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Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer

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Juni 12, 2021 von admin

siehe auch abhängig Beschäftigte.

Der Begriff Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer wird unterschiedlich definiert:

  • In der Erwerbstätigenrechung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes werden zu den Arbeitnehmerinnnen und Arbeitnehmern nicht nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Beschäftigte mit geringfügiger Entlohnung gezählt, sondern auch Führungskräfte, Personen in Ausbildung, Beamte und Beamtinnen, Soldatinnen und Soldaten u. a, also nicht nur Personen in einem Arbeitsverhältnis (siehe Glossar im Statistischen Jahrbuch 2019 S. 382).

  • Dagegen werden im Arbeitsrecht nur Personen in einem Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmerinnnen bezeichnet, also Personen, die durch einen Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet werden (§ 611a Abs. 1 BGB) ; im Jahr 2019 waren das 34 Millionen Millionen Menschen.

Zur Kritik der Begriffe ‘Arbeitgeber-Arbeitnehmer’:

Man könnte den Begriff ‘Arbeitgeber’ so verstehen: Der Arbeitgeber gibt auf, bestimmte Arbeiten auszuführen. Dann ist ein Arbeitnehmer derjenige, der diese Aufgaben, zu denen er angewiesen wird, übernimmt. Diese Begriffswelt erfasst jedoch nicht, dass es nicht reicht, Arbeiten aufzugegeben und zu übernehmen. Es kommt darauf an, dass die Arbeiten ausgeführt werden. Das, was als selbstverständlich vorausgesetzt und nicht begrifflich erfasst wird, ist wesentlich sowohl für den ‘Arbeitgeber’ als auch für den ‘Arbeitnehmers’. Es reicht nicht, Arbeiten zu verteilen, sie müssen ausgeführt werden.

Es sind die ‘Arbeitnehmer’, die die Arbeit ausführen.

Anders als der Begriff Arbeitnehmer unterstellt, nimmt er nicht Arbeit, sondern allenfalls Anweisungen zur Arbeit entgegen. Dass er entsprechend diesen Anweisungen arbeitet, also Arbeit gibt, unterschlägt der Begriff Arbeitnehmer und verkehrt das sogar in sein Gegenteil. Warum lassen wir uns bis heute diese Begriffe vorgeben für das, was wir sind? Friedrich Engels in seinem Vorwort zur 3. französischen Auflage von “Das Kapital” von Karl Marx:

“Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geändert, von dem ich nicht bestimmt weiß, dass der Verfasser selbst es geändert hätte. Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das “Kapital” den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z. B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von “Beschäftigung” gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte”
(http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_033.htm; siehe auch https://neusprech.org/arbeitgeber/)

Am klarsten ist der Begriff Arbeiter bzw. Arbeiterin. Doch viele Angestellte identifizieren sich nicht mit diesem Begriff. Sie wenden den Begriff Arbeiter bzw. Arbeiterin nur auf körperliche Arbeit an und auch nur auf bestimmte körperliche Arbeiten wie zum Beispiel Reinigungsarbeiten. Es wäre wünschenswert, dass der Begriff Arbeiter bzw. Arbeiterin für alle 34 Millionen Menschen, die in einem in einem Arbeitsverhältnis stehen, verwendet würde.

Zunehmend wird der Begriff ‘Arbeitnehmer’ durch den Begriff ‘Beschäftigte’ ersetzt. Der Begriff ‘Beschäftigte’ beschreibt Menschen in einem Arbeitsverhältnis in erster Linie als Menschen, die ‘beschäftigt’, also zu bestimmmten Arbeit angewiesen werden. Aber zugleich erfasst dieser Begriff etwas deutlicher, dass wer Beschäftigte hat, durch sie schaffen lässt. Beschäftigte nehmen nicht nur Anweisungen entgegen, sondern führen sie auch aus. Beschäftigte schaffen.

Die feministische Bewegung hat für eine große Diskussion gesorgt, dass nicht nur tatsächlich, sondern auch sprachlich Frauen ebenso wie Männer anerkannt werden. Es wäre allerdings schade, wenn in Zukunft von Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin gesprochen würde. Besser wäre es von Beschäftigten zu sprechen.

„Rasse“

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Der Begriff „Rasse“ in einem Gesetz führt zu einem nicht auflösbaren Widerspruch. Diesen Widerspruch beschreibt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrecht am Beispiel des Art. 3 GG so: „So heißt es in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG gegenwärtig: „Niemand darf wegen … seiner Rasse, … benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Danach müssen Betroffene im Fall rassistischer Diskriminierung geltend machen, aufgrund ihrer „Rasse“ diskriminiert worden zu sein; sie müssen sich quasi selbst einer bestimmten „Rasse“ zuordnen und sind so gezwungen, rassistische Terminologie zu verwenden. Das Deutsche Institut für Menschenrecht empfiehlt, den Begriff „Rasse“ in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG zu streichen und die Regelung wie folgt zu fassen:

„Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“.

Das Verbot der Diskriminierung wegen der „Rasse“ wurde in das Grundgesetz in expliziter Abgrenzung zur rassistischen Ideologie und monströsen Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus aufgenommen  – ebenso wie in internationale Menschenrechtsdokumente wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die UN-Anti-Rassismus-Konvention. …  Es allein bei einer Streichung des Begriffs „Rasse“ zu belassen, ist nicht ausreichend, weil damit der Schutzbereich verengt würde. Zudem ist es zur Bekämpfung von Rassismus gerade notwendig, dass die Verfassung diesen beim Namen nennt und sich klar davon distanziert“[1].


