China – eine aufstrebende Weltmacht

Einleitung: Die USA erwirtschafteten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Hälfte des Welt-Bruttosozialprodukts. Zwischen 2002 und 2022 stieg Chinas Anteil am Welt-BIP von 8,1 Prozent auf 18,8 Prozent. Der Anteil der USA sank im gleichen Zeitraum von 19,8 auf 15,8 Prozent. Der Anteil der EU schrumpfte von 19.9 auf 14,8 Prozent.[1]Belege für die Behauptungen in den einleitenden drei Sätzen oben in: Beate Landefeld „Kräfteverhältnisse und Formen der Ostexpansion“ in: Marxistische Blätter 3_2023 S. 98 ff; dort … Continue reading

Inhalt:


China zur US-Hegemonie und ihre Gefahren

Im Folgenden geben wir in vollem Wortlaut eine Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums vom Februar 2023 mit der Überschrift “Die US-Hegemonie und ihre Gefahren” wieder. Diese Stellungnahme ist lesenswert.

Aus der Einleitung:

„Seit die Vereinigten Staaten nach den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg zum mächtigsten Land der Welt geworden sind, haben sie sich immer dreister in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eingemischt, ihre Hegemonie angestrebt, aufrechterhalten und missbraucht, Subversion und Infiltration vorangetrieben und vorsätzlich Kriege geführt, die der internationalen Gemeinschaft Schaden zufügen.

Die Vereinigten Staaten haben ein hegemoniales Drehbuch entwickelt, um unter dem Deckmantel der Förderung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten “farbige Revolutionen” zu inszenieren, regionale Streitigkeiten anzuzetteln und sogar direkt Kriege zu führen. In Anlehnung an die Mentalität des Kalten Krieges haben die Vereinigten Staaten die Blockpolitik angeheizt und Konflikte und Konfrontationen geschürt. Sie haben das Konzept der nationalen Sicherheit überstrapaziert, Exportkontrollen missbraucht und anderen einseitige Sanktionen aufgezwungen. Sie sind selektiv mit internationalem Recht und internationalen Regeln umgegangen, haben sie je nach Bedarf genutzt oder verworfen und versucht, im Namen der Aufrechterhaltung einer “regelbasierten internationalen Ordnung” Regeln durchzusetzen, die ihren eigenen Interessen dienen.

Dieser Bericht versucht durch die Darstellung der relevanten Fakten den Hegemoniemissbrauch der USA im politischen, militärischen, wirtschaftlichen, finanziellen, technologischen und kulturellen Bereich aufzudecken und die internationale Aufmerksamkeit auf die Gefahren der US-Praktiken für den Weltfrieden und die Stabilität sowie das Wohlergehen aller Völker zu lenken.“

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Chinas Position zur Politischen Beilegung der Ukraine-Krise

China legte am 24.Februar 2023 einen Vorschlag zur Beendigung des Krieges in der Ukraine vor. Es gibt keine einzige Forderung, die nicht auch im Sinne der Friedensbewegung ist. Ja, es ist sogar so: Sehr wichtige Forderungen der Friedensbewegung sind in diesen zwölf Punkten enthalten. Hinzu kommen unsere Forderungen: Keine Waffenlieferungen an die Ukraine! Keine Militarisierung Deutschlands! Die Friedensbewegung sollte entschiedener reagieren und die Bundesregierung auffordern, diesen Plan aktiv zu unterstützen, wie dies Brasilien schon jetzt macht. Hier die zwölf Punkte der chinesischen Initiative:

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Über China im Jahr 1959 in der Zeitschrift der VVN Westberlin „Mahnruf“

„Der Mahnruf“ – Mitteilungsblatt für die Mitglieder der VVN Westberlin, Nr. 09/ März-April 1959

Quellenangabe:Der Mahnruf“


References

References
1 Belege für die Behauptungen in den einleitenden drei Sätzen oben in: Beate Landefeld „Kräfteverhältnisse und Formen der Ostexpansion“ in: Marxistische Blätter 3_2023 S. 98 ff; dort wird auf die beiden folgenden Fundstellen verwiesen: Jörg Nagler, USA – Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft, Kalter Krieg von 1945-1989, Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung bpb, 20.3.2014; https://de.statista.com/infografik/27680/anteil-am-kaufkraftbereinigten-globalen-bruttoinlandsprodukt/

Artikel 6 Europäische Sozialcharta

Hier werden wichtige Informationen zu Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta (ESC) veröffentlicht.

Es wird der Wortlaut des Art. 6 ESC wiedergegeben, wobei die Garantien zum Streikrecht fett gedruckt sind (Art. 6 Nr. 4 ESC). Die Europäische Sozialcharta (ESC) wurde überarbeitet und nach 20 Jahren stimmte auch der Bundestag dieser revidierten Fassung RESC zu.

Außerdem werden im Folgenden die Berichte („conclusions“) des zuständigen Sachverständigenausschusses EASR aus den Jahren 2014 und 2019 in vollem Wortlaut dokumentiert. Dort finden sich unter anderem kritische Aussagen zur Einschränkung des Streikrechts in Deutschland,

  • weil nur Gewerkschaften zum Streik aufrufen oder ihn später übernehmen dürfen,
  • weil die Streikziele auf tariflich regelbare Ziele begrenzt werden und
  • weil alle Beamte in Deutschland nicht streiken dürfen.

Der Sachverständigenausschuss ist das zuständige Gremium, das die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta kontrolliert (Teil IV Art. C RESC i.V.m. Art. 25 ff. ESC).

Wenn diese Berichte nicht von den Staaten beachtet werden, die die ESC unterzeichnet haben, entsteht eine deutsche, spanische, englische französische Sozialcharta. Die europäische Sozialcharta würde nicht mehr existieren.

Inhalt:


Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta

Art. 6 der Europäischen Sozialcharta lautet[1]https://www.sozialcharta.eu/europaeische-sozialcharta-9326/#8–artikel-6-%E2%80%93-das-recht-auf-kollektivverhandlungen:

Artikel 6 – Das Recht auf Kollektivverhandlungen

Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien:

  1. gemeinsame Beratungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu fördern;
  2. Verfahren für freiwillige Verhandlungen zwischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberorganisationen einerseits und Arbeitnehmerorganisationen andererseits zu fördern, soweit dies notwendig und zweckmäßig ist, mit dem Ziele, die Beschäftigungsbedingungen durch Gesamtarbeitsverträge zu regeln;
  3. die Einrichtung und die Benutzung geeigneter Vermittlungs- und freiwilliger Schlichtungsverfahren zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu fördern;
    und anerkennen:
  4. das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen.

Hinweis: Wir haben den für das Streikrecht maßgebenden Text fett hervorgehoben.


Bericht des Sachverständigenausschusses des Jahres 2022 über die Einhaltung des Streikrechts nach Art. 6 Nr. 4 ESC durch Deutschland

Bericht des Sachverständigenausschusses[2]EASR = Europäischer Ausschuss für soziale Rechte des Jahres 2022[3]vom März 2023 über die Einhaltung von Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta durch Deutschland[4]Quelle: Germany – Social Rights 1680aa9854 (coe.int) S. 29 ff.:

„Der Ausschuss nimmt die in dem von Deutschland vorgelegten Bericht enthaltenen Informationen und die Hinweise des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur Kenntnis. …

Der Ausschuss erinnert … daran, dass er in der Allgemeinen Einführung zu den Schlussfolgerungen XXI-3 (2018) eine allgemeine Frage nach Artikel 6 Absatz 4 gestellt und die Staaten gebeten hat, im nächsten Bericht Angaben zu machen, Informationen über das Streikrecht von Angehörigen der Polizei und etwaige Beschränkungen vorzulegen.

In seiner vorherigen Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XXI-3 (2018)) war der Ausschuss der Ansicht, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 stand, weil

  • das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellte;
  • die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellte;
  • die Verweigerung des Streikrechtes für alle Beamten, unabhängig davon, ob sie eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellte.

Die Bewertung des Ausschusses wird sich daher auf die in dem Bericht enthaltenen Informationen beziehen als Antwort auf die Feststellung der Nichtübereinstimmung und auf die allgemeine Frage.

Recht auf kollektive Maßnahmen

Definition und zulässige Ziele

In Bezug auf den ersten Grund der Nichtübereinstimmung (Streiks sind nur dann zulässig, wenn sie auf die Aushandlung eines Tarifvertrags abzielen, stellt eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts dar), erklärt die Regierung, dass sie dem Ausschuss nicht zustimmt. Sie weist darauf hin, dass sich der gesetzliche Rahmen nicht geändert hat, und verweist auf ihre früheren Berichte.

Da sich die Situation nicht geändert hat, bekräftigt der Ausschuss seine Schlussfolgerung der Nichtübereinstimmung zu diesem Punkt.

Berechtigung zur Einreichung einer Sammelklage

In Bezug auf den zweiten Grund der Nichtübereinstimmung (die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, stellen eine eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts dar), erklärt die Regierung, dass sie nicht die Auffassung des Ausschusses teile. Sie weist darauf hin, dass der gesetzliche Rahmen nicht geändert wurde, und verweist auf ihre früheren Berichte. Sie weist insbesondere erneut darauf hin, dass die Anforderung, dass eine Gruppe von Arbeitnehmern in der Lage ist, Tarifverhandlungen zu führen (ihre „Durchsetzungsfähigkeit“), notwendig ist, um sicherzustellen, dass die Gegenseite Verhandlungsangebote nicht ablehnen kann.

Da sich die Situation nicht geändert hat, bekräftigt der Ausschuss seine Schlussfolgerung der Nichtübereinstimmung in diesem Punkt.

Beschränkungen des Streikrechts, Verfahrensvorschriften

In Bezug auf den dritten Grund der Nichtübereinstimmung (Beamte sind nicht streikberechtigt) erklärt die Regierung, dass das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 12. Juni 2018 (Az. 2 BvR 1738/12) Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, dass das Streikverbot für Beamte unabhängig von der Art der ausgeübten Tätigkeit ein eigenständiger und hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Artikels 33 Absatz 5 des Grundgesetzes sei, der eine Einschränkung des Koalitionsrechts rechtfertige. Das Verbot stehe insbesondere in engem Zusammenhang mit dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, der Treuepflicht und dem Grundsatz der lebenslangen Beschäftigung.

Das Bundesverfassungsgericht fügte hinzu, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen seien. In diesem Zusammenhang entschied es, dass das Streikverbot für Streikverbot für Beamte in Deutschland mit den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sei und ein Widerspruch zwischen dem deutschen Recht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 11 der Konvention (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) nicht festgestellt worden sei.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass Beamte das Recht auf Streik gemäß Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 haben. Das Verbot der Ausübung des Streikrechts für alle öffentlichen Bediensteten steht nicht im nicht im Einklang mit dieser Bestimmung. Daher bekräftigt der Ausschuss seine Schlussfolgerung, dass dieses Verbot nicht mit Art. 6 Absatz 4 der Charta vereinbar ist.


Schlussfolgerung (conclusion)

Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Nr. 4 der Charta von 1961 nicht im Einklang steht, und zwar aus folgenden Gründen:

das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen eine übermäßige Einschränkung des Streikrechtes darstellt;

die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt
Streikrecht;

allen Beamten, unabhängig davon, ob sie öffentliche Ämter ausüben, das Streikrecht verweigert wird.“


Bericht des Sachverständigenausschusses des Jahres 2019 über die Einhaltung des Streikrechts nach Art. 6 Nr. 4 ESC durch Deutschland

Bericht des Sachverständigenausschusses[5]EASR = Europäischer Ausschuss für soziale Rechte des Jahres 2019 über die Einhaltung von Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta durch Deutschland[6]Quelle: https://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3/def/DEU/6/4/EN:

Der Ausschuss nimmt die in dem von Deutschland vorgelegten Bericht enthaltenen Informationen zur Kenntnis.

Kollektivmaßnahmen: Definition und zulässige Ziele

Das deutsche Gesetz über kollektive Maßnahmen, das sich auf Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes in der Auslegung durch die Gerichte stützt, verbietet nach wie vor Streiks, die nicht den Abschluss von Tarifverträgen zum Ziel haben. Seit seiner ersten Schlussfolgerung (Schlussfolgerung I (1969)) hat der Ausschuss festgestellt, dass dieses Verbot nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Charta steht. Zuvor (Schlussfolgerungen XX-3 (2014)) behielt er sich seine Position für den Fall vor, dass bestimmte Situationen auf Interessenkonflikte hinweisen, die nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen abzielen und nicht von einem zuständigen Gericht gelöst werden können. Nun bekräftigt er jedoch die Feststellung der Nichtkonformität, da die Zulassung des Streikrechts nur dann, wenn es auf den Abschluss eines Tarifvertrags abzielt, das Streikrecht unangemessen einschränkt.

Recht auf Aufruf zu einer kollektiven Aktion

Der Ausschuss hatte zuvor festgestellt, dass die Situation nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 steht, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen. An dieser Situation hat sich nichts geändert. Daher bekräftigt der Ausschuss seine frühere Schlussfolgerung.

Spezifische Einschränkungen des Streikrechts und Verfahrensvorschriften

Der Ausschuss hat bereits früher festgestellt, dass die Situation in Deutschland nicht konform ist, weil das Streikverbot für Beamte eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt. An dieser Situation hat sich nichts geändert. Daher bekräftigt der Ausschuss seine früheren Schlussfolgerungen.

Der Ausschuss erinnert daran, dass das Streikrecht eines der wesentlichen Mittel ist, die den Arbeitnehmern und ihren Organisationen zur Förderung und zum Schutz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zur Verfügung stehen. Im Lichte von Artikel 31 der Charta „kann das Streikrecht für bestimmte Gruppen von Staatsbediensteten eingeschränkt werden, insbesondere für Angehörige der Polizei und der Streitkräfte, Richter und höhere Beamte.

Die Verweigerung des Streikrechts für die Gesamtheit der öffentlich Bediensteten kann jedoch nicht als mit der Charta vereinbar angesehen werden“ (vgl. Schlussfolgerungen I (1969)). Der Ausschuss stellt ferner fest, dass im Falle von Beamten, die keine öffentliche Gewalt ausüben, nur eine Einschränkung, nicht aber ein absolutes Verbot gerechtfertigt werden kann (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005) Deutschland). Nach diesen Grundsätzen sollten alle öffentlichen Bediensteten, die keine hoheitlichen Befugnisse im Namen des Staates ausüben, zur Verteidigung ihrer Interessen auf Streiks zurückgreifen können.

Der Ausschuss verweist auf seine allgemeine Frage nach dem Streikrecht für Angehörige der Polizei.
Folgen eines Streiks

Der Ausschuss stellt fest, dass sich an der Situation in diesem Bereich, die er zuvor als mit der Charta konform befunden hatte, nichts geändert hat.

Schlussfolgerung

Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 steht, und zwar aus folgenden Gründen:

das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt und

die Anforderungen, die eine Gruppe von Beschäftigten erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Voraussetzungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen und

die Verweigerung des Streikrechts für Beamte insgesamt, unabhängig davon, ob sie öffentliche Ämter ausüben, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt.

Quelle: https://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3/def/DEU/6/4/EN


Bericht des Sachverständigenausschusses 2014 über die Einhaltung des Streikrechts nach Art. 6 Nr. 4 ESC durch Deutschland

„Der Ausschuss nimmt die in dem von Deutschland vorgelegten Bericht enthaltenen Informationen zur Kenntnis.

Kollektive Maßnahmen: Definition und zulässige Ziele

Das deutsche Recht der kollektiven Maßnahmen, das auf Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes in der Auslegung durch die Gerichte beruht, sieht nach wie vor vor, dass kollektive Maßnahmen zulässig sind. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes in der Auslegung durch die Gerichte, verbietet nach wie vor Streiks, die nicht den Abschluss von Tarifverträgen zum Gegenstand haben. Seit seiner ersten Schlussfolgerung (Schlussfolgerung I (1969)) hat der Ausschuss festgestellt, dass dieses Verbot gegen Artikel 6 Absatz 4 der Charta verstößt. Ohne dieser Einschätzung zu widersprechen, wies der Ausschuss in den Schlussfolgerungen XIII-4 darauf hin, dass „Artikel 6 Abs. 4 nicht zur Rechtfertigung eines Streiks zu politischen Zwecken oder eines Streiks zur Anfechtung des Bestehens, der Gültigkeit oder der Auslegung eines Tarifvertrags herangezogen werden kann“.

In Beantwortung des Ersuchens des Ausschusses um Informationen darüber, wie die deutschen Behörden dieser negativen Schlussfolgerung Rechnung getragen haben, die in der Empfehlung Nr. R ChS (98) 2 des Ministerkomitees an Deutschland wiederholt wurde, erklärte die Regierung, dass es aus verfassungsrechtlichen und politischen Gründen nicht möglich sei, die Situation zu ändern (siehe den von Deutschland im Hinblick auf die Schlussfolgerungen XV-1 (2001) des Ausschusses vorgelegten Bericht).

Da sich die Situation in den aufeinanderfolgenden Berichtszeiträumen, die in den Schlussfolgerungen XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) und XIX-3 (2010) geprüft wurden, nicht geändert hatte, bekräftigte der Ausschuss seine Schlussfolgerung, dass das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen, im deutschen Recht gegen Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 verstößt.

Da dieser Punkt in dem Bericht nicht erwähnt wird, nimmt der Ausschuss die Informationen zur Kenntnis, die der deutsche Vertreter dem Regierungsausschuss der Europäischen Sozialcharta vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang erklärte der deutsche Vertreter: „Es gibt keine Aussichten auf eine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage“ und dass es „angesichts der grundlegend gegensätzlichen Positionen der politischen Kräfte zu kollektiven Maßnahmen nicht möglich ist (…), sich auf eine Gesetzgebung zu einigen (…)“.

