3. Müssen alle Beschäftigten der S-Bahn GmbH, die aufgrund der Ausschreibung ihren Arbeitsplatz verlieren, von dem neuen Betreiber übernommen werden?

7. September 2020 von benhop

Ob ein neuer Betreiber Beschäftigte der S-Bahn GmbH übernehmen muss, hängt davon ab, ob die Beschäftigte  für die Erbringung der Verkehrsdienstleistung auf den Teilnetzen Nord-Süd oder Stadtbahn „unmittelbar erforderlich“ sind[1]:  

  1. Die Lokomotivführer auf diesen beiden Teilnetzen sind „unmittelbar erforderlich“, um die Fahrgäste zu befördern. 
  2. Für das Werkstattpersonal ist die Sache schon komplizierter. Der Berliner Senat ist der Auffassung, dass auch das Werkstattpersonal „für die Erbringung der Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich“ ist. Er hat daher in die  Ausschreibung eine Verpflichtung zur Übernahme auch für alle Beschäftigten der Werkstätten der S-Bahn GmbH hineingeschrieben. Alle, die bisher die Fahrzeuge auf den beiden Teilnetzen instandgehalten haben, sollen übernommen werden. Gleichzeitig enthält die Ausschreibung aber eine Regelung zur Aufhebung dieser Übernahmeverpflichtung: Wenn einer der Mitbewerber sie rügt, gilt die  Übernahmeverpflichtung nicht mehr. Dann kommt jedoch eine Ersatzregelung zum Zuge: Dem Werkstattpersonal, das nicht weiter bei der S-Bahn GmbH beschäftigt wird, wird eine Übernahme in eine  landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) angeboten[2] und gleichzeitig das neue Instandhaltungsunternehmen zum Einsatz dieses Personals in der neuen Werkstatt verpflichtet. Zu diesem Zweck muss das neue Instandhaltungsunternehmen einen so genannten Gemeinschaftsbetrieb mit der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) bilden. Ein solcher Gemeinschaftsbetrieb zeichnet sich dadurch aus, dass die Arbeitskräfte einen Arbeitsvertrag mit der landeseigenen Beschäftigungsgesellschaft (LBG) haben, obwohl sie in dem Betrieb eines anderen Unternehmens – der Werkstatt des neuen Instandhaltungsunternehmens – tätig sind.
  3. Für andere Beschäftigte der S-Bahn GmbH wird keine Lösung angeboten, obwohl die EVG schon frühzeitig auch für diese Beschäftigten eine Übernahme verlangt hatte[3]. Es ist völlig offen, ob die Arbeitskräfte in den Bereichen Fahrgastinformation, Marketing, Planung und Disposition, die aufgrund eines  Betreiberwechsels ihren Arbeitsplatz bei der S-Bahn GmbH verlieren werden, von einem neuen Betreiber übernommen werden.  
  4. Ausdrücklich schließt die Ausschreibung aus, dass diejenigen übernommen werden müssen, die im Vertrieb der S-Bahn GmbH arbeiten.

[1]              § 131 Abs. 3 GWB enthält unter Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 die Regelungen: „ dass bei einem Wechsel des Betreibers  … der ausgewählte Betreiber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die beim bisherigen Betreiber für die Erbringung einer Verkehrsleistung beschäftigt waren, übernimmt und ihnen die Rechte gewährt, auf die sie Anspruch hätten, wenn eine Übergang gemäß § 613 a BGB erfolgt wäre“. Diese Regelung „soll“ bei einer Ausschreibung nach § 131 Abs. 3 GWB der öffentliche Arbeitgeber verlangen. Für den Fall, dass ein öffentlicher Auftraggeber dies verlangt, wie im vorliegenden Fall der Berliner Senat, „beschränkt sich das Verlangen auf  die diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich sind (Hervorhebung durch B.H.)“.  Der Kreis der von den Regeln des Betriebsübergangs (§613a BGB) erfassten Arbeitskräfte wird damit noch weiter eingeschränkt als nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vorgesehen, wo es in Artikel 4 Absatz 5 dieser Verordnung heißt: „Unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern, kann die zuständige Behörde den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden  (Hervorhebung durch B.H.), die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Verpflichtet die zuständige Behörde die Betreiber eines öffentlichen Dienstes, bestimmte Sozialstandards einzuhalten, so werden in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen die betreffenden Arbeitnehmer aufgeführt und transparente Angaben zu ihren vertraglichen Rechten und zu den Bedingungen gemacht, unter denen sie als in einem Verhältnis zu den betreffenden Diensten stehend gelten“.; die Richtlinie 2001/23/EG ist vergleichbar mit § 613 a BGB

[2]              „Soweit das Vergabeverfahren zu einem Betreiberwechsel führt, besteht eine Verpflichtung des neuen Betreibers zur Personalübernahme vom bisherigen Betreiber gemäß § 131 Abs. 3 GWB, der nach Auffassung der AG auch das für die Instandhaltung von S-Bahn-Fahrzeugen beim aktuellen Betreiber beschäftigte Werkstattpersonal schützt. Sollte die Verpflichtung zur Personalübernahme für das Werkstattpersonal auf die Rüge eines Bewerbers aufgehoben werden, wird dem bei einem Betreiberwechsel nicht weiter beschäftigten Werkstattpersonal ein Übernahmeangebot durch eine Beschäftigungsgesellschaft des Landes Berlin (LBG) gemacht. Das neue Instandhaltungsunternehmen wird sodann zur Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs mit der LBG verpflichtet“ – so wörtlich in der Ausschreibung vom 8.8.2020 im EU-Amtsblatt.

