht beantragen, weil ich damit mein Aufenthaltsverfahren in Gefahr gebracht hätte. Zu dem Zeitpunkt begann ich langsam zu begreifen, wie das System aufgebaut ist, das uns, die neuen Migrantinnen, offenbar zu den neuen Gastarbeiter* innen für Deutschland machen soll.
Ich brauchte Deutschkenntnisse auf C2-Niveau, um Lehrerin zu werden, also MuttersprachlerNiveau zu erreichen, während ich entweder in türkisch-, spanisch-, indisch- oder englischsprachigen Jobs arbeiten musste. Übrigens ist das Erlernen der deutschen Sprache nur eines der Haupthindernisse bei der Arbeitssuche. Keinen deutschen Namen zu haben oder einen Namen, den der Personalverantwortliche nicht aussprechen kann, ist meiner Meinung nach ein mindestens so großes Hindernis.
Und was passiert in der Zwischenzeit bis wir unsere Ziele erreichen? Es ist eine lange Geschichte voller Ausbeutung… Wir stecken in einem Teufelskreis fest, wie Beutetiere. Dieser Teufelskreis bedient Firmen wie Gorillas, Getir, Lieferando und all die anderen Unternehmen, die stark von Arbeitsmigrantinnen abhängig sind. Wir brauchen Jahre, um Deutsch zu lernen und einen sinnvollen Job zu finden, der unsere sozialen, kulturellen und finanziellen Bedürfnisse befriedigt.
Die gängige Vorstellung am Arbeitsmarkt ist die folgende: Ihr seid Migranten und solltet sogar dankbar sein, hier in Deutschland überhaupt einen Job zu finden. Und ihr solltet damit einverstanden sein, wenn ihr von diesen Unternehmen ausgebeutet werdet, bis ihr dort ankommt, wo ihr hinwollt – wenn ihr das überhaupt schafft. Es wird für richtig gehalten, dass wir bei der Arbeit in diesen Betrieben unserer Würde beraubt werden. Nicht, weil die Arbeitsplätze nicht unseren Erwartungen entsprechen, sondern weil wir fast wie Objekte betrachtet werden, denen man einen eigenen Willen abspricht. Wir sind die soziale Klasse der Gesellschaft, der der Wille abgesprochen wird, unser Wille wird gefesselt und in den Briefkästen eingeschlossen, die wir jeden Tag sehen, wenn wir nach Hause kommen.
Wussten Sie, dass der Briefkasten zur lebenden Metapher für Angst, Furcht und Kontrolle im Leben der Migrantinnen geworden ist? Der Briefkasten… der Staatsapparat, der uns mit jedem Brief, den wir erhalten, in jeder Sekunde einschüchtert. Wir sind keine Bürgerinnen dieses Landes. Wir sind die Verletzlichsten und doch diejenigen, die am wenigsten geschützt sind. Und genau das ist der Grund, warum Unternehmen wie Gorillas machen, was sie wollen und mit fast allem durchkommen.
Sie unterschlagen die Löhne der Arbeiterinnen. Sie bieten uns keine Sicherheit. Sie geben uns keine Schichten, die es uns ermöglichen würden, unsere Kurse an der Universität oder der Sprachschule zu besuchen. Sie entlassen uns am Ende unserer Probezeit und lassen uns nicht einmal die geringste Chance, ALG 1 zu beantragen.