Der Ausschuss geht davon aus, dass das deutsche Rechtssystem die Interessen der Arbeitnehmer auf unterschiedliche Weise schützt, je nachdem, ob es sich um einen Interessenkonflikt oder einen Rechtskonflikt handelt. Rechtskonflikte werden durch Gesetze, Rechtsnormen oder die Bestimmungen bestehender Tarifverträge oder individueller Verträge geregelt und von Gerichten gelöst. Interessenkonflikte werden durch Tarifverhandlungen gelöst, und nur für solche Fälle sieht das deutsche Rechtssystem kollektive Maßnahmen als Mittel zur Lösung eines solchen Konflikts vor, wenn sich die Tarifparteien ansonsten nicht einigen können.

Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 verweist auf das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf kollektive Maßnahmen bei Interessenkonflikten und erkennt damit an, dass es andere Arten von Konflikten geben kann, bei denen die Interessen der Arbeitnehmer durch andere Mittel als kollektive Maßnahmen geschützt werden können. Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 muss jedoch auch dahingehend ausgelegt werden, dass die Staaten sicherstellen müssen, dass Arbeiter und Angestellte ihr Recht auf Kollektivverhandlungen wirksam ausüben können, einschließlich des Streikrechts zur Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen, und dass die Umstände, unter denen Arbeiter und Angestellte kollektive Maßnahmen ergreifen können, nicht übermäßig eingeschränkt werden.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der spezifische deutsche Ansatz, der die Entscheidung von Rechtskonflikten den Gerichten überlässt und gleichzeitig vorschreibt, dass kollektive Maßnahmen auf die Lösung von Interessenkonflikten ausgerichtet sein müssen, grundsätzlich mit den Bestimmungen von Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 im Einklang steht, solange das Recht der Arbeiter und Angestellten auf kollektive Maßnahmen im Zusammenhang mit Interessenkonflikten nicht übermäßig eingeschränkt wird.

Der Schutz des Rechts auf kollektive Maßnahmen gemäß der Charta von 1961 verfolgt das Ziel, kollektive Konflikte zu lösen. Solange dieses Ziel in der Praxis tatsächlich gewährleistet ist, können gleichwertige Mittel zu diesem Zweck geschaffen werden. Der Ausschuss behält sich jedoch eine Stellungnahme für den Fall vor, dass bestimmte Situationen auf Interessenkonflikte hindeuten, die nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen abzielen und nicht durch ein zuständiges Gericht gelöst werden können.

Berechtigung zur Einreichung einer Sammelklage

In den Schlussfolgerungen XV-1 (2001), XVI-1 (2003), XVII-1 (2005), XVIII-1 (2006) und XIX-3 (2010) stellte der Ausschuss fest, dass die Situation in Deutschland nicht mit Artikel 6 Absatz 4 vereinbar ist, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Bedingungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen. Diese Schlussfolgerungen berücksichtigen die in der deutschen Rechtsprechung festgelegten Kriterien, die eine Gewerkschaft erfüllen muss, um einen rechtmäßigen Streik ausrufen zu können, und stützen sich auf den vom Ausschuss aufgestellten Grundsatz, dass es mit der Charta vereinbar sein kann, das Streikrecht den Gewerkschaften vorzubehalten, wenn die Arbeitnehmer problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Gewerkschaft zum Zwecke eines Streiks gründen können (vgl. Schlussfolgerungen XV-1 (2001), Schweden).

Der Bericht geht nicht auf diesen Punkt ein. Der Ausschuss nimmt die Informationen zur Kenntnis, die der deutsche Vertreter dem Regierungsausschuss zu diesem Thema vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang erklärte der deutsche Vertreter, dass die dem letzten Bericht beigefügten Streikstatistiken „in keiner Weise darauf hindeuten, dass die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Streik schwer zu erfüllen sind“. Er führte weiter aus, dass „die deutsche Rechtsprechung zum Recht auf kollektive Maßnahmen bewusst die Rechtmäßigkeit von Streiks ausschließt, die von einer kleinen Gruppe von Arbeitnehmern außerhalb von Gewerkschaftsorganisationen mit Tarifverhandlungsbefugnis angezettelt werden; dies entspricht dem Grundsatz, dass wirksame Tarifverträge nur von Gewerkschaften mit der Fähigkeit zu Kollektivverhandlungen in einem kollektiven Rahmen – und wenn möglich ohne kollektive Maßnahmen – abgeschlossen werden können.“

In Anbetracht dieser Erklärungen erinnert der Ausschuss daran, dass es mit der Charta vereinbar sein kann, das Streikrecht den Gewerkschaften vorzubehalten, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Gewerkschaft zum Zwecke eines Streiks gründen können. In Bezug auf die Frage, auf die sich die Verletzung bezieht, möchte sie wissen, ob die in der deutschen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien, die eine Gewerkschaft erfüllen muss, um in den Genuss des Schutzes aus Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, auch in Bezug auf das Recht, kollektive Maßnahmen zu ergreifen, wie sie vom Ausschuss im Addendum zu den Schlussfolgerungen XVI-1 (2001) zusammengefasst wurden, weiterhin angewandt werden.

Da sich die Situation in diesem Punkt nicht geändert hat, ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Anforderungen, die eine Gruppe von Beschäftigten erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Voraussetzungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen.

Spezifische Einschränkungen des Streikrechts und Verfahrensvorschriften

In seiner früheren Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XIX-3 (2010)) hat der Ausschuss hervorgehoben, dass es Aufgabe des Vertragsstaates ist, dafür zu sorgen, dass die innerstaatlichen Gerichte vernünftig handeln und dass ihre Eingriffe insbesondere nicht den Kern des Streikrechts angreifen und es damit seiner Wirksamkeit berauben (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005)). In der oben genannten Schlussfolgerung stellte der Ausschuss fest, dass im Falle von einstweiligen Verfügungen, die von einem Gericht auf Antrag eines Arbeitgebers gegen einen Streik erlassen werden, keine Möglichkeit besteht, auf Bundesebene, insbesondere beim Bundesarbeitsgericht, Rechtsmittel einzulegen. Er stellte fest, dass in Ermangelung einer gesetzlichen Garantie des Streikrechts die Gefahr der Rechtsunsicherheit bestehe, da verschiedene Gerichte in verschiedenen Bundesländern in ähnlichen Fällen zu abweichenden Entscheidungen kommen könnten. Der Ausschuss bat daher erneut um weitere Informationen über Mittel und Wege zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit, die das Streikrecht in dieser Hinsicht einschränken könnte, und behielt sich seinen Standpunkt zu diesem Punkt vor.

In ihrem Bericht stellt die Regierung fest, dass die Tatsache, dass die Arbeitsgerichte in ähnlichen Fällen unterschiedliche Entscheidungen getroffen haben, nicht unbedingt bedeutet, dass die betreffenden Gerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen über dieselbe Rechtsfrage haben; sie ist vielmehr der Ansicht, dass die abweichenden Entscheidungen auf Unterschiede in den zugrunde liegenden Fakten der einzelnen Fälle zurückzuführen sind. Die Regierung stellt ferner fest, dass es den Parteien freisteht, Rechtsfragen durch ein höheres Gericht klären zu lassen, und dass, wenn von den Parteien keine Berufung eingelegt wird, dies nicht bedeuten kann, dass es in Deutschland eine Einschränkung des Streikrechts gibt, die vom Gesetzgeber korrigiert werden muss. Dementsprechend erklärt die Regierung, dass sie nicht beabsichtigt, das gerichtliche Verfahren zur Gewährleistung des Streikrechts zu ändern, da sie der Auffassung ist, dass das derzeitige System es den betroffenen Parteien ermöglicht, die erforderliche rechtliche Klärung rasch herbeizuführen.

Der Bericht bestätigt, dass Beamte gemäß Artikel 33 Abs. 5 des Grundgesetzes Beamten kein Streikrecht zusteht. Der Ausschuss stellt fest, dass im Falle von Beamten, die keine öffentliche Gewalt ausüben, nur eine Einschränkung, aber kein absolutes Verbot gerechtfertigt werden kann (Schlussfolgerungen XVII-1, Deutschland). Aus dem Bericht geht hervor, dass das Streikverbot für Beamte während des Berichtszeitraums Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren war. Alle Verfahren betrafen die Teilnahme von verbeamteten Lehrern an Streiks. In seinem Urteil vom 15. Dezember 2010 (Az. 31 K 3904/10.0) entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf, dass Beamte in Deutschland nach wie vor nicht streikberechtigt sind. Das Gericht stellte aber auch fest, dass die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen der Teilnahme an einem Streik unzulässig sei, wenn der Beamte nicht im Kernbereich der öffentlichen Verwaltung mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt beschäftigt sei. In solchen Fällen müsse das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, weil nur so Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Rechnung getragen werden könne, so das betreffende Gericht. In seiner Entscheidung vom 27. Juli 2011 (Az. 28 K 574/10.KS:D) stellte das Verwaltungsgericht Kassel fest, dass das Streikverbot im Hinblick auf Artikel 11 EMRK nur für Beamte gelte, die Aufgaben im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Gewalt wahrnehmen. Dagegen entschied das Verwaltungsgericht Osnabrück am 19. August 2011 (Az. 9 A 1/11 und 9 A 2/11), dass Beamte nach der Bundesverfassung kein Streikrecht haben. Auch das letztgenannte Gericht stellte fest, dass eine funktionsbezogene Differenzierung einen Verstoß gegen Art. 33 Abs.. 5 des Grundgesetzes in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dar.

Im Anschluss an diese Auslegungen der genannten Gerichte sind Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten ergangen, in denen das Streikverbot für Beamte bestätigt wurde. So hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 07. März 2012 (Az. 3d A 317/11.0) die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aufgehoben. Es stellte fest, dass unabhängig von den Grundsätzen der EMRK die Koalitionsfreiheit für Beamte in Deutschland durch die in der Bundesverfassung verankerten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt ist. Ähnlich argumentierte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in zwei Entscheidungen vom 12. Juni 2012 (Az. 20 BD 7/11 und 20 BD 8/11): Selbst bei Berücksichtigung von Artikel 11 EMRK müsse davon ausgegangen werden, dass Beamte in Deutschland nicht streiken dürfen.

Der Ausschuss stellt fest, dass das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat. Im Revisionsverfahren (Az. 2 C 1/13, anhängig) wird zu klären sein, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht, insbesondere das Urteil Enerji Yapı-Yol Sen/Türkei vom 21. April 2009, für die Gültigkeit des verfassungsrechtlichen Streikverbots für Beamtinnen und Beamte bzw. für die Sanktionen, die bei einem Verstoß gegen dieses Verbot verhängt werden können, von Bedeutung ist. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sind gegen die Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingelegt worden.

Der Ausschuss bittet darum, im nächsten Bericht aktuelle Informationen über die Entwicklung etwaiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und/oder des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkung des Streikrechts für Beamte zu geben.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das Streikrecht eines der wesentlichen Mittel ist, die den Arbeitnehmern und ihren Organisationen zur Förderung und zum Schutz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zur Verfügung stehen. Im Lichte von Artikel 31 der Charta „kann das Streikrecht für bestimmte Gruppen von Staatsbediensteten eingeschränkt werden, insbesondere für Angehörige der Polizei und der Streitkräfte, Richter und höhere Beamte. Die Verweigerung des Streikrechts für die Gesamtheit der öffentlich Bediensteten kann jedoch nicht als mit der Charta vereinbar angesehen werden“ (vgl. Schlussfolgerungen I (1969)). Der Ausschuss stellt ferner fest, dass im Falle von Beamten, die keine öffentliche Gewalt ausüben, nur eine Einschränkung, nicht aber ein absolutes Verbot gerechtfertigt werden kann (Schlussfolgerungen XVII-1 (2005) Deutschland). Nach diesen Grundsätzen können alle öffentlichen Bediensteten, die keine hoheitlichen Befugnisse im Namen des Staates ausüben, zur Verteidigung ihrer Interessen auf Streikmaßnahmen zurückgreifen. Der Ausschuss stellt fest, dass der IAO-Sachverständigenausschuss für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen in seiner Beobachtung von 2011, die anlässlich seiner 101. Tagung (2012) veröffentlicht wurde, in Bezug auf das Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts Schlussfolgerungen angenommen hat, in denen die vorgenannten Grundsätze bestätigt werden.

In seiner letzten Schlussfolgerung (Schlussfolgerungen XIX-3 (2010)) nahm der Ausschuss die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2000 zur Kenntnis, wonach ein Beamter, der für die Aufnahme einer Tätigkeit im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages mit den privatisierten Unternehmen der Deutschen Post und der Deutschen Bahn beurlaubt wird, „grundsätzlich nicht dem Streikverbot unterliegt“. Er fragt, ob dies auch für alle verbeamteten Post- und Bahnangestellten gilt, die keine öffentliche Gewalt ausüben. Der Ausschuss bittet erneut darum, dass der nächste Bericht Informationen zu diesem Thema enthält.

Solange die gewünschten Informationen nicht vorliegen, behält sich der Ausschuss seinen Standpunkt zu diesem Punkt vor.

Folgen eines Streiks

Hinsichtlich der Verfahrensvorschriften für kollektive Maßnahmen und deren Folgen verweist der Ausschuss auf seine Bewertung der Situation in den Schlussfolgerungen XV-1 (2001) und XVI-1 (2003). In dem Bericht wird keine Änderung der Situation in dieser Hinsicht erwähnt.

Schlussfolgerung

Der Ausschuss kommt zu dem Schluss, dass die Situation in Deutschland nicht im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Charta von 1961 steht, da die Anforderungen, die eine Gruppe von Arbeitnehmern erfüllen muss, um eine Gewerkschaft zu gründen, die die Voraussetzungen für einen Streik erfüllt, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellen“[7]conclusions XX-3 vom 5.12.2014 Germany zu Artikel 6 Nr. 4 ESC; übersetzt von DeepL; Quelle im internet in Englisch – das ist neben Französische eine der beiden Sprachen, die nach der ESC … Continue reading

References

References
1 https://www.sozialcharta.eu/europaeische-sozialcharta-9326/#8–artikel-6-%E2%80%93-das-recht-auf-kollektivverhandlungen
2, 5 EASR = Europäischer Ausschuss für soziale Rechte
3 vom März 2023
4 Quelle: Germany – Social Rights 1680aa9854 (coe.int) S. 29 ff.
6 Quelle: https://hudoc.esc.coe.int/eng?i=XXI-3/def/DEU/6/4/EN
7 conclusions XX-3 vom 5.12.2014 Germany zu Artikel 6 Nr. 4 ESC; übersetzt von DeepL; Quelle im internet in Englisch – das ist neben Französische eine der beiden Sprachen, die nach der ESC gültig sind – hier zu finden

Streik(un)recht in Deutschland: Drei Fragen – drei Antworten

RA Benedikt Hopmann wurden drei Fragen zum Urteil des Landesarbeits gegen „wilde“ Gorillas-Streiks gestellt. Hier können die Fragen und Antworten gelesen werden.

1. Kurze Einführung der Fragesteller:

Letzten Monat bestätigte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Kündigungen gegen Gorillas-Beschäftigte, die 2021 gegen den Lieferdienst gestreikt hatten. Damit rückte erneut das – weitgehend auf „Richterrecht“ beruhende – Streikrecht in Deutschland in den Fokus, das „politische Streiks“ ebenso wie „wilde Streiks“ (d.h. Streik ohne Aufruf einer Gewerkschaft) illegalisiert.

Wir haben dazu Rechtsanwalt Benedikt Hopmann (Berlin) interviewt, der sich nicht nur für die Gorilla-Beschäftigten engagiert, sondern auch gegen die massiven Einschränkungen des Streikrechts durch die deutsche Rechtsprechung. Hier sei insbesondere die „Kampagne für ein umfassendes Streikrecht“ genannt (https://rechtaufstreik.noblogs.org/), die er unterstützt.

Für diese Kampagne sind Anke, Alex und andere verantwortlich. RA Benedikt Hopmann und RA Reinhold Niemerg sind für die anwaltliche Vertretung der drei Gorillas-Beschäftigten zuständig. Diesen drei Beschäftigten wurde gekündigt, weil sie an einem verbandsfreien Streik, also an einem Streik teilgenommen hatten, zu dem keine Gewerkschaft aufgerufen und den auch keine Gewerkschaft nachträglich übernommen hatte. Die drei Gorillas-Beschäftigten haben gegen ihre Kündigung Klage eingereicht.

2. Die drei Fragen und die drei Antworten:

Frage: Kannst du kurz darstellen, wofür die Gorilla-Beschäftigten gestreikt haben und unter welchen Umständen ihr Kampf erfolgte?

Den Gorillas Beschäftigten wurden die Löhne unpünktlich und unvollständig bezahlt. Außerdem erhielten für dieselbe Arbeit die einen 10,50 € und die anderen 12,00 €. Dagegen richtete sich ihr Streik. Die Beschäftigten kamen aus allen Ländern der Welt. 50 Prozent verfügten nur über eine sogenanntes working-holiday Visum, das eine Beschäftigug durch denselben Arbeitgeber nur für ein halbes Jahr erlaubt. Die übrigen waren ganz überwiegend auf ein Jahr befristet beschäftigt. Unter diesen Umständen war es unmöglich, einen von der Gewerkschaft als aureichend akzeptierten Organisationsgrad zu erreichen. Beschäftigten unter diesen Umständen nur den gewerkschaftlichen Streik zu erlauben, kommt einem Streikverbot zumindest sehr nahe.

Frage: Wie ist das, auch historisch, einzuordnen, dass ausgerechnet prekär Beschäftigten das Streikrecht verweigert wird, wenn keine Gewerkschaft den Streik „adoptiert“?

Nach herrschender Meinung sollen alle Streiks, die nicht einen Tarifabschluss zum Ziel haben, verboten sein. Das ist das entscheidende Dogma: Gestreikt werden darf nur, wenn der Streik auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet ist.

Dieses Verbot trifft auch verbandsfreie Streiks, wie den, den die Gorillas-Beschäftigten organisierten.

