Der Abschlussbericht der Expertenkommission

Die noch vom vorherigen Senat eingesetzte Expertenkommission hat ihren Abschlussbericht vorgelegt.

Hier der Wortlaut der Presseerklärung der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ vom 28. Juni zu diesem Abschlussbericht:

Berlin, 28.06.2023 Der Abschlussbericht der Expert*innenkommission, die nach dem gewonnenen Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne eingesetzt wurde, bestätigt zweifelsfrei die rechtliche Machbarkeit der Vergesellschaftung. Nachdem der Bericht schon vorab öffentlich geworden war, stellt die Kommission ihn heute bei einer Pressekonferenz im Roten Rathaus vor. Ab 13 Uhr feiert die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen mit einer Kundgebung vor Ort:

„Heute ist ein historischer Tag für Berlin. Die Kommission stellt ein für allemal klar: Die Enteignung von Immobilienkonzernen ist rechtssicher, finanzierbar und das beste Mittel, um den Mietenwahnsinn zu stoppen! Außerdem ist eine niedrige Entschädigung, die das Land Berlin nichts kosten wird, auch machbar. Enteignung ist einfach der beste Deal für Berlin”, freut sich Constanze Kehler, Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.

Die Kommission aus 13 Expert*innen hat sich über ein Jahr lang mit den rechtlichen Fragen rund um die Vergesellschaftung im Sinne des Allgemeinwohls beschäftigt. Der Abschlussbericht kann nun als Blaupause für ein rechtssicheres Vergesellschaftungsgesetz dienen. Die CDU-geführte Regierung hat aber einen anderen Plan: sie will ein sogenanntes „Rahmengesetz” schreiben – das dann aber zwei Jahre lang nicht in Kraft treten soll, weil die CDU gegen ihr eigenes Gesetz klagen will. Die Initiative kritisiert dies als „unlautere Verzögerungstaktik”. 

„Die Kommission hat die Vergesellschaftung als rechtssicher bestätigt und den rechtlichen Rahmen dafür im Abschlussbericht niedergeschrieben. Ein Rahmengesetz ist damit vollkommen überflüssig. Wir fragen Sie, Herr Wegner: Respektieren Sie die Arbeit der Expert*innen und den Abschlussbericht der Kommission, die vom Senat selbst eingesetzt wurde? Dann muss Ihre Regierung jetzt ein Vergesellschaftungsgesetz schreiben, in dem ganz konkret drin steht, wann und wie die Immobilienkonzerne enteignet werden”, so Kehler.

Bei den Fragen der Rechtssicherheit und der Landeskompetenz steht die Kommission klar auf Seiten der Vergesellschaftung. Vergesellschaftung sei zudem verhältnismäßig, also geeignet und angemessen, um den Mietenwahnsinn in Berlin zu beenden. Sie sei sogar erforderlich, weil kein besseres Mittel zur Verfügung stehe, um die Mieten zu senken. Die Ausnahmen für Genossenschaften und landeseigene Wohnungen bestätigen die Expert*innen als rechtens, ebenso wie die Schwelle von 3000 Wohnungen bei den zu vergesellschaftenden Wohnungskonzernen.

Auch die Finanzierbarkeit sehen die Expert*innen laut Abschlussbericht als gegeben an. Das von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen vorgeschlagene „Faire-Mieten-Modell“ hat die Kommission eingehend geprüft und validiert: Die Kommissionsmitglieder sind mehrheitlich der Meinung, dass für die Bemessung der Entschädigungshöhe „die Erträge aus der zukünftigen gemeinnützigen Bewirtschaftung zugrunde gelegt werden“ könnten. Demnach würden die großen Wohnungskonzerne nur so viel Entschädigung bekommen, wie diese über moderate Mieteinnahmen aus den vergesellschafteten Wohnungen refinanziert werden kann. Einig sind sich die Expert*innen, dass die Immobilienkonzerne unter Marktwerkt entschädigt werden können.

„Die Kommission bestätigt, dass die Entschädigung der Konzerne sehr niedrig ausfallen kann, wenn man von den Interessen der Mieter*innen und nicht der Konzerne ausgeht. Und je niedriger die Entschädigung für die Konzerne ausfällt, desto günstiger werden Mieten für die Berliner*innen. Außerdem bestätigt die Kommission nun schwarz auf weiß: Berlin muss keine Schulden aufnehmen und die Vergesellschaftung wird die Berliner*innen keinen Cent kosten, wenn diese aus den Mieten refinanziert wird. Für alle, die in Berlin zur Miete wohnen, ist die Vergesellschaftung ein Sechser im Lotto”, so Kehler abschließend. 

Zum vollständigen Bericht: https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/downloads/.

Hier der Verlauf der Beratungen der Expertenkommission nachschauen.

Mitglieder der „Anti-Nato-Aktion“ aus Athen berichten

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Es geht darum, den Frieden zu gewinnen, nicht den Krieg!“ informierten uns eine Vertreterin und ein Vertreter der „Anti-Nato-Aktion“ aus Athen über ihre Einschätzungen, Ziele und die Situation in Griechenland. Wir hatten beide im Herbst letzten Jahres kennengelernt anlässlich der ersten öffentlichen Vorstellung ihres Bündnisses. Unser Besuch in Athen fand statt in Zusammenhang mit der 2012 gegründeten gewerkschaftlichen Solidaritätsgruppe „Gegen Spardiktate und Nationalismus“.

Im Folgenden geben wir die Übersetzung ihres Vortrages vom 3. Juni 2023 wieder:

Was wir sind und wie wir den Krieg einschätzen

Die Anti-NATO-Aktionsgruppe wurde nach dem Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine von Menschen gegründet, die aus verschiedenen politischen Zusammenhängen der Linken und des anarchistisch-autonomen Spektrums stammen oder diesen angehören und sich von dem vorherrschenden Narrativ über den Krieg in der Ukraine erdrückt fühlten. Wir untersuchten die Ereignisse und versuchten, Informationen aus vom Westen nicht kontrollierten Quellen zu erhalten. Wir sind der Meinung, dass für die auf dem Territorium der Ukraine unvermindert weiterbestehende Tragödie, für den Tod von Hunderttausenden von Ukrainern, Russen und Russinnen, für die Flüchtlinge, für die Zerstörung der sozialen Infrastruktur, für die enorme Umweltzerstörung, für das Risiko eines dritten Weltkriegs und eines nuklearen Holocausts – die Verantwortung bei der NATO liegt. Die USA können nicht tolerieren, dass ihnen nicht die ganze Welt gehört. Welchen Existenzgrund hat heutzutage die NATO, wenn der Vorwand, die Existenz des Warschauer Paktes, schon vor vielen Jahrzehnten entfallen ist? Wie würden sich die USA verhalten, wenn Russland Raketen in Mexiko aufstellen würde?

Die Tragödie in der Ukraine begann nicht mit der speziellen Militäroperation Russlands im vorigen Jahr. Sie begann mit dem von den USA und der EU initiierten Putsch auf dem Maidan im Jahr 2014. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wurde von den US-Diensten ausgenutzt, um die rechtmäßige Regierung zu stürzen, weil letzte es wagte, die räuberischen Vereinbarungen mit der EU in Frage zu stellen. Es folgte ein blutiger Bürgerkrieg, in dem rechtsextreme/neonazistische Gruppen organisiert und bewaffnet wurden und nicht nur mörderische paramilitärische Aktivitäten entwickelten, sondern auch Posten im Staatsapparat und in der Armee besetzten. Das Massaker am 2. Mai 2014 im Gewerkschaftshaus in Odessa war der Höhepunkt der Gewalt. Entführungen, Morde, Bombenanschläge, das Eindringen der Panzer des Kiewer Regimes in die Städte des Donbass und rassistische Angriffe auf russischsprachige Menschen (abwertend „moskal“ genannt) waren in der Ukraine Realität. Aber die Verbreitung dieser Tatsachen scheiterte am „eisernen Vorhang“ von Desinformationen, Halbwahrheiten und Lügen, der von den westlichen Medien errichtet wurde. Die Minsker Vereinbarungen von 2015 wurden nicht eingehalten. Frau Merkel erklärte sogar unverblümt, dass dies nur ein Trick war, um Zeit zu gewinnen, damit die Kriegsmaschinerie der Ukraine gegen Russland ausgebaut werden kann.

Seitdem führen die Menschen im Donbass mit der industriellen Arbeiterklasse im Zentrum des Widerstands und durch selbstorganisierte Milizen, einen harten Kampf um ihr Leben, ihre Würde und ihre Freiheit. Im Jahr 2017 wurden im Donbass 40 Verstaatlichungen/Sozialisierungen angekündigt. Es ist nachvollziehbar, was dies in einem Europa bedeutet, in dem die herrschenden Kräfte den Neoliberalismus und die Privatisierung als Religion betrachten. Wir verstehen, warum der Westen diese Alternative um jeden Preis vernichten will.

Unserer Ansicht nach ist der Krieg in der Ukraine kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern ein Krieg, den die NATO auf dem Territorium der Ukraine bis zum letzten Ukrainer führt, um ihre Hegemonie in der Region aufrechtzuerhalten, um das unkontrollierbare Russland mit NATO-Truppen einzukesseln. Und um in einem zweiten Schritt den großen wirtschaftlichen Rivalen der USA, um China zu unterwerfen.

Die aktuelle Situation in Griechenland

Die griechische Regierungdes MinisterpräsidentenMitsotakis, dessen Partei, die Nea Demokria (ND), gestärkt aus den Wahlen vom 21. Mai hervorging und voraussichtlich die Wahlen am 25. Juni gewinnen wird, ist eine der untertänigsten Regierungen in der EU und in der NATO. Sie ist führend bei der Lieferung von militärischer Ausrüstung an die Ukraine. Das Territorium Griechenlands ist mit US-Stützpunkten gegen Russland gespickt. „Wir befinden uns im Krieg mit Russland“, sagen Vertreter der Regierungspartei und setze n unser Land als der Gefahr aus, zum Kriegsziel zu werden.

