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Streikrecht, ESC und Grundgesetz

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Wir schlagen folgende Garantie des Streikrechts im Grundgesetz vor, die insbesondere die immer noch bestehenden Einschränkungen des deutschen Streikrechts gegenüber anderen europäischen Ländern beendet:

Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, wird das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts anerkannt, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus Tarifverträgen.” .

Bisher wird die Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz mit den folgenden beiden Sätzen garantiert:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig“.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht 1984 festgestellt, dass Tarifverhandlungen ohne Streikrecht “kollektives Betteln” wären, und auch das Bundesverfassungsgericht hat dem Recht auf Streik Verfassungsrang eingeräumt, aber eine ausdrückliche Streikgarantie enthält das Grundgesetz nur indirekt: 1968 wurden nach sehr scharfen außerparlamentarischen und parlamentarischen Auseinandersetzungen im Bundestag die Einschränkung zahlreicher Freiheitsrechte im Falle eines Notstands beschlossen. Wegen der zahlreichen Proteste, die auch von den Gewerkschaften mitgetragen wurden, wurden ein Satz hinzugefügt, der anordnet, dass diese Notstands-maßnahmen sich nicht gegen “Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden“, richten dürfen[1]“Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und … Continue reading.

Wir fordern, den oben vorgeschlagenen und rot gekennzeichnete Satz voranzustellen, der das Streikrecht direkt und umfassend garantiert.

Damit würde eine Regelung in das Grundgesetz aufgenommen, die in der Europäischen Sozialcharta (ESC) enthalten ist und der der Bundestag schon vor vielen Jahren zugestimmt hat. Sie ist damit jetzt schon wie ein einfaches Gesetz zu beachten. Durch Aufnahme in das Grundgesetz würde der Rang dieser Regelung erhöht und ihrer andauernden Nichtbeachtung ein Riegel vorgeschoben. Die antifaschistische Ausrichtung des Grundgesetzes würde mit dieser Regelung erheblich verstärkt.

Die Regelung der Europäischen Sozialcharta[2]Artikel 6 Nr. 4 ESC lautet:

Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, …

und anerkennen,

4) das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus Gesamtarbeitsverträgen

Gesamtarbeitsverträge heißen in Deutschland Tarifverträge.

Mit dem von uns geforderten zusätzlichen Satz würde Koaltionsfreiheit und Streikrecht umfassend gesichert. Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz würde dann lauten:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, wird das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts anerkannt, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus Tarifverträgen. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden “.

References

References
1 Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden“, Art 9 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz; die vielen Verweisungen in diesem Satz beziehen sich alle auf Notstandsregelungen
2 Artikel 6 Nr. 4 ESC

Wir über uns, unsere website und Vortragsankündigungen

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Benedikt Hopmann

Anwalt, Mitherausgeber der Buchreihe WIDERSTÄNDIG und politischer Aktivist.

Mitglied der IG Metall, der VVN-BdA, VDJ, IALANA und DIE LINKE Neukölln und DIE LINKE (kommunistische Plattform).

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Zu Politik und Gesellschaft die vorliegende Website hier:

Zur Buchreihe WIDERSTÄNDIG hier: oder die Website der Buchreihe hier:

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Ingo Müller

Hobbyfotograf- und Filmer

Techn. Betreuer ,Foto- und Videobearbeitung

Mitglied: Ver.di, Die LINKE Reinickendorf

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Vortragsankündigungen:

Klimastreik ohne Streik? – Für ein umfassendes Streikrecht

Workshop mit RA Benedikt Hopmann und Klimaaktivist Massi

Der Schulstreik 2019 war ein politischer Streik und das ist eine ungehorsame Aktionsform. Nach der herrschenden Meinung soll der politische Streik in Deutschland verboten sein, die Arbeitsniederlegung mit politischen Forderungen ist ein noch ungehorsamerer Akt.

Wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung sich fragt, wie sie ihre Kämpfe zuspitzen kann, sollte auch der politische Streik diskutiert werden.

Um den politischen Streik durchzusetzen, braucht es eine extrem breite Bewegung, die sich in die Lage versetzt, mit der zu erwartenden Repression umzugehen. Denn das politische Streikrecht bekommen wir nicht, wenn wir es einfordern, sondern nur, wenn wir es tun. Das braucht lange Vorbereitung und die Gewerkschaften machen es nicht von allein.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung strebt nach globaler Gerechtigkeit und hat einen starken antirassistischen und antikolonialen Anspruch.

Innerhalb Deutschlands ist ein Ausdruck von Rassismus und Ungerechtigkeit die systematische Prekarisierung von Migrant*innen. Manchmal ist die naheliegende Streikform in prekarisierten Arbeitsverhältnissen der wilde Streik, wenn die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, diese Menschen zu organisieren. Wilde Streiks zu unterstützen und sich gegen prekäre Arbeitsverhältnisse zu organisieren sollte daher eine Selbstverständlichkeit in der Klimagerechtigkeitsbewegung sein. Alleine schon um zu verhindern, dass Klimapolitik den Druck auf prekarisierte Menschen erhöht[1](Dieser Text wurde von Esther formuliert und gibt gut das Anliegen des Themas wieder

Dieser Workshop findet statt: .

25. August 2022: 14:30 Uhr bis 16:30 Uhr: Klimakamp Lützerath
02. November 2022: über Zoom (Daten werden noch bekannt gegeben)
14. Dezember 2022: Düsseldorf (Uhrzeit und genauer Ort werden noch bekannt gegeben)

ANTIKRIEGSTAG/WELTFRIEDENSTAG 1. September 2022

RADDEMO mit KUNDGEBUNGEN: Beginn: 17 Uhr Verteidigungsministerium – Potsdamer Platz – Finanzministerium – Willy-Brandt-Haus – Axel-Springer-Haus – Außenministerium – Neue Wache

Aus diesem Anlass werden an den angegebenen Haltepunkte kurze Reden gehalten.

Benedikt Hopmann wird vor dem Willy Brand-Haus um 17:55 Uhr sprechen.

Wir fordern:
Stoppt die Kriege weltweit!
Verhandlungen und Diplomatie statt Waffenlieferungen und
Sanktionen! Abrüstung statt Kriegseskalation!
Wir wollen:
Gemeinsame Sicherheit für alle, ökologische und soziale Gerechtigkeit.


Am 1. September vor 83 Jahren überfiel das faschistische Deutschland Polen und begann damit den Zweiten Weltkrieg.
An dessen Ende 1945 waren fast alle europäischen Staaten zerstört und 60 Millionen Menschen hatte der Krieg das
Leben gekostet.
Als Erinnerung daran und als Mahnung für heute rufen wir am Antikriegstag-Weltfriedenstag, zur Friedensaktion auf.
Mehr denn je zeigt sich, wie wenig der Frieden, gar eine friedlich-lebenswerte Zukunft durch Abschreckung und
Aufrüstung gesichert werden kann.
Die politische Situation, in der sich Deutschland heute befindet, lässt den Willen zu gewaltfreier Lösung von Konflikten
nicht erkennen. Diplomatie ist zum Fremdwort geworden. Die deutsche Regierung wird ihrer Verantwortung nicht
gerecht …


Gruppen der Friedenskoordination Berlin www.frikoberlin.de


Ehrensymposium für Dr. Rainer Zilkenat

Ihm zu Ehren veranstaltet der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung ein Symposium mit dem Titel

Kein Schlussstrich! Der Aufstieg des deutschen Faschismus und der antifaschistische Widerstand“

am Samstag, d. 12. November 2022 von 14-18 Uhr in der Bibliothek der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Straße der Pariser Kommune 8a, 10243 Berlin, gegenüber des Ostbahnhofs.