[3]                     Pressemitteilung der EVG vom 18. Mai 2020

2. Was bedeutet die Ausschreibung für meinen Arbeitsplatz bei der S-Bahn Berlin GmbH?

7. September 2020 von benhop

Die im Amtsblatt der EU im August veröffentlichte Ausschreibung kann dazu führen, dass die S-Bahn GmbH den Auftrag für den Verkehrsdienst auf den  beiden Teilnetzen Nord-Süd Bahn und Stadtbahn verliert; das sind 2/3 des gesamten S-Bahn Netzes. Zudem kann die S-Bahn GmbH die Zuständigkeit verlieren für die Instandhaltung und Reparatur der S-Bahn Fahrzeuge auf diesen Strecken. Dann fallen alle diese Arbeitsplätze bei der S-Bahn GmbH weg und es fallen auch alle davon abhängigen Arbeitsplätze in anderen Bereichen der S-Bahn GmbH weg:  Fahrgastinformation, Marketing, Planung und Disposition usw. 

1. Was verbirgt sich hinter der Ausschreibung des S-Bahn Betriebs?

7. September 2020 von benhop

Wenn es um Steuergelder geht, kommt es auf eine sparsame Haushaltsführung an: Die soll  durch eine Ausschreibung gesichert werden. Wenn es aber um Leistungen geht, die bisher immer durch den Staat angeboten wurden, dann ist die Ausschreibung weit mehr: Sie wird zum Türöffner für die Privatisierung dieser staatlicher Leistungen. Wenn nach der Ausschreibung der S-Bahn ein oder mehrere Privat-Unternehmen den Zuschlag bekommen, ist der Betrieb der S-Bahn auf den Teilnetzen Nord-Süd und Stadtbahn für 15 Jahre und die Instandhaltung der Fahrzeuge auf diesen Teilnetzen für 30 Jahre in privater Hand.

Es geht um ein Gesamtvolumen von 8 Milliarden Euro. Es geht um viele Beschäftigte, die jetzt noch bei der S-Bahn GmbH arbeiten. Und es geht um die Sicherung eines guten und zuverlässigen Personennahverkehrs. Mit der Privatisierung des S-Bahn Betrieb gibt das Land Berlin seine unmittelbare Verantwortung für einen guten Personennahverkehr, für den Schutz der Umwelt und für gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten an ein privates Unternehmen ab. Für ein privates Unternehmen steht an erster Stelle die Verzinsung des eingesetzten Kapitals.

Die Berliner haben in den vergangenen Jahren nur schlechte Erfahrungen mit  Privatisierungen gemacht. Das Wasser wurde privatisiert und die Wasserpreise stiegen in  astronomische Höhe. Erst ein erfolgreicher Volksentscheid erzwang, dass das Wasser wieder zurück in Landeseigentum geführt wurde. Dafür musste viel Geld gezahlt werden. Dann wurden Wohnungen privatisiert. Jetzt gibt es die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Die Deutsche Wohnen AG ist inzwischen im Deutschen Aktien Indes (Dax) als eines der großen Unternehmen in Deutschland gelistet.  Es ist zu hoffen, dass auch die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erfolgreich ist und die Wohnungen in kommunale Hand zurückgeführt werden. Aber dann muss wieder viel Geld als Schadenersatz für die Enteignung auf den Tisch gelegt werden. Es ist nicht zu verstehen, dass der Senat nun ein drittes Mal die Privatisierung einer staatlichen Leistung vorantreibt.

Wenn die Ausschreibung durchgezogen wird, wird es auf jeden Fall eine Teilprivatisierung geben. Denn selbst wenn die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommen wird, wird die Instandhaltung in den Werkstätten zum Teil ausgelagert werden. Die S-Bahn GmbH bietet in der laufenden Ausschreibung zusammen mit Siemens und Stadler. Diese Privatfirmen werden nicht nur die Fahrzeuge liefern, sondern auch auch für die schwere Instandhaltung zuständig sein, für die jetzt die Werkstätten der S-Bahn GmbH zuständig sind.

Diejenigen, die hoffen, dass die Beschäftigten und Kunden der S-Bahn mit ‚einem blauen Auge‘ davon kommen und die S-Bahn GmbH den Zuschlag bekommt, können nicht ausschließen, dass am Ende – anders als sie gehofft haben – ein privates Unternehmen die Ausschreibung gewinnt. Eine Ausschreibung ist russisches Roulette. Man weiß ja, wie das ausgehen kann.

Rechtsgrundlage für Aberkennung der Gemeinnützigkeit verfassungswidrig

3. November 2020 von benhop

Die gesetzlichen Regelungen, auf die sich die Berliner Behörde stützt, verstoßen unter zwei Gesichtspunkten gegen das Grundgesetz:

1. Es ist nicht mit der Verfassung vereinbar, die Finanzbehörde eines Bundeslandes über ein einfaches Gesetz an die Einstufung des Verfassungsschutzes eines anderen Bundeslandes zu binden (siehe unten unter 1.)
2. Der Maßstab ‚extremistisch‘, an dem entschieden wird, ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht, ist verfassungswidrig (siehe unten unter 2.).