Im Hafen von Alexandroupolis werden Schiffe mit Kriegsmaterial entladen und von dort aus an die Front gebracht. Militärische Ausrüstung wird aus den Lagern des Landes entfernt und in die Ukraine geschickt, wie z. B. gepanzerte BMP1-Fahrzeuge, und jetzt ist die Rede davon, S-300-Raketen und sogar Leopard-Panzer zu schicken. Die militärische Infrastruktur der USA wird in Souda auf Kreta, in Thessalien, in Andravida usw. ausgebaut und verstärkt. Abgesehen von dem, was an die Öffentlichkeit gelangt, wissen wir nicht genau, was Griechenland in die Ukraine schickt, da dies Gegenstand von Geheimgesprächen zwischen beispielsweise Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Mitsotakis ist, und die Antwort auf Fragen der Opposition lautete bisher, dass dies aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ nicht bekannt gegeben werden darf. Wir wissen jedoch, dass unser Land ungeheure Summen für militärische Ausrüstung im Dienste der NATO ausgibt, während gleichzeitig Krankenhäuser und Schulen geschlossen werden.

Die griechische Regierung ist auch Vorreiterin bei der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Sie hat die historischen Kooperationsbeziehungen, die wir mit Russland hatten, abgebrochen, mit erheblichen Folgen zum Beispiel für die Agrarwirtschaft und den Tourismus. Gleichzeitig wird in den Mainstream-Medien eine antirussische Welle im McCarthy Stil losgetreten. Jeder, der es wagt, eine andere Meinung zu äußern, wird als Putin-freundlich abgestempelt. Gegen die Gesetzgebung verstoßend hat die Regierung willkürlich die Webseiten von RT geschlossen und den Zugang zu unkontrollierten Quellen gesperrt. Ein Konzert des Friedens und der Solidarität mit dem ukrainischen Volk wurde von den Medien als „pro-Putin“ verunglimpft, weil es nicht von antirussischen Slogans begleitet wurde. Sogar eine Aufführung des Balletts Schwanensee wurde abgesagt!

Wie steht das griechische Volk zu all dem. Die Ergebnisse einer Umfrage sind interessant: Eine Mehrheit von zwei Dritteln ist der Meinung, dass die Lieferung von Kriegsmaterial an die Ukraine Griechenland gefährde. Konkret antworten 63 % mit „ja“ und „wahrscheinlich ja“ auf die Frage, ob „die Entscheidung, Kriegsmaterial in die Ukraine zu schicken, eine Gefahr für Griechenland darstellen könnte”. Gleichzeitig sind jedoch 32 % der Meinung, dass sowohl humanitäre Hilfe als auch Kriegsmaterial geschickt werden sollte, während nur 1 % sagt, dass „nur Kriegsmaterial“ geschickt werden sollte. Die Mehrheit der Befragten, nämlich 61 %, spricht sich dafür aus, nur humanitäre Hilfe für die Ukraine zu leisten. Interessant sind die Antworten auf die Frage: „Wer ist für die derzeitige Situation in der Ukraine verantwortlich“. Fast jeder Zweite, nämlich 47 %, ist der Meinung, dass alle gemeinsam verantwortlich sind, d.h. Russland, die Ukraine, die EU und die USA, während 29 % der Meinung sind, dass die Verantwortung hauptsächlich bei Russland liegt und 17 %, dass sie hauptsächlich bei den USA liegt.

Bei der Stellung zum Krieg in der Ukraine in linken und anarchistisch-autonomen Zusammenhängen sowie in Strukturen der Bewegungen ist die pro-NATO-Haltung marginal und die Haltung der „gleichen Abstände“ (gegenüber der NATO und zu Russland) die vorherrschende Strömung.Als Ergebnis der Diskussionen kleinerer Kollektive (zu denen unsere Gruppe gehört), die vertreten, dass die NATO besiegt werden muss, entstand die „Antiimperialistische Koordinierung für die Niederlage der NATO“.

Was sind unsere Ziele als Anti-NATO-Aktion?

1. Über die Tatsachen in der Ukraine und die Haltung anderen Teilen der Welt zu informieren

2. Die Teilnahme an Aktionen, die das Anti-NATO- und antiimperialistische Bewusstsein im griechischen Volk stärken

3. Die Beteiligung an einer breiten Front für den Frieden mit dem Hauptziel, die Beteiligung Griechenlands an der Lieferung von Kriegsmaterial und die Verhängung von Sanktionen zu beenden.

Als Anti-NATO-Aktion setzen wir uns dafür ein, dass die NATO den Krieg nicht gewinnt, denn deren Niederlage ist ein Gewinn für den Frieden und die gesamte Menschheit (für alle Völker). Der NATO sollte nicht gelingen das durchzusetzen, was sie im Irak, in Libyen und in Jugoslawien erreicht hat, die Zerschlagung von Ländern, die sich den Befehlen des Westens widersetzen. Wenn sie in der Ukraine erfolgreich ist und Russland unterwerfen kann, werden der Iran, Kuba, Venezuela und Nordkorea folgen. Dagegen wird die Niederlage der NATO den Weg für eine multipolare, vielgestaltige Welt ebnen. Der Westen, in dem 25% der Weltbevölkerung leben, könnte nicht mehr dem Rest der Menschheit seinen Willen aufzwingen. Die Völker werden in der Lage sein, selbst zu entscheiden.

Kurzer Rückblick auf unsere historischen Erfahrungen

Griechenland ist ein Land, das stark vom westlichen Imperialismus, den USA und der NATO abhängig ist. Unser Volk hat für diese Beziehung mit Blut bezahlt. Nach dem Sieg über den Faschismus im Zweiten Weltkrieg richtete Großbritannien seine Waffen gegen die griechischen WiderstandskämpferInnenund trieb das Land in den Bürgerkrieg. Im Jahr 1947 übergab Großbritannien den blutigen Staffelstab an die Vereinigten Staaten, die seither ein wichtiger Faktor in der politischen Entwicklung des Landes sind. Im Jahr 1952 trat Griechenland der NATO bei. Die USA förderten und unterstütztem von 1967 bis 1974 die Diktatur der Obristen.

Im Aufstand am Polytechnikum in At hen hat 1973 hat ein Panzer die Stützen des Haupttores der Universität eingerissen, um den Aufstand blutig niederzuschlagen. Das Tor war mit den Worten „Raus mit den USA“, „Raus mit der NATO“ beschrieben worden. Seither begehen wir jährlich den Jahrestag des Aufstandes am Polytechnikum mit einem Marsch zur amerikanischen Botschaft. 1974 sah sich sogar der rechtsgerichtete Ministerpräsident Karamanlis gezwungen, den militärischen Teil der NATO unter dem Eindruck der Ereignisse auf Zypern zu verlassen. Damals organisierte die griechische Junta einen Putsch, um Griechenland mit Zypern zu vereinen. Die Türkei reagierte darauf mit der Invasion und Besetzung Nordzyperns. Im Jahr 1980 kehrte das Land in den militärischen Teil der NATO zurück.

Nach dem Sturz der Junta und über zwei Jahrzehnte lang hatten Antiamerikanismus und Antiimperialismus in breiten Schichten des griechischen Volkes Wurzeln geschlagen. Die Parolen „Raus mit den Militärbasen des Todes“, „Mörder der Völker Amerikaner“ (Anm. der Übersetzerin: Mit „Amerikaner“ ist die Politik der USA gemeint.) waren Losungen auf riesigen Demonstrationen. Doch allmählich wurde dieses Bewusstsein schwächer. Die antiamerikanischen und antiimperialistischen Töne wurde von der PASOK (der griechischen Sozialdemokratie, die jahrzehntelang regierte) schnell aufgegeben. Das Argument, das die Regierungen anführten, um das Land in dem blutigen Bündnis zu halten, war, dass wir bei einem Austritt niemanden hätten, der uns im Falle eines Angriffs der Türkei beschützen könnte. Der Rückgang der Anti-NATO-Aktionen des Volkes ließ allen bisherigen Regierungen reichlich Spielraum, sich tief in das NATO-Abenteuer zu verstricken. In vielen Teilen des Landes wurden NATO-Militärstützpunkte errichtet, die die Völker bedrohen, die sich der amerikanischen Hegemonie widersetzen. Zudem machen sie sowohl unser Land als auch unser Volk zu einem Kriegsziel. Leider hat sich auch die Regierung unter Premierminister Tsipras (2015–2019), der mit linken Parolen antrat, den Forderungen der NATO gebeugt und die Stützpunkte erweitert und verstärkt.

Nachbemerkung: Nach dem Vortrag und wnschließender Diskussion kamen wir überein, die politischen Kontakte aufrecht zu erhalten und uns über den aktuellen Stand der Antikriegsbewegung in unseren Ländern zu informieren. Sollte sich der Anlass oder die Möglichkeit einer koordinierten Aktion in Athen, Berlin und anderen Städten ergeben, wollen wir dies gemeinsam in Angriff nehmen.

„Keine Bomber über unseren Köpfen“ – Friedenskundgebung in Brandenburg am 16. Juni 2023

Video: Ingo Müller, aufgenommen während der Protestkundgebung, 17.06.2023

Etwa 500 Menschen hatten sich am Samstag, den 17. Juni 2023, in der Stadt Brandenburg versammelt. Sie protestierten gegen die bisher größte Luftwaffenübung in der Geschichte der NATO. Die militärische Leitung von „Airdefender“ (Luftverteidigung) übernahm die Bundeswehr; in Deutschland befand sich das logistische und militärische Zentrum der Übung. Die Übertragung der Führung dieser NATO-Kriegsübung an die BRD ist ohne die Zustimmung durch die US-Regierung nicht denkbar. Damit wurde zugleich auch der militärische Führungsanspruch Deutschlands in Europa unterstrichen.

Dass es hier nicht um Verteidigung ging, was die Militärs durch den Namen der Übung suggerieren wollten, wurde durch die Ziele als auch die Reichweite der Übung deutlich. Geübt werden sollte die Abwehr des Angriffs militärischer Verbände aus dem Osten auf NATO-Territorium. Wer damit gemeint ist und abgeschreckt werden soll, ist eindeutig. Der Einsatz führte die Luftwaffe bis an die russische Grenze der baltischen Staaten und an die Grenzen Rumäniens und Bulgariens zu ihren östlichen Nachbarn. Auf den aggressiven Charakter der NATO-Übung verwiesen zahlreiche Redner:Innen in ihren Beiträgen während der Kundgebung. Sie prangerten an, wie durch solche Kriegsübungen die internationalen Spannungen weiter angeheizt werden und die Gefahr eines Atomkrieges näher rückt. „Noch nie sei diese Gefahr so groß gewesen, wie heute“, lautete die Warnung in zahlreichen Reden.