Es referieren Dr. Stefan Bollinger,. Prof. i.R. Dr. Peter Brandt, Dr, Holger Czitrich-Stahl, Dr. Stfan Heinz, Benedikt Hopmann, Simona Schubertova.


Mitglieder der IGM gedenken der Ermordeten in Hanau, Foto: Christian von Polentz

Um wen geht es?

Es geht um diejenigen, die auf dieser Erde leben und arbeiten wollen und durch gemeinsames Handeln eine Gegenmacht bilden können … weiterlesen hier


Lerne zeitig klüger sein:

Auf des Glückes großer Waage

steht die Zunge selten ein;

Du musst steigen oder sinken,

Du musst herrschen und gewinnen,

Oder dienen und verlieren,

Amboss oder Hammer sein

leiden oder triumphieren,

Johann Wolfgang von Goethe, Cophtisches Lied


Um was geht es?

Wie Gegenmacht aufgebaut wird, zeigen wir an konkreten gelebten Beispielen

  • in der Buchreihe WIDERSTÄNDIG und
  • in Beiträgen auf dieser website:
    • die Menüleiste oben gibt in Stichpunkten eine Übersicht,
    • auf der Startseite stehen aktuelle Beiträge
    • in der rechten Spalte sind besonders lesenswerte Beiträge zusammengestellt

weiterlesen hier


Zu den Themen dieser website (siehe auch Menüleiste oben):

References

References
1 (Dieser Text wurde von Esther formuliert und gibt gut das Anliegen des Themas wieder

9 November 2021 – Gedenkveranstaltung Unvollendete Revolution 1918

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Nach über 100 Jahren bleiben die Kämpfe und Gedanken der Novemberrevolution aktueller denn je. Dennoch sind die Geschehnisse rund um den 9. November 1918 und der Novemberrevolution heute größtenteils aus unserem Gedächtnis verdrängt worden. Der Kampf der revolutionären Arbeiter*innenbewegung, ihre Errungenschaften, ihr Verrat durch die SPD und die Niederschlagung durch rechte Kräfte verbleiben wie eine Randnotiz in der bürgerlichen Geschichtsschreibung. Jene Allianzen aus den Resten der Monarchie, des Militärs, der Freikorps sowie der Großindustrie bildeten später die Basis für den aufkommenden deutschen Faschismus. Die Niederschlagung der Revolution war somit der Auftakt der faschistischen Konterrevolution. Die Gründe gegen den Krieg und Kapital aufzubegehren sowie der Kampf für ein Leben frei von Ausbeutung und Unterdrückung sind die gleichen wie heute. Damals wie auch heute sind wir konfrontiert mit einem ausbeuterischen System, in dem Profit über dem Wohle der Gesellschaft und der Lohnabhängigen steht. Fragen nach Vergesellschaftung, nach Frieden und einem Ende der Ausbeutung sind aktueller denn je. Damit solche historischen Bezüge nicht nur bei einem „Blick zurück“ verbleiben und die berechtigten Anliegen von damals mit den weiterhin bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen von heute und den dazugehörigen aktuellen Kämpfen verknüpft werden, engagieren wir uns für ein aktives Gedenken.

Hier der Trailer zur Dokumentation dieser Veranstaltung.

Die Dokumentation steht euch hier zur Verfügung.

Hier die Rede “Wessen Welt ist die Welt?” von Benedikt Hopmann am 9. November 2021 aus Anlass des Jahrestages der Novemberrevolution 1918

Deutsche Wohnen & Co. enteignen!

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Rot-rot-grünes Vergesellschaftungsgesetz steht in den Sternen

November 23, 2021 von Benedikt Hopmann

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Zusammenfassung:

Die zukünftige rot-rot-grüne Koalition hat beschlossen, in den ersten 100 Tagen der neuen Landesregierung zum Ergebnis des Volksentscheids eine Kommission einzusetzen.

