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Rechtsgrundlage für Aberkennung der Gemeinnützigkeit verfassungswidrig

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3. November 2020 von benhop

Die gesetzlichen Regelungen, auf die sich die Berliner Behörde stützt, verstoßen unter zwei Gesichtspunkten gegen das Grundgesetz:

1. Es ist nicht mit der Verfassung vereinbar, die Finanzbehörde eines Bundeslandes über ein einfaches Gesetz an die Einstufung des Verfassungsschutzes eines anderen Bundeslandes zu binden (siehe unten unter 1.)
2. Der Maßstab ‚extremistisch‘, an dem entschieden wird, ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht, ist verfassungswidrig (siehe unten unter 2.).

Im Einzelnen:


zu 1. Die Bindung des Berliner Finanzamtes an die Einstufung des Bayrischen Verfassungsschutzes ist verfassungswidrig

Das Berliner Finanzamt muss sich nicht vom Bayrischen Verfassungsschutz vorschreiben lassen, ob es bei einer bundesweiten Organisationbei von einer linksextremen Organisation auszugehen hat oder nicht: Diese Zuständigkeit hat der bayrische Verfassungsschutz nicht und kann ihm auch nicht durch einfaches Gesetz zugewiesen werden. Eine solche Zuweisung ist unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Die Abgabenordnung muss insoweit geändert werden.

zu 2. Der Begriff extremistisch ist durch seine Unbestimmtheit und – soweit er bestimmt ist-  durch seine Instrumentalisierung als Kampfbegriff gegen Demokratie, gegen das Grundgesetz und gegen alle sozialistischen Optionen verfassungswidrig

Aus dem Begriff des Extremismus, wie er in der Abgabenordnung verwendet wird, wurde vom Verfassungsschutz (aber nicht nur vom Verfassungsschutz) ein Begriff des Linksextremismus entwickelt, der sich durch Unbestimmtheit auszeichnet. Bezogen auf den Rechtsextremismus stellte das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 2010 fest: „Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu ‚rechtsradikal‘ oder ‚rechtsreaktionär‘ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“[1]. Nichts anderes kann für den Begriff ‘Linksextremismus’ gelten.

Wenn anhand eines solchen unbestimmten Maßstabes in ein Grundrecht eingegriffen wird, ist das verfassungswidrig. Die Erwähnung der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht[2] und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt sind Eingriffe in Grundrechte. Besonders schwerwiegend ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit als Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, weil das zu erheblichen finanziellen Belastungen für diese Vereinigung führen kann. Ein solcher Eingriff muss verhältnismäßig sein. Dazu muss er bestimmt sein[3]. Das fehlt dem Begriff ‘Linksextremismus’. Er enthält keine klaren Vorgaben, nach denen sich die Vereine richten können[3]. Er kann von Verfassungsschutzdiensten beliebig ausgefüllt werden.

Seine Anwendung – gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gerichtet – prägt bis heute die  Bundesrepublik und öffnet dadurch dem Rechtsextremismus, der dieselbe Zielrichtung verfolgt, Tür und Tor. Mit der AfD als größter Oppositionspartei im Bundestag sollte deutlich geworden sein, dass die Gefahr von rechts kommt. Dem sollte der Kampf für ein antifaschistisches Deutschland entgegen gestellt werden. Das geht nur, wenn Antifaschismus nicht mehr als linksextremistisch und damit als verfassungswidrig gilt.   

In dieser Auseinandersetzung geht es darum, an Traditionen aus der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg anzuknüpfen, wie sie von Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gemeinsam entwickelt wurden und im Schwur von Buchenwald zum Ausdruck kommen. Dem entsprechend müssen die bestehenden gesetzlichen Grundlagen ausgelegt, angewendet und – wo notwendig – genauer gefasst werden. Es geht um eine entsprechende Orientierung der staatlichen Einrichtungen. Und es geht darum, die ökonomischen Grundlagen für eine antifaschistische Gesellschaft zu schaffen, um dem großen Ziel näher zukommen: “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” In diesem Sinne ist Antifaschismus als Verfassungsauftrag zu verstehen. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA passt dazu nicht.

Bei dieser Frage geht es nicht nur um die bayrische Verfassungsschutzbehörde. Denn auch das Verwaltungsgericht München hat die Wertungen der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusst“ gebilligt und damit vielleicht ein noch verheerenderes Zeichen gesetzt als die Verfassungsschutzbehörde selbst. Es hat der Meinung des Verfassungsschutzes den gerichtlichen Segen gegeben. Ob diese nun als Behörde des Verfassungsschutzes daher kommt oder in anderer Form, es lohnt sich, sich damit gründlich auseinanderzusetzen (siehe unter 7. der FAQ). Der stellvertretende Vorstehe des Berliner Finanzamtes für Körperschaften hatte keinerlei Probleme, in dem schon genannten Gespräch mit der VVN-BdA sämtliche Argumente des Verwaltungsgerichts München zu übernehmen, die das Verwaltungsgericht seinerseits vom Verfassungsschutz übernommen hatte.


[1] “Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von nationalsozialistischem oder rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht hinreichend beschränkt. Schon bezüglich des Verbots der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts lässt sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts nichts dazu entnehmen, ob damit jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie, und falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu “rechtsradikal” oder “rechtsreaktionär” – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung (vgl. § 145a StGB), …. nicht hinreichend erlauben. Die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann”. (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

[2]  es geht um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das auch für Vereinigungen als juristische Personen gilt Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art 19 Abs. 3 GG vgl. Verwaltungsgerichts München Az.: VG München vom 2.10.2014 M 22 K 11.2221 Rn. 31 (https://openjur.de/u/775502.html) mit Verweis auf BVerwG v. 21.8.2008 BVerwGE 131, 171                                                                                                                                           

[3]   Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmheitsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 GG, siehe Fisahn/ Schmidt „Kein Gnadenakt des Finanzamtes“ Forum Wissenschaft 1/20 S.51, 52-53. Fisahn/Schmidt zitieren das Bundesverfassungsgericht; siehe Fn. 1 (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)