[1]  Hendrik Cremer „Ein Grundgesetz ohne „Rasse““, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin,  April 2010; zum Herunterladen unter https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/rassismus/dossier/was-ist-rassismus                                                                                                                                                                                                         

“Extremismus”-Vorwurf als Waffe gegen Kommunisten und Demokraten

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Unter diesem Begriff werden „Rechtsextremismus“ und „Linksextremismus“ gleich gesetzt: Beide sollen Bestrebungen fördern, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. Dabei werden nicht nur vom bayrischen Verfassungsschutz Mitglieder der DKP von vornherein als linksextrem eingestuft. Das steht in einer Tradition, die nach dem 2. Weltkrieg den anfangs bestehenden antifaschistischen Konsens aufkündigte, wie er etwa im Schwur von Buchenwald zum Ausdruck kam. Dieser Konsens hatte selbstverständlich auch die KPD einbezogen, die im Kampf gegen den Faschismus besonders viele  Opfer gebracht hatte. Der Bruch mit diesem Konsens unter der Adenauer-Regierung führte dazu, dass in den Ministerien und Gerichten diejenigen wieder eingestellt wurden, die schon während des Hitlerfaschismus in Amt und Würden gewesen waren. Globke – während der Nazizeit Mitverfasser der Rassegesetze – wurde unter Adenauer Chef des Bundeskanzleramtes. Wie in einem Brennglas zeigte sich diese restaurative Politik Adenauers in dem Verbot der KPD. Die drei westlichen Besatzungsmächte erwarteten von der Bundesregierung ein Verbot der Sozialistische Reichspartei (SRP), eine Nachfolgepartei der NSDAP, die 1951 in Niedersachsen auf Anhieb 11 % der Stimmen erreicht hatte[1]Foschepoth „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ Göttingen 2017 S. 111. Der Einfluss der Naziideologie war jedoch in der Bundesregierung und in den sie tragenden Fraktionen von CDU/CSU, FDP und DP so stark, dass ein einseitiges Vorgehen gegen den Rechtsradikalismus durch ein Verbot der SRP nicht durchsetzbar war[2]a.a.O. S. 115, 125 ff.. Adenauer schrieb an den französischen Außenminister: „Es gibt wohl manche Stimmen im Auslande, die unter Hinweis auf rechtsradikale Tendenzen in Deutschland davor warnen, der Bundesregierung ein zu großes Maß an Souveränität zu geben“. Die Bundesregierung beobachte die Entwicklung mit größter Aufmerksamkeit und „ist –  ich darf das mit Nachdruck versichern – entschlossen, mit aller Schärfe gegen alle Feinde der Republik vorzugehen.“ [3]a.a.O. S. 114. Dieses Schreiben von Adenauer kommentiert Foschepoth in seinem Buch „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ so:

„Hier war sie wieder, die Formel, mit der Adenauer sein innen- und außenpolitisches Problem zu verknüpfen und zu lösen suchte: Die seiner Ansicht nach völlig überschätzte rechte Gefahr sollte mit der völlig unterschätzen linken Gefahr verknüpft werden“[4]a.a.O, S. 115.

Der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP wurde am 19. November 1951, der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD wurde am 22. November 1951 vom Bundesminister des Inneren unterzeichnet.

Und das, obwohl sich die Besatzungsmächte mehrfach gegen eine KPD-Verbot ausgesprochen hatten[5]a.a.O. S. 115. Foschepoth weiter:

„Auch der Ausschuss zum Schutz der Verfassung des Deutschen Bundestages hatte sich intensiv mit der Frage eines Verbots von SRP und KPD beschäftigt. Bezüglich der SRP waren sich die Ausschussmitglieder rasch einig. Die Klage gegen die SRP wurde gebilligt. Nicht so die Klage gegen die KPD. Hier machten „alle Konferenzteilnehmer erhebliche rechtliche und politische Bedenken gegen die gegen die Einreichung der Klage gegen die KPD geltend Die Abgeordneten bezweifelten, dass die Klage mit der vorgelegten Begründung, die sich vor allem auf historische und ideologische Erwägungen stützte, Erfolg haben würde. Die KPD sei nach dem Krieg nicht nur von den Alliierten, sondern auch von deutschen Stellen ausdrücklich anerkannt worden. In etlichen Landesregierungen sei die KPD jahrelang vertreten gewesen. Die KPD habe beim Wiederaufbau Deutschlands tatkräftig mitgeholfen …“[6]a.a.O, S. 129.

Der Antikommunismus war zur Konstante deutscher Politik geworden. Während der Nazizeit waren die Kommunisten in Konzentrationslage geschickt  worden. 1956 wurde die KPD verboten. Und in der Folge dieses Verbots wurde auch  die VVN mit einem Verbot bedroht. Inzwischen wird das Verbot der KPD durch das  Bundesverfassungsgericht auch von Verfassungsrichtern als verfassungswidrig gewertet[7]Foschepoth „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ Göttingen 2017/. Aber es ist bis heute nicht aufgehoben worden, obwohl dies nicht unmöglich wäre[8]a.a.O, S. 325, 333,. Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte in seine Verbots-Entscheidung hineingeschrieben, dass es möglich sei, die KPD wieder zuzulassen „bei einer unmittelbar bevorstehenden Wiedervereinigung Deutschlands“[9]a.a.O. S. 319. Die Wiedervereinigung ist inzwischen 30 Jahre alt. Aber das KPD Verbot besteht immer noch. Auch der Begriff „Extremismus“ wird immer noch eingesetzt, zum Beispiel als Begründung für die Abereknnung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA [10]§ 51 Abs. 3 AO. In die Landesverfassung von Mecklenburg Vorpommern wurde der Begriff „Extremismus“ aufgenommen, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Siehe auch Interview mit Benedikt Hopmann in der Jungen Welt zum Vorwurf des Extremismus: “Es wird nur von Extremismus gesprochen


