>

7. Als Lokführer bin ich doch gut abgesichert. Kann es mir nicht egal sein, bei wem ich arbeite?

7. September 2020 von benhop

Einsparungen beim Personal sind eine wichtige Methode rasch die Gewinne zu erhöhen. Schon allein der Versuch, die Aktien der Deutsche Bahn AG an die Börse bringen, führte in den Jahren 2006 bis 2008 führte zu erheblichen  Personalreduzierungen bei der S-Bahn GmbH – mit verheerenden Folgen für den S-Bahn Betrieb im Jahr 2009. Auch ein privater Betreiber der S-Bahn wird auf Personaleinsparungen nicht verzichten wollen. Personaleinsparung führt zu Arbeitsverdichtung. Das wird sich bei allen Beschäftigten bemerkbar machen, auch bei den Lokführern. 

Die Ansprüche, die bei der S-Bahn GmbH durch Tarifvertrag  abgesichert waren und nach dem Betreiberwechsel nur noch durch den einzelnen Arbeitsvertrag abgesichert sind,  darf der neue Betreiber nach den gesetzlichen Regeln „nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers ändern“[1].

Eine fehlenden Tarifbindung des neuen Betreibers kann dem Lokführer auch aus einem anderen Grund nicht egal sein: Die Belegschaft wird gespalten und gegeneinander aufgebracht.

Die Arbeitskräfte, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden, haben bessere Arbeitsbedingungen als die übrigen Arbeitskräfte. Schlechter Arbeitsbedingungen haben diejenigen, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden, die aber Tätigkeiten ausüben, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden. Die schlechtesten Arbeitsbedingungen haben diejenigen, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden und auch keine Tätigkeiten ausüben, die früher von der S-Bahn GmbH ausgeführt wurden. Für diese dritte Gruppe Beschäftigter gibt es in der Ausschreibung keinerlei Vorgaben zu den Arbeitsbedingungen, zu denen sie arbeiten müssen. Die  ungleichen  Arbeitsbedingungen bestehen, obwohl exakt die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird- zum Beispiel als Lokomotivführer.

Wenn der neue Betreiber an dieselben Tarifverträge gebunden wäre, wie die S-Bahn GmbH, gäbe es diese ungleichen Arbeitsbedingungen für dieselben Tätigkeiten nicht.. Eine Verpflichtung zu dieser Tarifbindung enthält die Ausschreibung aber nicht und kann sie  auch nicht enthalten. Die Zerstörung der bisherigen Tarifbindung ist also eine Folge der Ausschreibung.

Also: Ohne Ausschreibung kein Verlust der Tarifbindung. Und: Ohne Verlust der Tarifbindung keine Spaltung unter den Beschäftigten.

Die Erfahrung zeigt, dass in diesen unterschiedlichen Arbeitsbedingungen bei gleicher Tätigkeit eine große Sprengkraft liegt[2]. Die Bedeutung der ungleichen Arbeitsbedingungen nach einer Ausgliederung oder nach einer Vergabe durch Ausschreibung wie im vorliegenden Fall wird regelmäßig deswegen unterschätzt, weil alles nur aus der Jetzt-Perspektive der S-Bahn Beschäftigten betrachtet wird: Die Arbeitsbedingungen der S-Bahn Beschäftigten sollen sich nicht verschlechtern. Wenn das auch nur über Einzelarbeitsverträge gesichert werden kann, soll das ausreichen. Nach einem Betreiberwechsel kommt es aber auf die neue Belegschaft an, die eben nicht nur aus den von der S-Bahn GmbH übernommenen Arbeitskräften besteht. Die allein auf den individuellen Anspruch fokussierte Betrachtungsweise ist ein Gift, das die Beschäftigten ohnmächtig macht, weil es davon ablenkt, dass diese Individualansprüche immer das Ergebnis von gemeinsamem Handeln sind und auch nur in gemeinsamem Handeln verteidigt werden können.


[1]                     § 613a BGB: „(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird. …….

                (4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt“.    

[2]                      J. Seppelt, R. Niemerg u.a. Der Aufstand der Töchter, Hamburg 2018 VSA Verlag

6. Tariftreue – ist das nicht was Gutes?

7. September 2020 von benhop

Die neuen Betreiber können nicht zu einem Vertrag mit den Gewerkschaften verpflichtet werden, aber als Ersatz können sie zu einem Vertrag mit dem Staat verpflichtet werden. In diesem Vertrag verpflichtet der Staat den neuen Betreiber zur Einhaltung von bestimmten Tarifverträgen (Tariftreue)[1].

Nach dem Wortlaut des Gesetzes haben die Länder Berlin und Brandenburg zwar einen Ermessenspielraum bei der Bestimmung dieser Tarifverträge, aber das Gesetz stellt auch klar, dass das Land Berlin einen neuen Betreiber der Verkehrsdienste nur dazu verpflichten muss, seine Beschäftigten „bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen“[2]. Das Gesetz verlangt nicht, dass die Tariftreue auch für alle anderen Arbeitsbedingungen gilt, die durch die bisher geltenden Tarifverträge festgeschrieben wurden und die sich nicht auf den Lohn beziehen, z.B. Arbeitszeit,  Ruhezeit, Urlaub, Kündigungsschutz usw. 