Der Senat will auf der Grundlage der Ergebnisse der Kommission nicht nur über einen “verfassungskonformen Wege einer Vergesellschaftung” entsprechend den Vorgaben des Volksentscheids entscheiden, sondern eine Vergesellschaftung “unter wohnungswirtschaftlichen, gesellschaftsrechtlichen und finanzpolitischen Gesichtspunkte” gewichten und bewerten und dann entscheiden. Aber die Berlinerinnen und Berliner schon haben schon entschieden: Sie haben im Volksentscheid mehrheitlich für eine Vergesellschaftung aller privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen gestimmt. Was will der Berliner Senat jetzt neu entscheiden? Mit solchen Formulierung macht der Senat jetzt schon deutlich, dass er das Ergebnis des Volksentscheids – entgegen seinen Beteuerungen – nicht respektieren will.

Die Initiative “DW & Co enteignen” will sich an der Expertenkommission beteiligen und nur über das “wie” der Umsetzung des Volksentscheids reden. Es wird darauf ankommen, ob es ihr gelingt, die Beerdigungsstrategie der rot-rot-grünen Koalition zu durchkreuzen.

Nur “gegebenenfalls” will der Senat “Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz” vorlegen, und zwar erst “im Jahr 2023″. Eckpunkte sind kein ausformuliertes Gesetz. Ob und wann der Senat dem Abgeordnetenhaus ein Vergesellschaftungsgesetz zur Lesung und Verabschiedung zuleiten wird, steht in den Sternen.

Wenn der Senat nicht will, muss das Volk das letzte Wort haben. Weiterlesen hier:


Ergebnis Volksentscheid: 56 Prozent für Enteignung der Wohnungskonzerne

Über eine Millionen Menschen– 56,4 Prozent – stimmten am Sonntag für die Enteignung der großen Wohnungskonzerne. Nur 39,0 Prozent stimmten dagegen Weiterlesen hier:

Foto: Ingo Müller

Für ein Ja im Volksentscheid am 26. September

Zu diesem Thema lud am 7. September 2021 die Kordination “9. November 1918 – Die unvollendete Revolution” im Vorfeld der Wahlen und des Volksentscheids am 26. September in das ver.di-Haus, Köpenicker Straße, ein.

Die Veranstaltung war sehr lebendig, auch wenn wegen der Pandemie nur 30 Personen teilnehmen konnten. VertreterInnen der beiden großen Gewerkschaften ver.di und IGMetall haben begründet, warum sie ihre Mitglieder auffordern, mit Ja zu stimmen. Ein Vertreter der ‚Initiative Deutsche Wohnen enteignen‘ informierte über den Stand der Kampagne, ein historischer Abriss erklärte wie der Artikel 15 (Vergesellschaftung) in das Grundgesetz kam, und es wurde kurz diskutiert. Zur guten Laune trug das wunderbare Musikduo von“Incredible Herrengedeck“ bei.

Bilder, Video und weiterer Text hier:


Mietendemo21

Am 11. September 2021 gingen erstmalig Mieter*inneninitiativen und -vereine, stadtpolitische Gruppen, Gewerkschaften und Verbände aus dem gesamten Bundesgebiet in Berlin auf die Straße, um gemeinsam einen radikalen Kurswechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik von der zukünftigen Bundesregierung einzufordern.

weiterlesen und Bildergalerie hier:


Wessen Welt ist die Welt?