                                                                                                                                                                         

References

References
1 Foschepoth „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ Göttingen 2017 S. 111
2 a.a.O. S. 115, 125 ff.
3 a.a.O. S. 114
4 a.a.O, S. 115
5 a.a.O. S. 115
6 a.a.O, S. 129
7 Foschepoth „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ Göttingen 2017/
8 a.a.O, S. 325, 333,
9 a.a.O. S. 319
10 § 51 Abs. 3 AO

Schwur von Buchenwald

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Bei einem Gedenkappell für die Ermordeten des Konzentrationslagers Buchenwald wurde am 19. April 1946 ein Gelöbnis der Überlebenden verlesen, der Schwur von Buchenwald. Seine wichtigsten Sätze lauten:

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Begriffe – von Interessen geleitet

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31. August 2020 von benhop

Leiharbeitskräfte sind abhängig Beschäftigte mit einer atypischen Beschäftigung. Diese Beschreibung ist allerdings sehr oberflächlich.

Leiharbeitskräfte haben einen Arbeitsvertrag, der erlaubt, dass ihre Arbeitskraft an andere Unternehmen verliehen wird. Damit können sie nicht mehr darüber entscheiden, in welchem Unternehmen sie arbeiten. Genau darin unterscheiden sie sich von einer Stammarbeitskraft: Während die Stammarbeiter zum Beispiel im Mercedes Werk in Bremen ihre Arbeitskraft – in einem Arbeitsvertrag – selbst an Daimler vermietet haben, überlassen die Leiharbeiter das ihrem Verleiher, der einen so genannten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit Daimler abschließt. Die Leiharbeitskräfte haben gar keinen Arbeitsvertrag mit Daimler, sondern nur mit ihrem Verleiher.

Verleihfirmen sprechen nicht von Leiharbeit, sondern von “Zeitarbeit”. Für diese Unternehmen geht es um ein Geschäft, das nicht prinzipiell in Frage gestellt werden soll. Deshalb verwenden sie den unverfänglichen Begriff ‚Zeitarbeit‘, der eher verschleiert und beschönigt. Das Gesetz (AÜG) spricht von Arbeitnehmerüberlassung, Verleiher und Entleiher.

Juristisch genauer als der Begriff ‚Leihe‘ wäre allerdings der Begriff ‚Miete‘ – ebenso wie Mietwagen präziser ist als Leihwagen; denn Geliehenes gibt es umsonst, für Gemietetes muss man zahlen.

Der Begriff „Arbeitnehmerüberlassung“[2] stellt jedenfalls klar, dass nicht Arbeit überlassen wird. Es ist die Arbeitskraft, die überlassen, genauer: weiter vermietet wird. Aus ihrer Arbeit zieht der Entleiher seinen Gewinn – wie bei den Stammarbeitskräften auch – und verbucht die Miete für die Leiharbeitskraft – anders als bei den Stammarbeitskräften – als Sachkosten. Dann zieht der Verleiher seinen Gewinn ab und zahlt den Rest an die  Leiharbeitskraft als Lohn bzw. Gehalt.  

In dem Wort “Arbeitnehmerüberlassung” ist der Begriff “Arbeitnehmer” enthalten. Dieser Begriff “Arbeitnehmer” ist ebenso von den Interessen der Unternehmer geleitet wie der Begriff “Zeitarbeit”. Jeder, ob Arbeiter oder Angestellter, weiss, dass er arbeitet, also Arbeit gibt und nicht nimmt.

Der Einsatz von Leiharbeitskräften ist für den Entleiher deswegen kostengünstig, weil er sie jederzeit wieder aus dem Betrieb entfernen kann, ohne Kündigung, ohne Kündigungsfristen, ohne Kündigungsschutzprozesse, ohne Abfindungen, ohne die Vereinbarung von Sozialplänen. Die Kehrseite für die Leiharbeitskraft: Sie kann jederzeit abgemeldet werden und wird niemals Teil der Belegschaft wie eine Stammarbeitskraft.  

So wird die Belegschaft gespalten und es wird schwerer gegen Ausbeutung und Unterdrückung gemeinsam zu kämpfen.

Wir werden, obwohl nicht korrekt, im Weiteren von ‚Leihe‘, ‚Verleihung‘ oder  ‚Leiharbeit‘ sprechen, weil das gebräuchlicher ist als der im Gesetz verwendete Begriff ‚Arbeitnehmerüberlassung‘. Im Übrigen werden wir aber wie im Gesetz von ‚Verleiher‘ und ‚Entleiher‘ sprechen.

Über die Buchreihe

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Die Buchreihe WIDERSTÄNDIG beschreibt widerständiges Handeln in Betrieben und Verwaltungen. Im Mittelpunkt steht das konkrete Beispiel. Es geht vor allem um das gemeinsame, gewerkschaftlich orientierte widerständige Handeln, aber auch um das widerständige Handeln Einzelner.