Organisiert hatte die Kundgebung die Friedenskoordination (Friko) Brandenburg. Aufgerufen hatten aus Berlin die Initiative „Rheinmetall entwaffen“, die Friko, einige Stadtteilorganisationen der Linkspartei und der VVN-BdA, sowie die „Künstler:Innen für Frieden und die DKP. Auch in mehreren Städten Ostdeutschlands hatten die Bezirksorganisationen (BO) der Partei DIE LINKE sowie die „Liebknechtarbeitskreise“ in der Partei mobilisiert. Zusammengefasst: Das Spektrum der Teilnehmenden umfasste, neben anderen linken Organisationen, die Opposition innerhalb der Linkspartei, die sich der Vorstandslinie nicht unterordnen wollen. Ein Redner, Gotthard Krupp, sprach dies auch direkt an. Er wertete die Aufforderung des Parteivorstandes an Sarah Wagenknecht, die Partei zu verlassen und ihr Abgeordnetenmandat niederzulegen, als Unterordnung unter die Regierungspolitik und schickte deshalb solidarische Grüße an sie in das Saarland.

Die Stadt Brandenburg als Kundgebungsort war gewählt worden, weil es hier einen offenen Tag der Bundeswehr gab. Nur 300 Meter entfernt präsentierte sie sich dem Publikum. Familien mit ihren Kindern durften die militärischen Mordwerkzeuge besichtigen, auf ihnen spielen und wurden zu Probe- und Geländefahrten mitgenommen. Zugleich machte die Bundeswehr Reklame als Arbeitgeber und Ausbilder, um ihre klammen Reihen zu füllen und die Jugendlichen für den Beruf des Soldaten zu begeistern. Wie zur theatralischen Untermalung donnerte das riesige, dort stationierte Militärtransportflugzeug zweimal in nur hundert bis zweihundert Meter über die Köpfe der Kundgebungsteilnehmer hinweg.

Das am Ende der Veranstaltung einsetzende Unwetter zeigte noch einmal auf, worauf sich die Regierenden konzentrieren sollten: Auf die Bekämpfung der Erderwärmung und seine Folgen statt auf die militärische Bekämpfung geostrategischer Rivalen und Feinde. Auch die Aufrüstung, die militärischen Muskelspiele und der Krieg setzen ungeheure Emissionen frei. Auch dies wurde auf der Kundgebung angesprochen.

Wir danken Andi Hesse für diesen Bericht

Eröffnet wurde die Kundgebung durch Dominik, der alle Unterstützer dieser Protestkundgebung namentlich aufzählte:


Durch die Protestkundgebung moderierte Jutta Kausch-Henken, von der Friko-Berlin und hier ist ihr Redebeitrag (untern Bild):


Musikalisch wurde die Kundgebung durch Linda Kränkova und Tino Eisbrenner unterstützt.

Hier ein kleiner musikalischer Ausschnitt von Tino Eisbrenner:


Hier nur einige weitere Redebeiträge der Kundgebung:

Den Anfang machte Reiner Braun, ehem. Präsident des International Peace Buero:


Es folgte: Gotthard Krupp, ver.di Berlin-Brandenburg


und Birgit Uhlworm, Initiative für Frieden und Abrüstung, Dahme-Spree


alle Ton- und Bildaufnahmen: Ingo Müller. 17.06.2023, Brandenburg

Und hier eine kleine Fotogalerie von der Protestkundgebung, die unmittelbar zum Eingang des „TAG DER BUNDESWEHR 2023″stattgefunden hat. Es ist beschämend, wie viele tausende Menschen mit Ihren Kindern es für notwendig hielten, sich an der Technik des Krieges zu begeistern, und ihren Kindern Platz auf dem Panzer gaben. Den Zuschauern wird vorgegaukelt, wie schön der Beruf in der Bundeswehr ist und dass man einen gesicherten Arbeitsplatz hat. Es werden jedoch die Folgen verschwiegen, wenn die Werte, die man beschützen soll, mit Waffengewalt geschützt werden: Es wird verschwiegen, dass die jungen Soldatinnen und Soldaten eines Tages auf Menschen schießen werden oder müssen. Auch wird verschwiegen, dass sie letztendlich eher tod als lebend wieder nach Hause kommen.

Und deswegen sind solche Friedensaktionen lebenswichtig.

Und jetzt die Fotoshow:


Und hier könnt ihr die Dokumentation, vom www.bündnis-für-frieden.de sehen

Quelle: http://www.bündnis-für-frieden.de

Was ist der Unterschiede zwischen der Nato und einem System kollektiver Sicherheit?

„Wer passt hinein?“ – Wie das Bid zeigt, wurde diese Frage bereits 1960 von der Zeitschrift “Der Mahnruf”, dem Mitteilungsblatt für die Mitglieder der VVN Westberlin, gestellt.

Ist es verständlich, wenn sich die Ukraine der NATO anschließen will, nachdem Russland kapitalistisch geworden ist und Truppen in die Ukraine geschickt hat? Ist die NATO im Krieg in der Ukraine plötzlich zu einer Schutzmacht geworden? Gibt es eine Alternative zum Militärbündnis NATO?

Eine neutrale Ukraine, wie es nach 1990 für einige Jahre in der urkainischen Verfassung stand, ist eine größere Garantie für eine souveräne und unabhängige Ukraine als eine Mitgliedschaft in dem Militärbündnis NATO. Der Krieg in der Ukraine ist zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen, dass die Ukraine diesen Kurs aufgegeben hatte und Mitglied der NATO werden wollte. Dazu wurde sie von den USA gedrängt.

Auch für die Bundesrepublik Deutschland ist die Mitgliedschaft in der NATO ein Verhängnis. Sie bindet sie viel zu sehr an die Politik der USA.

Warum löste sich nicht auch die NATO auf, als sich der Warschauer Pakt auflöste? Warum ist dieses Militärbündnisses nicht durch ein System kollektiver Sicherheit ersetzt worden?

Die USA wollten die NATO als ein Instrument in ihren Händen behalten und über dieses Militarbündnis ihren Einfluss in Europa weiter geltend machen. Das ist der Grund, warum sich die NATO nicht auflöste. So nahm das Unheil seinen Lauf.

Es wäre besser, wenn die Militärallianz NATO durch ein System kollektiver Sicherheit aller europäischen Länder einschließlich Russlands ersetzt würde. Große Teile des deutschen Kapitals halten jedoch an der NATO fest. Ein System kollektiver Sicherheit muss also gegen diese Kräfte durchgesetzt werden. Der Aufruf „Frieden schaffen“ stellt die Forderung nach einem System kollektiver Sicherheit in den Mittelpunkt. Diese Forderung steht in der Tradition sozialdemokratischer Außenpolitik, die allerdings die gegenwärtige Sozialdemokratie vollständig aufgegeben hat. Der Aufruf „Frieden schaffen“ wird von vielen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterstützt. Es scheint der kleinste gemeinsame Nenner zu sein, auf den sich Kriegsgegnerinnen und – gegner einigen können.

Der Unterschied zwischen einem Verteidigungsbündnis und einem System kollektiver Sicherheit

Es lohnt, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was der Unterschiede zwischen einem Verteidigungsbündnis und einem System kollektiver Sicherheit ist. Deshalb sei hier Dieter Deiseroth[1]Mitglied der IALANA und Richter des Bundesverwaltungsgerichts im Ruhestand, gestorben 21.8.2019 zitiert:

“Im Völkerrecht ist seit Jahrzehnten klar: “Kollektive Sicherheit und Verteidigungsbündnisse widersprechen sich fundamental.”Was sind die fundamentalen Unterschiede, worin bestehen sie? Es lassen sich vier zentrale Kriterien festhalten:

(1) Verteidigungsbündnisse und “Systeme kollektiver Sicherheit” reflektieren zwei entgegengesetzte Konzeptionen von Sicherheitsspolitik. Das Grundkonzept von Verteidigungsbündnissen basiert auf Sicherheit durch eigene Stärke und die Stärke der eigenen Verbündeten. Es ist “partikulär-egoistisch”. Denn es verankert die eigene Sicherheit nicht zugleich in der Sicherheit des potentiellen Gegners, also gerade nicht in der gemeinsamen Sicherheit, sondern im Gegenteil in der relativen Schwäche und Unterlegenheit des potentiellen Gegners.

Die Grundkonzeption kollektiver Sicherheit, die in der Periode zwischen den beiden Weltkriegen als bewusste Alternative zu den tradierten sogenannten Militärallianzen und Verteidigungsbündnis-Systemen entwickelt wurde, basiert dagegen auf der Sicherheit aller potenziellen Gegner durch Reziprozität und Gegenseitigkeit innerhalb einer internationalen Rechtsordnung. Er gründet auf dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit.

(2) Anders als ein System kollektiver Sicherheit ist ein Verteidigungsbündnis – so auch die NATO – nicht auf Universalität im Sinne des Einschlusses potentieller Aggressoren angelegt.

So steht die NATO – bezeichnenderweise anders als das System kollektiver Sicherheit der UNO – nicht jedem Beitrittswilligen offen, der die im NATO-Vertrag vernankerten Ziele anerkennt. Dementsprechend haben die NATO und ihre Mitgliederstaaten sowohl in den Jahren 1954/55 als auch im Zusammenhang mit den NATO-Osterweiterungen der letzten Jahre Begehren der früheren Sowjetunion und Russlands auf Einbeziehung in das NATO-Bündnis ausdrücklich ausgeschlossen.

(3) Der NATO-Vertrag enthält – und dies ist ein weiterer gravierender Unterschied eine Verteidigungsbündnisses (Militärallianz) zu einem kollektiven Sicherheitssystem – für den Fall eines von einem eigenen Mitgliedstaat begangenen Aggressionsaktes keine verbindlichen internen Konfliktregelungsmechanismen.

Eine NATO-interne Verpflichtung der übrigen NATO-Partner, dem einen Aggesssionsakt begehenden NATO-Verbündeten mit kollektiven Zwangsmaßnahmen entgegenzutreten, sieht der NATO-Vertrag gerade nicht vor. Diese Defizit ist typisch für ein Bündnis zur kollektiven Verteidigung, das ja gerade zur Verteidigung gegen einen potenziellen externen Aggressor geschlossen wird.

