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Die wichtigsten Verpflichtungen des russischen Vertragsentwurfs und die Ablehnung der NATO:

Im folgenden in drei Punken zusammen gefasst die wichtigsten Verpflichtungen des russischen Vertragsentwurfs vom Dezember 2021 und die Stellungnahme der NATO dazu:

1. Keine Erweiterung der NATO

2. Keine militärischen Kräfte und Waffen einer Vertragsparteien auf dem auf dem Gebiet eines der anderen Staaten in Europa zusätzlich zu den am 27. Mai 1997 auf diesem Hoheitsgebiet stationierten Kräften, keine militärischen Aktivitäten der NATO in der Ukraine, Osteuropa, Zentralasien, im Südkaukasus, keine militärischen Übungen auf beiden Seiten der Grenze zwischen der NATO und dem russischen Militärbündnis

3. Keine Stationierung von landgestützten Mittel – und Kurzstreckenraketen in Gebieten, von denen aus die andere Vertragspartei erreicht werden kann

4. Fazit


1. Keine Erweiterung der NATO

Nach Artikel 6 des russischen Vertragsentwurfs sollen sich alle Mitgliedstaaten der NATO verpflichten, auf jede Erweiterung der NATO, einschließlich des Beitritts der Ukraine und Georgiens zu verzichten.

Die NATO soll jede Erweiterung ausschließen. Das bezieht sich vor allem auf die Ukraine, Georgien, aber auch auf Länder wie Finnland.

In ihrer Antwort auf den russischen Entwurf verteidigt die NATO dagegen eine “Verpflichtung zu einer Politik der offenen Tür“.

Solange es den Warschauer Pakt gab, wurde die NATO als Verteidigungsündnis gegen den Warschauer Pakt gerechtfertig. Die Auflösung des Warschauer Pakts vor über 30 Jahren war jedoch für die NATO kein Grund, sich auch aufzulösen. Im Gegenteil: Sie dehnte sich Schritt für Schritt immer weiter nach Osten aus.

Diese NATO-Osterweiterung widerspricht früheren Erklärungen führender NATO-Mitglieder, an die sich heute niemand erinnern will.

1997 bot die NATO in Madrid mit den ehemaligen Warschauer Pakt Staaten Polen, Tschechien und Ungarn Beitrittsverhandlungen an. Am 12. März 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Im November 2002 lud die NATO in Prag, die Länder Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien zu Verhandlungen über einen NATO-Beitritt ein. Am 29. März 2004 traten diese sieben Länder der NATO offiziell bei. Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 wurde der Bei-
tritt Albaniens und Kroatiens offiziell beschlossen. Ihr Beitritt wurde für den NATO-Gipfel im April 2009 in Kehl und Straßburg geplant, von allen NATO-Mitgliedern ratifiziert und am 1. April 2009 vollzogen. Moldawien, Georgien und der Ukraine wurden von den USA und der NATO schon 2008 eine Mitgliedschaft angetragen. Was damals noch an einem Veto Deutschlands scheiterte, ist aber niemals aus dem Blickfeld der NATO gerückt. Dagegen öffnete die NATO Russland nie diese Tür.

Mit der Versicherung der NATO, sich “immer für Frieden, Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum eingesetzt” zu haben (siehe Antwort der NATO zum Artikel 1 des russischen Vertragsentwurfs), ist unvereinbar, dass die NATO-Staaten auf eine zukünftige Aufnahme der Ukraine und Georgien in die NATO nicht verzichten wollen. Wer Frieden will, muss dieses Miltärbündnis ablehnen. Wer dieses Militärbündnis ablehnt, muss erst recht seine Ausdehnung ablehnen.

Im Jugoslawienkrieg 1999 zeigte die NATO, dass sie eine Militärbündnis ist, das fähig und bereit ist, Krieg zu führen, zu bombardieren, zu töten und zu zerstören, das Völkerrecht zu brechen und Grenzverschiebungen durchzusetzen.


2. Keine militärischen Kräfte und Waffen einer Vertragsparteien auf dem Hoheitsgebiet eines der anderen Staaten in Europa zusätzlich zu den am 27. Mai 1997 auf diesem Hoheitsgebiet stationierten Kräften, keine militärischen Aktivitäten der NATO in der Ukraine, Osteuropa, Zentralasien, im Südkaukasus, keine militärischen Übungen auf beiden Seiten der Grenze zwischen der NATO und dem russischen Militärbündnis

Nach Artikel 4 des russischen Vertragsentwurfs sollen sich die Russische Föderation und alle Mitgliedstaaten der NATO verpflichten, keine militärischen Kräfte und Waffen auf dem Hoheitsgebiet eines der anderen Staaten in Europa zusätzlich zu den am 27. Mai 1997 auf diesem Hoheitsgebiet stationierten Kräften zu stationieren. Diese Verpflichtung wird auf diejenigen Länder beschränkt, die schon am 27. Mai 1997 Mitglied der NATO waren.

Zudem sollen militärischen Aktivitäten der NATO in der Ukraine, Osteuropa, Zentralasien und im Südkaukasusund und militärische Übungen auf beiden Seiten der Grenzen zwischen der NATO und dem russischen Militärbündnis ausgeschlossen werden.

