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Solidarität der Hafenarbeiter Griechenlands mit dem palästinensischen Volk

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Die Verbände der Hafenarbeiter, Docker und Aufsichtsbeamten und Vorarbeiter Griechenlands haben folgende Erklärung abgegeben:

FÖDERATION DER HAFENARBEITER GRIECHENLANDS ( OM.Y.L.E )
UNION DER STÄNDIGEN UND PROBATIONÄREN DOCKER OLP (Hafenbehörde von Piräus)
VERBAND DER AUFSICHTSBEAMTEN UND VORARBEITER OLP

Solidarität der Hafenarbeiter Griechenlands mit dem palästinensischen Volk

Nach dem zu verurteilenden blutigen Angriff von Hamas-Kämpfern auf unbewaffnete israelische Zivilisten am 7. Oktober haben die israelischen Verteidigungskräfte eine massive Offensive gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens gestartet. Die Angriffe der israelischen Streitkräfte haben während der gesamten Zeit enorme Ausmaße angenommen. Unter dem Vorwand, die Kämpfer der Hamas zu töten, wird im Grunde eine ethnische Säuberung der Palästinenser durchgeführt, die zerstörte Infrastrukturen (Krankenhäuser, Schulen, Produktionsstätten usw.) und vor allem Tausende von toten Zivilisten, darunter Tausende von toten Kindern, hinterlässt. Das unmenschliche Vorgehen der israelischen Streitkräfte hat einen Sturm der Entrüstung bei den Völkern der Welt ausgelöst.

Angesichts dieser enormen Katastrophe können wir nicht gleichgültig bleiben und schweigen. Der palästinensische Kampf um Selbstbestimmung dauert nun schon mehr als 70 Jahre und hat Hunderttausende von Opfern gefordert. Auf der anderen Seite hat der Staat Israel in Palästina alle völkerrechtswidrigen Methoden angewandt (Siedlungen, ethnische Säuberungen, Eroberung und Inbesitznahme von Gebieten usw.) und versucht, die Palästinenser von der Landkarte zu tilgen.

Vor einigen Tagen empfingen unsere Gewerkschaften Vertreter von BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen), einer internationalen palästinensischen Bewegung für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. BDS fordert das selbstverständliche Prinzip für jedes Volk, so auch für die Palästinenser, dass sie die gleichen Rechte haben wie der Rest der Menschheit. Sie zielt auf den Boykott israelischer Produkte, die von Unternehmen hergestellt werden, die die Menschenrechte verletzen, auf den Rückzug von Investitionen in israelische Unternehmen, die die Rechte der Palästinenser verletzen, und auf die Verhängung von Sanktionen gegen Israel durch internationale Organisationen und Regierungen.

Es kann keine gerechte Lösung für Palästina geben, wenn es nicht zuerst Frieden und ein Ende der Unterdrückung durch Israel gibt. Das Völkerrecht und die einschlägigen UN-Resolutionen sehen die Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 und eine friedliche Koexistenz von Palästinensern und Israelis vor. Bis heute praktiziert der Staat Israel eine inakzeptable Diskriminierung der Palästinenser sowohl innerhalb Israels als auch eine organisierte Unterdrückung in den palästinensischen Gebieten, die an Apartheid erinnert.

Unter der israelischen Militärbesatzung sind die Palästinenser gezwungen, als Gefangene in ihrem Land zu leben, das von der illegalen Mauer umgeben ist. Die lange Belagerung des Gazastreifens und die häufigen israelischen Militärangriffe wurden von der internationalen Gemeinschaft als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Angesichts der beklagenswerten Bedingungen, die Israel auferlegt, ist die gerechte Lösung für die Palästinenser eine Einbahnstraße.

Die Mitarbeiter der Hafenbehörde von Piräus erklären ihre volle Unterstützung und Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Die Eskalation der blinden Gewalt und Zerstörung im Gazastreifen mit den jüngsten Luftangriffen auf Schulen, Krankenhäuser und politische Ziele erfüllt uns mit Entsetzen und Abscheu.

In diesem Zusammenhang erklären wir als Beschäftigte des Hafens von Piräus, dass wir uns weder an illegalen Transporten von militärischem Material, die im Hafen von Piräus beginnen oder enden, nach Israel beteiligen noch an solchen arbeiten werden, die mit der Ermordung von Zivilisten und Kindern enden. Wir werden uns in keiner Weise an den Verbrechen beteiligen, die in Gaza stattfinden.

DIE VORSTÄNDE


Dies ist ein Übersetzung der folgenden englischen Fassung:

FEDERATION OF PORT EMPLOYEES OF GREECE ( OM.Y.L.E )

UNION OF PERMANENT & PROBATIONARY DOCKERS OLP (Piraeus Port Authority)

ASSOCIATION OF SUPERVISORS AND FOREMEN OLP

Solidarity with the Palestinian People

Following the condemnable bloody attack by Hamas militants on unarmed Israeli civilians on October 7, a massive offensive has been launched by the Israel Defense Forces on the civilian inhabitants of Gaza. All this time the attacks by the Israeli armed forces have been of enormous proportions where under the pretext of killing the militants of the Hamas, basically an ethnic cleansing of the Palestinians is being carried out which leaves behind destroyed infrastructure (hospitals, schools, production facilities, etc.) and, above all, thousands of dead civilians, including thousands of dead children. The inhumane practice of the Israeli forces has provoked a storm of reaction from peoples around the world.

To this enormous catastrophe we cannot remain indifferent and silent. The Palestinian struggle for self-determination counts more than 70 years and hundreds of thousands of victims. On the other hand on the other hand, the State of Israel has implemented in Palestine all the methods that are contrary to international law (settlements, ethnic cleansing, conquest and encroachment of territory, etc.), trying to eliminate Palestinians off the map.

A few days ago, our unions welcomed representatives of the BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), an international Palestinian movement for freedom, justice and equality. BDS claims the self-evident principle for every people, as it does for the Palestinians, that they have the same rights as the rest of humanity. It aims to boycott Israeli products produced by companies that violate human rights, the withdrawal of investments in from Israeli companies that violate Palestinian rights, and the imposition of sanctions on Israel by international organizations and governments.

There can be no just solution for Palestine if there is not first Peace and an end to Israel’s oppression. The International Law and the relevant UN resolutions provide for the establishment of a Palestinian state within the 1967 borders and peaceful coexistence of Palestinians and Israelis. To date, the State of Israel practices unacceptable discrimination against Palestinians both within Israel and organised oppression in the Palestinian territories that reminds of apartheid.

Under the Israeli military occupation, Palestinians are forced to live in their land as prisoners surrounded by the illegal wall. The long siege of Gaza and the frequent Israeli {military raids} have been condemned by the international community as war crimes and crimes against humanity. Given the deplorable conditions imposed by Israel, the just solution for the Palestinians is a one-way street.

The employees of the Piraeus Port Authority declare their full support of and express our solidarity with the Palestinian people. Η escalation of the blind violence and destruction taking place in Gaza with the recent air strikes on schools, hospitals and political targets, is a source of horror and disgust to us.

In this context, as workers at the port of Piraeus we declare that we will neither participate nor work in illegal transport of military material starting or stopping at the Piraeus Port to Israel that ends up murdering civilians and children. We will not be in any way complicit in the crime that is taking place in Gaza.

THE BOARDS

Der verbandsfreie Streik im Hamburger Hafen

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Am 6. und 7. November streikten die Hamburger Hafenarbeiterinnen und -arbeiter (HHLA) ohne dass die Gewerkschafft ver.di dazu aufgerufen hatte oder diesen Strek nachträglich übernahm. Es war also ein verbandsfreier (“wilder”) Streik. Er richtete sich gegen den geplanten Teilverkauf der HHLA an die weltweit größte Reederei MSC. Die HHLA ist noch überwiegend in städtischer Hand.

Über den Streik am 7. November heißt es im express 11/2023:

“… im Laufe des Tages erhöht die Geschäftsleitung den Druck auf die Beschäftigten. …  Am Abend des 7. November, nach insgesamt vier bestreikten Schichten, wird der Streik beendet. Bis zum Ende des Streiks am Dienstagabend haben mindestens 50 Beschäftigte eine Abmahnung erhalten. Die Ansage der Geschäftsleitung ist eindeutig und schüchtert viele Beschäftigte ein: Mit jedem weiteren Streiktag folgt eine weitere Abmahnung. 50 weitere Abmahnungen seien bereits vorbereitet und könnten sofort verteilt werden. Im Zweifel würden auch fristlose Kündigungen ausgesprochen werden. Unter dem Eindruck des massiven Drucks und der fehlenden Ausweitung des Streiks auf die anderen Terminals beenden die Beschäftigten ihre Aktion.”[1]express 11/2023, S. 1 f.; über die Abmahnungen berichtete auch die Hamburger Morgenpost, so die Perspektive vom 10.11.2023

Mit diesem verbandsfreien Streik haben die Beschäftigten des Hamburger Hafens demonstriert, dass sie sich nicht an die Kette des Rechts legen lassen. Denn nach der geltenden Rechtsprechung sollen verbandsfreie Streiks verboten sein. Auch könnte in Frage gestellt werden, ob das Ziel des Streiks – Verhinderung des Verkaufs an MSC – ein erlaubtes Streikziel ist.

Der Bericht zeigt aber auch die Waffen, die die Rechtsprechung den Unternehmern mit der Illegalisierung des verbandsfreien Streiks und den Beschränkungen der erlaubten Streikziele in die Hand gegeben hat: Die Abmahnung und dann die drohende fristlose Kündigung. 

Der Streik zeigt nachdrücklich, wie wichtig es ist, dass die restiktive deutsche Rechtsprechung zum Streikrecht beendet wird. Das gilt sowohl für das Verbot des verbandsfreien Streik als auch für die verbotenen Streikziele.

In dem zitierten Bericht über den Streik im Hamburger Hafen heißt es, dass die Beschäftigten nicht nur unter “dem Eindruck des massiven Drucks” ihren verbandsfreien Streik beendeten, sondern auch wegen der “fehlenden Ausweitung des Streiks auf die anderen Terminals.” Je mehr sich ein solcher Streik ausweitet, desto wirksamer ist er. Desto leichter ist es auch, Disziplinarmaßnahmen der Gegenseite abzuwehren. Die Möglichkeit, das Streikziel durchzusetzen, und der Schutz vor Disziplinarmaßnahmen wachsen mit der Masse der Streikenden.

Es gab Gründe genug für eine Ausweitung des Streiks: “Der vierte große Containerterminal im Hamburger Hafen gehört … Eurogate. Dort wird derzeit noch viel Ladung von MSC-Schiffen umgeschlagen. Diese Ladung von einem Eurogate- an einen HHLA-Terminal zu verlagern, ist keine Lösung für die geringe Auslastung des Hamburger Hafens.”[2]express 11/2023

“Neben den Beschäftigten der HHLA sind am Montagabend auch solidarische Beschäftigte von Eurogate und aus den sognannten Lasch-Betrieben vor Ort. Denn von einem Verkauf der HHLA-Anteile wären auch die umliegenden Hafenbetriebe betroffen.”[3]express 11/2023, S. 1 f. Sonja Petersen, Betriebsrätin und ver.di Vertrauensfrau bei der HHLA befürchte, dass durch das Verlegen von Umschlagsmengen die Reederei in Zukunft versuchen könne, die Beschäftigten der einzelnen Betriebe untereinander zu spalten. … Neu seien diese Spaltungsversuche durch die Konzernbosse nicht.[4]express 11/2023, S. 1 f. “Dieses Spiel gibt es seit vielen Jahren und hat den Beschäftigten auf keiner Seite langfristig geholfen. Leider stirbt aber derzeit jeder für sich allein”[5]express 11/2023, S. 1 f.. Nervös blicken die Arbeiter:innen während ihres Streiks auf die beiden weiteren Terminals der HHLA, das Containerterminal Altenwerden (CTA) und das Containerterminal Tollerort (CTT), in der Hoffnung, dass sich die Kolleg:innen dem spontanen Streik anschließen könnten. Bis zum Ende jedoch gelingt es nicht, den Streik auf diese Bereiche auszuweiten.”[6]express 11/2023, S. 1 f.