(4) Die NATO etabliert auch – dies ist der vierte wesentliche Unterschied zu einem System kollektiver Sicherheit – keine den Mitgliedstaaten übergeordnete Macht nach dem Modell der Vereinten Nationen.”

Bild-Quelle: Mahnruf, März/April 1960, Seite 4; https://vvn-vda-westberlinerarchiv.de/14-1960/

Nachruf: Winfried Wolf (1949 – 2023)

Ergänzung: Erinnerungsfest für Winfried

Die Linke verliert einen wichtigen Ideengeber und Aktivisten

Winfried Wolf ist am 22. Mai im Alter von 74 Jahren seiner Krebserkrankung erlegen. Die gesamte Linke verliert einen profilierten antikapitalistischen Ökonomen und Verkehrsexperten, der einen reichen Schatz an Büchern, Artikeln und praktischem Wirken hinterlässt.

Winnie war ein 68er und in den 1970ern Mitglied der Gruppe Internationaler Marxisten (GIM), der deutschen Sektion des sich auf Trotzki berufenden Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale, später dann in der VSP (Vereinigten Sozialistischen Partei, Zusammenschluss der GIM mit der KPD/ML) und von 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordneter der PDS.

Als junger Mann selbst ein Autonarr, hat er sich zu einem leidenschaftlichen Kämpfer gegen die so genannte „Autogesellschaft“ und für einen Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und Bahn-Experten entwickelt. 

Winnie war Herausgeber vieler Zeitungen und Zeitschriften, so unter anderem der “Zeitung gegen den Krieg”, die im April zum 53. Mal erschienen war und der Ökonomie-Zeitschrift lunapark21

Mitte der Nuller Jahre habe ich Winnie persönlich kennengelernt. Damals unterstützte er die Berliner WASG (Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit), die in Berlin eine klare Haltung gegen Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien eingenommen hatte. Das war der Anfang einer politischen und freundschaftlichen Zusammenarbeit. 

Wir haben an verschiedenen Zeitungsprojekten (Streikzeitung in Solidarität mit den GDL Streiks, Faktencheck Europa und Faktencheck Corona) zusammen gearbeitet, die von ihm initiiert wurden und mit denen er einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und zur linken Debatte leistete. Dabei habe ich sein unglaubliches Tempo beim Schreiben von Texten, seine hohen journalistischen Ansprüche und seinen Sinn für Genauigkeit kennen und schätzen gelernt (und manchmal auch verflucht…). Winnie hat auch immer wieder Gastbeiträge für die “Solidarität” und den Manifest-Verlag verfasst und war Redner bei den Sozialismustagen.

Winnie war ein leidenschaftlicher Analytiker, Autor, Zeitungsmacher und Aktivist. Er hat unzähligen Linken Argumente und Analysen geliefert in seinen vielen Büchern, ob zur Ökonomie, Ökologie oder zur Geschichte und zeitgenössischen Ereignissen wie der Solidarnosc-Bewegung in Polen oder den Ursachen des Ersten Weltkriegs. Er war Anti-Stuttgart-21-Aktivist der ersten Stunde und regelmäßiger Redner bei den dortigen Montagsdemonstrationen und vielen anderen Protesten.

Er gehörte zu den Linken, die sich weiter entwickelten, ohne ihre Prinzipien aufzugeben. Nicht zuletzt seine konsequent internationalistische Haltung, die sich unter anderem bzgl. des Ukraine-Krieges zeigte, hat uns verbunden.

Nicht immer waren wir einer Meinung und oftmals zogen wir aus ähnlichen Analysen unterschiedliche programmatische Schlussfolgerungen, ob in der Frage der Griechenland Krise oder dem Kampf gegen die Corona-Pandemie. Aber mit Winnie konnte man diese Unterschiede debattieren und weiter an dem arbeiten, wo man sich einig war.

Mit Winfried Wolf geht ein Großer und ein Guter. Wir werden ihn in unseren Gedanken und Herzen bewahren und den Kampf für eine gerechtere Welt jenseits des Kapitalismus, den er sein Leben lang geführt hat, fortsetzen.

Unsere Anteilnahme gehen an Andrea und seine geliebte Tochter Paola und alle seine Genoss*innen und Freund*innen.

Das Original ist erschienen am 24.5.2023 bei “Solidarität Info” : Nachruf: Winfried Wolf (1949 – 2023).

Der Autor Sascha Staničić ist Bundessprecher von SoL (Sozialistische Organisation Solidarität). Wir danken für die Publikationsrechte.

Foto: Ingo Müller, 22.04.2019


Die SAV veranstaltete am 31.10.2019 eine Diskussion mit Winfried Wolf zum Thema;

“Umweltgerechte Verkehrspolitik vs Kapitalismus”

Videorechte: Ingo Müller, 2019. Ab der Minute 56:33 beginnt die Diskussion.

Ergänzung: Erinnerungsfest für Winfried, 15.07.2023

„Gestern besuchte ich das Erinnerungsfest für den vor einigen Wochen verstorbenen Genossen Winfried Wolf in Stuttgart. Es war ein würdige Ehrung eines außergewöhnlichen Menschen. Danke an Tom Adler , Volker Lösch und alle anderen, die das möglich gemacht haben. Es war traurig, schön, lustig. Ich habe mich gefreut Mitstreiterinnen und Mitstreiter für eine bessere Gesellschaft wieder zu treffen, die ich lange nicht gesehen hatte und neue kennen zu lernen. Und vor allem habe ich mich gefreut, Winnies Tochter Paola nach vielen Jahren wieder zu sehen und neu kennen zu lernen. Er war nicht nur ein toller Genosse, sondern wohl auch ein toller Vater. Paola sucht ein WG Zimmer oder eine Wohnung in Berlin. So wie ihr Vater scheint sie einen ausgeprägten Optimismus zu haben, dass man das scheinbar Unmögliche möglich machen kann.“

Text und Foto: Sascha Staničić


Gemeinsam: Raus aus der NATO – NATO raus

Mitglieder der „Anti-Nato-Aktion“ aus Athen berichten.

Zeit: Samstag, den 3. Juni 2023, um 19.00 Uhr
Ort: Kiezraum auf dem Dragonerareal / Mehringdamm (hinter dem Finanzamt), 10963 Berlin, U1, U6, U7 (Mehringdamm, Hallesches Tor).

Im Herbst letzten Jahres besuchte die 2012 gegründete gewerkschaftliche Solidaitätsgruppe „Gegen Spardiktate und Nationalismus“ zum zehnten Mal Griechenland. In Athen waren wir zur öffentlichen Vorstellung der „Anti-Nato-Aktion“ eingeladen. Wir haben zwei Vertreter dieses Bündnisses eingeladen, um uns über ihre Sichtweise auf diesen Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland zu berichten.

Der nordgriechische Hafen von Andropolis wurde von den USA zu einem Umschlagplatz für die Lieferung von Militärgütern an die Ukraine gemacht. Dagegen gab es Widerstand aus den Reihen der Bahngewerkschaft.

In weiten Teilen der griechischen Bevölkerung wird die NATO weitaus kritischer gesehen als bei uns. Die lebendig gehaltenen historischen Erfahrungen, beispielsweise die Unterstützing der Obristendiktatur von 1967 bis 1974 durch die USA, prägen die Einstellungen über das westliche Militärbündnis bis heute. Wir erwarten interessante Berichte aus Griechenland und wollen uns anschließend austauschen über die Bedingungen der antimilitaristischen Arbeit in unseren Ländern.

Gibt es Gemeinsamkeiten? Wo und wie lassen sich unsere Antikriegsaktivitäten vernetzen oder koordinieren?

Dies ist eine Veranstaltung im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Es geht darum, den Frieden zu gewinnen, nicht den Krieg!«
AK Frieden in der GEW Berlin, AK Frieden in der VVN BdA, VVN-VdA Neukölln, VVN-VdA Tempelhof/Schöneberg, VVN-VdA Reinickendorf, VVN-VdA Spandau, VVN-VdA Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandauer Bündnis gegen Rechts, Friedenskoordination Berlin, Initiative 1918 unvollendet, Gruppe Arbeiterpolitik Berlin.


Wer paßt hier hinein?

Diese Frage stellte bereits 1960 die Zeitschrift „Der Mahnruf“ (Nr. 14; März/April 1960) das Mitteilungsblatt für die Mitglieder der VVN Westberlin.

Sicherlich wißt Ihr für die heutige Zeit auch schon die Antwort


China – eine aufstrebende Weltmacht

Einleitung: Die USA erwirtschafteten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Hälfte des Welt-Bruttosozialprodukts. Zwischen 2002 und 2022 stieg Chinas Anteil am Welt-BIP von 8,1 Prozent auf 18,8 Prozent. Der Anteil der USA sank im gleichen Zeitraum von 19,8 auf 15,8 Prozent. Der Anteil der EU schrumpfte von 19.9 auf 14,8 Prozent.[1]Belege für die Behauptungen in den einleitenden drei Sätzen oben in: Beate Landefeld „Kräfteverhältnisse und Formen der Ostexpansion“ in: Marxistische Blätter 3_2023 S. 98 ff; dort … Continue reading

Inhalt:


China zur US-Hegemonie und ihre Gefahren

Im Folgenden geben wir in vollem Wortlaut eine Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums vom Februar 2023 mit der Überschrift “Die US-Hegemonie und ihre Gefahren” wieder. Diese Stellungnahme ist lesenswert.

Aus der Einleitung:

„Seit die Vereinigten Staaten nach den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg zum mächtigsten Land der Welt geworden sind, haben sie sich immer dreister in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eingemischt, ihre Hegemonie angestrebt, aufrechterhalten und missbraucht, Subversion und Infiltration vorangetrieben und vorsätzlich Kriege geführt, die der internationalen Gemeinschaft Schaden zufügen.

Die Vereinigten Staaten haben ein hegemoniales Drehbuch entwickelt, um unter dem Deckmantel der Förderung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten “farbige Revolutionen” zu inszenieren, regionale Streitigkeiten anzuzetteln und sogar direkt Kriege zu führen. In Anlehnung an die Mentalität des Kalten Krieges haben die Vereinigten Staaten die Blockpolitik angeheizt und Konflikte und Konfrontationen geschürt. Sie haben das Konzept der nationalen Sicherheit überstrapaziert, Exportkontrollen missbraucht und anderen einseitige Sanktionen aufgezwungen. Sie sind selektiv mit internationalem Recht und internationalen Regeln umgegangen, haben sie je nach Bedarf genutzt oder verworfen und versucht, im Namen der Aufrechterhaltung einer “regelbasierten internationalen Ordnung” Regeln durchzusetzen, die ihren eigenen Interessen dienen.