Tarifverträge wirken unmittelbar und zwingend, also wie Gesetze. Dass die Rechtsprechung für den Abschluss von solchen Tarifverträgen eine ausreichende Organisationsmacht verlangt, haben wir nicht angegriffen und solche Tarifverträge waren auch nicht das Ziel des Streiks der Gorillas-Beschäftigten. Also können auch nicht die Maßstäbe angelegt werden, die für den Kampf um Tarifverträgen entwickelt wurden. Wie sich zeigte, war ein Tarifvertrag auch gar nicht notwendig, um das Ziel der Gorillas-Beschäftigten zu erreichen. Das sahen die Beschäftigten einen Monat später auf ihrer Lohnabrechnung: Alle Beschäftigten mit derselbenTätigkeit bekamen 12,00 € – ohne dass dies durch einen Tarifvertrag vereinbart worden war. Natürlich ist ein Tarifvertrag besser als so eine einseitige Lohnangleichung von Unternehmensseite. Aber es ist auch mehr als nichts, wenn ein Unternehmen in dieser Weise den Forderungen der Beschäftigten nachgibt.

Die herrschende Meinung, die Streiks nur erlaubt, wenn sie auf einen Tarifvertrag gerichtet sind, trifft auch unmittelbar die Gewerkschaften: Wenn die Gewerkschaften gegen eine Entscheidung der Regierung oder des Parlaments streiken, dann geht es offensichtlich nicht um einen Tarifvertrag, der ja mit den Unternehmern oder deren Verbänden abgeschlossen wird. Die herrschende Lehre schließt daraus, dass auch der politische Streik verboten ist.

Das Dogma, dass Streiks an den Abschluss von Tarifverträgen gebunden sein sollen, geht auf ein Gutachten zurück, das der Jurist Hans Carl Nipperdey nach dem sogenannten Zeitungsstreik erstellte. Der Streik hatte 1952 dazu geführt, dass zwei Tage lang keine einzige Tageszeitung erschien. Die Gewerkschaften hatten damit gegen die Verschlechterungen in dem Betriebsverfassungsgesetz, das die Bundesregierung plante, protestiert. Der Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) war gegen diesen Zeitungsstreik vor Gericht gegangen und hatte Hans Carl Nipperdey mit einem Gutachten beauftragt. Wolfgang Abendroth erstellte das Gutachten für die Gewerkschaften. Hans Carl Nipperdey hatte während der Nazizeit das faschistische Arbeitsrecht “Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG)” kommentiert. Wolfgang Abendroth war in dieser Zeit im Widerstand auf Seiten der griechischen Partisanen gewesen. Alle Gerichte richteten sich nach dem Gutachten von Nipperdey und nur das Landesarbeitsgericht entschied auf dieser Grundlage, dass der Streik legal war. Das Bundesarbeitsgericht existierte damals noch nicht und konnte also in dieser Sache nicht entscheiden. Zum politischen Streik gibt es bis heute keine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.

Wer mehr über diesen Hans Carl Nipperdey wissen will, wird fündig unter https://widerstaendig.de/wer-war-hans-carl-nipperdey/

Wer wer mehr über die faschistischen Einflüsse in Betriebsverfassungsgesetz und Streikrecht wissen will, kann nachlesen unter: https://widerstaendig.de/faschistische-einfluesse-in-betriebsverfassung-und-streikrecht/

Frage: Streiks (wie zurzeit in Frankreich) gegen Regierungsentscheidungen sind verboten (Adenauer nannte das „Parlamentsnötigung“), Beamte dürfen überhaupt nicht streiken. Wie dagegen handeln in den Gewerkschaften?

Zum Verbot des Beamtenstreiks zunächst ein Beispiel: Mehrere tausend Beamtinnen und Beamte hatten sich vor einigen Jahren in Hessen an einem Streik beteiligt, obwohl sie wussten, dass der Beamtenstreik verboten ist. Deswegen wurden sie sanktioniert und dagegen haben die Sanktionierten geklagt. Das ging durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Jetzt wird die Sache vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt. Wie auch immer der Europäische Gerchtshof entscheidet: seine Urteile legen nur Mindeststandards fest. In Frankreich ist zum Beispiel jetzt schon der Beamtenstreik in viel größerem Ausmaß erlaubt als in Deutschland. Die einzelnen Länder sind also vollkommen frei, den Beschäftigten ein weiter gehendes, besseres Streikrecht einzuräumen.

Der Verlauf dieser gerichtlichen Auseinandersetzung zeigt: Am Anfang stand der Beamtenstreik trotz Verbot. Anders geht es nicht. Das gilt für das gesamte Streikrecht, weil es Richterrecht ist und die Richter nur dann die bisher geltende Rechtsprechung überdenken können, wenn ihnen ein Fall vorgelegt wird, der bisher verboten war. Dabei möchte ich wiederholen: Zum politischen Streikrecht hat das Bundesarbeitsgericht bisher noch nicht entschieden. Und – auch das sei angemerkt – die Begründung zum Verbot des verbandsfreien Streiks stammt aus dem Jahr 1963 und bedarf dringend einer Überprüfung.

Sehr wichtig als erster Schritt zu einem umfassenderen Streikrecht ist die Forderung nach Legalisierung des politischen Demonstrationsstreiks, der von vorherein auf maximal einen Tag befristet ist. Auch wenn der politische Demonstrationsstreik wiederholt werden kann, wäre es lächerlich, einen politischen Demonstrationsstreik als Parlamentnötigung zu beschreiben. Will man ernsthaft behaupten, das französiche Recht sei undemokratisch, weil es den politischen Streik erlaubt? Nein, es ist undemokratisch, das Recht des Volkes, seiner Meinung und seinem Willen Ausdruck zu geben, auf die Wahlen alle paar Jahre zu beschränken. Wenn es im Grundgesetz heißt “Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat”, dann ist mit Demokratie mehr gemeint als Wahlen. Demokratie ist Beteiligung des Volkes an den politischen Prozessen. Um dieses Demokratieverständnis müssen wir kämpfen. Es geht um ein Ziel, das weit über die Gewerkschaften hinaus Unterstützung finden sollte. Alle demokratisch gesinnten Menschen sollten sich dafür einsetzen, dass das Streikrecht nicht länger auf den Abschluss von Tarifverträgen beschränkt wird. Zum Beispiel können an den Universitäten die Beschäftigten zusammen mit den Studenten über dieses wichtige Thema Diskussionen organisieren. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass von den Universitäten wichtige Impulse ausgehen.

Wir wissen allerdings: Das wichtigste Fundament gewerkschaftlichen Handelns sind die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter selbst. Alles hängt von der Frage ab: Wofür sind wir bereit zu kämpfen? Früher oder später werden wir dann mit der Frage konfrontiert: Was hält uns auf? Für Deutschland kann ganz klar gesagt werden: Es ist der Staat und das von ihm verordnete extrem eingeschränkte Streikrecht, das uns daran hindert, so zu streiken wie in Frankreich. Ich habe allerdings den Eindruck, das finden alle ganz normal. Viele wissen das auch gar nicht. Aber wegen dieses restriktiven Streikrechts haben die Gewerkschaften nur in homöopathischen Dosen gestreikt, als das Renteneintrittsalter von der Schröder-Regierung von 65 auf 67 Jahre heraufgesetzt wurde. Sie hatten Angst vor Schadenersatzforderungen. Es ist also nicht eine Frage der ‘Kultur’, wenn die französischen Gewerkschaften gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters streiken, die deutschen aber nicht. Der Grund ist das deutsche Streikrecht.

Es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun, und der heißt: Mehr und gründlich über dieses wichtige Thema in den gewerkschaftlichen Gliederungen zu sprechen. Wir dürfen dieses Thema nicht den Rechtsabteilungen überlassen. Es ist eine Frage, die alle angeht und von allen diskutiert werden muss.

Hinweis: Die drei Fragen wurden von der Zeitung „freie Plattform für Arbeiterpolitik“ Nr. 84 v. 8. Mai 2023 gestellt und dort auch die Antworen erstmalig veröffentlicht.

Faschistische Einflüsse in Betriebsverfassung und Streikrecht

Vorbemerkung: Unter dem Gesichtspunkt von Einflüssen aus der Zeit des Faschismus werden im Folgenden die Leitsätze der Betriebsverfassung in den verschiedenen historischen Phasen miteinander verglichen und es werden unter diesem Gesichtspunkt auch die Prägungen des Streikrechts betrachtet.

Der Kampf für mehr Rechte im Betrieb und ein umfassendes Streikrecht ist in Deutschland immer auch ein antifaschistisches Programm unter der Losung “Nie wieder!”

Inhalt:

I. Leitsätze der verschiedenen Betriebsverfassungen im Vergleich

II. Der faschistische Einfluss auf das bestehende Streikrecht


I. Leitsätze der Betriebsverfassungen im Vergleich

Das Betriebsrätegesetz 1920 (BRG), das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit 1934 (AOG) und das Betriebsverfassungsgesetz 1952 (BetrVG 1952) enthalten jeweils einen Leitsatz, der Sinn und Zweck des Gesetzes beschreibt. Anhand eines Vergleichs dieser Leitsätze lässt sich die Orientierung dieser drei Gesetze feststellen.

Das Weimarer Betriebsrätegesetz 1920

Im Betriebsrätegesetz von 1920[1]§ 1 BRG 1920: „Zur Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung des Arbeitgebers in der … Continue reading sollte der Betriebsrat ursprünglich die Aufgabe haben, „den Einfluss der Arbeitnehmer auf die Erzeugung oder die sonstigen Betriebszwecke zu verwirklichen“.

In diesem Sinne bindet der Leitsatz des Betriebsrätegesetzes die Errichtung von Betriebsräten an das Ziel der „Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber“. Die Aufgabe von Betriebsräten, die „gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten)“ wahrzunehmen, wird damit eindeutig im Rahmen des Interessengegensatzes zwischen Arbeit und Kapital beschrieben (dem Arbeitgeber „gegenüber“). Das entspricht auch der Formulierung in der Weimarer Reichsverfassung und beschreibt die Aufgaben des Betriebsrates „gegenüber“ dem Arbeitgeber völlig ausreichend.

Doch im Verlauf des Tauziehens zwischen Kapital und Arbeit um die Ausrichtung des Betriebsrätegesetzes wurde eine weitere Aufgabe des Betriebsrates hinzugefügt: Die „Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke“. Das Betriebsrätegesetz verlangte vom Betriebsrat die „Betriebsleitung durch Rat zu unterstützen, um dadurch mit ihr für einen möglichst hohen Stand und für möglichst hohe Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sorgen“[2]§ 66 Nr. 1 BRG 1920; der Betriebsrat solle den Betrieb vor „Erschütterungen bewahren“[3]§ 66 Nr. 3 BRG 1920. Das wurde zugleich als Unterwerfung des Betriebsrates unter die Friedenspflicht verstanden.

So schrieb das Betriebsrätegesetz den Betriebsräten eine Doppelfunktion zu: Als Interessenvertretung der Beschäftigten und als Unterstützung des Arbeitgebers.

Das faschistische AOG von 1934

Das AOG von 1934[4]§ 1 AOG 1934: „Im Betrieb arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen … Continue reading schließt den ersten Teil des Leitsatzes des BRG, der auf dem Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmern und Unternehmer aufbaut, komplett aus und schließt ausschließlich an den zweiten Teil dieses Leitsatzes an: Die „Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke“ (BRG) heißt im AOG „Zusammenarbeit von Unternehmer und Arbeiter und Angestellten zur Förderung der Betriebszwecke“. Die „Förderung der Betriebszwecke“ wird um den Zweck “zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat erweitert. Dass diese Zusammenarbeit ein Herrschaftsverhältnis ist, wird im AOG dadurch unmissverständlich beschrieben, dass der Unternehmer als Führer und die Arbeiter und Angestellten als Gefolgschaft bezeichnet werden.

Das Betriebsverfassungsgesetz

Der Leitsatz des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952[5]§ 49 BetrVG 1952: „(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten im Rahmen der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den Im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und … Continue reading lautete: „Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten … vertrauensvoll … zum Wohl des Betriebes und seiner Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zusammen“. Soweit war nicht einmal das Betriebsrätegesetz von 1920 gegangen. Dies hatte zwar als ein Ziel die „Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke“ genannt und genau diese Formulierung hatte auch das faschistischen AOG übernommen, aber als ein weiteres Ziel nannte das Betriebsrätegesetz von 1920 die „Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber“, diese Formulierung wurde im AOG gestrichen und findet sich auch im Leitsatz des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 nicht mehr. Der Begriff der „Zusammenarbeit“ mit dem Unternehmer, der sich erstmals im AOG findet, wird auch im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 verlangt und sogar noch gesteigert, indem eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ gefordert wird.

Anknüpfend an den Zweck “zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat im AOG wird auch im BetrVG von 1952 die Klausel “unter Berücksichtigung des Gemeinwohls” hinzugefügt.

Der bestehende Interessengegensatz zwischen Beschäftigten und Unternehmer, der noch im Leitsatz des Betriebsrätegesetz von 1920 enthalten war („Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber“), wird damit in schlimmer Tradition und im Interesse der Unternehmer geleugnet. Auch dass diese vertrauensvolle Zusammenarbeit zum „Wohl des Betriebes“ zu erfolgen hat, steht in der Tradition der „Betriebsgemeinschaft“, wie sie vom faschistischen AOG verlangt wurde.

Schon im BRG 1920 wurde aus der Verpflichtung des Betriebsrates, „den Arbeitgeber in der Erfüllung der Betriebszwecke zu unterstützen“, die Friedenspflicht des Betriebsrates hergeleitet. Auch im BetrVG 1952 wird aus der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat, die Verpflichtung hergleitet, “keine Maßnahmen des Arbeitskampfes gegeneinander (zu) führen.”

Die verheerende Tradition der faschistischen „Betriebsgemeinschaft“ und „Volksgemeinschaft“ wurde also im Betriebsverfassungsgesetz weiter geführt.[6]Otto Brenner, viele Jahre der Erste Bevollmächtigte der IG Metall, erklärte zum Betriebsrätegesetz 1952: „Die dem Gesetzeswerk innewohnende Ideologie entspricht einer Zeit, die wir 1945 ein für … Continue reading Diese Ideologie wurde im Laufe der Jahre zwar abgeschwächt, aber bis heute nicht aus dem Betriebsverfassungsgesetz getilgt. Bis heute verlangt das Betriebsverfassungsgesetz, dass Arbeitgeber und Betriebsrat „zum Wohl des Betriebes vertrauensvoll zusammen arbeiten“. Bis heute ist „Die Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) dem Arbeitgeber gegenüber” nicht Teil des Leitsatzes des Betriebsverfassungsgesetzes wie das noch für das Betriebsrätegesetz (BRG) 1920 galt[7]§ 1 BRG 1920.

Das Recht ändern!

1985 versuchte das Bundesarbeitsgericht gegenzusteuern, indem es zur „vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) feststellte: „Das geltende Arbeitsrecht wird durchgängig von zwei gegenüberstehenden Grundpositionen beherrscht mit denen unterschiedliche Interessen von Arbeitgeber – und Arbeitnehmerseite verfolgt werden. Ohne den Interessengegensatz wären die gesetzlichen Regelungen zur Mitwirkung der Arbeitnehmer an sozialen, personellen und wirtschaftlichen Entscheidungen des Arbeitgebers gegenstandslos. Auch das Betriebsverfassungsgesetz setzt diesen Interessengegensatz voraus. Im Betrieb hat der Betriebsrat die Interessen der von ihm repräsentierten Belegschaften wahrzunehmen. Dass wird durch § 2 Absatz 1 Betriebsverfassungsgesetz nur insoweit modifiziert, dass anstelle möglicher Konfrontation die Pflicht zur beiderseitigen Koopderation tritt. Dennoch beleibt der Betriebsrat Vertreter der Belegschaft gegenüber dem Arbeitgeber. Er ist zur vertrauensvollen Zusammenarbeit, nicht aber dazu verpflichtet, die Interessen der Belegschaft zurück zu stellen.“[8]BAG v. 21.4.1983 ABR 70/82

Die Verpflichtung des Betriebsrates zur „vertrauenvollen Zusammenarbeit“ muss endlich aus dem Gesetz gestrichen werden.


II. Der faschistische Einfluss auf das Streikrecht

Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts[9]unter Mitwirkung des ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Hans Carl Nipperdey beschreibt im Jahr 1955 die Basis, auf der das Bundesarbeitsgericht zum Streikrecht entschied:

Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen; aber sie sind in bestimmten Grenzen erlaubt, sie sind in der freiheitlichen, sozialen Grundordnung der Deutschen Bundesrepublik zugelassen. Unterbrechungen der betrieblichen Arbeitstätigkeit durch einen solchen Arbeitskampf sind sozialadaequat, da die beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit solchen kampfweisen Störungen auf Veranlassung und unter der Leitung der Sozialpartner von jeher rechnen müssen und die deutsche freiheitliche Rechtsordnung derartige Arbeitskämpfe als ultima ratio anerkennt. ….”[10]der vollständige Text: “Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit … Continue reading

Diese Wertung von Streiks als “im allgemeinen unerwünscht” mit der anschließende Feststellung, sie seien in der „freiheitlich, sozialen Grundordnung der Deutschen Bundesrepublik zugelassen“, und der sogleich folgenden Einschränkung, dass sie 1. „sozialadäquat“, 2. “auf Veranlassung und unter Leitung der Sozialpartner” zu führen seien, mündete in dem bis heute geltenden Dogma: Streiks müssen auf den Abschluss von Tarifverträgen ausgerichtet sein.

Aus diesem Dogma entwickelt das BAG im Jahr 1963 das Verbot von verbandsfreien Streiks und die herrschende Meinung glaubt, aus diesem Dogma auch die Illegalisierung des politischen Streiks herleiten zu können, obwohl das BAG zu politischen Streiks nie entschieden hat. Diese Beschränkung des Streiks allein auf Tarifverträge bedeutet eine gewollte Entpolitisierung gewerkschaftlichen Handelns auf ihrem wichtigsten Terrain. Es ist eine gezielte Entmündigung der Gewerkschaften.