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Rede von Benedikt Hopmann am 9. November 2021 aus Anlass des Jahrestages der Novemberrevolution 1918:

Die Gesundheitsversorgung

Silvia Habekost, aktiv in der Gewerkschaft ver.di und der Berliner Krankenhausbewegung, hat beschrieben, wie die Krankenhausbewegung für bessere Bedingungen für Arbeitskräfte und die Patienten in den Krankenhäusern kämpft. Der entscheidende Einschnitt in die Gesundheitsversorgung war gekommen, als den Krankenhäusern ermöglicht wurde, Gewinne zu erwirtschaften, und Fallpauschalen eingeführt wurden. Die Krankenhäuser wurden in den gegenseitigen Wettbewerb getrieben. An den Pflegekräften wurde gespart. Krankenhäuser, die Verluste auswiesen, wurden entweder geschlossen oder privatisiert. So entstanden große private Unternehmen, die mit Krankenhäusern Gewinne machten wie andere Konzerne mit der Produktion von Autos. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo es verboten war, in einem Krankenhaus Gewinne zu erwirtschaften. Die Krankenhäuser waren in öffentlicher Hand oder wurden von kirchlichen Einrichtungen betrieben. Diese großen privaten Krankenhauskonzerne, die den Betrieb von Krankenhäusern zu ihrem Geschäftsmodell machten, gab es nicht. Jetzt aber werden die Krankenhäuser in öffentlicher Hand zu einer auf Gewinn orientierten Wirtschaftsführung gezwungen. Wettbewerb in den Krankenhäusern ist die Devise.

In Berlin regte sich der Widerstand allerdings nicht in den privaten Krankenhäusern, sondern in den öffentlichen, in der größten Universitätsklinik Europas, der Charité, und im größten kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes und deren Töchtern. Die öffentlichen Krankenhäuser werden nicht von dem Wettbewerb verschont, der entfesselt wurde. So wurden auch dort massiv Pflegekräfte eingespart. Andererseits gibt es in den öffentlichen Krankenhäusern besonders gute Möglichkeiten wirksamen Druck aufzubauen. Das hat die Berliner Krankenhausbewegung mit ihrem 100 Tage Ultimatum, ihrem Streik und anderen Aktionen, mit denen sie die Politik direkt in die Verantwortung nahm, eindrucksvoll demonstriert. Die Landesregierung kann unter erheblichen Druck gesetzt werden, weil sie als Eigentümerin der Krankenhäuser unmittelbar für die Zustände dort verantwortlich ist.

Schon allein diese erweiterten Einwirkungsmöglichkeiten der Beschäftigten sind ein wichtiges Argument für Krankenhäuser in öffentlicher Hand.    

Nicht nur das Gesundheitswesen wurde von einer systematischen Privatisierung überzogen, sondern viele andere Bereiche des Lebens auch. Nichts blieb verschont. Alles wurde zu einer Kapitalanlage.

Die Bahn

Auch die Bahn. Die Deutsche Bahn wurde zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt und Bahnchef Mehdorn setze alles daran, den Verkauf der Aktien an Private vorzubereiten. Es reichten damals schon die Vorbereitungen auf die geplante Privatisierung, um allen klarzumachen, wohin die Reise geht. Die Privatisierung selbst kam damals nicht mehr zustande, weil die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise allen Verkaufsplänen einen Strich durch die Rechnung machte. Die Deutsche Bahn und mit ihr die Berliner S-Bahn blieb zu 100 Prozent in staatlicher Hand.

Erinnert sich noch jemand an die S-Bahn Krise im Jahr 2009? Wir standen im Winter frierend an den Bahngleisen und warteten auf den nächsten Zug – oft vergeblich.

Der Grund war ein massives Sparprogramm, zu dem Bahnchef Mehdorn drei Jahre zuvor die Bahn gezwungen hatte. Das war die Vorbereitung, um die Aktien der Deutschen Bahn AG besser an Private verkaufen zu können. Die „Braut“ für den Verkauf „schön machen“ heißt das in diesem merkwürdigen Aktionärsjargon. 2006 beschäftigte die S-Bahn 3.700 Menschen. Zwei Jahre später waren es 900 weniger. Die wichtige Betriebswerkstatt Friedrichsfelde wurde geschlossen. Personalmangel führt zu Wartungsmängeln. Die Folgen im Jahr 2009: Radbruch, Zugentgleisung. Die Aufsichtsbehörde trat auf den Plan und zog zeitweilig 75 Prozent der Viertelzüge aus dem Verkehr.