Kurztext:

Wie wurden die Rechte erkämpft, auf die sich Betriebsräte heute stützen können? Das Buch zeigt: Schon vor hundert Jahren ging es um mehr Mit­bestimmung, Gemeineigentum und mehr Rechte in der ganzen Wirtschaft. Wir bauen auf dem auf, was damals durchgesetzt wurde – trotz schwerer Niederlagen. Dieser Kampf ist noch längst nicht zu Ende…

Inhalt:

Rezensionen


Kurztext:

Lohnt es sich, die Angst zu überwinden und den
offenen Konflikt zu wagen, auch wenn der Gegner übermächtig erscheint? Kolleginnen und Kollegen der im Jahr 2009 outgescourcten (ausgegliederten) therapeutischen Abteilung der Charité sagen JA

Inhalt:


Kurztext:

Studentische Beschäftigte an Hochschulen: prekär, unterbezahlt, unersetzlich … und streikbereit. Drei Jahre kämpften sie in Berlin um einen neuen Tarifvertrag: zur Nachahmung empfohlen!

Inhalt:


Kurztext:

Beschäftigte aus dem Berliner Botanischen Garten und anderen Bereichen sagen »Prekär und tariffrei – nicht mit uns« und erheben Anklage gegen systematische  Tarifflucht und das Outsourcing in Verantwortung der öffentlichen Hand.

Inhalt:


Kurztext:

Kritische Dokumentation der Streiks Bremer Mercedes-Arbeiter gegen Fremdvergaben und Leiharbeit.

Inhalt:


Kurztext:

Ermutigende Widerstandserfahrungen gegen einen Generalangriff von Vermögensmilliardären.

Inhalt:


Kurztext:

Der Kampf von »Lebenshilfe«-Beschäftigten in Berlin um ein besseres Gehalt, gewerkschaftliche Interessenvertretung und einen Tarifvertrag ging auch um ihre Anerkennung. Es ging damit um die Wertschätzung von sozialen Berufen.

Inhalt:


Kurztext:

Altenpflegerin ./. Bundesrepublik Deutschland. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschied im Juni 2011 zugunsten der Altenpflegerin. Ihr durfte nicht gekündigt werden. Sie hatte schwere Missstände in der Altenpflege bekannt gemacht, mit ihrer erfolgreichen Klage gegen ihre Kündigung das Recht der Whistleblower verbessert und bekam als erste Nichtakademikerin den Whistlebower-Preis.

Inhalt:


Kurztext:

Juristische »Erfolge«, kleine »Siege« und vielfältige Solidaritätsarbeit im Arbeitsrechtsstreit gegen Unternehmen und Konzerne sind möglich!

Inhalt:

siehe auch Fettes Brot: Emmely, unter dem link: https://www.youtube.com/watch?v=vftouJV1eUE


Alle Bücher sind über:

VSA Verlag bestellbar.

Ein besseres Streikrecht kann nur erstreikt werden!

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Juni 9, 2021 von admin

Hier geht es um das Recht auf den politischen Streik (siehe unter I.) und um das Recht auf Streik gegen Unternehmensentscheidungen (siehe unter II.).

Es wird zudem auf den Beitrag “Recht auf politschen Streik” verwiesen, der ausführlicher ist und den vorliegenden Beitrag ergänzt.

Inhaltsverzeichnis:

  1. I. Der politische Streik
  2. Es geht um den politischen Demonstrationsstreik!
  3. Freiheit nur in der Freizeit?
  4. Politische Demonstrationsstreiks in der jüngeren Vergangenheit
  5. Mehr Recht durch Rechtsbruch
  6. Das Haftungsrisiko
  7. II. Streik gegen Unternehmensentscheidungen

30. September 2020

I. Der politische Streik

Obwohl es nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere politische Streiks gab, setzten die Gerichte ab  1952 die Illegalisierung von politischen Streiks durch. Grundlage war ein Gutachten von Hans Carl Nipperdey, der sich damit als erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts empfahl. Im Faschismus hatte er sich als Kommentator des faschistischen Arbeitsrechts hervor getan.

Dieses Verbot war ein Bruch mit der Rechtsprechung der Weimarer Republik. Auch wenn in der Weimarer Republik das Streikrecht massiven Einschränkungen unterworfen war, ein Streik war nicht schon allein deswegen rechtswidrig, weil er politisch war. Diese Rechtsprechung, über die Altmaier die Studentin im SPIEGEL am 16. März 2019 belehrt, ist also ein elendes Kapitel deutscher Nachkriegsrechtsprechung – ein Knebel gegen freiheitliches Handeln der abhängig Beschäftigten. Das 1968 mit der Notstandsgesetzgebung in das Grundgesetz aufgenommene Widerstandsrecht zur Verteidigung „dieser Ordnung“ hat wenig daran geändert: Dieses Widerstandsrecht schützt zwar einen politischen Generalstreik wie den gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch im Jahr 1920, ist aber nicht anwendbar, wenn die Demokratie schleichend ausgehöhlt wird, wenn es darum geht einen Krieg zu verhindern oder eine Klimakatastrophe abzuwenden.

Foto: Ingo Müller
Es geht um den politischen Demonstrationsstreik!

Leider ist es ein weit verbreitetes Missverständnis, die Diskussion über den politischen Streik auf  Erzwingungsstreiks zu begrenzen. Diese Diskussion führt vollkommen in die Irre, weil der politische Erzwingungsstreik in den vergangenen 75 Jahren keine praktische Bedeutung hatte. Der Erzwingungsstreik zielt auf die Durchsetzung einer Forderung, der Demonstrationsstreik dagegen nur auf eine Demonstration während der Arbeitszeit; meistens geht es bei einem Demonstrationsstreik um einen Protest, zum Beispiel gegen die Rente mit 67. Deswegen spricht man auch von einem Proteststreik. Das wichtigste Beispiel für den politischen Erzwingungsstreik ist der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch im Jahr 1920. Die Putschisten mussten aufgeben. Der Demonstrationsstreik unterscheidet sich vom Erzwingungsstreik vor allem dadurch, dass er von vornherein auf einige Stunden, maximal höchstens einen Tag begrenzt ist[1]Däubler-Wroblewski Arbeitskampfrecht 4. Auflg. Baden-Baden 2018 § 17 Rn. 41.. Als der 1. Mai noch kein Feiertag war, waren die Kundgebungen und Demonstrationen an diesem Tag Demonstrationsstreiks.  