Gewerkschaften sind Wächter der Demokratie. Werden sie geschwächt, ist immer auch die Demokratie gefährdet. Die Gewerkschaften und ihre Handlungsfreiheit sind eben keine Bedrohung dieser Demokratie, sondern ihr Wesensmerkmal. Die Beteiligung in einer Demokratie besteht eben nicht nur in der Wahl alle vier Jahr, sondern in der aktiven Beteiligung an politischen Prozessen (Art. 20 GG). Der politische Proteststreik ist Beteiligung am politischen Prozess der Meinungsbildung par excellence.

Es sei daran erinnert: Es waren die abhängig Beschäftigten, die am 9. November 1918 mit einem Generalstreik die erste Republik überhaupt erst erzwangen. Und es waren die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften, die 1 1/2 Jahre später diese Republik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch verteidigten.

Dem Rückgriff auf die Berücksichtigung des “Gemeinwohls” im BetrVG 1952 entspricht der Rückgriff auf “die im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden” in der Rechtsprechung zum Streikrecht. Die „Volksgemeinschaft“ lässt grüßen.

Das Streikrecht wurde soweit eingeschränkt, dass verbandsfreie und politische Streiks verboten sein sollen. Soweit ist das Recht in der Weimarer Republik nie gegangen. Es existierte zwar mit der Zwangsschlichtung ein sehr restriktives Streikrecht, aber es kannte nicht das prinzipielle Verbot des verbandsfreien und politischen Streiks.

Wie anders als durch den Einfluss faschistischen Gedankenguts kann das erklärt werden?

Wer sich darauf beschränken will, dass der Streik dem Kapital immer ein Ärgernis war und daher der Faschismus als Erklärung nicht herangezogen werden muss, übersieht die besondere historische Situation in der Restaurationszeit unter Adenauer, in der die Weichen für die bis heute geltenden Einschränkungen des Streikrechts gestellt wurden[11]siehe auch der Beitrag “Wer war Hans Carl Nipperdey?” und die Darstellung wesentlicher Inhalt des faschistischen AOG in diesem Zusammenhang. Diese Restauration bestand gerade darin, den antifaschistischen Konsens aufzukündigen, der kurz nach dem Krieg in der Gesellschaft bestanden hatte und von denen geprägt worden war, die während der Nazizeit verfolgt worden waren. Noch der Generalstreik im November 1948 stellte Forderungen an den Staat und war damit ganz selbstverständlich politisch.

Unter den Verfolgten des Naziregimes waren viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die wenige Jahre nach Kriegsende im Zuge der Restauration erleben mussten, dass ihre Handlungsfreiheit substantiell eingeschränkt wurde. Dafür steht Rechtsstreit um die Rechtsmäßigkeit des Zeitungsstreik, der ein politischer Streik war. Alle Gerichte entschieden im Sinne des Gutachtens, das Hans Carl Nipperdey im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Arbeitgeber (BDA) verfasst hatte[12]nur das Landesarbeitsgericht entschied, dass der Zeitungsstreik nicht rechtswidrig war. Wie konnte eine derart fundamentale Einschränkung im Streikrecht, also eine Einschränkung der Gewerkschaften auf dem einzigen Feld, auf dem Gewerkschaften überhaupt nur wirksam Handlungsmacht entfalten können, von denen, die in den KZs gesessen hatten, weil sie in der Weimarer Republik die Interessen der abhängig Beschäftigten in den Gewerkschaften und Arbeiterparteien vertreten hatten, nicht als in faschistischer Tradition verhaftet begriffen werden?

Die Einschränkungen des Streikrechts wenige Jahre nach Kriegsende, können nur mit Blick auf den Faschismus verstanden werden. Im Deutschland der Restaurationszeit unter der Regierung Adenauer zogen wieder in Politik, Verwaltung, Justiz und Polizei diejenigen ein, die wenige Jahre zuvor im Dienste der Faschisten tätig gewesen und immer noch von dem geprägt waren, was sie schon während der Nazizeit vertreten hatten. Die Zerschlagung der Arbeiterparteien und Gewerkschaften und damit die Brechung wirksamen Widerstandes war das erste Ziele dieser Nazi-Politik gewesen.

Der Kampf für ein umfassendes Streikrecht ist in Deutschland mit Blick auf diese Vergangenheit immer auch ein antifaschistisches Programm unter der Losung “Nie wieder!”.

References

References
1 § 1 BRG 1920: „Zur Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke sind in allen Betrieben, die in der Regel mindestens zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, Betriebsräte zu errichten.“
2 § 66 Nr. 1 BRG 1920
3 § 66 Nr. 3 BRG 1920
4 § 1 AOG 1934: „Im Betrieb arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat.
5 § 49 BetrVG 1952: „(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten im Rahmen der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den Im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl des Betriebes und seiner Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gemeinwohls zusammen. (2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Arbeit und den Frieden des Betriebes zu gefährden. Insbesondere dürfen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Maßnahmen des Arbeitskampfes gegeneinander führen. Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien werden hierdurch nicht berührt.“
6 Otto Brenner, viele Jahre der Erste Bevollmächtigte der IG Metall, erklärte zum Betriebsrätegesetz 1952: „Die dem Gesetzeswerk innewohnende Ideologie entspricht einer Zeit, die wir 1945 ein für alle Mal überwunden glaubten. Ein Textvergleich mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 macht deutlich, was ich meine (…) Seit Jahren müssen wir erleben, wie die spezifisch nationalsozialistische Ideologie von der ‚Volks – und Betriebsgemeinschaft‘ dem Gesetz unterschoben wird.“ Brenner weiter: „Dieses Gesetz hat mit Mitbestimmung nur sehr wenig oder gar nichts zu tun. Ja, es ist sogar irreführend, wenn in diesem Zusammenhang das Wort Mitbestimmung verwendet wird.“
7 § 1 BRG 1920
8 BAG v. 21.4.1983 ABR 70/82
9 unter Mitwirkung des ersten Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, Hans Carl Nipperdey
10 der vollständige Text: “Arbeitskämpfe (Streik und Aussperrung) sind im allgemeinen unerwünscht, da sie volkswirtschaftliche Schäden mit sich bringen und den im Interesse der Gesamtheit liegenden sozialen Frieden beeinträchtigen; aber sie sind in bestimmten Grenzen erlaubt, sie sind in der freiheitlichen, sozialen Grundordnung der Deutschen Bundesrepublik zugelassen. Unterbrechungen der betrieblichen Arbeitstätigkeit durch einen solchen Arbeitskampf sind sozialadaequat, da die beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit solchen kampf weisen Störungen auf Veranlassung und unter der Leitung der Sozialpartner von jeher rechnen müssen und die deutsche freiheitliche Rechtsordnung derartige Arbeitskämpfe als ultima ratio anerkennt. Es besteht Freiheit des Arbeitskampfes, Streikfreiheit und Aussperrungsfreiheit. Das ergibt sich nicht nur aus der gesamten historischen Entwicklung seit 1869, namentlich aus der wichtigen Regel des § 152 Abs. 1 GewO und der allgemeinen rechtlichen Überzeugung … sondern neuerdings namentlich auch aus § 49 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Dort ist im Anschluss an das Verbot der Arbeitskämpfe zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ausdrücklich bestimmt, dass Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien durch das Verbot nicht berührt werden” (BAG 28.1.1955 – GS 1/54, juris, Rn. 33 ff). Siehe https://research.wolterskluwer-online.de/document/49ed5654-a33e-40b9-bc86-b78a8a8f9f32
11 siehe auch der Beitrag “Wer war Hans Carl Nipperdey?” und die Darstellung wesentlicher Inhalt des faschistischen AOG in diesem Zusammenhang
12 nur das Landesarbeitsgericht entschied, dass der Zeitungsstreik nicht rechtswidrig war

Antimilitaristische Demo anlässlich der Versammlung der Aktionärinnen und Aktionären von Rheinmetall

Ergänzung:

Hier geht’s zum Redebeitrag zur antimilitaristische Demo “Rheinmetall entwaffnen!” anlässlich der Hauptversammlung von Rheinmetall, gehalten von Brigitte Renkl, auf der Demo vor dem Brandenburger Tor und zur einer kleinen Fotogalerie.


Zeit: Dienstag 9. Mai 2023 17 Uhr.

Ort: Parteizentrale der Grünen Platz vor dem Neuen Tor 1 Berlin-Mitte.

Stationen: FDP, Bundeswehr-Showroom, Rheinmetall-Büro am Brandenburger Tor.

Die sich vor vielen Jahrzehnten einst als »Friedenspartei« verstandenen Grünen treiben die Militarisierung immer weiter voran und befeuern die kriegerische Eskalation in der Ukraine. Anstatt ernsthaft nach Alternativen zu einem lang andauernden Abnutzungskrieg mit Tausenden Toten auf beiden Seiten zu suchen, möchten die Grünen »Russland ruinieren« (Baerbock) und verkünden »Die Ukraine muss gewinnen. Punkt.« (Göring-Eckardt). Dabei können ihnen Aufrüstungsvorhaben und Waffenlieferungen gar nicht schnell genug gehen. Doch noch mehr Waffen werden dem Sterben kein Ende bereiten. Im Gegenteil.

Bei der letzten Bundestagswahl warben die Grünen noch mit dem Versprechen, Waffenexporte in Kriegsgebiete zu verbieten, heutzutage drängen sie auf die schnelle Lieferung von Kampfpanzern Leopard an die Ukraine. Diese Panzer und etliche andere deutsche Waffen töten auch nach wie vor in Kurdistan. Die Ampel-Regierung unterstützt den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei gegen die kurdische Revolution, gegen den Befreiungskampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Wenn Baerbock sagt, »Menschenrechte sind nicht verhandelbar«, ist dies pure Heuchelei. Denn gleichzeitig sucht die deutsche Regierung eine enge Kooperation mit dem türkischen Diktator Erdoğan und dem saudi-arabischen Regime.

Der Grundsatz, schwere Waffen nicht in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern, wurde gekippt. Der Entwurf für ein neues Rüstungsexportkontrollgesetz ist nicht restriktiver, sondern laxer. Auch dessen Pendant auf EU-Ebene wird weiter ausgehöhlt. Damit sollen unter anderem Gemeinschaftsvorhaben wie die deutsch-französischen Großprojekte für Kampfflugzeuge und Kampfpanzer geschützt werden. Gemeinsame Verteidigungsprogramme und der Ausbau eines europäischen Rüstungskomplexes werden durch die massive Erhöhung der EU-Militärbudgets verstärkt. Deutschland nutzt den Stellvertreterkrieg und eine vermeintliche abstrakte moralische Überlegenheit dafür aus, seine globalen wirtschaftlichen Interessen militärisch noch effektiver durchzusetzen.

Die deutsche Rüstungsindustrie frohlockt

Die Waffenausfuhr erreichte 2022 den zweithöchsten Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Währenddessen macht die deutsche Rüstungsindustrie Riesengewinne und die Aktienwerte von Firmen wie Rheinmetall haben sich teils verdoppelt. Die Rüstungslobby und die Politik sind eng vernetzt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ist zum Beispiel Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags und Mitglied im Präsidium des Förderkreises Deutsches Heer, einem zentralen Lobbyverband der deutschen Rüstungsindustrie.

Die Kriegstreiber*innen fordern stetig mehr Aufträge und bauen ihre Produktionskapazitäten für die nächsten Jahre aus. Die Rheinmetall-Führung plant sogar eine neue Panzerfabrik in der Ukraine, die mit einem eigenen Luftabwehrsystem ausgestattet, jährlich 400 Kampfpanzer produzieren will. »Wir freuen uns, dass nicht nur die Kapitalmärkte uns eine deutlich gewachsene Bedeutung beimessen. Auch weite Teile der Gesellschaft sehen die Notwendigkeit die Streitkräfte schnell und zuverlässig mit moderner Ausrüstung und Bewaffnung auszustatten«, frohlockt Rheinmetall-Chef Papperger. Ausgerechnet am 9. Mai, dem Tag des Sieges über NS-Deutschland, lässt sich der Rheinmetall-Vorstand bei der Aktionär*innenversammlung für das blühende Geschäft mit dem Tod feiern. Die Rheinmetall-Aktionär*innen können sich freuen. Ihnen winkt, wie auch schon in den letzten Jahren, eine satte Dividende. Dafür können sie sich auch bei den Grünen bedanken.

No war but class war!

Wir stellen uns gegen die russische Invasion in die Ukraine und gegen die Kriegspolitik der NATO. Wir denken, die Klasse der Lohnabhängigen hat nichts zu gewinnen, wenn sich die herrschenden kapitalistischen Mächte um geopolitische Einflusssphären streiten. Wenn nicht als Kanonenfutter missbraucht, müssen wir den Gürtel enger schnallen, um den Herrschenden bei ihren imperialistischen Manövern nicht in den Rücken zu fallen. Das genau aber sollten wir! Daher rufen wir dazu auf, am 9. Mai und anlässlich der Rheinmetall-Aktionär*innenversammlung vor die Bundesparteizentrale der Grünen zu ziehen! Danach gehen wir weiter zur FDP, zum Bundeswehr-Showroom und zum Rheinmetall-Büro am Brandenburger Tor. Linke Antimilitarist*innen, Antiimperialist*innen, Feminist*innen, Kurdistan-Solidarische, Gegen-das-Grenzregime-Kämpfende, Gewerkschafter*innen und Klimabewegte – lasst uns den Grünen und allen anderen Kriegstreiber*innen von FDP, SPD und Co in den Rücken fallen und ihnen zeigen, was wir von ihrer Politik halten!

Wir gehen auf die Straße für ein würdiges Leben für alle, gegen die Kriege dieser Welt, gegen Militarisierung und Aufrüstung. Wir brauchen keine 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr! Wir brauchen 100 Milliarden für Gesundheit, Bildung und den ökologischen Wandel, anstatt sie der Rüstungsindustrie in den Rachen zu werfen. Wir wollen raus aus dem globalen kapitalistischen System, das so viel Ausbeutung und Unterdrückung, Krisen und Kriege produziert. Wir sind für das Bleiberecht aller Geflüchteten und sind solidarisch mit Deserteur*innen aus allen Armeen.

Nazis, Rechte und rechtsoffene Akteur*innen sind bei unserer Demo nicht willkommen!

Rheinmetall Entwaffnen Ortsgruppe Berlin
rheinmetall-entwaffnen-berlin[at]riseup.net
rheinmetallentwaffnen.noblogs.org

Weitere Aufrufende

Gorillas: Streit um das Streikrecht

Foto: Ingo Müller

Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas wurde gekündigt, weil sie an einem Streik teilgenommen hatten, zu dem die Gewerkschaft nicht aufgerufen hatte. Knapp 20 Beschäftigte klagten gegen ihre Kündigung. Drei von Ihnen streiten bis heute gegen ihre Kündigungen und damit für ein besseres Streikrecht für Alle. Dieser Rechtsstreit wirft grundlegende Fragen zum deutschen Streikrecht auf.

Inhaltsverzeichnis


Aktueller Stand und grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits von Dyugu, Fernando und Ronnie gegen die Getir Germany GmbH (Gorillas)

16. Mai 2024. Duygu, Fernando und Ronnie waren Rider beim Lieferdienst Gorillas. Ihnen wurde gekündigt, weil sie gestreikt haben. Jetzt kämpfen die drei Unerschrockenen mit finanzieller Unterstützung der Roten Hilfe vor den Gerichten für ein besseres Streikrecht. Gorillas wurde inzwischen vom Lieferdienst Getir aufgekauft. Daher wird der Prozess der drei gegen die Getir Germany GmbH weitergeführt.

Selbst wenn sich die Getir Germany GmbH aus Deutschland, wie angekündig, zurückzieht, muss das nicht ein Ende der Verfasssungsbeschwerde bedeuten. Denn diese Beschwerde ist von grundsätzlicher Bedeutung. In solchen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht auch dann entscheiden, wenn der Prozessgegener – hier die Getir Germany GmbH – nicht mehr existiert, das heißt im vorliegenden Fall, die Getir Germany GmbH aus dem Handelsregister gelöscht wird.

Zur Zeit liegt der Rechtsstreit beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das Verfassungsgericht berücksichtige in Urteilen und Beschlüssen »generell sämtliche entscheidungsrelevanten Umstände des jeweiligen Falles«, antwortete die Kammer, nach der Bedeutung der Beschwerde gefragt. Diese befinde sich »in Bearbeitung«.” – berichtet die Junge Welt vom 16. Mai 2024, die beim Bundesverfassungsfgericht nachgefragt hatte.

Die Begründung, dass es sich um einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung handelt, kann in einem Satz zusammengefasst werden: Das Streikrecht steht insgesamt auf dem Prüfstand.

Im Einzelnen:

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27. April 2024: Präsidentin des Bundesarbeitsgericht zum Streikerecht

27. April 2024: In einem Interview im Neuen Deutschland nimmt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, zum Streikrecht Stellung. Bemerkenswert ist, dass die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts ausdrücklich darauf hinweist, dass das Bundesarbeitsgericht “in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2002 und 2007 mit Blick auf völker- und menschenrechtliche Garantien zweimal die Frage des Verbots politischer Streiks mit Bezügen zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berührt.” Die Präsidentin des Bundesarbeitsgericht fährt dann fort: “Über die Frage wurde aber nicht tragend entschieden.”

Im Rechtsstreit der Gorillas – Beschäftigten geht es nicht unmittelbar um den politischen Streik. Allerdings beruht das angebliche Verbot des verbandsfreien Streiks und des politischen Streiks auf derselben argumentativen Grundlage: Der Arbeitskampf sei ausschließlich Hilfsinstrument zur Durchsetzung von Tarifverträgen. Der Rechtsstreit der Gorillas – Beschäftigten Beschäftigten liegt inzwischen beim Bundesverfassungsgericht.

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Duygu Kaya am 9. November 2023 zu Streik und Streikrecht

Duygu Kaya war an einem verbandsfreien Streik beim Lieferdienst Gorillas beteiligt und wurde deswegen gekündigt. Am 9. November 2023 hielt sie eine Rede zu diesem Thema auf einer Veranstaltung, die in jedem Jahr zum Jahrestag der Novemberrevolution von der Koordination “9. November 1918 – die unvollendete Revolution” durchgeführt wird. Die Rede kann man sich hier ansehen und anhören.

