Weitreichender Konflikt um Netanjahus Haftbefehl

Die Missachtung des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den Ministerpräsidenten Israels, Benjamin Netanjahu, hat weitreichende Konsequenzen. Das Völlkerrecht ist nur so stark ist, wie die Einzelstaaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen. Ist eine Regierung nicht dazu bereit, muss das Volk sie dazu drängen.

Inhaltsverzeichnis:


Netanjahu auf Einladung von Minsterpräsident Victor Orban in Ungarn – Ungarn tritt aus den Statuten des IStG austreten

Minsterpräsident Netanjahu spaziert auf Einladung des ungarischen Minsterpräsidenten Victor Orban durch Budapest. Kurz nach der Ankunft Netanjahus in Ungarn kündigte Ministerpräsident Victor Orban an, aus den Statuten des Internationalen Gerichtshofs auszutreten. Orban hatte Netanjau eingeladen und ihm versichert, er werde nicht festgenommen. Netanjahu nannte die Entscheidung Ungarns eine „mutige und prinzipientreu“ Entscheidung[1]Tagesspiegel vom 4.4.2025, S. 1; siehe auch: … Continue reading. Israel bezeichnete die Anschuldigungen des IStG gegen Netanjahu als „antsemitsch“[2]Tagesspiegel vom 4.4.2025, S. 1.

Der amtierende Bundeskanzler Scholz erklärte, er können sich nicht vorstellen, dass Netanjahu bei einem Deutschland-Besuch verhaftet würde[3]Tagesspiegel vom 4.4.2025, S. 1, obwohl er weiß, dass Deutschland damit nicht nur gegen das Völkerrecht, das Römische Statut, verstößt, sondern auch gegen seine eigenen Gesetze, das Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH.


25./26. Februar 2025: Kai Ambos im Verfassungsblog und Dr. Max Kolter in LTO zur beabsichtigten Einladung Netanjahus nach Deutschland

Der renommierte Völkerrechtler Kai Ambos stellt im Verfassungsblog detailliert dar, warum die Ankündigung von Merz, Netanjahu nach Deutschland einzuladen, ohne ihn festnehmen zu lassen, ein eindeutiger „Rechtsbruch mit Ansage“ ist. Siehe unten auch der link zu dem Beitrag von Dr. Max Kolter in LTO zum selben Thema.

„Das im Jahre 2002 – zeitgleich mit dem IStGH-Statut – in Kraft getretene Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH (IStGHG) regelt die Einzelheiten der Zusammenarbeit Deutschlands mit dem Gerichtshof. Was die Vollstreckung von IStGH-Haftbefehlen angeht, so ordnet § 2 IStGHG – in Vollzug von Art. 89 Abs. 1, 91 Abs. 2, 3 IStGH-Statut – grundsätzlich die Pflicht zu Überstellung an. Im Übrigen ist zwischen Festnahme/Überstellungshaft und eigentlicher Überstellung zu unterscheiden. Zuständige Behörde gegenüber dem IStGH (insbesondere für Festnahme- und Überstellungsersuchen) ist das Bundesministerium der Justiz (BMJ) (§ 68 Abs. 1 IStGHG). Zuständig für Fahndungsmaßnahmen (§ 9 IStGHG) bezüglich einer vom IStGH verfolgten Person ist zunächst die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, nach der Ergreifung der Person die örtliche Generalstaatsanwaltschaft (§ 8 IStGHG).

Das zuständige OLG (§ 12 IStGHG) ordnet die (vorläufige) Überstellungshaft an (§§ 10, 11 Abs. 1 IStGHG), wenn ein Festnahme- und Überstellungsersuchen des IStGH (§ 10 IStGHG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 IStGH-Statut) bzw. ein Ersuchen um vorläufige Festnahme (11 Abs. 1 S. 1 IStGHG i.V.m. Art. 92 Abs. 2 IStGH-Statut) vorliegt …

Wichtig ist, dass das OLG bei Vorliegen des IStGH-Ersuchens kein Ermessen hat (§§ 10, 11 Abs. 1 S. 1 IStGHG: „wird … angeordnet“) und ein IStGH-Haftbefehl – als echter internationaler Haftbefehl eines von Deutschland anerkannten internationalen Gerichts – grundsätzlich unmittelbar anwendbar ist (Durchgriffswirkung); die Transformation des IStGH-Haftbefehls in einen nationalen Überstellungshaftbefehl dient alleine der Rechtssicherheit ….