Zur Verdeutlichung, was gemeint ist, Lühr Henken, der diese Verpflichungen so zusammenfasst: “Rückzug von NATO-Truppen, die nach 1997 in den neuen Mitgliedsländern dort aufgestellt wurden. Das schließt auch die US-Raketenabwehrstellungen in Rumänien und Polen ein, die leicht mit Tomahawk-Marschflugkörpern bestückt werden können. … Die NATO-Staaten führen keine Manöver in Nicht-Mitgliedstaaten, also in der Ukraine, in Osteuropa, im Südkaukasus und Zentralasien durch. Beidseits der Grenze zwischen Russland und ihren Bündnispartnern der OVKS einerseits und der NATO-Staaten sollen in einer Zone, dessen Breite festzulegen ist, keine Manöver oberhalb einer Brigadestärke durchgeführt werden dürfen …”[1]Lühr Henken: Vortrag, den  Lühr Henken auf Einladung der Hellen Panke, Rosa Luxemburg Stiftung, am 5.4.22 im Münzenbergsaal des nd-Gebäudes.

Es ist aufschlussreich, dass in dem russischen Vertragswurf der Rückzug von militärischen Kräften und Waffen und der Ausschluss von militärischen Übungen als beidseitige Verpflichtungen formuliert sind, also als Verpflichtung Russlands einerseits und der NATO andererseits. Trotzdem treffen diese Verpflichtungen vor allem die NATO, weil die NATO es ist, die seit 1997 im Zuge der NATO-Osterweiterung ihre militärischen Kräfte und Waffen auf Hoheitsgebieten anderer Staaten stationiert hat.

Der Stichtag 27. Mai 1997 ist der Tag der Unterzeichnung der NATO-Russland-Grundakte, die unter anderem den NATO-Russland Rat begründete.

Die NATO nimmt zu dieser vorgeschlagenen Verpflichtung in Artikel 4 des russischen Vertragsentwurfs nicht Stellung, sondern verlangt von Russland, einseitig “seine Streitkräfte aus der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau” abzuziehen, “wo sie ohne Zustimmung des Gastlandes stationiert sind“.

Zudem verlangt die NATO in ihrer Antwort auf den russischen Vertragsentwurf von Russland, die Umsetzung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) wieder aufzunehmen – seine Anpassung war ebenfalls 1997 in der NATO-Russland Grundakte vereinbart worden.

Die Gründe, die Russland im Dezember 2007 zu einem Ausstieg aus dem KSE-Vertrag über konventionelle Abrüstung veranlassten, fasste Otfried Nassauer im Mai 2007 in einem Beitrag für den NDR “Putin und die konventionelle Rüstungskontrolle -Was hinter der angekündigten KSE-Aussetzung steckt” so zusammen:

“Der KSE-Vertrag stammt aus dem Jahre 1990. Er legte für die Hauptwaffensysteme der NATO und des Warschauer Paktes je gleiche Obergrenzen fest. Was darüber hinausging, musste überprüfbar zerstört oder abgezogen werden. Über 60.000 Großwaffensysteme wurden in der Folge verschrottet. 1992 wurden zusätzlich nationale Obergrenzen für die Personalstärken der Streitkräfte der Länder des ein Jahr zuvor aufgelösten Warschauer Paktes und der NATO vereinbart. Beide Abmachungen wurden ratifiziert und umgesetzt.

Mit der NATO-Osterweiterung 1997 entstand ein Problem. Der auf einer “Blockstruktur” basierende Vertrag, hier Warschauer Pakt und dort NATO, war nicht länger zeitgemäß. Mit Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik wollten drei Mitglieder des ehemaligen Warschauer Paktes der NATO beitreten. Um das Problem zu lösen und die NATO-Erweiterung abzufedern, wurde beschlossen, den NATO-Russland-Rat zu gründen und das Mandat für Verhandlungen über einen neuen KSE-Vertrag zu erteilen. Anlässlich des OSZE-Gipfels 1999 in Istanbul war dieser unterschriftsreif. Er enthält jetzt nationale Obergrenzen für die Hauptwaffensysteme und besondere Flankenregeln für den Nord- und Südosten Russlands, sowie Obergrenzen und Regeln für die Stationierung zusätzlicher NATO-Truppen in den neuen Mitgliedstaaten der NATO. Mit den Flankenregeln sollte sichergestellt werden, dass Moskau seine durch den Zerfall der Sowjetunion entstandenen kleinen Nachbarn wie die baltischen Staaten oder Georgien nicht unter Druck setzt. Die Verstärkungsregeln sollen verhindern, dass die NATO die Masse ihrer Truppen einfach in die neuen Mitgliedstaaten und näher an Russlands Grenzen verlegt.

Dieser adaptierte Vertrag, nun A-KSE genannt, ist bis heute nicht in Kraft getreten. Kein NATO-Staat hat ihn ratifiziert. Slowenien und die baltischen Staaten sind nicht einmal Mitglieder des alten KSE-Vertrages geworden und unterliegen damit keinerlei Begrenzungen für Personal, Hauptwaffensysteme oder Verstärkungen. Für Moskau wurde dies spätestens zum Problem, als diese Länder vor drei Jahren NATO-Mitglieder wurden …

Die NATO-Staaten sind bis heute untätig geblieben, obwohl Russland, Kasachstan, Weißrussland und die Ukraine das angepasste KSE-Abkommen mittlerweile ratifiziert und weitgehend umgesetzt haben. Die NATO-Mitglieder begründen ihre Zurückhaltung folgendermaßen: Zusammen mit dem angepassten KSE-Abkommen seien 1999 auf dem OSZE-Gipfel die Istanbuler Verpflichtungen verabredet worden. Russland habe sich zum Rückzug seiner verbliebenen Truppen aus Moldawien und Georgien verpflichtet. Dieser sei aber immer noch nicht vollständig abgeschlossen.