Hier die Rede in vollem Wortlaut


Vor dem Gorillas – Prozess in der 1. Instanz

Zum Ergebnis der Verhandlungen vor dem LAG Berlin-Brandenburg

Die Anwälte der Kläger der drei ehemaligen Gorillas-Beschäftigten, denen gekündigt wurde, weil sie an einem verbandsfreien Streik teilgenommen haben, teilen mit:

Offensichtlich hat sich das Landesarbeitsgericht entschieden, die gegen den Wortlaut des Grundgesetzes gerichtete, völkerrechtswidrige und historisch auf dem Erbe der dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte beruhende Streikrechtsprechung weiter zuführen. Diese Urteile, die die Wirksamkeit der Kündigungen feststellen, werden der Bedeutung dieses Freiheitsrechts in keiner Weise gerecht.

Dass die rechtliche Überprüfung beim Bundesarbeitsgericht (Revision) nicht zugelassen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Wir werden die Begründung abwarten und dann Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen.


Zur Verhandlung vor dem LAG Berlin-Brandenburg: Das Streikrecht von seinen Beschränkungen befreien!

Am Dienstag, den 25. April 2023 um 11:00 Uhr wurden vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg drei Kündigungen verhandelt, die der Lieferdienst Gorillas wegen Teilnahme an einem verbandsfreien Streik ausgesprochen hat. Wir haben in dieser Instanz verloren. Wir werden aber weiter machen. Das Streikrecht muss von seinen schlimmen Prägungen aus der Zeit des Faschismus befreit werden. Um was geht es im Einzelnen? Dazu nehmen wir im Folgenden Stellung.

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Um was geht es im Gorillas – Prozess?

Die Beschäftigten aus der Politik herauszuhalten – das war das Ziel, das der Jurist Nipperdey 1953 in einem Gutachten verfolgte – im Auftrag der Unternehmerverbände (BDA). Es ging um einen politischen Streik ein Jahr zuvor, den Zeitungsstreik. Dagegen hatten die Unternehmerverbände geklagt. Der Jurist Abendroth hatte im Auftrag der Gewerkschaften dagegen gehalten. Die Landesarbeitsgerichte folgten Nipperdey.

Seitdem ist der Streik Hilfsinstrument in Tarifverhandlungen und sonst nichts.

Genau dagegen richtet sich der Prozess der Gorillas-Beschäftigten.

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Termin Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Das Landesarbeitsgericht hat zur den Termin für die mündliche Verhandlung festgelegt

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Anwaltsvereine solidarisch mit gekündigten Gorillas Beschäftigten

Die Anwaltsvereinigung RAV und VDJ haben sich solidarisch mit den gekündigten Gorillas-Beschäftigten erklärt und setzen sich gemeinsam für ein umfassendes Streikrecht ein.

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Arbeitsgericht für verbandsfreien Streik – ein erster Erfolg!

Herzlichen Glückwunsch an den Kollegen RA Bechert! weiterlesen hier


Rede: Gorillas-Beschäftigte und Kampf ums Streikrecht

Hier eine Rede von RA Benedikt Hopmann zum Thema auf einer Demonstration von Gorillas-Beschäftigten am 26. November 2021.


Recht auf verbandsfreien Streik (z.B. Gorillas)

2. August 2021. Am Freitag, den 30. Juli, lud die Aktion ./. Arbeitsunrecht zu einer Veranstaltung  mit dem Thema “Mythos ‘wilder’ Streik und Illegalität” in den Nachbarschaftsladen Kommune65 in Berlin ein. RA Benedikt Hopmann hielt einen Vortrag zu diesem Thema. Etwas gekürzt ist  der Vortrag am 3. August auf der Themenseite der Zeitung “Junge Welt” unter dem Titel “Scharfe Waffe” nachzulesen. Hier zunächst der Vortrag als Video, dann der Vortrag als Text (mit Fußnoten).

Der Vortrag kann über eine Sendung des freien Radios LORA hier angehört werden:

Der Vortrag als Text: weiterlesen hier

Kompletter Vortrag mit Diskussion als Video: Weiterhören hier


Duygu Kaya zu den Arbeitsbedingungen der Gorillas-Beschäftigten

Duygu Kaya wollte während der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht zu den Arbeitsbedingungen der Gorillas-Beschäftigten Stellung nehmen. Hier die Erklärung, die die Klägerin Duygu Kaya während der Verhandlung nicht vortragen konnte, weil der Richter dies unterband.

Duygu Kayya hat auch in einem Gespräch mit der Jungen Welt vom 30.April / 1. Mai 2022 zu den Arbeitsbedingungen der Gorillas Beschäftigten und zur Bedeutung verbandsfreier Streiks unter der Überschrift „So wirkt die Ausbeutung ‚fair‘ “ Stellung genommen.


Solidarität mit den Gekündigten – Für ein besseres Streikrecht für alle!

Verschiedene Gruppen rufen zur Solidarität mit den Gorilla Workers in ihrem Rechtsstreit für ein besseres Streikrecht auf. Ihnen wurde wegen ihrer Teilnahme an einem verbandsfreien Streik gekündigt. Es geht in diesem Rechtsstreit nicht nur darum, ob Gorillas in diesen drei konkreten Fällen wegen der Teilnahme an einem verbandsfreien Streik kündigen durfte, sondern zugleich um die Rechtsmäßigkeit solcher Streiks überhaupt. Es geht um ein besseres Streikrecht für alle.

Der Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht (1. Instanz)

Für alle drei Beschäftigten, die RA B. Hopmann vertritt, setzte der zuständige Richter denselben Termin für die zweite mündliche Verhandlung (sogenannter Kammertermin) an:

6. April 2021 um 12 Uhr Raum 513

Ort: Arbeitsgericht Berlin, Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin

===> Der Kammertermin ist der Termin, an dem – nach mündlicher Verhandlung – das Gericht in der Regel entscheidet.

===> Es sind die COVID 19 Beschränkungen zu beachten

Hier eine Ankündigung des Verhandlungstermins für die Presse.

Hier Bilder zur Kundgebung vor dem Arbeitsgericht

Hier eine Erklärung, die die Klägerin Duygu Kaya während der Verhandlung nicht vortragen konnte, weil der Richter dies unterband.

Hier eine Presseerklärung des Arbeitsgericht über seine Entscheidung und eine Pressemitteilung des Anwalts Benedikt Hopmann

Hier zu den Berichten in der Presse über den Prozess.

Alle drei, die der Anwalt vertritt, wollen Berufung einlegen. Der Rechtsstreit wird also vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (2. Instanz) weitergehen.


Gorillas: Kündigungsschutz-Prozesse, Stellungnahme der Anwälte der Klagenden zur Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg

Foto: Ingo Müller

Die Anwälte der Kläger der drei ehemaligen Gorillas-Beschäftigten, denen gekündigt wurde, weil sie an einem verbandsfreien Streik teilgenommen haben, teilen mit:

Offensichtlich hat sich das Landesarbeitsgericht entschieden, die gegen den Wortlaut des Grundgesetzes gerichtete, völkerrechtswidrige und historisch auf dem Erbe der dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte beruhende Streikrechtsprechung weiter zuführen. Diese Urteile, die die Wirksamkeit der Kündigungen feststellen, werden der Bedeutung dieses Freiheitsrechts in keiner Weise gerecht.

Dass die rechtliche Überprüfung beim Bundesarbeitsgericht (Revision) nicht zugelassen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Wir werden die Begründung abwarten und dann Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen.

Kein Konzertverbot für Roger Waters … in Frankfurt und anderswo!

Roger Waters darf am 28. Mai 2023 auftreten

24.04.2023

Verwaltungsgericht Frankfurt am Main

Nach dem Beschluss der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom heutigen Tag müssen die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen als Gesellschafter der Frankfurter Messe GmbH dem Musiker und Antragsteller die Möglichkeit verschaffen, sein geplantes Konzert am 28.05.2023 in der Festhalle durchzuführen.

Wortlaut der Presseerklärung:


08.Februar 2023: Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

Stellungnahmen zum geplanten Konzertverbot

Online-Petition – Kein Konzertverbot für Roger Waters!

Auszug aus der Petition:

“Der Frankfurter Magistrat und das Land Hessen verbieten das Konzert von Roger Waters am 28. Mai in der Frankfurter Festhalle. Sie folgen damit einer Kampagne wie sie auch in Polen dazu führte, dass Waters´ Konzerte dort nicht stattfinden können. Waters ist Mitbegründer der Band Pink Floyd und ein  leidenschaftlicher Verfechter von Friedensbewegungen und Menschenrechten. Wir fordern von der Bundesregierung, den Landesregierungen, den Richterinnen, Richtern und Veranstaltern: Lassen Sie diesen Abbau demokratischer Rechte nicht zu! Roger Waters konnte seine Friedensvorstellungen vor dem UN-Sicherheitsrat vorstellen – und hier soll seine Stimme verboten werden?
Wir fordern den Magistrat von Frankfurt und das Land Hessen auf, das Konzertverbot unverzüglich zurückzunehmen!

Kein Konzertverbot für Roger Waters! Freiheit für fortschrittliche Kunst!

DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN:


Ahmed Tubail · BIP-Mitglied (Bündnis für Gerechtigkeit zw. Israelis und Palästinensern e. V.)
Álvaro Parra · Orchester-Musiker
Annette Groth · Ex-MdB (Ex-Menschenrechtspolit. Sprecherin DIE LINKE)
Arn Strohmeyer · Journalist und Autor
Claus Walischewski · Israelisches Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD)
Dr. Khaled Hamad · Koordinator der europ. Allianz für die Solidarität mit palästinensischen Gefangenen
Dr. Shir Hever · Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e. V.
Fritz Hofmann · Koordinierungsausschuss neue Friedensbewegung gegen Faschismus und Krieg
Fritz Ullmann · LF – Linkes Forum und Koordinierungsausschuss Internationalistisches Bündnis
Fuad Hamdan · Palästina Forum München
Geert Platner · Bundesverdienstkreuz für deutsch-israelische Beziehungen
Inge Höger · Ex-MdB DIE LINKE
Jane Zahn · Kabarettistin, Liedermacherin
Johanna Arndt · Chanson-Preisträgerin der DDR
Jonas Dachner · Sänger-Gitarrist der Band Kommando: Umsturz
Jürgen Jung · Schauspieler, Vorstand von Salam Shalom, Arbeitskreis Palästina-Israel
Karl Nümmes (E. Franke) · Liedermacher, Nümmes-Straßenrock
Luisa Aubel · Schülerin
Martin Schneider · Musiker, Schauspieler, THE RATHMINES
Matthias Henk · JUMP UP Schallplattenversand
Nazih Musharbash · MdL a.D., Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.
Nicolas Miquea · Komponist, Sänger, Gitarrist, Dichter
Prof. Dr. Josef Lutz · Elektrotechniker
Prof. Dr. Norman Paech · Völkerrechtler i.R.
Prof. Dr. Werner Ruf · Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik
Rainer Günther · Bildhauer
Rolf Becker · Schauspieler
Roswitha Hegewald · Chanson-Interpretin
ruth rieß · sängerin der “anticapitalistas”
Werner Lutz · Liedermacher
Anna von Rohden · Pianistin
Roland Müller · Erlangen
David Rovics · Sänger, Gitarrist, Komponist
Sabour Zamani · Diplom- Pädagoge, Afghanisches Kulturzentrum Berlin

Hier geht es zur Petition:

Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung auf unserer Homepage: Karl Nümmes


08.Februar 2023: Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

„Wir sind die vielen, die nicht an den Profiten der Kriegsindustrie teilhaben.
Wir erziehen unsere Söhne und Töchter nicht freiwillig,
um Futter für eure Kanonen zu liefern.
Unserer Meinung nach besteht
die einzig vernünftige Vorgehensweise heute
darin, einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine zu fordern.
Kein Wenn, kein Aber, kein Und.
Kein ukrainisches oder russisches Leben mehr soll ausgegeben werden.
Nicht eins.
Sie alle sind in unseren Augen wertvoll.“

Weiterlesen hier:

Und hier das Video mit seiner Rede:


Stellungnahmen zum geplannten Konzertverbot

17.03.2023: Roger Water

𝙃𝙚𝙮 𝙁𝙧𝙖𝙣𝙠𝙛𝙪𝙧𝙩𝙚𝙧𝙨 𝙡𝙚𝙖𝙫𝙚 𝙛𝙧𝙚𝙚 𝙨𝙥𝙚𝙚𝙘𝙝 𝙖𝙡𝙤𝙣𝙚
„My lawyers are taking steps to ensure that my concerts in Munich and Frankfurt in May 2023 take place as contracted. Human rights and freedom of speech for all peoples under German law must prevail, which is why I’m taking this stance to ensure the will of the few will not prevent me from performing in Frankfurt and Munich.
I am taking the unprecedented step of appealing to the law to protect me from the unconstitutional actions of two authorities which seem to rely upon the fundamentally false accusation that has been made against me; namely that I am antisemitic.
I want to state for the record and once and for all that I am not and never have been antisemitic and nothing that anyone can say or publish will alter that. My well publicised views relate entirely to the policies and actions of the Israeli government and not with the peoples of Israel. Antisemitism is odious and racist and I condemn it, along with all forms of racism unreservedly.
I am not going to and do not need to keep making my position clear on this issue. I am confident that truth and the law will prevail and that these authorities will not succeed in denying any of my basic human rights.”


Hey Frankfurter lasst die Redefreiheit in Ruhe
„Meine Anwälte unternehmen Schritte, damit meine Konzerte in München und Frankfurt im Mai 2023 vertraglich stattfinden. Menschenrechte und Redefreiheit für alle Völker nach deutschem Recht müssen herrschen, deshalb nehme ich diese Haltung ein, um sicherzustellen, dass der Wille der wenigen mich nicht daran hindert, in Frankfurt und München aufzutreten.
Ich wage den beispiellosen Schritt, mich an das Gesetz zu wenden, um mich vor verfassungswidrigen Handlungen zweier Behörden zu schützen, die sich auf die grundsätzlich falsche Anschuldigung stützen, die gegen mich erhoben wurde, nämlich dass ich antisemitisch bin.
Ich möchte ein für alle Mal sagen, dass ich nicht antisemitisch bin und nie war und nichts, was jemand sagen oder veröffentlichen kann, wird daran ändern. Meine gut veröffentlichten Ansichten beziehen sich ausschließlich auf die Politik und Aktionen der israelischen Regierung und nicht auf die Völker Israel. Antisemitismus ist abscheulich und rassistisch und ich verurteile ihn, zusammen mit allen Formen von Rassismus vorbehaltlos.
Ich werde und muss meine Position in dieser Frage nicht weiter klar machen. Ich bin zuversichtlich, dass die Wahrheit und das Gesetz siegen werden und dass es diesen Behörden nicht gelingen wird, meine grundlegenden Menschenrechte zu verleugnen. „

Quelle: https://www.facebook.com/rogerwaters

Eskalation bis zum Atomkrieg.

Vorbemerkung: Am 13. März 2023 stimmte die Bundesregierung der Lieferung von Flugzeugen durch Polen an die Ukraine zu. Ein Jahr später im Februar / März wird der Streit um die Lieferung von TAURUS Marschflugkörpern angeheizt. Bisher lehnt Bundeskanzler Scholz solche Lieferungen ab. Der französische Staatspräsident schließt die Entsendung von Bodentruppen nicht aus. Die Eskalationsschraube dreht sich immer weiter. Wir beschreiben das und die Gefahr eines Atomkrieges. Zum Schluss gehen wir auf Alternativen ein:


Deutsche militärische Unterstützung der Ukraine: Stand 4. Januar 2023

Wir erinnern daran: Zunächst weigerte sich die Bundesregierung überhaupt Waffen an die Ukraine zu liefern und berief sich dabei auf die Koalitionsvereinbarung. Diese Position hielt die Bundesregierung auch kurz nach dem Beginn des Krieges aufrecht. Am 22. Februar 2022 forderte pax christi die Bundesregierung auf, bei ihrer Haltung zu bleiben.

Die Bundesregierung veröffentlicht regelmäßig eine Überischt über den Stand ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine. Den aktuellen Stand hier lesen.


Leichte“ Waffen:

Am 31. März 2022 schrieben wir:

Die Süddeutsche Zeitung meldete heute, der Regierung liege „eine Liste mit Rüstungsgütern im Wert von 300 Millionen Euro vor, die an die Ukraine geliefert werden können … Darunter befinden sich 2.650 Panzerfäuste vom Typ Matador … und 18 Aufklärungsdrohen“.

Im Wochenrythmus werden immer neue Waffenlieferungen Deutschlands an die die Ukraine gemeldet.

„Deutschland wird der Ukraine noch mehr Waffen liefern. Die Lieferungen würden sich an dem orientieren, was Deutschland bisher bereits geliefert habe, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Bisher waren dies Panzerfäuste und Flugabwehrraketen. Er verwies auf Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die gesagt habe, dass man entsprechende Waffen direkt bei Rüstungskonzernen bestellen könne“[1]„Die Welt vom 22. März 2022; auch die Süddeutsche Zeitung erscheint mit der Schlagzeile: „“EU-Länder schicken mehr Waffen“.. „Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock „bestätigte, dass die EU das Volumen für Waffenlieferungen verdoppeln und somit auf insgesamt eine Milliarden Euro aufstocken werde. Deutschland zahlt dafür weitere 130 Millionen Euro“[2]Süddeutsche Zeitung am 22. März 2022.

Nach 80 Jahren sorgt die Bundesregierung dafür, dass deutsche Waffen wieder gegen russisches Militär eingesetzt werden.