Was die Überstellung des Verfolgten an den IStGH angeht, so ist – ähnlich wie bei traditionellen Auslieferungsverfahren – ein zweistufiges Verfahren bestehend aus einer Zulässigkeitsprüfung des OLG und einer Bewilligung durch die Exekutive (BMJ) vorgesehen (§§ 6, 20 IStGHG). Dies ändert allerdings nichts daran, dass Prüfungsumfang und -tiefe – ganz im Sinne der obigen Ausführungen – erheblich geringer als im traditionellen Auslieferungsverfahren sind, denn der IStGH-Haftbefehl ist grundsätzlich unmittelbar wirksam und es besteht die schon genannte Überstellungspflicht (§ 2 IStGHG) …

Kai Ambos zieht folgendes Fazit:

Würde der israelische Premierminister Netanjahu tatsächlich Deutschland besuchen, würde dies nicht nur einen – ganz und gar unnötigen – Konflikt mit dem IStGH heraufbeschwören, sondern auch die innerstaatliche Gewaltenteilung in Frage stellen. Denn um eine Festnahme von Netanjahu zu verhindern, müsste die Exekutive – auf Bundes- wie Landesebene – massiv in das oben beschriebene Festnahme- und Überstellungsverfahren und damit in die Unabhängigkeit der Judikative eingreifen. Dabei wäre insbesondere eine politisch veranlasste Weisung an den zuständigen Generalstaatsanwalt (§ 147 GVG),14) einen IStGH–Haftbefehl nicht zu vollstrecken, rechtswidrig; auch die Nicht-Bewilligung einer zulässigen Überstellung an den IStGH wäre zumindest völkerrechtswidrig (ganz abgesehen davon, dass sie die Überstellungshaft bzw. vorläufige Festnahme ja nicht berühren würde). Allgemeinpolitische Interessen können zwar gegenüber dem IStGH in einem Konsultationsverfahren geltend gemacht werden (Art. 97 IStGH-Statut), sie rechtfertigen aber nicht die fehlende Befolgung von IStGH-Ersuchen, insbesondere zur Überstellung von Tatverdächtigen.15) Und schließlich ist zu beachten, dass die Verweigerung der Vollstreckung eines IStGH-Haftbefehls in der Sache eine Strafvereitelung (§§ 258, 258a StGB) darstellt; deren Schutzbereich sollte, wie bei den Aussagedelikten (§ 162 Abs. 1 StGB), auf von Deutschland unterstützte Straftribunale erweitert werden.

Hier der ganze Beitrag im Verfassungsblog

Siehe auch: Dr. Max Kolter in LTO – Freies Geleit mit der Brechstange


Rechtsbruch mit Ansage – Merz will Haftbefehl des IStGH missachten

Die Deutsche Sektion der International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA) veröffentlichte eine Pressemitteilung zur Erklärung des zukünftigen Bundeskanzlers Merz, Netanjahu nach Deutschland einzuladen: Netanjahu in Deutschland nicht festzunehmen, wäre ein schwerwiegender Rechtsbruch. Aus der Pressemitteilung der IALANA:

„Merz … konstatiert in der „Jüdischen Allgemeinen“ vom 10.Februar 2025 und erneut in seiner Pressekonferenz am 24. Februar: Natürlich könne Netanjahu, sein Freund (sic!), in Deutschland ungehindert ein- und ausreisen. Merz wörtlich „Mittel und Wege zu, dass er Deutschland besuchen und wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist.“

Merz – früher auch mal strafrichterlich tätig – … weiß natürlich, dass Deutschland, gebunden an das Statut von Rom, verpflichtet ist, die Haftbefehle des IStGH zu vollstrecken. Er weiß, dass es dabei keine rechtlichen Ausnahmen gibt und auch keine Befugnis, die Begründung des Haftbefehls zu überprüfen. Er kennt das deutsche Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH von 2002[1]. Nach § 2 des Gesetzes ist Deutschland verpflichtet, Netanjahu festzunehmen und nach Den Haag zu überstellen.“

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IStGH erlässt Haftbefehl u.a. gegen Minsterpräsidenten Netanjahu

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References

References
1 Tagesspiegel vom 4.4.2025, S. 1; siehe auch: https://www.tagesspiegel.de/internationales/ankundigung-wahrend-netanjahu-besuch-bei-orban-ungarn-zieht-sich-aus-internationalem-strafgerichtshof-zuruck-13479691.html, abgerufen am 4.4.2025 um 10:44 Uhr
2, 3 Tagesspiegel vom 4.4.2025, S. 1