Dieser Bericht versucht durch die Darstellung der relevanten Fakten den Hegemoniemissbrauch der USA im politischen, militärischen, wirtschaftlichen, finanziellen, technologischen und kulturellen Bereich aufzudecken und die internationale Aufmerksamkeit auf die Gefahren der US-Praktiken für den Weltfrieden und die Stabilität sowie das Wohlergehen aller Völker zu lenken.“

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Chinas Position zur Politischen Beilegung der Ukraine-Krise

China legte am 24.Februar 2023 einen Vorschlag zur Beendigung des Krieges in der Ukraine vor. Es gibt keine einzige Forderung, die nicht auch im Sinne der Friedensbewegung ist. Ja, es ist sogar so: Sehr wichtige Forderungen der Friedensbewegung sind in diesen zwölf Punkten enthalten. Hinzu kommen unsere Forderungen: Keine Waffenlieferungen an die Ukraine! Keine Militarisierung Deutschlands! Die Friedensbewegung sollte entschiedener reagieren und die Bundesregierung auffordern, diesen Plan aktiv zu unterstützen, wie dies Brasilien schon jetzt macht. Hier die zwölf Punkte der chinesischen Initiative:

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Über China im Jahr 1959 in der Zeitschrift der VVN Westberlin „Mahnruf“

„Der Mahnruf“ – Mitteilungsblatt für die Mitglieder der VVN Westberlin, Nr. 09/ März-April 1959

Quellenangabe:Der Mahnruf“


References

References
1 Belege für die Behauptungen in den einleitenden drei Sätzen oben in: Beate Landefeld „Kräfteverhältnisse und Formen der Ostexpansion“ in: Marxistische Blätter 3_2023 S. 98 ff; dort wird auf die beiden folgenden Fundstellen verwiesen: Jörg Nagler, USA – Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft, Kalter Krieg von 1945-1989, Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung bpb, 20.3.2014; https://de.statista.com/infografik/27680/anteil-am-kaufkraftbereinigten-globalen-bruttoinlandsprodukt/

Artikel 6 Europäische Sozialcharta

Hier werden wichtige Informationen zu Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta (ESC) veröffentlicht.

Es wird der Wortlaut des Art. 6 ESC wiedergegeben, wobei die Garantien zum Streikrecht fett gedruckt sind (Art. 6 Nr. 4 ESC). Die Europäische Sozialcharta (ESC) wurde überarbeitet und nach 20 Jahren stimmte auch der Bundestag dieser revidierten Fassung RESC zu.

Außerdem werden im Folgenden die Berichte („conclusions“) des zuständigen Sachverständigenausschusses EASR aus den Jahren 2014 und 2019 in vollem Wortlaut dokumentiert. Dort finden sich unter anderem kritische Aussagen zur Einschränkung des Streikrechts in Deutschland,

  • weil nur Gewerkschaften zum Streik aufrufen oder ihn später übernehmen dürfen,
  • weil die Streikziele auf tariflich regelbare Ziele begrenzt werden und
  • weil alle Beamte in Deutschland nicht streiken dürfen.

Der Sachverständigenausschuss ist das zuständige Gremium, das die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta kontrolliert (Teil IV Art. C RESC i.V.m. Art. 25 ff. ESC).

Wenn diese Berichte nicht von den Staaten beachtet werden, die die ESC unterzeichnet haben, entsteht eine deutsche, spanische, englische französische Sozialcharta. Die europäische Sozialcharta würde nicht mehr existieren.

Inhalt:


Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta

Art. 6 der Europäischen Sozialcharta lautet[1]https://www.sozialcharta.eu/europaeische-sozialcharta-9326/#8–artikel-6-%E2%80%93-das-recht-auf-kollektivverhandlungen:

Artikel 6 – Das Recht auf Kollektivverhandlungen

Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien:

  1. gemeinsame Beratungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu fördern;
  2. Verfahren für freiwillige Verhandlungen zwischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberorganisationen einerseits und Arbeitnehmerorganisationen andererseits zu fördern, soweit dies notwendig und zweckmäßig ist, mit dem Ziele, die Beschäftigungsbedingungen durch Gesamtarbeitsverträge zu regeln;
  3. die Einrichtung und die Benutzung geeigneter Vermittlungs- und freiwilliger Schlichtungsverfahren zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu fördern;
    und anerkennen:
  4. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen.

Hinweis: Wir haben den für das Streikrecht maßgebenden Text fett hervorgehoben.


Bericht des Sachverständigenausschusses des Jahres 2022 über die Einhaltung des Streikrechts nach Art. 6 Nr. 4 ESC durch Deutschland

Bericht des Sachverständigenausschusses[2]EASR = Europäischer Ausschuss für soziale Rechte des Jahres 2022[3]vom März 2023 über die Einhaltung von Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta durch Deutschland[4]Quelle: Germany – Social Rights 1680aa9854 (coe.int) S. 29 ff.:

„Der Ausschuss nimmt die in dem von Deutschland vorgelegten Bericht enthaltenen Informationen und die Hinweise des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Kenntnis. …

Der Ausschuss erinnert … daran, dass er in der Allgemeinen Einführung zu den Schlussfolgerungen XXI-3 (2018) eine allgemeine Frage nach Artikel 6 Absatz 4 gestellt und die Staaten gebeten hat, im nächsten Bericht Angaben zu machen, Informationen über das Streikrecht von Angehörigen der Polizei und etwaige Beschränkungen vorzulegen.

In seiner vorherigen Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XXI-3 (2018)) war der Ausschuss der Ansicht, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 stand, weil

  • das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellte;
  • die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellte;
  • die Verweigerung des Streikrechtes für alle Beamten, unabhängig davon, ob sie eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellte.

Die Bewertung des Ausschusses wird sich daher auf die in dem Bericht enthaltenen Informationen beziehen als Antwort auf die Feststellung der Nichtübereinstimmung und auf die allgemeine Frage.

Recht auf kollektive Maßnahmen

Definition und zulässige Ziele

In Bezug auf den ersten Grund der Nichtübereinstimmung (Streiks sind nur dann zulässig, wenn sie auf die Aushandlung eines Tarifvertrags abzielen, stellt eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts dar), erklärt die Regierung, dass sie dem Ausschuss nicht zustimmt. Sie weist darauf hin, dass sich der gesetzliche Rahmen nicht geändert hat, und verweist auf ihre früheren Berichte.

Da sich die Situation nicht geändert hat, bekräftigt der Ausschuss seine Schlussfolgerung der Nichtübereinstimmung zu diesem Punkt.

Berechtigung zur Einreichung einer Sammelklage

In Bezug auf den zweiten Grund der Nichtübereinstimmung (die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, stellen eine eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts dar), erklärt die Regierung, dass sie nicht die Auffassung des Ausschusses teile. Sie weist darauf hin, dass der gesetzliche Rahmen nicht geändert wurde, und verweist auf ihre früheren Berichte. Sie weist insbesondere erneut darauf hin, dass die Anforderung, dass eine Gruppe von Arbeitnehmern in der Lage ist, Tarifverhandlungen zu führen (ihre „Durchsetzungsfähigkeit“), notwendig ist, um sicherzustellen, dass die Gegenseite Verhandlungsangebote nicht ablehnen kann.

Da sich die Situation nicht geändert hat, bekräftigt der Ausschuss seine Schlussfolgerung der Nichtübereinstimmung in diesem Punkt.

Beschränkungen des Streikrechts, Verfahrensvorschriften

In Bezug auf den dritten Grund der Nichtübereinstimmung (Beamte sind nicht streikberechtigt) erklärt die Regierung, dass das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 12. Juni 2018 (Az. 2 BvR 1738/12) Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, dass das Streikverbot für Beamte unabhängig von der Art der ausgeübten Tätigkeit ein eigenständiger und hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Artikels 33 Absatz 5 des Grundgesetzes sei, der eine Einschränkung des Koalitionsrechts rechtfertige. Das Verbot stehe insbesondere in engem Zusammenhang mit dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, der Treuepflicht und dem Grundsatz der lebenslangen Beschäftigung.

Das Bundesverfassungsgericht fügte hinzu, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen seien. In diesem Zusammenhang entschied es, dass das Streikverbot für Streikverbot für Beamte in Deutschland mit den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sei und ein Widerspruch zwischen dem deutschen Recht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 11 der Konvention (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) nicht festgestellt worden sei.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass Beamte das Recht auf Streik gemäß Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 haben. Das Verbot der Ausübung des Streikrechts für alle öffentlichen Bediensteten steht nicht im nicht im Einklang mit dieser Bestimmung. Daher bekräftigt der Ausschuss seine Schlussfolgerung, dass dieses Verbot nicht mit Art. 6 Absatz 4 der Charta vereinbar ist.


Schlussfolgerung (conclusion)

Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 nicht im Einklang steht, und zwar aus folgenden Gründen:

das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen eine übermäßige Einschränkung des Streikrechtes darstellt;

die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt
Streikrecht;

allen Beamten, unabhängig davon, ob sie öffentliche Ämter ausüben, das Streikrecht verweigert wird.“


Bericht des Sachverständigenausschusses des Jahres 2019 über die Einhaltung des Streikrechts nach Art. 6 Nr. 4 ESC durch Deutschland

Bericht des Sachverständigenausschusses[5]EASR = Europäischer Ausschuss für soziale Rechte des Jahres 2019 über die Einhaltung von Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta durch Deutschland[6]Quelle: https://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3/def/DEU/6/4/EN:

Der Ausschuss nimmt die in dem von Deutschland vorgelegten Bericht enthaltenen Informationen zur Kenntnis.

Kollektivmaßnahmen: Definition und zulässige Ziele

Das deutsche Gesetz über kollektive Maßnahmen, das sich auf Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes in der Auslegung durch die Gerichte stützt, verbietet nach wie vor Streiks, die nicht den Abschluss von Tarifverträgen zum Ziel haben. Seit seiner ersten Schlussfolgerung (Schlussfolgerung I (1969)) hat der Ausschuss festgestellt, dass dieses Verbot nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Charta steht. Zuvor (Schlussfolgerungen XX-3 (2014)) behielt er sich seine Position für den Fall vor, dass bestimmte Situationen auf Interessenkonflikte hinweisen, die nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen abzielen und nicht von einem zuständigen Gericht gelöst werden können. Nun bekräftigt er jedoch die Feststellung der Nichtkonformität, da die Zulassung des Streikrechts nur dann, wenn es auf den Abschluss eines Tarifvertrags abzielt, das Streikrecht unangemessen einschränkt.