Schwere Waffen

Einen Monat später, nach einer wochenlangen massiven Kampagne von Politikern und Politikerinnen von GRÜNEN, FDP und CDU/CSU, orchestriert von den Leitmedien aus Presse und Fernsehen, – eine Kampagne wie sie der Autor dieses Beitrags in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt hat – beschloss der Bundestag am 28. April 2022 in einer ganz großen Koalition von Regierungsparteien und CDU/CSU, auch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, … die Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und womöglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme, etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern, ohne die Fähigkeit Deutschlands zur Bündnisverteidigung zu gefährden“, so der beschlossene Antrag. Das heißt: Jede Ausrüstung, die von der Ukraine „benötigt“ wird, soll geliefert werden. Die Lieferung „benötigter“ Ausrüstung soll nur dadurch eingeschränkt sein, dass die „Fähigkeiten Deutschlands zur Bündnisverteidigung nicht gefährdet“ werden.

Noch wenige Tage zuvor hatte Bundeskanzler Scholz vor einer Eskalation mit unabsehbaren Folgen gewarnt: „Ich tue alles, um eines Eskalation zu verhindern, die zu einem Dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“[3]Scholz im SPIEGEL vom 23.4.22. Jetzt wird die Bundesregierung mit Bundeskanzler Scholz an der Spitze auch von der SPD aufgefordert genau das zu tun, wovor der Bundeskanzler vorher gewarnt hatte.

Am 26. April 2022 hatte der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin 40 Staaten zu einer Konferenz auf die Ramstein Air Base eingeladen. Austin wörtlich: „Die Ukraine glaubt daran, dass sie gewinnen kann, und alle hier glauben das auch.“[4]Stern vom 26.2.22, https://www.stern.de/news/lambrecht-sagt-partnern-lieferung-schwerer-waffen-an-ukraine-zu-31807448.html. Auf monatlichen Besprechungen soll in Zukunft nachgebessert werden.

Damit hatten die USA das Ziel klargestellt: Der Krieg gegen Russland soll gewonnen werden.

Während CIA-Chef Burns davor gewarnt hatte, die nukleare Bedrohung nicht zu unterschätzen[5]“ … kann keine von uns die Bedrohung durch einen möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen und Atomwaffen geringer Sprengkraft auf die leichte Schulter nehmen. Wir tun es nicht“, … Continue reading, will der amerikanische Präsident weitere 33 Milliarde Dollar für die Ukraine im Repräsentantenhaus beschließen lassen,

Sie eskalieren sehenden Auges immer mehr. Sie löschen Feuer mit Benzin.

Nach dem Frankreich die Lieferung sogenannter „Spähpanzer“ des Typs AMX-10 RC angekündigt hatte, berichtete schon am 5. Januar 2023 die Presse[6]siehe Stern vom 5. Januar 2023: https://www.stern.de/politik/deutschland/deutschland-liefert–marder–panzer-an-die-ukraine-33073020.html, abgerufen am 7. Januar 2023, Bundeskanzler Olaf Scholz habe nach einem Telefonat mit Biden entschieden, Schützenpanzer vom Typ Marder an die Ukraine zu liefern. Zusätzlich wird die Diskussion über die Lieferung von Leopard 2 angeheizt. Indem der Bundeskanzler die Entscheidung, welche Waffen Deutschland in die Ukraine liefert, von Anfang an und ausschließlich von der Entscheidung der Verbündeten in der NATO abhängig macht, macht sich Scholz zum Gefangenen der NATO: Verschärfen die NATO und vor allem die USA die Gangart und befürworten die Lieferung von noch gefährlicheren Waffen, schließt sich Deutschland dem an.

Seit dem 25. Januar 2023 steht fest: Es werden auch schwere Panzer geliefert. Deutschland liefert 14 Leopard und erlaubt auch anderen Staaten die Lieferung dieser Schweren Panzer an die Ukraine. Die Eskalationsschraube dreht sich immer weiter.


Flugzeuge

Am 13. März 2023 berichtete die Tagesschau: „Deutschland genehmigt „MIG“-Lieferung Polens.“ Die Tagesschau erinnert: „Polen hatte kurz nach der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 die Lieferung von Kampfflugzeugen des sowjetischen Typs MiG-29 erwogen. Sie sollten über den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland an die Ukraine gehen. Damals kam dies nicht zustande. Die USA und die NATO mahnten lange zur Zurückhaltung.“ [7]Tagesschau vom 13.03.2023 um 21:22; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-kampfjets-ukraine-101.html, abgerufen am 14.04.2023 um 08:23 Uhr

Nach am 31. März 2023 konnte man in der Berliner Zeitung lesen. „Polen will keine Kampfjets aus Deutschland an die Ukraine liefern.“ Nach Angaben der Berliner Zeitung hatte im Jahr 2002 Polen 23 Kampfjets vom Typ MIG 29 von Deutschland gekauft, die Deutschland von der NVA der DDR übernommen hatte. Eine Lieferung dieser Flugzeuge sei an die Zustimmung der Bundesrepublik gebunden.[8]Berliner Zeitung vom 31.3.2023, abgerufen am 14.04.2023

Die Berliner Zeitung weiter: „Aber auch die Debatte über die Lieferung westlicher Kampfjets ist in vollem Gange. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vergangene Woche beim EU-Gipfel in Brüssel per Videobotschaft noch einmal eindringlich darum gebeten: „Wir brauchen moderne Flugzeuge.“ … In Frankreich wird darüber spekuliert, ob Flugzeuge vom Typ Mirage 2000-9 an die Ukraine übergeben werden sollen. „Ich schließe absolut nichts aus“, hat Präsident Emmanuel Macron dazu gesagt. Und die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin überraschte bei ihrem jüngsten Ukraine-Besuch mit der Aussage, man könne über die Bereitstellung finnischer Hornet-Kampfjets diskutieren. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat sich beim Besuch von Kanzler Scholz Anfang der Woche offen für die Lieferung westlicher Kampfjets gezeigt.“[9]Berliner Zeitung vom 31.3.2023, abgerufen am 14.04.2023

Am 25. Januar 2023 hatte der Stern noch berichtet: „Scholz definiert auch rote Linien für die weitere militärische Unterstützung der Ukraine. Die Lieferung von Kampfflugzeugen oder die Entsendung von Bodentruppen schließt er aus. „Dass es nicht um Kampfflugzeuge geht, habe ich ja sehr früh klargestellt und mache das auch hier“, sagt Scholz. Als kurz nach Kriegsbeginn über Flugverbotszonen diskutiert worden sei, hätten er und US-Präsident Joe Biden gesagt: „Das werden wir nicht tun. Und an dieser Haltung hat sich gar nichts geändert und wird sich auch nichts ändern.“ Er fügt hinzu: „Bodentruppen werden wir in keinem Fall schicken. Ich habe gesagt, es wird keine direkte Beteiligung von Nato-Soldaten in dem Ukraine-Krieg geben. Das ist bisher nicht der Fall und das wird auch in Zukunft nicht der Fall sein. Und darauf können sich alle verlassen“, sagt der Kanzler. „Das ist von Anfang an so gesagt worden, nicht nur von mir, sondern auch vom amerikanischen Präsidenten. Und zusammen sollte das ja wohl ein gewichtiges Wort sein.“[10]Stern vom 25.01.2023 um 14:11 Uhr, abgerufen am 14.04.2023 08:26 Uhr

Die roten Linien, die der Bundeskanzler bisher regelmäßig definierte, wirft der Bundeskanzler nach einiger Zeit mit derselben Regelmäßigkeit um.


„Am 22. Februar beschloss der Bundestag den Antrag der Ampelfraktionen: Die Regierung müsse die »langanhaltende Bedrohung« durch Russland zum Anlass für »die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition« nehmen. Inhaltlich glich er dem Gegenantrag der CDU/CSU mit dem einen Unterschied, als »weitreichendes Waffensystem« wurde namentlich der Marschflugkörper TAURUSi genannt. Ein anderes »weitreichendes Waffensystem« hat Deutschland auch nicht zu bieten. Auch Bündnis90/Die Grünen fordern explizit eine Lieferung von TAURUS an Kiew.

Die Debatte um eine Lieferung von TAURUS an die Ukraine geht schon seit Monaten. TAURUS wird als das Waffensystem gehandelt, mit dem Russland endgültig besiegt werden könne.“[11]zitierte nach Beitrag der VVN-BdA Aachen: https://aachen.vvn-bda.de/taurus-atomwaffenfaehig-atomkriegsgefahr-erhoeht/

Die Presse und GRÜNE, FDP und die CDU/CSU machen Druck, TAURUS Mittelstreckenraketen an die Ulraine zu liefern. Bis jetzt verweigert Bundeskanzler Scholz diese Lieferung.

  1. Hohe Offiziere sprechen über den Einsatz von Taurus gegen die Krim-Brücke.
  2. TAURUS: Atomwaffenfähig?

RT hat in einem podcast ein Gespräch hoher deutscher Offiziere über den Einsatz von TAURUS veröffentlicht: https://podtail.com/de/podcast/rt-deutsch-podcast Bundeskanzler Scholz begründet bisher seine Ablehnung des Einsatzes von TAURUS damit, dass er vermeiden will, dass Deutschland Kriegspartei wird. Man kann darüber streiten, ob Deutschland nicht schon jetzt Kriegspartei ist. Aber diejenigen, die diesen Einsatz von TAURUS immer heftiger fordern, scheint das nicht zu kümmern. Und Scholz hat nicht das erste Mal rote Linien gezogen und sie dann gerissen. Wir erinnern uns an sein Versprechen, keine schweren Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Die Offiziere sagen in dem abgehörten Gespräch: Dieser Einsatz von TAURUS „wird nicht kriegsentscheidend sein“. Sie sprechen über einen möglichen Einsatz gegen die Krim-Brücke. Jedenfalls heizt ein Einsatz von TAURUS-Flugkörpern den Krieg an; wer glaubt, alle Konsequenzen im Blick zu haben, kann sich täuschen. Inzwischen bestätigte das Verteidigungsministerium dieses Gespräch[12]https://www.ndr.de/nachrichten/info/Super-GAU-fuer-die-Bundeswehr-Taurus-Abhoerfall-sorgt-fuer-Wirbel,audio1584782.html , abgerufen am 2.3.2024 um 16:04 Uhr

Die Berliner Zeitung unterscheidet in den Reaktionen auf die Veröffentlichung dieses podcast zwischen den Vielen, die das ausschließlich als eine Frage der Spionage und Spionageabwehr sehen, und den sehr Wenigen, die sehen, dass Deutschland immer mehr die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland gefähret. So zitiert die Berliner Zeitung Sevim Dagdelen: „“Die Angriffsplanungen führender Bundeswehroffiziere mit Taurus inklusive ihrer Vertuschungsabsicht sind weder mit dem Grundgesetz noch mit dem Völkerrecht vereinbar. Der Krieg in der Ukraine ist kein deutscher Verteidigungskrieg. Russland hat Deutschland nicht angegriffen. Diese Planspiele riskieren eine direkte Kiegsbeteiligung Deutschlands und gefähren so massiv die Sicherheit der Bevölkerung in Deutschland. Dieser Wahnsinn muss sofort gestoppt werden! Wir brauchen dringend einen Waffenstillstand und Diplomatie statt eine weitere Eskalation direkter Kriegsbeteiligung.“[13]Berliner Zeitung v. 4. März 2024, S. 13, „Deutschland kaviert“

„»TAURUS« (Abkürzung für »Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System«) ist ein Marschflugkörper deutscher Produktion mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Er wird von Flugzeugen abgefeuert, ist schwer zu bekämpfen und kann als »Bunkerknacker« auch tief vergrabene und gehärtete Ziele zerstörenii. Bundeskanzler Scholz wird nachgesagt, er lehne (bislang) die Lieferung von TAURUS nach Kiew ab, weil Moskau so in die Reichweite einer deutschen Mittelstreckenrakete gelangt und Deutschland zur Kriegspartei macht. »Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein«, führte Scholz am 26. Februar auf einer Pressekonferenz aus. Die Sorge, Kriegspartei gegen Russland zu werden, ist berechtigt. Doch diese Debatte verschleiert einen weitaus gefährlicheren Aspekt:

Wenn eine TAURUS auf russische Ziele anfliegt, kann die russische Abwehr nicht wissen, wie diese TAURUS konkret bewaffnet ist. Die russische Verteidigung müsste davon ausgehen, dass der TAURUS-Marschflugkörper einen nuklearen Sprengkopf trägt. Ein nuklearer Gegenschlag könnte die Folge sein, jedes Leben in Europa ein Ende finden.

Die NATO hat in Osteuropa ein Raketenabwehrsystem aufgebaut und bekundet offiziell, ihre Marschflugkörper nicht nuklear zu bewaffnen. Landgestütze Mehrzweck-Abschussrampen der NATO in Rumänien und in Polen sind als Raketenabwehrsystem deklariert. Russland betrachtet diesen Abwehrschirm dennoch als Teil der Nuklear-Strategie der USA, weil die Marschflugkörper in kürzester Zeit auch mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden können. …“[14]zitierte nach Beitrag der VVN-BdA Aachen: https://aachen.vvn-bda.de/taurus-atomwaffenfaehig-atomkriegsgefahr-erhoeht/

Weiterlesen hier


Bodentruppen

Am 27. Februar 2024 meldet die Tagesschau:

„Bei einer Hilfskonferenz in Paris haben über 20 Länder mehr und schnellere Hilfe für die Ukraine beschlossen. Auch der Einsatz von westlichen Bodentruppen wird inzwischen nicht mehr ausgeschlossen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine durch sein Land nicht aus. Nichts sei ausgeschlossen, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern, sagte Macron nach Abschluss einer Ukraine-Hilfskonferenz am Abend in Paris.

Bei dem Treffen von über 20 Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), habe es zwar keine Einigkeit zum Einsatz von Bodentruppen gegeben, sagte Macron. „Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.“[15]Tagesschau vom 27.2.2024; abgerufen am 26.3.2024; link: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/macron-bodentruppen-ukraine-100.html

Dann wäre die NATO ganz unverhüllt beteiligt. Der Beginn des Dritten Weltkrieges?


Atomwaffen

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Am 4. Mai 2022 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) einen Leitartikel von Nikolas Busse mit dem Titel „Auch der Westen hat Atomwaffen“[16]FAZ v. 4.5.2022 Leitartikel von Nikolas Busse.

Busse zielt auf eine Bedrohung der Menschheit von ungeheurem Ausmaß: „Wenn Putin ernsthaft in Erwägung ziehen sollte, eines oder mehrere NATO-Mitglieder mit Atomwaffen anzugreifen, dann riskiert er die völlige Zerstörung Russlands“[17]a.a.O..

„… man kann einiges dafür tun, dass die nukleare Schwelle so hoch ist, dass selbst jemand wie Putin es nicht wagt, sie zu überschreiten. Dass die Bundesregierung neue Kampfflugzeuge für die nukleare Teilhabe anschaffen will, ist ein wichtiger Beitrag dazu“[18]„Dass die Bundesregierung neue Kampfflugzeuge für die nukleare Teilhabe anschaffen will, ist ein wichtiger Beitrag dazu“- so Nikolas Busse in FAZ vom 4.5.20200.

Über den Einsatz der US-Atomwaffen innerhalb der NATO entscheiden die USA.

Der Leitartikler fragt nicht, zu welchem Risiko die USA bereit sind.

Er fragt nicht, ob die USA zu einem Zweitschlag bereit wären, obwohl die Ukraine nicht Mitglied der NATO ist.

Er fragt nicht, ob die USA zu diesem Risiko bereit wären, wenn die Ukraine Mitglied der NATO würde.

Er fragt nicht, ob es möglich ist, das Risiko einer „völligen Zerstörung“ auf Russland zu begrenzen.

Inhaltsverzeichnis:

Militärmanöver mit „begrenztem Atomwaffeneinsatz“

Im Guardian berichtete Julian Borger am 24. Februar 2020 über ein US-Manöver, in dem ein „begrenzter Atomwaffeneinsatz“ gegen Russland simuliert wurde[19]https://www.theguardian.com/world/2020/feb/24/limited-nuclear-war-game-us-russia; dieser Artikel ist auch zu lesen in der Luftpost 025/20 vom 20.03.2020: … Continue reading. Das habe ein führender Pentagon-Mitarbeiter bestätigt.

Der Guardian: „Dieses Manöver war nicht nur deshalb außergewöhnlich, weil das US-Verteidigungsministerium von der umstrittenen Annahme ausging, in einem begrenzten Atomkrieg mit Russland siegen zu können, ohne einen die Welt vernichtenden umfassenden Atomkrieg riskieren zu müssen, sondern weil auch Journalisten bis ins Detail darüber informiert wurden …

Nach einem schriftlichen Hintergrundbericht höherer Pentagon-Mitarbeiter hat auch Verteidigungsminister Mark Esper an der Stabsübung im US Strategic Command[20]s. https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Strategic_Command in Nebraska teilgenommen. In der Übung, die eine Krise simulierte, in der Russland im Rahmen einer Offensive auch eine US-Militärbasis in Europa mit (einer Atomrakete) angegriffen hat, spielte Esper den US-Verteidigungsminister, vertrat also sich selbst.

„Das Szenario war ein in Europa ausgetragener Konflikt mit Russland, in dem sich die Russen dafür entscheiden, eine Atomwaffe geringer Sprengkraft gegen eine (US-)Militärbasis auf dem Territorium eines NATO-Staates einzusetzen,“ informierte ein höherer Offizieller. „Der Verteidigungsminister musste beim US-Präsidenten rückfragen, wie darauf reagiert werden sollte.“

Der Offizielle ergänzte, in der Übung sei entschieden worden, „mit einem begrenzten Atomschlag zu antworten“. Für eine begrenzte Antwort habe sich der Einsatz einer kleinen Anzahl von Atomwaffen geringer Sprengkraft – zum Beispiel von auf U-Booten stationierten (Trident-)Raketen mit dem neuen Sprengkopf W67-2 (der eine Sprengkraft von „nur“ 5 bis 7 Kilotonnen hat) – angeboten, die, wie im Januar bekannt wurde, Ende letzten Jahres erstmals im Atlantik Verwendung fanden.