Was wird von uns erwartet? Schweigen, Gehorsam, einen anderen prekären Job zu finden, wo wir wieder genauso behandelt werden… nur bis… bis wir da sind, wo wir sein wollen. Wann soll das sein? Bei mir sind es schon fast vier Jahre… zehn Jahre für jemand anderen…
Sehr geehrter Herr Richter Kühn, Sie scheinen gewerkschaftliche Arbeit zu befürworten. Das tue ich auch. Mein Vater war sein Leben lang Gewerkschafter, und ist es immer noch. Die Gewerkschaften gehören auch zu uns. Allerdings sind diese derzeit für unsere
Lebensbedingungen zu institutionalisiert. Es gibt kaum einen tatsächlichen Kontakt zwischen den Beschäftigten und ihnen. Ich bin Mitglied in zwei verschiedenen Gewerkschaften. Und von mir als prekär Beschäftigte wird erwartet, dass ich den Arbeitsplatz selbst organisiere und “Mitgliedsbeiträge” in die Kasse der Gewerkschaft bringe. Das ist es, was Verdi von uns verlangt: die nötigen 50 % der Arbeitnehmerinnen zu Verdi zu bringen. Wie sollen wir uns in solchen Betrieben gewerkschaftlich organisieren, wenn wir keinen Schutz haben?
In der ersten Anhörung haben Sie uns auch gefragt, warum wir den Streik nicht mit den Gewerkschaften organisiert haben. Glauben Sie mir, ich habe mir diese Frage auch schon oft gestellt. Wo waren die Gewerkschaften? Ich sage es Ihnen:
Sie sitzen hinter ihren Schreibtischen und stecken den Kopf in den Sand wie Vogelsträuße. Sie finden Ausreden, warum sie unsere Arbeitsplätze nicht organisieren können. Einige reden von Sprachbarrieren. Sprachbarrieren? Die Arbeiterinnen bei Gorillas kommen aus vielen verschiedenen Ländern und sprechen viele verschiedene Sprachen – und wir haben es trotzdem geschafft, uns zu organisieren! – obwohl uns kein Gewerkschaftsbudget und keine hauptamtlichen Gewerkschafterinnen zur Verfügung standen.
Nein, das kann also nicht der Grund sein. Der eigentliche Grund ist der, dass wir am Ende unserer Probezeit entlassen werden: Das bedeutet, dass es sich für die Gewerkschaften nicht lohnt, in uns zu investieren. Warum sollten sie sich die Mühe machen, zu uns zu kommen und eine Menge Arbeit zu investieren, wenn sie wissen, dass keiner dieser Arbeiterinnen sechs Monate später noch da sein wird?
Eine Gewerkschaft braucht im Durchschnitt bis zu 2 Jahren, um einen Arbeitsplatz zu organisieren. Ich habe aber noch nie einen Fahrer* in bei Gorillas oder bei den anderen Lieferdiensten getroffen, die länger als ein Jahr, geschweige denn zwei Jahre, in demselben Unternehmen gearbeitet hat. Es ist die planmäßig herbeigeführte Prekarität dieser Arbeitsplätze, die die Gewerkschaften von uns fernhält. Von denen, für die sie sich eigentlich am allermeisten zuständig fühlen müssten. In ihren Augen sind wir aber offenbar die Arbeiterklasse mit Lepra!
Bitte versetzen Sie sich in unsere Lage. Was hätten wir anderes tun sollen, als zu streiken? Unsere Löhne wurden gestohlen. Wir waren ständig unterbesetzt. Wir wurden zu irrsinnigen und illegalen Schichten eingeteilt, die gegen die Arbeitszeit-Regelungen verstoßen… und nichts davon alarmiert die Behörden? Was für eine beschämende Realität das ist! Das klingt wie eine Arbeitergeschichte aus den Jahren der industriellen Revolution, oder? Nein, das ist erst letztes Jahr bei Gorillas in Berlin passiert und auch letzte Woche bei einem anderen Lieferdienst, Getir. Wahrscheinlich wird dieses Gerichtsverfahren nicht das letzte sein, das sich
mit diesem Thema befasst: Denn unsere Ausbeutung hat System.