Im Einzelnen:


zu 1. Die Bindung des Berliner Finanzamtes an die Einstufung des Bayrischen Verfassungsschutzes ist verfassungswidrig

Das Berliner Finanzamt muss sich nicht vom Bayrischen Verfassungsschutz vorschreiben lassen, ob es bei einer bundesweiten Organisationbei von einer linksextremen Organisation auszugehen hat oder nicht: Diese Zuständigkeit hat der bayrische Verfassungsschutz nicht und kann ihm auch nicht durch einfaches Gesetz zugewiesen werden. Eine solche Zuweisung ist unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Die Abgabenordnung muss insoweit geändert werden.

zu 2. Der Begriff extremistisch ist durch seine Unbestimmtheit und – soweit er bestimmt ist-  durch seine Instrumentalisierung als Kampfbegriff gegen Demokratie, gegen das Grundgesetz und gegen alle sozialistischen Optionen verfassungswidrig

Aus dem Begriff des Extremismus, wie er in der Abgabenordnung verwendet wird, wurde vom Verfassungsschutz (aber nicht nur vom Verfassungsschutz) ein Begriff des Linksextremismus entwickelt, der sich durch Unbestimmtheit auszeichnet. Bezogen auf den Rechtsextremismus stellte das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 2010 fest: „Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu ‚rechtsradikal‘ oder ‚rechtsreaktionär‘ – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“[1]. Nichts anderes kann für den Begriff ‘Linksextremismus’ gelten.

Wenn anhand eines solchen unbestimmten Maßstabes in ein Grundrecht eingegriffen wird, ist das verfassungswidrig. Die Erwähnung der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht[2] und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt sind Eingriffe in Grundrechte. Besonders schwerwiegend ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit als Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, weil das zu erheblichen finanziellen Belastungen für diese Vereinigung führen kann. Ein solcher Eingriff muss verhältnismäßig sein. Dazu muss er bestimmt sein[3]. Das fehlt dem Begriff ‘Linksextremismus’. Er enthält keine klaren Vorgaben, nach denen sich die Vereine richten können[3]. Er kann von Verfassungsschutzdiensten beliebig ausgefüllt werden.

Seine Anwendung – gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gerichtet – prägt bis heute die  Bundesrepublik und öffnet dadurch dem Rechtsextremismus, der dieselbe Zielrichtung verfolgt, Tür und Tor. Mit der AfD als größter Oppositionspartei im Bundestag sollte deutlich geworden sein, dass die Gefahr von rechts kommt. Dem sollte der Kampf für ein antifaschistisches Deutschland entgegen gestellt werden. Das geht nur, wenn Antifaschismus nicht mehr als linksextremistisch und damit als verfassungswidrig gilt.   

In dieser Auseinandersetzung geht es darum, an Traditionen aus der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg anzuknüpfen, wie sie von Demokraten, Sozialisten und Kommunisten gemeinsam entwickelt wurden und im Schwur von Buchenwald zum Ausdruck kommen. Dem entsprechend müssen die bestehenden gesetzlichen Grundlagen ausgelegt, angewendet und – wo notwendig – genauer gefasst werden. Es geht um eine entsprechende Orientierung der staatlichen Einrichtungen. Und es geht darum, die ökonomischen Grundlagen für eine antifaschistische Gesellschaft zu schaffen, um dem großen Ziel näher zukommen: “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” In diesem Sinne ist Antifaschismus als Verfassungsauftrag zu verstehen. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA passt dazu nicht.

Bei dieser Frage geht es nicht nur um die bayrische Verfassungsschutzbehörde. Denn auch das Verwaltungsgericht München hat die Wertungen der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusst“ gebilligt und damit vielleicht ein noch verheerenderes Zeichen gesetzt als die Verfassungsschutzbehörde selbst. Es hat der Meinung des Verfassungsschutzes den gerichtlichen Segen gegeben. Ob diese nun als Behörde des Verfassungsschutzes daher kommt oder in anderer Form, es lohnt sich, sich damit gründlich auseinanderzusetzen (siehe unter 7. der FAQ). Der stellvertretende Vorstehe des Berliner Finanzamtes für Körperschaften hatte keinerlei Probleme, in dem schon genannten Gespräch mit der VVN-BdA sämtliche Argumente des Verwaltungsgerichts München zu übernehmen, die das Verwaltungsgericht seinerseits vom Verfassungsschutz übernommen hatte.


[1] “Das dem Beschwerdeführer auferlegte Publikationsverbot erstreckt sich allgemein auf die Verbreitung von nationalsozialistischem oder rechtsextremistischem Gedankengut. Mit dieser Umschreibung ist weder für den Rechtsanwender noch für den Rechtsunterworfenen das künftig verbotene von dem weiterhin erlaubten Verhalten abgrenzbar und damit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht hinreichend beschränkt. Schon bezüglich des Verbots der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts lässt sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts nichts dazu entnehmen, ob damit jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie, und falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können. Erst Recht fehlt es dem Verbot der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts an bestimmbaren Konturen. Ob eine Position als rechtsextremistisch – möglicherweise in Abgrenzung zu “rechtsradikal” oder “rechtsreaktionär” – einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen, die Abgrenzungen mit strafrechtlicher Bedeutung (vgl. § 145a StGB), …. nicht hinreichend erlauben. Die Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts ist damit kein hinreichend bestimmtes Rechtskriterium, mit dem einem Bürger die Verbreitung bestimmter Meinungen verboten werden kann”. (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

[2]  es geht um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das auch für Vereinigungen als juristische Personen gilt Art. 2. Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art 19 Abs. 3 GG vgl. Verwaltungsgerichts München Az.: VG München vom 2.10.2014 M 22 K 11.2221 Rn. 31 (https://openjur.de/u/775502.html) mit Verweis auf BVerwG v. 21.8.2008 BVerwGE 131, 171                                                                                                                                           

[3]   Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Bestimmheitsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 2 GG, siehe Fisahn/ Schmidt „Kein Gnadenakt des Finanzamtes“ Forum Wissenschaft 1/20 S.51, 52-53. Fisahn/Schmidt zitieren das Bundesverfassungsgericht; siehe Fn. 1 (BVerfG 8.12.2010 – 1 BvR 1106/08 Rn.20)

Kollatz (SPD) voll verantwortlich

15. Oktober 2020 von benhop

Der Berliner Senat ist für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA voll verantwortlich

Die Finanzämter sind Landesbehörden, die der Dienst- und Fachaufsicht der obersten Landesfinanzbehörden unterliegen[1]. Die Entscheidung über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit unterliegt also dem Finanzsenator Matthias Kollatz.