Die Ausschreibung der Nord-Süd-Bahn und der Stadtbahn enthält eine Verpflichtung zur Tariftreue im Verkehrsdienst[4] und eine Verpflichtung zur Tariftreue in der Instandhaltung[5]. Unternehmen, die den Verkehrsbetrieb oder die Instandhaltung übernehmen wollen, werden in der Ausschreibung verpflichtet, ihre Arbeitskräfte bei der Ausführung dieser Tätigkeiten „mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen“. Dann werden die Tarifverträge (pdf-Datei) aufgelistet, die zur Anwendung kommen sollen. Es sind nur Tarifverträge mit Entgeltregelungen. Alle anderen Regelungen in diesen Tarifverträgen und alle anderen Tarifverträge der EVG und GdL, an die die S-Bahn GmbH gebunden ist, fallen unter den Tisch, z.B. der Demographie-TV der EVG, der einen sehr starken Kündigungsschutz enthält. Zudem kritisiert die EVG, dass der Senat in die Liste nicht einschlägige Entgelttarife für die Beschäftigten der S-Bahn GmbH aufgenommen hat.

Weil es sich um einen Vertrag mit dem Staat handelt, kann auch nur der Staat für die Einhaltung dieser Tariftreue sorgen. Aus dieser  Tariftreue entstehen keine Ansprüche, die der einzelne Beschäftigte geltend machen könnte. Vielmehr sind die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften darauf angewiesen, dass der Staat für die Einhaltung dieser Tariftreue sorgt.     

Tariftreue heißt also nicht Tarifbindung. Tariftreue ist besser als keine Tariftreue[3], aber wesentlich schlechter als die bisherige Tarifbindung. Nach einem Betreiberwechsel müssen die Gewerkschaften die Bindung an die bestehenden Tarifverträge neu erkämpfen. Sollten der Verkehrsbetrieb nach 15 Jahren und das Instandhaltungsunternehmen nach 30 Jahren aufgrund einer erneuten Ausschreibung noch einmal wechseln, fängt wieder alles von vorne an.


[1]              Das Kapital entzieht sich in den letzten 20 Jahren nicht nur immer mehr der Tarifbindung und hat selbstverständlich auch kein Interesse an Auflagen zur Tariftreue, die in einem über viele Jahre andauernden Konflikt gegen das Kapital durchgesetzt wurden. Die einschlägigen Regeln zur Tariftreue finden sich im Berliner Auftrags – und Vergabegesetz (BerlAVG), GVBl. 2020, 276. Das geänderte BerlAVG trat am 1. Mai 2020 in Kraft. Es gilt für alle Vergabeverfahren, die ab dem 1. Mai 2020 begonnen werden. Am 2. April 2020 hatte das Berliner Abgeordnetenhaus dieses Gesetz in der Fassung der Vorlage zur Beschlussfassung  – Drucksache 18/2538 – angenommen Die Regelungen zur Tariftreue finden sich also nicht im GWB, sondern in den Ländergesetzen, die dafür auch die Zuständigkeit haben, da diese „Regelungen unter das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Absatz 1 Nr. 11 GG fallen und nach Art. 70 GG i.V.m. Art. 72 Absatz 2 GG der Bund im Rahmen dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz den hier vorliegenden Regelungsgegenstand nicht abschließend gesetzlich geregelt hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11.07.2006 – 1 BvL 4/00)“ – so wörtlich die Begründung zu § 9 BerlAVG.   

[2]                     § 10 BerlAVG lautet: „Öffentliche Personennahverkehrsdienste
Unbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach § 128 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vergeben öffentliche Auftraggeber gemäß § 2 Aufträge über öffentliche Personennahverkehrsdienste, wenn sich die Auftragnehmer bei der Angebotsabgabe verpflichten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) bei der Ausführung dieser Dienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Die öffentlichen Auftraggeber bestimmen in der Bekanntmachung der Ausschreibung sowie in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen und vereinbaren eine dementsprechende Lohngleitklausel für den Fall einer Änderung der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit. Außerdem sind insbesondere die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (Abl. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1) zu beachten“.(§ 10 BerlAVG v. 22.April 2020, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes und weiterer Rechtsvorschriften v. 22. April 2020 (GVBl. S. 276))

[4]                     „Das BerlAVG und das BbgVgG enthalten Verpflichtungen zur Tariftreue. Die AG haben gem. § 4 Satz 1 BerlAVG und § 4 Abs. 3 BbgVgG entschieden, für die Leistungen auf den Gebieten beider Länder die Regelungen des BerlAVG in der jeweils geltenden Fassung zur Anwendung zu bringen. Der AN wird daher im Sinne von § 10 Satz 1 BerlAVG verpflichtet, seine Arbeitskräfte bei der Ausführung der vertragsgegenständlichen Leistungen über öffentliche Personennahverkehrsdienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Der Auftragnehmer wird verpflichtet, Leistungen der Kundenbetreuer und Leistungen der Triebfahrzeugführer in einem bestimmten Umfang selbst zu erbringen. Nähere Angaben hierzu sind aus den Vertragsunterlagen ersichtlich. Die in Abschnitt III.2.2), (1) geregelte Pflicht zur Personalübernahme bleibt hiervon unberührt.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 2 und 4, jeweils unter II.2.4)           

[5]                     „Die AG haben sich zum Schutz des für die vertragsgegenständlichen Instandhaltungsleistungen eingesetzten Personals für eine Tariftreueverpflichtung entschieden. Der AN wird daher verpflichtet, diese Arbeitskräfte bei der Ausführung der o.g. Leistungen mind. nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Für alle vorstehenden Ausführungen wird ergänzend auf die Vertragsunterlagen verwiesen.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 1 und 3, jeweils unter II.2.4)               

5. Für wen sind die Regelungen aus Tariftreue wichtig?

7. September 2020 von benhop

Für alle, die Tätigkeiten ausüben, die bisher von Beschäftigten der S-Bahn GmbH ausgeführt wurden, nach einem möglichen Betreiberwechsel aber nicht mehr von ihnen ausgeführt werden.