In der Tat: Ein halbes Jahr nach Istanbul haben die NATO-Außenminister sich in Florenz angesichts des Tschetschenienkrieges einseitig darauf festgelegt, das neue A-KSE-Abkommen erst zu ratifizieren, wenn der Abzug Russlands aus Georgien und Moldawien umgesetzt sei. Damit verzögern sie zugleich den Beitritt der neuen NATO-Mitglieder zum KSE-Regime. Der alte KSE-Vertrag kennt keine Klausel für den Beitritt neuer Mitglieder. Diese gibt es erst im angepassten KSE-Vertrag.

Russland lehnt diese Argumentation der NATO-Staaten ab. Die Erfüllung der Istanbuler Verpflichtungen sei rechtlich keine Voraussetzung, um den angepassten KSE-Vertrag zu ratifizieren. Russland habe zudem seine Abzugsverpflichtungen mittlerweile zum größten Teil erfüllt. Mit Georgien habe man sich auf einen Stationierungsvertrag und einen Abzugsplan bis 2008 geeinigt und diesen bereits zu großen Teilen umgesetzt. In Moldawien seien 500 Soldaten zur Bewachung eines riesigen Depots stationiert, das nicht unbeaufsichtigt bleiben könne”.

In Artikel 7 Absatz 1 des russischen Vertragsentwurfs verpflichten sich die Mitgliedstaaten der Nordatlantikvertrags-Organisation, keine militärischen Aktivitäten auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine sowie anderer Staaten in Osteuropa, im Südkaukasus und in Zentralasien durchzuführen.

In Artikel 7 Absatz 2 des russischen Vertragsentwurfs sollen sich die Russische Föderation und die NATO verpflichten, in einer Zone au beiden Seien der Grenze zwischen der der NATO-Staaten einerseits sowie der Russischen Föderation und den mit ihr in einem Militärbündnis stehenden Staaten andererseits keine militärischen Übungen oder sonstigen militärischen Aktivitäten oberhalb der Brigadeebene durchzuführen.


3. Keine Stationierung von landgestützten Mittel – und Kurzstreckenraketen in Gebieten, von denen aus die andere Vertragspartei erreicht werden kann

Der russische Vertragsentwurf schlägt in Artikel 5 vor: “Die Vertragsparteien stationieren keine landgestützten Mittel- und Kurzstreckenraketen in Gebieten, die es ihnen ermöglichen, das Gebiet der anderen Vertragsparteien zu erreichen”.

Dazu Lühr Henken: “Keine Seite stationiert Kurz- und Mittelstreckenraketen, die das Gebiet der anderen Seite erreichen können. Man beachte, hier sind auch jene mit konventionellen Sprengköpfen gemeint”[2]Lühr Henken: Vortrag, den  Lühr Henken auf Einladung der Hellen Panke, Rosa Luxemburg Stiftung, am 5.4.22 im Münzenbergsaal des nd-Gebäudes.

Ab 2015 hatte die NATO die Stationierung von Raktenabwehrsystemen der NATO in Rumänien[3]https://www.heise.de/tp/features/Nato-verstaerkt-atomaren-Ruestungswettlauf-weiter-3224900.html und in Polen[4]https://www.heise.de/tp/features/Patriots-fuer-den-Himmel-ueber-Polen-3371482.html entschieden. Die Raketen können Russland erreichen, sind NATO-offiziell konventionell bestückt, können aber auch atomar bestückt werden[5]siehe Rudi Rupp in einem Beitrag von 2018 .

Die Informationsstelle Militarisierung: “Schon länger wurde von russischer Seite scharf vor der Stationierung von Kurz- oder Mittelstreckenraketen in der Ukraine oder einem anderen osteuropäischen Land gewarnt. Wir erinnern uns: 2019 stiegen die USA mit lautem Getöse aus dem INF-Vertrag aus, der eine Stationierung landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500km und 5.500km bis zu diesem Zeitpunkt verbot. Als Begründung wurde angegeben, Russland habe den Vertrag bereits verletzt. Moskau bestritt die Vorwürfe und gab an, die infrage stehenden Marschflugkörper 9M729 (NATO-Codename SSC-8) hätten eine Reichweite unter 500km. Gleichzeitig bot es Vor-Ort-Inspektionen an, mit denen diese Frage hätte geklärt werden können. Stattdessen beharrten die USA und ihre Verbündeten aber auf ihren Anschuldigungen, kündigten den Vertrag auf und schlugen auch ein immer wieder von Russland angebotenes Moratorium für die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen aus. Schon 2019 wurden daraufhin Forderungen nach einer erneuten Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa laut und alles deutet darauf hin, dass die USA sich umgehend daran gemacht hatten, in diese Richtung zu arbeiten – es liegt deshalb nahe, die Aufkündigung des INF-Vertrages als Resultat dieser Ambitionen und nicht als Ergebnis bis heute nicht sattelfest bewiesener russischer Vertragsverletzungen zu begreifen (siehe IMI-Analyse 2019/25)”[6]siehe auch: IMI-Analyse 2022/03; ähnlich: ohne Rüstung leben.

Die Friedensbewegung kann nicht gegen den Vorschlag in dem russischen Vertragsentwurf (Artikel 5) sein, zu dem die NATO überhaupt nicht Stellung nimmt. Die Friedensbewegung kann den russischen Vorschlag nur unterstützen.