Richtig ist allerdings, dass die Landesfinanzbehörden der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums unterstehen, wenn es um die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung von Bundesgesetzen geht, also auch um die Ausführung der Abgabenordnung[2]. Die Ausführungverordnung, der sogenannte Anwendungserlass zur Abgabenordnung, weist allerdings unmissverständlich darauf hin, dass Organisationen nur dann die Gemeinnützigkeit aberkannt werden darf, wenn sie im Bericht des Verfassungsschutzes einen Bundeslandes oder des Bundes „ausdrücklich als extremistisch eingestuft werden“ und dann wird auf die entsprechende Entscheidung des Bundesfinanzhofes verwiesen[3].

Die Berliner Finanzbehörde könnte also ohne weiteres die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA rückgängig machen mit dem einfachen Argument, dass diese Voraussetzung, wie sie in der Ausführungsverordnung verlangt wird, bei der VVN-BdA nicht erfüllt ist: Die VVN-BdA wurde im Bericht des bayrischen Verfassungsschutzes zwar als “linksextremistisch beeinflusst”, nicht aber ausdrücklich als “linksextremistisch” eingestuft.

Im Übrigen muss die Berliner Finanzbehörde der VVN-BdA nicht die Gemeinnützigkeit aberkennen, weil die Rechtsgrundlage dafür, die einschlägige Bestimmung aus der Abgabenordnung, unvereinbar mit dem Grundgesetz ist. Die Berliner Finanzbehörde muss nicht einer verfassungswidrigen Regelung folgen.

Die einschlägige Bestimmung in der Abgabenordnung ist auch verfassungswidrig, weil der Begriff “Linksextremismus” zu unbestimmt ist und deswegen nicht reicht als Grundlage für einen Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit, das auch für die VVN-BdA als juristische Person gilt. Dazu ausführlicher unter Nummer 4.2 im Hauptbeitrag

Aber selbst wenn man die einschlägige Bestimmung in der Abgabenordnung nicht als verfassungswidrig ansehen will, ist die Berliner Finanzbehörde nicht gezwungen, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Denn es gibt gute Gründe, auch auf der bestehenden rechtlichen Grundlage der VVN-BdA nicht die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die Nichteinstufung als “linksextremistisch”, sondern nur als “linksextremistisch beeinflusst” hatten wir schon genannt. Außerdem bindet die bestehen Rechtsgrundlage in der Abgabenordnung die Aberkennung der Gemeinnützigkeit daran, dass die Vermutung des Verfassungsschutzes als “linksextremistisch” nicht widerlegt wird. Die Berliner Finanzbehörde kann also feststellen, dass die Vermutung des bayrischen Verfassungsschutzes widerlegt ist. Gründe dafür gibt es genug. Dazu ausführlicher unter Nummer 5. im Hauptbeitrag.

Ergebnis: Auch wenn es sinnvoll wäre, die Abgabenordnung zu ändern, verweist der Finanzminister Olaf Scholz zu Recht auf die Verantwortung der Länderfinanzbehörden[4], im vorliegenden Fall also auf die Verantwortung der Berliner Finanzbehörde und des Berliner Senats.


[1]                                                                                                                                            Art. 108 GG,; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage    

[2]                                                                                                                                                                                          Art. 108 Abs. 2,  3 i.V.m. Art 85 Abs. 3, 4 GG; siehe auch Antwort der Bundesregierung v. 11.05.2020.auf die kleine Anfrage von DIE LINKE, Drucksache 19/19063; dort Seite 6, Antwort auf die 2. Frage, wo allerdings nicht auf das Weisungsrecht des Ministeriums für Finanzen nach Art. 108 Abs. 3 i.V.m. Art. 85  Abs. 3, 4 GG eingegangen wird. Die Finanzbehörde hat sich also auch nach dem Anwendungserlass der Abgabenordnung zu richten (als pdf.Datei unter www.bundesfinanzministerium.de, zusammen mit einem Begleitschreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 31. Januar 2014)

[3]                                                                                                                                                                                          Änderung des Anwendungserlasses zur  Abgabenordnung vom 31. Januar 2014 unter www.bundesfinanzministerium.de S. 3

[4]                                                                                                                                                                                          „Ich habe beim Bundesfinanzminister dagegen protestiert. Er ließ mir mitteilen, dass er über die Entscheidung der Berliner Steuerverwaltung genau so überrascht gewesen sei wie ich und dass er sich die Anzweiflung der Verfassungstreue der VVN-BdA nicht hätte vorstellen können. Zugleich ließ er darauf verweisen, dass Steuerverwaltung Angelegenheit der Länder und alles rechtmäßig vollzogen worden sei. Der Minister, hieß es, hätte um eine Darstellung aus Berlin gebeten. So geschehen im November 2019. Bis heute sind zwar die finanziellen Forderungen an die VVN-BdA ausgesetzt, der Entzug der Gemeinnützigkeit bleibt jedoch aufrechterhalten, wodurch diese antifaschistische Organisation erwürgt und handlungsunfähig gemacht werden soll“ (Rede von Günther Pappenheim, Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora zum 75. Jahrestag der Befreiung und Selbstbefreiung der Häftlinge des Komzentrationslöagers Buchenwald am 11. April 2020: https://thueringen.vvn-bda.de/2020/04/14/reden-zum-75-jahrestag-der-befreiung-und-selbstbefreiung-der-haeftlinge-des-konzentrationslagers-buchenwald-am-11-april-2020/)

Nicht als „linksextremistisch“ eingestuft!