Beschäftigte, die früher bei der S-Bahn GmbH gearbeitet haben und dann von dem neuen Betreiber übernommen wurden, werden nach und nach aus dem neuen Unternehmen ausscheiden, altersbedingt, krankheitsbedingt oder auch deswegen, weil sie bei diesem neuen Betreiber nicht bleiben wollen und einen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen gefunden haben.  Denkbar ist auch, dass Beschäftigte der S-Bahn GmbH Widerspruch gegen den Wechsel zu einem neuen Betreiber eingelegt haben und auf diese Weise bei der Deutschen Bahn bleiben. So werden sehr rasch frühere S-Bahn-GmbH-Tätigkeiten von Beschäftigten ausgeführt, die nicht von der S-Bahn GmbH übernommen wurden. Sie führen Tätigkeiten aus, die früher bei der S-Bahn GmbH zu den dort geltenden Tarife erledigt wurden, haben aber keine Ansprüche aus den Tarifverträgen der S-Bahn GmbH, auch nicht über ihren Arbeitsvertrag, weil sie keine Arbeitskräfte sind, die von der S-Bahn GmbH übernommen wurden.

Die Regelungen zur Tariftreue greifen nach dem Gesetz nur für die „Arbeitskräfte, die die den Auftrag prägenden, mit der eigentlichen Verkehrserbringung verknüpften Tätigkeiten wahrnehmen“ oder auf die „mit der die im Kernbereich der Verkehrserbringung tätigen“ Arbeitskräfte, also für die Lokführer.

Die Ausschreibung der Nord-Süd-Bahn und der Stadtbahn enthält aber eine Verpflichtung zur Tariftreue im Verkehrsdienst[1] und auch eine Verpflichtung zur Tariftreue in der Instandhaltung[2]. Also soll auch für die Arbeitskräfte in der Instandhaltung die Verpflichtung zur Tariftreue gelten.

…………………………………………………………………………………………………………………………….


[1] „Das BerlAVG und das BbgVgG enthalten Verpflichtungen zur Tariftreue. Die AG haben gem. § 4 Satz 1 BerlAVG und § 4 Abs. 3 BbgVgG entschieden, für die Leistungen auf den Gebieten beider Länder die Regelungen des BerlAVG in der jeweils geltenden Fassung zur Anwendung zu bringen. Der AN wird daher im Sinne von § 10 Satz 1 BerlAVG verpflichtet, seine Arbeitskräfte bei der Ausführung der vertragsgegenständlichen Leistungen über öffentliche Personennahverkehrsdienste mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Der Auftragnehmer wird verpflichtet, Leistungen der Kundenbetreuer und Leistungen der Triebfahrzeugführer in einem bestimmten Umfang selbst zu erbringen. Nähere Angaben hierzu sind aus den Vertragsunterlagen ersichtlich. Die in Abschnitt III.2.2), (1) geregelte Pflicht zur Personalübernahme bleibt hiervon unberührt.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 2 und 4, jeweils unter II.2.4)           

[2] „Die AG haben sich zum Schutz des für die vertragsgegenständlichen Instandhaltungsleistungen eingesetzten Personals für eine Tariftreueverpflichtung entschieden. Der AN wird daher verpflichtet, diese Arbeitskräfte bei der Ausführung der o.g. Leistungen mind. nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen zu entlohnen. Maßgeblich sind die hier dargestellten Tarifverträge: https://www.daisikomm.de/download.aspx?file=D63399/008. Etwaige Änderungen der Entgelttarife bei Änderungen der Tarifverträge während der Vertragslaufzeit sind nachzuvollziehen. Für alle vorstehenden Ausführungen wird ergänzend auf die Vertragsunterlagen verwiesen.“ (Aus der Ausschreibung Teillose 1 und 3, jeweils unter II.2.4)        

4. Wenn ich bei einem möglichen neuen Betreiber beschäftigt werde, was passiert mit meinen TV- Ansprüchen, die ich bei der S-Bahn Berlin hatte?