Es gehörte nicht zu meinen Plänen für mein Leben in Deutschland, heute hier vor Ihnen zu stehen. Aber die Realität einer Migrantin ist immer politisch. Beispielsweise konnten wir ihr nicht entkommen, weil wir entlassen wurden, sobald wir einfach nur für unsere grundlegenden Rechte eingetreten haben, während diese Unternehmen einzig und allein auf Grundlage der Ausbeutung von migrantischer Arbeiterinnen weiter expandieren. Weil sie ganz genau wissen, dass niemand hinschaut. Und sie haben Recht: Keiner schaut hin!
Diese Unternehmen machen – legitimiert durch die aktuell geltende Rechtsprechung- jede Errungenschaft zunichte, die sich die Arbeitnehmerinnen in den vergangenen hundert Jahren in Deutschland hart erarbeitet und mit ihrem Schweiß, und ihrem Körper erkämpft haben. Diese Zerstörung der Arbeitnehmerrechte wird nicht nur bei den Arbeitsmigrantinnen aufhören. Unsere Ausbeutung ist ein Prototyp, der dazu benutzt werden wird, alle Arbeitnehmerinnen in Deutschland zu erniedrigen und herabzusetzen. Dies ist die Verarmung des Lebens, was in Berlin bereits versucht wurde zu normalisieren, indem man Armut als sexy bezeichnete.
Dies ist die Prekarisierung des Lebens, ohne Ausnahmen zu machen. Und ist ganz und gar nicht sexy!
Das liegt vor allem daran, dass die aktuell mangelhafte gesetzliche Lage und andere staatliche Institutionen sich scheinbar eher darauf konzentrieren, die prekären Arbeiterinnen zu sanktionieren und drangsalieren, anstatt ihnen die Rechte zuzusprechen, die ihnen verfassungsmäßig zustünden.
Ich hatte Sie, Herr Richter Kühn, bei der ersten Anhörung gefragt, wer hinter dieser Rechtsprechung von vor 70 Jahren steckt. Sie meinten, es stecke ein Senat dahinter, nicht eine einzelne Person. Aber was ich über den aktuellen Stand des Streikrechts in Deutschland gelesen habe, weist tatsächlich auf eine Person hinter dieser Rechtsprechung hin, die für das Nazi-Regime aktiv gearbeitet hat, nämlich Hans Carl Nipperdey. Er gab im Rechtstreit um den sogenannten Zeitungsstreik von 1952 ein Gutachten ab, mit dem die Weichen für das bis heute geltende Streikrecht gestellt wurden. In diesem Gutachten wurde der Streik rechtlich beschrieben als Eingriff in den Gewerbebetrieb. Das war eine unerlaubte Handlung. Erlaubt war der Streik nur, wenn er „sozialadäquat“ war. Politische Streiks und verbandsfreie Streiks sind nicht sozialadäquat und damit nicht erlaubt.
Nipperdey war dann auch derjenige, auf den sich das Bundesarbeitsgericht später berief, als es das erste Mal über einen Streik ohne Aufruf der Gewerkschaften zu entscheiden hatte. Sein Name ist nicht zuletzt auf dem Umschlag dieses Buches zu sehen: Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit. Es ist sogar auf Wikipedia einsehbar: Es wurde am 20. Januar 1934 von der NS-Führung erlassen. Es regelte den äußeren Aufbau der Betriebe und führte in der Wirtschaft das Führerprinzip ein. Es wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 40 vom 30. November 1946 und Gesetz Nr. 56 vom 30. Juni 1947 aufgehoben.
Sein Buch ist “aufgehoben”, aber nicht sein Gutachten? Ich frage mich: Wie kann sich ein Richter innerhalb weniger Jahre “entnazifizieren” und weiter das Arbeitsrecht bestimmen? In den 40ern Jahren war er ein Nazi, in den 50ern Jahren aber offensichtlich nicht?