15. Oktober 2020 von benhop

Linksextremistisch oder linksextremistisch beeinflusst?

Während die VVN-BdA im Bericht des bayrischen Verfassungsschutzes als “linksextremistisch beeinflusst” eingestuft wird, wird sie im Anhang  zu diesem Bericht in einer Übersicht mit dem Titel „Linksextremismus“ aufgeführt [1] Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf den Seiten 326, 331, 332  . Dieser Sprung von „linksextremistisch beeinflusst“ zu „linksextremistisch“ geschieht ohne irgendwelche konkreten tatsächlichen Anknüpfungspunkte. Der Verfassungsschutz spricht zwar mit Blick auf alle Organisationen in dieser Übersicht pauschal von „vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkten“, die „in der  Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolge, es sich mithin um verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handele“[2] Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf Seite 326 – 332 . Aber – abgesehen von der widersprüchlichen Wertung einmal „linksextremistisch“ und dann wieder „linksextremistisch beeinflusst“ – beklagt Rechtsanwalt Reinecke zu Recht, dass der Verfassungsschutz zur Einstufung als „linksextremistisch“ im Anhang in der Übersicht nichts Konkretes vorträgt.

Wenn das Berliner Finanzamt den bayrischen Verfassungsschutz so versteht, dass der bayrische Verfassungsschutz die VVN-BdA als „linksextremistisch“ eingestuft hat und deswegen jetzt die VVN-BdA verpflichtet sei, den Gegenbeweis anzutreten, setzt sich das Berliner Finanzamt zu Lasten der VVN-BdA über die Bayrische Verwaltungsgerichtsbarkeit hinweg. Denn das Verwaltungsgericht München hatte zwar die Klage zurückgewiesen, mit der die VVN-BdA ihre Erwähnung aus den bayrischen Verfassungsschutzberichten 2010, 2011, 2012 und 2013 löschen wollte. Das Verwaltungsgericht hatte aber eindeutig festgestellt, dass der bayrische Verfassungsschutz die VVN-BdA nur als „linksextremistisch beeinflusst“, nicht aber als  „linksextremistisch“ einstufte.


 

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References

References
1  Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf den Seiten 326, 331, 332
2 Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, unter diesem Stichwort  in der Suchmaschine abrufbar; dort auf Seite 326 – 332 

Ist die Einstufung der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutzes als “linksextremistisch beeinflusst” widerlegt?

3. November 2020 von benhop

In der Zeitung der VVN-BdA antifa[1] antifa BEILAGE September/Oktober 2020 berichtet die Bundesprecherin der VVN-BdA Cornelia Kerth  über ein Gespräch mit dem Berliner Finanzamt für Körperschaften. Der stellvertretende Vorsteher dieses Finanzamtes habe betont, dass die VVN-BdA  in einer Phase sei, in der es „nicht mehr darum ginge Zweifel an der Schlüssigkeit der vom Inlandsgeheimdienst vorgetragenen Behauptungen aufkommen zu lassen“, sondern dass die VVN-BdA diese Behauptungen nunmehr so widerlegen müssten, dass keine Zweifel an der Darstellung der VVN-BdA möglich seien.

In dem Gespräch der VVN-BdA mit dem Berliner Finanzamt referierte die Sachgebietsleiterin, was die VVN-BdA widerlegen müsse: „„kommunistischer Faschismusbegriff“, Einfluss der DKP, Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären,  Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden“[2]antifa BEILAGE September/Oktober 2020

Das ist genau das, was im Verfahren vor der Bayrischen Verwaltungsgerichtsbarkeit der Bayrische Verfassungsschutz als Indizien für seine Einstufung der VVN-BdA vorgetragen hatte[3]VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221. Kein anderes Bundesland und auch nicht der Bundesnachrichtendienst stufen die VVN-BdA noch als  linksextremistisch ein[4]Thomas Willms “Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA”, vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und gesellschaftspolitik Nr. 229 (59(1, S. 125-132, 126)). Wenn der Verfassungsschutz von 15 anderen Bundesländern und auch der Bundesnachrichtendienst die VVN-BdA nicht mehr als linksextremistisch einstufen, dann müsste schon alleine diese Tatsache die Einstufung der VVN-BdA als „linksextremistisch“ durch den bayrischen Verfassungsschutzes nachhaltig erschüttern.

Selbst wenn man die bestehenden rechtlichen Grundlagen ausgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum die Behauptungen, die der Verfassungsschutz als “tatsächliche Anknüpfungspunkte” anführt, auch nur die Wertung  linksextremistischen beeinflusst’ rechtfertigen sollen.