Dieser Streik belegt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, dass sich die Beschäftigten über die völkerrechtswidrigen Einschränkungen des deutschen Streikrechts hinwegsetzen. Wie sollen sie sich sonst gegen die drohende Privatisierung und deren schlimmen Folgen für die Beschäftigten und die ganze Stadt wehren?

“Insgesamt arbeiten im HHLA-Konzern 6.700 Beschäftigte, 2003 wurde die HHLA in einzelne GmbHs aufgespalten. “Ziel war es seinerzeit, Beteiligungen an einzelnen Terminals zu ermöglichen,” erläutert Sonja Pertersen im Gespräch. “Es gab die Erwartungshaltung, dass sich durch die Beteiligung von Partnern, im Wesentlichen von Reedern, Abfertigungsmenden und weiteres Geschäft an Terminals binden ließe.” Anders als die Beteiligungen an einzelnen Firmen blieb die HHLA-Holding als Dach der einzelnen GmbHs bis 2006 komplett im Besitz der Stadt.”[7]express 11/2023, S. 10 ff. Als der Senat versuchte, die HHLA wie viele andere städtische Betriebe um jeden Preis zu privatisieren, wehrten sich die Beschäftigten vehement, so dass der Versuch scheiterte.[8]express 11/2023, S. 10 ff.. Nur 30 Prozent der Aktien wurden in Streubesitz verkauft. “Für uns als Beschäftigte war und ist es wichtig, dass die HHLA ein öffentliches Unternehmen und der Einfluss der Freien und Hansestadt auf die Unternehmens- und damit auch Hafenpolitik erhalten bleibt,” wird Sonja Pertersen zitiert. Dabei waren auch schon die Beteiligungen an einzelnen Containerterminals unter den Hafenbeschäftigten nicht unumstritten.[9]express 11/2023, S. 10 ff.. Doch der jetzt geplante Teilverkauf der HHLA habe nun eine “völlig andere Qualität” als frühere Terminalbeteiligungen, gibt Sonja Petersen zu verstehen. Nach einer Umstrukturierung der HHLA soll MSC knapp unter 50 Prozent der Anteile kaufen, wobei MSC die 30 Prozent Aktien, die jetzt schon in Streubesitz sind, ebenfalls übernehmen will[10]siehe die Perspektive vom 10.11.2023 sowie die FAZ vom 7.11.2023. Allerdings meldete die ZEIT am 21.11.2023, MSC seien erst 3,9 Prozent der Aktien “angedient” worden habe.[11]die ZEIT vom 21.11.2023; siehe auch Tagesschau vom 23.11.2023 Die Stadt Hamburg soll knapp über 50 Prozent behalten.

Nach dem Bericht im express sind die Würfel noch nicht gefallen. Der express: “Noch ausstehend ist zudem die Zustimmung der Hamburger Bürgerschaft zu dem geplanten Deal. Die Teilprivatisierung kann also noch verhindert werden.”[12]siehe auch die Hamburger Morgenpost vom 7.11.2023 in Pressreader

Ein interessanter Bericht über eine Versammlung am 11. November 2023 vor dem Hamburger Rathaus unter dem Motto: “Kein Verkauf von Stadteigentum! Unser Hafen, nicht euer Casino!” ist hier nachzulesen. Siehe auch die Junge Welt vom 8.11.2023.

References

References
1 express 11/2023, S. 1 f.; über die Abmahnungen berichtete auch die Hamburger Morgenpost, so die Perspektive vom 10.11.2023
2 express 11/2023
3, 4, 5, 6 express 11/2023, S. 1 f.
7, 8, 9 express 11/2023, S. 10 ff.
10 siehe die Perspektive vom 10.11.2023 sowie die FAZ vom 7.11.2023
11 die ZEIT vom 21.11.2023; siehe auch Tagesschau vom 23.11.2023
12 siehe auch die Hamburger Morgenpost vom 7.11.2023 in Pressreader

Zwei Menschen – eine Rede

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Iris Hefets und Nadja Samour hielten am 25. November 2023 auf der großen Kundgebung “Nein zum Kieg!” in Berlin eine bemerkenswerte Rede, auf die wir hier aufmerksam machen wollen.

Der Text der Rede kann auf der website von Evelyn Hecht-Galinski nachgelesen werden.

Die Rede der beiden in Ton und Bild:

weitere Info über Iris Hefets sind hier nachzulesen:

Iris Hefets (Jüdische Stimme) über Antisemitismus, Irsrael, Gaza, deutsche Schuld | MERATV

14.04.2015: Interview mit Iris Hefets: „Pilgerfahrt nach Ausschwitz“

09.03.2019: Rede von Iris Hefets anlässlich der Verleihung des Göttinger Friedenspreises

weitere Info über Nadja Samour:

18.07.2019: „Say My Name“: Die Politik des Nicht-Namensgebens

18.10.2023: Wir treffen Nadija Samour, eine Strafverteidigerin, die mit einer Flut von Verfahren gegen Palästinenser und ihre Unterstützer in Berlin beschäftigt war.

25. November 2023 – Bericht über bundesweite Demo in Berlin

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Es ist Zeit, dass wir Bürgerinnen und Bürger uns wieder stärker in die politischen Auseinandersetzungen einmischen. Deshalb rufen wir auf, am 25.11 – am Samstag vor der Verabschiedung des Bundeshaushaltes – gemeinsam für Frieden und Abrüstung, Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine und Friedensverhandlungen zu demonstrieren.”

Auszug aus dem Aufruf zur bundesweiten Demo.


20.000 in Berlin für eine andere Zeitenwende

Von Jochen Gester

“Dem fies-feuchten Winterwetter zum Trotz hatten sich am Samstag, dem 25. 11 nach glaubwürdigen Angaben der Veranstalter gut 20 000 Friedensbewegte in der Bundeshauptstadt zu Kundgebungen und einer Demonstration versammelt. Es dauerte bis in den fortgeschrittenen Abend, bis dass diese Protestaktion gegen die Wiederkehr des Krieges und die Militarisierung der Republik Spuren in den Medien hinterlassen hatte. Zuerst war von einer Demo einiger Tausend die Rede. Erst gegen 22 Uhr konnte man dann lesen, dass sich hier nach Polizeiangaben 10 000 Menschen versammelt hatten. Auf jeden Fall konnten die Demonstrant:innen einen machtvollen Zug durch das Regierungsviertel organisieren, der auch ohne sichtbare Störungen ablief. Dies mag auch daran gelegen haben, dass es am Samstag keinerlei Versuche rechter Akteure gab, sich als Friedensaktivisten getarnt unter die Menge zu mischen. Im Vorfeld war auch mehr als deutlich seitens der Organisatoren klargestellt worden, dass diese Chamälions unerwünscht sind. Auch hat wohl die Vereinbarung der Veranstalter, das Zeigen von Nationalfahnen nicht zuzulassen – was auch kontrolliert wurde – die Lust an einer solchen Demo in dieser Szene deutlich gedämpft.

Prägend waren am Samstag Meinungskundgebungen aller Art, bei denen die Sorge und auch die Empörung darüber zum Ausdruck kam, dass die herrschende Politik die Chancen zu einer friedlichen Entwicklung der Beziehungen zwischen den den nationalen Konfliktparteien in Europa sowie in Nahost torpediert statt fördert. Die Gesamtaktion hatte ein deutlich linkeres Profil als die vorangegangene Großdemo im Februar. Die meisten Gruppen der arbeiterbewegungsorientierten Linken waren vertreten und auch die auf der Bühne gehaltenen Redebeiträge argumentierten mehrheitlich aus einer Tradition des linken Antimilitarismus. Dies blieb auch den meinungsbildenden Medien nicht verborgen. Die gewerkschaftliche Linke war ebenfalls präsent und setzte durch ihre organisierte Teilnahme auch einen klaren Kontrapunkt zur Politik der Vorstände, die sich wohl darüber abgesprochen hatten, nicht durch Unterstützung einer Aktion, die offen das Programm der sog “Zeitwende” infragestellte, die Gesprächskanäle in die Zentralen der Macht zu verbauen. Ausdruck des völkerverbindenden und antirassisstischen Geistes, der diese Demonstration prägte, war auch der gemeinsame Auftritt von Iris Hefets von der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost und der deutsch-palästinensischen Rechtsanwältin Nadjia Samour, die verdeutlichen konnten, welcher Geist wirklich hinter der verkündeten Staatsräson einer großen Koalition aus Regierung und Opposition steckt.”

Besten Dank an Jochen Gester für diesen Artikel.


Fotogalerie:

Foto: Ingo Müller


Videomitschnitte

Begrüßungsrede der Organisatoren der Friedensdemo in Berlin am 25.11.2023 Reiner Braun
Gemeinsame Rede von Iris Hefets und Nadja Samour
Rede Michael Müller (ehem. Staatsekretär im Umweltministerium, MdB a.D., Vorsitzender der NaturFreunde)
Rede Sarah Wagenknecht (MdB, BSW) [1]BSW = Bündnis Sahra Wagenknecht
Rede Ates Gürpinar (stellvertr. Vorsitzender DIE LINKE)
Redebeitrag Michael von der Schulenburg (Diplomat, ehem. Assistant General Secretary des UN Generalsekretärs)
Rede Prof. Dr. Gabriele Krone Schmalz Friedensdemo Berlin 25 11 2023

Alle Videobeiträge von

Frieden jetzt! – Peace now!


Friedenskanal Hamburg

Berichterstattung aus der Hamburger Friedensbewegung zur

“Nie wieder Krieg – Demo in Berlin 25.11.2023 mit Wagenknecht, Krone-Schmalz u. von der Schulenburg”


00:00
Hans-Dietrich Springhorn 01:00 Jutta Kausch-Henken (FriKo Berlin) 01:58 Emre Ögüt (DIDF) 02:28 Christine 03:23 Demozug Trommler 1 03:32 Christa Weber (Musik) 04:47 Demozug Trommler 2 05:04 Reiner Braun (IPB) 07:19 Demozug Kopfbanner 07:25 Metin Kaya (MdHB) 07:57 Sahra Wagenknecht 13:25 Andreas Grünwald (Hamburger Forum) 15:55 Charly Braun (DGB Kreisvorsitzender Heidekreis) 17:19 Demozug Sprechchöre 1 17:29 Gabriele Krone-Schmalz (Journalistin und Publizistin) 23:48 Pablo Miro (Nein, meine Söhne geb’ ich nicht) 25:32 Demozug Sprechchöre 2 28:04 Michael von der Schulenburg (ex Diplomat OSZE und UN) 31:16 Pablo Miro (Julian Assange) 32:49 Wiebke Diehl (Journalistin und Autorin) 33:06 Michael Müller (Naturfreunde Deutschlands) 39:57 Ates Gürpinar (Die Linke)

Quelle:


References

References
1 BSW = Bündnis Sahra Wagenknecht

Solidarität mit dem Kulturzentrum Oyoun!

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Am 26. März 2024 verschickte Ouyn einen Newsletter, in dem Ouyn unter anderem über einen erfolgreichen Prozess gegen den Tagesspiegel berichtet. Oyun wehrt sich gerichtlich gegen Antisemitismus – Vorwürfe. Es wird nicht die letzte gerichtliche Entscheidung sein.

“Das Gericht hat entschieden, dass der Tagesspiegel drei seiner in einem Artikel vom 20.02.2024 geäußerten Behauptungen nicht mehr äußern darf, darunter u.a. die Behauptung über eine Bevorzugung von Oyoun durch den Senat aufgrund familiärer Beziehungen sowie sämtliche Antisemitismusvorwürfe, da diese haltlos sind. Gleiches gilt für die Aussagen der Grünen Politikerin Susanna Kahlefeld, die all’ unsere Unterlassungserklärungen umgehend unterschrieben hat.”