7. September 2020 von benhop

Der Senat kann einen neuen Betreiber der S-Bahn nicht dazu verpflichten, sich durch Vertrag mit den Gewerkschaften an die bisher geltenden Tarifverträge zu binden. Wenn der neue Betreiber nicht mehr an die bisher geltenden  Tarifverträge gebunden ist, dann bestehen auch keine Ansprüche mehr aus diesen Tarifverträgen. 

a. Für eine Gruppe von S-Bahnern gilt: Kollektive Ansprüche (d.h. Ansprüche aus den bisher geltenden Tarifverträgen) werden durch Gesetz zu Individualansprüchen (d.h. zu Ansprüchen aus Arbeitsvertrag)

Allerdings geht alles das, was bisher aus Tarifvertrag geltend gemacht werden konnte, nach dem Verlust der bisher geltenden Tarifverträge nicht ganz verloren. Denn ein Beschäftigter, der bisher bei der S-Bahn GmbH gearbeitet hat, verliert zwar nach einem Betreiberwechsel seine Ansprüche aus den bisher geltenden Tarifverträgen, nicht aber seine Ansprüche aus seinem Arbeitsvertrag. Sein Arbeitsvertrag gilt weiter und die andere Vertragspartei wird durch Gesetz ausgewechselt: An Stelle der S-Bahn GmbH wird der neue Betreiber Partei des Arbeitsvertrages. Und nicht nur das. Die Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag werden durch Gesetz erweitert: Alle Ansprüche, auf die der Beschäftigte bisher aus Tarifvertrag Anspruch hatte, gelten jetzt als Ansprüche aus dem einzelnen Arbeitsvertrag weiter.

Das gilt aber nicht für alle S-Bahner, die von einem neuen Betreiber übernommen werden. Es git nur für die S-Bahner, deren Tätigkeiten für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen „unmittelbar erforderlich“ sind.Dazu gehören jedenfalls die Lokführer.

b. Für eine andere Gruppe von S-Bahner gilt nur das Senatsversprechen, zu denselben Arbeitsbedingungen wie bisher in eine landeseigene Beschäftigungsgesellschaft übernommen zu werden.

Vor allem für die S-Bahner in den Werkstätten ist nicht verbindlich gesichert, welche Arbeitsbedingungen sie zu erwarten haben, wenn zukünftig nicht mehr die S-Bahn GmbH für die Instandhaltung verantwortlich ist. Denn der Berliner Senat ist zwar der Auffassung, dass die Beschäftigten in der Instandhaltung und Reparatur für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen „unmittelbar erforderlich“ sind. Allerdings ist diese Auffassung wohl mit der Befürchtung gepaart, dass diese Auffassung vor einem Gericht erfolgreich zu Fall gebracht werden könnte. Dann wäre das Werkstattpersonal nicht mehr geschützt: Es hätte damit weder einen Anspruch auf Übernahme durch den neuen Betreiber noch eine Anspruch auf Weitergeltung der bisherigen Arbeitsbedingungen.

Deswegen hat der Berliner Senat als Ersatzregelung die landeseigene  Beschäftigungs-Gesellschaft (LBG) erdacht und will ein neues Instandhaltungsunternehmen zur Beschäftigung dieser Arbeitskräfte aus der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft verpflichten.

Das Land Berlin bietet den S-Bahnern aus den Werkstätten zwar einen Arbeitsvertrag mit der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft an, aber es ist völlig unsicher, zu welchen Bedingungen. Es ist unsicher, ob und in welcher Form die Arbeitsbedingungen weiter gelten, auf die sich die Beschäftigten der S-Bahn GmbH bisher aus Tarifvertrag berufen konnten.

Um die Verpflichtung zur Übernahme des Werkstattpersonals bei einem Betreiberwechsel gab es Streit im Senat. Dieser Streit endete in einer Protokollnotiz[1], die zu dieser Regelung in der veröffentlichten Ausschreibung führte und die dieselben Arbeitsbedingungen verspricht wie bei der S-Bahn GmbH. Rechtssicher ist diese Zusicherung derselben Arbeitsbedingungen allerdings nicht; eine neuer Senat muss sich an diese Zusicherung durch eine Protokollnotiz nicht gebunden fühlen, erst recht nicht ein neuer Senat, der politisch anders zusammen gesetzt ist als der derzeitige rot-rot-grüne Senat.

c. Für eine dritte Gruppe ist nichts gesichert, d.h. weder ihre Übernahme noch die bisherigen Arbeitsbedingungen sind gesichert

Das sind dijenigen, die in der S-Bahn GmbH weder als Lokführer noch in der Instandhaltung arbeiten. Wenn sie nach einem Betreiberwechsel nicht übernommen werden, auch nicht zu schlechteren Arbeitsbedingungen, hat sich die Frage erledigt, was mit den TV-Ansprüchen passiert, die bei der S-Bahn GmbH galten.    



[1]  In der Protokollnotiz wird unter Nr. 2 verlangt, dass „im Bereich der Instandhaltung sichergestellt werden muss, dass die Menschen, die beim bisherigen Betreiber für die Instandhaltung der S-Bahn Fahrzeuge beschäftigt waren und für die Erbringung der Instandhaltungsleistungen unmittelbar erforderlich sind, entweder von einem etwaigen neuen Betreiber ein Arbeitsangebot nach Maßgabe der Vorgaben für einen Betriebsübergang  (§613a BGB)  erhalten oder ein Angebot erhalten, im Rahmen einer Auffanggesellschaft und unter Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs mit dem neuen Betreiber zu den bisherigen Bedingungen beschäftigt zu werden, wenn diese Menschen beim bisherigen Betreiber nicht weiter beschäftigt werden“.

3. Müssen alle Beschäftigten der S-Bahn GmbH, die aufgrund der Ausschreibung ihren Arbeitsplatz verlieren, von dem neuen Betreiber übernommen werden?