Also:

Privatisierung ist nicht die Lösung, Privatisierung ist das Problem.

Und welche Lehre zog der Senat daraus? Hat er daraus gelernt?

Vor einem Jahr schrieb der Senat den Betrieb der S-Bahn europaweit aus. Berlin musste das nicht. Sie kann die S-Bahn auch in eigener Regie betreiben, wie sie das im U-Bahn-, Straßenbahn- und Busverkehr mit der landeseigenen BVG auch tut.

Doch aufgrund der Ausschreibung können sich jetzt auch private Unternehmen bewerben. Bekommt eines von ihnen den Zuschlag, dann ist der Betrieb der S-Bahn privatisiert, und zwar über Jahre hinaus.

Wettbewerb auf der Schiene ist auch das Zauberwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird.

Die Folgen kann man zurzeit in Baden-Württemberg und NRW besichtigen: Dort hat der private Bahn-Betreiber Abellio Insolvenz angemeldet. Aber der Bahnbetrieb muss weiterlaufen. Jedes Unternehmen, das jetzt diesen beiden Ländern aus der Not hilft, wird sich das teuer bezahlen lassen. Diese Länder haben sich mit der Privatisierung des Bahnbetriebes erpressbar gemacht.

Daher die eindringliche Warnung:

  • Es gibt Argumente für einen besseren öffentlichen Nahverkehr,
  • es gibt aber kein Argument für seine Privatisierung.

Die Konsequenz für die S-Bahn:

  • Die Ausschreibung der S-Bahn muss sofort abgebrochen werden.

Noch ist es nicht zu spät, wie die unermüdliche Arbeit der Initiative „Eine S-Bahn für alle“ in einem Gutachten nachgewiesen hat, das von ihr in Auftrag gegebenen wurde. Wenn das Land jedoch zu lange wartet, kann der Ausstieg sehr teuer werden. Und das will der Senat dann auch.

Nicht nur die S-Bahn, auch die bundesweite Deutsche Bahn ist gefährdet. Die Parteien, die demnächst die Bundesregierung stellen wollen, scheinen sich jedenfalls das Ziel gesetzt zu haben, die Bahn zu zerschlagen. Das Schienennetz soll unabhängig von der Deutschen Bahn AG verwaltet werden und auf diesem Schienennetz der Betrieb der Regio- und Fernbahnen und des Güterverkehrs der Deutschen Bahn AG mit privaten Bahnbetreibern konkurrieren. ‚Wettbewerb‘ auch hier das Zauberwort. Jetzt nicht ‘Wettberwerb in den Krankenhäusern’, sondern: ‚Wettbewerb auf der Schiene‘. Dann folgte die Privatisierung.

Anders ist es in der Schweiz. Dort wird der Fernverkehr überwiegend in öffentlicher Haand betrieben, von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) – in enger Kooperation mit vielen kantonalen Bahnunternehmen, mit einem perfekt abgestimmten integralen Taktfahrplan und einem zuverlässigen Verkehr und ohne Trennung von Netz- und Zugbetreibern [1]siehe Dr. Bernhard Knierim “Wie der Wettberwerb die Bahn beschädigt”. Was in der Schweiz möglich ist, sollte auch in Deutschland möglich sein.

Es gab und gibt Gegenwehr. Silvia Habekost hat das am Beispiel der Krankenhausbewegung beschrieben. Gegen die Ausschreibung der S-Bahn mobilisiert das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle!“.

Und ich erinnere an die zwei erfolgreichen Volksentscheide in Berlin gegen den Ausverkauf öffentlichen Eigentums.

Das Wasser

In dem ersten Volksentscheid ging es um die Privatisierung des Wassers.