Wenn wir die Diskussion auf den politischen Demonstrationsstreik beschränken, dann haben die   Befürworter des Verbots von politischen Streiks ganz schlechte Karten[2]Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17; Berg/Kocher/Schumann – Berg Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 6. Auflg. Frankf. a.M. 2018 Teil 3 Rn. 188 ff.; handelt es sich um einen Streik, der die … Continue reading. Das gilt nicht nur, aber vor allem dann, wenn es sich um einen Streik handelt, der Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum Ziel hat[3] Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 183 ff.. Die Mehrheit der Juristen hält zwar auch dann tapfer an einem Verbot von politischen Demonstrationsstreiks fest, aber sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage der Zulässigkeit politischer Demonstrationsstreiks im Jahr 2007 erwogen, sah aber aufgrund der konkreten Fallkonstellation keine Notwendigkeit, sich in der Sache selbst zu äußern[4]„Die Frage, ob auch reine Demonstrationsstreiks, mit denen ohne Bezug auf einen um einen Tarifvertrag geführten Arbeitskampf lediglich Protest oder Sympathie – etwa für oder gegen … Continue reading. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu noch nie entschieden. Und dann gibt es den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das Streikrecht ist ein Menschenrecht. Es spricht sehr viel dafür, dass der Gerichtshof in Straßburg eine deutsche Gerichtsentscheidung, die darauf beruht, dass ein politischer Demonstrationsstreik als rechtwidrig gewertet wird, als Menschenrechtsverletzung würdigen wird[5]Däubler- Lörcher a.a.O. § 10 Rn. 93; Lörcher verweist nicht nur auf die Rechtsprechung zu Art. 11 EMRK, sondern auch auf die zu Art. 10 EMRK. Dann wäre das Verbot des politischen Demonstrationsstreiks auch in Deutschland definitiv gekippt[6]Seit 2006 erlaubt § 580 Nr. 8 ZPO die innerstaatliche Wiederaufnahme nach einem Erfolg vor dem EGfMR.

Das Verbot von politischen Demonstrationsstreiks ist unvereinbar mit internationalem Recht. Die Regeln der ILO erlauben politische Demonstrationsstreiks zur Wirtschafts – und Sozialpolitik der Regierung[7]Auf der Grundlage des ILO-Übereinkommens Nr. 87 erkennt die Spruchpraxis des ILO-Ausschusses für Vereinigungsfreiheit ausdrücklich „wilde“ („wild-cat“) Streiks als zulässige Streikform an … Continue reading. Im europäischen Ausland verstoßen neben Deutschland nur Großbritannien und Dänemark gegen dieses internationale Recht, in allen anderen europäischen Ländern ist der politische Streik erlaubt. 

Freiheit nur in der Freizeit?

Wenn Menschen demonstrierend oder auf einer Kundgebung gemeinsam ihre Meinung kundtun, dann zeigen sie sich als mündige und selbstbewusste Bürger.

Das Bundesverfassungsgericht drückt es so aus: „Die Meinungsfreiheit … gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt,  … Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten … Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise … das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“[8]BVerfG v. 14.5.1985 Brockdorf 1 BvR 233, 341/81 Rn. 64, 62.

Wer nun meint, das habe nicht am Arbeitsplatz, nicht im Betrieb zu gelten, sagt nichts anderes als: Hinter den Betriebstoren ist Schluss mit der „Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“. Aber wenn die Freiheit mit dem Gang durch das Tor in den Betrieb oder das Büro prinzipiell endet, hat sie nie angefangen. Freiheit nur in der Freizeit ist keine Freiheit. Ein Mensch, der morgens, wenn er die Tür zum Betrieb oder Büro öffnet, ein Untertan ist, kann abends, wenn er diese Tür hinter sich schließt, kein mündiger und selbstbewusster Bürger sein. Er ist es nicht während der Arbeit und er ist es nicht nach der Arbeit. Er ist es nie. Er ist immer ein Untertan. Ein mündiger und selbstbewusster Bürger lässt sich auch im Betrieb den Mund nicht verbieten. Wie heißt es doch: „… Unmündig nennt man uns und Knechte, duldet die Schmach nun länger nicht!“ Wer auf den Demonstrationsstreik während der Arbeitszeit von vornherein verzichtet, wer das Recht auf den politischen Demonstrationsstreik niemals in Anspruch nehmen will, der wird immer ein Knecht oder eine Magd bleiben. 