7. September 2020 von benhop

Ob ein neuer Betreiber Beschäftigte der S-Bahn GmbH übernehmen muss, hängt davon ab, ob die Beschäftigte  für die Erbringung der Verkehrsdienstleistung auf den Teilnetzen Nord-Süd oder Stadtbahn „unmittelbar erforderlich“ sind[1]:  

  1. Die Lokomotivführer auf diesen beiden Teilnetzen sind „unmittelbar erforderlich“, um die Fahrgäste zu befördern. 
  2. Für das Werkstattpersonal ist die Sache schon komplizierter. Der Berliner Senat ist der Auffassung, dass auch das Werkstattpersonal „für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich“ ist. Er hat daher in die  Ausschreibung eine Verpflichtung zur Übernahme auch für alle Beschäftigten der Werkstätten der S-Bahn GmbH hineingeschrieben. Alle, die bisher die Fahrzeuge auf den beiden Teilnetzen instandgehalten haben, sollen übernommen werden. Gleichzeitig enthält die Ausschreibung aber eine Regelung zur Aufhebung dieser Übernahmeverpflichtung: Wenn einer der Mitbewerber sie rügt, gilt die  Übernahmeverpflichtung nicht mehr. Dann kommt jedoch eine Ersatzregelung zum Zuge: Dem Werkstattpersonal, das nicht weiter bei der S-Bahn GmbH beschäftigt wird, wird eine Übernahme in eine  landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) angeboten[2] und gleichzeitig das neue Instandhaltungsunternehmen zum Einsatz dieses Personals in der neuen Werkstatt verpflichtet. Zu diesem Zweck muss das neue Instandhaltungsunternehmen einen so genannten Gemeinschaftsbetrieb mit der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) bilden. Ein solcher Gemeinschaftsbetrieb zeichnet sich dadurch aus, dass die Arbeitskräfte einen Arbeitsvertrag mit der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) haben, obwohl sie in dem Betrieb eines anderen Unternehmens – der Werkstatt des neuen Instandhaltungsunternehmens – tätig sind.
  3. Für andere Beschäftigte der S-Bahn GmbH wird keine Lösung angeboten, obwohl die EVG schon frühzeitig auch für diese Beschäftigten eine Übernahme verlangt hatte[3]. Es ist völlig offen, ob die Arbeitskräfte in den Bereichen Fahrgastinformation, Marketing, Planung und Disposition, die aufgrund eines  Betreiberwechsels ihren Arbeitsplatz bei der S-Bahn GmbH verlieren werden, von einem neuen Betreiber übernommen werden.  
  4. Ausdrücklich schließt die Ausschreibung aus, dass diejenigen übernommen werden müssen, die im Vertrieb der S-Bahn GmbH arbeiten.

[1]              § 131 Abs. 3 GWB enthält unter Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 die Regelungen: „ dass bei einem Wechsel des Betreibers  … der ausgewählte Betreiber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die beim bisherigen Betreiber für die Erbringung einer Verkehrsleistung beschäftigt waren, übernimmt und ihnen die Rechte gewährt, auf die sie Anspruch hätten, wenn eine Übergang gemäß § 613 a BGB erfolgt wäre“. Diese Regelung „soll“ bei einer Ausschreibung nach § 131 Abs. 3 GWB der öffentliche Arbeitgeber verlangen. Für den Fall, dass ein öffentlicher Auftraggeber dies verlangt, wie im vorliegenden Fall der Berliner Senat, „beschränkt sich das Verlangen auf  die diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich sind (Hervorhebung durch B.H.)“.  Der Kreis der von den Regeln des Betriebsübergangs (§613a BGB) erfassten Arbeitskräfte wird damit noch weiter eingeschränkt als nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vorgesehen, wo es in Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung heißt: „Unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern, kann die zuständige Behörde den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden  (Hervorhebung durch B.H.), die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Verpflichtet die zuständige Behörde die Betreiber eines öffentlichen Dienstes, bestimmte Sozialstandards einzuhalten, so werden in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen die betreffenden Arbeitnehmer aufgeführt und transparente Angaben zu ihren vertraglichen Rechten und zu den Bedingungen gemacht, unter denen sie als in einem Verhältnis zu den betreffenden Diensten stehend gelten“.; die Richtlinie 2001/23/EG ist vergleichbar mit § 613 a BGB

[2]              „Soweit das Vergabeverfahren zu einem Betreiberwechsel führt, besteht eine Verpflichtung des neuen Betreibers zur Personalübernahme vom bisherigen Betreiber gemäß § 131 Abs. 3 GWB, der nach Auffassung der AG auch das für die Instandhaltung von S-Bahn-Fahrzeugen beim aktuellen Betreiber beschäftigte Werkstattpersonal schützt. Sollte die Verpflichtung zur Personalübernahme für das Werkstattpersonal auf die Rüge eines Bewerbers aufgehoben werden, wird dem bei einem Betreiberwechsel nicht weiter beschäftigten Werkstattpersonal ein Übernahmeangebot durch eine Beschäftigungsgesellschaft des Landes Berlin (LBG) gemacht. Das neue Instandhaltungsunternehmen wird sodann zur Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs mit der LBG verpflichtet“ – so wörtlich in der Ausschreibung vom 8.8.2020 im EU-Amtsblatt.