Die Initiative “Wasserprivatisierung – Nein danke!” bekam so viel Unterstützung, dass die Stadt die Anteile an den Berliner Wasserbetrieben, die sie an die Konzerne RWE und Veolia verkauft hatte, wieder zurückkaufen musste. Die Rückführunng der Wasserbetriebe in städtisches Eigentum war also ein Rückkauf und keine Enteignung. Trotzdem stand die Auseinadersetzung um das Eigentum im Zentrum der Auseinadersetzung: Wem gehört das Wasser? Wem gehören die Wasserbetriebe?

Große Bedeutung für den Erfolg der Kampagne hatte der Umstand, dass um ein grundlegendes Lebensmittel für alle ging, das Wasser. Johanna Erdmann von der Initiative ‘Wassertisch’ hat in dem Video, das wir eingespielt haben, dazu wichtige Hinweise gegeben.

Die Initiative Wassertisch war eine Reaktion – ein Akt der Gegenwehr. Nicht der Wassertisch, der Senat hatte mit dem Verkauf von Anteilen an den Berliner Wasserbetrieben zuerst die Frage “Wem soll das Wasser gehören?” auf die Tagesordnung gesetzt.

Dass der Berliner Senat zum Rückkauf des Wassers gezwungen werden konnte, zeigt: Es ist möglich, zu gewinnen. Das machte vielen Mut. Und es wuchs die Erkenntnis:

  • Wenn etwas in öffentlicher Hand ist, ist nicht immer alles gut.
  • Aber mit Sicherheit wird nach einer Privatisierung alles schlechter.

Die Wohnungen

In dem zweiten erfolgreichen Volksentscheid ging es um die Wohnungen in Berlin:

200.000 Wohnungen privatisierte der Berliner Senat zwischen 1990 und 2005. Allein im Jahr 2004 ging der ganze Bestand der landeseigenen GSW – 65.000 Wohnungen – an das private Unternehmen Cerberus, das diese Wohnungen später unter anderem an die Deutsche Wohnen weiterverkaufte.

Damit hatte der Senat die Möglichkeit aus der Hand gegeben, auf die Mietpreise von 200.000 Wohnungen dämpfend einzuwirken.

Allein von 2012 bis 2021 stiegen die Mieten von über 6 €/qm auf über 10 €/qm[2]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/535119/umfrage/mietpreise-auf-dem-wohnungsmarkt-in-berlin/.

Nicht nur die Mieten stiegen, auch die Empörung stieg.

Daraus entstand die Idee, alle großen privaten Wohnungsunternehmen zu enteignen. So erhofft man sich, die explodierenden Mieten besser in den Griff zu bekommen.

Immer wieder wird behauptet, das Geld wäre besser in mehr Neubau angelegt. Aber:

  • Man kann das eine tun und das andere nicht lassen:
  • Man kann enteignen und neu bauen

Der Berliner Haushalt wird jedenfalls mit keinem einzigen Cent belastet, wenn den enteigneten Unternehmen eine Entschädigung gezahlt wird. Der Senat hat das selbst kurz vor den Wahlen vorgemacht: Er ließ 14.750 Wohnungen von der DW und Vonovia zurückkaufen, aber nicht über die Berliner Landeskasse, sondern über seine Wohnungsgesellschaften. Den Kaufpreis holen sich diese Wohnungsgesellschaften über die Mieten zurück. Das Land Berlin wird mit keinem Cent belastet. Der Berliner Finanzsenator Kollatz beschrieb diesen Deal als einen guten Vertrag, als einen „Vertrag   mit Zukunft“.

Der Preis für jede Wohnung betrug allerdings bei diesem Rückkauf mehr als das 20-fache von dem, was Cerberus dem Senat im Jahr 2004 für diese Wohnungen gezahlt hatte.

Das Wort Cerberus kommt aus dem Lateinischen und heißt Höllenhund. Der Begriff Privatisierung kommt auch aus dem Lateinischen und ist von privare abgeleitet. Privare heißt berauben.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ verfolgte von Anfang an nicht das Ziel, die privatisierten Wohnungen zurückzukaufen. Ihr Ziel war die Enteignung:

Alle privaten Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin sollen enteignet werden.