Weiterlesen


Wir veröffentlichen hiermit eine Erklärung des Kulturzentrums Oyoun zur Streichung der Gelder durch den Berliner Senat. Das Kulturzentrum hatte der “Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten” Räume für ihr 20-jähriges Jubiläum zur Verfügung gestellt.

Liebe Oyounity,

In den vergangenen Tagen haben sich die Ereignisse überschlagen: Der Berliner Kultursenat hat in seiner letzten Sitzung im Abgeordnetenhaus am 20.11.2023 das Ende der Förderung des Oyoun noch zu diesem Jahresende bekanntgegeben. 32 Mitarbeitende verlieren zum ersten Januar ihre Lebensgrundlage. Erfahren haben wir von dieser Entscheidung nur durch Zufall, via Livestream der Ausschusssitzung. Die darin vom Senat angebrachten Vorwürfe des “versteckten Antisemitismus” weisen wir ausdrücklich zurück. Bereits direkt im Anschluss an die besagte Sitzung haben wir eine ausreichende Begründung des Förderstopps sowie Akteneinsicht nach IFG Berlin gefordert. Bis heute blieben diese Anfragen leider unbeantwortet.

Die Entscheidung des Senats ist für uns schockierend und nicht nachvollziehbar. Die Konsequenzen für uns, für Euch und nicht zuletzt für die allgemeine kulturpolitische Entwicklung in Berlin und darüber hinaus sind gravierend. Die Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland ist akut bedroht.

Berührt und bewegt haben uns in diesen Stunden vor allem die vielen Solidaritätsbekundungen und mittlerweile über 12.000 Unterschriften unter unserem offenen Brief. Wir sind unglaublich dankbar, dass es euch gibt! Der Protest hat sich auch auf die Straße bewegt, wo Menschen am Freitagmorgen vor der Kulturverwaltung unter anderem gegen die Schließung des Oyoun protestiert haben. In den sozialen Medien überschlagen sich die Nachrichten, Stories und Beiträge zu unserem drohenden Aus. Eine Frage, die uns dabei immer wieder erreicht: “Wie können wir helfen?”.

Unser juristisches Gutachten von Myrsini Laaser (Anwältin für Straf- und Migrationsrecht) deutet darauf hin, dass es sich bei unserer 4-jährigen Projektförderung (2022-2025) um eine verbindliche Zusage handelt und die Förderung im Dezember 2023 nicht ausläuft. Wir sind daher zuversichtlich und werden uns gegen die willkürliche Entscheidung der Berliner Kulturpolitik verteidigen. Schön ist, dass sich auch andere prominente Stimmen dazu äußern (siehe u.a. den Tweet von Journalist Mohamed Amjahid).

Auch wenn wir jetzt gezwungen sind, die Räumung des Hauses innerhalb der nächsten fünf Wochen zu planen: Wir werden für den Erhalt des Oyoun kämpfen. Für Euch, für unsere Kolleg*innen und nicht zuletzt für die künstlerische Freiheit im Ganzen. Die vielstimmige Community, die in den vergangenen Jahren in mehr als 2700 künstlerischen wie kulturellen Veranstaltungen, zwischen Ausstellungen, Theater, Performances, Konferenzen, Konzerten und weit darüber hinaus zusammen gekommen ist, muss geschützt werden!

Gemeinsam mit Euch haben wir pluralistische Perspektiven zusammengebracht, Kultur neu gedacht, Demokratie gelebt und eine internationale Oyounity geschaffen.

Wie geht es weiter? Wir haben eine Spenden-Kampagne gestartet, um genügend Mittel zu sammeln und die hohen Kosten für unsere juristische Verteidigung zu decken. 
Bitte teilt und unterstützt sie nach Euren Möglichkeiten! Teilt außerdem weiterhin Euren Unmut mit politischen Vertreter*innen. 

Kommentiert, beobachtet und bleibt kritisch. Gemeinsam sind wir laut!

See you soon!
Euer Oyoun
 

—> Spenden-Kampagne:
https://gofund.me/546955dd

Zum 80. Todestag des Antifaschisten Wolfgang Knabe reden wir mit seiner Tochter Edith Pfeifer

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Am 30. November 1943 starb Wolfgang Knabe im Zellengefängnis Moabit. Wolfgang Knabe wächst in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf. Über die Sozialistische Arbeiterjugend kommt er zur SPD. Mit einem Teil des linken SPD-Flügels organisiert sich der Dreher ab 1931 in der kleinen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Nach 1933 versucht er, die nun illegale Arbeit in den Betrieben aufrechtzuerhalten.1936 wird er deshalb zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Brandenburg verbüßen muss.
Nach dem Brandanschlag der Herbert-Baum-Gruppe auf die NS-Propaganda-ausstellung „Das Sowjetparadies“ im Mai 1942 muss Felix Heymann in den Untergrund gehen, wird im Oktober jedoch verhaftet und wochenlang gefoltert. Er gibt zu, dass ihm Wolfgang Knabe im Sommer mehrere Tage Quartier gegeben und kurzzeitig Arbeit vermittelt habe.

Im Februar 1943 wird Knabe deshalb verhaftet. In der Untersuchungshaft zieht er sich eine Lungentuberkulose zu. In den Gerichtssaal, zu seiner Verhandlung, muss er getragen werden. Anfang November 1943 wird er zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Wenige Wochen später stirbt er in der Krankenabteilung des Untersuchungsgefängnisses Moabit.


Foto: Uwe Bröckl. während der Werner-Seelenbinder-Ehrung 2023

Wir widmen ihm unsere Veranstaltung und seiner ebenso im Widerstand tätigen Frau Hildegard Knabe und vor allen ihrer Tochter, unserer Kameradin Edith Pfeiffer. Edith, bis heute noch ein aktives Mitglied der VVN, war zwei Jahre alt, als ihr Vater ermordet wurde.
Nach der Vorstellung des vielfältigen Widerstand ihrer Eltern erzählt Edith, die nach dem Krieg in Kreuzberg aufwuchs, wie sie ihrer Mutter bei Besuchen bei WiderstandskämpferInnen begleitete und wie es war im Westberlin der 50er Jahre aufzuwachsen.


Wann: 29.11.2023 um 19.00 Uhr

Wo: Galerie Olga Benario

Richardstraße 104, 12043 Berlin, Deutschland

“Wir verzweifeln an Israels Politik”

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Wir geben hier einen Beitrag von Nirit Sommerfeld wieder, Mitglied der ‘Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost’. Nirit Sommerfeld nimmt Stellung zu einem Artikel in der Berliner Zeitung, in dem über die Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen der ‘Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden’ im Oyun berichtet wurde.

Der „Kosher-Stempel“-Artikel dieser Zeitung zur Veranstaltung der „Jüdischen Stimme“ am 4. November in Berlin hinterlässt mich kopfschüttelnd. Nachdem die Autorin zu 90 Prozent inhaltlich korrekt wiedergibt, was an jenem Abend im Kulturzentrum Oyoun stattgefunden hat, endet der Artikel mit der Vermutung, dass wir „eigensinnigen“ Jüdinnen und Juden wohl genauso massakriert worden wären, hätten wir uns am 7. Oktober zu Besuch in einem der Kibuzzim befunden, in denen Hamas-Terroristen gewütet hatten.

Was will die Autorin den Lesern (oder uns?) sagen? Dass wir so dumm oder zu naiv sind, um zu begreifen, dass unser ganzes Friedensgedöns sowieso nichts bringt, wenn man es mit Terroristen zu tun hat? Sind wir am Ende doch die „falschen“ Juden, wie sie in Deutschland normalerweise gar nicht gehört werden und auch nicht gehört werden sollen? An dieser Stelle ganz großen Dank an die Berliner Zeitung, die immerhin jemanden schickt und einen Artikel über unsere Veranstaltung abdruckt, während bis auf Kollegen der „junge welt“ alle anderen eingeladenen Pressevertreter sich lieber durch Abwesenheit positionieren.

Aber auch für die Kollegin der Berliner Zeitung scheinen wir nicht ins Bild zu passen: Es gab keine Kippas, als seien Juden nur an ihren Zuschreibungen erkennbar, dafür spüre ich eine gewisse Herabwürdigung, wenn von „zarten goldenen Davidsternen“ die Rede ist und von „wallenden dunklen Lockenmähnen“, die sich bei der Schweigeminute senken. Ein leise Unterton scheint mitzuschwingen, etwa wenn die Zahl der in Gaza getöteten Kinder kommentiert wird (in Klammern steht: „das sind die Zahlen der Hamas-Gesundheitsbehörde“) – aber ich lasse mal meine Empfindlichkeiten beiseite, denn es geht um wahrlich Wichtigeres.

Ich will hier nur von mir sprechen, denn – Überraschung! – selbst innerhalb des Vereins „Jüdische Stimme“ gibt es unterschiedliche Sichtweisen, Erfahrungen und Aktivitäten, trotz der gemeinsamen Überzeugung, dass nur Gerechtigkeit auf beiden Seiten zu einem dauerhaften Frieden führen kann. In besagtem Artikel wird als Motiv für unser Engagement unsere „Empörung über die Ungerechtigkeit (…) im Verhältnis zwischen Israel und Palästina“ beschrieben. In Wahrheit ist es etwas viel Größeres, was uns antreibt: Es sind schiere Verzweiflung, tief sitzender Schmerz und existentielle Angst.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahuimago images

Wir verzweifeln an Israels Politik, die seit Jahrzehnten das Ziel verfolgt, die Palästinenser loszuwerden und das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan für sich zu beanspruchen, was derzeit in einer rechtsradikalen Regierung manifest geworden ist, die unverhohlen Äußerungen von sich gibt, die in Deutschland (zurecht!) als Volksverhetzung oder Schlimmeres identifiziert würden.

So will etwa Israels Staatspräsident Herzog nicht zwischen Hamas und Zivilisten unterscheiden und verlangt in einer martialischen Rede, ihnen „das Rückgrat zu brechen“. Verteidigungsminister Yoav Galant spricht, wie viele andere auch in der israelischen Zivilgesellschaft, von „Tieren“ oder „human animals“; die auf sie gerichteten Militäroperationen seien „nicht auf Genauigkeit aus, sondern auf Zerstörung“. Israels Minister für ‚Jerusalemer Angelegenheiten und Heimaterbe‘, Amichai Eliyahu, brachte den Einsatz einer Atombombe ins Spiel und schlägt den „Monstern von Gaza“ die Flucht in die Wüste oder nach Irland vor.

Wir wissen: Worte bereiten Taten vor. Seit Netanyahu der Hamas den Krieg erklärt hat, findet meiner Ansicht nach ein Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung statt. Es ist die Rache für den 7. Oktober, bei dem die Hamas ihrerseits durch nichts zu rechtfertigende Kriegsverbrechen an Zivilisten verübt hat.

Übrigens war das schon vor 15 Jahren, als ich in Israel gelebt habe, völlig normal, so über Palästinenser zu sprechen. Mehrere Bekannte sagten mir damals schon, es gäbe nur eine Lösung für das Palästinenserproblem, und das sei Vernichtung. Diese Araber – in Israel nimmt man ungern das Wort ‚Palästinenser‘ in den Mund, als fürchte man, die alleinige Namensnennung könne schon die Anerkennung ihrer Existenz andeuten – würden nicht leiden, sie machten nur Theater, um das Mitleid der Welt zu erregen. Geschichte sei nun einmal nicht gerecht, man habe als jüdisches Volk 2000 Jahre Diaspora hinter sich und mit der Shoa das schlimmste Menschheitsverbrechen erdulden müssen; jetzt seien eben andere dran.