[3]                     Pressemitteilung der EVG vom 18. Mai 2020

2. Was bedeutet die Ausschreibung für meinen Arbeitsplatz bei der S-Bahn Berlin GmbH?

7. September 2020 von benhop

Die im Amtsblatt der EU im August veröffentlichte Ausschreibung kann dazu führen, dass die S-Bahn GmbH den Auftrag für den Verkehrsdienst auf den  beiden Teilnetzen Nord-Süd Bahn und Stadtbahn verliert; das sind 2/3 des gesamten S-Bahn Netzes. Zudem kann die S-Bahn GmbH die Zuständigkeit verlieren für die Instandhaltung und Reparatur der S-Bahn Fahrzeuge auf diesen Strecken. Dann fallen alle diese Arbeitsplätze bei der S-Bahn GmbH weg und es fallen auch alle davon abhängigen Arbeitsplätze in anderen Bereichen der S-Bahn GmbH weg:  Fahrgastinformation, Marketing, Planung und Disposition usw. 

1. Was verbirgt sich hinter der Ausschreibung des S-Bahn Betriebs?

7. September 2020 von benhop

Wenn es um Steuergelder geht, kommt es auf eine sparsame Haushaltsführung an: Die soll  durch eine Ausschreibung gesichert werden. Wenn es aber um Leistungen geht, die bisher immer durch den Staat angeboten wurden, dann ist die Ausschreibung weit mehr: Sie wird zum Türöffner für die Privatisierung dieser staatlicher Leistungen. Wenn nach der Ausschreibung der S-Bahn ein oder mehrere Privat-Unternehmen den Zuschlag bekommen, ist der Betrieb der S-Bahn auf den Teilnetzen Nord-Süd und Stadtbahn für 15 Jahre und die Instandhaltung der Fahrzeuge auf diesen Teilnetzen für 30 Jahre in privater Hand.

Es geht um ein Gesamtvolumen von 8 Milliarden Euro. Es geht um viele Beschäftigte, die jetzt noch bei der S-Bahn GmbH arbeiten. Und es geht um die Sicherung eines guten und zuverlässigen Personennahverkehrs. Mit der Privatisierung des S-Bahn Betrieb gibt das Land Berlin seine unmittelbare Verantwortung für einen guten Personennahverkehr, für den Schutz der Umwelt und für gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten an ein privates Unternehmen ab. Für ein privates Unternehmen steht an erster Stelle die Verzinsung des eingesetzten Kapitals.

Die Berliner haben in den vergangenen Jahren nur schlechte Erfahrungen mit  Privatisierungen gemacht. Das Wasser wurde privatisiert und die Wasserpreise stiegen in  astronomische Höhe. Erst ein erfolgreicher Volksentscheid erzwang, dass das Wasser wieder zurück in Landeseigentum geführt wurde. Dafür musste viel Geld gezahlt werden. Dann wurden Wohnungen privatisiert. Jetzt gibt es die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die Deutsche Wohnen AG ist inzwischen im Deutschen Aktien Indes (Dax) als eines der großen Unternehmen in Deutschland gelistet.  Es ist zu hoffen, dass auch die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erfolgreich ist und die Wohnungen in kommunale Hand zurückgeführt werden. Aber dann muss wieder viel Geld als Schadenersatz für die Enteignung auf den Tisch gelegt werden. Es ist nicht zu verstehen, dass der Senat nun ein drittes Mal die Privatisierung einer staatlichen Leistung vorantreibt.

Wenn die Ausschreibung durchgezogen wird, wird es auf jeden Fall eine Teilprivatisierung geben. Denn selbst wenn die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommen wird, wird die Instandhaltung in den Werkstätten zum Teil ausgelagert werden. Die S-Bahn GmbH bietet in der laufenden Ausschreibung zusammen mit Siemens und Stadler. Diese Privatfirmen werden nicht nur die Fahrzeuge liefern, sondern auch auch für die schwere Instandhaltung zuständig sein, für die jetzt die Werkstätten der S-Bahn GmbH zuständig sind.

Diejenigen, die hoffen, dass die Beschäftigten und Kunden der S-Bahn mit ‘einem blauen Auge’ davon kommen und die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommt, können nicht ausschließen, dass am Ende – anders als sie gehofft haben – ein privates Unternehmen die Ausschreibung gewinnt. Eine Ausschreibung ist russisches Roulette. Man weiß ja, wie das ausgehen kann.

Rechtsgrundlage für Aberkennung der Gemeinnützigkeit verfassungswidrig

3. November 2020 von benhop

Die gesetzlichen Regelungen, auf die sich die Berliner Behörde stützt, verstoßen unter zwei Gesichtspunkten gegen das Grundgesetz:

1. Es ist nicht mit der Verfassung vereinbar, die Finanzbehörde eines Bundeslandes über ein einfaches Gesetz an die Einstufung des Verfassungsschutzes eines anderen Bundeslandes zu binden (siehe unten unter 1.)
2. Der Maßstab ‚extremistisch‘, an dem entschieden wird, ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht, ist verfassungswidrig (siehe unten unter 2.).