Wir wollen die einzelnen Punkte durchgehen:

a. “kommunistischen Antifaschismusbegriff

Wir haben dargelegt, dass ein “kommunistischen Antifaschismusbegriff” kein Anknüpfungspunkt ist, siehe unsere entsprechenden Ausführungen. Die VVN-BdA hat kein von einer einheitlichen Weltanschauung geprägtes Verständnis von Faschismus und Antifaschismus und im Übrigen erklärte die CDU unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg selbst: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“. Der VVN-BdA lehnt es ab, mit dem bayrischen Verfassungschutz zwischen guten und schlechten Antifaschistinnen und Antifaschisten zu diferenzieren und sich so spalten zu lassen.

b. Einfluss der DKP

Till Müller-Heidelbeg schreibt zum Einfluss der DKP in der Bayrischen VVN-BdA: “Nach den Zahlen des Verfassungsschutzes sind wenig als 7% der Mitglieder der VVN-BdA auch Mitglieder der DKP Wie sollen diese denn die übrigen 93% Mitglieder linksextremistisch beeinflussen oder dominieren? Dasselbe gilt für den Vorstand. Von den drei Mitgliedern des Sprecherkreises des Landesvorstandes ist evtl. ein Mitglied auch Mitglied der DKP, ohne dort aber irgendeine Funktion zu haben. Und von den insgesamt 15 Mitgliedern des Vorstandes der VVN-BdA Landesvereinigung Bayern haben gerade drei Mitglieder auch eine Mitgliedschaft in der DKP. Die übrigen Vorstandsmitglieder sind parteilos oder gehören anderen, im Bayrischen Landtag vertretenen, Parteien an, so dass von einer DKP-Beeinflussung nicht die Rede sein kann. Der Landesverfassungsschutzbericht verschweigt auch geflissentlich , dass vier bayrische Landtagsabgeordnete und mindestens eine bayrische SPD-Bundestagsabgeordnete Mitglied der VVN-BdA sind. Dass nach der Argumentation von Verfassungsschutz und Finanzamt die VVN-BdA folglich sozialdemokratisch beeinflusst oder dominiert ist, wird verständlicherweise von diesen im Prozess vor dem Finanzgericht München nicht vorgetragen”[5]in Kerth/ Kutscha “Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? – Ein Geheimdienst und seine Praxis”Köln 2020, S. 115, 119 f..

Abgesehen davon, dass also der bayrische Verfassungsschutz den Einfluss von DKP Mitgliedern in der VVN-BdA übertreibt, sind Mitglieder der DKP in der VVN-BdA prinzipiell kein Anknüpfungspunkt dafür, dass die VVN-BdA Bestrebungen fördert, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind. In den Konzentrationslagern haben Menschen mit den unterschiedlichsten Weltanschauungen zusammen gestanden. Das hat im KZ- Buchenwald schließlich zur Befreiung durch die Häftlinge selbst geführt, kurz bevor sie von der amerikanischen Armee befreit wurden. An diesem Erbe, das in dem Schwur von Buchenwald seinen Ausdruck gefunden hat, hält die VVN-BdA fest. Das Problem ist nicht die DKP, sondern der Begriff “Extremismus” und die darin enthaltende Gleichsetzung von links und rechts, Opfer und Tätern, Mörder und Ermordeten.

c. Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären

Als tatsächlicher Anhaltspunkt wird noch angeben: “Äußerungen von einzelnen Funktionärinnen und Funktionären”. Als Beispiel wird unter anderen diese Äußerung aus einer Rede auf dem 4. Bundeskongress im Jahr 2011 zitiert: „Faschismus ist im Deutschen ein mehrdeutiges Wort: es bezeichnet eine Organisation, Bewegung oder Partei, eine Ideologie und eine Staatsform, die faschistische Diktatur genannt wird. Und diese Diktatur ist eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft. Das ist das Wesen der Sache und des Streits. Eine Ausprägung neben anderen: der konstitutionellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder auch dieser oder jener Form autokratischer Herrschaft. In welchen Formen die bürgerliche Gesellschaft ihren staatlichen Rahmen findet, hängt nicht in erster Linie von Überzeugungen ab, wiewohl die beim Handeln von Menschen immer im Spiele sind, sondern davon, welche von ihnen den in der Gesellschaft dominierenden Interessen und deren Verfechtern dient, sie fördert und womöglich auch sichert“.

Der Verfassungsschutz und mit ihm das Verwaltungsgericht würdigt diesen Ausschnitt aus der Rede eines “maßgeblichen Vertreters der marxistischen Faschismustheorie innerhalb der der VVN-BdA” so: “Dieses spezifische Verständnis von „Antifaschismus“ der DKP und in der VVN-BdA erinnert an den „Antifaschismus“ als Staatsdoktrin der ehemaligen DDR, wonach alle nicht-sozialistischen Staaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, „faschistisch“ waren (siehe auch die Bezeichnung der ehemaligen Berliner Mauer als „antifaschistischer Schutzwall“). Es setzt sich fort in den zu Beginn der 1980er-Jahre entstandenen …-Gruppen, die sich auch auf die autonome Szene erstrecken”.

Diese Auslegung des zitierten Ausschnitts einer Rede auf dem 4. Bundeskongress ist eine grobe Verfälschung des Gesagten. Nirgendwo im Text wird behauptet, dass alle nichtsozialistischen Staaten faschistisch waren. Der Text stellt die unbestreitbare Tatsache fest, dass der Kapitalismus, also eine Wirtschaft, in der privatkapitalistische Unternehmen vorherrschen, unter den verschiedensten Staatsformen existiert hat, unter der konstituellen Monarchie, der parlamentarischen Republik oder eben auch unter der faschistischen Diktatur. Der einfache Gedanke, der sich einem Leser, der nicht beim Verfassungsschutz arbeitet, beim Lesen des zitierten Redeausschnitt aufdrängt, ist: Was ist an diesem Text falsch? Will der Verfassungsschutz und das Verwaltungsgericht München nur den berühmten Satz von Rosa Luxemburg bestätigen, dass revolutionär ist, zu sagen, was ist?