Als das Pentagon über dieses Manöver informierte, rechtfertigte es auch die Indienststellung des Sprengkopfes W67-2. „Das ist eine angemessene Antwort auf die Änderung der russischen Atomwaffendoktrin, die jetzt auch den Einsatz von Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft vorsieht,“ äußerte ein führender Offizieller“[21]a.a.O. .

Der Guardian fasst das Militärmanöver mit begrenztem Einsatz von Atomwaffen „geringer“ Sprengkraft (taktische Atomwaffen, das heißt keine strategischen Atomwaffen) so zusammen:

„Die Befürworter der neuen US-Atomwaffen behaupten, diese würden gebraucht, um Moskau vom Einsatz taktischer Atomwaffen abzuschrecken, weil die Russen dann mit einer entsprechenden US-Antwort rechnen und nicht mehr darauf hoffen könnten, dass die USA auf die Vergeltung mit strategischen Atomraketen verzichten würden.

Abrüstungswillige befürchten aber, dass sich in den Regierungen der USA und Russlands die (irrige) Meinung durchsetzen könnte, ein umfassender Atomkrieg ließe sich vermeiden, weil man in kleineren Konflikten auch durch den Einsatz taktischer Atomwaffen siegen könne (wodurch die Schwelle zu einem die Welt vernichtenden Atomkrieg sehr viel niedriger würde)“[22]a.a.O. .

Dohnanyi zur Strategie der „flexible response“.

Die USA verfolgen mit ihrer nuklearen Abschreckung eine Strategie der „flexible response“

Klaus von Dohnanyi schreibt in seinem jüngst erschienen Buch[23]Klaus von Dohnanyi „Nationale Interessen – Orientierung für eine deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ München 2022 zur Nuklear-Strategie der „flexible response“:

„Die äußere Sicherheit Europas gründet ausschließlich auf der NATO, das heißt letzten Endes auf der Verteidigungsstrategie der USA. Denn was immer Europa materiell zur Finanzierung der NATO beiträgt: Am Ende werden die USA alle Entscheidungen in der eigenen Hand behalten“[24]a.a.O. Seite 90.

Von Dohnanyi beschreibt die US-amerikanische Verteidigungsstrategie durch Atomwaffen so: „Washington hat als Eigentümer dieser Waffen seit Jahrzehnten diese Strategie der „flexible response“ erläutert, wie es jetzt auch Präsident Biden durch seine Erklärung bestätigte: „Solange nicht die USA selbst angegriffen werden, wird ein Einsatz der Atombomben nicht erfolgen“. Das war allerdings die offizielle Verteidigungsdoktrin der USA als „flexible response“ schon seit den frühen sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Bereits de Gaulle hatte früh darauf aufmerksam gemacht: „Flexible response“ verlagere jedes mögliche Kriegsgeschehen in Europa ausschließlich auf die Staaten der EU selbst … „[25]Klaus von Dohnanyi „Nationale Interessen – Orientierung für eine deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ München 2022, 3. Auflage Seite 91 ff..

Klaus von Dohnanyi weiter: „Als die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Mai 2021 von der Erklärung Präsident Bidens berichtete, kommentierte sie, wenn diese ergänzende Abschreckungsstrategie durch die NATO angenommen werde, werde das Zweifel unter den Alliierten entstehen lassen und den Zusammenhalt der NATO gefährden: Die NATO bedürfe einer schnellen Reaktion, um erneut die Hauptfragen nuklearer Strategie zu diskutieren. Was jedoch an diesem Kommentar der DGAP am meisten erstaunt, ist die Meinung, es handele sich um einen „bedeutenden Kurswechsel innerhalb der Sicherheitspolitik der USA“. Das eben ist genau nicht der Fall! Bidens Erklärung schuf keine neue Lage, sie war vielmehr schon US-amerikanisches strategisches Dogma seit den sechziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts! Dass die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag jedoch weiterhin davon ausgeht, dass Europa nuklear verteidigt werde, ist angesichts der nun über sechzig Jahre alten „flexible response“-Strategie völlig unverständlich“[26]a.a.O. Seite 96 f. In Wikipedia wird die US-Verteidigungsstrategie der „flexible response“ ebenfalls unrichtig auf die Zeit bis zum Ende des Kalten Krieges begrenzt, siehe: … Continue reading.

Damit kommt Klaus von Dohnanyi zu dem entgegengesetzten Ergebnis des Leitartiklers der FAZ: „Wir müssen keine Kampfflugzeuge beschaffen, um nukleare Sprengköpfe zu transportieren, die nur zur Verteidigung der USA gedacht sind“[27]a.a.O. Seite 97.

Atomwaffenrisiko und Russland-Ukraine-Krieg

Prof. Dr. Karl Hans Bläsius ist Informatiker und Initiator der Initiative Atomkrieg aus Versehen.

Im Zusammenhang mit dem Russland-Urkaine-Krieg beschäftigt er sich zunächst mit dem bewussten Einsatz von Atomwaffen.

Er weist zunächst darauf hin, dass das Prinzip „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ in der aktuellen Situation schon allein deswegen nicht gilt, weil die Ukraine keine Atomwaffen besitzt[28]Bläsius Atomrisiko und „Russland-Ukraine-Krieg“.

Er gibt zu Bedenken, „dass die Auswirkungen eines Atomkriegs für alle Seiten so gravierend sind, dass auch in Krisen- und Kriegszeiten eine große Hemmschwelle für den Einsatz von Atomwaffen bestehen wird“[29]siehe hier.

Angesichts der Tatsache, dass inzwischen Atomwaffen mit geringer Sprengkraft entwickelt wurden, warnt er jedoch, dass „die Hemmschwelle sinken könnte“[30]siehe hier.

Bläsius weiter: „Es kann auch andere Szenarien geben, die zu einem bewussten Einsatz von Atomwaffen führen könnten. Beispielsweise besteht besteht die Gefahr, dass eine Atommacht, die in existenzielle Not gerät, den Einsatz von Atomwaffen in Erwägung zieht. Die Strategiepapiere Russlands sehen den Einsatz von Nuklearwaffen dann vor, wenn die Existenz der Russischen Föderation auf dem Spiel steht. Dabei ist es irrelevant, ob dieser Zustand militärisch oder wirtschaftlich herbeigeführt wird. Wenn Sanktionen gegen eine Atommacht so schwerwiegend sind, dass eine existenzielle Notlage entsteht, könnte dies das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen erhöhen. Ähnliches gilt für schwerwiegende Cyberangriffe auf ein Land. Die Frage ist, wann ist eine solche Grenze erreicht? Das Spektrum eines möglichen Schadenspotenzials erstreckt sich kontinuierlich von „gering“ bis „riesig“ bzw. „total“.

Für das Setzen einer Schwelle für einen nuklearen Angriff gibt es großen Ermessensspielraum innerhalb dieses kontinuierlichen Spektrums. Zu Beginn der Angriffe auf die Ukraine am 24.2.2022 hat der russische Präsident erklärt: „Jetzt ein paar wichtige, sehr wichtige Worte für diejenigen, bei denen die Versuchung aufkommen könnte, sich von der Seite in das Geschehen einzumischen. Wer auch immer versucht, uns zu behindern, geschweige denn eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben. Wir sind auf jede Entwicklung der Ereignisse vorbereitet. Alle notwendigen Entscheidungen wurden in dieser Hinsicht getroffen. Ich hoffe, dass ich gehört werde.“[31]siehe. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/putin-rede-angriff-ukraine-101.html

Diese Drohung wird als Drohung mit Atomwaffen interpretiert.[32]https://www.icanw.org/ican_condemns_russia_invasion_of_ukraine_an_escalation_risking_nuclear_war  und  https://www.icanw.de/action/ican-verurteilt-russische-invasion-in-die-ukraine/

Auch eine drohende Niederlage einer Atommacht in einer konventionellen Auseinandersetzung könnte zum Einsatz von Nuklearwaffen führen.

Am 27.2.2022 hat Russland seine „Abschreckungskräfte“ in Alarmbereitschaft versetzt, dazu gehören auch Atomwaffen.[4] Zwar war dies auch 2014 bei der Annexion der Krim geschehen, aber dieses Mal ist die Situation deutlich gefährlicher. Dies auch wegen bereits ausgesprochener und auch möglicher weiterer Sanktionen. Wenn eine solche Maßnahme wie die Alarmbereitschaft einmal gutging, muss das nicht immer so sein. Das gilt auch für andere Bereiche. Wenn beispielsweise ein riskantes Manöver im Straßenverkehr gut gegangen ist, bedeutet das nicht, dass solche Manöver immer gut gehen. Im Gegenteil: die Risikobereitschaft kann sich erhöhen, bis es zu einem schwerwiegenden Unfall kommt“[33]Bläsius Atomrisiko und „Russland-Ukraine-Krieg“.

Atomwaffeneinsatz aus Versehen

Dann beschreibt Prof. Dr. Bläsius die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen:

„Frühwarnsysteme für nukleare Bedrohungen basieren auf Sensoren und sehr komplexen Computer-Netzwerken und dienen dazu, Angriffe mit Atomwaffen so früh zu erkennen, dass ein Gegenschlag ausgelöst werden kann (bezeichnet als „Launch on Warning“), bevor die angreifenden Atomraketen einschlagen und eine Gegenreaktion erschweren oder verhindern.

In Frühwarnsystemen kann es aber zu Fehlalarmen kommen, d.h. es wird ein Angriff mit Atomwaffen gemeldet, obwohl keine Bedrohung vorliegt. Solche Alarmmeldungen sind dann besonders gefährlich, wenn politische Krisensituationen vorliegen, eventuell mit gegenseitigen Drohungen oder wenn in zeitlichem Zusammenhang mit einem Fehlalarm weitere Ereignisse eintreten, die zur Alarmmeldung in Zusammenhang gesetzt werden könnten. In der Vergangenheit gab es einige Situationen, in denen es nur durch großes Glück nicht zu einem Atomkrieg aus Versehen kam“[34]Bläsius Atomrisiko und „Russland-Ukraine-Krieg“.

Prof. Dr. Bläsius beschreibt die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen auch mit Blick auf den Russland-Ukraine-Krieg:

„Sehr kritisch sind solche Fehlalarme, wenn aufgrund entsprechender Drohungen oder sonstiger Erkenntnisse mit einem nuklearen Angriff des Gegners gerechnet wird bzw. ein solcher Angriff als plausibel gilt. Dann besteht die Gefahr, dass die Bewertungsmannschaft von einem tatsächlichen Angriff ausgeht und eine Entscheidung für eine Gegenreaktion treffen muss“.

Prof. Bläsius bezieht sich auf seine Ausführungen, dass eine Atommacht in existenzieller Not auch den Einsatz von Atomwaffen erwägen könnte, und fährt dann fort: „Angenommen es kommt in dieser Situation zu einem Fehlalarm mit einer nuklearen Angriffsmeldung: Wird der scheinbar angegriffene Staat dann auch abwarten und auf die Zweitschlagfähigkeit vertrauen oder eher einen sofortigen nuklearen Gegenschlag beschließen?

Besonders gefährlich kann es werden, wenn die aktuelle Situation in der Ukraine weiter eskaliert und auch die Nato in kriegerische Aktionen einbezogen wird. Dann kann es auch leicht zu nuklearen Auseinandersetzungen kommen. Vor diesem Risiko warnen auch militärische Experten[35]https://www.n-tv.de/politik/Ex-Oberst-warnt-vor-Eskalation-mit-dem-Westen-article23151797.html.

Bei einer drohenden Niederlage in einem konventionellen Krieg zwischen Atommächten könnte die unterlegene Seite den Einsatz von Atomwaffen in Erwägung ziehen. Des Weiteren wird jeder Fehlalarm in einem Frühwarnsystem für nukleare Bedrohungen in solchen Situationen extrem gefährlich. Wenn ohnehin schon kriegerische Auseinandersetzungen laufen, dann könnte eine Alarmmeldung in Bezug auf Atomwaffen auch sehr leicht aus plausibel eingeschätzt werden und den aktuellen Erwartungen entsprechen. Dann wäre es auch wirkungsvoller, eine Gegenreaktion einzuleiten, bevor die gegnerischen Atomwaffen einschlagen und eine Gegenreaktion erschweren. Kriegerische Konflikte zwischen Atommächten werden von Cyberangriffen begleitet sein, auch diese erhöhen das Risiko von Fehlinterpretationen bei Fehlalarmen in Frühwarnsystemen“[36]Bläsius Atomrisiko und „Russland-Ukraine-Krieg“.

Zwischenbilanz zu den Gefahren eines Atomkriegs

1.

Wir wiederholen zunächst, wie der Guardian das Militärmanöver mit begrenztem Einsatz von Atomwaffen „geringer“ Sprengkraft (taktische Atomwaffen im Unterschied zu strategischen Atomwaffen) zusammenfasst:

„Die Befürworter der neuen US-Atomwaffen behaupten, diese würden gebraucht, um Moskau vom Einsatz taktischer Atomwaffen abzuschrecken, weil die Russen dann mit einer entsprechenden US-Antwort rechnen und nicht mehr darauf hoffen könnten, dass die USA auf die Vergeltung mit strategischen Atomraketen verzichten würden.

Abrüstungswillige befürchten aber, dass sich in den Regierungen der USA und Russlands die (irrige) Meinung durchsetzen könnte, ein umfassender Atomkrieg ließe sich vermeiden, weil man in kleineren Konflikten auch durch den Einsatz taktischer Atomwaffen siegen könne (wodurch die Schwelle zu einem die Welt vernichtenden Atomkrieg sehr viel niedriger würde)“[37]a.a.O. .

2.

In dem Militärmanöver, über das der Guardian berichtete, wurde von einem Angriff Russlands auf eine US-Militärbasis in Europa ausgegangen. Betrachtet man dies als einen unmittelbaren Angriff auf die USA selbst, so wäre das eine Reaktion im Rahmen der „flexible response“, wie sie Klaus von Dohnanyi beschreibt.

Auch wenn man – anders als von Dohnanayi – annimmt, dass die USA bei einem russischen Angriff auf ein NATO-Mitglied zu einem atomaren Gegenschlag bereit sind, gilt in jedem Fall:

  • Die USA verlagert jedes mögliche Kriegsgeschehen in Europa ausschließlich auf die Staaten der EU selbst.
  • Auch einen Krieg mit Atomwaffen glauben die USA auf Europa beschränken zu können.
  • Es geht immer um den Einsatz nuklearer Waffen von „geringer Sprengkraft“, so dass nicht mehr uneingeschränkt gilt: „Wer als erster schießt, stirbt als zweiter“
  • Daher gilt auch nicht mehr die aus dieser Überzeugung hergeleitete Konsequenz, ein Atomkrieg werde niemals ausgelöst werden.

3.

Von Dohnanyi zu den Konsequenzen:

„Das aber heißt, dass Europa im Falle eines russischen Angriffs nach amerikanischer und NATO-Strategie zum alleinigen Kriegsschauplatz würde, ohne jedes Risiko für das Heimatland USA. Deutschland aber wäre, als vermutliche Nachschubbasis, sofortigen Raketenangriffen ausgesetzt. Haben die NATO oder die Bundesregierung den Deutschen jemals erklärt, was die heutige Verteidigungsstrategie eigentlich für ihr Land bedeuten würde? Die nukleare NATO bietet nämlich als heutige militärische Organisation keinerlei Garantie für Europas Unversehrtheit. Natürlich stellt auch die konventionelle Verteidigungsbereitschaft der NATO ein gewisses Risiko für jeden Angreifer da. Nur solange Russland selbst an einer Aggression nicht interessiert ist, ist Europa wirklich sicher. Eine entsprechende Haltung russischer Politik zu festigen und herzustellen, bleibt die vorrangige Aufgabe deutscher und europäischer Diplomatie! Dauerhafte Sicherheit kann es nur mit und nicht gegen Russland geben“[38]a.a.O. Seite 97.

Seit dem Februar 2022 versucht die NATO jedoch alles, die letzten Brücken zu Russland einzureißen. Sie wollen gegen Russland gewinnen. Warum sollte davon ausgegangen werden, dass Russland das zulässt? Je mehr die NATO den Krieg gegen Russland intensiviert, desto größer die Gefahr, dass Russland seinerseits Atomwaffen einsetzt.

4.

Von Dohnanyi weist daraufhin, dass die US-Verteidigungsstrategie „flexible response“ in der Vergangenheit nicht ausschloss, Deutschland mit Atomwaffen zu bombardieren, und er denkt dabei vor allem an „nukleare Waffen als taktische Waffen“, also an Atomwaffen mit „geringer“ Sprengkraft, die die USA einsetzen und „erheblich zur Zerstörung Deutschlands beitragen“ können[39]a.a.O.. Von Dohnanyi berichtet von einer NATO-Übung Ende der 1970er Jahre, an der er selbst beteiligt war: „So gegen drei Uhr morgens legten wir uns kurz schlafen. Als wir dann nach zwei Stunden aufstanden, erfuhren wir, dass die USA zur Verteidigung Europas gegen den simulierten Angriff kleinere „taktische“ nukleare Sprengsätze über Deutschland abgeworfen hatten, um einen Cordon sanitaire, einen Sicherheitsgürtel, gegen den weiteren russischen Vormarsch zu schaffen. Blech und ich waren überrascht, dass ein solcher Eingriff in die souveränen Rechte der Bundesrepublik ohne Abstimmung erfolgen konnte, und wir schrieben einen entsprechenden ärgerlichen Brief an den Bundeskanzler. Als ich dann etwas später mit Helmut Schmidt zusammentraf, bemerkte er, ihm sei diese Strategie der NATO bekannt und er werde, sowie kriegsähnliche Entwicklungen in Europa erkennbar würden, Deutschland für neutral erklären. Meine Antwort war recht lakonisch: „Dann, Helmut, ist es allerdings zu spät.“ Schmidt selbst hatte ja schon 1961 in „Verteidigung oder Vergeltung“ erklärt, Deutschland habe kein Interesse daran, das zerstörte Deutschland durch eine ‚letzte Schlacht‘ wieder befreit zu sehen“[40]a.a.O. Seite 92 f..