Lühr Henken zu dem oben zitierten Artikel 5 des russischen Vertragsentwurfs: “Verboten werden soll die Stationierung von Kernwaffen außerhalb des eigenen Territoriums. Das richtet sich gegen die „Nukleare Teilhabe“ in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Italien und der Türkei, wo insgesamt etwa 100 Atombomben lagern, die Ziele in Russland ansteuern können”[7]Lühr Henken: Vortrag, den  Lühr Henken auf Einladung der Hellen Panke, Rosa Luxemburg Stiftung, am 5.4.22 im Münzenbergsaal des nd-Gebäudes.

Die NATO schlägt dagegen in ihrer Antwort Verhandlungen vor “über künftige Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen und -vereinbarungen, die alle (Hervorhebung von Verfasser dieses Artikels) amerikanischen und russischen Kernwaffen betreffen”.

Kein Mensch, der für Abrüstung und Frieden ist, kann gegen Verhandlungen zur Einschränkung von Atomraketen sein. Allerdings sind Verhandlungen noch kein Abkommen. Es sei auch daran erinnert, dass nicht Russland, sondern die USA im Jahr 2002 einseitig aus dem Rüstungskontrollvertrag zur Begrenzung von Raktenabwehrsystemen ausstiegen. Dieser ABM-Vertrag war 1972 zwischen den USA und Russland vereinbart worden.

“Die gesamten atomaren US-Rüstungspläne lassen wenig andere Schlüsse zu, als dass die USA tatsächlich eine nukleare Erstschlagfähigkeit anstreben, ein Ergebnis, zu dem bereits 2006 ein Artikel in der renommierten Foreign Affairs mit dem bezeichnenden Titel „Der Aufstieg der USA zur nuklearen Vorherrschaft“ gelangte: „Streben die Vereinigten Staaten mit Absicht die nukleare Dominanz an? […] Die Natur der vorgenommenen Veränderungen bezüglich des Arsenals und der offiziellen Politik und Rhetorik stützen diese Schlussfolgerung. […] Mit anderen Worten, die gegenwärtigen und künftigen Nuklearstreitkräfte der USA scheinen dafür konzipiert zu sein, einen präemptiven Entwaffnungsschlag gegen Russland oder China zu führen.“ Etwas mehr als zehn Jahre später legten die beiden Autoren, Keir A. Lieber und Daryl G. Press, in der International Security noch einmal nach, in der sie argumentierten, durch die Modernisierung der US-Atomwaffen würden die USA noch einmal deutlich näher in Richtung einer Erstschlagfähigkeit gegenüber Russland rücken”.[8]siehe IMI-Analyse 2019/25.

4. Fazit

Der russische Vertragsentwurf und die Antwort der NATO beschreiben in dem gegenwärtigen Krieg die Ausgangs- und Interessenlage der russischen Regierung und der NATO und damit der deutschen Bundesregierung.

Entscheidende Positionen, die die NATO vertritt, kann die Friedensbewegung nicht teilen ohne sich selbst aufzugeben. Die Interessen der NATO und der Herrschenden in Deutschland können nicht die Interessen der Friedensbewegung sein. Das wird auch deutlich mit der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Sondersitzung des Bundestages am Sonntag, den 27. Februar 2022, Waffen an die Ukraine zu liefern, einen Sonderfond von 100 Milliarden für die Bundeswehr aufzulegen, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttohaushaltes anzuheben und die Auslandsguthaben der russischen Zentralbank weitgehend zu blockieren. Wenn die Friedensbewegung das unterstützt, ist sie eine Bewegung für Aufrüstung, Krieg und Wirtschaftskrieg, aber keine Friedensbewegung mehr.

Die NATO war und ist nicht bereit, eine Mitgliedschaft der Ukraine für die Zukunft auszuschließen. Die Ukraine hat in ihre Verfassung das Ziel aufgenommen, Mitglied in der NATO zu werden. Es ist gar keine Frage, dass dies eine enorme Bedrohung für Russland ist. Wenn das Militär in der Ukraine zu einer schlagkräften Armee ausgebaut ist, was dann? Ist überdies ausgeschlossen, dass die NATO – wie in Polen und Rumänien möglich – irgendwann in der Zukunft auch in der Ukraine Nuklearraketen stationiert? Es gibt keinerlei Garantien, die für die Zukunft ausschließen, dass die NATO über eine “Nukleare Teilhabe”, wie sie schon in Deutschland, Italien, Belgien, Niederlande und der Türkei praktiziert wird, in Polen und Rumänien und nach einer Aufnahme der Ukraine in die NATO auch in der Ukraine Nuklearwaffen stationiert. Wer den Frieden sicherer machen will, kann diese “Nukleare Teilhabe” nur ablehnen, wie es der russische Vertragsentwurf vorschlägt.

Auch wenn es zu keinem Einsatz von Nuklearwaffen kommt, haben die Kriege, die die westlichen Staaten mit den USA an der Spitze in den vergangen Jahren in Afghanistan, im Irak, in Lybien und Syrien führten, einen zerrüteten Staat, Elend und Chaos über die Bevölkerung hinterließen. Niemand kann dieses Schicksal Russland wünschen.

Hier zurück zum Hauptartikel: Was will Russland, was die NATO – Gegenüberstellung im Detail entlang dem russischen Vertragsentwurf

References

References
1, 2, 7 Lühr Henken: Vortrag, den  Lühr Henken auf Einladung der Hellen Panke, Rosa Luxemburg Stiftung, am 5.4.22 im Münzenbergsaal des nd-Gebäudes
3 https://www.heise.de/tp/features/Nato-verstaerkt-atomaren-Ruestungswettlauf-weiter-3224900.html
4 https://www.heise.de/tp/features/Patriots-fuer-den-Himmel-ueber-Polen-3371482.html
5 siehe Rudi Rupp in einem Beitrag von 2018
6 siehe auch: IMI-Analyse 2022/03; ähnlich: ohne Rüstung leben
8 siehe IMI-Analyse 2019/25

Nie wieder Krieg!