Der nächste Gedanke, der sich aufdrängt: Eine kapitalistische Wirtschaft ist nicht schon aufgrund dieser Wirtschaftsform vor eine faschistischen Diktatur geschützt. Es ist eher so, dass vor allem das große Kapital für die Ablösung der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik durch die faschistische Diktatur zumindestens stark mitverantwortlich war. Das war jedenfalls gleich nach dem 2. Weltkrieg bis in die CDU hinein Konsens. Die größte deutsche Gewerkschaft, die IG Metall, fordert in ihrer Satzung die “Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschende Unternehmungen in Gemeineigentum” und beruft sich damit auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der diese Möglichkeit eröffnet. Will etwa demnächst der Verfassungsschutz auch die IG Metall als linksextremistisch einstufen?

“Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral” erklärte das Bundesverfassungsgericht mehrfach, vor allem auch unter Berufung auf Art. 15 des Grundgesetzes mehrfach[6]BVerGE 4, 7/17; 7, 377/400; 50, 290/338; siehe Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in “Gün,Hopmann,Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht” S. 136, 139. Das Grundgesetz fordert den Sozialstaat, aber keineswegs die Marktwirtschaft[7] Andreas Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in Gün, Hopmann, Niemerg (Hrsg.) “Gegenmacht statt Ohnmacht” Hamburg 2020 S. 136, 139. Auch der Verfassungsschutz muss das respektieren, so jedenfalls die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE[8]siehe Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen … Continue reading.

Das Verwaltungsgericht München unterstellt der Antifaschismus-Arbeit der VVN-BdA als Ziel, „den Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“. Mit dieser Definition der freiheitlich demokratischen Grundordnung als ausschließlich kapitalistisches System setzen sich jedoch Verfassungsschutz und Verwaltungsgericht München selbst in Widerspruch zum Grundgesetz und begeben sich damit in die Verfassungswidrigkeit. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach hervorgehoben, dass das Grundgesetz nicht auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem festgelegt ist[2]. Wenn das Verwaltungsgericht München in diesem Zusammenhang erklärt, die Parole “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen” diene “schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen”, ist das nicht nur eine Beleidigung der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald, sondern aller, die unter Berufung auf den Schwur von Buchenwald gegen Unterdrückung und Krieg kämpfen. Die Gleichsetzung von freiheitlich demokratischer Grundordnung und kapitalistischem System ist grundgesetzwidrig, während diejenigen, die sich auf den Schwur von Buchenwald berufen und den Faschismus mit seinen Wurzeln beseitigen wollen, im Einklang mit dem Grundgesetz handeln. Sie erkennen in unserer Verfassung einen antifaschistischen Auftrag, den es umzusetzen gilt. Sie fühlen sich damit den besten Traditionen dieses Landes verpflichtet.

Alle vom Berliner Finanzamt genannten “tatsächlichen Anknüpfungspunkte” sind widerlegt – im Wesentlichen in dem Sinne, dass die behaupteten Tatsachen keine Anknüpfungspunkte dafür sind, dass die VVN-BdA “Bestrebungen fördert, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten”, wie es in der Abgabenordnung als Voraussetzung für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit gefordert wird.

Nicht die VVN-BdA muss sich ändern. Das Verständnis unseres Grundgesetzes muss sich ändern. Nicht der Schwur von Buchenwald, sondern der Extremismus-Begriff in seiner Anwendung gegen Demokraten und Sozialisten ist verfassungswidrig.

References

References
1  antifa BEILAGE September/Oktober 2020
2 antifa BEILAGE September/Oktober 2020
3 VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221
4 Thomas Willms “Helden ja – Verbände nein. Der Kampf gegen die VVN-BdA”, vorgänge, Zeitschrift für Bürgerrechte und gesellschaftspolitik Nr. 229 (59(1
5 in Kerth/ Kutscha “Was heißt hier eigentlich Verfassungsschutz? – Ein Geheimdienst und seine Praxis”Köln 2020, S. 115, 119 f.
6 BVerGE 4, 7/17; 7, 377/400; 50, 290/338; siehe Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in “Gün,Hopmann,Niemerg “Gegenmacht statt Ohnmacht” S. 136, 139
7 Andreas Fisahn “Sozialisierung, Wirtschaftsdemokratie und Grundgesetz” in Gün, Hopmann, Niemerg (Hrsg.) “Gegenmacht statt Ohnmacht” Hamburg 2020 S. 136, 139
8 siehe Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: BT-Brucksache 19/129 “Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung”, http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2303/230324.html).

d. Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden

Und schließlich bleiben noch als tatsächliche Anhaltspunkte: “Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Autonomen, Blockaden“. Wir haben dazu ausführlich Stellung genommen: Der Aufruf zur Blockade in Dresden im Jahr 2010 ist kein Anknüpfungspunkt für eine Einstufung als „linksextremistisch beeinflusst“ und auch nicht ein Grund für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Es bleibt nichts, was der VVN-BdA vorzuwerfen wäre. Die Meinung des Bundesverfassungsgericht, die Demonstrationsfreiheit schütze auch Nazi-Aufmärsche, ist unvereinbar mit der antifaschistischen Prägung des Grundgesetzes.