Politische Demonstrationsstreiks in der jüngeren Vergangenheit

Auch wenn sich die Gewerkschaften manchmal gegen das Verbot des politischen Streiks nur in „homöopathischen Dosen“ (Däubler) wehrten: Die Gewerkschaften haben sich nie der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vollständig unterworfen. So riefen die Gewerkschaften 1986 zu zentralen Kundgebungen – in Berlin vor dem Schöneberger Rathaus – während der Arbeitszeit um 13:00 Uhr auf, um gegen eine Gesetzesänderung zu protestieren, die das Streikrecht beeinträchtigte. Es beteiligten sich mehrere Hundertausende. Die Gewerkschaften erklärten diesen politischen Demonstrationsstreik für rechtens. Das ist juristisch völlig in Ordnung, weil schon damals einiges dafür sprach, dass vor den Gerichten – bis zu Ende durchgefochten – tatsächlich am Ende ein Erfolg gestanden hätte. Und dann wäre der Demonstrationsstreik von Anfang   rechtmäßig gewesen. Im Vorfeld wurden gegen den Aufruf 17 Gerichtsverfahren eingeleitet, in 8 Fällen wurde die erstrebte Verbotsverfügung erlassen, in 9 Fällen nicht[9]Henner Wolter AiB 1986 81ff..

Und 2007 kam es ohne Aufruf der Gewerkschaften zu Streiks gegen die Rente mit 67. Das waren  also „wilde“ Streiks; sie wurden wie alle Streiks, ob „wild“ oder nicht, organisiert. Es waren also auch keine spontanen Streiks. Bei den Demonstrationsstreiks gegen die Änderung des Renteneintrittsalters waren es die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die die Dinge in der Hand  hatten. Der Begriff spontaner Streik trifft also die Sache nicht, der Begriff „wilder“ ist unzulässig abwertend. Besser sollte man von verbandsfreien Streiks sprechen. Die Streiks gegen die Rente mit 67 waren den Gewerkschaften dermaßen willkommen, dass die Verbandsfreiheit vielen nicht bewusst war. Sie glaubten, die Gewerkschaft habe dazu aufgerufen, was sie aber nicht hatte. Da die Gewerkschaften nicht Träger des Streiks waren, konnten sie auch nicht für eventuelle Schäden in Haftung genommen werden.

Wir sollten uns an diese politischen Streiks von 1986 oder 2007 erinnern, wenn wir darüber nachdenken, was wir in Zukunft tun können. Zu den Streiks 1986 riefen die Gewerkschaften auf. Zu den Streiks 2006 riefen die Gewerkschaften nicht auf. Denkbar ist auch eine Mischform: Die Gewerkschaften rufen in ausgewählten Betrieben zu Demonstrationsstreiks auf und im Übrigen finden die Demonstrationsstreiks ohne Aufruf der Gewerkschaften statt.

Mehr Recht durch Rechtsbruch

Die erste Voraussetzung für eine Verbesserung des Streikrechts ist, dass die Einschränkungen des deutschen Streikrechts noch viel mehr öffentliches Thema werden und als das bezeichnet werden, was sie sind: Ein Skandal[10]Siehe Wiesbadener Appell „Für ein umfassendes Streikrecht“ unter https://politischer-Streik.de; dort kann man diesen Appell auch mit seiner Unterschrift unterstützen. Entscheidend ist aber, dass sich die abhängig Beschäftigten über die gegenwärtigen Verbote hinwegsetzen. Die in den Schulen lernen, machen es uns zurzeit vor. Die in den Betrieben und Verwaltungen arbeiten, sollten folgen. Streikrecht durch Rechtsbruch – so ist das gesamte Streikrecht entstanden.

Ich verstehe nicht, dass dem Bundesarbeitsgericht immer noch kein Fall vorliegt, der ihm die Gelegenheit gibt, seine Rechtsprechung zu ändern. Streikrecht ist Richterrecht. Nur wenn die Gerichte einen Fall zu entscheiden haben, in dem die derzeit geltenden Grenzen übertreten wurden, können sie ihre Rechtsprechung überprüfen und diese Grenzen erweitern. Notwendig ist also ein Verstoß gegen die geltende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, den man allerdings auch – im Vorgriff auf die zu erwartende Änderung der Rechtsprechung und auch als Ausdruck der Ablehnung der bisherigen Rechtsprechung – als vollständig legales Verhalten betrachten, wie es die Gewerkschaften schon 1986 getan haben.

Das Haftungsrisiko

Das wichtigste Argument, das die Gewerkschaften davon abhält, zu einem politischen Demonstrationsstreik aufzurufen, ist die Furcht davor, für den Produktionsausfall von den Unternehmen in Haftung genommen zu werden, wenn sie das Gerichtsverfahren doch verlieren. Dabei sollte aber mehr darüber nachgedacht werden, wie groß das Haftungsrisiko ist. Die Gewerkschaft hat es in der Hand, das Haftungsrisiko soweit zu abzusenken, dass es kalkulierbar ist. Eine Gewerkschaft könnte einen „Musterstreik“ führen, der dann in einen Musterprozess mündet. Angesichts der Auseinandersetzung um die Berliner S-Bahn wäre zum Beispiel denkbar, für eine kurze Zeit eine bestimmte Strecke der S-Bahn zu bestreiken. Vielleicht findet sich ja auch ein Unternehmer, der seinerseits ein Interesse daran hat, dass die Rechtslage geklärt wird.       

II. Streik gegen Unternehmensentscheidungen

Wir haben bisher über Forderungen an die Politik gesprochen und die Möglichkeiten dafür auch während der Arbeitszeit einzustehen. Im Folgenden soll es um die Forderungen direkt an das Kapital gehen.