Das Streikrecht auf der Grundlage des Gutachtens von Nipperdey, wird bis heute unverändert ausgeübt, obwohl im Gesetz selbst nicht festgelegt ist, ob man nur für den Tarifvertrag und im Rahmen einer Gewerkschaft streiken darf. Das kann man in der Tat ein Richterrecht nennen; ein Richterrecht, das, unserer Ansicht nach, gegen das Grundgesetz, die Europäische Sozialcharta und grundlegende Menschenrechte verstößt. Aber wie Sie sicher am besten wissen: Gesetze sind größer als Richter. Das Gesetz steht selbst über Richterinnen. Wie kann man dann guten Gewissens an diesem Streikrecht festhalten wollen?
Deutschland braucht Arbeitsmigrant*innen nicht nur, weil wir billige Arbeitskräfte sind, weil wir leichter zu manipulieren, zu verängstigen, zu unterwerfen und zu kontrollieren sind. Deutschland braucht uns auch, weil wir das Gewissen dieses Landes sind. Gerade weil wir so verletzlich sind, stolpern wir über die Unzulänglichkeiten des Staates oder über den Staub, der unter den Teppich gekehrt wird, über den Rassismus, den niemand hinterfragen will – im Leben, bei der Arbeit und im Justizsystem.
Manchmal finden wir jedoch auch vergessene Schätze:
Es gibt ein Zitat aus einem Grundsatzurteil aus dem Jahre 1980 beim Bundesarbeitsgericht, das ich sehr mag: “Ohne Streiks wären Tarifverhandlungen nicht mehr als kollektives Betteln”. Das macht sehr deutlich, wie wichtig Streiks sind. In unserem Fall als prekär Beschäftigte, die nicht von den Gewerkschaften geschützt werden können, geht es nicht einmal um die Tarifverträge, sondern um das nackte Überleben. Ohne unser Recht auf verbandsfreien Streik ist unsere Arbeit nicht mehr als moderne, durch Richterrecht legalisierte Sklaverei.
Der erste Artikel im Grundgesetz lautet: “Die Würde des Menschen ist unantastbar” Und es geht so weiter: “Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt” Das wurde in die Deutsche Verfassung geschrieben, damit die Schrecken des Nationalsozialismus keinen Platz mehr in dieser Gesellschaft finden, weil die Menschenwürde so verletzt wurde, dass Sie
sie durch die Verfassung geschützt werden musste.
Ich stehe heute vor Ihnen wegen eines Menschen, dessen Bild noch immer an den Wänden des Bundesarbeitsgerichts hängt, der zu diesen Gräueln beigetragen hat, und er hat es auf dem Weg des Gesetzes getan. Er konnte weiterarbeiten, anstatt in Nürnberg vor Gericht gestellt zu werden und er trägt bis heute zur Verletzung unserer Würde bei, indem sein Erbe uns rechtlich zum Schweigen und Gehorsam zwingt. Es war die eine Motivation, die uns alle streikenden Beschäftigten zusammenbrachte: unsere Würde. Heute schämen sich die Menschen, wenn sie sagen, dass ihre Großeltern Nazis waren. Es scheint paradox, dass die Stimme des Gesetzes
dann so leise ist, wenn es darum geht, sich diesem schrecklichen Erbe zu widersetzen! Ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wie viele andere Gutachten, Richterrechte usw. von Nazirichtern immer noch angewendet werden.
Wenn dieser Prozess weitergehen muss, werden wir vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen. Denn dieser Rechtsstreit um Streikrechte, ist ein Rechtstreit um Arbeitsrechte und im Endeffekt ein Rechtsstreit um Menschenrechte.
Und ich erachte dieses Richterrecht als ein Verstoß dagegen.
Heute werden Sie eine Entscheidung treffen, die in jedem Fall historisch ist.
Wenn Sie entscheiden, dass die Kündigungen rechtmäßig waren, weil wir illegalerweise gestreikt haben, dann spielen Sie in die Hände jener, die die auf Nipperdey vererbter Lücke im Streikrecht, unsere diskriminierten und diskriminierenden Arbeitsverhältnisse ausnutzen. Diese Verhältnisse und diese Akteure arbeiten gegen unsere Würde, unsere Hoffnungen auf ein besseres Leben und gegen eine gerechte Arbeitswelt. Sie werden diese Unternehmen noch mehr ermutigen und mit lauten juristischen Worten sagen: Ihr, die prekär Beschäftigten, verdient, was man euch antut.