In solchen Aussagen liegt der Schmerz, den viele in der „Jüdischen Stimme“ kennen. Er rührt von einer Wunde, die sich nicht schließen will. Bei mir ist es die tiefe Enttäuschung, die ich erfahren habe, als ich 2007 in mein Geburtsland zurückzog. Im Laufe von zwei Jahren musste ich festzustellen, dass all meine Überzeugungen bezüglich dieses Landes, an denen ich ebenso wenig wie alle anderen Kinder Israels je gezweifelt hatte, Lügen und Täuschungen waren: Von der Mär vom leeren „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ über die „moralischste Armee der Welt“ und der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ (die immerhin für jüdische Israelis bis vor kurzem noch halbwegs existierte) bis hin zur im israelischen Diskurs komplett geleugneten Nakba, der Ermordung tausender und Vertreibung hunderttausender Palästinenser im Zuge der Staatsgründung, des Raubes ihres Besitzes, ihres Landes, ihres verbrieften Rückkehrrechts. Die Liste ließe sich lang fortsetzen.

Auf alledem baut sich eine existenzielle Angst auf: Angst um die Menschen in Israel, Angst um die Palästinenser, Angst um Juden weltweit, Angst vor einem Flächenbrand, der zu einem Dritten  (und letzten?) Weltkrieg führen könnte. Wo soll das hinführen, wenn wir diesen Pfad der Gewalt nicht verlassen? Wenn wir ein Menschheitsverbrechen – und das hat die Hamas mit ihrem barbarischen Vernichtungszug am 7. Oktober begangen, was nicht nur verdammt, sondern auch bestraft werden muss – mit einem weiteren Menschheitsverbrechen vergelten?

Israelische Soldaten manövrieren gepanzerte Militärfahrzeuge entlang der israelischen Grenze zum Gazastreifen. Ohad Zwigenberg/AP

Die Geschichte hat gezeigt, dass Gewalt immer nur Gegengewalt erzeugt, und dass Ideen und Ideologien nicht weggebombt werden können. Und da soll mir keiner mit dem Beispiel von Nazi-Deutschland kommen! Die Alliierten wussten schon Jahre vor 1945 von der Existenz von KZs, sie hätten das Grauen schon lange zuvor beenden können. Faschistische Nazi-Ideologie wurde nicht durch Bomben auf Dresden ausgelöscht. Sie macht das Leben in Deutschland heute noch für bestimmte Minderheiten gefährlich, siehe NSU, Hanau oder Halle, nur um die Spitze des Eisbergs zu benennen.

Was erwarten wir von den überlebenden Kindern in Gaza, deren Eltern und Urgroßeltern schon Flüchtlinge von 1948 waren? Sollen sie, nachdem sie wochenlang Ruinen, Hunger und Durst, Verschüttete und Verbrannte, Tod und Trauma erlebt haben, nach einem Wiederaufbau ihres Freiluftgefängnisses unsere freundlichen Nachbarn mit eingeschränkten Rechten werden, die unsere israelischen Gärten bestellen und unsere Häuser bauen, so wie die meisten Palästinenser es sich eingerichtet haben in den vergangenen Jahrzehnten? Oder werden sie eines Tages zu jungen Männern werden, die in ihrer Verzweiflung und Wut wieder Waffen in die Hand nehmen, um sich zu rächen an der Rache Israels?

Diese tödliche Spirale wird ausschließlich durch einen Paradigmenwechsel zu unterbrechen sein. Entweder durch radikale Trennung zwischen Israelis und Palästinensern, was ich bis dato immer abgelehnt habe, weil ich durch meine eigene Familiengeschichte weiß, wie gut Juden und Araber neben- und miteinander leben konnten, solange die einen sich nicht über die anderen gestellt und sie entrechtet haben. Oder durch gleiche Rechte für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan in einem wie auch immer gearteten gemeinsamen Staat, einer Konföderation, einem Staatenbündnis oder einer sonstigen Organisationsform, die ohnehin die Menschen vor Ort selbst zu bestimmen haben.

Aber bis dahin wird viel Blut fließen. Mit jedem Tag, an dem das Gemetzel in Gaza und die Tötungen, Vertreibungen und Hauszerstörungen im Westjordanland weitergehen, entfernt sich ein gerechter Frieden um eine Generation, mindestens. Hier kommt meine Verzweiflung über die deutsche Politik ins Spiel – von der EU und den USA ganz zu schweigen. Deutschland begreift nicht, dass sein „Wir stehen bedingungslos an der Seite Israels“ zu einer riesigen Gefahr für Israel und vor allem für Juden in Deutschland werden kann.

Wie nur kann der deutsche Staat wegsehen, wenn israelische Minister sich selbst als Faschisten bezeichnen, und Israels korrupter Ministerpräsident alles tut, um nur ja an der Macht zu bleiben? Seht Ihr nicht, dass er sein eigenes Volk verraten hat? Wo war die israelische Selbstverteidigung am 7. Oktober, auf deren Recht Ihr permanent pocht? Wo war Deutschlands „Staatsräson“, als israelische Zivilisten dringen Schutz vor Terroristen gebraucht hätten? Und wo ist jetzt Eure „unverbrüchliche Freundschaft“ mit einem Staat, der Völkermord und Vertreibung an den Palästinensern vorantreibt und womöglich nicht einmal vor dem Einsatz einer „kleinen“ Atombombe zurückschreckt?

Oder – was fast schlimmer wäre – die gesamte islamische Welt auf den Plan rufen könnte, wenn der Plan von rund 20 radikal-jüdischen Organisationen und deren Anhängern sich durchsetzt, den Felsendom zu sprengen und den Dritten Tempel an seiner Stelle zu erreichten? Die Einrichtungsgegenstände samt der goldenen Menorah, so wie sie in der Bibel beschrieben ist, das Gewand des Hohepriesters, Becher und Löffel für Weihrauch und Vieles mehr liegt schon im „Tempel-Institut“ in der Altstadt Jerusalems bereit und erfreut sich einer steigenden Besucherzahl, vor allem von evangelikalen und andere Christensekten.

Das alles macht mir, macht uns „Jüdischen Stimmen“ Angst. Ich habe Angst um meine Verwandten und Freunde in Israel, um den Niedergang der einst sozialistisch beflügelten, einst demokratisch und geschlechter- und herkunftsgleich gedachten israelischen Gesellschaft, in der heute nur noch Hass und Überlegenheitsanspruch regiert. Deswegen senken wir die Köpfe angesichts des Todes und der Gewalt, die auch wieder auf uns zurückfallen kann – und es ist gut, dass Grauschöpfe, dunkle Locken, Juden und Nichtjuden dabei sind. Der Staat Israel verrät sein eigenes Volk, verrät uns Juden weltweit, indem er am laufenden Band gegen jüdische Werte verstößt und seine Bürger nicht schützte, als sie es am nötigsten hatten. Stattdessen waren Militär und Polizei mit dem Schutz gewalttätiger Siedler in der Westbank beschäftigt.

Ist es da nicht auch für Deutsche ermutigend, dass Juden in Deutschland ihre Stimme erheben? In den USA sind Tausende dem Ruf unserer Schwesterorganisation „Jewish Voice for Peace“ gefolgt, haben den Kongress in Washington besetzt und den zentralen Bahnhof von New York blockiert. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Not in our name“ (Nicht in unserem Namen), verlangen einen sofortigen Waffenstillstand, die Befreiung der Geiseln, Verhandlungen. „We still need to talk“ (Wir müssen immer noch reden) ist dort wie hier die Devise, unter der vorletzte Woche eine von Jüdinnen und Juden in Berlin geführte Demonstration mit mehr als tausend Menschen friedlich stattfand.

Ja, mit Sicherheit wären auch wir am 7. Oktober in einem israelischen Kibbuz ermordet worden. Aber zum Glück ist diese Frage wirklich hypothetisch. Diese Gewaltvorstellung wird mich nicht meine Werte verraten lassen. Für eine gemeinsame, gerechte und friedliche Zukunft werde ich laut und eigensinnig weiterhin meine jüdische Stimme erheben. Denn unsere Trennlinie verläuft nicht zwischen Juden und Arabern, sondern zwischen Humanisten und Fanatikern.

Eliana Ben David vom Verein Jüdische StimmeBenjamin Pritzkuleit

Im Übrigen hat der Berliner Kultursenator verkündet, dass dem Kulturzentrum Oyoun aufgrund der Zusammenarbeit mit „Jüdische Stimme“ sämtliche Fördergelder entzogen werden. Begründung: „Versteckter Antisemitismus“. Ich wünschte, in Deutschland würde mit dieser Entschlossenheit echtem, unverhohlenem Antisemitismus begegnet werden.

Nirit Sommerfeld, in Israel geboren, in Ostafrika und Deutschland aufgewachsen, ist Schauspielerin, Sängerin und Autorin. Von 2007 bis 2009 lebte sie mit ihrer Familie in Tel Aviv und besuchte regelmäßig die besetzte Westbank, seitdem setzt sie sich für die Beendigung der Besatzung und gleiche Rechte für Israelis und Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordan ein.

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„Zur bis zu dieser Stunde nach wie vor unvollendeten Revolution von 1918“

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Mit diesen Worten leitete Rolf Becker sein Referat an diesem Abend ein. Seit 2018 erinnert die Initiative „1918 unvollendet“ jährlich an den letztendlich gescheiterten Aufstand. Dabei versucht die Initiative die Folgen für die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse und die noch vor uns liegenden Aufgaben herauszuarbeiten. In diesem Jahr stand die Veranstaltung naturgemäß ganz unter dem Eindruck der erneut vom Imperialismus angezettelten Kriege um die Ukraine und um die Vorherrschaft in Nahost. Zu den Mitorganisatoren gehörten deshalb auch verschiedene friedenspolitische Initiativen, die sich anlässlich des Krieges um die Ukraine zusammengeschlossen haben und seither regelmäßig die Berliner Veranstaltungsreihe „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ in Berlin durchführen.

Wir geben im Folgenden das Referat von Rolf Becker wieder:

Zunächst, was Carl von Ossietzky als Zeitzeuge dazu schrieb – bereits am 31. Mai 1913, ahnend, was drohte:

„Unsere Regierung ist nicht verpflichtet, aus Katastrophen zu lernen. Wenn es nur das Volk täte.“

1. Februar 1919:

Deutschland hat bis zum Jahre 1848 nur eine einzige, alle Volksschichten erfassende Revolution gehabt: den Großen Bauernkrieg. Keinen Bastillen-Sturm kennt die deutsche Geschichte – nur so ist es denkbar, dass man in ratloser Verblüffung die neuen Typen (der Spartakus-Bewegung) bestaunt, die in den letzten Monaten zur Erscheinung gekommen sind. 

Wir erleben eine weltgeschichtliche Wende – matte Hirne, schwache Herzen mögen es verwünschen, Angehörige dieser Epoche sein zu müssen –, aber wer nur ein wenig Gefühl und Augenmaß hat, der wird sich auf den Boden des Tatsächlichen stellen, und das ist, dass eine Welt zusammengebrochen ist und neu errichtet werden muss.

Zusammengebrochen ist nicht nur ein Staat, der sich unbesiegbar wähnt  – zusammengebrochen ist nicht nur eine Wirtschaftsordnung, die von ihnen Nutznießern für bombensicher gehalten wurde, zusammengebrochen ist vor allem der bürgerlich-kapitalistische Geist, der seit hundert Jahren die Köpfe beherrschte und auch große Teile der sozialistischen Arbeiterschaft weit mehr im Banne hatte, als sie es gern wahrhaben möchte.

Was zusammengebrochen ist, war schlecht fundiert, war nicht Wahrheit, sondern Kulisse. Wir hatten eine wunderbar entwickelte Technik, eine aller

irdischen Gebundenheit spottende Wissenschaft. Wissenschaft und Technik aber waren nicht in erster Linie da, zu helfen: sie schufen Werkzeuge der Vernichtung, Werkzeuge grässlichsten Mordes.