Recht auf Aufruf zu einer kollektiven Aktion

Der Ausschuss hatte zuvor festgestellt, dass die Situation nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 steht, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen. An dieser Situation hat sich nichts geändert. Daher bekräftigt der Ausschuss seine frühere Schlussfolgerung.

Spezifische Einschränkungen des Streikrechts und Verfahrensvorschriften

Der Ausschuss hat bereits früher festgestellt, dass die Situation in Deutschland nicht konform ist, weil das Streikverbot für Beamte eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt. An dieser Situation hat sich nichts geändert. Daher bekräftigt der Ausschuss seine früheren Schlussfolgerungen.

Der Ausschuss erinnert daran, dass das Streikrecht eines der wesentlichen Mittel ist, die den Arbeitnehmern und ihren Organisationen zur Förderung und zum Schutz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zur Verfügung stehen. Im Lichte von Artikel 31 der Charta „kann das Streikrecht für bestimmte Gruppen von Staatsbediensteten eingeschränkt werden, insbesondere für Angehörige der Polizei und der Streitkräfte, Richter und höhere Beamte.

Die Verweigerung des Streikrechts für die Gesamtheit der öffentlich Bediensteten kann jedoch nicht als mit der Charta vereinbar angesehen werden“ (vgl. Schlussfolgerungen I (1969)). Der Ausschuss stellt ferner fest, dass im Falle von Beamten, die keine öffentliche Gewalt ausüben, nur eine Einschränkung, nicht aber ein absolutes Verbot gerechtfertigt werden kann (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005) Deutschland). Nach diesen Grundsätzen sollten alle öffentlichen Bediensteten, die keine hoheitlichen Befugnisse im Namen des Staates ausüben, zur Verteidigung ihrer Interessen auf Streiks zurückgreifen können.

Der Ausschuss verweist auf seine allgemeine Frage nach dem Streikrecht für Angehörige der Polizei.
Folgen eines Streiks

Der Ausschuss stellt fest, dass sich an der Situation in diesem Bereich, die er zuvor als mit der Charta konform befunden hatte, nichts geändert hat.

Schlussfolgerung

Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 steht, und zwar aus folgenden Gründen:

das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt und

die Anforderungen, die eine Gruppe von Beschäftigten erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Voraussetzungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen und

die Verweigerung des Streikrechts für Beamte insgesamt, unabhängig davon, ob sie öffentliche Ämter ausüben, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt.

Quelle: https://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3/def/DEU/6/4/EN


Bericht des Sachverständigenausschusses 2014 über die Einhaltung des Streikrechts nach Art. 6 Nr. 4 ESC durch Deutschland

„Der Ausschuss nimmt die in dem von Deutschland vorgelegten Bericht enthaltenen Informationen zur Kenntnis.

Kollektive Maßnahmen: Definition und zulässige Ziele

Das deutsche Recht der kollektiven Maßnahmen, das auf Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes in der Auslegung durch die Gerichte beruht, sieht nach wie vor vor, dass kollektive Maßnahmen zulässig sind. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes in der Auslegung durch die Gerichte, verbietet nach wie vor Streiks, die nicht den Abschluss von Tarifverträgen zum Gegenstand haben. Seit seiner ersten Schlussfolgerung (Schlussfolgerung I (1969)) hat der Ausschuss festgestellt, dass dieses Verbot gegen Artikel 6 Absatz 4 der Charta verstößt. Ohne dieser Einschätzung zu widersprechen, wies der Ausschuss in den Schlussfolgerungen XIII-4 darauf hin, dass „Artikel 6 Abs. 4 nicht zur Rechtfertigung eines Streiks zu politischen Zwecken oder eines Streiks zur Anfechtung des Bestehens, der Gültigkeit oder der Auslegung eines Tarifvertrags herangezogen werden kann“.

In Beantwortung des Ersuchens des Ausschusses um Informationen darüber, wie die deutschen Behörden dieser negativen Schlussfolgerung Rechnung getragen haben, die in der Empfehlung Nr. R ChS (98) 2 des Ministerkomitees an Deutschland wiederholt wurde, erklärte die Regierung, dass es aus verfassungsrechtlichen und politischen Gründen nicht möglich sei, die Situation zu ändern (siehe den von Deutschland im Hinblick auf die Schlussfolgerungen XV-1 (2001) des Ausschusses vorgelegten Bericht).

Da sich die Situation in den aufeinanderfolgenden Berichtszeiträumen, die in den Schlussfolgerungen XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) und XIX-3 (2010) geprüft wurden, nicht geändert hatte, bekräftigte der Ausschuss seine Schlussfolgerung, dass das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen, im deutschen Recht gegen Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 verstößt.

Da dieser Punkt in dem Bericht nicht erwähnt wird, nimmt der Ausschuss die Informationen zur Kenntnis, die der deutsche Vertreter dem Regierungsausschuss der Europäischen Sozialcharta vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang erklärte der deutsche Vertreter: „Es gibt keine Aussichten auf eine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage“ und dass es „angesichts der grundlegend gegensätzlichen Positionen der politischen Kräfte zu kollektiven Maßnahmen nicht möglich ist (…), sich auf eine Gesetzgebung zu einigen (…)“.

Der Ausschuss geht davon aus, dass das deutsche Rechtssystem die Interessen der Arbeitnehmer auf unterschiedliche Weise schützt, je nachdem, ob es sich um einen Interessenkonflikt oder einen Rechtskonflikt handelt. Rechtskonflikte werden durch Gesetze, Rechtsnormen oder die Bestimmungen bestehender Tarifverträge oder individueller Verträge geregelt und von Gerichten gelöst. Interessenkonflikte werden durch Tarifverhandlungen gelöst, und nur für solche Fälle sieht das deutsche Rechtssystem kollektive Maßnahmen als Mittel zur Lösung eines solchen Konflikts vor, wenn sich die Tarifparteien ansonsten nicht einigen können.

Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 verweist auf das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf kollektive Maßnahmen bei Interessenkonflikten und erkennt damit an, dass es andere Arten von Konflikten geben kann, bei denen die Interessen der Arbeitnehmer durch andere Mittel als kollektive Maßnahmen geschützt werden können. Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 muss jedoch auch dahingehend ausgelegt werden, dass die Staaten sicherstellen müssen, dass Arbeiter und Angestellte ihr Recht auf Kollektivverhandlungen wirksam ausüben können, einschließlich des Streikrechts zur Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen, und dass die Umstände, unter denen Arbeiter und Angestellte kollektive Maßnahmen ergreifen können, nicht übermäßig eingeschränkt werden.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der spezifische deutsche Ansatz, der die Entscheidung von Rechtskonflikten den Gerichten überlässt und gleichzeitig vorschreibt, dass kollektive Maßnahmen auf die Lösung von Interessenkonflikten ausgerichtet sein müssen, grundsätzlich mit den Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 im Einklang steht, solange das Recht der Arbeiter und Angestellten auf kollektive Maßnahmen im Zusammenhang mit Interessenkonflikten nicht übermäßig eingeschränkt wird.

Der Schutz des Rechts auf kollektive Maßnahmen gemäß der Charta von 1961 verfolgt das Ziel, kollektive Konflikte zu lösen. Solange dieses Ziel in der Praxis tatsächlich gewährleistet ist, können gleichwertige Mittel zu diesem Zweck geschaffen werden. Der Ausschuss behält sich jedoch eine Stellungnahme für den Fall vor, dass bestimmte Situationen auf Interessenkonflikte hindeuten, die nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen abzielen und nicht durch ein zuständiges Gericht gelöst werden können.

Berechtigung zur Einreichung einer Sammelklage

In den Schlussfolgerungen XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) und XIX-3 (2010) stellte der Ausschuss fest, dass die Situation in Deutschland nicht mit Artikel 6 Absatz 4 vereinbar ist, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen. Diese Schlussfolgerungen berücksichtigen die in der deutschen Rechtsprechung festgelegten Kriterien, die eine Gewerkschaft erfüllen muss, um einen rechtmäßigen Streik ausrufen zu können, und stützen sich auf den vom Ausschuss aufgestellten Grundsatz, dass es mit der Charta vereinbar sein kann, das Streikrecht den Gewerkschaften vorzubehalten, wenn die Arbeitnehmer problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Gewerkschaft zum Zwecke eines Streiks gründen können (vgl. Schlussfolgerungen XV-1 (2001), Schweden).

Der Bericht geht nicht auf diesen Punkt ein. Der Ausschuss nimmt die Informationen zur Kenntnis, die der deutsche Vertreter dem Regierungsausschuss zu diesem Thema vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang erklärte der deutsche Vertreter, dass die dem letzten Bericht beigefügten Streikstatistiken „in keiner Weise darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Streik schwer zu erfüllen sind“. Er führte weiter aus, dass „die deutsche Rechtsprechung zum Recht auf kollektive Maßnahmen bewusst die Rechtmäßigkeit von Streiks ausschließt, die von einer kleinen Gruppe von Arbeitnehmern außerhalb von Gewerkschaftsorganisationen mit Tarifverhandlungsbefugnis angezettelt werden; dies entspricht dem Grundsatz, dass wirksame Tarifverträge nur von Gewerkschaften mit der Fähigkeit zu Kollektivverhandlungen in einem kollektiven Rahmen – und wenn möglich ohne kollektive Maßnahmen – abgeschlossen werden können.“

In Anbetracht dieser Erklärungen erinnert der Ausschuss daran, dass es mit der Charta vereinbar sein kann, das Streikrecht den Gewerkschaften vorzubehalten, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Gewerkschaft zum Zwecke eines Streiks gründen können. In Bezug auf die Frage, auf die sich die Verletzung bezieht, möchte sie wissen, ob die in der deutschen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien, die eine Gewerkschaft erfüllen muss, um in den Genuss des Schutzes aus Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, auch in Bezug auf das Recht, kollektive Maßnahmen zu ergreifen, wie sie vom Ausschuss im Addendum zu den Schlussfolgerungen XVI-1 (2001) zusammengefasst wurden, weiterhin angewandt werden.