So ein Entschluss wäre nicht nur die Vollstreckung des Richterrechts, sondern auch die Billigung der Präsenz des Erbes des Nationalsozialismus im Gesetz. Die Billigung der Tatsache, dass Deutschland sich seiner Vergangenheit auch dann nicht stellt, wenn ihm die Gelegenheit dazu geboten wird.
Wir fordern Sie nicht auf, neue Gesetze zu schaffen.
Wir fordern Sie auf, das geltende Recht anzuwenden, das im Schatten eines schändlichen
Präzedenzfalls ungehört bleibt.
Anschließend, möchte ich eine filmbezogene Anmerkung machen:
Haben Sie jemals einen guten Film gesehen, in dem die Menschen, die für ihre Rechte gegen jede Form der Ausbeutung oder gegen ein rechtseinschränkendes Gesetz kämpfen, die Antagonisten, die Bösewichte waren? Ich bin mir sicher, dass die Antwort darauf nein lautet.
Denn so funktioniert die Kunst und die Geschichte. Sie machen aus den Unzulänglichkeiten der Gegenwart ein Gebot. Es gibt nur eine unterstützenswerte Seite in dieser Geschichte, und das ist unsere Seite. Dorthin wird die Gerechtigkeit schließlich gehören, und hoffentlich auch Sie mit Ihrem Urteil heute.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“
Duygu Kaya
für das Gorillas Workers Collective
Drei ehemalige Beschäftigte des Lieferdienstes Gorillas klagen gegen ihre Kündigung, die allein damit begründet wurde, dass sie im Oktober 2021 an einem verbandsfreien Streik der Gorillas Beschäftigten im Warehouse Bergmannkiez in Kreuzberg teilgenommen haben (Az.: 20 Ca 10257/21, 20 Ca 10258/21 und 20 Ca 10259/21).
Das Arbeitsgericht entschied gegen eine Verbesserung des Streikrechts.
Im Kern geht der Streit um die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta, die sowohl verbandsfreie als auch politische Streiks erlaubt (Artikel 6 Absatz 4 Europäische Sozialcharta).
Allein ein Blick auf unseren Nachbarn Frankreich zeigt, dass Deutschland ein sehr restriktives und rückständiges Streikrecht hat. Und das, obwohl Deutschland in Europa dominierende Wirtschaftsmacht ist und nicht müde wird, die Bedeutung eines vereinten Europas hervorzuheben. Wenn Deutschland aber nicht bereit ist, sein Streikrecht völkerrechtlichen Anforderungen anzupassen, provoziert es die Frage: Welches Europa strebt Deutschland an? Denn das Streikrecht ist nicht ein Recht unter vielen anderen Rechten, sondern ein Grundrecht, ohne dass fundamentale soziale und demokratische Standards weder durchgesetzt noch verteidigt werden können.
Wir werden gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Berufung einlegen.
Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ein besseres Streikrecht durchzusetzen. Wir wollen damit auch zu einer öffentlichen Diskussion über die Bedeutung des Streikrechts für unsere Gesellschaft beitragen. Ohne Streikrecht keine Demokratie.
Frau Duygu Kaya, eine der drei Personen, die gegen ihre Kündigung geklagt haben, wollte eine Erklärung vor dem Arbeitsgericht abgegeben. Der Richter unterband diese Rede, obwohl auf deren Recht auf Gehör von ihrem Anwalt hingewiesen habe. Hier die Erklärung von Duygu Kaya
Zum Recht auf verbandsfreien Streik hier weiterlesen
Berlin 6. April 2022
Benedikt Hopmann
Rechtsanwalt