In Charkiw starb der 96jährige Antifaschist Boris Romantschenko, als sein Haus von einer russischen Rakete getroffen wurde. Dies teilte das Internationale Buchenwald-Dora-Komitee mit, dessen Vizepräsident Romantschenko gewesen war.

Wolodimir Selenskij – Fernsehfeldherr des Tages

Arnold Schölzel in der Jungen Welt vom 18. März 2022:

“Der Mann versteht sein TV-Handwerk: Seine Videoansprache im Bundestag am Donnerstag beendete er wie üblich mit dem Ruf »Ruhm der Ukraine!«, worauf die Abgeordneten sich erhoben und stehend Beifall klatschten. Die Parole wurde vor mehr als 80 Jahren von der »Organisation Ukrainischer Nationalisten« (OUN) populär gemacht. Deren Mitglieder kämpften u. a. im Bataillon »Nachtigall« an der Seite der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und ermordeten Hunderttausende Juden, Polen und Rotarmisten. Seit 2018 ist der Ruf mit dem Zusatz »Ruhm den Helden!« offizieller militärischer Gruß in der ukrainischen Armee. Einer der OUN-Anführer, Stepan Bandera (1909–1959), wurde Anfang 1933 nach dem Vorbild Hitlers und Mussolinis zum »Führer« gewählt. Die heutige Ukraine ehrt ihn mit Statuen (laut Neuer Zürcher Zeitung gegenwärtig 40), jährlichem Aufmarsch zu seinem Geburtstag und mit der Benennung von Straßen und Plätzen. Die Parole aus Selenskijs Mund spiegelt eine in seinem Land populäre deutsch-ukrainische Tradition wider.

Ganz in diesem Sinn hatte der Präsident zuvor von der Bundesrepublik verlangt, endlich den Dritten Weltkrieg zu beginnen – mit einer Flugverbotszone über der Ukraine. Begründung: Wieder werde versucht, in Europa ein ganzes Volk zu vernichten. Durch die russische Invasion sei erneut eine Mauer entstanden. Den durch Erfinder Joseph Goebbels etwas belasteten Ausdruck »Eiserner Vorhang« vermied er, verlangte aber von Kanzler Olaf Scholz persönlich: »Zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die es verdient.«

Selenskij war 2019 mit dem Versprechen, Frieden im Donbass und mit Russland herbeizuführen, zum Präsidenten gewählt worden. Seitdem tat er alles, um den Krieg der Kiewer Regierung gegen die eigenen Landsleute in der Ostukraine weiterzuführen. Der Faschistenschlachtruf gehört dazu”.

Rüstung und Grundgesetz

Poster Abrüstung

In dem Aufruf “Abrüsten statt aufrüsten!” heißt es:

“Die Bundesregierung plant, die Rüstungsausgaben nahezu zu verdoppeln, auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (BIP). … Militär löst keine Probleme. Schluss damit.”

Für diesen Aufruf werden seit mehreren Jahren Unterschriften gesammelt, unter anderem von der IG Metall und von ver.di – bisher 180.000.

Mit dem Ukrainekrieg scheint der Bundeskanzler das zwei-Prozent Ziel fest im Blick zu haben. Auf Dauer? Jürgen Wagner schreibt im IMI-online Dienst am 16. März: “Unklar war lange, ob das Sondervermögen zu diesem Betrag “on top” hinzukommen würde, wie es sich unter anderem die Verteidigungministerin gewünscht hätte. Wenigstens das scheint aber nicht der Fall zu sein: Gemäß der vom Kabinett beschlossenen Eckwerte des Bundeshaushalts bleibt es für dieses Jahr bei den geplanten 50,3 Milliaren Euro, bis 2026 soll der reguläre Verteidigungshaushalt bei 50,1 Milliarden eingefroren werden. Die sich hier ergebende Lücke zu den zwei Prozent des BIP soll über das Sondervermögen gefüllt werden. Einiges ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unklar, etwa ob für das zwei-Prozent-Ziel der offizielle Haushalt oder die der NATO übermittelten Zahlen herangezogen werden sollen. Die liegen deutlich höher, weil darin einige – wenn auch nicht alle – verdeckten Kosten mit enthalten sind (2021: 46,9 Milliarden (offiziell) vs. 53,1 Milliarden (gemäß NATO-Kriterien)).

… Ein Militärhaushalt von zwei Prozent des BIP müsste im Jahr 2026 laut Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) rund 85 Milliarden umfassen, er müsste also gegenüber den jetzigen Planungen um eine Größenordnung von rund 35 Milliarden angehoben werden.

Der offensichtliche Versuch, dieses Problem der nächsten Bundesregierung vor die Füße zu legen, könnte allerdings an der CDU scheitern, die ihre erforderlich Zustimmung zur Grundgesetzänderung davon abhängig macht, dass es eine dauerhafte Garantie für einen Verteidgungshaushalt oberhalb der zwei-Prozent-BIP-Linie gibt”.

Das bestätigte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU am 20. März in einem Interview mit dem Tagesspiegel:

Ohne CDU/CSU klappt die nötige Grundgesetzänderung nicht. Unter welchen Bedingungen stimmt die CDU/CSU zu?