Im Einzelnen:


zu 1. Die Bindung des Berliner Finanzamtes an die Einstufung des Bayrischen Verfassungsschutzes ist verfassungswidrig

Das Berliner Finanzamt muss sich nicht vom Bayrischen Verfassungsschutz vorschreiben lassen, ob es bei einer bundesweiten Organisationbei von einer linksextremen Organisation auszugehen hat oder nicht: Diese Zuständigkeit hat der bayrische Verfassungsschutz nicht und kann ihm auch nicht durch einfaches Gesetz zugewiesen werden. Eine solche Zuweisung ist unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Die Abgabenordnung muss insoweit geändert werden.

zu 2. Der Begriff extremistisch ist durch seine Unbestimmtheit und – soweit er bestimmt ist-  durch seine Instrumentalisierung als Kampfbegriff gegen Demokratie, gegen das Grundgesetz und gegen alle sozialistischen Optionen verfassungswidrig

Aus dem Begriff des Extremismus, wie er in der Abgabenordnung verwendet wird, wurde vom Verfassungsschutz (aber nicht nur vom Verfassungsschutz) ein Begriff des Linksextremismus entwickelt, der sich durch Unbestimmtheit auszeichnet. Bezogen auf den Rechtsextremismus stellte das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 2010 fest: „Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu ‚rechtsradikal‘ oder ‚rechtsreaktionär‘ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“[1]. Nichts anderes kann für den Begriff ‘Linksextremismus’ gelten.

Wenn anhand eines solchen unbestimmten Maßstabes in ein Grundrecht eingegriffen wird, ist das verfassungswidrig. Die Erwähnung der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht[2] und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt sind Eingriffe in Grundrechte. Besonders schwerwiegend ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit als Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, weil das zu erheblichen finanziellen Belastungen für diese Vereinigung führen kann. Ein solcher Eingriff muss verhältnismäßig sein. Dazu muss er bestimmt sein[3]. Das fehlt dem Begriff ‘Linksextremismus’. Er enthält keine klaren Vorgaben, nach denen sich die Vereine richten können[3]. Er kann von Verfassungsschutzdiensten beliebig ausgefüllt werden.

Seine Anwendung – gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gerichtet – prägt bis heute die  Bundesrepublik und öffnet dadurch dem Rechtsextremismus, der dieselbe Zielrichtung verfolgt, Tür und Tor. Mit der AfD als größter Oppositionspartei im Bundestag sollte deutlich geworden sein, dass die Gefahr von rechts kommt. Dem sollte der Kampf für ein antifaschistisches Deutschland entgegen gestellt werden. Das geht nur, wenn Antifaschismus nicht mehr als linksextremistisch und damit als verfassungswidrig gilt.   

In dieser Auseinandersetzung geht es darum, an Traditionen aus der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg anzuknüpfen, wie sie von Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gemeinsam entwickelt wurden und im Schwur von Buchenwald zum Ausdruck kommen. Dem entsprechend müssen die bestehenden gesetzlichen Grundlagen ausgelegt, angewendet und – wo notwendig – genauer gefasst werden. Es geht um eine entsprechende Orientierung der staatlichen Einrichtungen. Und es geht darum, die ökonomischen Grundlagen für eine antifaschistische Gesellschaft zu schaffen, um dem großen Ziel näher zukommen: “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” In diesem Sinne ist Antifaschismus als Verfassungsauftrag zu verstehen. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA passt dazu nicht.

Bei dieser Frage geht es nicht nur um die bayrische Verfassungsschutzbehörde. Denn auch das Verwaltungsgericht München hat die Wertungen der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusst“ gebilligt und damit vielleicht ein noch verheerenderes Zeichen gesetzt als die Verfassungsschutzbehörde selbst. Es hat der Meinung des Verfassungsschutzes den gerichtlichen Segen gegeben. Ob diese nun als Behörde des Verfassungsschutzes daher kommt oder in anderer Form, es lohnt sich, sich damit gründlich auseinanderzusetzen (siehe unter 7. der FAQ). Der stellvertretende Vorstehe des Berliner Finanzamtes für Körperschaften hatte keinerlei Probleme, in dem schon genannten Gespräch mit der VVN-BdA sämtliche Argumente des Verwaltungsgerichts München zu übernehmen, die das Verwaltungsgericht seinerseits vom Verfassungsschutz übernommen hatte.


[1] “Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von nationalsozialistischem oder rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht hinreichend beschränkt. Schon bezüglich des Verbots der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts lässt sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts nichts dazu entnehmen, ob damit jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie, und falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu “rechtsradikal” oder “rechtsreaktionär” – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung (vgl. § 145a StGB), …. nicht hinreichend erlauben. Die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann”. (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

[2]  es geht um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das auch für Vereinigungen als juristische Personen gilt Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art 19 Abs. 3 GG vgl. Verwaltungsgerichts München Az.: VG München vom 2.10.2014 M 22 K 11.2221 Rn. 31 (https://openjur.de/u/775502.html) mit Verweis auf BVerwG v. 21.8.2008 BVerwGE 131, 171                                                                                                                                           

[3]   Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmheitsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 GG, siehe Fisahn/ Schmidt „Kein Gnadenakt des Finanzamtes“ Forum Wissenschaft 1/20 S.51, 52-53. Fisahn/Schmidt zitieren das Bundesverfassungsgericht; siehe Fn. 1 (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

Kollatz (SPD) voll verantwortlich

15. Oktober 2020 von benhop

Der Berliner Senat ist für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA voll verantwortlich

Die Finanzämter sind Landesbehörden, die der Dienst- und Fachaufsicht der obersten Landesfinanzbehörden unterliegen[1]. Die Entscheidung über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit unterliegt also dem Finanzsenator Matthias Kollatz.