Da sich die Situation in diesem Punkt nicht geändert hat, ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Anforderungen, die eine Gruppe von Beschäftigten erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Voraussetzungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen.

Spezifische Einschränkungen des Streikrechts und Verfahrensvorschriften

In seiner früheren Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XIX-3 (2010)) hat der Ausschuss hervorgehoben, dass es Aufgabe des Vertragsstaates ist, dafür zu sorgen, dass die innerstaatlichen Gerichte vernünftig handeln und dass ihre Eingriffe insbesondere nicht den Kern des Streikrechts angreifen und es damit seiner Wirksamkeit berauben (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005)). In der oben genannten Schlussfolgerung stellte der Ausschuss fest, dass im Falle von einstweiligen Verfügungen, die von einem Gericht auf Antrag eines Arbeitgebers gegen einen Streik erlassen werden, keine Möglichkeit besteht, auf Bundesebene, insbesondere beim Bundesarbeitsgericht, Rechtsmittel einzulegen. Er stellte fest, dass in Ermangelung einer gesetzlichen Garantie des Streikrechts die Gefahr der Rechtsunsicherheit bestehe, da verschiedene Gerichte in verschiedenen Bundesländern in ähnlichen Fällen zu abweichenden Entscheidungen kommen könnten. Der Ausschuss bat daher erneut um weitere Informationen über Mittel und Wege zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit, die das Streikrecht in dieser Hinsicht einschränken könnte, und behielt sich seinen Standpunkt zu diesem Punkt vor.

In ihrem Bericht stellt die Regierung fest, dass die Tatsache, dass die Arbeitsgerichte in ähnlichen Fällen unterschiedliche Entscheidungen getroffen haben, nicht unbedingt bedeutet, dass die betreffenden Gerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen über dieselbe Rechtsfrage haben; sie ist vielmehr der Ansicht, dass die abweichenden Entscheidungen auf Unterschiede in den zugrunde liegenden Fakten der einzelnen Fälle zurückzuführen sind. Die Regierung stellt ferner fest, dass es den Parteien freisteht, Rechtsfragen durch ein höheres Gericht klären zu lassen, und dass, wenn von den Parteien keine Berufung eingelegt wird, dies nicht bedeuten kann, dass es in Deutschland eine Einschränkung des Streikrechts gibt, die vom Gesetzgeber korrigiert werden muss. Dementsprechend erklärt die Regierung, dass sie nicht beabsichtigt, das gerichtliche Verfahren zur Gewährleistung des Streikrechts zu ändern, da sie der Auffassung ist, dass das derzeitige System es den betroffenen Parteien ermöglicht, die erforderliche rechtliche Klärung rasch herbeizuführen.

Der Bericht bestätigt, dass Beamte gemäß Artikel 33 Abs. 5 des Grundgesetzes Beamten kein Streikrecht zusteht. Der Ausschuss stellt fest, dass im Falle von Beamten, die keine öffentliche Gewalt ausüben, nur eine Einschränkung, aber kein absolutes Verbot gerechtfertigt werden kann (Schlussfolgerungen XVII-1, Deutschland). Aus dem Bericht geht hervor, dass das Streikverbot für Beamte während des Berichtszeitraums Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren war. Alle Verfahren betrafen die Teilnahme von verbeamteten Lehrern an Streiks. In seinem Urteil vom 15. Dezember 2010 (Az. 31 K 3904/10.0) entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf, dass Beamte in Deutschland nach wie vor nicht streikberechtigt sind. Das Gericht stellte aber auch fest, dass die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen der Teilnahme an einem Streik unzulässig sei, wenn der Beamte nicht im Kernbereich der öffentlichen Verwaltung mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt beschäftigt sei. In solchen Fällen müsse das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, weil nur so Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Rechnung getragen werden könne, so das betreffende Gericht. In seiner Entscheidung vom 27. Juli 2011 (Az. 28 K 574/10.KS:D) stellte das Verwaltungsgericht Kassel fest, dass das Streikverbot im Hinblick auf Artikel 11 EMRK nur für Beamte gelte, die Aufgaben im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Gewalt wahrnehmen. Dagegen entschied das Verwaltungsgericht Osnabrück am 19. August 2011 (Az. 9 A 1/11 und 9 A 2/11), dass Beamte nach der Bundesverfassung kein Streikrecht haben. Auch das letztgenannte Gericht stellte fest, dass eine funktionsbezogene Differenzierung einen Verstoß gegen Art. 33 Abs.. 5 des Grundgesetzes in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dar.

Im Anschluss an diese Auslegungen der genannten Gerichte sind Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten ergangen, in denen das Streikverbot für Beamte bestätigt wurde. So hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 07. März 2012 (Az. 3d A 317/11.0) die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aufgehoben. Es stellte fest, dass unabhängig von den Grundsätzen der EMRK die Koalitionsfreiheit für Beamte in Deutschland durch die in der Bundesverfassung verankerten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt ist. Ähnlich argumentierte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in zwei Entscheidungen vom 12. Juni 2012 (Az. 20 BD 7/11 und 20 BD 8/11): Selbst bei Berücksichtigung von Artikel 11 EMRK müsse davon ausgegangen werden, dass Beamte in Deutschland nicht streiken dürfen.

Der Ausschuss stellt fest, dass das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat. Im Revisionsverfahren (Az. 2 C 1/13, anhängig) wird zu klären sein, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht, insbesondere das Urteil Enerji Yapı-Yol Sen/Türkei vom 21. April 2009, für die Gültigkeit des verfassungsrechtlichen Streikverbots für Beamtinnen und Beamte bzw. für die Sanktionen, die bei einem Verstoß gegen dieses Verbot verhängt werden können, von Bedeutung ist. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sind gegen die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingelegt worden.

Der Ausschuss bittet darum, im nächsten Bericht aktuelle Informationen über die Entwicklung etwaiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und/oder des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkung des Streikrechts für Beamte zu geben.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das Streikrecht eines der wesentlichen Mittel ist, die den Arbeitnehmern und ihren Organisationen zur Förderung und zum Schutz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zur Verfügung stehen. Im Lichte von Artikel 31 der Charta „kann das Streikrecht für bestimmte Gruppen von Staatsbediensteten eingeschränkt werden, insbesondere für Angehörige der Polizei und der Streitkräfte, Richter und höhere Beamte. Die Verweigerung des Streikrechts für die Gesamtheit der öffentlich Bediensteten kann jedoch nicht als mit der Charta vereinbar angesehen werden“ (vgl. Schlussfolgerungen I (1969)). Der Ausschuss stellt ferner fest, dass im Falle von Beamten, die keine öffentliche Gewalt ausüben, nur eine Einschränkung, nicht aber ein absolutes Verbot gerechtfertigt werden kann (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005) Deutschland). Nach diesen Grundsätzen können alle öffentlichen Bediensteten, die keine hoheitlichen Befugnisse im Namen des Staates ausüben, zur Verteidigung ihrer Interessen auf Streikmaßnahmen zurückgreifen. Der Ausschuss stellt fest, dass der IAO-Sachverständigenausschuss für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen in seiner Beobachtung von 2011, die anlässlich seiner 101. Tagung (2012) veröffentlicht wurde, in Bezug auf das Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts Schlussfolgerungen angenommen hat, in denen die vorgenannten Grundsätze bestätigt werden.

In seiner letzten Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XIX-3 (2010)) nahm der Ausschuss die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2000 zur Kenntnis, wonach ein Beamter, der für die Aufnahme einer Tätigkeit im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages mit den privatisierten Unternehmen der Deutschen Post und der Deutschen Bahn beurlaubt wird, „grundsätzlich nicht dem Streikverbot unterliegt“. Er fragt, ob dies auch für alle verbeamteten Post- und Bahnangestellten gilt, die keine öffentliche Gewalt ausüben. Der Ausschuss bittet erneut darum, dass der nächste Bericht Informationen zu diesem Thema enthält.

Solange die gewünschten Informationen nicht vorliegen, behält sich der Ausschuss seinen Standpunkt zu diesem Punkt vor.

Folgen eines Streiks

Hinsichtlich der Verfahrensvorschriften für kollektive Maßnahmen und deren Folgen verweist der Ausschuss auf seine Bewertung der Situation in den Schlussfolgerungen XV-1 (2001) und XVI-1 (2003). In dem Bericht wird keine Änderung der Situation in dieser Hinsicht erwähnt.

Schlussfolgerung

Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 steht, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Voraussetzungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen“[7]conclusions XX-3 vom 5.12.2014 Germany zu Artikel 6 Nr. 4 ESC; übersetzt von DeepL; Quelle im internet in Englisch – das ist neben Französische eine der beiden Sprachen, die nach der ESC … Continue reading

References

References
1 https://www.sozialcharta.eu/europaeische-sozialcharta-9326/#8–artikel-6-%E2%80%93-das-recht-auf-kollektivverhandlungen
2, 5 EASR = Europäischer Ausschuss für soziale Rechte
3 vom März 2023
4 Quelle: Germany – Social Rights 1680aa9854 (coe.int) S. 29 ff.
6 Quelle: https://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3/def/DEU/6/4/EN
7 conclusions XX-3 vom 5.12.2014 Germany zu Artikel 6 Nr. 4 ESC; übersetzt von DeepL; Quelle im internet in Englisch – das ist neben Französische eine der beiden Sprachen, die nach der ESC gültig sind – hier zu finden

Streik(un)recht in Deutschland: Drei Fragen – drei Antworten

RA Benedikt Hopmann wurden drei Fragen zum Urteil des Landesarbeits gegen „wilde“ Gorillas-Streiks gestellt. Hier können die Fragen und Antworten gelesen werden.

1. Kurze Einführung der Fragesteller:

Letzten Monat bestätigte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Kündigungen gegen Gorillas-Beschäftigte, die 2021 gegen den Lieferdienst gestreikt hatten. Damit rückte erneut das – weitgehend auf „Richterrecht“ beruhende – Streikrecht in Deutschland in den Fokus, das „politische Streiks“ ebenso wie „wilde Streiks“ (d.h. Streik ohne Aufruf einer Gewerkschaft) illegalisiert.

Wir haben dazu Rechtsanwalt Benedikt Hopmann (Berlin) interviewt, der sich nicht nur für die Gorilla-Beschäftigten engagiert, sondern auch gegen die massiven Einschränkungen des Streikrechts durch die deutsche Rechtsprechung. Hier sei insbesondere die „Kampagne für ein umfassendes Streikrecht“ genannt (https://rechtaufstreik.noblogs.org/), die er unterstützt.