Merz: … Wir sprechen mit der Regierung über ein umfassendes Gesetz zur Beschaffung von Rüstungsgütern und der Finanzierung der Bundeswehr. Wir halten uns an den Satz, den der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat: “Wir wollen ab sofort mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dauerhaft für die Bundeswehr investieren.” Und von diesem Ziel sind wir auch nach der Kabinettsentscheiung von dieser Woche weit entfernt.

Warum?

100 Milliarden können die Lücke, die wir alljährlich haben, nur für vier bis fünf Jahre schließen. Der Verteidigungshaushalt muss kontinuierlich aufwachsen, wir dürfen nicht nur ein Sondervermögen von 100 Milliarden einmalig über die nächsten Jahre verteilen. Dann wären wir spätestens 2026 wieder beim selben Elend.”

Vor Jahren forderte die CDU/CSU, eine Schuldenbremse im Grundgesetz. Die staatlichen Ausgaben sollten auf die staatlichen Einnahmen begrenzt werden. Die SPD stimmte dafür und so wurde das Grundgesetz entsprechend geändert. Weil die Regierungsparteien jetzt befürchten, dass eine Ausgabe von 100 Milliarden Euro gegen diese im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verstoßen könnte, planen sie eine weitere Änderung des Grundgesetzes, für die sie die CDU/CSU benötigen.

Das Ziel:

Für alle Ausgaben gilt die Schuldenbremse – nur nicht für die Rüstungsausgaben.

Wir brauchen kein 100 Milliarden Programm, um in den nächsten vier Jahren einen Rüstungshaushalt von über zwei Prozent des BIP sicherzustellen. Wir brauchen keinen Rüstungshaushalt von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Daher brauchen wir auch keine Grundgesetzänderung.

Zwei Reden von Ferat Kocak – eine gehalten, eine verhindert.

Ferat Kocak

Die verhinderte Rede

3. März 22: Friedensdemo von fridays for future.

Foto: Ingo Müller

Die Verhinderung seiner Rede gegen Krieg, Rassismus & Aufrüstung auf der Friedensdemo vor fridays for Future Berlin kommentiert Ferat Kocak so: “Meine Rede die ich am 3. März 2022 auf der #fridaysforfutureberlin Friedensdemo in Berlin nicht halten durfte, aufgrund meiner Positionierung zur Nato. #standwithukraine Ergänzung: Fridays for Future Berlin hat sich entschuldigt und meine Rede auf Instagram und Twitter verbreitet. Ich supporte weiterhin FFF beim globalen Klimastreik am 25. März im Antifa Block, denn wir haben viele gemeinsame Kämpfe noch vor uns. Ich hab sehr viel Solidarität erhalten. Was mich richtig geflasht hat war die Solidarität von FFF Ukraine.”

Hier die Rede, die Ferat Kocak, antirassistischer Aktivist, halten wollte:

Mit freundlicher Genehmigung von Ferat.

Die gehaltene Rede

18. März 22: Geradedenken gegen Querdenken

Foto: Ingo Müller

Unten ist eine zweite Rede von Ferat Kocak zu hören, auf der Kundgebung “Geradedenken gegen Querdenken und Rechts“, 18.03.2022 über sein Erlebnis: “NSU 2.0 bedroht mich rassistisch seit 2019”:

und zum Ukraine-Krieg:

Die Audioaufnahmen werden mit freundlicher Genehmigung von Ferat Kocak veröffentlicht.

Mediziner*innen in Russland und der Ukraine rufen zum Frieden auf

“Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine dauert an und fordert Menschenleben. Eine Eskalation des Konflikts kann zu noch schwerwiegenderen Folgen führen: andere Länder und Atomanlagen könnten betroffen werden, sogar der Einsatz von Atomwaffen ist möglich.
Wir stehen vor einer großen Tragödie in der Mitte Europas, die durch politische Entscheidungsträger verursacht wird, die nicht in der Lage sind, miteinander zu sprechen und einander zu verstehen. Amtsträger, die einseitige Vorteile für ihr Land anstreben, ohne Rücksicht auf die Rechte und die Sicherheit anderer Länder.
Die Arbeit aller Ärzt*innen dieser Welt ist eng verbunden mit dem Grundsatz, sie gleichberechtigt und ohne Vorurteile auszuführen. Die jüngste COVID-19-Pandemie hat allen vor Augen geführt wie verletzlich medizinisches Personal sein kann, wenn die Gesundheitssysteme durch ein Desaster solchen Ausmaßes überfordert sind. Krankheit, Tod und Burnout bei medizinischem Personal haben die Notwendigkeit unterstrichen, viel Zeit, Geld und Ressourcen in die Ausbildung und Vorbereitung kompetenter und qualifizierter medizinischer Fachkräfte zu investieren.
Russland und die Ukraine sind seit den Anfängen ihrer Geschichte eng miteinander verbunden. Es ist schwer, eine Person in Russland zu finden, die (oder deren Freund*innen) keine Verwandten in der Ukraine hat. Beide Länder sind ein Teil Osteuropas. Sie teilen enge wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen. Das ist der Grund, weshalb alle Ärzt*innen in der Region die aktuelle Situation mit
großer Besorgnis sehen. Die gefährlichste aller möglichen Bedrohungen ist die nukleare Bedrohung ….”

Die russische und die ukrainische Sektion der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) haben heute eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie sich gegen den Krieg in der Ukraine aussprechen und vor einer weiteren Eskalation bis hin zum Atomkrieg warnen. Die Erklärung vereint die Mediziner*innen über die Kriegsgrenzen hinweg und baut auf dem Grundsatz der ärztlichen Pflicht, Menschen gleichberechtigt und ohne Vorurteile zu helfen. Sie betont zudem die tiefe Verbindung zwischen Russland und Ukraine: familär, kulturell und ökonomisch ….”