Wir haben das kalte Fachwissen verwechselt mit dem großen Wissen vom Leben. –

Juni 1919 – Ossietzky ahnt, was der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und der damit verbundenen Niederschlagung der Revolution folgt:

„Revolution hat bisher Bruch mit der Vergangenheit bedeutet. Die deutsche hat den bedenklichen Vorzug, diese Vorstellung gründlich revidiert zu haben: unsere Revolution ist keine Kopie der französischen. Sie ist deutsch bis auf die schwachen Knochen. Wir haben zwar gleichfalls Berg und Ebene. Aber sie sind bei uns gleich flach.“ –

4. Januar 1927 – Ossietzky bedauert, dass ihn die geschichtlichen Ereignisse bestätigen: 

„Der liberale Demokratismus erschöpft sich in der breiten Lobpreisung des Parlamentsstaates. Er sieht nichts Werdendes, ahnt nichts von einem Problem der Köpfe, geschweige denn von denen des Magens.

Der böse Satz von Anatole France „Das Gesetz verbietet in seiner majestätischen Gleichheit den Reichen wie den Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen“, kennzeichnet eine Demokratie, die nur in ihren Institutionen und für ihre Institutionen lebt – in der unbedingten Ablehnung der Tatsache, dass selbst diese Republik revolutionären Ursprungs ist, dass es sie ohne den 9. November 1918 niemals gegeben hätte.

Wir fragen: Was haben die großen Parlamentspolitiker, diese Strategen der Opportunität, eigentlich erreicht? Die Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit sind schärfer als jemals. Die Hohenzollern haben ihre Millionen. Die Zensur ist wieder da. Das sind die Resultate. Und wenn auch sonst weiter nichts stabilisiert ist, so doch der Kapitalismus. Auf Klagen von Unten: dafür ist kein Geld da. Kein Geld für die Arbeitslosen, kein Geld für ein großes Wohnbau- und Siedlungs-Programm.

Die Außenseiter aber fragen: zu diesem Effekt eine welthistorische Umwälzung? Deswegen soll einmal die rote Fahne über Deutschland geweht haben, damit ein paar Oberbürgermeister Minister spielen können, was schließlich auch unter Kaiser Wilhelm sporadisch gestattet war? Enthält nicht der revolutionäre Ursprung der Republik auch eine revolutionäre Verpflichtung?“

Soweit Ossietzky 1927. Und heute, 96 Jahre danach? Die Hohenzollern haben hier in Berlin ihr Schloss wieder, um die Millionen zu ihrer Entschädigung wird noch gefeilscht. Und die Zensur ist in Form von Verboten und als Staatsraison auch wieder da, oder als Propaganda, die unsereins besser nicht verletzt, wenn wir Konsequenzen ausweichen wollen wie kürzlich in Kassel, wo eine Hochschulrektorin vorsorglich eine Veranstaltung abbricht, um den von ihr befürchteten Vorwurf des Antisemitismus zu vermeiden. Oder wie vor einigen Tagen hier in Berlin, wo Jeremy Corbyn, vormals Vorsitzender der Labour-Party in England, von der Volksbühne ausgeladen wird, prophylaktisch, um keinen Ärger mit der Berliner oder mit der Bundesregierung zu bekommen, die sich auf den in England gegen ihn erhobenen Vorwurf des Antisemitismus beziehen könnten.

Ossietzky am 6. November 1928:

„Kein Politiker irgend einer Partei verschmäht, von der Verarmung und Verelendung zu sprechen, und zwar nicht von der durch die eignen Kapitalisten bewirkte, sondern von der Verarmung durch die Reparationszahlungen, und niemand spricht mehr von der Inflation, diesem gigantischen Raubzug durch die Ersparnisse der kleinen Leute.

Es gibt kein Bankett, wo nicht irgendein Schmerbauch feierlich versichert, dass wir nunmehr ein armes Volk sind. Von dieser kümmerlichen Phrase leben alle: ‚Sprengung der Grenzen, die uns einengen. Das deutsche Schicksal ist eine Raumfrage.‘

Das deutsche Schicksal ist keine Raumfrage: es kommt nicht darauf an, wie viel Platz ein Volk unter der Sonne einnimmt, sondern wie die Güter darauf verteilt sind. Wenn die herrschende Klasse über die (Kriegs-)Niederlage lamentiert so muss ihr klar gemacht werden, dass die glanzvollen Fassaden ihrer Industriepaläste die Monumente eines viel beweiskräftigeren Sieges sind: des Sieges über das eigne Volk.

Deutsche Revolution – ein kurzes pathetisches Emporrecken, und dann ein Niedersinken in die Alltäglichkeit. Massengräber in Berlin. Massengräber in München, an der Saale, am Rhein, an der Ruhr. Ein tiefes Vergessen liegt über diesen Gräbern, ein trauriges Umsonst. Ein verlorener Krieg kann schnell verwunden werden. Eine verspielte Revolution, das wissen wir, ist die Niederlage eines Jahrhunderts.“

Wir wissen heute, im bereits zweiten Jahrhundert nach der Revolution vom November 1918, dass die Folgen der Niederlage nach wie vor andauern, und dass sie weiterhin andauern werden solange diese Revolution eine „unvollendete Revolution“ bleibt.

Ossietzky am 29. Januar 1929:

„Es ist sehr merkwürdig, dass die Sozialdemokraten, die doch vom marxistischen Dogmatismus herkommen, heute die einzigen vom Glauben an den Parlamentarismus ganz Durchdrungenen sind. Jeden Demokraten muss eine Gänsehaut überlaufen, wenn er im parteiamtlichen „Sozialdemokratischen Pressedienst“ vom 21. Januar folgendes liest: ‚Die Demokratie innerhalb des Proletariats, echte demokratische Organisationsformen der Arbeiterschaft gibt es eben nur in der sogenannten bürgerlichen Demokratie‘.  

Heiliger Lassalle, bitte für deine Erben – das Endziel ist erreicht, wir haben die freieste Verfassung, die beste aller Republiken. Also Maul halten, denn das ist die letzte sozialistische Verkehrsordnung. Wer weitergeht, wird erschossen!“ –

Und am 24. November 1931:

„Wer gegen wen? Die Notverord­nungen, die Militarisierung des Innenministeriums, alles das sind Maßnahmen, die den Zustand von morgen oder übermorgen vor­wegnehmen. Hitler regiert nicht, aber er herrscht. Das Millionenheer, das sich dem Faschismus in die Arme wirft, fragt nicht, weil nichts schlimmer werden kann als es bereits ist. Darin liegt das Glück des Nationalsozialismus, das Ge­heimnis seiner Siege.

Hat der Faschismus einmal gesiegt, so werden die Sozialdemokraten ebenso wenig zu melden haben wie die Kommunisten. Auch hier lautet die Frage: wer gegen wen? Proletarier gegen Proletarier. Arbeitende ge­gen Arbeitende.

Wie viele Minuten oder Se­kunden vor zwölf es schon ist, lässt sich nicht sagen. Periculum in mora  – Gefahr im Verzuge.“

Ab 3. Mai 1932 wendet sich Ossietzky mehrmals an die Führungen der beiden großen Arbeiterparteien SPD und KPD und fordert sie zum gemeinsamen Widerstand gegen die faschistische Bewegung auf:

„Es geht nicht mehr um Programme und Doktrine, nicht mehr um ‚Endziele‘ und ‚Etappen‘, sondern um den Fundus der Arbeiterschaft, ihre Presse und Gewerkschaftshäuser, und schließlich um ihr lebendes Fleisch und Blut, das hoffen und vertrauen und kämpfen will. In diesen Tagen steht das Schicksal aller deutschen Sozialisten und Kommunisten zur Entscheidung.“  

Am 1. Juli 1932 – Ossietzkys Rede beim Prozess “Soldaten sind Mörder”
(Nach Notizen von Johannes Bückler, erschienen in “Die Weltbühne”, 5. Juli 1932)

Wegen der Veröffentlichung des Tucholsky-Textes “Soldaten sind Mörder” in der Weltbühne vom 4. August 1931 wurde nicht Tucholsky angeklagt, der sich aus politischen Gründen bereits seit 1929 in Schweden aufhielt, sondern Carl von Ossietzky als verantwortlicher Redakteur. Aus seiner Verteidigungsrede:

„Wir Anhänger des Friedens haben die Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Krieg nichts Heroisches bedeutet, sondern nur Schrecken und Verzweiflung über die Mensch­heit bringt.

Wir wissen, dass die machtpolitische Situa­tion für uns nicht günstig ist, grade deshalb müssen wir eine lapidare Sprache führen. Aber diese Sprache geht von Laotse über die Bibel und Kant durch die ganze Literatur. Alle haben den Krieg als Mord und das Soldatenhandwerk als Mörder­handwerk gekennzeichnet.

Seit zweitausend Jahren streitet man sich um diese Dinge herum. Das ist der ewige Zwiespalt zwischen der Staatsmoral und dem Indivi­duum. Man kann das auf die Formel bringen: dem kleinen Mörder schlägt man den Kopf ab, dem großen setzt man einen Lorbeer­kranz auf.

Wir greifen aber hier nicht nur an, sondern wir verteidigen das Recht auf Leben.“

Am 1. Januar 1933 veröffentlicht Ossietzky, der die Machtübernahme der Faschisten in Deutschland inzwischen für unabwendbar hält, in der „Weltbühne“, was sich wie eine an uns gerichtete testamentarische Verfügung liest:

„Neue politische und soziale Systeme werden kommen, aber die Folgen Hitlers werden aufstehen, und spätere Generationen noch werden zu jenem Kampf antreten müssen, zu dem die deutsche Republik zu feige war.“ –

Damit sind wir bei unserer Fragestellung: wie die unvollendete Revolution vollenden? Eine Frage, die angesichts dessen, was weltpolitisch seit der Herrschaft der Faschisten im 3. Reich und im 2. Weltkrieg gelaufen ist und was gegenwärtig mit kaum absehbaren Konsequenzen läuft, viele – auch unter uns – kaum noch zu denken wagen.

Zu den Konsequenzen aus Faschismus und 2. Weltkrieg: Esther Bejarano, aus ihrer Ansprache vom 27. Januar 2020: 

„Plötzlich gab es keine Nazis mehr, damals, 1945 – alle waren verschwunden. Uns aber hat Auschwitz nicht verlassen. Die Gesichter der Todgeweihten, die in die Gaskammern getrieben wurden, die Gerüche blieben, die Bilder, immer den Tod vor Augen, die Albträume in den Nächten.

Wir haben das große Schweigen nach 1945 erlebt, erlebten, wie Nazi-Verbrecher davonkommen konnten – als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer. Wir lernten schnell: die Nazis waren gar nicht weg.

Die Menschen trauerten um Verlorenes: um geliebte Menschen, um geliebte Orte. Wer aber dachte über die Ursachen dieser Verluste nach, fragte, warum Häuser, Städte, ganze Landstriche verwüstet und zerstört waren, überall in Europa? Wen machten sie verantwortlich für Hunger, Not und Tod?

Dann brach die Eiszeit herein, der Kalte Krieg, der Antikommunismus. Es war ein langer Weg vom kollektiven Beschweigen bis zum Eichmann-Prozess in Jerusalem über die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt am Main zu den Studentenprotesten in den 1968ern hin zur Fernsehserie “Holocaust” ab 1979. Nur zögerlich entwickelte sich die Wahrnehmung des NS-Unrechts.

Aber auch die Rechten, Alt- und Neonazis und Auschwitzleugner formierten sich. Sonntagsreden, die Betroffenheit zeigen, reichen da nicht.