Auch hier wieder Frage nach dem Streikrecht. Demonstrationsstreiks sind möglich. Aber können solche Forderungen an die Adresse des Kapitals auch mit Erzwingungsstreiks in Tarifkämpfen durchgesetzt werden? Nur dann könnten aus Forderungen tarifvertragliche Verpflichtungen der Unternehmen werden. Das kann wiederum den Druck auf die Politik erhöhen, wenn gleichzeitig deutlich gemacht wird, dass das nicht reicht. In der Kombination von Forderungen an die Politik und das Kapital kann Gegenmacht besonders wirksam sein. Die Tarifkämpfe in den Krankenhäusern um eine bessere Personalbemessung haben das eindrucksvoll gezeigt.

Nach einer unter Juristen verbreiteten Meinung sollen nur die negativen sozialen Auswirkungen von Unternehmensentscheidungen bestreikt werden dürfen, nicht aber die Unternehmensentscheidung selbst. Das soll zum Beispiel gelten für Unternehmensverlagerungen, Betriebsschließung oder auch Ausgliederungen von Tätigkeiten an Tochterfirmen. Aber das Bundesarbeitsgericht hat schon 1990 zu erkennen gegeben, dass die sogenannte unternehmerische Autonomie („ob, was und wo hergestellt wird“) dort seinen Grenzen hat, wo sich negative Auswirkungen für die Beschäftigten ergeben[11]BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 23/89; Däubler Arbeitskampfrecht 3. Auflg. § 13 Rn. 41. Dann sollen nicht nur die negativen Auswirkungen, sondern auch die unternehmerische Entscheidung selbst mit einem Streik angegriffen werden können. Wenn ein Betrieb geschlossen wird, verlieren die Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. In diesem Fall können nach der eben genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur die negativen sozialen Folgen, sondern kann auch die unternehmerische Entscheidung selbst durch einen Streik bekämpft werden. Dasselbe muss für den Fall gelten, dass umweltschädliche Arbeitsplätze ohne Schaffung von umweltfreundlichen Ersatzarbeitsplätzen gestrichen werden, nur mit dem Unterschied, dass es nicht um die Bekämpfung, sondern um die Erkämpfung einer unternehmerischen Entscheidung geht.

Die Einschränkungen des Streikrechts auf die sozialen Folgen unternehmerischer Entscheidungen  ist ein klarer Verstoß gegen die Europäische Sozialcharta[12] Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC.

Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, sieht Artikel 6 Nummer 4 ESC das Recht der abhän­gig Beschäftigten auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Fall von In­teressenkonflikten vor. Nach der ESC ist das Streikrecht ein individuelles Recht, bei arbeits­bezogenen Streitigkeiten kollektive Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört auch die gemeinsame Arbeitsniederlegung. Die ist auch ohne Aufruf ei­ner Gewerkschaft und ohne ein tariflich regelbares Ziel möglich. Schon 1998 hatte das für die Überwachung der Europäischen Sozialcharta zuständige Mini­sterkomitee des Europarates der Bundesrepublik aufgegeben, ihren Rechtszustand zu ändern, da »alle Streiks, die nicht auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet sind und nicht von einer Gewerkschaft ausgerufen und übernommen sind, in Deutschland verboten sind«[13]Text im Wortlaut in AuR 1998, S. 154 ff. Der Sachverständigenausschuss ECSR hat diese Position nur modifiziert, aber nicht aufgegeben (im Einzelnen dazu: Sachverständigenausschuss (ESCR): … Continue reading).

Unter Verweis auf dieses internationale Recht hat das Bundesarbeitsgericht schon im Jahre 2002 erkennen lassen, dass die Beschränkung der Streikziele auf tariflich regelbare Ziele einer Überprüfung bedarf:

„Dabei mag die generalisierende Aussage, Arbeitskämpfe seien stets nur zur Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele zulässig, im Hinblick auf Teil II Art. 4 Nr. 4 ESC einer erneuten Überprüfung bedürfen. Denn immerhin ist nach Meinung des Sachverständigenausschusses das Verbot aller Streiks in Deutschland, die nicht auf den Abschluß eines Tarifvertrags gerichtet sind und die nicht von einer  Gewerkschaft ausgerufen oder übernommen worden sind, mit den Garantien von Art. 6 Abs. 4 ESC unvereinbar“[14]Text im Wortlaut in AuR 1998, S. 154 ff. Der Sachverständigenausschuss ECSR hat diese Position nur modifiziert, aber nicht aufgegeben (im Einzelnen dazu: Sachverständigenausschuss (ESCR): … Continue reading).

Und 5 Jahre später wiederholte das Bundesarbeitsgericht:

„Im Streitfall bedarf es keiner Erörterung der Frage, ob diese Beschränkung mit den Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus völkerrechtlichen Verträgen, etwa aus Teil II Nr. 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta zu vereinbaren ist“[15]BAG v. 24.04.2007 1 AZR 252/06.

Deutlicher hätte der Wink mit dem Zaunpfahl nicht sein können. Doch jetzt sind wieder 12 Jahre vergangen und dem Bundesarbeitsgericht liegt immer noch kein Streitfall vor, an dem es überprüfen kann, was nach der eigenen Aussage des Bundesarbeitsgerichts einer Überprüfung bedarf. Es geht darum, dass die Beschränkung der Streikziele auf tariflich regelbare Ziele endlich beendet und so die deutsche Rechtsprechung endlich der Europäischen Sozialscharte angepasst wird[16]vgl. Gerhard Kupfer (Hrsg.) „Streik und Menschenwürde“ Hamburg 2017. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher zu diesen Frage nicht geäußert. Es hatte so einen Fall nie zu entscheiden. 