Hier die gesamte Erklärung lesen:

Diese gemeinsame Erklärung von Mediziner*innen Russlands und der Ukraine vom 16. März 2022 veröffentlichte die Vereinigung der IPPNW am 17. März 2022 auf ihrer website mit folgender Einleitung:

“Die russische und die ukrainische Sektion der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) haben heute eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie sich gegen den Krieg in der Ukraine aussprechen und vor einer weiteren Eskalation bis hin zum Atomkrieg warnen. Die Erklärung vereint die Mediziner*innen über die Kriegsgrenzen hinweg und baut auf dem Grundsatz der ärztlichen Pflicht, Menschen gleichberechtigt und ohne Vorurteile zu helfen. Sie betont zudem die tiefe Verbindung zwischen Russland und Ukraine: familär, kulturell und ökonomisch …. Das Statement wurde nicht öffentlich namentlich unterzeichnet, um die Ärzt*innen auf beiden Seiten zu schützen.”

Whistelblowerin Katharina Gun

“George Bush und Tony Blair, vor allem aber Tony Blair, vermittelten der Öffentlichkeit den Eindruck, sie seien an einer diplomatischen Lösung in Sachen Irak interessiert … In Wirklichkeit aber suchten sie händeringend nach einer Zustimmung der Vereinten Nationen, um den Krieg zu rechtfertigen, den sie offenbar wollten … Man hat uns aufgefordert, an einem illegalen Verfahren mitzuwirken. Mit dem letztendlichen Ziel, eine militärische Intervention wider das Völkerrecht herbeizuführen.”

So kommentierte Katharine Gun, Übersetzerin und Analystin beim GCHQ, die eine als streng geheim klassifizierte Nachricht auf ihrem E-Mail-Account, die Frank Koza, Stabschef der NSA-Abteilung “Regionale Ziele”, am 31. Januar 2003 an die Mitarbeiter des Government Communications Headquarters (GCHQ), dem britischen Spionage-Pendant zum amerikanischen NSA, geschickt hatte. Laut dieser E-Mail ging darum, dass die NSA “eine Flut von Maßnahmen durchführt, die sich insbesondere gegen die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (UNSC) richtet (abzüglich USA und GB natürlich)”. Ziel war, die Meinungsbildung namentlich unter den nichtständigen Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat auszuforschen: Angola, Chile, Kamerun, Bulgarien, Guinea, Pakistan. Grundsätzlich interessierte sich der Stabschef für “die ganze Palette an Informationen, die den US-Politikgestaltern einen Vorteil verschafft. In der Absicht Resultate zu erzielen, die sich positiv auf US-Interessen auswirken und Überraschungen abwenden”[1]zit. nach Marcia und Thomas Mitchell: The Spy Who Tried To Stop A War, Katharina Gun and the Secret Plot to Sanction the Iraq Invasion, London 2019, S. 3. Koza fordert die britischen Geheimdienstler auf, mit eigenen Mitteln den UNSC auszuspionieren.

Am 27. Januar 2003 hatte der Schwede Hans Blix, Waffeninspekteur der UN, in einem Bericht festgestellt, dass Bagdad den Vorgaben der UN-Resolution 1441 zur Überprüfung seiner Waffenarsenale entsprochen habe. ABC Waffen seien nicht gefunden worden.

Nach einem Abwägen von mehrere Tagen druckte Katharina Gun diese E-Mail aus und übergab sie einer freien Journalistin, die das an Martin Bright, einen Redakteur des Observer weitergab. Nach gründlichen Recherchen und erheblichen internen Konflikten veröffentlichte der Observer am 3. März 2003 diese E-Mail und die Ergebnisse der weiteren Recherche unter der Schlagzeile: “Enthüllt: Schmutzige Tricks der USA, um die Abstimmung im Irak zu gewinnen”.

Drei Tage nach der Veröffentlichung, am 5. März, offenbarte sich Katharina Gun ihren Vorgesetzten.

Am 5. Februar 2003 plädierte Außenminister Colin Powells vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für den Sturz Saddam Husseins und den Krieg gegen die Irak im Monat darauf. Die Begründung: Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen. Zwei Jahre später, im September 2005, bedauerte Powell in einem ABC-Interview diese Rede vor dem Sicherheitsrat. Die Behauptung, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügt habe, sei falsch gewesen.

Den Prozess, den die Staatsanwaltschaft gegen Katharina Gun wegen Geheimnisverrats anstrengte, gewann Katharina Gun. Ihr Anwalt Emmerson rückte die Frage der Legalität des Irakkrieges in den Mittelpunkt. Gun habe gehandelt, um größeren Schaden von Großbritannien abzuwenden und den Tod britischer Soldaten zu verhindern. Dem Rechtsbruch Gun’s sei der deutlich schwerer Rechtsbruch der Regierung Tony Blair’s vorausgegangen. Emmerson hatte Akteneinsicht in Regierungsdokumente beantragt. Generalstaatsanwalt Goldsmith war gleichzeitig Berater des Außenministeriums und hatte in dieser Funktion zunächst mitgeteilt, dass es eine UN-Resolution notwendig sei, um gegen den Irak gewaltsam vorzugehen, dann aber hatte er seine Haltung geändert und am 7. März erklärt, eine Invasion sei grundsätzlich “gesetzeskonform”, ohne eine zweite UN-Resolution. Offensichtlich wollte Goldsmith nicht, dass die Legalität des Irak-Krieges vor dem Gericht erörtert würde. So zog die Staatsanwaltschaft ihre eigene Anklage zurück. Katharina Gun sagte unmittelbar nach ihrem Freispruch: “Ich würde es wieder tun”.