Betroffenheit muss zum Handeln führen für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus, ohne Ausländerhass! Nicht nur an Gedenktagen! Dass Auschwitz nie wieder sei – dass dieses Land sich ändern muss.“

Zum Ukraine-Krieg, zur Unterdrückung der Palästinasolidarität, zur „deutschen Staatsräson“ – Themen, die den Rahmen unserer heutigen Veranstaltung überschreiten, zur Fortführung unserer notwendigen Gespräche aus Pablo Nerudas Gedicht „Ich erkläre einige Dinge“:

„…aus jedem toten Haus wird glühendes Metall,

aus jedem toten Kind wird ein Gewehr mit Augen,

aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren.“  

Politik und Streik

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Den folgenden Vortrag hielt RA Benedikt Hopmann aus Anlass des Hochschulaktionstages am 20. November 2023. Der Vortrag befasst sich mit der sehr wichtigen und zunehmenden Tendenz in den Gewerkschaften, politische Forderungen und Forderungen, die in Tarifverträgen geregelt werden können, zusammenzubringen. Das hat Folgen für das Thema politischer Streik.


Inhaltsverzeichnis:

Tarifforderungen und politische Forderungen zusammenbringen

Ist der politische Streik verboten?

Zunächst ein Ländervergleich

Verbot unvereinbar mit Wortlaut des Grundgesetzes

Verbot ist völkerrechtswidrig

Zur Geschichte des Verbots

Ohne umfassendes Streikrecht keine Demokratie

Was tun?


Der heutige Hochschulaktionstag ist nicht nur deswegen außergewöhnlich, weil die Gewerkschaften die Beschäftigten von 50 Hochschulen zum Streik aufgerufen haben, sondern auch, weil die Gewerkschaften zusammen mit den Studierenden diesen Hochschultag bestreiten.

Dabei drängt sich das Thema „Politischer Streik“ geradezu auf. Das ergibt sich aus den Forderungen, wie sie in dem Aufruf zum Hochschulaktionstag veröffentlicht wurden[1]: Neben höheren Löhnen und Gehälter für die Hochschulbeschäftigten wird

  • eine deutliche Anhebung der BAföG-Sätze für die Studierenden und
  • die „Ausfinanzierung von Forschung und Lehre“

gefordert.

Das BAföG ist ein Gesetz: Bundesausbildungsförderungsgesetz. Die Forderung nach Anhebung der BAföG-Sätze richtet sich also an den Staat als Gesetzgeber, der für die Anhebung der BAföG-Sätze das Gesetz ändern muss[2]. Damit handelt es sich um eine politische Forderung. 

Dies gilt ebenso für die Forderung nach „Ausfinanzierung von Forschung und Lehre“ als „stabile Grundfinanzierung, unabhängig von Drittmitteln und Projektförderung“. Auch das eine Forderung, die sich eher an den Gesetzgeber richtet.

Ein Streik, der auch nur eine politische Forderung enthält, wird juristisch insgesamt als politischer Streik gewertet.

Ein solcher politischer Streik wird dadurch vermieden, dass in den Streikforderungen die politischen Forderungen des Hochschulaktionstages nicht enthalten sind. Sie werden als Streikforderungen ausgeklammert[2a].

Ähnlich wird die Zusammenarbeit in der gemeinsamen Kampagne #wirfahrenzusammen von Fridays for future und ver.di praktiziert.

Die Kampagne begreift sich als ein Zusammenschluss von „Fahrgäste, Klimabewegung, ÖPNV-Beschäftigten und Gewerkschaft ver.di“[3]. Das birgt – wie auch dieser Hochschultag – ein großes Potential, wenn sich die Interessen aller Beteiligten in dieser Kampagne wiederfinden. Und daher werden auch die die Interessen der Fahrgäste und Klimabewegung aufgenommen. In den Worten der Kampagne: 

„Was fordern wir von der Politik? Der Nahverkehr kann verdoppelt werden, wenn jetzt investiert wird. Auf dem Land und in der Stadt wäre mit genügend Personal, mehr Bussen und Bahnen und günstigen Tickets mehr Mobilität für alle möglich – bei weniger Verkehrsbelastung. Die Bundesregierung kann wie beim Deutschlandticket den ÖPNV jetzt direkt mit unterstützen.“[4]

Das sind Forderungen, die sich an die Bundesregierung, aber auch an die Bundesländer als Gesetzgeber richten und damit politische Forderungen. Damit die Kampagne die Interessen aller Beteiligten wieder spiegelt, sind also auch bei dieser Kampagne politische Forderungen notwendig.

Das wird verbunden mit Forderungen nach der Verbesserung der Arbeitsbedingungen[5]. Gestreikt wurde jedoch ausschließlich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, nicht für die politischen Forderungen der Kampagne.[6]

Und ein drittes Beispiel: Am 17. November streikten die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall Hanau-Fulda für Tarifforderungen der IG Metall und für denselben Tag rief die IG Metall zusammen mit dem DGB Südosthessen, ver.di Main-Kinzig, der Hanauer Friedensplattform, der VVN-BdA Main-Kinzig, DiDF Hanau, Fridays for future Hanau zu einer Kundgebung unter der Losung auf:

Auch hier im Bündnis die politischen Forderungen nach sofortiger Beendigung des Krieges in der Ukraine und Waffenstillstand zusammen mit der Forderung nach höheren Löhnen, wobei nur für die höheren Löhnen gestreikt wird.

Diese Zusammenarbeit der Gewerkschaften in Bündnissen, Kampagnen usw. stärkt die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften werden als eine Kraft wahrgenommen, die nicht nur einen Inflationsausgleich für ihre Mitglieder, sondern auch bei den Studierenden, die Ausfinanzierung von Lehre und Wissenschaft, Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, preiswerte Tickets und den Schutz des Klimas und den Frieden im Blick haben.

Die Gewerkschaft wird als eine Kraft wahrgenommen, die auf notwendige umfassende Veränderungen in der Gesellschaft drängt. Die Gewerkschaft wird als eine gesellschaftsverändernde Kraft wahrgenommen.

Diejenigen, die dieses Verständnis von Gewerkschaften vorantreiben, machen die Gewerkschaften stark, indem sie die Zusammenarbeit suchen und dabei das Mögliche tun, um Tarifforderungen und notwendige politische Forderungen zusammenzubringen.

Das Mögliche heißt in den genannten Beispielen: Die politischen Forderungen im Bündnis unterstützen ohne dafür zu streiken.

Das ist die Grenze, bis zu der die Gewerkschaften gehen. Nur selten setzen sie sich über diese Grenzen hinweg.

Was fehlt, ist die Diskussion über diese Grenzen selbst, über die herrschende Meinung die seit Jahrzehnten predigt, der politische Streik sei in Deutschland verboten.

Nun könnte man einwenden: Merkt doch keiner. Die Gewerkschaften unterstützen das eine und das andere, und wenn sie dann nur für das eine streiken: Merkt doch keiner. Insofern wäre mein Vortrag hier und jetzt sogar kontraproduktiv, weil es dann zumindest diejenigen merken, die sich diesen Vortrag anhören.

Aber es wäre doch überzeugender, wenn die Gewerkschaften für alle Forderungen, die sie unterstützen, auch streiken würden.

Das angebliche Verbot des politischen Streiks ist jedenfalls nicht in Stein gehauen, wie die Gesetzestafeln des Hammurabi.

Grundlage für das Streikrecht ist neben Art. 9 Absatz 3 Grundgesetz allein die Rechtsprechung. Die herrschende Meinung, nach der der politische Streik verboten sein soll, steht allerdings auf einem sehr schwankenden rechtlichen Boden. Das höchste deutsche Gericht für Arbeitsrechtsstreitigkeiten, das Bundesarbeitsgericht, hat noch nie darüber entschieden.

Die herrschende Meinung stützt sich auf eine Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Streikziele auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sein müssen. Forderung nach besseren Gesetzen oder Forderungen, die schlechtere Gesetze abwehren wollen, sind auf Gesetze gerichtet und nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen. Daraus schließt die herrschende Meinung: Der politische Streik ist verboten. Die Frage lautet also: Müssen Streiks immer auf tariflich regelbare Ziele gerichtet sein?

Zunächst ein Ländervergleich:

Die Europäischen Union hat 27 Staaten.

Davon ist in 9 Staaten der politische Streik illegalisiert:

Deutschland, Luxemburg

Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei und Tschechien

Folgende Hinweise machen die herausragende Stellung Deutschlands deutlich, wo nach der herrschenden Meinung seit 70 Jahren der politische Streik verboten sein soll:

  • In Dänemark ist ein “reiner” politischer Streik erlaubt, wenn er von kurzer Dauer und “gerechtfertigt” ist,[10] nach a.A. verboten[11]
  • In Österreich sind politische Streiks zwar legitim, aber unüblich. Im Mai und Juni 2003 streikten in Österreich an drei Tagen eine dreiviertel Millionen gegen die Rentenreform der Regierung Schüssel.[12]
  • Lettland, Litauen, Polen, Slowakei und Tschechien traten erst 2004 der EU bei, Rumänien erst 2007; vorher war nur in Deutschland, Luxemburg[9] und England der politische Strek verboten.
  • England trat 2020 aus der EU aus, in England wurden politische Streik erst unter der Thatcher-Regierung verboten[7]; trotzdem gab es Massenstreiks 2006 und 2011 zur Verteidigung der Rentenansprüche[8].

Immer wieder wird behauptet, der politische Streik sei demokratiefeindlich, weil er das demokratisch gewählte Parlament unter Druck setze. Doch in anderen Ländern gehört der politische Streik zur selbstverständlichen demokratischen Tradition. Man denke nur an die heftigen politischen Streiks, die immer wieder Frankreich erschüttern. Die massiven Streiks gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters haben wir noch in Erinnerung und waren beeindruckend. Dagegen beschränkte sich der gewerkschaftliche Widerstand gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters, der in Deutschland unter der Schröderregierung durchgesetzt wurde, auf einige wenige Stunden Arbeitsniederlegung der IG Metall. Es war ein politischer Streik in homöopathischen Dosen. Danach war die gesetzliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit durchgesetzt.

Es gibt jedoch gute Gründe für die Auffassung, dass der politische Streik auch in Deutschland nicht verboten, sondern erlaubt ist. Auf drei Gründe möchte ich näher eingehen: Das Grundgesetz, das Völkerrecht, das Grundgesetz und die Geschichte des Streikrechts.

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.” (Art. 9 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz).

  • Auch Arbeitskämpfe sind durch das Grundgesetz geschützt. Ihr Schutz wurde im Rahmen der Notstandsgesetze in das Grundgesetz aufgenommen.[13]
  • Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“: Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen werden nicht nur in Tarifverträgen, sondern auch in Gesetzen und anderen staatlichen Maßnahmen geregelt. Damit muss auch der Streik, der auf solche staatliche Regelungen über die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gerichtet ist, also der politische Streik erlaubt sein. .
  • Vereinigungen ist weiter gefasst als Gewerkschaften; “Vereinigungen” kann seinem Wortlaut also nicht nur Gewerkschaften, sondern auch sogenannte ad-hoc Koalitionen erfassen, die sich im Zusammenhang von verbandsfreien Streiks bilden, also von Streiks, zu denen die Gewerkschaften nicht aufgerufen und die sie auch nicht nachträglich übernommen haben.
b. Ein Verbot des politischen Streiks ist völkerrechtswidrig (Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC)

Die Bundesregierung ratifiziert schon vor 60 Jahren die Europäische Sozialcharta (ESC). Dort heißt es:

Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, anerkennen die Vertragsparteien das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten ...” (Teil II Artikel 6 Nr. 4 ESC)[14]

  • Das Streikrecht dient dazu, das Recht auf Kollektivverhandlungen wirksam auszuüben. 
  • Dieses Recht haben Arbeitnehmer für den Fall von Interessenkonflikten“, nicht nur wenn es um Interessenkonflikte mit den Unternehmern, sondern auch mit dem Staat geht (jedenfalls dann, wenn es sich um Interessenkonflikte auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handelt). 
  • Kollektivverhandlungen erfasst nicht nur Tarifverhandlungen
  • Recht der Arbeitnehmer erfasst nicht nur das Recht der Gewerkschaften. Recht der “Arbeitnehmer” ist ein individuelles Recht.