Sicher stellt sich immer auch die Frage, in welchem Umfang die Kolleginnen und Kollegen mobilisiert werden können. Doch die Kolleginnen und Kollegen spüren die zunehmenden Gefahren. Das ist ein wichtiger Mobilisierungsfaktor. Die Einschläge kommen näher. „Dass Du Dich wehren musst, wenn Du nicht untergehen willst, das wirst Du doch einsehen“ (Bertold Brecht).


References

References
1 Däubler-Wroblewski Arbeitskampfrecht 4. Auflg. Baden-Baden 2018 § 17 Rn. 41.
2 Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17; Berg/Kocher/Schumann – Berg Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampfrecht 6. Auflg. Frankf. a.M. 2018 Teil 3 Rn. 188 ff.; handelt es sich um einen Streik, der die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingen zum Ziel hat, wird dieser Streik durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, auch wenn es ein politischer Streik ist; geht es nicht um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, schützen Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs.1 GG (vgl.Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 157 f) 
3  Däubler- Wroblewski a.a.O. § 17 Rn. 183 ff.
4 „Die Frage, ob auch reine Demonstrationsstreiks, mit denen ohne Bezug auf einen um einen Tarifvertrag geführten Arbeitskampf lediglich Protest oder Sympathie – etwa für oder gegen Entscheidungen des Gesetzgebers – zum Ausdruck gebracht werden soll, zur gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit gehören, stellt sich vorliegend nicht“ (BAG v. 19.06.2007 – 1 AZR 396/06 Rz. 13) 
5 Däubler- Lörcher a.a.O. § 10 Rn. 93; Lörcher verweist nicht nur auf die Rechtsprechung zu Art. 11 EMRK, sondern auch auf die zu Art. 10 EMRK
6 Seit 2006 erlaubt § 580 Nr. 8 ZPO die innerstaatliche Wiederaufnahme nach einem Erfolg vor dem EGfMR
7 Auf der Grundlage des ILO-Übereinkommens Nr. 87 erkennt die Spruchpraxis des ILO-Ausschusses für Vereinigungsfreiheit ausdrücklich „wilde“ („wild-cat“) Streiks als zulässige Streikform an (Auszug aus ILO Freedom of Association – Compilation of Decisions of the Committee on Freedom of Association, 6. Edition, 2018, dort Nr. 784) und hält auch Proteststreiks für zulässig, wenn sie auf die Verfolgung beruflicher, sozialer oder  wirtschaftlicher Interessen gerichtet sind (a.a.O. Nr. 758, 759, 763, 779, 780, 781, 782; Auszug aus International Labor Office (Hrsg.): Freedom of Association and bargaining International Labour Conference 81st Sessions Report III (Part 4B) 1994 Geneva, dort Nr. 165, 166) und betrachtet deswegen das deutsche Recht als unvereinbar mit dem ILO-Übereinkommen Nr. 87
8 BVerfG v. 14.5.1985 Brockdorf 1 BvR 233, 341/81 Rn. 64, 62
9 Henner Wolter AiB 1986 81ff.
10 Siehe Wiesbadener Appell „Für ein umfassendes Streikrecht“ unter https://politischer-Streik.de; dort kann man diesen Appell auch mit seiner Unterschrift unterstützen
11 BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 23/89; Däubler Arbeitskampfrecht 3. Auflg. § 13 Rn. 41
12  Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC
13, 14 Text im Wortlaut in AuR 1998, S. 154 ff. Der Sachverständigenausschuss ECSR hat diese Position nur modifiziert, aber nicht aufgegeben (im Einzelnen dazu: Sachverständigenausschuss (ESCR): conclusions XX-3 (2014) Germany, http://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XX-3def/DEU/6/4/EN; Sachverständigenausschuss (ESCR): Conclusions XXI-3 (2019) Germany, http://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3def/DEU/6/4/EN
15 BAG v. 24.04.2007 1 AZR 252/06
16 vgl. Gerhard Kupfer (Hrsg.) „Streik und Menschenwürde“ Hamburg 2017

Um wen geht es?

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Sie arbeiten in der Industrie, im Handwerk, in der Pflege, im Handel und Transport, in der Wissenschaft und auch in der Kunst. Sie sind diejenigen, die Häuser bauen, und alles herstellen, aus dem die Häuser gemacht sind. Sie sind die, die die Wohnungen, Krankenhäuser und Straßen reinigen, die Maschinen herstellen, die die Alten und Kranken pflegen, die Brot und Kuchen backen, das Brot verkaufen, Korn, Kirschen und Äpfel anbauen und Mehl herstellen. Sie mästen Vieh, schlachten es und bearbeiten das Fleisch. Sie bauen und fahren Bahnen und Busse. Sie bauen Autos. Sie produzieren den Stahl für Bahnen, Busse, Autos und Maschinen. Sie erzeugen Energie. Sie bauen und reparieren Fahrräder, unterrichten Kinder und Jugendliche, verbreiten wichtige Informationen in Funk, Fernsehen und in Zeitungen, drucken Zeitungen und Bücher, lehren Mathematik, Physik und Philosophie und forschen in diesen Wissenschaften und machen Musik, Theater und Bilder.

Sie alle arbeiten in der Regel als abhängig Beschäftigte, das heißt in einem Arbeitsverhältnis.

Das Arbeitsverhältnis ist ein Herrschaftsverhältnis.

Rund 34 Millionen Menschen arbeiten unter diesen Bedingungen in unserem Land. Das sind rund 75 % aller Erwerbstätigen. Werden die Beamtinnen und Beamten, die Soldatinnen und Soldaten und diejenigen hinzugerechnet, die in einer Ausbildung sind, sind es sogar 41 Millionen Menschen. Das sind über 90 % aller Erwerbstätigen.