Der Irak-Krieg kostete in der Zeit zwischen 2003 und 2006 nach den Schätzungen der 2. Lancet Studie 390.000 bis 940.000 Menschen, nach einer Studie der WHO 151.000 Menschen das Leben. Allerdings bezieht die Studie eine recht willkürlich definierte Auswahl ziviler Opfer von Gewalt ein. Betrachtet man an alle erfassten Toten, so ergab auch diese Studie der WHO eine Verdoppelung der jährlichen Tdesfälle ab 2003.

Diese Angaben über diese beiden Studien und die in diesen Studien ermittelten Zahlen der Toten des Irak-Krieges stützt sich auf das Buch des IPPNW: Body Count Opferzahlen nach 10 Jahren “Krieg gegen den terror” Irak Afghanistan Pakistan, 1. internationale Auflage 2015

Diese Darstellung der Whistleblowerin Katharina Gun stützt sich auf das Buch: Michael Lüders “Die Scheinheilige Supermacht. Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen” München 2021 S. 105 ff.

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References

References
1 zit. nach Marcia und Thomas Mitchell: The Spy Who Tried To Stop A War, Katharina Gun and the Secret Plot to Sanction the Iraq Invasion, London 2019, S. 3

Sie hätten den Krieg verhindern können!

17. März 2022 Es wird immer wieder das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine angeführt. Sicher, die Ukraine ist berechtigt, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO zu stellen. Aber ebenso sind die Mitglieder der NATO berechtigt, einen solchen Antrag abzulehnen. Nun ist in den letzten Tagen von Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine die Rede, die einen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ausschließen sollen.

Die NATO macht Russland für den Krieg verantwortlich, weil die russische Regierung ihre Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Bruch des Völkerrechts. Aber die NATO und allen voran die USA sind für diesen Krieg mehr verantwortlich als sie jemals zugeben werden.

Sie wußten, was sie tun.

Zbigniew Brzezinski, über viele Jahrzehnte einer der wichtigsten amerikanischer Sicherheitsberater, der nicht unbedingt als Taube bekannt ist, erklärte am 29. Juni 2015 in der Zeitung “Die Welt”: “Damit sich aus dem Kalten Krieg kein heißer Krieg entwickelt, müssen der Westen und Moskau ernsthaft miteinander verhandeln, um eine Kompromissformel zu finden …. Man muss anerkennen, dass sich einerseits die Ukraine hinsichtlich ihrer Zukunft und ihrer Erwartungen sehr stark nach Westen orientiert. Russland möchte andererseits so viel Kontrolle wie möglich aufrechterhalten. Vor diesem Hintergrund würde meiner Ansicht nach die beste Kompromissformel darauf hinauslaufen, dass die Ukraine sich am Status Finnlands orientiert. Der Ukraine würde es gestattet, sich eng Europa anzuschließen, und zugleich bekäme Russland die Zusicherung, dass die Ukraine nicht Mitglied der Nato wird. Sie hätte, so wie Finnland, einen speziellen Sicherheitsstatus”.

Die USA, die Bundesregierung, die NATO – sie hätten den Krieg verhindern können. Das meint auch die deutsche Sektion IALANA in ihrem offenen Brief vom 29. März 2022 an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Sie hätten den russischen Vertragsentwurf in wesentlichen Punkten unterstützen können. Dazu gehört vor allem die Forderung, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO wird. Das haben sie nicht getan.

Auch die Bundesregerung hat das nicht getan, obwohl der Bundeskanzler noch wenige Tage vor dem Krieg mit dem russsichen Präsidenten in Moskau sprach.

Stattdessen beschloß der Bundestag nach der Invasion der russischen Trruppen in die Ukraine am 27. Februar, einem Sonntag (!), 100 Milliarden in die Bundeswehr zu investieren, jährlich zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (BIP = Bruttoinlansprodukt) für die Verteidigung auszugeben, Waffen in die Ukraine zu liefern und das Auslandsguthaben der russischen Zentralbank zu blockieren.

Wir wollen Frieden mit denen, die in der Ukraine leben. Wir wollen aber ebenso Frieden mit denen, die in Russland leben. Und wer sagt denn, dass eine Mitgliedschaft der NATO dem Frieden dient? Wer sagt, dass die Stationierung von Atomrakten in Polen und Rumänien dem Frieden dient? Seit wann ist die NATO ein Friedensbündnis? Warum hat die Bundesregierung nicht darauf gedrängt, dass die Atomraketen der NATO aus Polen und Rumänien abgezogen werden? Alle Länder, die in den letzten 25 Jahren in die NATO aufgenommen wurden, sind mit Zustimmung der Bundesrepublik in die NATO aufgenommen worden; denn solche Beschlüsse werden in der NATO einstimmig gefasst. Warum hat die Bundesregierung immer zugestimmt? Warum hat die Bundesregierung gegenüber Russland nicht verbindlich zugesichert, dass sie auch zukünftig niemals einer Aufnahme der Ukraine in die NATO zustimmen wird? Ihr war der Erhalt des NATO-Bündnisses wichtiger als der Erhalt die Friedens in Europa.

Schaut man genau hin zeigt sich, wie aktuell die Losung ist, die schon vor über hundert Jahren galt: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.