Auf dieser Grundlage erklärte der Sachverständigenausschuss EASR, der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta kontrolliert, immer wieder: : Das „Verbot aller Streiks, die nicht auf Tarifverträge ausgerichtet sind und nicht von den Gewerkschaften ausgerufen oder übernommen werden“ ist ein Verstoß gegen die Sozialcharta.

c. Zur Geschichte des Verbots von politischen und verbandsfreien Streiks – Wer war Hans Carl Nipperdey?

Das Verbot des politischen Streiks existierte weder in der Weimarer Republik noch in der Zeit unmittelbaren nach dem 2. Weltkrieg. Es stammt aus einer absolut undemokratischen Tradition: Hans Carl Nipperdey, der während der Nazizeit als Mitglied der Akademie für deutsches Recht damit befasst war, die Naziideologie in Gesetze zu gießen, formulierte in der Adenauerzeit die juristische Begründung für das Verbot des politischen und verbandsfreien Streiks. 

Wir wollen im Folgenden etwas ausführlicher die Geschichte des Streikrechts und die Rolle beschreiben, die Nipperdey dabei in der Weimarer Republik, während des Faschismus und nach dem Krieg  in der Restaurationszeit spielte[15].

aa. Nipperdey im Jahr 1930:

Bezogen auf Streiks erklärt Nipperdey: „Der Staat hat ein dringendes Interesse daran, diese Kämpfe wegen ihrer schädlichen volkswirtschaftlichen Folgen einzuschränken und das Wirtschaftsleben zu befrieden.“ [16]

bb. Nipperdey während des Faschismus: Fürsprecher der ungehemmten Herrschaft des Kapitals in der “Betriebsgemeinschaft” und “Volksgemeinschaft”:

Hans Carl Nipperdey beteiligte sich während des Faschismus in der Akademie für deutsches Recht daran, die Ideologie des Faschismus, ganz konkret – gemäß der Satzung der Akademie für deutsches Recht – das Parteiprogrammm der NSDAP in Gesetze zu gießen. Er war beteiligt an der Erarbeitung eines Volksgesetzbuches, das das Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ersetzen sollte. Andere bekannte Mitglieder der Akademie für deutsches Recht waren Roland Freisler, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Martin Heidegger, Heinrich Himmler[17].

Er kommentierte außerdem zusammen mit Alfred Hueck und Rolf Dietz das faschistische Arbeitsrecht AOG[18]. Die drei Kommentatoren des faschistischen AOG konnten nach dem 2. Weltkrieg nach kurzer Unterbrechung ihre Tätigkeit als Professoren, die sie schon während des Faschismus ausgeübt hatten, wieder aufnehmen: Nipperdey in Köln, Hueck in München und Dietz zunächst in Münster, dann in München. Hans Carl Nipperdey wurde nach dem Krieg der 1. Präsident des Bundesarbeitsgerichts.

Der Kommentar zum faschistischen AOG erschien 1934 – ein Jahr, nachdem die Gewerkschaften zerschlagen und die Gewerkschaftshäuser besetzt worden waren. Das AOG hob

  • das Weimarer Betriebsrätegesetz – Vorläufer des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes – und
  • die Weimarer Tarifvertragsverordnung – Vorläuferin des heutigen Tarifvertragsgesetzes – 

auf[19].

Vier wesentliche Merkmale kennzeichnete das faschistische Arbeitsrecht:

  1. Arbeitsbedingungen wurden nicht mehr durch Kollektivverträge, also Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, vereinbart, sondern einseitig angeordnet. An die Stelle des Vereinbarungsprinzips trat das Führerprinzip[20].
  2. Jeder Streik wurde unterbunden. Die Zerschlagung der Gewerkschaften war dazu der wichtigste Hebel. Trotzdem konnten nicht durchgehend Streiks verhindert werden[21a]
  3. Anordnungen von Arbeitsbedingungen auf der Ebene des Betriebs hatten Vorrang vor Anordnungen auf der überbetrieblichen Ebene druch den sog. Treihänder für Arbeit. [21]
  4. In späteren Auflagen mit dem zunehmenden Einsatz von Zwangsarbeitern wurden bestimmten Teilen der Arbeiterklasse – abgestuft nach Juden, Russen, Polen usw. – auch die letzten Rechte und damit das Menschsein genommen.

“Das einseitige Anordnungsrecht des Führers (Führerprinzip)” ist das Weisungsrecht des Kapitalherrn, das weder durch Gewerkschaften noch durch Betriebsräte eingeschränkt ist.

Die “Lebensaufgabe” der Beschäftigten bestand in der Förderung “ihres” Betriebes, der nicht ihr Betrieb war und in dem der Unternehmer alles und die Beschäftigten nichts zu sagen hatten.

Der Gegensatz von Kapital und Arbeit, der im faschistischen Arbeitsrecht ganz unverhüllt zutage tritt, wurde in demselben faschistischen Arbeitsrecht mit den Begriffen “Betriebsgemeinschaft” und “Volksgemeinschaft” systematisch geleugnet.[22]

Das also ist Arbeitsrecht im Faschismus, das Nipperdey kommentierte. Es ist nichts anderes als die ungehemmte Herrschaft des Kapitals.

Ich kann nur jedem Studenten raten, in die Bibliotheken der juristischen Fakultät zugehen und sich dieses AOG und die Kommentierung dazu anzusehen. Dabei sollten auch die späteren Auflagen eingesehen werden.   

Im Übrigen möchte ich auf diesen link verweisen, wo mehr über Hans Carl Nipperdey und die Einflüsse faschistischen Arbeitsrechts bis in die Gegenwart zu finden ist.

Immer wieder wird in Frage gestellt, dass Hans Carl Nipperdey ein faschistischer Jurist war. Doch was ist ein Jurist anderes als ein faschistischer Jurist, wenn er das Parteiprogramm der NSDAP in der Akademie für deutsches Recht in Gesetze gießt und das faschistische Arbeitsrecht AOG kommentiert und dabei selbstverständlich die vollständige Entrechtung der Beschäftigten in diesem Gesetz mit keinem Wort in Frage stellt?

cc. Nipperdey in der Restaurationszeit: Führend in der Einschränkung des Streikrechts

Es begann mit einem Rechtsstreit um den sogenannten Zeitungsstreik, der ein politischer Streik gewesen war. Alle Gerichte entschieden im Sinne des Gutachtens, das Hans Carl Nipperdey zu diesem Rechtsstreit verfasste und von Dachverband aller Kapitalverbände, dem BDA, veröffentlicht worden war. Nach Nipperdey war der Zeitungsstreik rechtwidrig, weil er nicht „sozialadäquat“ war. Diesen Begriff hatte Nipperdey aus dem Strafrecht übernommen. „Sozialadäquat“ waren nur Streiks die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet waren.

Im Jahr 1955 wertete der große Senat des Bundesarbeitsgerichts unter Mitwirkung von Nipperdey als ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts “Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung)“ als „im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schädenmit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen.“[23]

Diese Wertung des Streiks durch das Bundesarbeitgerichts ist die Wertung des Streiks ausschließlich aus der Sicht des Kapitals, für das ein Streik ein Schaden darstellt. Dagegen ist der Streik für die Beschäftigten die einzige Möglichkeit, ihre strukturelle Unterlegenheit zu überwinden und Macht aufzubauen, die das Kapital zu Tarifverträgen mit den Gewerkschaften oder anderen Zugeständnissen zwingt. Daher ist das, was für das Kapital ein Schaden ist, für die Beschäftigten ein Nutzen.

Diese Wertung des Streiks hat nichts zu tun mit dem Begriff von Streik, wie er etwa wenige Jahre später in der Europäischen Sozialcharta beschrieben wird, wo das Recht zum Streik eine Recht der Arbeitnehmer ist, um in Interessenkonflikten Kollektivverhandlungen wirksam auszuüben.

Wir haben schon dargelegt, dass nach Nipperdey Streiks nur mit dem Ziel geführt werden dürfen, Tarifverträge abzuschließen. Obwohl inzwischen das Bundesarbeitsgericht seine Argumentation zum Streikrecht auf die Grundrechte stützt, gilt das von Nipperdey entwickelte Dogma, das Streiks auf tariflich regelbare Ziele einschränkt sind, bis heute.

Aus diesem Dogma entwickelt das BAG im Jahr 1963 das Verbot von verbandsfreien Streiks, obwohl verbandsfreie Streiks nie auf Tarifverträge gerichtet sind.

Außerdem glaubt die herrschende Meinung, wie wir schon dargelegt haben, aus diesem Dogma herleiten zu können, dass politische Streiks illegal seien.

Diese Beschränkung des Streiks allein auf Tarifverträge bedeutet eine gewollte Entpolitisierung gewerkschaftlichen Handelns, und zwar dort, wo sie allein wirksam Handlungsmacht entfalten können. Es ist eine gezielte Entmündigung der Gewerkschaften.

Gewerkschaften sind Wächter der Demokratie. Werden sie geschwächt, ist immer auch die Demokratie gefährdet. Die Gewerkschaften und ihre Handlungsfreiheit sind eben keine Bedrohung dieser Demokratie, sondern ihr Wesensmerkmal. Die Beteiligung in einer Demokratie besteht eben nicht nur in der Wahl alle vier Jahr, sondern in der aktiven Beteiligung an politischen Prozessen (Art. 20 GG). Der politische Proteststreik ist Beteiligung am politischen Prozess der Meinungsbildung par excellence.

Es sei daran erinnert: Es waren die abhängig Beschäftigten, die am 9. November 1918 mit einem Generalstreik die erste Republik überhaupt erst erzwangen. Und es waren die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften, die 1 1/2 Jahre später diese Republik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch verteidigten.

Indem das Bundesarbeitsgericht unter Federführung von Nipperdey Streiks beschreibt als „im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen“, wird der wirtschaftsfriedliche Kurs fortgesetzt, den Nipperdey schon in der Weimarer Republik vertrat und der während des Faschismus soweit radikalisiert wurde, dass Streiks ganz verboten wurden.

Das prinzipielle Verbot von politischen und verbandsfreien Streiks kannte das Recht der Weimarer Republik nicht. Soweit ist die Weimarer Republik nie gegangen Es existierte zwar mit der Zwangsschlichtung ein sehr restriktives Streikrecht, aber es kannte nicht das prinzipielle Verbot des verbandsfreien und politischen Streiks.

Die Einschränkungen des Streikrechts wenige Jahre nach Kriegsende, können nur mit Blick die Restauration unter Adenauer verstanden werden. Hans Carl Nipperdey ist ein Beispiel für das, was damals überall im Deutschland der Restaurationszeit geschah: Es zogen in Politik, Verwaltung, Justiz und Polizei wieder diejenigen ein, die wenige Jahre zuvor im Dienste der Faschisten tätig gewesen und immer noch von dem geprägt waren, was sie schon während der Nazizeit vertreten hatten. Das erste Ziel dieser Nazi-Politik war gewesen, die Arbeiterparteien und Gewerkschaften zu zerschlagen und damit jeden wirksamen Widerstandes zu brechen.

Der Kampf für ein umfassendes Streikrecht ist in Deutschland mit Blick auf diese Vergangenheit immer auch ein antifaschistisches Programm unter der Losung “Nie wieder!”.

Was in Frankreich erlaubt ist, sollte in Deutschland nicht verboten sein. Warum lassen wir uns immer noch von einem Nazijuristen vorschreiben, ob wir streiken dürfen oder nicht? Die Demokratie darf sich nicht darauf beschränken, dass wir alle vier Jahre wählen gehen. Ohne politischen Streik keine demokratische Gesellschaft.

Die größten Chancen bestehen, den politischen Demonstrationsstreik zu legalisieren.

In Fall des Demonstrationsstreiks geht das Argument der unzulässigen Druckausübung auf das Parlament schon aus dem Grund ganz offensichtlich ins Leere, weil der Demonstrationsstreik von vornerein befristet ist, maximal auf einen Tag, während ein Erzwingungsstreik solange geführt wird, bis das Ziel oder zumindest ein für die Streikenden tragbarer Kompromiss erreicht ist.