Der Unterschied zwischen Rückkauf und Enteignung ist der:

  1. Die privaten Wohnungskonzerne haben bei einer Enteignung nicht mehr die Entscheidungsfreiheit, ihr Eigentum aufzugeben oder nicht. Sie werden dazu verpflichtet.
  2. Der Senat ist nicht zur Zahlung eines Kaufpreises, sondern nur zu einer Entschädigung der enteigneten Unternehmen verpflichtet. Eigentlich ist jeder € Entschädigung ein € zu viel. Aber ohne Entschädigung geht es nicht. Wie hoch diese Entschädigung ist, wird am Ende durch die Gerichte entschieden werden. Spekulationsgewinne müssen zum Beispiel nicht berücksichtigt werden.

Am Tag der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und Bundestag stimmten über 56 Prozent für die Enteignung. Selbst ein erheblicher Teil der Wählerinnen und Wähler von FDP, AFD und CDU stimmten für die Enteignung. 2,5 Millionen Berlinerinnen und Berliner durften sich an dieser Volksabstimmung beteiligen. ¾ dieser 2,5 Millionen beteiligten sich. Über eine Millionen Menschen stimmten für die Enteignung.

Die Forderung im Volksentscheid stützt sich auf Artikel 15 Grundgesetz.

Diese Möglichkeit zur Enteignung großen Kapitals wurde nach dem 2. Weltkrieg in das Grundgesetz aufgenommen, weil bis in die CDU hinein Einigkeit herrschte, dass das große Kapital für Krieg und Faschismus in hohem Maß zumindest mitverantwortlich gewesen war.

Dabei wurde auf eine Regelung aus der Weimarer Reichsverfassung zurückgegriffen[3]§ 156 Satz 1 WRV . Die Möglichkeit zur Vergesellschaftung großen Kapital ist also ein Kind der Novemberrevolution. Der 1. Reichsrätekongress, der im Dezember 1918 im jetzigen Berliner Abgeordnetenhaus tagte, „beauftragte die Regierung, mit der Sozialisierung aller herzu reifen Industrien, insbesondere des Bergbaus, unverzüglich zu beginnen“. Das wurde in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen, nicht als Auftrag, so wie es der Reichsrätekongress beschlossen hatte, aber als eine zulässige Möglichkeit. Und so steht es auch heute noch im Grundgesetz: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können … in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Dabei ist eine Entschädigung vorgeschrieben, die aber einigen Spielraum lässt, was die Höhe dieser Entschädigung angeht. Wörtlich heißt es: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“.  

Diese Möglichkeit zur Enteignung großen Kapitals auf der Grundlage von Art. 15 Grundgesetz wurde bisher jedoch nie genutzt. Deswegen nennen wir die Novemberrevolution eine unvollendete Revolution.

Aber nach über 100 Jahren Dornröschenschlaf beruft sich die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ auf diesen Artikel 15 Grundgesetz und über eine Millionen Menschen stimmen für die Enteignung.

Und was macht der Senat? Der setzt eine Kommission ein, die ein Jahr lang beraten sollen. Das klingt nach Beerdigung und erinnert an das, was alle Regierungen in den letzten 100 Jahren gemacht haben, wenn sie mit Enteignungsforderungen konfrontiert wurden. Sie weigerten sich, diese Forderungen umzusetzen, auch wenn die Mehrheit dafür gestimmt hatte.

Ob sich das allerdings die Aktivisten der Kampagne „DW & Co enteignen“ gefallen lassen, ist eine ganz andere Frage.

Denn genau da, wo für den neuen rot-rot-grünen Senat die Demokratie aufhört, fängt für uns die Demokratie an, bei der Frage:

Wessen Welt ist die Welt?[4]Solidaritätslied von Brecht /Eisler.


      

References