Für diese Kampagne sind Anke, Alex und andere verantwortlich. RA Benedikt Hopmann und RA Reinhold Niemerg sind für die anwaltliche Vertretung der drei Gorillas-Beschäftigten zuständig. Diesen drei Beschäftigten wurde gekündigt, weil sie an einem verbandsfreien Streik, also an einem Streik teilgenommen hatten, zu dem keine Gewerkschaft aufgerufen und den auch keine Gewerkschaft nachträglich übernommen hatte. Die drei Gorillas-Beschäftigten haben gegen ihre Kündigung Klage eingereicht.

2. Die drei Fragen und die drei Antworten:

Frage: Kannst du kurz darstellen, wofür die Gorilla-Beschäftigten gestreikt haben und unter welchen Umständen ihr Kampf erfolgte?

Den Gorillas Beschäftigten wurden die Löhne unpünktlich und unvollständig bezahlt. Außerdem erhielten für dieselbe Arbeit die einen 10,50 € und die anderen 12,00 €. Dagegen richtete sich ihr Streik. Die Beschäftigten kamen aus allen Ländern der Welt. 50 Prozent verfügten nur über eine sogenanntes working-holiday Visum, das eine Beschäftigug durch denselben Arbeitgeber nur für ein halbes Jahr erlaubt. Die übrigen waren ganz überwiegend auf ein Jahr befristet beschäftigt. Unter diesen Umständen war es unmöglich, einen von der Gewerkschaft als aureichend akzeptierten Organisationsgrad zu erreichen. Beschäftigten unter diesen Umständen nur den gewerkschaftlichen Streik zu erlauben, kommt einem Streikverbot zumindest sehr nahe.

Frage: Wie ist das, auch historisch, einzuordnen, dass ausgerechnet prekär Beschäftigten das Streikrecht verweigert wird, wenn keine Gewerkschaft den Streik „adoptiert“?

Nach herrschender Meinung sollen alle Streiks, die nicht einen Tarifabschluss zum Ziel haben, verboten sein. Das ist das entscheidende Dogma: Gestreikt werden darf nur, wenn der Streik auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet ist.

Dieses Verbot trifft auch verbandsfreie Streiks, wie den, den die Gorillas-Beschäftigten organisierten.

Tarifverträge wirken unmittelbar und zwingend, also wie Gesetze. Dass die Rechtsprechung für den Abschluss von solchen Tarifverträgen eine ausreichende Organisationsmacht verlangt, haben wir nicht angegriffen und solche Tarifverträge waren auch nicht das Ziel des Streiks der Gorillas-Beschäftigten. Also können auch nicht die Maßstäbe angelegt werden, die für den Kampf um Tarifverträgen entwickelt wurden. Wie sich zeigte, war ein Tarifvertrag auch gar nicht notwendig, um das Ziel der Gorillas-Beschäftigten zu erreichen. Das sahen die Beschäftigten einen Monat später auf ihrer Lohnabrechnung: Alle Beschäftigten mit derselbenTätigkeit bekamen 12,00 € – ohne dass dies durch einen Tarifvertrag vereinbart worden war. Natürlich ist ein Tarifvertrag besser als so eine einseitige Lohnangleichung von Unternehmensseite. Aber es ist auch mehr als nichts, wenn ein Unternehmen in dieser Weise den Forderungen der Beschäftigten nachgibt.

Die herrschende Meinung, die Streiks nur erlaubt, wenn sie auf einen Tarifvertrag gerichtet sind, trifft auch unmittelbar die Gewerkschaften: Wenn die Gewerkschaften gegen eine Entscheidung der Regierung oder des Parlaments streiken, dann geht es offensichtlich nicht um einen Tarifvertrag, der ja mit den Unternehmern oder deren Verbänden abgeschlossen wird. Die herrschende Lehre schließt daraus, dass auch der politische Streik verboten ist.

Das Dogma, dass Streiks an den Abschluss von Tarifverträgen gebunden sein sollen, geht auf ein Gutachten zurück, das der Jurist Hans Carl Nipperdey nach dem sogenannten Zeitungsstreik erstellte. Der Streik hatte 1952 dazu geführt, dass zwei Tage lang keine einzige Tageszeitung erschien. Die Gewerkschaften hatten damit gegen die Verschlechterungen in dem Betriebsverfassungsgesetz, das die Bundesregierung plante, protestiert. Der Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) war gegen diesen Zeitungsstreik vor Gericht gegangen und hatte Hans Carl Nipperdey mit einem Gutachten beauftragt. Wolfgang Abendroth erstellte das Gutachten für die Gewerkschaften. Hans Carl Nipperdey hatte während der Nazizeit das faschistische Arbeitsrecht “Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG)” kommentiert. Wolfgang Abendroth war in dieser Zeit im Widerstand auf Seiten der griechischen Partisanen gewesen. Alle Gerichte richteten sich nach dem Gutachten von Nipperdey und nur das Landesarbeitsgericht entschied auf dieser Grundlage, dass der Streik legal war. Das Bundesarbeitsgericht existierte damals noch nicht und konnte also in dieser Sache nicht entscheiden. Zum politischen Streik gibt es bis heute keine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.

Wer mehr über diesen Hans Carl Nipperdey wissen will, wird fündig unter https://widerstaendig.de/wer-war-hans-carl-nipperdey/

Wer wer mehr über die faschistischen Einflüsse in Betriebsverfassungsgesetz und Streikrecht wissen will, kann nachlesen unter: https://widerstaendig.de/faschistische-einfluesse-in-betriebsverfassung-und-streikrecht/

Frage: Streiks (wie zurzeit in Frankreich) gegen Regierungsentscheidungen sind verboten (Adenauer nannte das „Parlamentsnötigung“), Beamte dürfen überhaupt nicht streiken. Wie dagegen handeln in den Gewerkschaften?

Zum Verbot des Beamtenstreiks zunächst ein Beispiel: Mehrere tausend Beamtinnen und Beamte hatten sich vor einigen Jahren in Hessen an einem Streik beteiligt, obwohl sie wussten, dass der Beamtenstreik verboten ist. Deswegen wurden sie sanktioniert und dagegen haben die Sanktionierten geklagt. Das ging durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Jetzt wird die Sache vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt. Wie auch immer der Europäische Gerchtshof entscheidet: seine Urteile legen nur Mindeststandards fest. In Frankreich ist zum Beispiel jetzt schon der Beamtenstreik in viel größerem Ausmaß erlaubt als in Deutschland. Die einzelnen Länder sind also vollkommen frei, den Beschäftigten ein weiter gehendes, besseres Streikrecht einzuräumen.

Der Verlauf dieser gerichtlichen Auseinandersetzung zeigt: Am Anfang stand der Beamtenstreik trotz Verbot. Anders geht es nicht. Das gilt für das gesamte Streikrecht, weil es Richterrecht ist und die Richter nur dann die bisher geltende Rechtsprechung überdenken können, wenn ihnen ein Fall vorgelegt wird, der bisher verboten war. Dabei möchte ich wiederholen: Zum politischen Streikrecht hat das Bundesarbeitsgericht bisher noch nicht entschieden. Und – auch das sei angemerkt – die Begründung zum Verbot des verbandsfreien Streiks stammt aus dem Jahr 1963 und bedarf dringend einer Überprüfung.

Sehr wichtig als erster Schritt zu einem umfassenderen Streikrecht ist die Forderung nach Legalisierung des politischen Demonstrationsstreiks, der von vorherein auf maximal einen Tag befristet ist. Auch wenn der politische Demonstrationsstreik wiederholt werden kann, wäre es lächerlich, einen politischen Demonstrationsstreik als Parlamentnötigung zu beschreiben. Will man ernsthaft behaupten, das französiche Recht sei undemokratisch, weil es den politischen Streik erlaubt? Nein, es ist undemokratisch, das Recht des Volkes, seiner Meinung und seinem Willen Ausdruck zu geben, auf die Wahlen alle paar Jahre zu beschränken. Wenn es im Grundgesetz heißt “Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat”, dann ist mit Demokratie mehr gemeint als Wahlen. Demokratie ist Beteiligung des Volkes an den politischen Prozessen. Um dieses Demokratieverständnis müssen wir kämpfen. Es geht um ein Ziel, das weit über die Gewerkschaften hinaus Unterstützung finden sollte. Alle demokratisch gesinnten Menschen sollten sich dafür einsetzen, dass das Streikrecht nicht länger auf den Abschluss von Tarifverträgen beschränkt wird. Zum Beispiel können an den Universitäten die Beschäftigten zusammen mit den Studenten über dieses wichtige Thema Diskussionen organisieren. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass von den Universitäten wichtige Impulse ausgehen.

Wir wissen allerdings: Das wichtigste Fundament gewerkschaftlichen Handelns sind die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter selbst. Alles hängt von der Frage ab: Wofür sind wir bereit zu kämpfen? Früher oder später werden wir dann mit der Frage konfrontiert: Was hält uns auf? Für Deutschland kann ganz klar gesagt werden: Es ist der Staat und das von ihm verordnete extrem eingeschränkte Streikrecht, das uns daran hindert, so zu streiken wie in Frankreich. Ich habe allerdings den Eindruck, das finden alle ganz normal. Viele wissen das auch gar nicht. Aber wegen dieses restriktiven Streikrechts haben die Gewerkschaften nur in homöopathischen Dosen gestreikt, als das Renteneintrittsalter von der Schröder-Regierung von 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt wurde. Sie hatten Angst vor Schadenersatzforderungen. Es ist also nicht eine Frage der ‘Kultur’, wenn die französischen Gewerkschaften gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters streiken, die deutschen aber nicht. Der Grund ist das deutsche Streikrecht.

Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun, und der heißt: Mehr und gründlich über dieses wichtige Thema in den gewerkschaftlichen Gliederungen zu sprechen. Wir dürfen dieses Thema nicht den Rechtsabteilungen überlassen. Es ist eine Frage, die alle angeht und von allen diskutiert werden muss.

Hinweis: Die drei Fragen wurden von der Zeitung „freie Plattform für Arbeiterpolitik“ Nr. 84 v. 8. Mai 2023 gestellt und dort auch die Antworen erstmalig veröffentlicht.