Wenn Hunderttausend Beschäftigte aus Anlass der Morde in Hanau in den großen Autobetrieben zur Mahnung für kurze Zeit die Arbeit niederlegen, aber vorher das Einverständnis der Geschäftsleitung einholen, kann man fragen: Und was ist, wenn die Geschäftsleitung die Zustimmung verweigert? Wird dann auf die Mahnminuten, in denen der Betrieb still steht, verzichtet? Sollte es nicht möglich sein, aus diesem Anlass die Arbeit nieder zu lagen und das der Geschäftsleitung nur anzukündigen, ohne deren Zustimmung einzuholen? 

Das wichtigste Argument, das immer wieder angeführt wird, ist die Angst vor Schadenersatzforderungen, mit denen die Gewerkschaften überzogen werden könnten. Denn die herrschende Meinung – das haben wir ja schon vorgetragen – hält den politischen Streik für illegal. Das Argument lautet also: Und was ist, wenn das Bundesarbeitsgericht die herrschende Meinung bestätigt? Dann muss die Gewerkschaft damit rechnen, dass die bestreikten Unternehmen Ersatz für den Schaden einklagen, der diesen Unternehmen durch diesen Streik entstanden ist.

Zunächst muss man sich über die Konsequenz dieser Argumentation im Klaren sein. Sie führt dazu, dass sich das Recht niemals ändern wird. Denn Streikrecht ist in Deutschland Rechtsprechungsrecht. Das sollte auch so bleiben. Niemand sollte auf Verbesserungen durch den Gesetzgeber hoffen. Der Einfluss des Kapitals ist viel zu stark, so dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gesetz nur zu Verschlechterungen führen würde. Ich gehe auch davon aus, dass dies in den Gewerkschaften Konsens ist. Also bleibt nur, dass die Gewerkschaften politisch streiken und dann das Bundesarbeitsgericht über diesen Fall entscheidet. Aber genau das lehnen diejenigen ab, die den Aufruf zu einem politischen Streik davon abhängig machen wollen, dass das Bundesarbeitsgericht in dieser Frage Klarheit geschaffen hat. Aber wie soll das Bundesarbeitsgericht Klarheit schaffen, wenn ihm kein Fall vorgelegt wird, in dem politisch gestreikt wurde? Ist es nicht merkwürdig, dass die herrschende Meinung seit 60 Jahren wiederholt, der politische Streik sei rechtswidrig, aber das Bundesarbeitsgericht dazu nie entscheiden konnte, weil ihm nie ein politscher Streik zur Entscheidung vorgelegt wurde? Die Sache wurde noch merkwürdiger, als das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2002 in einem sogenannten obiter dictum, also beiläufig erklärte: „Dabei mag die generalisierende Aussage, Arbeitskämpfe seien stets nur zur Durchsetzung tarifvertraglich regelbarer Ziele zulässig, im Hinblick auf Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC einer erneuten Überprüfung bedürfen. Denn immerhin ist nach Meinung des Sachverständigenausschusses das Verbot aller Streiks in Deutschland, die nicht auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet sind und die nicht von einer Gewerkschaft ausgerufen oder übernommen worden sind, mit den Garantien von Art. 6 Nr. 4 ESC unvereinbar.“[24] Man sollte meinen, dass spätestens jetzt die Gewerkschaften darüber nachzudenken begannen, in welchem Fall sie zu einem politischen Streik aufrufen, damit die Sache vor das Bundesarbeitsgericht geht und das Bundesarbeitsgericht entscheiden kann. Nun sind zwanzig Jahre vergangen und das BAG hatte immer noch keinen Fall zu entscheiden.

Wenn die Gewerkschaft vom Schlimmsten ausgeht und meint, sie könne den Prozess verlieren, dann hat sie es in der Hand, von vornherein den Schaden, der auf sie zukommen könnte, dadurch in Grenzen zu halten, dass sie nur eine begrenzte Zahl von Beschäftigten zum politischen Streik aufruft. Wäre es nicht möglich, wenn fridays for future zum Klimastreik aufruft, dass die Gewerkschaft zumindest einige wenige Betriebe zu diesem Streik aufruft anstatt diejenigen, die sich beteiligen wollen, nur aufzufordern, auszustempeln und damit in den Feierabend zu gehen, so dass die Arbeit nicht mehr niedergelegt werden kann? 

Wie auch immer das Bundesarbeitsgericht entscheiden würde, die Gewerkschaften dürfen sich niemals in dieser äußerst wichtigen Frage, ob sie politisch streiken oder nicht, ihr Handeln von der herrschenden Meinung oder der Rechtsprechung vorschreiben lassen. 

Und das haben die Gewerkschaften auch in der Vergangenheit nicht durchgehend getan. Die Gewerkschaften haben sich immer wieder über dieses angebliche Verbot des politischen Streiks hinweg gesetzt – zum Beispiel 1986, als die IG Metall zu Kundgebungen während der Arbeitszeit zur Verteidigung des Streikrechts aufrief und rund eine Millionen Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen diesem Aufruf folgten. Oder 1996, als die Kohlregierung die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 100 Prozent auf 80 Prozent absenkte. Auch gegen diese Verschlechterung rief die IG Metall zum Streik auf.

In dem Aufruf der IG Metall vom 27. Juni 1996 heißt es:

“Protest ist unser gutes Recht. Demokratie ist keine Feierabend – oder Wochendveranstaltung. Sie macht nicht vor den Werkstoren halt. Aufrufe zu Protestktionen gegen die Sozialabbaupläne der Bundesregierung sind zulässig.”

Dieser Aufruf war ein Aufruf zum politischen Streik. Das Flugblatt mit diesem Aufruf war herausgegeben vom damaligen 1. Bevollmächtigten der IG Metall, Klaus Zwickel, und seinem Stellvertreter, Walter Riester.

Übrigens: Dieser politische Streiks konnte die Verabschiedung des Gesetzes, dass die Lohnfortzahlung von 100 Prozent auf 80 Prozent absenkte, nicht verhindern. Den Erfolg brachte der anschließende “wilde” Streik der Beschäftigten in den Daimler-Werken in Untertürkheim und Bremen. Er dauerte mehrere Tage und zwang den Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Schrempp, auf Verhandlungen zwischen GesamtMetall und der IG-Metall zu drängen, die am Ende zu einem Tarifvertrag führten, der 100 Prozent Lohnfortzahlung im Krankheitsfall festschrieb und damit die gesetzliche Absenkung zunichte machte. Später wurde auch die gesetzliche Absenkung wieder zurückgenommen.


[1] https://hochschulaktionstag.de/

[2] § 13 BAföG; https://www.bafög.de/bafoeg/de/das-bafoeg-alle-infos-auf-einen-blick/foerderungsarten-und-foerderungshoehe/was-sind-bedarfssaetze-und-wie-hoch-sind-sie/was-sind-bedarfssaetze-und-wie-hoch-sind-sie.html 

[2a] Studierenden können ebenso wie Schülerinnen und Schülern symbolisch streiken – mit einem hohen Symbolwert (siehe die Klimastreiks der Schülerinnen und Schülern) -, sie können aber nicht im juristischen Sinne streiken, da sie in keinem Arbeitsverhältnis stehen und daher auch nicht die Arbeit niederlegen können.

[3] https://www.wir-fahren-zusammen.de/

[4] https://www.wir-fahren-zusammen.de/

[5] https://www.wir-fahren-zusammen.de/

[6] https://studentsforfuture.info/wirfahrenzusammen

[7] – so die Vorsitzende der britischen Lehrergewerkschaft auf einer Veranstaltung der GEW 2023 in Berlin; im Übrigen: IW 2002: Lesch, Hagen “Streik und Arbeitskampfregeln im internationalen Vergleich”, S. 13; link: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/156818/1/iw-trends-v29-i2-a1.pdf

[8] Gallas, Nowak, Wilde “Politische Streiks im Europa der Krise”, Hamburg 2012 S. 180; link:  https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/VSA_Gallas_Nowak_Wilde_Politische_Streiks.pdf

[9] Streikregeln in der EU27 und darüber hinaus (beachte Definition pol. Streik S. 13): https://www.etui.org/sites/default/files/08%20Strike%20rules%20in%20the%20EU27%20DE%20R103%20WEB.pdf

[10] siehe Rn. 9

[11] siehe Rn. 8

[12] siehe Rn. 9

[13] “Maßnahmen nach den Artikeln ….  dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten. …” (Artikel 9 Absatz 3 Satz 3 Grundgesetz)

[14] „Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien: 1. … 2. …. 3. ….   und anerkennen4. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, … “.  (Teil II Artikel 6 Nr. 4 ESC)

[15] Eine empfehlenswerte Sendung des Deutschlandfunks gibt Einblick nicht nur in diese Person, sondern auch, in welchem Ausmaß das faschistische Arbeitsrecht bis heute das deutsche Arbeitsrecht prägt: “Den Unternehmern treu ergeben – das paternalistische Arbeitsrecht des Hans Carl Nipperdey” vom 24. April 2023,  https://www.hoerspielundfeature.de/das-paternalistische-arbeitsrecht-des-hans-carl-nipperdey-100.html

[16] Hueck/ Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts 2. Band, Mannheim 1930

[17] ein instruktiver Vortrag von Prof. Dr. Eva Schumann zur Bedeutung der Akademie für Deutsches Recht und die Auswirkungen der Arbeit dieser Akademie auf das Jugendstrafrecht bis heute: https://www.youtube.com/watch?v=07pzqoc_FFQ

[18] Dr. Alfred Hueck, Dr. Hans Carl Nipperdey, Dr. Rolf Dietz “Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit”, München und Berlin 1934; dies war nicht der einzige Kommentar zum AOG; so existierte auch noch ein Kommentar zum AOG von Mansfeld-Pohl-Steinman-Krause, Berlin 1934

[19] § 65 AOG

[20] AOG Vorbem. zum dritten Abschnitt “Betriebsordnung und Tarifordnung” Anm. 2

[21] Der Arbeitskräftemangel aufgrund der massiven Aufrüstung führte ab 1938 dazu, dass die Treuhänder der Arbeit immer mehr Höchstarbeitsbedingungen festsetzten; siehe Rüdiger Hachtmann “Auf den Trümmern der Arbeiterbewegung: Arbeitsrecht und Betriebsverfassung 1933 bis 1945” in: Gün/Hopmann/Niermerg “Gegenmacht statt Ohmacht”, 2020 Hamburg

[21a] Kittner Arbeitskampf S. 535

[22] § 1 AOG 1934 Beck-Verlag Anm. 35

[23] der vollständige Text: “Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen; aber sie sind in bestimmten Grenzen erlaubt, sie sind in der freiheitlichen, sozialen Grundordnung der Deutschen Bundesrepublik zugelassen. Unterbrechungen der betrieblichen Arbeitstätigkeit durch einen solchen Arbeitskampf sind sozialadaequat, da die beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit solchen kampf weisen Störungen auf Veranlassung und unter der Leitung der Sozialpartner von jeher rechnen müssen und die deutsche freiheitliche Rechtsordnung derartige Arbeitskämpfe als ultima ratio anerkennt. Es besteht Freiheit des Arbeitskampfes, Streikfreiheit und Aussperrungsfreiheit. Das ergibt sich nicht nur aus der gesamten historischen Entwicklung seit 1869, namentlich aus der wichtigen Regel des § 152 Abs. 1 GewO und der allgemeinen rechtlichen Überzeugung … sondern neuerdings namentlich auch aus § 49 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Dort ist im Anschluss an das Verbot der Arbeitskämpfe zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ausdrücklich bestimmt, dass Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien durch das Verbot nicht berührt werden” (BAG 28.1.1955 – GS 1/54, juris, Rn. 33 ff)

[24] BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR/96/02 juris Rn. 38; darauf verweist BAG 24.4.2007 – 1 AZR 252/06 unter B.III.2.a.aa)