5.

Ted Postol, Physiker und Atomwaffenexperte sowie emeritierter MIT-Professor, lehrte vor seiner Zeit am Massachusetts Institute of Technology an der Stanford University und in Princeton und war außerdem wissenschaftlicher und politischer Berater des Chefs der Marineoperationen sowie Analyst im Office of Technology Assessment. Sein Fachwissen über Atomwaffen veranlasste ihn, die Behauptungen der US-Regierung über die Raketenabwehr zu kritisieren, wofür er 2016 den Garwin-Preis der Federation of American Scientists erhielt[41]Interview mit Ted Postol, https://widerstaendig.de/uncategorized/sechs-empfehlungen/#Ted .

Tred Postol beschreibt die nuklearen Gefahren so:

„Die Russen   – die weder verrückt sind noch Selbstmord begehen oder die US-Amerikaner zuerst ermorden wollen   – können nur eins tun, um die Begeisterung der US-Amerikaner für einen atomaren Angriff zu bremsen: Sie müssen Vorbereitungen für eine automatisierte Reaktion treffen. Dazu bräuchten sie eigentlich eine Art „Weltuntergangswaffe“, wobei ich nicht weiß, ob sie die wirklich wollen. Im Grunde müssten sie aber so eine Weltuntergangsreaktion vorbereiten, für den Fall, dass die russische Führung bei einem überraschenden atomaren Erstschlag der USA getötet wird.

Die Russen müssten also auch Vorkehrungen für diesen „Worst Case“ treffen. Das erfordert ein sehr kompliziertes System, in dem Fehler auftreten und zu unbeabsichtigten Frühstarts russischer Atomraketen führen können. Im Grunde genommen haben die amerikanische Modernisierungsbemühungen und die bedauerliche Unfähigkeit Russlands, sein Frühwarnsystem gleichwertig zu verbessern, zu einer Situation geführt, die potenziell noch viel gefährlicher ist als vorher, weil viel leichter eine fatale Störung einen Atomkrieg auslösen könnte. Und das kann sowohl ein soziales, ein politisches als auch ein technisches Problem sein“[42]https://widerstaendig.de/uncategorized/sechs-empfehlungen/#Ted .

Auf Nachfrage, ob er von der Modernisierung der letzten 10 Jahre spreche, die unter Barack Obama begonnen hat, antwortet Ted Postol: „Ja, auf jeden Fall, auf jeden Fall“[43]a.a.O..

Unmittelbar nach der Zündung einer Atomwaffe

Die Wirkung einer Atomwaffe unmittelbar nach ihrer Zündung beschreibt Ted Postol so: „Wenn eine Atomwaffe auf dem Gefechtsfeld gezündet wird, weiß zunächst niemand, was das bedeutet. War es eine einzelne Waffe? Werden ihr in wenigen Minuten oder Stunden weitere Atomexplosionen folgen? Wird der Gegner, den Sie gerade angegriffen haben, sofort oder erst in einigen Tagen mit einer oder mehreren Waffen nachziehen? Wird er versuchen, ihre Atomwaffenstandorte anzugreifen und ihre wichtigen Kommandozentralen in Bündnisstaaten wie zum Beispiel die US Air Base Ramstein.“[44]weitere Infos dazu s. unter https://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_13/LP14415_060815.pdf )? Keiner weiß, was der andere tun wird. Es ist wie ein Schachspiel auf einem Brett, bei dem man … Continue reading.

Die Wirkung einer Atomwaffe

Ted Postol weiter zur Wirkung einer Atomwaffe: “ Wir reden von einer Feuerwand, die alles um uns herum mit der Temperatur des Sonnenmittelpunkts einschließt. Die Explosion von Nuklearwaffen würde uns buchstäblich in weniger als Asche verwandeln. Ich kann nicht genug betonen, wie mächtig diese Waffen sind. Wenn sie detonieren, sind sie vier- oder fünfmal heißer als das Zentrum der Sonne, das 20 Millionen Grad Kelvin hat. Im Zentrum einer Detonation dieser Waffen herrschen 100 Millionen Grad Kelvin. Menschen können sich das Ausmaß dieser Hitze nicht vorstellen. Ich habe wiederholt Artikel über die Folgen der Explosion von Atomwaffen auf Städte geschrieben. Sie sind so schwerwiegend, dass sie die menschliche Vorstellungskraft sprengen. Im Zentrum der Explosion wird die Erdoberfläche fünfmal so heiß, wie das Zentrum unserer Sonne. Im Explosionsgebiet wird buchstäblich alles in weniger als Asche verglühen. Mir fehlen einfach die Worte, um vor dem wirklichen Ausmaß der Gefahr zu warnen“[45]https://widerstaendig.de/uncategorized/sechs-empfehlungen/#Ted .

„Wenn wir es tun, sind wir alle tot“

Der Atomwaffenexperte Ted Postol erklärte in einem Interview am 25. März 2022: „Ich kann Ihnen nur sagen, der Grund, warum diese Waffen nicht eingesetzt werden können, ist der, dass wir alle sterben werden, wenn wir sie einsetzen. So einfach ist das. Und ich könnte auch noch viel ausführlicher erklären, warum das, was ich gerade gesagt habe, richtig ist. Wenn sie also wieder die Frage stellen, warum wir diese Waffen nicht einsetzen können, ist die einfache Antwort: Wenn wir es tun, sind wir alle tot“.

Was tun?


Alternativen

Krieg sofort beenden

Wir haben in einem gesonderten Beitrag dargelegt, dass es möglich ist, den Krieg sofort zu beenden.

Die Berliner Zeitung berichtete am 20. Mai 2022, dass sich die New York Times zu einer Kehrwende in ihrer Haltung zum Ukraine- Krieg entschieden habe: „In dem Text verweist die New York Times auf das 40-Milliarden-Dollar-Soforthilfepaket für die Ukraine, das diese Woche verabschiedet wurde – und zitierte gleichzeitig Avril Haines, die Direktorin des Nationalen Nachrichtendienstes. Sie warnte kürzlich vor dem Streitkräfteausschuss des Senats, dass die nächsten Monate unbeständig sein könnten. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland könnte „eine unvorhersehbarere und potenziell eskalierende Richtung einschlagen“. Die New York Times spricht in diesem Zusammenhang von „außerordentlichen Kosten und ernsten Gefahren“ und verlangt von US-Präsident Joe Biden Antworten auf die Frage: Wohin soll das alles führen?“

Die deutschen Leitmedien scheinen zu einer solchen kritischen Bewertung der amerikanischen Politik in der Ukraine nicht in der Lage zu sein. Zwei Tage nach der Kehrwende der New York Times war der Tagesspiegel immerhin zur Veröffentlichung eines Gastkommentars des französischen Philosophen Edgar Morin bereit. Morin schreibt: „Zwar erklärt das von den USA geführte westliche Lager keinen Krieg gegen Russland zu führen. Aber seine Intervention für die Ukraine ist ein indirekter Krieg, zu dem ein Wirtschaftskrieg kommt. Wir befinden uns mitten in einer Eskalation, die durch neue gegenseitige Beschuldigungen und neue Wellen gegenseitige Krininalisierung aufrecht erhalten wird. Der indirekte Krieg kann jederzeit durch versehentliche Bombenangriffe auf russisches oder europäisches Territorium ausgeweitet werden. Ein dritter Weltkrieg wäre die Folge, mit taktischen Atomwaffen von begrenzter Reichweite, Drohnen und einem Cyberkeig zur Zerstörung der Kommunikationssysteme … Vor allem aber ist die Eskalation in Richtung eines globalisierten Krieges der Abstieg der Menschheit in den Abgrund. …“

Morin ist 1921 geboren, also hundert Jahre alt. Er hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt.

Mit, nicht gegen Russland

Aus der Beschreibung der Gefahren, die mit dem Konfrontationskurs gegen Russland heraufbeschworen werden, ergibt sich der Grundsatz: „Dauerhafte Sicherheit kann es nur mit und nicht gegen Russland geben“[46]a.a.O. Seite 97

Ohne NATO leben

Helmut Schmidt deutet zudem eine Alternative an, als er schon vor Jahrzehnten daran dachte, bei einer „kriegsähnlichen Entwicklung in Europa“ Deutschland für neutral zu erklären[47]siehe oben, wo Klaus von Dohnanyi Helmut Schmidt zitiert. Genau in dieser „kriegsähnlichen Entwicklung“ leben wir jetzt.

Klaus von Dohnanyi schreibt: „Viele Europäer erkennen inzwischen, was bei einer Verteidigung Europas durch die USA auf europäischem Boden herauskäme: Ein erneut total zerstörtes Europa, aber ein völlig unbeschädigtes US-Amerika. Europa hat eben andere Erfahrungen: Wir wissen, dass wir in einem Krieg mit Russland sogar als Sieger nur die Verlierer sein könnten! Nur Entspannungspolitik könnte die Kriegsgefahr für Europa verringern … Europa kann durch militärische Kraft, sei es die der EU oder die der von den USA beherrschten NATO, nicht wirklich gesichert werden. Das Ziel Europas muss am Ende eine allianzneutrale Position sein. Wer sich selbst gegenüber einem Stärkeren nicht mehr wirkungsvoll verteidigen kann, für den ist es immer sicherer, sich nicht einzumischen in die Konflikte der Größeren und sich auch nicht durch eine Allianz zu binden … Diejenigen Staaten, die während des zweiten Weltkrieges diese Regel befolgten, wie zum Beispiel Schweden, die Schweiz oder auch Spanien, kamen unzerstört aus dem Krieg heraus. Deswegen ist es auch heute im Interesse Europas, einen solchen Kurs anzustreben“[48]Klaus von Dohnanyi „Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ 3. Auflage 2022 München S. 118 ff.

Waffenexporte beenden
Während sich Deutschland vor Kriegsbeginn weigerte, Waffen an die Ukraine zu exportieren, jetzt aber um so mehr Waffen in die Ukraine liefert, verbietet die Schweiz selbst die Überflugerlaubnis für Waffentransporte über ihr Staatsgebiet[49]die Schweiz übernahm allerdings die wirtschaftlichen Sanktionsbeschlüsse der EU gegen Russland: „Die Schweiz erteilt angesichts des Ukraine-Krieges keine Überflugerlaubnis für Transporte, die das Ziel einer militärischen Hilfe für die Konfliktparteien haben … Der Bundesrat verwies bei seiner Entscheidung auf die gesetzlich festgeschriebene Neutralität der Schweiz. Dieser Grundsatz sei bereits in Dokumenten erwähnt, die bis ins Jahr 1647 zurückreichten, erklärte die Regierung in einer Broschüre, die infolge des russischen Einmarsches in die Ukraine herausgegeben worden war“[50]Berliner Zeitung vom 11.3.2022. Allerdings schließt sich auch die Schweiz den wirtschaftlichen Sanktionen der EU gegen Russland an; dazu weiterlesen hier oder hier weiterlesen.

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Italien haben gezeigt, dass wir nicht ohnmächtig sind: „Italiens Basisgewerkschaften sind in den Arbeiterkämpfen für soziale Gerechtigkeit seit Jahren der radikal antikapitalistische Vortrupp. In der vergangenen Woche rief ihre national führende Unione Sindicale di Base (USB) die Arbeiter des Flughafens „Galileo Galilei“ in Pisa auf, keine Waffen für die Ukraine zu verladen. Der Aufruf, dem die Beschäftigten geschlossen folgten, schloss auch den Kampf gegen die von den USA und der NATO geschürte Kriegshetze ein. In der Folge sah sich der Leiter der Flughäfen in der Toskana, Marco Carrai, zu der Aussage gezwungen, Waffenexporte würden von Pisa aus „nicht mehr stattfinden“. Unterstützt von der USB Porto Livorno demonstrierten am Sonnabend in Pisa Tausende Menschen. Nicht nur Arbeiter, sondern auch Einwohner der Stadt traten unter der Losung „Von der Toskana sollen Brücken des Friedens statt Kriegsflüge ausgehen“ der Kriegshysterie entgegen“[51]Gerhard Feldbauer „Antikapitalistischer Vortrupp“, Junge Welt 22. März 2022, Seite 15, und Junge Welt 31. März 2022.

References

References
1 „Die Welt vom 22. März 2022; auch die Süddeutsche Zeitung erscheint mit der Schlagzeile: „“EU-Länder schicken mehr Waffen“.
2 Süddeutsche Zeitung am 22. März 2022
3 Scholz im SPIEGEL vom 23.4.22
4 Stern vom 26.2.22, https://www.stern.de/news/lambrecht-sagt-partnern-lieferung-schwerer-waffen-an-ukraine-zu-31807448.html
5 “ … kann keine von uns die Bedrohung durch einen möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen und Atomwaffen geringer Sprengkraft auf die leichte Schulter nehmen. Wir tun es nicht“, siehe https://www.rnd.de/politik/einsatz-von-atomwaffen-im-ukraine-krieg-cia-warnt-russische-drohung-zu-unterschaetzen-KYKP6HE6ALENXKOTSMUPB6PT7U.html
6 siehe Stern vom 5. Januar 2023: https://www.stern.de/politik/deutschland/deutschland-liefert–marder–panzer-an-die-ukraine-33073020.html, abgerufen am 7. Januar 2023
7 Tagesschau vom 13.03.2023 um 21:22; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-kampfjets-ukraine-101.html, abgerufen am 14.04.2023 um 08:23 Uhr
8, 9 Berliner Zeitung vom 31.3.2023, abgerufen am 14.04.2023
10 Stern vom 25.01.2023 um 14:11 Uhr, abgerufen am 14.04.2023 08:26 Uhr
11, 14 zitierte nach Beitrag der VVN-BdA Aachen: https://aachen.vvn-bda.de/taurus-atomwaffenfaehig-atomkriegsgefahr-erhoeht/
12 https://www.ndr.de/nachrichten/info/Super-GAU-fuer-die-Bundeswehr-Taurus-Abhoerfall-sorgt-fuer-Wirbel,audio1584782.html , abgerufen am 2.3.2024 um 16:04 Uhr
13 Berliner Zeitung v. 4. März 2024, S. 13, „Deutschland kaviert“
15 Tagesschau vom 27.2.2024; abgerufen am 26.3.2024; link: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/macron-bodentruppen-ukraine-100.html
16 FAZ v. 4.5.2022 Leitartikel von Nikolas Busse
17, 21, 39, 43 a.a.O.
18 „Dass die Bundesregierung neue Kampfflugzeuge für die nukleare Teilhabe anschaffen will, ist ein wichtiger Beitrag dazu“- so Nikolas Busse in FAZ vom 4.5.20200
19 https://www.theguardian.com/world/2020/feb/24/limited-nuclear-war-game-us-russia; dieser Artikel ist auch zu lesen in der Luftpost 025/20 vom 20.03.2020: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_19/LP02520_220320.pdf
20 s. https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Strategic_Command
22, 37 a.a.O.
23 Klaus von Dohnanyi „Nationale Interessen – Orientierung für eine deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ München 2022
24 a.a.O. Seite 90
25 Klaus von Dohnanyi „Nationale Interessen – Orientierung für eine deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ München 2022, 3. Auflage Seite 91 ff.
26 a.a.O. Seite 96 f. In Wikipedia wird die US-Verteidigungsstrategie der „flexible response“ ebenfalls unrichtig auf die Zeit bis zum Ende des Kalten Krieges begrenzt, siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Flexible_Response
27, 38, 46 a.a.O. Seite 97
28, 33, 34, 36 Bläsius Atomrisiko und „Russland-Ukraine-Krieg“
29, 30 siehe hier
31 siehe. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/putin-rede-angriff-ukraine-101.html
32 https://www.icanw.org/ican_condemns_russia_invasion_of_ukraine_an_escalation_risking_nuclear_war  und  https://www.icanw.de/action/ican-verurteilt-russische-invasion-in-die-ukraine/
35 https://www.n-tv.de/politik/Ex-Oberst-warnt-vor-Eskalation-mit-dem-Westen-article23151797.html
40 a.a.O. Seite 92 f.
41 Interview mit Ted Postol, https://widerstaendig.de/uncategorized/sechs-empfehlungen/#Ted
42, 45 https://widerstaendig.de/uncategorized/sechs-empfehlungen/#Ted
44 weitere Infos dazu s. unter https://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_13/LP14415_060815.pdf )?

Keiner weiß, was der andere tun wird. Es ist wie ein Schachspiel auf einem Brett, bei dem man immer nur die Figur sehen kann, die gerade bewegt wird. Sie und ihr Gegner könnten auch schon die Kontrolle über die eigenen Figuren und die gegnerischen Züge verloren haben. Es herrscht ein totalen Chaos, und ehe man sich versieht, explodieren nicht nur ein paar Dutzend oder Hunderte, sondern Tausende von Atomwaffen. Das ist einfach unvermeidlich. Es ist wie bei der Finanzkatastrophe von 2008/09 (in den tatsächlichen Auswirkungen aber unvorstellbar desaströser). Bei den bestehenden Instabilitäten wird die Katastrophe nicht aufzuhalten sein. Deshalb sollten alle wirklich davor zurückschrecken, Atomwaffen auch nur auf niedrigstem Niveau einsetzen zu wollen“((siehe Interview mit Ted Postol, https://widerstaendig.de/uncategorized/sechs-empfehlungen/#Ted

47 siehe oben, wo Klaus von Dohnanyi Helmut Schmidt zitiert
48 Klaus von Dohnanyi „Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“ 3. Auflage 2022 München S. 118 ff.
49 die Schweiz übernahm allerdings die wirtschaftlichen Sanktionsbeschlüsse der EU gegen Russland
50 Berliner Zeitung vom 11.3.2022. Allerdings schließt sich auch die Schweiz den wirtschaftlichen Sanktionen der EU gegen Russland an; dazu weiterlesen hier oder hier weiterlesen
51 Gerhard Feldbauer „Antikapitalistischer Vortrupp“, Junge Welt 22. März 2022, Seite 15, und Junge Welt 31. März 2022