Fazit:

Die Anwendung “extremistisch” bzw. “extremistisch beeinflusst” auf die VVN-BdA vollzieht das Verwaltungsgericht München so, dass es zunächst zwischen guten und schlechten Antifaschisten differenziert und dann keine Probleme hat, die älteste und größte antifaschistische Organisation VVN-BdA als schlechte, also extremistische Organisation einzuordnen, die den Rechtsextremismus lediglich als “vordergründige Aktivität” bekämpft:

Nach verfassungsschutzrechtlicher Bewertung des Bundes (siehe etwa Verfassungsschutzbericht 2010 des Bundesministeriums des Innern, Internet) ist das Ziel der sogenannten Antifaschismus-Arbeit – in linksextremistischen Organisationen – „der Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung als kapitalistisches System, um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen“; die Bekämpfung des Rechtsextremismus sei dabei lediglich eine vordergründige Aktivität. Die in diesem Zusammenhang oft geäußerte Parole „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ (siehe hierzu ausführlich Klageerwiderung, Abschnitt 1.4.3.6) erscheint damit in einem anderen Licht. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, dient die Parole schlicht der Bekämpfung und Diskreditierung missliebiger anderer Meinungen. Die Deutungshoheit darüber, was unter „Faschismus“ zu verstehen ist, nehmen die genannten Gruppen für sich in Anspruch“((VG München vom 2.10.2014 – M 22 K 11 2221

Andere Gründe für die Aberkennnung der Gemeinnützigkeit bei der VVN-BdA

3. November 2020 von benhop

Wenn die Finanzämter einem Verein die Gemeinnützigkeit aberkennen, berufen sie sich auf  zwei gesetzliche Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen:

  • Der Verein muss gemeinnützige Zwecke verfolgen[1] und
  • Der Verein darf nicht extremistisch sein.[2].

Bei Attac und den Vereinen der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ geht es um die erste Voraussetzung: Welche Zwecke darf ein gemeinnütziger Verein verfolgen und wie darf er sie verfolgen? Bei der VVN-BdA geht es um die zweite Voraussetzung: Wann verfolgt ein Verein verfassungswidriger Bestrebungen, so dass er nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werden soll?  

[1]  § 51 Absatz  1 Abgabenordnung (AO);  § 51 Absatz  2 Abgabe nordnung (AO)

[2]  § 51 Absatz  3 Abgabenordnung (AO)

Klimastreik und Streikrecht

14. November 2020 von benhop

30. September 2020

Wirtschaftsminister Peter Altmaier belehrte die Studentin Luisa Neubauer, eine Organisatorin der „fridays for future”-Demonstrationen in Berlin: „Sie sagen, dass Sie für das Klima streiken, aber in Deutschland kennen wir keinen politischen Generalstreik. Unser Streikrecht richtet sich immer auf Forderungen, die ein Arbeitgeber liefern kann“[1].

Man muss dem Wirtschaftsminister fast dankbar sein. Denn damit hat er den politischen Streik überhaupt wieder zu einem Thema gemacht. Er ja auch hätte einfach sagen können: „Schüler dürfen nicht streiken. Es gibt die Schulpflicht und wer dagegen verstößt, muss mit Sanktionen rechnen.” Aber nein, Altmaier spricht über den politischen Streik, den wir in Deutschland „nicht kennen“. Allerdings: Der Anstoß für diese Erklärung kam von der jungen Klimabewegung selbst, die im Jahr 2019 jeden Freitag während der Schulzeit für ihre Zukunft demonstrierte. Neubauer ließ sich denn auch von den Belehrungen Altmaiers nicht beeindrucken: „Als das Streikrecht erfunden wurde, kannte man die Klimakrise ja noch nicht.“

Am 24. Mai 2019 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Aufruf der jungen Klimabewegung an die Welt unter der Überschrift „Streik!“. Die Erwachsenen antworteten auf derselben Seite unter der Überschrift „Zeitenwende“ mit folgendem Aufruf: „Am Freitag, den 20. September werden wir auf Bitte der jungen Menschen, die rund um die Welt Schulstreiks organisieren, unsere Arbeitsplätze und Wohnungen verlassen, um einen Tag lang Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern, die große existenzielle Bedrohung der gesamten Menschheit. … Wir hoffen, dass sich uns viele Menschen anschließen … Überall auf dem Planeten sind Formen eines Green New Deal vorgeschlagen worden, Gesetze, die rasch fossile Energiequellen durch Energie aus Sonne und Wind ersetzen würden und dabei für gute Jobs sorgen …“. Unterschrieben hatten diesen Aufruf Frauen und Männern aus der Wissenschaft, aus der Kunst und der Umweltbewegung. Dieser Aufruf war nicht nur ein Aufruf, die eigenen Interessen zu verteidigen, sondern auch den Gedanken der generationsübergreifenden Solidarität zu stärken.

Der Aufruf führte am 20. September 2019 zu einer eindrucksvollen Demonstration von über eine Millionen Menschen für den Klimaschutz, aber nicht zu einem Streik.

Zum 25. September 2020 rief “fridays-for-future” wieder zum Klimastreik auf. Es war sehr wichtig, dass sich viele Menschen in ihrer Freizeit an den Aktionen am 25. September 2020 beteiligten. Aber ein Streik war auch das nicht.

Ein Streik ist nur während der Arbeitszeit möglich. Denn in einem Streik legen abhängig Beschäftigte ihre Arbeit nieder. Das ist in der Freizeit nicht möglich; denn in der Freizeit wird eine Arbeit, die niedergelegt werden könnte, gerade nicht ausgeübt.

Ein Klimastreik richtet sich gegen die Klimaerwärmung. Es können entsprechende Maßnahmen vom Staat oder auch direkt von den Unternehmen gefordert werden. Richten sich die Forderungen an den Staat, handelt es sich um einen politischen Streik.

Wann gibt es nicht nur einen weiteren Aufruf zum Klimastreik, sondern auch die erste Arbeitsniederlegung gegen die Klimaerwärmung?

Sämtliche Zeitungen verkündeten im September 2019, der politische Streik sei verboten. Gibt es ein recht auf den politischen Streik?

Einzelheiten zum Recht auf Streik hier weiterlesen:

[1]                     SPIEGEL v. 16.3.2019 S. 60 ff