Richtig ist allerdings, dass die Landesfinanzbehörden der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums unterstehen, wenn es um die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung von Bundesgesetzen geht, also auch um die Ausführung der Abgabenordnung[2]. Die Ausführungverordnung, der sogenannte Anwendungserlass zur Abgabenordnung, weist allerdings unmissverständlich darauf hin, dass Organisationen nur dann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden darf, wenn sie im Bericht des Verfassungsschutzes einen Bundeslandes oder des Bundes „ausdrücklich als extremistisch eingestuft werden“ und dann wird auf die entsprechende Entscheidung des Bundesfinanzhofes verwiesen[3].

Die Berliner Finanzbehörde könnte also ohne weiteres die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA rückgängig machen mit dem einfachen Argument, dass diese Voraussetzung, wie sie in der Ausführungsverordnung verlangt wird, bei der VVN-BdA nicht erfüllt ist: Die VVN-BdA wurde im Bericht des bayrischen Verfassungsschutzes zwar als “linksextremistisch beeinflusst”, nicht aber ausdrücklich als “linksextremistisch” eingestuft.

Im Übrigen muss die Berliner Finanzbehörde der VVN-BdA nicht die Gemeinnützigkeit aberkennen, weil die Rechtsgrundlage dafür, die einschlägige Bestimmung aus der Abgabenordnung, unvereinbar mit dem Grundgesetz ist. Die Berliner Finanzbehörde muss nicht einer verfassungswidrigen Regelung folgen.

Die einschlägige Bestimmung in der Abgabenordnung ist auch verfassungswidrig, weil der Begriff “Linksextremismus” zu unbestimmt ist und deswegen nicht reicht als Grundlage für einen Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, das auch für die VVN-BdA als juristische Person gilt. Dazu ausführlicher unter Nummer 4.2 im Hauptbeitrag

Aber selbst wenn man die einschlägige Bestimmung in der Abgabenordnung nicht als verfassungswidrig ansehen will, ist die Berliner Finanzbehörde nicht gezwungen, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Denn es gibt gute Gründe, auch auf der bestehenden rechtlichen Grundlage der VVN-BdA nicht die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die Nichteinstufung als “linksextremistisch”, sondern nur als “linksextremistisch beeinflusst” hatten wir schon genannt. Außerdem bindet die bestehen Rechtsgrundlage in der Abgabenordnung die Aberkennung der Gemeinnützigkeit daran, dass die Vermutung des Verfassungsschutzes als “linksextremistisch” nicht widerlegt wird. Die Berliner Finanzbehörde kann also feststellen, dass die Vermutung des bayrischen Verfassungsschutzes widerlegt ist. Gründe dafür gibt es genug. Dazu ausführlicher unter Nummer 5. im Hauptbeitrag.

Ergebnis: Auch wenn es sinnvoll wäre, die Abgabenordnung zu ändern, verweist der Finanzminister Olaf Scholz zu Recht auf die Verantwortung der Länderfinanzbehörden[4], im vorliegenden Fall also auf die Verantwortung der Berliner Finanzbehörde und des Berliner Senats.


[1]                                                                                                                                            Art. 108 GG,; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage    

[2]                                                                                                                                                                                          Art. 108 Abs. 2,  3 i.V.m. Art 85 Abs. 3, 4 GG; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage, wo allerdings nicht auf das Weisungsrecht des Ministeriums für Finanzen nach Art. 108 Abs. 3 i.V.m. Art. 85  Abs. 3, 4 GG eingegangen wird. Die Finanzbehörde hat sich also auch nach dem Anwendungserlass der Abgabenordnung zu richten (als pdf.Datei unter www.bundesfinanzministerium.de, zusammen mit einem Begleitschreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 31. Januar 2014)

[3]                                                                                                                                                                                          Änderung des Anwendungserlasses zur  Abgabenordnung vom 31. Januar 2014 unter www.bundesfinanzministerium.de S. 3

[4]                                                                                                                                                                                          „Ich habe beim Bundesfinanzminister dagegen protestiert. Er ließ mir mitteilen, dass er über die Entscheidung der Berliner Steuerverwaltung genau so überrascht gewesen sei wie ich und dass er sich die Anzweiflung der Verfassungstreue der VVN-BdA nicht hätte vorstellen können. Zugleich ließ er darauf verweisen, dass Steuerverwaltung Angelegenheit der Länder und alles rechtmäßig vollzogen worden sei. Der Minister, hieß es, hätte um eine Darstellung aus Berlin gebeten. So geschehen im November 2019. Bis heute sind zwar die finanziellen Forderungen an die VVN-BdA ausgesetzt, der Entzug der Gemeinnützigkeit bleibt jedoch aufrechterhalten, wodurch diese antifaschistische Organisation erwürgt und handlungsunfähig gemacht werden soll“ (Rede von Günther Pappenheim, Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora zum 75. Jahrestag der Befreiung und Selbstbefreiung der Häftlinge des Komzentrationslöagers Buchenwald am 11. April 2020: https://thueringen.vvn-bda.de/2020/04/14/reden-zum-75-jahrestag-der-befreiung-und-selbstbefreiung-der-haeftlinge-des-konzentrationslagers-buchenwald-am-11-april-2020/)